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Neuchâtel 2015 Statistischer Sozialbericht Schweiz 2015 13 Soziale Sicherheit 1200-1500

Statistischer Sozialbericht Schweiz 2015

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Ein Wirtschaftsaufschwung nützt Bezügern von Sozialhilfe wenig.Ob die Wirtschaft wächst oder schwächelt, hat kaum einen Einfluss auf die Sozialhilfequote in der Schweiz. Denn vom Wirtschaftswachstum können nur Personen profitieren, die gut ausgebildet sind oder die ihren Alltag ausreichend flexibel gestalten können.Quelle: via @Bfs.admin.ch http://bit.ly/1J4mxCK

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  • Neuchtel 2015

    Statistischer Sozialbericht Schweiz 2015

    13Soziale Sicherheit

    1200-1500

  • 0 Statistische Grundlagen und bersichten

    1 Bevlkerung

    2 Raum und Umwelt

    3 Arbeit und Erwerb

    4 Volkswirtschaft

    5 Preise

    6 Industrie und Dienstleistungen

    7 Land- und Forstwirtschaft

    8 Energie

    9 Bau- und Wohnungswesen

    10 Tourismus

    11 Mobilitt und Verkehr

    12 Geld, Banken, Versicherungen

    13 Soziale Sicherheit

    14 Gesundheit

    15 Bildung und Wissenschaft

    16 Kultur, Medien, Informationsgesellschaft, Sport

    17 Politik

    18 ffentliche Verwaltung und Finanzen

    19 Kriminalitt und Strafrecht

    20 Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevlkerung

    21 Nachhaltige Entwicklung und Disparitten auf regionaler und internationaler Ebene

    Die vom Bundesamt fr Statistik (BFS) herausgegebene Reihe Statistik der Schweizgliedert sich in folgende Fachbereiche:

  • Office fdral de la statistique (OFS) Neuchtel 2015

    Statistik der Schweiz

    Herausgeber Bundesamt fr Statistik (BFS) Sektion Sozialanalysen (SOZAN)

    Statistischer Sozialbericht Schweiz 2015

  • IMPRESSUM

    Herausgeber: Bundesamt fr Statistik (BFS)

    Auskunft: Nora Meister, Sektion SOZAN BFS, Tel. 058 467 25 50, [email protected] Thomas Ruch, Sektion SOZAN BFS, Tel. 058 463 61 59, [email protected]

    Autorinnen/Autoren: Thomas Ruch, Nora Meister, Michele Adamoli, Wayra Caballero Liardet, Elisabetta Capezzali, Yvon Csonka, Magnus Fink, Pascale Gazareth, Martina Guggisberg, Stephan Hni, Martine Kaeser, Silvia Hofer Kellenberger, Caterina Modetta, Fabienne Rausa, Regula Schlanser, Jacqueline Schn-Bhlmann, Lukas Schweizer, Anne-Corinne Vollenweider

    Realisierung: Nora Meister, Sektion SOZAN

    Vertrieb: Bundesamt fr Statistik, CH-2011 Neuchtel Tel. 058 463 60 60, Fax 058 463 60 61, [email protected]

    Bestellnummer: 1200-1500

    Preis: Fr. 28. (exkl. MWST)

    Reihe: Statistik der Schweiz

    Bereich: 13 Soziale Sicherheit

    Originaltext: Deutsch und Franzsisch

    bersetzung: Sprachdienste BFS

    Titelgrafik: BFS; Konzept: Netthoevel & Gaberthel, Biel; Foto: Alexander Raths Fotolia.com

    Grafik/Layout: Sektion DIAM, Prepress / Print

    Copyright: BFS, Neuchtel 2015 Abdruck ausser fr kommerzielle Nutzung unter Angabe der Quelle gestattet

    ISBN: 978-3-303-13168-8

  • 32015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    INHALTSVERZEICHNIS

    Inhaltsverzeichnis

    Management Summary 5

    1 Ausgangslage und Einleitung 9

    1.1 Auftrag des Postulats 01.3788 (Postulat Rossini) 9

    1.2 Ziel des Berichts 10

    1.3 Aufbau des Berichts und Abgrenzungen 11

    1.4 Datenquellen 12

    2 Gesamtwirtschaftlicher Kontext 13

    2.1 Makrokonomischer Hintergrund 13

    2.2 Arbeitsmarkt und Bildung 18

    2.3 Einkommen und Einkommensverteilung 33

    2.4 Gesamtwirtschaftlicher Kontext: Zusammenfassung 45

    3 Gesellschaftlicher Hintergrund 46

    3.1. Haushalte und Lebensformen 46

    3.2 Gesundheit 50

    3.3 Auslndische Bevlkerung und Migration 58

    3.4 Kriminalitt 61

    3.5 Gesellschaftlicher Hintergrund: Zusammenfassung 66

    4 Subjektives Wohlbefinden 67

    4.1 Allgemeine Lebenszufriedenheit 67

    4.2 Einschtzung verschiedener Lebens bereiche durch die Bevlkerung 68

    4.3 Subjektives Wohlbefinden: Zusammenfassung 72

    5 Das System der Sozialen Sicherheit und seine Finanzierung 74

    5.1 Das System der Sozialen Sicherheit in der Schweiz 74

    5.2 Finanzen der sozialen Sicherheit in der Schweiz 75

    5.3 Das System der Sozialen Sicherheit und seine Finanzierung: Zusammenfassung 82

    6 Risikogruppen sozialer Ausgrenzung 83

    6.1 Sozialhilfe im weiteren Sinn 84

    6.2 Sozialhilfe im engeren Sinn 88

    6.3 Einkommensarmut 98

    6.4 Risikogruppen sozialer Ausgrenzung: Zusammenfassung 103

  • 7 Abkrzungverzeichnis 105

    8 Glossar 107

    9 Bibliografie 111

    Anhangtabellen 115

  • 52015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    MANAGEMENT SUMMARY

    Management Summary

    Der vorliegende Bericht ist eine Aktualisierung des sta-tistischen Sozialberichts Schweiz 2011, der der Erfllung der statistischen Belange des Postulats Rossini aus dem Jahr 2001 diente. Er thematisiert die Zusammenhnge zwischen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwick-lung einerseits und Absicherung sozialer Risiken anderer-seits. Neben einem allgemeinen berblick ber die so-ziale und wirtschaftliche Lage der Schweiz liefert er eine vertiefte Darstellung der Risikogruppen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Dabei stellt der Bericht eine Synthese der bestehenden statistischen Informationen dar (vgl. Anhang A 1.1).

    Der sich in den vergangenen Jahrzehnten vollzogene wirtschaftliche Strukturwandel hinterlsst deutliche Spuren in der Gesamtwirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Die Zunahme der Arbeitspltze im Dienstleistungsbereich so-wie die fortschreitende Spezialisierung in der Industrie ge-hen einher mit einem stetigen Anstieg der Produktivitt. In der Folge steigt die Nachfrage nach hher qualifizier-tem Personal an. Gleichzeitig hat sich das Bildungsniveau der erwerbsttigen Bevlkerung erhht. Auch das Qualifi-kationsniveau der sich neu in der Schweiz niederlassenden auslndischen Bevlkerung ist deutlich hher als noch in den Neunzigerjahren. Ein weiteres Merkmal der vernder-ten Arbeitsmarktstruktur ist die zunehmende Flexibilisie-rung der Arbeitsverhltnisse, die insbesondere im Dienst-leistungssektor zum Tragen kommt. Frauen sind deutlich fter in flexibilisierten Arbeitsverhltnissen beschftigt. Teilzeiterwerbsttige Frauen sind aber auch hufig von Unterbeschftigung betroffen, darunter insbesondere Frauen mit Kindern (alleinerziehend oder mit Partner). Der Entwicklung zu hheren Qualifikationsanforderungen in der Arbeitswelt entsprechend spielt die Bildung eine Schlsselrolle sowohl beim Einstieg in den Arbeitsmarkt als auch beim dauerhaften Verbleib. Obwohl das Bildungsni-veau der einwandernden Personen tendenziell steigt, ver-fgt ein wesentlicher Teil der auslndischen Erwerbsbevl-kerung nach wie vor ber einen eher tiefen Bildungsstand.

    Die aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt dient dazu, Er-werbseinkommen zu generieren und Sozialversicherungs-ansprche zu erwerben. Im Durchschnitt aller Haushalte

    wird fast 75% des Bruttohaushaltseinkommens auf dem Arbeitsmarkt erwirtschaftet. Dabei ist der Anteil der Er-werbseinkommen umso tiefer, je tiefer das Bruttohaus-haltseinkommen ist. Die vorwiegend marktabhngigen Primreinkommen sind deutlich ungleicher verteilt als die Einkommen nach staatlichen Transfers. Das Haupt-ziel der Umverteilung, die Verringerung der Ungleichheit, wird demnach erreicht. Allerdings entwickeln sich die Pole tendenziell auseinander: Den finanziell gut gestellten Er-werbshaushalten geht es besser, whrend die Einkom-menssituation im unteren Bereich stagniert.

    Parallel zum wirtschaftlichen Strukturwandel vern-dert sich auch die Gesellschaft. Hierbei sind vor allem die Entwicklungen im Bereich der Haushaltszusammenset-zung auffallend. Whrend die traditionelle Familie an Be-deutung verliert, nimmt die Anzahl der Einelternfamilien und der so genannten Patchwork-Familien zu. Damit einher geht ein Rckgang der Anzahl Kinder pro Frau. Angehrige hherer Bildungsschichten haben grund-stzlich weniger Kinder, oder verschieben ihren Kinder-wunsch auf einen spteren Zeitpunkt. Ein Bildungsgradi-ent ist auch im Gesundheitszustand allgemein und in der Lebenserwartung im Speziellen sichtbar. Neben der Bil-dung haben auch die konomische Situation an sich so-wie die daraus entstehenden unterschiedlichen Anfor-derungen der Arbeitswelt einen messbaren Einfluss auf die Verteilung von Gesundheitschancen und -risiken. Menschen mit Behinderungen sind zu zwei Drittel er-werbsttig, denn soziale Integration vollzieht sich auch fr diese Bevlkerungsgruppe vorwiegend ber die Teil-nahme am Arbeitsmarkt.

    Bei der Kriminalitt, die im Zusammenhang mit dem Risiko sozialer Ausgrenzung einen weiteren wichtigen Bereich der Gesellschaft darstellt, sind Unterschiede we-niger auf das Bildungsniveau zurckzufhren. Vielmehr spielen Geschlecht, Nationalitt und Alter eine grosse Rolle. Diese Feststellung ist jedoch nicht allgemein gl-tig, sondern trifft ausschliesslich auf die Straftaten gegen Vermgen, Leib und Leben zu. Wrde der Fokus auf Fi-nanzvergehen oder Strassenverkehrsdelikte gerichtet, so she das Risikoprofil anders aus: Alle Altersklassen und

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 20156

    MANAGEMENT SUMMARY

    beide Geschlechter wren betroffen. Auf der Opferseite zeigt sich in Bezug auf die husliche Gewalt, dass aus-lndische Frauen in Paarbeziehungen am meisten betrof-fen sind.

    Neben den offensichtlichen, objektiven Lebensbedin-gungen ist es angezeigt, auch dem subjektiven Wohlbe-finden Rechnung zu tragen. Der Anteil der Bevlkerung, die sich als sehr zufrieden mit ihrem Leben bezeichnet, ist hoch und ist im Verlauf der Jahre stabil geblieben. Bei einer nheren Betrachtung zeigen sich jedoch beachtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen soziokono-mischen Gruppen. Die am wenigsten ausgebildeten und nichterwerbsttigen Personen, Einelternfamilien und alleinstehende Personen unter 65 Jahren, einkommens-schwache Haushalte und Auslnderinnen und Auslnder sind weniger hufig sehr zufrieden mit ihrem Leben im Allgemeinen. Schliesslich ist auch bei der lteren Bevl-kerung in verschiedenen betrachteten Bereichen eine hohe Zufriedenheit erkennbar, so in Bezug auf das Leben im Allgemeinen, die eigene finanzielle Situation, das Allein-leben wie auch die vorhandene Freizeit.

    Um Prozessen sozialer Ausgrenzung vorzubeugen, hat der Staat verschiedene institutionelle Schutzmassnahmen installiert, die auf die Absicherung bestimmter Risiken ab-zielen (z.B. Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), Invalidenversicherung (IV)). Subsidir dazu gibt es be-darfsorientierte Sicherungssysteme, die nur dann einge-setzt werden, wenn eine konomische Bedarfslage nach-gewiesen werden kann (z.B. Ergnzungsleistungen). Fr die Gesamtheit der sozialen Absicherung wurde im Jahr 2012 knapp 162,9 Milliarden Franken ausgegeben. Aus-gedrckt in Preisen von 2012 und pro Kopf sind diese Ausgaben zwischen 1990 und 2012 um den Faktor 1,7 angestiegen. Zwei Drittel davon werden ber Sozialbei-trge finanziert, ein Viertel stammt aus staatlichen Bei-trgen. Der grsste Teil der Ausgaben wird in Form von Sozialleistungen gettigt, vor allem zur Absicherung der sozialen Risiken Alter (63,1 Milliarden Franken), Krank-heit/Gesundheitspflege (42,6 Milliarden Franken) und Invaliditt (14,7 Milliarden Franken). Die Anteile der ein-zelnen Funktionen an der Gesamtheit der Sozialleistun-gen sind in den letzten 20 Jahren mehr oder weniger stabil geblieben. 2012 belief sich der Gesamtrenten-betrag auf 68,5 Milliarden Franken. Dieser wurde an 2,9 Millionen Rentnerinnen und Rentner ausbezahlt, die entweder in der Schweiz oder im Ausland wohnhaft sind. Drei Viertel der Renten wurden zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur Abdeckung altersbedingter Risiken ausbezahlt.

