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Proseminararbeit GW-WiKu
zur Planung einer Unterrichtssequenz für die SEK 1
(3.Klasse AHS) zum Themenfeld:
ÖsterReich und ÖsterArm – Armut ist
kein Randphänomen!
Fotoquelle: APA, Jaeger Robert
Erstellt im Zuge der Lehrveranstaltung:
PS - Fachdidaktik der Wirtschaftskunde
im GW-Unterricht
Univ. Lekt. Mag.a Dr.
in Ingrid Schwarz
Verfasser:
Felix Magnus Bergmeister, MN: 9806309
Sommersemester 2013
ii
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ............................................................................................................................... 1
2. ÖsterReich & ÖsterArm - Armut ist kein Randphänomen .................................................... 2
2.1 Einstieg ................................................................................................................................. 3
2.2 Stationsbetrieb… .................................................................................................................. 3
2.3 Station 1: Die vielen unterschiedlichen Gesichter von Armut hier und weltweit ................ 3
2.4 Station 2: Konsum und Mindestsicherung – wie viel kostet ein Besuch im
Onlinesupermarkt ....................................................................................................................... 4
2.5 Station 3: Der „soziale Absturz“ – vier Fallgeschichten auf dem Weg in die Armut .......... 4
2.6 Station 4: Klassenexperiment - Armut und Unterprivilegierung selbst erfahren ................ 5
2.7 Ergebnissicherung ................................................................................................................ 6
3. Verortung der Thematik im Lehrplan .................................................................................... 6
4. Lebensweltorientierte ökonomische Bildung und die Frage nach Kompetenzen ................. 8
5. Stundenpläne .......................................................................................................................... 9
6. Materialien ........................................................................................................................... 12
7. Quellen ................................................................................................................................. 19
„Das Wichtigste ist die Bekämpfung der Armut. Unter Armut verstehe ich nicht nur Hunger, sondern arm ist, wer an der Entwicklung in der Gesellschaft nicht teilhaben kann. Da muss die Politik eingreifen. Armutsbekämpfung ist das mit Abstand wichtigste Ziel einer globalen Entwicklung.“ (Prof. Manfred Nowak, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, wissenschaftlicher Leiter des Boltzmann Instituts für Menschenrechte in Wien, zit. in Polis Aktuell1/2010)
1
1. Einleitung
Betrachtet man traditionelle volkswirtschaftliche Wohlstandsindikatoren wie das BIP/Kopf in
Kaufkraftstandards verschiedener EU Länder herrschen teils deutliche Disparitäten zwischen
den einzelnen Staaten. Ein Vergleich der Mitgliedsstaaten lässt erkennen, dass Österreich
nach Luxemburg das zweitreichste Land in der EU ist. Das Österreichische BIP/Kopf liegt
damit rund 30 Prozent über dem EU Schnitt, während sich jenes der beiden ärmsten
Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien mehr als 50 Prozent darunter befindet (Der Standard
2013: o.S.). Die Vermeidung und Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung stellen
demgemäß auf nationaler wie auch auf EU-Ebene bedeutende Ziele der Sozialpolitik dar. Ein
Ziel der Europa 2020-Strategie besteht darin, die Zahl der von Armut betroffenen Personen
von 2008 bis 2018 um die Hälfte zu reduzieren (BMASK 2012: 20).
Doch wie sieht es nun mit der Armut in Österreich aus? Gibt es denn arme Menschen in
Österreich? Statistisch gesehen gelten in der EU Personen als Armutsgefährdet die über
weniger als 60 Prozent des nationalen Medianeinkommens verfügen. In Österreich sind eine
Million Menschen armutsgefährdet, also rund 13 Prozent der Bevölkerung die weniger als
1031 Euro Brutto im Monat zu Verfügung haben. Im Falle zusätzlicher Deprivationsfaktoren
wie Krankheit und schlechter Wohnsituation gelten die betroffenen Personen als akut arm. In
unserem Land sind rund 500.000 Menschen akut arm, bzw. sechs Prozent aller
EinwohnerInnen (Caritas 2011: 4). Offensichtlich zeigt sich die Armut jedoch bei weitem
nicht in allen Fällen (keine Wohnung, keine Arbeit, zerrissene Kleidung…). Oft spielen sich
Ängste, Nöte und Existenzsorgen hinter verschlossenen Türen ab und Menschen rutschen
tiefer in die Abwärtsspirale aus Beschämtheit in der Gesellschaft versagt zu haben und
Verzweiflung das Nötigste nicht finanzieren zu können.
