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Ulf Pindur Stereoelektronische Effekte in der und 1 Ahh. I. In dcr Vol.zugskonfi)rniation von Worpliiiian I isi das Ircic Elcktroiiciiplar riiigcgcngcsctri mr I’liciiylriiigchciic loki- lisici-1 und kaiiii ilalicr optimal iiiit rinciii koiii~ilciiieii13rcii 1h.cptonre.il stcrcoclck- troiiiscli wcclisclwirkeii: annlgctischc Akti- vitit. IiiIoIgc tlcr I.okidisicrung dcs frcicn ElcLtroticiipaarcs iihcr tlcr I~hcn~lringchc- nc iiii D-Noriiiorl’liiiinii I ist kcinc stcrco- clcktronischc Wcchsclwirliung niii hctrcf- fciiilcii Rczcptoiarcnl miiglich: kcitic annl- getisdie Aktivitiit. Organischen Chemie Bio-organischen Teil 2: Beispiele aus der Bio-organischen Chemie Einleitung Eine definierte raumliche Anordnung eines freien (ungebundenen) Elektronenpaares an einem Heteroatom kann bei inter- oder intra- molekularer Wechselwirkung mit einem be- nachbarten sterisch ,richtig’ orientierten Orbi- tal zur Bevorzugung einer bestimmten Mole- kulgeometrie, zu erhohter Stabilisierung eines Ubergangszustandes oder zu besonderer Affi- nitat eines Reaktandenpaares fuhren. Diese Modellbetrachtung wird als ,stereoelektroni- scher Effekt’ bezeichnet und ist als ,Deslong- champs-Theorie’ nun in die Organisch Che- mische Literatur eingegangeii [I]. Die Anwen- dung dieser nutzlichen Modellvorstellung findet auch ihre Bestatigung in der Bio- organischen Chemie [24]”;) und damit verbun- den beim Ablauf biologischer bzw. enzymati- scher Prozesse. Irn 2. Teil dieses Aufsatzes wird an reprasentativen Beispielen die Benut- zung dieser Theorie zur Deutung der Mor- phin-Rezeptor-Wechselwirkung, zur Voraus- sage bzw. Analyse der Regio- bzw. Stereospe- zifitat der Reserpin-Isomerisierung, einiger enzymatischer Reaktionen und der nukleo- philen Ringoffnung an Penicillinen vorge- stellt. Struktur-Aktivitatsbeziehung von Morphinanen Fur eine ausreichende agonistische Wirkung fordert der Opiat-Rezeptor bei den polycycli- schen, weniger flexiblen, zentral angreifenden Analgetika wie den Morphinanen, Benzornor- phanen oder den Morphin-Derivaten eine ab- solute chirale Spezifitat. Bei den konformativ beweglicheren Analgetika wie Pethidin oder Methadon dagegen ist geometrische Anpas- sung am Rezeptorareal leichter moglich. Bel- leau [25] stellte an Morphinan-Modellsubstan- Zen eine Struktur-Aktivitatsbeziehung bei der Opiat-Rezeptor-Wechselwirkung auf. Die “1 Die Bio-organische Chemie ist die biomi- rnetische In-vitro-Chemie von Naturstoffen und analogen Verbindungen. Sie befagt sich im wesentlichen mit der ,Nachahmung’ der le- benden Natur und kann als neue interdiszipli- nare Wissenschaft zwischen der Organischen Chemie und der Biochemie verstanden wer- den. agonistische Aktivitat wird von der rdumli- chen Anordnung des freien Elektronenpaares am Stickstoffatom im starren Morphinan- Geriist empfindlich beein flufit. Die Rezeptor- affinitat und intrinsic activity ist aufgehoben, wenn im agonistisch wirksamen Morphinan 1 der Piperidinring zum Pyrrolidinring umge- wandelt wird, wie es beim D-Normorphinan 2 strukturell dargestellt ist (Abb. 1). Dieses Pha- nomen (1 aktiv, 2 inaktiv) laRt sich aus der raumlichen Orientierung des freien Elektro- nenpaares am Stickstoffatom ableiten. Nur irn Morphinan 1 ist dieses Elektronenpaar entge- gengesetzt zum Phenylring lokalisiert und kann daher uneingeschrankt mit dem komple- mentaren Rezeptorareal stereoelektronisch in Wechselwirkung treten. Bei 2 ist diese ana- loge Bindung zum Rezeptor nicht moglich, da in diesem Fall das freie Elektronenpaar am Stickstoffatom die ,falsehe’ raumliche Orien- tierung aufweist. Es wird postuliert [25], dais das freie Elektro- nenpaar bei der orientierten Anlagerung am Rezeptor in einen Protonentransfer veraickelt ist, der fur die analgetische Aktivitit mit ver- antwortlich ist. Dieser ProzeR ist am Mor- phinan 1 infolge der optimalen Orientierung dieses Elektronenpaares zweifellos erleich- tert. Stereoelektronischer Effekt bei der saurekatalysierten Epimerisierung von Reserpin zu 3-Isoreserpin Reserpin (3) ist ein labiles Alkaloid, welches in vivo wie in vitro leicht der Hydrolyse, Oxida- tion und insbesondere der C3-Epimerisierung unterliegen kann. Literaturbekannte [26] und eigene [27] Untersuchungen zur saurekataly- sierten C3-Epimerisierung lehren, daR dieser selektive Konfigurationswechsel am Alkaloid vornehmlich thermodynamisch kontrolliert ablauft, wobei in der Gleichgewichtsmischung das 3-Isoreserpin (S), das C3-Epimer, iiber- wiegt. Der Mechanismus dieser Isomerisie- Phamazie in unserer Zeit / 14. Jahrg. 1985 / Nu. 3 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, 0-6940 Wtinheirn, 1985 0048-3664/8J/0305-0085 $ 02.50/0 85