    Der Struktur des schweizerischen Systems zur sozi-alen Sicherung entsprechend, sind Personen mit abge-sicherten Risiken wie Alter, Invaliditt, Arbeitslosigkeit, Krankheit kaum von Sozialhilfe abhngig und weisen ein geringeres Risiko zur sozialen Ausgrenzung auf. Eher ge-fhrdet sind Personen, deren Lebenssituation neuere soziale Risiken beinhalten, wie zum Beispiel Angehrige von Einelternfamilien, kinderreicher Familien (und damit Kinder allgemein) oder Personen mit einem niedrigen Bil-dungsstand. Fr die Zugehrigkeit zu einer Risikogruppe sind vor allem zwei Determinanten ausschlaggebend: die Zeitressourcen und der Bildungsstand. Schwierigkeiten hinsichtlich der zeitlichen Verfgbarkeit haben vor allem diejenigen Bevlkerungsgruppen, die Erziehungspflichten und Betreuungsaufgaben fr Kinder wahrnehmen und gleichzeitig einer Erwerbsarbeit nachgehen mssen. Zur Problematik der Bildung gilt grundstzlich folgende Fest-stellung: je hher der Bildungsstand, desto geringer die Gefahr sozialer Ausgrenzung bzw. der Abhngigkeit von Sozialhilfeleistungen. Allgemein gltig ist auch die Tatsa-che, dass ein im jungen Erwachsenenalter verpasster Bil-dungsabschluss eher schwierig nachzuholen ist. Die Fle-xibilitt, wie sie von jungen Erwachsenen im bergang von der Schule ins Erwerbsleben gefordert wird, lst gro-sse Unsicherheiten aus, Bildungsab- und -unterbrche knnen die Folge sein. Aber nicht nur die berufliche Aus-bildung, sondern auch der Arbeitsmarkt verlangt von jungen Erwachsenen eine hohe Bereitschaft zur Anpas-sung. Gelingt ihnen die adquate Reaktion auf das flexi-ble Umfeld nicht, sind sie rasch von Sozialhilfe abhngig, weil andere Einkommensquellen fehlen.

    Obschon eine wirtschaftliche Wachstumsphase die Sozialhilfequote zu stabilisieren vermag, kommt es nur selten zu einer Umkehrbewegung: Die Sozialhilfequote weist seit Anfang der Neunzigerjahre einen steigenden Trend auf. Erst nach lngerem intensivem Wirtschafts-wachstum sinkt die Sozialhilfequote marginal. Aller-dings profitieren nur diejenigen Betroffenen von dieser Entwicklung, die ihren Alltag gengend flexibel organi-sieren knnen, wie zum Beispiel die jungen Erwachse-nen. Dagegen sank im gleichen Zeitraum die Sozialhil-feabhngigkeit anderer Risikogruppen, wie zum Beispiel von Alleinerziehenden, kinderreichen Familien oder un-gengend Ausgebildeten nicht. Auch wenn grundstz-lich vermehrt Teilzeitstellen und andere flexibilisierte Ar-beitsverhltnisse angeboten werden, reicht bestimmten Bevlkerungsgruppen das daraus erwirtschaftete Ein-kommen nicht, um den Lebensunterhalt vollumfnglich ohne ffentliche Untersttzung zu bestreiten.

  • 72015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    MANAGEMENT SUMMARY

    Im Grundsatz vermag aber Erwerbsttigkeit vor Ein-kommensarmut zu schtzen. Die Armutsquote der er-werbsttigen Bevlkerung ist markant tiefer als die der nicht erwerbsttigen Personen ab 18 Jahren. berdurch-schnittlich von Armut betroffen sind Alleinerziehende, al-leinlebende Erwachsene, Personen ohne nachobligato-rische Schulbildung sowie Personen in Haushalten ohne Erwerbsttige. Wie die Quote der Sozialhilfeabhngigkeit reagiert auch die Armutsquote nur mit einiger Verzge-rung auf positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die gute Wirtschaftslage in den Jahren vor 2009. Die Rezession 2009 und der damit verbundene kurzfris-tige Anstieg der Arbeitslosigkeit hatten hingegen offen-bar keinen dauerhaften Einfluss auf die Entwicklung der Einkommensarmut in der Schweiz.

    Es zeigt sich also, dass der wirtschaftliche Struktur-wandel, die neuen Formen des Zusammenlebens sowie die Vernderungen in Gesellschaft und Bevlkerung zu teilweise neuen Risikofaktoren und -gruppen fhren. Zu-dem wird ersichtlich, dass geeignete Lsungen gefunden werden mssen, um die betroffenen Personen besser in den Erwerbsprozess einzubinden.

  • 92015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    AUSGANGSLAGE UND EINLEITUNG

    1 Ausgangslage und Einleitung

    Die Schweizer Wirtschaft befindet sich seit Anfang der Neunzigerjahre in einem intensiven Strukturwandel. Ein immer grsserer Teil der Erwerbsttigen ist im Dienstleis-tungssektor beschftigt. Der Arbeitsmarkt zeichnet sich durch eine strkere Flexibilisierung der Anstellungsver-hltnisse und erhhte Anforderungen an die Qualifikation aus. Gleichzeitig ist ein demografischer Wandel im Gange, in dessen Verlauf der Anteil der lteren Bevlkerung stetig steigt und Grsse und Zusammensetzung der Haushalte und Familien sich verndern. Diese Vernderungsprozesse haben erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevlkerung. In der politischen und ffentlichen Debatte wird in diesem Zusammenhang die Diskussion ber gesellschaftliche Solidaritt (Generatio-nenvertrag, steigende Sozialausgaben, Gesundheitskosten usw.) intensiviert und beinhaltet insbesondere auch Fra-gen nach dem richtigen Ausmass sowie der Wirksamkeit der Sozialpolitik. Um eine adquate Entscheidungsfindung fr diese Fragen zu ermglichen, sind geeignete Informa-tionen notwendig, die Angaben ber Zusammenhnge und das Ausmass sozialer Ausgrenzungsprozesse liefern.

    1.1 Auftrag des Postulats 01.3788 (Postulat Rossini)

    Der steigende Wissensbedarf im Zusammenhang mit diesen Fragen spiegelt sich nebst in entsprechenden In-itiativen von Fachverbnden vor allem in verschiedenen politischen Vorstssen, die auf eine verbesserte Infor-mationslage im Bereich der sozialen Absicherung abzie-len. Gefordert werden insbesondere Darstellungen, die das Sozialsystem als Ganzes sowie dessen Zusammen-hnge mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen be-schreiben und auf Entwicklungstendenzen hinweisen. Eine verstrkte Fokussierung auf Interdependenzen ver-schiedener, in der Regel isoliert betrachteter relevanter Themenbereiche ist auch bereits ins statistische Mehr-jahresprogramm 20112015 aufgenommen worden.1

    1 Es wurden neue integrierte Statistiksysteme konzeptualisiert, die mit dem bisherigen monothematischen Denken brechen. Jetzt gilt es, ihre Umsetzung im Hinblick auf eine systematische und kohrente Integ-ration des Outputs abzuschliessen. (BFS 2012a: 5).

    Eine Prioritt dieses Programms ist, mithilfe der Gesamt- und Querschnittindikatorensysteme die Lebensqualitt und das Wohlbefinden der Bevlkerung zu messen. Ln-gerfristig stellt dieses Vorgehen auch ein Ziel der interna-tionalen statistischen Gemeinschaft dar.2

    Der im Zusammenhang mit der Sozialberichterstat-tung relevanteste politische Vorstoss ist jener von Na-tionalrat Rossini aus dem Jahre 2001: Im Postulat Ros-sini (2002 P 01.3788) wurde der Aufbau entsprechender Statistiken und Indikatorensysteme sowie die periodische Verffentlichung eines Sozialberichts verlangt.3 Neben der Verffentlichung dieses Berichts im Jahr 20114 wur-den andere Elemente, die zur Erfllung des Postulats er-forderlich sind, durch die Bundesverwaltung, namentlich das Bundesamt fr Sozialversicherungen und das Bun-desamt fr Statistik, ganz oder teilweise erfllt:

    Im Rahmen der Sozialhilfestatistik wurde die Er-hebung der Bedarfsleistungen (Sozialhilfe im wei-teren Sinn) realisiert, bestehend aus dem Inventar der bedarfsabhngigen Sozialleistungen, der Sozial-hilfe-Empfngerstatistik sowie der Finanzstatistik der bedarfsabhngigen Sozialleistungen. Die Sozialhilfes-tatistik liefert detaillierte Informationen ber Bestand und Struktur der Empfnger, womit unter anderem Lngsschnittuntersuchungen mglich sind. Darber hinaus werden umfangreiche Angaben ber die Hil-feleistungen auf kantonaler Ebene sowie Zahlen zur Finanzierung nach Leistung und Trger zur Verf-gung gestellt.

    Dank der Sozialhilfestatistik ist es mglich gewor-den, den Armutsindikator zu berechnen, welcher fr den soziodemographischen Lastenausgleich im Rah-men der NFA5 bentigt wird.

    2 Vgl. Stiglitz et al. (2009).

    3 Dieser Bericht sollte namentlich enthalten: die Gesamtheit der Sozial-indikatoren, die quantitative und qualitative Informationen liefern, und zwar auf aggregierter Ebene wie auch auf der Ebene der einzelnen Regimes (Finanzen, soziale bertragungen, Auswirkungen auf die Bezgerinnen und Bezger, direkte und indirekte Auswirkungen der Sozialleistungen usw.); Rossini (2001).

    4 Vgl. BFS (2011).

    5 Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen.

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201510

    AUSGANGSLAGE UND EINLEITUNG

    Seit 2001 steht mit der Gesamtrechnung zur Sozialen Sicherheit (GRSS) des BFS eine Informationsquelle zur Verfgung, die gemss der Methodik von ESSOSS6 jhrlich Auskunft gibt ber Einnahmen, Ausgaben und Finanzierung der Sozialen Sicherheit.

    Das BSV verffentlicht regelmssig Berichte zu den wichtigsten Entwicklungen in den verschiedenen So-zialversicherungszweigen. Zu nennen ist insbesondere der Jahresbericht gemss Artikel 76 des Bundesge-setzes ber den Allgemeinen Teil des Sozialversiche-rungsrechts (ATSG), der eine Gesamtbersicht ber die gegenwrtige Situation und die Perspektiven der Sozialversicherungen sowie die aktuellen politischen Diskussionen liefert. Zudem werden bestimmte Quer-bezge zwischen den verschiedenen Sozialversiche-rungen dargestellt. Im Rahmen der Reihe Statistiken zur Sozialen Sicherheit erscheinen jhrlich Berichte zur IV, AHV und zu den EL (finanzielle Situation, Ent-wicklung und Struktur der Bezger/innen). Eine um-fassende Gesamtschau bietet die ebenfalls jhrlich erscheinende Schweizerische Sozialversicherungs-statistik. Schliesslich betreibt das BSV eine breit ange-legte Ressortforschung, auf deren Grundlage sozial-politische Massnahmen evaluiert werden. Ein aktueller berblick ist im Jahresbericht 2013 des Bereichs For-schung und Evaluation zu finden.7

    Das BFS liefert regelmssig Auswertungen zu Ausmass, Struktur und zeitlicher Entwicklung der Armut in der Gesamtbevlkerung wie auch bei den Erwerbsttigen.

    Zum Thema Alterssicherung und Lebensqualitt im Alter hat das BFS Kennzahlen entwickelt, die perio-disch aktualisiert und verffentlicht werden. Dieses In-dikatorensystem stellt somit eine detaillierte Informa-tionsgrundlage dar, die es verschiedenen Zielgruppen ermglicht, gezielte und wichtige Informationen zu finden.

    Das BFS fhrt jedes Jahr zwei grosse Erhebungen ber die privaten Haushalte und die Personen, die darin le-ben, durch. Die Haushaltsbudgeterhebung (HABE) lie-fert sehr detaillierte Informationen ber die Ausgaben der Haushalte, ihre Budgetstruktur und das Sparen. Die auf europischer Ebene koordinierte Erhebung ber die Einkommen und Lebensbedingungen (SILC) liefert Basisindikatoren ber die Einkommensvertei-lung, die Ungleichheiten der Einkommensverteilung,

    6 Europisches System der Sozialschutzstatistiken.

    7 Vgl. BSV (2014).

    die Armutsgefhrdungsquote, materielle Entbehrun-gen und die Zufriedenheit. Weiter vermittelt die Erhe-bung auch Informationen ber andere Bereiche (Ver-schuldung, Zahlungsrckstnde, Wohnverhltnisse, Wohlbefinden usw.).