Wann ist man also arm, wie wird man arm und welche Menschen sind in Österreich
vorrangig von Armut betroffen? Diesen aktuellen gesellschaftlichen Schlüsselfragen sind
Ausgangspunkt der vorliegenden Unterrichtsplanung für das Proseminar „Fachdidaktik der
Wirtschaftskunde im GW Unterricht“. Die vorliegende Arbeit enthält eine detaillierte,
fachdidaktisch und methodisch argumentierte Planung von einer Unterrichtssequenz
(Doppelstunde) für eine 3. Klasse AHS zum Themenfeld „Österreich und Österrarm“.
Gemäß den in der Lehrveranstaltung diskutierten Themen und Methoden werden Einstiege,
Erarbeitungsphasen sowie Ergebnissicherungen der vorgestellten Unterrichtssequenzen
2
solcherart konzipiert, dass sie den Erwerb von Kenntnissen, Einsichten und Fähigkeiten in
den folgenden fünf Kompetenzbereichen unterstützen:
Sozial- und Selbstkompetenz
Methoden Kompetenz
Volkswirtschaftliche Kompetenz
Betriebswirtschaftliche Kompetenz
Politische Bildung
Darüber hinaus wird die in den Lehrplänen der AHS geforderte Implementierung von
offenen Lern- und Lehrformen berücksichtigt und die im Folgenden skizzierten
Unterrichtsaktivitäten dahingehend gestaltet.
Der folgende Abschnitt soll nun einen Überblick über die Ziele und Aktivitäten der geplanten
Unterrichtsbeispiele geben, sowie die gewählten Themenfelder gemäß der Forderungen der
entsprechenden Lehrpläne (AHS Unterstufe) verorten. Eine detaillierte, chronologische
Auflistung der einzelnen Lernziele und Methoden ist anschließend in den Stundenbildern
(Punkt 5) enthalten. Die Materialien und Kopiervorlagen befinden sich im Anhang (Punkt 6).
2. ÖsterReich und ÖsterArm: Armut ist kein Randphänomen
(SEK 1)
Ziel dieser Unterrichtssequenz für die SEK 1 (3. Klasse AHS) ist es SchülerInnen die
Einsicht zu vermitteln, dass Armut in Österreich kein Randphänomen ist. Über eine
Million Menschen sind von Armut gefährdet und eine weitere halbe Million Menschen gelten
als akut arm. Würden alle armen Menschen Österreichs in einer Stadt leben hätte diese nach
der Bundeshauptstadt Wien die zweitmeisten Einwohner!
Sehr wichtig ist die Erkenntnis, dass Armut in Österreich zwar allgegenwärtig, aber
sehr oft nicht offensichtlich ist. Viele Menschen leiden hinter verschlossenen Türen und es
mangelt ihnen doch am Notwendigsten wie Heizmaterial, warmer Kleidung und die Aussicht
auf dauerhafte Verbesserung ihrer Situation. Zur materiellen Notlage gesellt sich dazu oft die
Angst dominanten gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen zu können. Es folgt in
einer Vielzahl der Fälle eine Abkapselung nach außen und der Verlust von sozialen
Kontakten. Aus materieller Armut wird immaterielle Not und soziale Ausgrenzung.
3
Kritisches Augenmerk wird in dieser Arbeit auf die verschiedenen Formen von Armut
(Armutsgefährdung, akute Armut), deren Verbreitung, sowie auf die Dynamik ihrer
Entstehung gelegt. Es ist Ziel aufzuzeigen, dass Armut viele Ursachen haben kann und
jeder Mensch von Armut betroffen werden kann.
Dies als Ausgangspunkt nehmend, sollen Schüler und Schülerinnen die Wechselbeziehung
zwischen Armut, Arbeitswelt und einer Reihe sozioökonomischer Faktoren (Einkommen,
Bildung, Status, Wohnen, Konsum, Sozialleistungen) erkennen und in Bezug auf ihre
lebensweltliche Situation kritisch reflektieren.
2.1 Einstieg
Zum Einstieg bekommen die SchülerInnen ein Arbeitsblatt mit einem ÖsterReich-Quiz zur
aktuellen Armutssituation in Österreich. Die Lernenden sollen im Sinne eines
konstruktivistischen Lern- und Lehrverständnisses in ihrer unmittelbaren Lebenswelt abgeholt
werden und für die folgende Erarbeitungsphase der zu diskutierenden Problemstellungen
vorbereitet werden. Die Kinder füllen dabei in PartnerInnenarbeit ein kurzes Quiz zur
aktuellen Armutssituation in Österreich aus. Im Anschluss werden die Fragen in einer
Klassendiskussion aufgelöst.
2.2 Stationenbetrieb
Es werden (anhängig von der SchülerInnenzahl) 4 Gruppen mit 5 bis 6 Personen gebildet. Für
jede Station stehen 15 Minuten zu Verfügung. Die Arbeitsmaterialien sind vorbereitet und alle
SchülerInnen verfügen über Laptops und Internetzugang.