Stereoelektronische Effekte in der Organischen und Bio-organischen Chemie Teil 2: Beispiele aus der Bio-organischen Chemie

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Ulf Pindur Stereoelektronische Effekte in der und

1

Ahh. I . In dcr Vol.zugskonfi)rniation von Worpliiiian I isi das Ircic Elcktroiiciiplar riiigcgcngcsctri m r I’liciiylriiigchciic loki - lisici-1 und kaiiii ilalicr optimal iiiit rinciii koiii~ilciiieii13rcii 1h.cptonre.il stcrcoclck- troiiiscli wcclisclwirkeii: annlgctischc Akti- v i t i t . IiiIoIgc tlcr I.okidisicrung dcs frcicn ElcLtroticiipaarcs iihcr tlcr I~hcn~lringchc- nc i i i i D-Noriiiorl’liiiinii I ist kcinc stcrco- clcktronischc Wcchsclwirliung niii hctrcf- fciiilcii Rczcptoiarcnl miiglich: kcitic annl- getisdie Aktivitiit.

Organischen Chemie

Bio-organischen

Teil 2: Beispiele aus der Bio-organischen Chemie

Einleitung

Eine definierte raumliche Anordnung eines freien (ungebundenen) Elektronenpaares an einem Heteroatom kann bei inter- oder intra- molekularer Wechselwirkung mit einem be- nachbarten sterisch ,richtig’ orientierten Orbi- tal zur Bevorzugung einer bestimmten Mole- kulgeometrie, zu erhohter Stabilisierung eines Ubergangszustandes oder zu besonderer Affi- nitat eines Reaktandenpaares fuhren. Diese Modellbetrachtung wird als ,stereoelektroni- scher Effekt’ bezeichnet und ist als ,Deslong- champs-Theorie’ nun in die Organisch Che- mische Literatur eingegangeii [I]. Die Anwen- dung dieser nutzlichen Modellvorstellung findet auch ihre Bestatigung in der Bio- organischen Chemie [24]”;) und damit verbun- den beim Ablauf biologischer bzw. enzymati- scher Prozesse. Irn 2. Teil dieses Aufsatzes wird an reprasentativen Beispielen die Benut- zung dieser Theorie zur Deutung der Mor- phin-Rezeptor-Wechselwirkung, zur Voraus- sage bzw. Analyse der Regio- bzw. Stereospe- zifitat der Reserpin-Isomerisierung, einiger enzymatischer Reaktionen und der nukleo- philen Ringoffnung an Penicillinen vorge- stellt.