    Verschiedene Indikatoren und Ergebnisse dieser Sta-tistiken werden bereits eingesetzt, um die Zielerreichung im Rahmen der Legislaturplanung zu evaluieren8. Mit der sich weiter ausdehnenden Verfgbarkeit statistischer Da-ten im Bereich der Einkommensverteilung und der sozi-alen Sicherung werden knftig noch genauere berpr-fungen politischer Zielsetzungen mglich sein.

    Beim vorliegenden Bericht handelt es sich um die zweite Ausgabe des statistischen Sozialberichts Schweiz. Der erste Bericht wurde 2011 verffentlicht. In dieser Pu-blikation, die sich mehrheitlich an der ersten Ausgabe orientiert, sind die wesentlichen Ergebnisse der einzelnen Teile synthetisiert und mit anderen Indikatoren aus der Wirtschafts- und Sozialstatistik kombiniert worden, um vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der Schweiz und der Haushalte diejenigen Lebensbereiche zu beleuchten, die am ehesten soziale Ausgrenzungspro-zesse auslsen knnten.

    1.2 Ziel des Berichts

    Ziel des Berichtes ist es, einen berblick ber die Zusam-menhnge zwischen wirtschaftlicher und gesellschaftli-cher Entwicklung einerseits und die Absicherung sozialer Risiken andererseits zu geben. Eine vertiefte Darstellung gilt den Risikogruppen, welche vom Ausschluss aus der sozialen Sicherung bedroht sind.

    Die Statistik hat den Auftrag, Informationsgrundlagen zu liefern, auf deren Basis die Wirksamkeit der Sozialpoli-tik eingeschtzt und evaluiert werden kann.9 Soweit wie mglich nimmt der Bericht Bezug auf die Legislaturpla-nung und -zielsetzung10 des Bundesrates, wobei er als aktuelle Situationsbeschreibung verschiedener miteinan-der verbundener Themenbereiche zu verstehen ist. Rele-vant ist insbesondere der 4. Abschnitt Die gesellschaft-liche Kohsion strken, in dem explizit die Strkung der gesellschaftlichen Kohsion und die Frderung gemein-samer Werte erwhnt werden. Diese Ziele lassen sich

    8 Vgl. www.bk.admin.ch R Deutsch R Dokumentation R Publikationen R Politische Planung R Legislaturindikatoren 20112015.

    9 Vgl. BFS (1999).

    10 Vgl. Schweizerische Bundesversammlung (2012).

  • 112015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    AUSGANGSLAGE UND EINLEITUNG

    durch die Umsetzung der Armutsstrategie, die Fr-derung der Vereinbarkeit von Familie, Erwerbsttigkeit oder Ausbildung und die Frderung der Vereinbar-keit von Berufsttigkeit und Angehrigenpflege errei-chen.11 Ferner werden auch Inhalte bearbeitet, die sich eignen, Informationen auch fr andere Massnahmen der Legislaturplanung zu liefern.12 Zum Beispiel fr den The-menbereich Gesundheit, aber auch fr Fragen im Zu-sammenhang mit den Sozialwerken. Ausserdem werden in dieser Analyse auch gewisse Bereiche des Nationa-len Programms zur Prvention und Bekmpfung von Ar-mut13 behandelt, um diese Problematiken aus aktueller Sicht zu betrachten.

    Der inhaltliche Bezugsrahmen sttzt sich auf zwei Pfeiler: einerseits auf die wirtschaftliche und gesellschaft-liche Situation sowie deren Entwicklung, andererseits auf die institutionelle soziale Sicherung. Als Bindeglied zwi-schen diesen zwei Bereichen dient der Arbeitsmarkt, ber welchen sich die individuelle soziale Integration hauptschlich vollzieht. Da Existenzsicherung in erster Li-nie Aufgabe eines jeden Individuums (bzw. eines jeden Haushaltes) ist, beginnt soziale Ausgrenzung meistens mit dem Verlust der individuellen Arbeitsmarktfhigkeit. Somit ist das zentrale Element zur Identifikation von Risi-kogruppen die Einkommenssituation, da die soziale Teil-habe in besonderem Masse von der Verfgbarkeit ko-nomischer Ressourcen abhngt.

    Zudem dient die Einkommenssituation auch als Zu-gangskriterium zu verschiedenen staatlichen Unterstt-zungsleistungen. Die Betrachtung der Gefhrdung so-zialer Ausgrenzung findet im Rahmen der Verteilung konomischer und individueller Ressourcen der Gesamt-bevlkerung statt. Da es sich um einen Synthesebericht handelt, wird der Fokus auf diejenigen Aspekte der so-zialen Sicherung gerichtet, in denen die Versorgung mit konomischen Ressourcen am wenigsten gewhrleistet und das Risiko der sozialen Ausgrenzung am grssten ist. Dies ist namentlich in den Bereichen Sozialhilfe und Ar-mut der Fall. Bestimmte soziale Risiken sind durch spezi-fische Regimes der Sozialen Sicherheit verhltnismssig

    11 Schweizerische Bundesversammlung (2012: 7161), Artikel 18: Ziel 17: Die gesellschaftliche Kohsion wird gestrkt, und gemeinsame Werte werden gefrdert. Zur Erreichung des Ziels 17 sollen folgende Mass-nahmen ergriffen werden: Umsetzung der Armutsstrategie, Frderung der Vereinbarkeit von Familie, Erwerbsttigkeit oder Ausbildung und Frderung der Vereinbarkeit von Berufsttigkeit und Angehrigenpflege (work-care).

    12 Schweizerische Bundesversammlung (2012: 7161), Artikel 19: Ziel 18: Das Kostenwachstum im Gesundheitswesen wird eingedmmt und die Qualitt der Gesundheitsversorgung sowie die Patientensicherheit wer-den erhht.

    13 Vgl. EDI (2013).

    gut abgesichert, so dass die Betroffenen meist ber ge-ngend konomische Ressourcen zur Existenzsicherung verfgen. Dies trifft zum Beispiel auf die Alterssicherung zu, aber auch auf Invaliditt und Krankheit. Auf diese Ri-siken wird daher nur dann nher eingegangen, wenn sie fr die Ausgrenzungsprozesse einer oder mehrerer Per-sonengruppen relevant sind.

    1.3 Aufbau des Berichts und Abgrenzungen

    Den Ausgangspunkt dieses Berichts bildet der wirtschaft-liche Rahmen (Kapitel 2), beginnend mit dem makro-konomischen Hintergrund (Kapitel 2.1). Dort wird die Bedeutung des gesamtwirtschaftlichen Kontextes im Zu-sammenhang mit der Generierung von Einkommen und Wohlstand beschrieben. Anschliessend wird der Arbeits-markt nher untersucht, wobei es darum gehen soll, die Struktur, Erwerbsbeteiligung und -formen der Bevlke-rung darzustellen. Aufgrund der Bedeutung fr den Zu-gang zum Arbeitsmarkt wird in diesem Kapitel auch die Situation der Bevlkerung hinsichtlich der Bildung the-matisiert. Kapitel 2.3 ist dem Thema Einkommen und Einkommensverteilung gewidmet; es geht generell der Einkommensverteilung sowie der Einkommens- und Ver-brauchssituation bestimmter Bevlkerungsgruppen nach.

    Neben dem wirtschaftlichen Rahmen spielt auch der gesellschaftliche Kontext eine zentrale Rolle fr die so-ziale Lage der Bevlkerung und fr die Prozesse der so-zialen Ausgrenzung. Dieser Kontext ist Thema von Ka-pitel 3. Dabei werden die verschiedenen Lebens- und Haushaltsformen, die Aufteilung zwischen Erwerbs- und Hausarbeit sowie die Geburten bzw. Kinderzahl nher untersucht (Kapitel 3.1). Ein weiterer wichtiger gesell-schaftlicher Faktor ist die Gesundheit: Untersucht wird unter anderem der Zusammenhang zwischen sozialem Status und individueller Gesundheit (Kapitel 3.2). Die schweizerische Bevlkerungsstruktur wird in nicht un-erheblichem Masse von der auslndischen Bevlkerung und der internationalen Migration beeinflusst. Die sozi-odemographische Zusammensetzung der auslndischen Bevlkerung sowie die Auswirkungen der Personenfrei-zgigkeit mit der EU sind Themen von Kapitel 3.3. Kapi-tel 3.4 behandelt die Beziehung zwischen Strafflligkeit und sozialer Ausgrenzung.

    Neben den verschiedenen objektiven Aspekten, die anhand des wirtschaftlichen und sozialen Kontexts be-trachtet werden, konzentriert sich Kapitel 4 auf das sub-jektive Wohlbefinden der Bevlkerung. Dieses Thema war in der Ausgabe von 2011 nicht enthalten und wird

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201512

    AUSGANGSLAGE UND EINLEITUNG

    erstmals in diesem Bericht behandelt. Es befasst sich mit der Zufriedenheit der Bevlkerung in Bezug auf die Le-bensbedingungen im Allgemeinen (Kapitel 4.1) und auf verschiedene Lebensbereiche (Kapitel 4.2).

    Eine bersicht ber das System der Sozialen Sicherheit der Schweiz wird in Kapitel 5.1 gegeben. In Kapitel 5.2 werden die Finanzierung und die sozialen Risiken, die durch das System abgedeckt werden sollen, behandelt.

    Das 6. Kapitel ist schliesslich den Risikogruppen gewid-met, die einer besonderen Gefhrdung zur sozialen Aus-grenzung ausgesetzt sind. Ausgehend von den Leistun-gen der Sozialhilfe im weiteren Sinn (Kapitel 6.1) wird untersucht, welche Risikogruppen gehuft in der Sozial-hilfe im engeren Sinne auftreten und welche zeitlichen Verlaufsmuster sie aufweisen (Kapitel 6.2). Da die Sozial-hilfe als ergnzendes letztes Netz fungiert, ist sie ein mg-licher Indikator fr Lcken im Netz der sozialen Sicher-heit. Um diese Betrachtungsweise zu vervollstndigen und einen umfassenden berblick ber die vulnerablen Be-vlkerungsgruppen zu geben, wird die Einkommensar-mut sowohl fr die ganze Bevlkerung als auch fr die Erwerbsttigen dargestellt. Dieser Indikator stellt eine Er-gnzung gegenber der ersten Ausgabe dar. Die Armuts-quote war im statistischen Sozialbericht Schweiz 2011 nicht enthalten, da die den Armutsindikatoren zugrundlie-gende Datenbasis zum Zeitpunkt seiner Erstellung berar-beitet wurde.1415 16

    Risiko sozialer Ausgrenzung

    In der gesamtschweizerischen Strategie zur Armutsbekmp-fung15 des Bundesrates wird unterschieden zwischen ma-terieller Armut und sozialer Ausgrenzung. Letztere wird als Mangel an Chancen zur Teilhabe an der Gesellschaft und in-dividuellen Entwicklungsmglichkeiten verstanden. Im vor-liegenden Bericht geht es um das erhhte Risiko sozialer Ausgrenzung, dem unter anderem von Armut betroffene Personen und die Empfngerinnen und Empfnger von So-zialhilfe ausgesetzt sind. Personen, die Sozialhilfe beziehen oder sich in einer Armutssituation befinden, mssen nicht sozial ausgegrenzt sein, sind aber von sozialer Ausgrenzung bedroht. Die Sozialhilfe zhlt neben der materiellen Absiche-rung auch die soziale und berufliche Integration und Einglie-derung zu ihren Aufgaben16.

    14 Es wurde nur die Working-Poor-Quote dargestellt.

    15 Vgl. BSV (2010).

    16 Vgl. SKOS (2014a).

    1.4 Datenquellen

    Grundlage bilden die Daten und Resultate, die das BFS im Rahmen seiner ordentlichen Ttigkeit erhebt und be-rechnet. Verschiedene Datenstze stammen aus Erhe-bungen oder Analysen, die innerhalb der letzten zehn Jahre auf- und ausgebaut worden sind (siehe Kapitel 1.1). Dazu gehren insbesondere die Sozialhilfestatistik, die Gesamtrechnung der Sozialen Sicherheit und die Ar-mutsstatistik17. Der Beobachtungszeitraum wird in erster Linie durch die Verfgbarkeit der Mikrodaten zur Sozi-alhilfe bestimmt. Fr diesen Bericht liegen die Informa-tionen fr 2005 bis 2013 vor. Sofern dies mglich und sinnvoll ist, werden allerdings auch lngere Zeitreihen betrachtet. Die Verarbeitung von Daten mehrerer Jahre erlaubt vergleichende Analysen auf der Zeitachse, womit die langfristigen Entwicklungen dargestellt und analysiert werden knnen. Mit den Daten der Sozialhilfeempfn-ger sind zudem mittels einer Kohortenanalyse individu-elle Verlufe im Zeitraum zwischen 2006 und 2011 un-tersucht worden.