2.3 Station 1: Die vielen unterschiedlichen Gesichter von Armut hier und
weltweit
Station 1 thematisiert die vielfältigen Erscheinungsformen und Ursachen von Armut hier und
weltweit. SchülerInnen erkennen, dass sich Armut in Entwicklungsländern zwar deutlich von
Armut in modernen Industrieländern unterscheidet, es im „reichen Westen“ aber genau so
arme Menschen gibt. Wichtig sind dabei die Differenzierung zwischen relativer und
absoluter Armut sowie das Erkennen der Interrelation zwischen spezifischen
Ausprägungsformen von Armut und den sozio-ökonomischen Begleitumständen in der
jeweiligen Kultur.
4
Des Weiteren wird thematisiert, dass Armut ein globales Problem ist, welches im Rahmen der
UN Millenniumsziele adressiert wird. Eine Statistik mit aktuellen Zahlen zur Armutssituation
weltweit soll als Grundlage der kritischen Evaluation der Zielerreichung durch die
Millenniumsziele dienen. Schließlich wird anhand eines Beispiels (ein Blick ins Leben von
Thomas aus Linz) eine persönliche Geschichte von Armut erzählt. SchülerInnen sollen nun
beurteilen welche Formen von Armut in Kombination mit welchen sozio-ökonomischen
Begleitumständen im Fall von Thomas zu beobachten sind.
2.4 Station 2: Konsum und Mindestsicherung – was kostet ein Besuch im
Online Supermarkt?
Seit 2011 gibt es in Österreich die Mindestsicherung. Ziel einer staatlichen Mindestsicherung
ist vorrangig die Verhinderung des Abrutschens von Menschen in Notlage in die akute Armut
sowie das Ermöglichen von menschwürdigen Lebensumständen und die Teilnahme an der
Gesellschaft. Mit 749 Euro für Einzelpersonen (inkl. Wohnkostenbeihilfe) liegt die
Mindestsicherung jedoch ziemlich genau 200 Euro unter der Einkommensgrenze für die
Armutsgefährdung! SchülerInnen sollen kritisch beurteilen inwiefern eine Teilhabe an der
Gesellschaft mit einem solchen Betrag möglich ist. Im Rahmen eines Besuchs in einem
Onlinesupermarkt sollen die eigenen Konsumgewohnheiten mit den eingeschränkten
finanziellen Möglichkeiten von MindestsicherungsempfängerInnen kontrastiert werden und so
erkannt werden, dass eine geringere finanzielle Ausstattung auch zu realen Einschränkungen
der täglichen, für ganz „normal“ erachteten Konsumgewohnheiten führt. Die eigene Position
als KonsumentIn soll kritisch hinterfragt werden und es soll verdeutlicht werden, dass die
Mindestsicherung nicht vor Armut schützt!
2.5 Station 3: Der soziale „Absturz“ – vier Fallgeschichten auf dem Weg in
die Armut
Station 3 thematisiert den sozialen Absturz in die Armut mit Hilfe von 4 (erfundenen aber
durchaus realistischen) Fallgeschichten, die so oder so ähnlich von der Caritas regelmäßig
erlebt werden. Die Station ist als Gruppenspiel aufgebaut und es ist das Ziel den sozialen
Absturz nicht nur kognitiv-analytisch zu beleuchten sondern ganzheitlich-taktil zu
erfahren.
Zu diesem Zweck verteilt die Spielleitung (ein Gruppenmitglied) Papierstreifen mit
verschiedenen Armutsursachen, dass jede Person in der Gruppe drei bis vier Streifen
5
bekommt. Die SchülerInnen binden nun die Streifen jeweils an einen Bindfaden und spannen
diesen über einen Wasserkübel mit Hilfe eines Klebebandes. Anschließend legen sie eine
Legofigur auf die straff gespannten Fäden, die symbolisieren das Netz der sozialen
Sicherheit. Nun ist wieder der/die SpielleiterIn an der Reihe. Er/sie liest der Reihe nach die
Rollenkarten vor und sobald einer der Armutsgründe genannt wird, die auch auf den
Papierstreifen stehen, wird der entsprechende Faden durchgeschnitten – solange bis die Figur
ins Wasser fällt und den sozialen Absturz erlebt.
Ziel ist es, dass SchülerInnen die Dynamik des sozialen Absturzes erkennen und dabei
überlegen wo Parallelen zum täglichen Leben gezogen werden können. Des Weiteren soll
verdeutlicht werden, dass einige der Armutsursachen (mangelnde Schulbildung,
abgebrochene Berufsausbildung) bei fast allen der Fallbeispiele vorkommen und deshalb
wesentliche Punkte darstellen, die in Bezug auf die eigene Zukunftsplanung der
Schülerinnen beachtet werden sollten um sich wirkungsvoll gegen das Abgleiten in die Armut
zu schützen.