Struktur-Aktivitatsbeziehung von Morphinanen

Fur eine ausreichende agonistische Wirkung fordert der Opiat-Rezeptor bei den polycycli- schen, weniger flexiblen, zentral angreifenden Analgetika wie den Morphinanen, Benzornor- phanen oder den Morphin-Derivaten eine ab- solute chirale Spezifitat. Bei den konformativ beweglicheren Analgetika wie Pethidin oder Methadon dagegen ist geometrische Anpas- sung am Rezeptorareal leichter moglich. Bel- leau [25] stellte an Morphinan-Modellsubstan- Zen eine Struktur-Aktivitatsbeziehung bei der Opiat-Rezeptor-Wechselwirkung auf. Die

“1 Die Bio-organische Chemie ist die biomi- rnetische In-vitro-Chemie von Naturstoffen und analogen Verbindungen. Sie befagt sich im wesentlichen mit der ,Nachahmung’ der le- benden Natur und kann als neue interdiszipli- nare Wissenschaft zwischen der Organischen Chemie und der Biochemie verstanden wer- den.

agonistische Aktivitat wird von der rdumli- chen Anordnung des freien Elektronenpaares am Stickstoffatom im starren Morphinan- Geriist empfindlich beein flufit. Die Rezeptor- affinitat und intrinsic activity ist aufgehoben, wenn im agonistisch wirksamen Morphinan 1 der Piperidinring zum Pyrrolidinring umge- wandelt wird, wie es beim D-Normorphinan 2 strukturell dargestellt ist (Abb. 1). Dieses Pha- nomen (1 aktiv, 2 inaktiv) laRt sich aus der raumlichen Orientierung des freien Elektro- nenpaares am Stickstoffatom ableiten. Nur irn Morphinan 1 ist dieses Elektronenpaar entge- gengesetzt zum Phenylring lokalisiert und kann daher uneingeschrankt mit dem komple- mentaren Rezeptorareal stereoelektronisch in Wechselwirkung treten. Bei 2 ist diese ana- loge Bindung zum Rezeptor nicht moglich, da in diesem Fall das freie Elektronenpaar am Stickstoffatom die ,falsehe’ raumliche Orien- tierung aufweist.

Es wird postuliert [25], dais das freie Elektro- nenpaar bei der orientierten Anlagerung am Rezeptor in einen Protonentransfer veraickelt ist, der fur die analgetische Aktivitit mit ver- antwortlich ist. Dieser ProzeR ist am Mor- phinan 1 infolge der optimalen Orientierung dieses Elektronenpaares zweifellos erleich- tert.

Stereoelektronischer Effekt bei der saurekatalysierten Epimerisierung von Reserpin zu 3-Isoreserpin

Reserpin (3) ist ein labiles Alkaloid, welches in

vivo wie in vitro leicht der Hydrolyse, Oxida- tion und insbesondere der C3-Epimerisierung unterliegen kann. Literaturbekannte [26] und eigene [27] Untersuchungen zur saurekataly- sierten C3-Epimerisierung lehren, daR dieser selektive Konfigurationswechsel am Alkaloid vornehmlich thermodynamisch kontrolliert ablauft, wobei in der Gleichgewichtsmischung das 3-Isoreserpin (S), das C3-Epimer, iiber- wiegt. Der Mechanismus dieser Isomerisie-

Phamazie in unserer Zeit / 14. Jahrg. 1985 / Nu. 3 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, 0-6940 Wtinheirn, 1985 0048-3664/8J/0305-0085 $ 02.50/0

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rung gilt heute als gesichert [28] (Schema 1). Die Methoxygruppe am Indolkern in 3 akti- viert die Indol-C-2-Position fur den elektro- philen Angriff des Protons. Im ersten Reak- tionsschritt bildet sich ein 2H-Indoleninium- Ion, welches unter Ringoffnung an C-2/C-3 zum Iminium-Ion 4 reagiert. Letzteres stellt die zentrale Schlusselverbindung der Gleich- L