    Bedingt durch die Zielsetzung des Berichtes, Auswir-kungen gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen auf die Risikolage einzelner Personengruppen zu untersuchen, sind Betrachtungen sowohl auf der Mikro- wie auch auf der Makroebene notwendig. Verschiedene Themen wer-den daher im Verlaufe des Berichtes auf beiden Betrach-tungsebenen behandelt. Dies ist namentlich fr Arbeit, Einkommen und in etwas eingeschrnkter Form auch fr die Finanzen der sozialen Sicherung der Fall.

    17 Eine vollstndige bersicht der Datenquellen findet sich im Anhang (A 1.1).

  • 132015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    2 Gesamtwirtschaftlicher Kontext

    Im vorliegenden Bericht wird die soziale Ausgrenzung beziehungsweise das Risiko dazu eng gefasst und schwergewichtig auf die materielle Situation der Bevl-kerung bezogen. Davon ausgehend wird der Bezugs-rahmen auf zwei Pfeiler abgesttzt: den Stand und die Entwicklung der wirtschaftlichen Realitt einerseits so-wie die institutionelle soziale Sicherheit andererseits. Im vorliegenden Kapitel soll deshalb zuerst der gesamt-wirtschaftliche Hintergrund dargestellt werden (Kapi-tel 2.1), welcher als Ausgangspunkt fr die Generie-rung von Einkommen und Wohlstand betrachtet wird. Da je nach Betrachtungsweise 75 bis 90% des Haus-haltseinkommens aus Arbeitseinkommen besteht, ist die Wichtigkeit des Arbeitsmarktes fr die personelle Einkommensverteilung offensichtlich und wird daher als wesentliches Bindeglied zwischen der wirtschaft-lichen Entwicklung und der finanziellen Situation der privaten Haushalte verstanden. Die durch Bildung ver-mittelten Qualifikationen, Kenntnisse und Fhigkeiten sind entscheidend fr den Arbeitsmarktzugang. Dieser Themenstellung widmet sich das Kapitel 2.2. Staat liche Massnahmen beeinflussen einnahmen- und ausgaben-seitig das Haushaltsbudget und haben hufig zum Ziel, durch Umverteilung die Einkommensunterschiede zu verkleinern sowie die soziale Ausgrenzung zu verhin-dern. Aus diesem Grund wird im Kapitel 2.3 die Ein-kommensverteilung vor und nach staatlicher Umvertei-lung (Transfers) dargestellt.

    2.1 Makrokonomischer Hintergrund

    Die wirtschaftliche Aktivitt der Bevlkerung ist fr die Einkommensentstehung, -verteilung und den Konsum (letzter Verbrauch) unerlsslich und letztlich mitbestim-mend fr den Wohlstand eines Landes. Die wirtschaft-liche Aktivitt umfasst die Herstellung und die Verwen-dung von smtlichen Gtern und Dienstleistungen. Fr deren Produktion braucht es Arbeitskrfte, Kapital und weitere Produktionsfaktoren. Die im Rahmen des Pro-duktionsprozesses von Dienstleistungen und Gtern

    entstandene Wertschpfung ist unter anderem auch die Grundlage fr die Entlhnung der Produktionsfaktoren (Arbeits-und Kapitaleinkommen).

    Gemessen wird die Wertschpfung aus der wirtschaft-lichen Aktivitt einer Volkswirtschaft in einem Land mit dem Bruttoinlandprodukt (BIP), whrend die Entwick-lung der Wirtschaftsleistung durch die Vernderungsrate des BIP ausgedrckt wird. Gewisse strukturelle Merkmale wie z.B. die Aufschlsselung der Wertschpfung nach Wirtschaftssektoren und -branchen, ihre Produktivitt, aber auch die Lohnentwicklung lassen erste Rckschlsse zu, wie sich die Einkommen auf verschiedene Bevlke-rungsgruppen verteilen. In den folgenden Unterkapiteln wird zuerst die wirtschaftliche Entwicklung und Struktur in der Schweiz (Makroperspektive) dargestellt, bevor es in einem nchsten Schritt darum geht, wer auf der Ebene der Haushalte in welchem Ausmass davon profitiert (Mikroperspektive).

    2.1.1 Wirtschaftswachstum

    Die erste Hlfte der 90er-Jahre war in der Schweiz von einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung geprgt (vgl. BFS 2011). In den ersten Jahren des Jahrzehnts war gemessen an der realen Vernderung des BIP so-gar eine Schrumpfung der gesamtwirtschaftlichen Wert-schpfung festzustellen. Nach moderaten Steigerungs-raten in den Jahren 1994 bis 1996 setzte ab 1997 eine fnfjhrige Phase mit Wachstumsraten von meist deut-lich ber einem Prozent ein.18 Diese Wachstumsphase wurde insbesondere getrieben durch Entwicklungen in der Finanzwirtschaft sowie vor allem in der sogenann-ten New Economy. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase19 sowie den weltweiten Folgen der Anschlge vom 11. September 2001 verlor die wirtschaftliche Leis-tung der Schweiz an Schwung und stagnierte im Jahr

    18 Da die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung im Jahr 2014 rckwirkend revidiert wurde, geht die vergleichbare Zeitreihe zu den Vernderungs-raten des BIP nur noch bis 1996 zurck. Fr die Betrachtung der Jahre vor 1996 wird daher auf den Statistischen Sozialbericht Schweiz 2011 (BFS 2011) und den darin enthaltenen alten Zeitreihen verwiesen.

    19 Vgl. Glossar R Dotcom-Blase.

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201514

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    2003. Doch bereits die darauffolgenden Jahre waren er-neut gekennzeichnet durch deutliche Steigerungen des realen BIP im Vergleich zum Vorjahr. Das Wachstum fiel deutlich krftiger aus als in den 90er-Jahren, es be-wegte sich jhrlich deutlich ber 2%. Mit dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende 2008 fiel dann auch das Wachstum anfnglich insbesondere durch die Turbulenzen des Finanzsektors begrndet in Rich-tung 2%-Marke zurck und markiert somit das Ende des Booms. 2009 nahm die Wirtschaftsleistung im Ver-gleich zum Vorjahr real sogar um 2,1% ab. Doch bereits ab 2010 wuchs die Wirtschaft real wieder deutlich und kontinuierlich.20

    Die jhrliche wirtschaftliche Leistung der Schweiz nahm im Zeitraum von 19952013 insgesamt real um 41,2% zu, was einer durchschnittlichen jhrlichen Wachstumsrate von 1,9% entspricht. Da die Bevlke-rung im selben Zeitraum weniger stark wuchs,21 stieg in der Folge auch die reale Wertschpfung pro Kopf der Bevlkerung um rund 23,9%. Nominal betrachtet nahm das BIP und folglich das zu verteilende Gesamteinkom-men in diesem Zeitraum um 57,2% zu, was einer durch-schnittlichen jhrlichen Wachstumsrate von gut 2,5% entspricht. Kombiniert man die Bevlkerungsentwick-lung der letzten zwei Jahrzehnte mit der Entwicklung der Wertschpfung, so zeigt sich, dass die nominale Wert-schpfung pro Kopf der Bevlkerung insgesamt um rund 37,9% zunahm.

    20 Fr eine ausfhrliche Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung in der Schweiz siehe BFS (2005) und BFS (2013a).

    21 Die mittlere stndige Wohnbevlkerung (Definition gemss STATPOP, also inkl. der mindestens seit einem Jahr in der Schweiz wohnhaften Per-sonen im Asylprozess) nahm zwischen 1995 und 2013 um 14,0% zu.

    Wie Grafik 2.1.2 zeigt, tragen die drei Wirtschafts-sektoren unterschiedlich viel zur Bruttowertschpfung der Schweizer Volkswirtschaft bei. Sie ist demnach stark durch den Dienstleistungssektor geprgt, whrend der Primrsektor nur einen geringen Teil der gesamten Brut-towertschpfung ausmacht. Die Industrie und das Bau-gewerbe (2. Sektor) erwirtschaften heute gut ein Vier-tel der gesamten Bruttowertschpfung. Die Bedeutung der Sektoren hat sich in den letzten Jahrzehnten vor al-lem aufgrund der weltwirtschaftlichen Entwicklung stetig verndert und bringt den Strukturwandel zum Ausdruck. Whrend der erste Sektor weiterhin an Bedeutung ver-lor und der zweite Sektor seit 1995 leicht an Anteil ein-bsste, baute der dritte Sektor seinen Anteil deutlich aus. In diesem Bereich waren es vor allem die Dienstleistun-gen des Banken- und Versicherungswesens, der Handel, die Informationstechnologie sowie das Beratungswesen, welche zu dieser Dynamik beitrugen.

    Die Anteile der Bruttowertschpfung nach Wirtschafts-sektoren zeigen die Wichtigkeit der Wirtschaftssektoren fr die Volkswirtschaft. Daraus lassen sich erste Hinweise ablei-ten, wie bedeutend diese Sektoren fr das Arbeitseinkom-men und folglich fr die finanzielle Situation der privaten Haushalte sein knnen. Um aber ein vollstndiges Bild ber die Bedeutung dieser Sektoren fr die Haushalte zeichnen zu knnen, sind weitere Informationen ntig. So kann alleine aufgrund der Wertschpfungsanteile nicht gesagt werden, welche Bedeutung der einzelne Sektor fr den Arbeitsmarkt hat und wie hoch die in ihm erwirtschafteten Arbeitseinkommen sind. Die Betrachtung der Produktivitt und der Lohnentwicklung allgemein erlaubt es, mehr zu den Auswirkungen der Struktur unserer Volkswirtschaft auf die finanzielle Situation der privaten Haushalte auszusagen.

    -3%

    -2%

    -1%

    0%

    1%

    2%

    3%

    4%

    5%

    6%

    7%

    1996

    1997

    1998

    1999

    2000

    2001

    2002

    2003

    2004

    2005

    2006

    2007

    2008

    2009

    2010

    2011

    2012

    p

    2013

    p

    Vernderung gegenber dem Vorjahr in %, zu laufenden PreisenVernderung gegenber dem Vorjahr in %, zu Preisen des Vorjahres

    Entwicklung des Bruttoinlandprodukts G 2.1.1

    Quelle: BFS Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR)

    BFS, Neuchtel 2015

  • 152015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    wren die Produktionskosten hher als der durch den Verkauf des hergestellten Produktes oder der angebo-tenen Dienstleistung erzielte Ertrag, wodurch Verluste resultieren wrden. Aus diesen Grnden kann die Ar-beitsproduktivitt als ein mglicher Indikator fr die Loh-nentwicklung bezeichnet werden.

    Im Jahr 1995 (siehe Grafik 2.1.3) betrug die Arbeits-produktivitt pro vollzeitquivalente Beschftigung23 im primren Sektor zu laufenden Preisen 40449 Franken, whrend sie im sekundren Sektor mit 115676 Franken am hchsten lag. Im tertiren Sektor belief sich die Pro-duktivitt auf 107501 Franken. Grafik 2.1.4 zeigt die

    23 Siehe Glossar R Beschftigung in Vollzeitquivalenten.

    2.1.2 Produktivitt

    Die Betrachtung der Arbeitsproduktivitt gibt Aufschluss darber, wie viel an Wertschpfung mit einer eingesetz-ten Arbeitsstunde bei gegebener Technologie und Kapi-talausstattung generiert wird.22 Von der Arbeitsproduk-tivitt hngt unter anderem auch die Mglichkeit der Entlhnung des Produktionsfaktors Arbeit ab, denn sie bestimmt die Nachfrage nach Arbeit wesentlich mit. Fr die Unternehmen darf lngerfristig eine geleistete Ar-beitsstunde (sowie die Abgeltung fr den Einsatz der b-rigen Produktionsfaktoren) nicht mehr kosten als die mit diesen Faktoren erarbeitete Wertschpfung. Andernfalls

    22 Vgl.: BFS (2008a).

    Anteile der Wirtschaftssektoren an der Bruttowertschpfung G 2.1.2

    Zu laufenden Preisen

    0%

    10%

    20%

    30%

    40%

    50%

    60%

    70%

    80%

    90%

    100%

    1995

    1996

    1997

    1998

    1999

    2000

    2001

    2002

    2003

    2004

    2005

    2006

    2007

    2008

    2009

    2010

    2011

    2012

    p

    2013

    p

    30,0

    68,5

    28,9

    69,8

    28,1

    70,5

    27,4

    71,3

    27,1

    71,7

    26,4

    72,4

    27,1

    71,8

    27,3

    71,7

    26,9

    72,2

    26,7

    72,3

    26,8

    72,3

    27,0

    72,2

    26,9

    72,3

    27,2

    71,9

    26,2

    73,1

    26,3

    73,0

    26,6

    72,7

    26,1

    73,2

    25,7

    73,6

    Sektor 1Sektor 2

    Sektor 3

    Quelle: BFS Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR)

    BFS, Neuchtel 2015

    1,5 1,4 1,3 1,3 1,2 1,2 1,0 1,0 0,9 1,0 0,9 0,9 0,8 0,9 0,8 0,7 0,7 0,7 0,7

    Arbeitsproduktivitt nach Wirschaftssektoren G 2.1.3

    In Franken, zu laufenden Preisen, pro vollzeitquivalente Beschftigung

    0

    20 000

    40 000

    60 000

    80 000

    100 000

    120 000

    140 000

    160 000

    180 000

    1995 2012p

    107 501

    142 054

    115 676

    156 556

    40 449 39 122

    Sektor 1Sektor 2Sektor 3

    Quelle: BFS Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR)

    BFS, Neuchtel 2015

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201516

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Entwicklung der Arbeitsproduktivitt nach Wirtschafts-sektoren anhand des Indexverlaufs ausgehend vom Ba-sisjahr 1995 auf. Es fllt auf, dass sich die Arbeitspro-duktivitt (zu laufenden Preisen) des primren Sektors vergleichsweise verhalten entwickelte und im Jahr 2012 gut 3% tiefer lag als im Jahr 1995. Die Arbeitsproduktivi-tt im zweiten Sektor hingegen konnte innerhalb des be-trachteten Zeitraums um ca. 35% zulegen, whrend die Zunahme mit gut 32% im dritten Sektor leicht tiefer aus-fiel. Somit lag im Jahr 2012 die Arbeitsproduktivitt des ersten Sektors nominal mit 39122 Franken pro vollzeit-quivalente Beschftigung leicht tiefer als im Ausgangs-jahr 1995, whrend sie im zweiten und dritten Sektor 156556 Franken bzw. 142054 Franken betrug. Mit der realen Arbeitsproduktivitt (ausgedrckt zu Preisen des Vorjahres) kann diese frei von Preiseinflssen dargestellt werden (siehe Tabelle A 2.2 im Anhang).