gewichtslage dar. Nach einer Art Mannich- Reaktion kann sich im Verlauf der Ruckreak- tion das p , -A0 der Indol-C-2-Position in 4 dem p,-A0 des Carbenium-Zentrums von der Re- oder Si-Seite") nahern, wodurch schliefi- lich Reserpin (3) (Angriff von der Si-Seite) und 3-Isoreserpin (5) (Angriff von der Re-Seite) entstehen konnen (Abb. 2). Modellstudien lehren in Ubereinstimmung mit synthetischen Studien an analogen Iminium-Salzen [29], dafi der intramolekulare Angriff des Indol-C-2-pz- A 0 am Carbeniumzentrum von der Si-Seite im Sinne einer trans-Addition mit der stereo- elektronischen Kontrolle im Einklang steht. In diesem Fall kann sich ein relativ span- nungsfreier Ubergangszustand 6 mit nahezu kolinearer Geometrie der wechselwirkenden Orbitale ausbilden. Die sterischen Effekte sind auf ein Minimum reduziert. Ein weitge- hend kolinearer Angriff des Indol-C-2-p7-A0 von der Re-Seite ist dagegen durch Span- nungserhohung im benachbarten Kerngerust, verbunden mit dem Aufbau einer Bootkonfor- mation im Ring D, erschwert (Ubergangszu- stand 7). Die Cyclisierung von 4 zum Reserpin (3) ist demzufolge stereoelektronisch begun- stigt und fordert eine kleinere Aktivierungs- enthalpie bzw. kleinere freie Aktivierungsent- halpie als die Bildung des Epimers 5 (s. Abb. 3,

"' Re und Si sind die Spezifizierungsindices prochiraler Strukturelemente nach Cahn-In- gold-Prelog und beschreiben eine zweidimen- sionale Chiralitat.

Energie-Reaktions-Diagramm). Da die hier diskutierte Epimerisierung experimentell nur ausgehend von 3 oder 5 unter thermodyna- misch kontrollierter Reaktionsfuhrung mog- lich ist, uberwiegt in der Gleichgewichtsmi- schung immer das thermodynamisch stabilere 3-Isoreserpin (5) [27]. Die Regioselektivitat der Cyclisierung von 4 (Reaktion am Indol-C- 2) steht auch im Einklang mit den Cyclisie- rungsregeln von Baldwin [30], die sehr eng mit der stereoelektronischen Kontrolle verknupft sind.

Stereoelektronischer Effekt bei enzymatischen Reaktionen

Die meisten enzymatisch katalysierten Reak- tionen organischer Substrate finden an Funk- tionalitaten statt, die Heteroatome aufweisen. Daher sollten stereoelektronische Effekte, wie sie bereits bei einfachen organisch chemischen Reaktionen auftreten (s. Ted I), bei den meist absolut stereospezifisch verlaufenden enzy- matischen Prozessen eine noch grogere Rolle spielen. In der Tat trifft dies fur zahlreiche im biologischen Milieu ablaufende und in vitro nachvollziehbare Enzymreaktionen zu, z. B. die Hydrolyse von Acetalen (Glykosiden), Peptiden (Proteinen), die Carboxylierung, De- carboxylierung, Redox-Reaktionen u. a. Aus der groflen Zahl dieser biochemischen Reak- tioflen werden hier drei reprasentative Bei-

Ahh. 2. Hypothctisclic Gcoiiictricii clcr Ubergnn~szust~iidc dcr Iiiiiiiiuiii-Ioii-(:y- clisicrung ZLI Kcscrpin (3) und 3-lsore.scrpin (5). Dcr Ubcrgangsmstnnd 6 .rcsulticrt iius dcr Wcchsclwirkung dcs p,-A0 an dcr In- dol-C:-2-l'osition niit dcm pl-AO dcs Cnrhc- niuni-%cntruiiis vim tier Si-Scitc dcr Iiiiiiii- wii-Struktur. Die nnlirm spiiinungsfrcic kolincnrc .,SN2-nrtigcm Gcoiiictric aiii Rc:ik- tionsort fiihrt m r bcvoi-zugtcn stcrcoclck- trcmisch kontmllicrtcn Cyclisicrung ~ i i i

Rcscrpiii (-3). Im 0 hcrgangsnistniiil 7 cr- folgt die Wc!hselwirkung tles p,-AO w i i i

Indol an ilcr Kc-Scitc dcs Iiiiiiiiuiii-Ions. Einc nnIie!m kolincnrc AnnAicruiig ilcr wcchsclwirkcndcn p-Orbit.de ist durch i h f - bau vim Spminung i i i i bennclibartcn licrii- gcriist (Bootkonfi~rnintioii iiii King I)) cr- schwcrt, so dnli infolgc dicscr strrcoclcktro- nisch ungiiiistigcii Situation die Cyclisic- rung zuni 3-lsorcscrpin ( 5 ) cine Iiiilicrc Aktivicrungscncrgic crfiwdcrt. Die positivc I d u n g dcr Iiiiiniuiii-Strulitiir wiril in den Obc~angsziist~iitcii pnrticll in das I ndoloy s ten1 ,clc lo kal isicrc i f .

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Sclienia 2: 13-Glykosidc 8 wcrdcn nus dcr cncrgicreichcrcn Uootkonfc~rinatioii 9 hy- drolysiert. tla nus dicscr Geometric untcr minimaler Strukturiiidcrung iii i Sinnr dcr stcrcoclektronischcn Rontrollc das Oxocar- heniuniion /C in dcr Hnlhscssclkoiif~,niia- tion cntstcht. Am L~soz).iii-Substrat-~ioiii- plcx wird dcni Molckiil X cine I.ialbscsscl- konforniation aufgrzwungcn. die ihnlich wic bci 9 nun glatt hydrolysicrt wcrtlcn kann.

Schema 3.

Sclicnin -k A m I~nzyi i i -<:osul~st i -at -~~~i i i~ lrs crfolgt :in tlcr lion foriiiation 1.3 stereo- clcktroniscli hcschlcunigtc Abspdtung tlcs Hc-, da das frcic Elcktronenpaar am Stick-

spiele aufgefiihrt, die zeigen sollen, welcher Stellenwert dem stereoelektronischen Effekt

stGffatom und das zu cliniinierendc Hydrid- anion antipcriplanar angeordnet sind. Am

am Enzym-Substrat-Komplex zukommt.

Lysozym-katalysierte Hydrolyse von P-Glykosiden

a-Glykoside werden glatt aus ihrer Sessel- Grundzustandskonformation (s. Teil 1) hy- drolysiert. Konformativ flexible 0-Glykoside 8 miissen dagegen erst eine energiereiche Bootkonformation 9 einnehmen, um den opti- malen stereoelektronischen Verhaltnissen fur einen Hydrolyseprozefi zu entsprechen (Sche- ma 2). P-Glykoside 8 werden durch Lysozym- Katalyse selektiv hydrolysiert. Das stereoelek- tronische Konzept gestattet die Voraussage, dafi offensichtlich am Enzym-Substrat-Kom- plex dem P-Glykosid die ,richtige’ aktive Kon- formation aufgezwungen wird.

In der Tat zeigen Untersuchungen an Lyso- 3

zym-Oligosaccharid-Komplexen mit P-Gly- kosid-Einheiten [31], dai3 die Pyran-Sessel- Konformation durch Wechselwirkung mit der Enzymstruktur zur energiereicheren Halbses- selkonformation tordiert ist. Durch die Anhe- bung der Grundzustandsenergie und durch die verbesserte stereoelektronische Orientie- rung, die mit der Bootkonformation 9 weitge- hend iibereinstimmt, wird am Enzym-Sub- strat-Komplex die Aktivierungsenergie zur Spaltung der nunmehr axial angeordneten OR-Bindung an C-1 erniedrigt (Schema 2).

Alkoholdehydrogenase-Katal yse

Die Alkoholdehydrogenase ist ein Zn-haltiges Enzym, welches die Oxidation von Alkoholen zu den entsprechenden Aldehyden oder Keto- nen katalysiert. Als Wasserstoff-Donor bzw. -Acceptor fungiert in dieser reversiblen Reak- tion das Coenzym Nicotinamidadenindinu- cleotid 11 (Schema 3). Der Hydrogentransfer an 11 ist stereospezifisch und verlauft je nach Enzymklasse unter Abspaltung des pro-R oder pro-S-Hydridions”). Experimentelle Er- gebnisse von Benner [32] fiihrten zur Aufstel-

Enxym A-Cosubstmt-Komplex 12 sind die stcreoclektronischen Verhfiltnissc ungiin- stiger, so dalS die Abspaltung von H,- rcla- tiv Zuni Komplex 1.3-8 Iangsamcr erfolgt. Die anti- und syn-Konformationcn wcrden durch Rotation um die zcntmlc Ribose-N- Dihydropyridin-0-Bindung gebildet.

lung der Hypothese, dafi der enzymatisch katalysierte Transfer des pro-R- bzw. pro-S- Hydridions dann ablauft, wenn der 1,4- Dihydropyridinring in der anti- oder syn- Konformation 12, 13 vorliegt (Schema 4). Anti-NADH (12) ist ein schwacheres Re- duktionsmittel als synNADH 13. Dieser Reaktivitatsunterschied beider Konformatio- nen lafit sich mit der stereoelektronischen Theorie erklaren. Nur in der syn-Konforma- tion 13 (Schema 4) weist das freie Elektronen- paar am Stickstoffatom stereoelektronisch optimale anti-Orientierung zur H,-Ab- gangsgruppe auf. Die Stereospezifitat der Hydrid-Abstraktion am Enzym-Cosubstrat- Komplex wird durch die Einstellung der anti- oder syn-Konformation und damit verbunden durch die raumliche Anordnung von NADH am aktiven Zentrum gesteuert.