    Ebenfalls der Tabelle A 2.2 im Anhang zu entnehmen sind die Branchenunterschiede bezglich der Arbeitspro-duktivittsentwicklung. Damit wird deutlich, dass insbe-sondere der dritte Sektor eine sehr heterogene Struktur aufweist. Es fallen dabei die unterschiedlichen Entwick-lungen in den einzelnen Branchen auf. Diese widerspie-geln unter anderem auch die Bedeutung, welche eine Branche fr das gesamtwirtschaftliche Wachstum hat. Bei der Betrachtung ist allerdings auch zu beachten, dass die wirtschaftliche Produktion nicht ausschliesslich vom Faktor Arbeit abhngt, vielmehr ist auch der Ein-satz der brigen Produktionsfaktoren zu beachten. Hinzu kommt, dass fr die Entlhnung des Faktors Arbeit auch das notwendige Qualifikationsniveau eine sehr grosse Rolle spielt. Dies sind die wesentlichsten Ursachen fr

    die deutlichen Unterschiede, welche sowohl bei der Be-trachtung der (nominalen und realen) Arbeitsprodukti-vittsentwicklung als auch bei der Beurteilung der abso-luten Hhe der Arbeitsproduktivitt zu bercksichtigen sind. Kapitalintensive Branchen wie die hoch spezialisier-ten Bereiche der verarbeitenden Industrie oder Branchen mit berdurchschnittlich hohen Qualifikationsanforde-rungen wie beispielsweise der Finanzsektor prsentie-ren sich deshalb deutlich anders als die Bereiche Gastge-werbe oder Handel.

    Die Arbeitsproduktivitt kann nur erste Hinweise auf die Entlhnung des Produktionsfaktors Arbeit geben. Deshalb wird in einem nchsten Schritt die tatschliche Entwicklung der Lhne in der Schweiz betrachtet.

    2.1.3 Lohnentwicklung

    Grafik 2.1.5 stellt die Entwicklung der Nominallhne, der Konsumentenpreise und der Reallhne in der Schweiz dar. Der Berechnung liegen die Lhne der Arbeitneh-menden des zweiten und dritten Sektors sowie des Gar-tenbaus und der Forstwirtschaft nach dem Inlandkon-zept24 wie auch die Konsumentenpreise in der Schweiz25 zugrunde. Die Lhne der Selbststndigerwerbenden sind somit nicht bercksichtigt. Die Abbildung zeigt, dass der Beginn der 90er Jahre durch eine grosse Vernderung der Entwicklung der Nominallhne, aber auch der Kon-sumentenpreise geprgt war. Ab 1994 bewegte sich die

    24 Vgl.: www.bfs.admin.ch R Infothek R Erhebungen, Quellen R Schweize-rischer Lohnindex (SLI) R Steckbrief.

    25 Vgl.: www.bfs.admin.ch R Infothek R Erhebungen, Quellen R Landes-index der Konsumentenpreise (LIK) R Steckbrief.

    80

    90

    100

    110

    120

    130

    140

    1995

    1996

    1997

    1998

    1999

    2000

    2001

    2002

    2003

    2004

    2005

    2006

    2007

    2008

    2009

    2010

    2011

    2012

    p

    Sektor 1

    Sektor 2Sektor 3

    Arbeitsproduktivitt nach Wirtschaftssektoren G 2.1.4

    Index (1995 = 100), zu laufenden Preisen

    Quelle: BFS Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR)

    BFS, Neuchtel 2015

  • 172015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Jahresteuerung im Rahmen der durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) definierten Preisstabilitt (

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201518

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    3. Sektors, der vor allem auf die Erhhung der wirt-schaftlichen Aktivitt im Bereich der Dienstleistungen (Banken, Versicherungen, Handel usw.) zurckzufhren ist. Der erste und zweite Sektor erwirtschafteten seit 1995 anteilmssig immer weniger, wobei dem ersten Sektor hinsichtlich Wertschpfung die geringste Bedeu-tung zukommt.

    Die Arbeitsproduktivitt, d.h. die Wertschpfung pro Arbeitsstunde, stieg zwischen 1995 und 2012 im Durch-schnitt um 22,5% an. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der zweite Sektor der effizienteste, denn die Arbeits-produktivitt nahm dort rascher zu als im dritten Sektor, whrend sie im ersten Sektor insbesondere wegen sin-kender Preise sogar leicht rcklufig war. Dieser unter-schiedliche Zuwachs zwischen dem zweiten und dritten Sektor erklrt sich mit der heterogenen Branchenstruk-tur des dritten Sektors: Je nach Branche verndert sich das Gewicht der Produktionsfaktoren. Kapitalintensive Branchen mit berdurchschnittlich hohen Qualifikations-anforderungen wie beispielsweise der Finanzsektor pr-sentieren sich hinsichtlich Arbeitsproduktivitt deutlich anders wie die Bereiche Gastgewerbe oder Handel.

    Die Entwicklung der Reallhne hielt im Zeitraum zwi-schen 1995 und 2013 nicht ganz Schritt mit der ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung. Obschon die Lhne nominal deutlich angestiegen sind, resultierte aufgrund der Teuerung letztendlich eine geringere Erhhung.

    Zum makrokonomischen Hintergrund kann zusam-menfassend gesagt werden, dass die Entlhnung des Produktionsfaktors Arbeit von der Entwicklung der Wert-schpfung beeinflusst wird und sich seinerseits auf die privaten Einkommen auswirkt. Diese werden im Wesent-lichen auf dem Arbeitsmarkt generiert.

    2.2 Arbeitsmarkt und Bildung

    Vernderungen der wirtschaftlichen Struktur und Leis-tung wirken sich unmittelbar auf den Arbeitsmarkt aus. Der Grossteil der privaten Haushaltseinkommen wird auf dem Arbeitsmarkt erwirtschaftet und ber das Erwerbs-einkommen werden mehrheitlich die Ansprche auf So-zialversicherungen erworben. Daher stellt der Arbeits-markt den Rahmen dar fr die Voraussetzungen, unter denen private Personen ihren individuellen Lebensunter-halt verdienen und sich sozial absichern knnen. Dem-zufolge beleuchtet Kapitel 2.2.1 ausgehend von der Entwicklung des Arbeitsmarktes seit Anfang der Neun-zigerjahre zunchst Qualifikationsstruktur, Beschfti-gungsformen und Arbeitsbedingungen als wesentliche

    Charakteristika der Erwerbsbevlkerung. Diese struktu-rellen Aspekte des Arbeitsmarktes beeinflussen auch die Entwicklung des Arbeitsangebots, genauer der Erwerbs-ttigkeit, der Erwerbsbereitschaft und der Erwerbslosig-keit (Kapitel 2.2.2).27 Im Fokus der Analysen steht jeweils die (Erwerbs-)Situation einzelner soziodemografischer Gruppen.

    Informationen zur Methode

    Seit 1991 fhrt das BFS jedes Jahr die Schweizerische Arbeits-krfteerhebung (SAKE) durch, die reprsentative Daten ber die soziokonomische Struktur der stndigen Wohnbevl-kerung der Schweiz und ber die Erwerbsbeteiligung liefert. Bis 2009 wurde diese Erhebung jeweils jhrlich im 2. Quar-tal durchgefhrt. Seit 2010 wird die SAKE vierteljhrlich publi-ziert.Um die Vergleichbarkeit im Zeitverlauf zu ermglichen und die saisonalen Einflsse zu verringern, wurden fr die Jahre 2010 bis 2014 die Datenstze des 2. Quartals bercksichtigt.Die fr die Beschreibung der Arbeitsmarktstruktur verwendete Referenzperiode entspricht dem 2. Quartal 2014. Bestimmte Variablen zu den Arbeitsbedingungen stehen jedoch nur fr die jhrlichen Datenstze zur Verfgung. Aus diesem Grund dienen in diesen Fllen ausnahmsweise die Jahresdaten von 2013 als Referenz.

    2.2.1 Arbeitsmarktstruktur

    Auswirkungen des Strukturwandels auf den Arbeitsmarkt

    Ein zentraler Einflussfaktor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf den Arbeitsmarkt ist die vernderte Branchenstruktur, die im Wesentlichen gekennzeichnet ist durch die Ausweitung des tertiren Sektors in den letzten Jahrzehnten. Dieser Strukturwandel schlgt sich auch in der Verteilung der Erwerbsttigen innerhalb der drei Wirtschaftssektoren nieder. 2014 arbeiteten knapp 76% der Erwerbsttigen im Dienstleistungssektor im Ver-gleich zu rund 69% im Jahr 1992.28

    Deutliche Unterschiede zeigen sich dabei zwischen den Geschlechtergruppen, zumal die Tertirisierung der Wirtschaft in enger Verbindung steht mit der zunehmen-den Erwerbsbeteiligung der Frauen. Mit 86,6% arbei-tete 2014 der Grossteil der weiblichen Erwerbsttigen im Dienstleistungssektor (tertirer Sektor), nur 10,8% im In-dustrie- und 2,6% im primren Sektor. Mnner waren

    27 Die Arbeitsmarktzahlen basieren auf der Schweizerischen Arbeitskrfte-erhebung (SAKE) und beziehen sich ausschliesslich auf die stndige Wohnbevlkerung. Die Darstellung der Entwicklung des Arbeitsmarktes umfasst den Zeitraum von 1992 bis 2014 (jeweils 2. Quartal).

    28 NOGA (2008).

  • 192015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    mit zwei Dritteln (66,7%) im tertiren Sektor vertreten, mit 28,1% im Industriesektor (sekundrer Sektor) und mit 4,4% im primren Sektor.

    Mit der Ausweitung des Dienstleistungssektors ver-bunden ist auch die Entwicklung des Beschftigungs-grades. Im Jahr 2014 arbeiteten insgesamt mehr als ein Drittel (36,7%) der Erwerbsttigen Teilzeit, wobei der Zuwachs an Teilzeitarbeit in den letzten Jahren vor allem im tertiren Sektor stattfand. Mit einem nahezu kontinu-ierlichen Anstieg seit Beginn der Neunzigerjahre liegt der Anteil der Teilzeiterwerbsttigen hier aktuell bei 42,1% (gegenber 31,4% im Jahr 1992). Auch diese Entwick-lung verluft parallel zur zunehmenden Erwerbsbeteili-gung der Frauen. 2014 arbeiteten sechs von zehn Frauen Teilzeit (60,0%), wobei gegenber 1992 mit 8 Prozent-punkten ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen ist. Ent-sprechend bestehen auch Unterschiede in der Verteilung der Teilzeit- und Vollzeiterwerbsttigkeit zwischen den Geschlechtergruppen, die im sekundren und tertiren Sektor besonders deutlich ausfallen. Im sekundren Sek-tor arbeiten 44,8% der Frauen Teilzeit, im Vergleich zu 7,7% der Mnner (tertirer Sektor: 61,8% bzw. 20,1%) (vgl. Grafik 2.2.1).

    Zudem zeigen sich Unterschiede nach der Nationali-tt der Erwerbsttigen. Insgesamt stellen auslndische Erwerbsttige im 2. Quartal 2014 24,7% der erwerbs-ttigen Bevlkerung. Im Vergleich zu den Schweizerin-nen und Schweizern sind sie strker im konjunkturab-hngigen sekundren Sektor vertreten (Auslnder/innen: 25,5%, Schweizer/innen: 18,8%). 73,5% der erwerbst-tigen Auslnderinnen und Auslnder waren im tertiren

    Sektor ttig (Schweizer/innen: 76,8%). Deutliche Unter-schiede bestehen dabei nach Herkunftsregion. So arbei-teten berdurchschnittlich viele Erwerbsttige aus Sd-west29- sowie Ost- und Sdosteuropa30 im sekundren Sektor (29,0% bzw. 31,6%), Nord- und Westeuroperin-nen und -europer31 dagegen hufiger im tertiren Sek-tor (78,9%).