~

Abb. 3. Hypothetischcs L:.ncrgic-Kcaktions- Diagrnnini dcr C-3-Epiiiicrisicrung w n Rc- scrpin (3) bzw. 3-lsorcsrrpin ( 5 ) (sclicniati- sicrt und vcrcinfacht).

’’ pro-R bzw. pro-S sind die Spezifizierungs- indices enantiotoper Substituenten.

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Schema 5.

Peptid-Hydrolyse

Bei der Proteasen-katalysierten Bindungsspal- tung an Peptiden wurde unter dem Aspekt des stereoelektronischen Faktors das Verstandnis zum Reaktionsmechanismus bedeutend er- weitert. Aus dem weiten Feld der enzymati- schen Peptidspaltungen wird hier eine repra- sentative Reaktion der Chymotrypsin-Kataly- se diskutiert. Chymotrypsin (E-OH), eine Serin-endopeptidase, reagiert durch nukleo- philen Angriff an der Carbonylgruppe arorna- tischer Aminosauren in der Peptidkette 14 (Schema 5). Daraus resultiert eine tetraedrale Zwischenstufe 15, welche zum Acyl-Enzym 16 und zum Peptidspaltstiick 17 zerfallt (Schema 5). 16 wird durch Wasser hydroly- siert, wobei das Enzym (E-OH) regeneriert wird. Bei dieser Reaktion spielt die Hydroxyl- funktion einer Seringruppe (Ser-195) im Chy- motrypsin eine Schliisselrolle. Im Enzymver- band erfolgt Erhohung der nukleophilen Reaktivitat der OH-Funktion durch Wechsel- wirkung mit enzymeigenen, raumlich benach- barten Aminosauren, wie Asp-107 und His-57 (Schema 6). Diese wirken als ,Proton-Relay- System' beim Aufbau und auch beim Zerfall der tetraedralen Zwischenstufe, wobei in einem gekoppelten ProzeR Protonentransfer, Bindungsbildung und Bindungsspaltung ab- laufen (Schema 6).

An Molekulmodellen von Trypsin- bzw. Chy- motrypsin-Enzym-Substrat-Komplexen [33] wurden die sterischen und stereoelektroni-

schen Wechselbeziehungen dieser Katalyse nachvollzogen. In Schema 7 sind diese Pro- zesse his zur Stufe des Acylenzyms und des Peptidspaltstucks aufgezeigt. Diese anschauli- che Darstellung der orientierten Bindungsum- gruppierung und Gruppenwanderung eriib- rigt eine stufenweise Beschreibung aller Reak- tionsschritte. Es sol1 iedoch angemerkt wer- den, dai3 das Stickstoffatom in der tetraedralen Zwischenstufe von 19 nach 20 einer Walden- umkehr und der Imidazolring in 20 nach 21 einem H-Briickentransfer unterliegen. In 21 sind schliei3lich die optimalen stereoelektro- nischen Voraussetzungen fur die Spaltung der tetraedralen Zwischenstufe zu 22 und zum kiirzeren Peptidfragment R-NH2 (23) gege- ben.

Orientierte nukleophile Addition an Penicilline

Das Penam-Geriist der Penicilline 24 besitzt hohere elektrophile Reaktivitat als einfache p- Lactame. Im biologischen Milieu acylieren die Penicilline nukleophile Biopolymere, vi vie ' u. a. die Transpeptidase von grampositiven Bakte- rien, die fur den Aufbau des Murein-Zell- wandgeriistes essentiell ist (biochemisches Prinzip der Penicillin-Wirkung). Die erhohte Reaktivitat, die Carbonsaureanhydriden na- hekommt, ist neben der Molekiilspannung auf eine Storung der Amid-Mesomerie zuriickzu- fiihren, die durch die Faltung des Ringsystems und die dadurch erzwungene pyramidale Geometrie des Ringstickstoffs bedingt ist.

Infolge dieser V-formigen starren Struktur sollte sich die Elektronendichte des P-Lactam-

N-Elektronenpaares auf der a-Seite des Peni- cillinmolekiils 24 konzentrieren, was die Be- hinderung der Koniugation mit der Carbonyl- gruppe erklart. Nach der Theorie der stereo- elektronischen Kontrolle sollte der Angriff eines Nukleophils auf die Lactamcarbonyl- Gruppe so erfolgen, daR die Elektronenpaare an den Heteroatomen der Lactamstruktur an- tiperiplanar zur angreifenden Gruppe ange- ordnet sind. Demnach mufite der nukleophile Angriff am Penicillin 2.1 bevorzugr von der p- Seite stattfinden. Die aus dieser Reaktion re- sultierende tetraedrale Zwischenstufe 25 be- sitzt im Vergleich zur Zwischenstufe 26 (a- Angriff) weniger gespannte cis-Geometrie (Schema 8). Andererseits ist iedoch die P-Seite der Ldctamstruktur sterisch starker gehindert, so dai3 auch der a-Angriff in Betracht gezogen werden mug, der indes allen Voraussetzungen der stereoelektronischen Theorie wider- spricht. In der Tat lehren kinetische Studien von Page [34], daB der a-Angriff an der Lac- tamstruktur favorisiert ist und im ersten Schritt das tetraedrale Konformer 27 gebildet werden sollte.

Dieses letzte Beispiel macht deutlich, dafi die Voraussage anhand der Theorie der stereo- elektronischen Kontrolle nicht in allen Fallen mit dem sorgfaltig durchgefiihrten Experi- ment im Einklang steht. Insbesondere wenn die sterischen Effekte dominieren, dann kon- nen von dieser Theorie abweichende Regio- bzw. Stereospezifitaten einer Reaktion vorlie- gen. Dies andert iedoch nichts an der Tatsache, dafi bei zahlreichen Beispielen aus der Litera- tur (und es kommen laufend neue hinzu) das Experiment mit der stereoelektronischen Kontrolle gut korreliert, so dafi diese Modell- vorstellung fur die Organische Chemie und Bio-organische Chrmie zweifellos von gro- Oem Gewicht und von allgemeiner Bedeutung ist.

Literatur

[ l ] bis [23] siehe Heft 2, S. 55

[75] B.Belleau, Stereoelectronic Regulation of the Opiate Receptor, Some Conceptual Pro-

88 Pbmmazie in unserer Zrit / 14. Jahrg. 1985 / Nr. 3

Page 5: Stereoelektronische Effekte in der Organischen und Bio-organischen Chemie Teil 2: Beispiele aus der Bio-organischen Chemie

Schema 7: N;ich Modellstudien :in Trypin- hzw. Chymotrypsin-Substrat-liomplcxcn aufgcstclltcr Rcaktionswcg cincr Peptid- spaltung. Man bcachte die Waldcnunikchr an1 StickstofCatom an dcr tetracdralcn Zwi- schcnstiifc in I!, xu 25 und die optimalen stcrcoelektrc~nischcn Vcwaiissctzungcn in 2 / , die n ir Spaltung in 22 iind 2.3 fuhrcn.

blems, in ,,Chemical Regulation of Biologicai Mechanism", Cambridge, 1982, Burlington House. London.

[31] D. M. Chipman, N. Sharon, Science 165, 454 (1969).

[32] S. A. Benner, Experientia 38, 633 (1982).

[33] S. A. Bizzozero, H. Durler, Bioorg. Chem. 10, 46 (1981).

[34] A. F. Martin, J. J. Morris, M. I. Page, J. Chem. SOC., Chem. Comm. 1979, 298.

Das vollstandige Literaturverzeichnis kann nicillincn. beim Autor angefordert werden.

Vorstellung des Autors siehe Pharmazie in un- serer Zeit 12, 135 (1983) und 11, 74 (1982).

Schema 8: Nuklcophilc RingfiCfnung an I'c-

Y- = nuklcophiles Biopolynier Anschrift: Prof. Dr. Ulf Pindur, Institut fur Pharmazie und Lebensmittelchemie der Uni- versitat, Am Hubland, 8700 Wiirzburg.

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