    Teilzeitarbeit ist unter den auslndischen Erwerbst-tigen insgesamt weniger verbreitet als bei den schwei-zerischen Erwerbsttigen (25,4% gegenber 40,3%). Wenngleich auch hier Frauen in dieser Beschftigungs-form strker vertreten sind als Mnner, fllt der Anteil im Vergleich zu Schweizerinnen deutlich geringer aus. So waren im 2. Quartal 2014 insgesamt 45,8% der ausln-dischen Frauen Teilzeit erwerbsttig, gegenber 64,0% der Schweizer Frauen. Unter den Mnnern sind diese Unterschiede absolut betrachtet mit 10,7% bzw. 18,7% weniger stark ausgeprgt.32

    29 Portugal, Spanien, Italien, Vatikanstadt, Malta, San Marino.

    30 Estland, Lettland, Litauen, Moldawien, Russland, Ukraine, Belarus, Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechische Republik, Griechenland, Trkei, Zypern, Albanien, Bulgarien, Rumnien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien, Kosovo.

    31 Dnemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden, Deutschland, sterreich, Belgien, Frankreich, Vereinigtes Knigreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, Monaco.

    32 Vgl. BFS (2014a).

    Vollzeit- und Teilzeiterwerbsttige im sekundren und tertiren Sektor nach Geschlecht, 2014 G 2.2.1

    2. Sektor

    0%

    10%

    20%

    30%

    40%

    50%

    60%

    70%

    80%

    90%

    100%

    Mnner Frauen Mnner Frauen

    92,3

    7,7

    55,2

    44,8

    79,9

    20,1

    38,2

    61,8

    VollzeitTeilzeit

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE)

    3. Sektor

    BFS, Neuchtel 2015

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201520

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Die Dynamik des Dienstleistungssektors in den letz-ten Jahren markiert einen wesentlichen Unterschied zum Industriesektor. Hinsichtlich der Lohnentwicklung zeigen sich auf den ersten Blick kaum Unterschiede (vgl. Kapi-tel 2.1). Im Jahr 2012 lag der standardisierte Bruttomedi-anlohn im sekundren Sektor mit 6247 Franken pro Mo-nat leicht tiefer als im tertiren Sektor (6548 Franken).33 Lsst diese aggregierte Sichtweise nur geringe Differen-zen erkennen, so ergibt sich nach Geschlechtergruppen betrachtet fr Mnner eine deutlich bessere Situation im Dienstleistungssektor (Mnner 7229 Franken, Frauen 5899 Franken) als in der Industrie (Mnner: 6423 Fran-ken, Frauen: 5351 Franken). Gesamthaft werden die Un-terschiede somit durch den hheren Anteil der Mnner im sekundren Sektor ausgeglichen. Unabhngig vom Sektor bestehen nach wie vor erhebliche Lohnungleich-heiten nach Geschlecht. Im Jahr 2012 war der Lohn von Frauen um 15,1% niedriger, wobei eine Angleichung der Lohniveaus erkennbar ist. So betrug die Differenz sechs Jahre zuvor noch 16,7%.

    Lohndisparitten zeigen sich auch im Hinblick auf die Nationalitt der Erwerbsttigen. Der standardisierte Brut-tomedianlohn der auslndischen Arbeitnehmerinnen und

    33 Die Entwicklung der Bruttolhne wird auf Basis der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2012, Wirtschaft insgesamt, dargestellt. Der Bruttolohn im Monat Oktober beinhaltet den Basislohn und allfllige Entschdigungen fr Schicht-, Nacht- und Sonntagsarbeit und andere Erschwerniszulagen. Der standardisierte Bruttomonatslohn resultiert aus der Umrechnung auf ein Vollzeitquivalent von 41/3 Wochen zu 40 Arbeitsstunden.

    Arbeitnehmer lag 2012 um rund 14% unter jenem der schweizerischen Erwerbsttigen (5797 Franken gegen-ber 6720 Franken). Dies lsst sich zum Teil dadurch er-klren, dass auslndische Arbeitskrfte im Durchschnitt jnger sind (im 2. Quartal 2014 waren 53,5% der aus-lndischen Erwerbsttigen unter 40 Jahre alt, gegenber 41,2% der schweizerischen Erwerbsttigen). Zudem be-stehen zwischen schweizerischen und auslndischen Er-werbsttigen grosse Unterschiede hinsichtlich Ausbil-dungsstand und Verteilung nach Wirtschaftsbranchen. Im tertiren Sektor beispielsweise sind auslndische Er-werbsttige hufiger in typischen Niedriglohnbranchen wie zum Beispiel der Beherbergung und der Gastrono-mie ttig.

    Innerhalb der Gruppe der auslndischen Arbeits-krfte bestehen Lohnunterschiede nach Aufenthaltsbe-willigung und damit auch nach Aufenthaltsdauer (vgl. Grafik 2.2.2). In den letzten Jahren sind hauptschlich hochqualifizierte Arbeitskrfte zugewandert. Die Neu-zuwanderung qualifizierter Arbeitskrfte wiederum geht einher mit der Expansion von Branchen mit hoher Wert-schpfung, vor allem des Finanz- und Versicherungs-dienstleistungssektors (vgl. Kapitel 2.1). Diese Zusam-menhnge erklren die zum Teil deutlich hheren Lhne von Aufenthalterinnen und Aufenthaltern in einzelnen Branchen.

    0 2 000 4 000 6 000 8 000 10 000 12 000

    Gesamtheit der Branchen

    Maschinenbau

    Baugewerbe

    Grosshandel, Handel und Rep. von Motorfahrz.

    Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie

    Finanzdienstl., mit Finanz- undVersicherungsdienstl. verb. Ttigk.

    Versicherungen

    Informationstechnologie und Informationsdienstl.

    Schweizer/innenKurzaufenthalter/innen (Kat. L) Aufenthalter/innen (Kat. B)

    Niedergelassene (Kat. C)Grenzgnger/innen (Kat. G)

    Monatlicher Bruttolohn (Zentralwert) nach Aufenthaltsbewilligung fr die wichtigsten Branchen, privater und ffentlicher Sektor zusammen, 2012, in CHF G 2.2.2

    Quelle: BFS SchweizerischeLohnstrukturerhebung (LSE)

    BFS, Neuchtel 2015

  • 212015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Bildungsstruktur der Erwerbsttigen

    Die deutliche Umverteilung der Erwerbsttigen zwischen den drei Wirtschaftssektoren geht einher mit einer vern-derten Bildungsstruktur in Richtung einer Hherqualifi-kation. Als mgliche Erklrungen gelten zum einen die steigenden Anforderungen der Unternehmen an das Qua-lifikationsniveau der Beschftigten als Folge des stetigen Anstiegs der Spezialisierung, des technischen Fortschritts und der damit verbundenen Zunahme wissensintensiver Ttigkeiten.34 Zum anderen reagiert auch die Erwerbs-bevlkerung auf diese Entwicklungen mit hheren Investi-tionen in die Ausbildungszeit.35

    Die Tendenz zur Hherqualifikation wird in der Vertei-lung der Bildungsabschlsse der Erwerbsttigen sichtbar. Im Vergleich der Jahre 199636 und 2014 zeigt sich in al-len Altersgruppen eine deutliche Zunahme des Anteils Er-werbsttiger mit tertirem Abschluss (vgl. Tabelle 2.2.1).

    Die vernderte Bildungsstruktur ist bei schweizerischen und auslndischen Erwerbsttigen in gleichem Ausmass zu erkennen. Gegenber 1996 nahm der Anteil der auslndi-schen Erwerbsttigen mit tertirem Bildungsabschluss um 18,4 Prozentpunkte zu (Schweizer/innen: 17,6 Prozent-punkte). Im Jahr 2014 verfgen 37,4% der Erwerbstti-gen auslndischer Herkunft ber eine Ausbildung auf Ter-tirstufe (Schweizer/innen: 37,8%). Gros se Unterschiede bestehen dagegen in den unteren Bildungsgruppen. Im 2. Quartal 2014 haben 24,6% der auslndischen Erwerbs-ttigen keinen nachobligatorischen Schulabschluss im Ver-gleich zu 11,2% der Schweizer Erwerbsttigen.

    34 Vgl. BFS (2008b).

    35 Vgl. BFS (2008c).

    36 Aufgrund von nderungen bei den Bildungsvariablen sind Zahlen zur Qualifikation nur fr die Jahre 1996 bis 2014 vergleichbar.

    Das Qualifikationsniveau der erwerbsttigen Aus-lnderinnen und Auslnder unterscheidet sich je nach Herkunftsgebiet betrchtlich. Der Anteil auslndischer Erwerbsttiger ohne nachobligatorische Schulbildung betrgt 31,4% bei Ost- und Sdosteuroperinnen und -europern, 28,1% bei Erwerbsttigen aus Sdwesteu-ropa und nur 3,8% bei Erwerbsttigen aus Nord- und Westeuropa. Letztere verfgen mit 63,9% mehrheit-lich ber einen tertiren Abschluss (Schweizer/innen: 37,8%). 2014 waren deutlich mehr Erwerbsttige aus Nord- und Westeuropa als Fhrungskrfte oder in akademischen Berufen ttig (55,8%) als bei jenen aus Sdwest- (19,3%), Ost- und Sdosteuropa (18,8%).

    Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen

    Mit der starken Zunahme der Teilzeitarbeit als Folge der Ausweitung des Dienstleistungssektors fhrte der wirtschaftliche Strukturwandel auch zu einer gewissen Flexibilisierung der Anstellungsverhltnisse. Zu flexiblen Beschftigungsformen zhlen neben Teil-zeitarbeit unter anderem auch Arbeit auf Abruf, Temporrarbeit, befristete Arbeitsverhltnisse, Mehrfacherwerbs ttigkeit und bestimmte Formen selbststndiger Erwerbsttigkeit wie Solo-Selbststn-digkeit37. Die Entwicklung dieser atypischen Arbeits-formen (vgl. Kasten R atypische Beschftigungs-formen) sowie der Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren lsst dabei keinen Bedeutungsverlust des

    37 Dieser Begriff bezeichnet Selbststndige ohne Angestellte, die sich zu einem Grossteil aus neuen Selbststndigen zusammensetzen. Neue Selbststndigkeit wiederum umfasst nach Bgenhold, Leicht (2000) Beschftigungsverhltnisse in der Grauzone zwischen abhngiger und selbststndiger Arbeit, die durch Merkmale wie unsicherer Lohn und Erwerbsumfang gekennzeichnet sind und zum Teil aus der Ausgliederung von Angestelltenverhltnissen aus Unternehmen und dem Schritt von Arbeitslosen in die Selbststndigkeit resultieren.

    T 2.2.1 Bildungsstruktur der Erwerbsttigen nach Altersgruppen, 1996 und 2014, in%

    25- bis 39-Jhrige 40- bis 54-Jhrige 55- bis 64-Jhrige Gesamt

    Sekundarstufe I

    1996 10,2 16,4 20,4 18,8

    2014 8,4 10,8 12,3 10,2

    Sekundarstufe II

    1996 65,0 57,7 58,5 59,6

    2014 44,4 48,1 52,3 47,5

    Tertirstufe

    1996 24,8 25,9 21,2 21,6

    2014 47,2 41,1 35,5 42,4

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE) BFS, Neuchtel 2015

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201522

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Normalarbeitsverhltnisses38 erkennen (vgl. Tabelle A 2.3 im Anhang).39 Mit 92,1% im Jahr 2014 ist die dauer-hafte Anstellung weiterhin vorherrschend. Gegenber dem Vergleichsjahr 2001 ist dabei eine leichte Ab-nahme zu verzeichnen berwiegend zugunsten von Arbeitsverhltnissen, die auf weniger als drei Jahre be-fristet sind. Die Vollzeitbeschftigung bleibt mit rund zwei Dritteln (63,3%) deutlich hufiger als Teilzeitar-beit. Der Rckgang um 6,0 Prozentpunkte seit 2001 geht hier zugunsten der Teilzeiterwerbsttigkeit mit einem Beschftigungsgrad von mehr als 50%.

    Atypische Beschftigungsformen

    Atypische Beschftigung wird definiert als Gegenform eines als typisch bezeichneten Anstellungsverhltnisses, in der Re-gel einer unbefristeten Vollzeitarbeit (Carigiet et al. 2003). Im Hinblick auf die Beschftigungsentwicklung und als Aus-druck der Flexibilitt des Arbeitsmarktes werden solche Ar-beitsformen im arbeitsmarktpolitischen Diskurs und aus Sicht der Unternehmen auch positiv bewertet: Arbeitslose finden auf diesem Weg unter Umstnden den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, Unternehmen eine Mglichkeit, auf kon-junkturelle Schwankungen zu reagieren. Sofern der Aspekt der Freiwilligkeit sowie die erhhte Unsicherheit im Vergleich zu einem typischen Arbeitsverhltnis im Vordergrund stehen, sind atypische Arbeitsverhltnisse insbesondere aus Sicht der Arbeitnehmenden negativ konnotiert und werden in diesem Zusammenhang als prekr bezeichnet (Carigiet et al. 2003). Die finanzielle Kompensation dieser Unsicherheit ist ein weiteres Abgrenzungskriterium. Im Gegensatz zu ei-nem typischen Arbeitsverhltnis gilt ein Arbeitsverhltnis demnach als prekr, wenn relative Unsicherheit vorhanden ist, die weder erwnscht ist, noch finanziell abgegolten wird (Marti und Osterwald 2004). Ob ein atypisches Beschfti-gungsverhltnis letztendlich aus Sicht des Arbeitnehmers als prekr eingestuft wird oder die Chancen, die sich aus dieser Anstellung ergeben knnen, bei der Bewertung berwiegen, hngt auch von der individuellen Lebenssituation ab. Pre-kre Arbeitsverhltnisse sind nicht gleichzusetzen mit prek-ren Lebensbedingungen. Im Haushaltskontext ist Einkom-men aus unerwnscht unsicheren Arbeitsverhltnissen nicht nur als Quelle fr die Sicherstellung des Lebensunterhalts zu sehen, sondern auch als Hinzuverdienst zum Haushaltsein-kommen.

    38 Ein Normalarbeitsverhltnis ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch unbefristete Dauer der Anstellung, Vollzeitbeschftigung, Tagesarbeit, Anstellung bei einem Arbeitgeber, organisatorische Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers und Unterordnung unter die Weisungsgewalt des Arbeitgebers. Darber hinaus gilt das Normalarbeitsverhltnis als die einzige existentielle Basis der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers (Carigiet et al. 2003).

    39 In der Schweizerischen Arbeitskrfteerhebung (SAKE) werden Arbeit auf Abruf und Solo-Selbststndigkeit erst seit 2001 erfasst. Um die Vergleich-barkeit zu gewhrleisten wird die Entwicklung der Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen fr den Zeitraum 2001 bis 2014 dargestellt.

    Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen zeigen sich eben-falls keine wesentlichen Vernderungen. Die Arbeitswo-che von Montag bis Freitag und eine Arbeitszeit tags-ber bleiben die normalen Regelungen, sogar mit einer leichten Zunahme gegenber 2001. Auch der Anteil der Erwerbsttigen mit einer sehr geringen Anzahl an Ar-beitsstunden blieb in etwa auf gleichem Niveau. Diese Zahlen unterstreichen insgesamt die Bedeutung des Nor-malarbeitsverhltnisses, gleichzeitig weisen mit Arbeit auf Abruf und Mehrfacherwerbsttigkeit nur zwei der betrachteten atypischen Arbeitsformen eine leichte Zu-nahme auf.

    Die Verteilung nach soziodemografischen Merkmalen fr vier zentrale Formen atypischer Beschftigung (befris-tete Arbeitsverhltnisse auf weniger als drei Jahre, Teilzeit-arbeit mit weniger als 50%, Arbeit auf Abruf und Mehr-facherwerbsttigkeit) zeigt, dass mit Ausnahme der Mehrfacherwerbsttigkeit junge Erwerbsttige im Alter zwischen 15 und 24 Jahren hufiger in diesen Arbeitsver-hltnissen ttig sind (vgl. Tabelle A2.4 im Anhang).40 Vor allem Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsvertrge sind in dieser Altersklasse verbreitet.

    Deutlich hufiger in atypischer Beschftigung ttig sind zudem Frauen. Vor allem bei Teilzeitarbeit drfte dabei der Aspekt der Flexibilitt im Vordergrund stehen, welcher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch die Erwerbsbeteiligung der Frauen insgesamt begnstigt (vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.3). Im Haushalts-zusammenhang stellen diese Arbeitsverhltnisse vermut-lich hufig einen Zweitverdienst dar. Jedoch wird hier unter Umstnden auch die generell schlechtere Situa-tion der Frauen auf dem Arbeitsmarkt sichtbar. Zwar gilt Teilzeitbeschftigung nicht per se als atypisches oder po-tenziell prekres Arbeitsverhltnis, da im Allgemeinen gewisse Strukturen vorhanden sind. Oft entspricht ein reduziertes Erwerbspensum jedoch nicht den Vorstellun-gen der Erwerbsttigen. Unterbeschftigung41 betrifft vor allem teilzeiterwerbsttige Frauen, von denen 10,2% gerne mehr arbeiten wrden im Vergleich zu 3,3% bei den Mnnern.

    Atypische Arbeitsformen kommen vor allem im Unter-richtswesen, in der Gastronomie, den privaten Haushal-ten und den sonstigen Dienstleistungen hufiger vor.

    40 Die Differenzierung nach Bevlkerungsgruppen ist aufgrund der zum Teil geringen Beobachtungszahlen nicht fr alle Formen atypischer Beschfti-gung mglich.

    41 Vgl. Glossar R Unterbeschftigte.

  • 232015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    2.2.2 Arbeitsangebot

    Die Erwerbssituation der Bevlkerung als Ergebnis struk-tureller Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt und indi-vidueller Entscheidungen bestimmt das Arbeitsangebot, d.h. die Menge der von den Arbeitskrften angebotenen Arbeit. Es setzt sich zusammen aus erwerbsttigen und erwerbslosen Personen gemss ILO.42

    Im Jahr 2014 lag die Zahl der Erwerbspersonen in der Schweiz bei rund 4,7 Millionen und ist gegenber 1992 um mehr als 860000 (+22,2%) gestiegen. Gesamtwirt-schaftliche Einflsse auf das Arbeitsangebot seit Beginn der Neunzigerjahre sowie unterschiedliche Entwicklun-gen der Arbeitsmarktlage einzelner soziodemografischer Gruppen werden deutlicher, wenn Erwerbsbereitschaft (Erwerbsquote), Erwerbsbeteiligung (Erwerbsttigen-quote) und Erwerbslosigkeit gesondert betrachtet wer-den (vgl. Kapitel 2.2.1).

    Erwerbsbereitschaft und Beteiligung am Erwerbsleben

    Die Erwerbsbereitschaft der Bevlkerung, gemessen am Anteil der Erwerbspersonen an den ber 15-Jhrigen (Er-werbsquote), blieb im Zeitraum von 1992 bis 2014 na-hezu konstant und liegt aktuell bei 68,5% (vgl. Tabelle 2.2.2). In der Entwicklung der Erwerbsbereitschaft beste-hen jedoch deutliche Unterschiede nach Geschlecht. So war die Erwerbsquote der Mnner in diesem Zeitraum fast durchgehend rcklufig, wogegen bei den Frauen ein starker Anstieg um 5,3 Prozentpunkte von 57,1% auf 62,4% zu verzeichnen ist.

    42 Vgl. BFS (2014a).

    Die effektive Erwerbsbeteiligung, gemessen am Anteil der Erwerbsttigen an der 15- bis 64-jhrigen Bevlke-rung (Nettoerwerbsttigenquote), lag im Jahr 2014 mit 79,7% um 1,7 Prozentpunkte hher als im Referenzjahr 1992 und lsst in hnlichem Masse geschlechtsspezifi-sche Unterschiede erkennen. So war die Erwerbsttigen-quote der Mnner im Jahr 2014 um 4,7 Prozentpunkte niedriger, jene der Frauen hingegen um 8,1 Prozent-punkte hher als im Vergleichsjahr 1992. Die unter-schiedliche Beteiligung am Erwerbsleben von Mnnern und Frauen ist damit zwar nach wie vor deutlich. Mit 21,9 Prozentpunkten im Jahr 1992 und 9,1 Prozentpunk-ten im Jahr 2014 ging die Differenz zwischen den Netto-erwerbsttigenquoten der beiden Vergleichsgruppen je-doch stark zurck eine Entwicklung, die vor allem auf die vermehrte Arbeitsmarktteilnahme der Frauen zurck-zufhren ist. Diese Zunahme wiederum drfte weitge-hend auf die Ausweitung der Teilzeiterwerbsttigkeit zu-rckzufhren sein (vgl. Kapitel 2.2.1).

    Neben dem Geschlecht stellt das Alter der Erwerbs-bevlkerung eine weitere zentrale Dimension bei der Beschreibung des Arbeitsangebotes dar. Nicht alle Al-tersgruppen sind in gleichem Masse am Erwerbsleben beteiligt und auch die Entwicklung der Erwerbsbereit-schaft in den letzten Jahren verlief nicht fr alle Alters-gruppen gleich. Bei der jngeren Bevlkerung schlgt sich die tendenziell lngere Verweildauer im Bildungs-system seit Anfang der Neunzigerjahre mit einer deut-lichen Abnahme auch in den Erwerbsquoten nieder (vgl. Tabelle 2.2.3).

    T 2.2.2 Erwerbs-, Erwerbsttigen- und Erwerbslosenquoten gemss ILO1, 2014, in %

    Geschlecht Erwerbsquote (15 Jahre und lter)

    Erwerbsttigenquote (15 Jahre und lter)

    Nettoerwerbsttigenquote (15-bis 64-Jhrige)

    Erwerbslosenquote gemss ILO

    Schweizer Mnnlich 72,4 70,1 84,7 3,1

    Weiblich 60,7 58,7 77,2 3,3

    Gesamt 66,3 64,2 80,9 3,2

    Auslnder Mnnlich 82,1 76,0 82,7 7,4

    Weiblich 68,6 62,7 68,7 8,6

    Gesamt 75,8 69,8 76,2 7,9

    Gesamt Mnnlich 74,8 71,6 84,2 4,3

    Weiblich 62,4 59,6 75,1 4,5

    Gesamt 68,5 65,5 79,7 4,4

    1 Internationales Arbeitsamt (ILO).

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE) BFS, Neuchtel 2015

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201524

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Die Nationalitt der Erwerbspersonen ist ein weiteres Unterscheidungsmerkmal bei der Analyse des Arbeitsan-gebotes. Die in der Schweiz im internationalen Vergleich hohe Integration der Bevlkerung in den Arbeitsmarkt lsst sich auch durch die starke Prsenz auslndischer Er-werbspersonen erklren. Zwischen 1992 und 2014 ver-zeichnete die Zahl der Erwerbsttigen aus dem Ausland mit 48,3% ein Wachstum, das rund dreieinhalb Mal so hoch war wie bei den schweizerischen Erwerbsttigen in diesem Zeitraum (+13,2%).

    Im 2. Quartal 2014 stammen 24,7% der Erwerbstti-gen aus dem Ausland. Die durchschnittliche Erwerbsbe-reitschaft (Erwerbsquote) der auslndischen Bevlkerung mit rund 76% sowie die effektive Erwerbsbeteiligung (Er-werbsttigenquote) der ber 15-jhrigen auslndischen Bevlkerung mit rund 70% sind hher als bei den Schwei-zerinnen und Schweizern (vgl. Tabelle 2.2.2). Betrachtet man nur die Bevlkerung im erwerbsfhigen Alter zwi-schen 15 und 64 Jahren (Nettoerwerbsttigenquote), kehrt sich das Verhltnis um, weil der Anteil der Auslnde-rinnen und Auslnder im Altersbereich 65 Jahre und lter deutlich geringer ist als bei der Schweizer Bevlkerung.45

    45 Vgl. BFS (2008e).

    Im Fokus der Analyse zuknftiger Entwicklungen des Arbeitsangebotes stehen insbesondere die lteren Erwerb-spersonen dies vor allem vor dem Hintergrund der de-mografischen Entwicklung. Um das gegenwrtige Renten-niveau zu erhalten, ist ein Verbleib lterer im Arbeitsmarkt notwendig. Im internationalen Vergleich ist ihre Erwerbs-bereitschaft in der Schweiz hoch.43 In der Altersgruppe der 55- bis 64-Jhrigen nahm die Erwerbsquote in letz-ten Jahren deutlich zu, bei nach wie vor deutlichen Unter-schieden zur jngeren Bevlkerung (vgl. Tabelle 2.2.3).44

    Die realisierte Erwerbsbeteiligung (Erwerbsttigenquote) der 55- bis 64-Jhrigen liegt aktuell um 16,7 Prozentpunkte niedriger als in der Gruppe der 25- bis 39-Jhrigen (73,9% bzw. 90,6% im Jahr 2014). Eine Verringerung dieser Unter-schiede und damit eine hinsichtlich der Erwerbsorientierung der lteren Bevlkerung positive Entwicklung in den letzten Jahren ist jedoch erkennbar (vgl. Grafik 2.2.4). Sie wird im Wesentlichen getragen durch die zunehmende Erwerbst-tigkeit der Frauen sowie die Erhhung des Renteneintritts-alters. Whrend die Arbeitsmarktprsenz der 55- bis 64-jh-rigen Frauen im Zeitraum von 1992 bis 2014 stark zunahm, zeigt sich bei Mnnern dieser Altersgruppe ein Rckgang.

    43 Vgl. BFS (2008d).

    44 Insbesondere bei den jngeren Altersgruppen ist davon auszugehen, dass ein Teil der Bevlkerung die Erstausbildung noch nicht abgeschlossen hat.

    0 50 100 150 200 250 300 350

    1519

    2024

    2529

    3034

    3539

    4044

    4549

    5054

    5559

    6064

    6569 58 136

    149 78

    233 33

    298 28

    303 23

    284 16

    251 15

    262 20

    246 43

    182 74

    111 108

    Erwerbsttige in Tausend

    Erwerbslose und Nichterwerbspersonen in Tausend

    Bevlkerung nach Alter und Beteiligung am Erwerbsleben 2014 G 2.2.3

    Frauen Mnner

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE)

    350 300 250 200 150 100 50 0

    39195

    119112

    20162

    24454

    28255

    23860

    23257

    23353

    20841

    17563

    99118

    BFS, Neuchtel 2015

    T 2.2.3 Erwerbsquoten nach Altersgruppen, 1992 und 2014, in%

    1992 2014 Differenz

    1524 Jahre 70,7 66,1 -6,6

    2539 Jahre 85,8 90,6 5,6

    4054 Jahre 87,4 90,8 3,9

    5564 Jahre 65,2 73,9 13,4

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE) BFS, Neuchtel 2015

  • 252015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Erwerbslosigkeit

    Die Erwerbslosigkeit folgt der konjunkturellen Entwick-lung. Sie nahm seit Anfang der Neunzigerjahre bis ins Jahr 1997 (4,1%) zu und ging danach bis 2001 (2,5%) wieder auf das Niveau von 1992 (2,8%) zurck. Mit einer Quote von 4,1% war im Jahr 2003 erneut ein markanter Anstieg zu verzeichnen. Der Anteil der Er-werbslosen an der Erwerbsbevlkerung erreichte 2005 mit 4,4% den hchsten Stand im betrachteten Zeitraum und war in den darauf folgenden Jahren rcklufig (3,4% im Jahr 2008). Schliesslich etablierte sich die Er-werbslosenquote 2014 bei 4,4% und erreichte somit im betrachteten Zeitraum den Rekordstand von 2005. Auch hinsichtlich der Erwerbslosigkeit ist die Arbeits-marktlage nicht fr alle Bevlkerungsgruppen gleich (vgl. Tabelle 2.2.2).

    Eine wesentliche Determinante der Einbindung in das Erwerbsleben ist die Qualifikation. Tendenziell ist ein tiefe-res Bildungsniveau mit einem hheren Erwerbslosigkeits-risiko verbunden. Im Jahr 2014 lag die Erwerbslosenquote (gemss ILO) bei Personen ohne nachobligatorischen Ab-schluss (8,3%) um 5,3 Prozentpunkte hher als bei Perso-nen mit tertirer Ausbildung (3,0%). Diese Zahlen lassen die enge Verknpfung von Bildungsstand und Arbeits-marktchancen deutlich erkennen (vgl. Grafik 2.2.5). Auch von der Zunahme der Erwerbslosigkeit im Jahr 2014 sind Personen ohne nachobligatorischen Bildungsabschluss am strksten betroffen. Qualifikationsspezifische Unterschiede im Erwerbslosigkeitsrisiko sind zudem eng verbunden mit der Nationalitt. Zwischen 2008 und 2014 war die Er-werbslosenquote bei Auslnderinnen und Auslndern ohne nachobligatorischen Schulabschluss im Durchschnitt mehr als zweieinhalbmal so hoch wie bei Schweizerinnen und Schweizern mit gleichem Ausbildungsniveau (vgl. Ta-belle A 2.5 im Anhang).

    0%

    10%

    20%

    30%

    40%

    50%

    60%

    70%

    80%

    90% MnnerFrauenTotal

    Erwerbsttigenquoten der 55- bis 64-Jhrigen zwischen 1992 und 2014 G 2.2.4

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE)

    BFS, Neuchtel 2015

    1991

    1992

    1993

    1994

    1995

    1996

    1997

    1998

    1999

    2000

    2001

    2002

    2003

    2004

    2005

    2006

    2007

    2008

    2009

    2010

    2011

    2012

    2013

    2014

    0%

    1%

    2%

    3%

    4%

    5%

    6%

    7%

    8%

    9%

    1996

    1997

    1998

    1999

    2000

    2001

    2002

    2003

    2004

    2005

    2006

    2007

    2008

    2009

    2010

    2011

    2012

    2013

    2014

    Sekundarstufe I

    Sekundarstufe IITertirstufe

    Qualifikationsspezifische Erwerbslosenquoten gemss ILO, 1996 bis 2014 G 2.2.5

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE)

    BFS, Neuchtel 2015

  • STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015 BFS 201526

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    Arbeitslose Personen und erwerbslose Personen gemss ILO

    In der Schweiz liefert das Sekretariat fr Wirtschaft (SECO) monatlich die Statistik der registrierten Arbeitslosen. Das Bundesamt fr Statistik (BFS) verffentlicht im Rahmen der Schweizerischen Arbeitskrfteerhebung (SAKE) seit 1991 eine Erwerbslosenstatistik gemss den Richtlinien des Inter-nationalen Arbeitsamtes (Erwerbslose gemss ILO). Den beiden Statistiken liegen unterschiedliche Konzepte zu Grunde.Die Arbeitslosenstatistik des SECO basiert auf einer Voller-hebung der Personen, welche in einem Regionalen Arbeits-vermittlungszentrum (RAV) erfasst sind. Die Gesamtheit dieser Personen bildet die registrierten Stellensuchenden.Die Registrierung bei einem RAV ist dagegen in der SAKE keine Bedingung, um als erwerbslos erfasst zu werden. Als erwerbslos gelten hier Personen im Alter von 15 bis 74 Jah-ren, die in der Referenzwoche nicht erwerbsttig waren, in den vergangenen vier Wochen aktiv eine Arbeit gesucht haben und die fr die Aufnahme einer Ttigkeit verfgbar wren. Mit diesem Konzept werden auch Personen erfasst, die keinen Anspruch mehr haben auf Arbeitslosenentschdi-gung und sich nicht mehr beim RAV melden, oder Personen, die wieder ins Erwerbsleben einsteigen mchten, ohne dafr die Vermittlungsdienste der RAV in Anspruch zu nehmen. Indem auch nicht registrierte Arbeitslose erfasst werden, wird in der SAKE das ungenutzte Arbeitsangebot umfassen-der abgebildet. Mit den beiden Konzepten werden also Personengruppen beschrieben, die nur zum Teil identisch sind. Beide Statisti-ken geben darber hinaus sehr hnliche Trends zu den re-gistrierten Arbeitslosen beziehungsweise den Erwerbslosen gemss ILO wieder. Sie sind grundstzlich als komplementr zu betrachten. Die Verwendung der Erwerbslosenzahlen der SAKE ermglicht jedoch die Analyse nach soziodemografi-schen Merkmalen, die im Kontext des vorliegenden Berichts zentral ist.

    Die Integration in den Arbeitsmarkt ist in einer er-werbsorientierten Gesellschaft zentral fr die gesell-schaftliche Integration. Die Erwerbsbereitschaft der auslndischen Bevlkerung, gemessen am Anteil der Erwerbspersonen an den ber 15-Jhrigen, lsst in die-ser Hinsicht auf eine positive Ausgangslage schliessen (vgl. Tabelle 2.2.2). Durch die Zahlen zur Erwerbslosig-keit wird dieses Bild allerdings relativiert. Wie in ande-ren europischen Lndern ist in der Schweiz die Erwerbs-losenquote gemss ILO der auslndischen Bevlkerung deutlich hher als jene der Einheimischen, in den Jahren zwischen 2008 und 2014 im Durchschnitt rund zweiein-halbmal so hoch. Dabei lag die Erwerbslosenquote der auslndischen Frauen in den letzten Jahren deutlich ber jener der auslndischen Mnner, wobei sich jedoch eine abnehmende Tendenz erkennen lsst.

    Auch in den Erwerbslosenzahlen widerspiegelt sich die heterogene Zusammensetzung der auslndischen Er-werbsbevlkerung (vgl. Grafik 2.2.6). Personen aus Ost- und Sdosteuropa sowie aus Sdwesteuropa sind strker betroffen als jene aus Nord- und Westeuropa. Bei letz-teren sind die Unterschiede gegenber den schweizeri-schen Erwerbsttigen viel kleiner (vgl. Grafik 2.2.6).

    Erwerbslosigkeit in der Schweiz ist ebenfalls durch alters spezifische Unterschiede geprgt. Vor allem die unte-ren Altersgruppen weisen ein erhhtes Erwerbslosigkeits-risiko auf. Die Erwerbslosenquote (gemss ILO) der 15- bis 24-Jhrigen entwickelte sich ber den Zeitraum 1992 bis 2014 in etwa parallel zur Gesamtquote. Sie liegt jedoch deutlich darber. Seit 2000 ist die Erwerbslosenquote

    0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 14% 16% 18% 20%

    FrauenMnner

    1524 Jahre2539 Jahre4054 Jahre5564 Jahre

    Sekundarstufe ISekundarstufe II

    Tertirstufe

    Schweizer/innenAuslnder/innen

    Nord- und Osteuropa*Sd-Westeuropa**

    Ost- und Sd-Osteuropa***Andere Lnder

    4,3

    4,5

    7,7

    4,7

    3,6

    3,7

    8,3

    4,3

    3,0

    3,2

    7,9

    4,5

    6,3

    9,3

    18,1

    Erwerbslosenquoten gemss ILO nach soziodemografischen Gruppen, 2014 G 2.2.6

    Quelle: BFS Schweizerische Arbeitskrfteerhebung (SAKE)

    Gesamtquote 4,4

    BFS, Neuchtel 2015

    * Dnemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden, Deutschland, sterreich, Belgien, Frankreich, Vereinigtes Knigreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, Monaco.** Portugal, Spanien, Italien, Vatikan- stadt, Malta, San Marino.*** Estland, Lettland, Litauen, Moldawien, Russland, Ukraine, Belarus, Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechische Republik, Griechenland, Trkei, Zypern, Albanien, Bulgarien, Rumnien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien, Kosovo.

  • 272015 BFS STATISTISCHER SOZIALBERICHT SCHWEIZ 2015

    GESAMTWIRTSCHAFTLICHER KONTExT

    dieser Altersgruppe im Durchschnitt 1,8-mal so hoch. Vom Stellenabbau betroffen sind damit eher junge und niedrig qualifizierte Arbeitskrfte. Arbeitsmarktchancen, insbeson-dere der Zugang zum Arbeitsmarkt, werden dadurch fr Jugendliche erschwert. Auch hier sind es vor allem ausln-dische Jugendliche und junge Erwachsene, die die grssten Probleme beim bergang in die Erwerbsttigkeit haben. Zwischen 2008 bis 2014 ist die Erwerbslosenquote der auslndischen 15- bis 24-Jhrigen nicht nur stark angestie-gen, sondern liegt auch deutlich ber jener der gleichaltri-gen Schweizerinnen und Schweizer (vgl. Tabelle A 2.6 im Anhang).

    Insgesamt zeigen die Erwerbslosenzahlen ein hheres Risiko fr Geringqualifizierte und junge Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer, vom immer strker wissensbasier-ten und technikintensiven Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden und als Folge auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Die Kombination dieser Merkmale wirkt sich vor allem in hohem Ausmass auf die auslndische Bevlkerung aus.

    2.2.3 Bildung

    In den Wissens- und Informationsgesellschaften kommt der Erziehung und der Bildung eine entscheidende Be-deutung zu. Die durch die Erziehung und die Bildung vermittelten Qualifikationen, Kenntnisse und Fhigkeiten sind eine wichtige Komponente der Lebensqualitt, die die Menschen bentigen, um sich in einer im stndigen Wandel begriffenen Welt anzupassen.

    Dieses Wissenskapital ist ein entscheidender Faktor fr den Erfolg eines jeden individuellen oder gemeinschaft-lichen Vorhabens. Auf individueller Ebene bezeichnet es

    die Fach- und Verhaltenskompetenz der Menschen und ihre Fhigkeit, ihre Kenntnisse ein Leben lang umzusetzen, weiterzugeben oder zu erneuern. Es beeinflusst nicht nur die Stellung des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt, sondern befhigt darber hinaus die Brgerinnen und Brger, sich in den ffentlichen und privaten Institutionen zurechtzu-finden und ihre politischen Rechte und Pflichten wahrzu-nehmen. Auf gemeinschaftlicher Ebene stellt dieses Wis-senskapital den Grundpfeiler der Volkswirtschaft und der Arbeitsproduktivitt dar, der ber die Wettbewerbsfhig-keit unseres Landes in einer globalisierten und wirtschaft-lich offenen Welt entscheidet.

    Die zunehmend wissensbasierten Gesellschaften und Volkswirtschaften verlangen nach einem Bildungssystem, das dem Einzelnen einen Grundstock an Qualifikationen und Kenntnissen mitgibt, der diese neuen Anforderungen erfllt. Weil diese Kenntnisse durch den rasanten technolo-gischen Fortschritt immer rascher veralten, muss das Bil-dungssystem Jugendliche und Erwachsene berdies zu kontinuierlicher Weiterbildung befhigen und motivieren. Schliesslich mssen diese Anreize fortan auf alle brigen Kreise der Bevlkerung ausgedehnt werden darunter ins-besondere auf ltere Personen, Frauen, Neuzugewanderte und andere Minderheiten da die Erneuerung der Erwerbs-bevlkerung allein durch neue Generationen