2.6 Station 4: Klassenexperiment – Armut und Unterprivilegierung selbst
erfahren
Station 4 greift das Wechselspiel von Armut und Unterprivilegierung auf. Im Rahmen eines
Klassenexperiments sollen die Gefühle, Ängste, Nöte und Bedürfnisse von
marginalisierten AkteurInnen erfasst werden um so die eigene, oftmals komfortable
Position kritisch zu hinterfragen. Unterdrückung und Diskriminierung sollen durch das
Experiment gezeigt werden, durch das exemplarische Erleben von gesellschaftlichen
Spannungen soll das Ungleichgewicht zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten
erfahren werden.
Die Gruppe (5 bis 6 Personen) wird geteilt in arm und reich (durchzählen). Die Armen
verlassen den Raum während die Reichen ihre Schultaschen auslehren und die Hefte und
Bücher am Boden verteilen. Die Armen werden nun wieder in den Raum gerufen. Sie haben
Redeverbot während ihnen die Reichen anschaffen die Unterlagen vom Boden
aufzusammeln und wieder in die Schultaschen einzuräumen.
Anschließend erfolgt eine Reflexion und Auflösung der erlebten Rollen. SchülerInnen
tauschen sich darüber aus wie sie sich in ihren Rollen gefühlt haben und überlegen wie die
gemachten Erfahrungen auf ihre unmittelbare lebensweltliche Umgebung übertragbar sind.
6
Wo gibt es marginalisierte Akteure, Armut und daraus resultierende Unterdrückung? Welche
Möglichkeiten bestehen diesen Missständen im Alltag zu begegnen. Zu diesem Zweck wird
ein kollaboratives Plakat angefertigt auf dem die SchülerInnen ihre Vorschläge präsentieren.
Auch hierbei soll auf die anderen Gruppen Rücksicht genommen werden. Es soll für die
Vorschläge der anderen SchülerInnen genügend Platz gelassen werden und auf diese auch
eingegangen werden.
2.7 Ergebnissicherung
In einer abschließenden Ergebnissicherung im Rahmen einer Klassendiskussion sollen
schließlich die Eindrücke, Erkenntnisse und Einsichten der Aktivitäten reflektiert werden und
Vorschläge für einen Ausgleich zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten
generiert und begründet werden. Dabei wir unter anderem das kollaborative Poster
besprochen, das bei Station 4 angefertigt wurde. Wichtig ist vor allem die Einsicht, dass der
Abbau von sozialer Ungleichheit oft nur bedingt mit der verinnerlichten Performanz vieler
Alltags- und Konsumgewohnheiten harmonieren kann und natürlich, dass sozial
verantwortungsvolles Handeln den Einsatz jedes und jeder Einzelnen verlangt.
3. Verortung der Thematik im Lehrplan
Das Thema dieser Unterrichtseinheit koinzidiert mit den Vorgaben des Lehrplanes der AHS
Unterstufe für die 3. Klasse und behandelt sowohl die Lerninhalte der Themenkreises
Lebensraum Österreich, als auch die des Lernfeldes Einblicke in die Arbeitswelt. Im
Rahmen der vorgestellten Unterrichtsaktivitäten sollen gemäß der Forderung des Lehrplans
vertiefende Kenntnisse und Einsichten über menschliches Leben und Wirtschaften in
Österreich gewonnen werden sowie die Bereitschaft, sich aktuellen politischen,
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen zuzuwenden gefördert werden. Des
Weiteren sollen subjektive und gesamtwirtschaftliche Probleme der Arbeitslosigkeit
erfasst werden und dabei die Einsicht vermittelt werden, dass Ausbildung und Berufswahl
entscheidende Interventionsfaktoren gegen Armut sind (BMUKK 2000:4).
Ziel der vorgestellten Lernaktivitäten ist die Einsicht, dass Armut im Sozialstaat Österreich
kein Randphänomen ist sondern jeden Menschen betreffen kann, sobald eine Reihe von
Armutsfaktoren in Kombination eintreten. Die Mindestsicherung ist nur ein bedingter
Schutz vor Armut – das soll im Rahmen von kritisch-emanzipatorisch ausgerichteten
Lernaktivitäten vermittelt werden (Besuch im Onlinesupermarkt).
7
Neben der Thematisierung bestimmter sozioökonomischer Fakten und Sachverhalte wird
außerdem die Erklärung von Zusammenhängen und Auswirkungen des gesellschaftlichen
Handelns angestrebt, sodass Schülerinnen und Schüler die Bereitschaft entwickeln im
privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich verantwortungsbewusst und tolerant zu
agieren. Diesen Forderungen wird einerseits dadurch entsprochen, dass SchülerInnen im
Rahmen von Fallbeispielen verschiedene Wege in die Armut kennen lernen und so die
Dynamik des sozialen Absturzes verstehen und andererseits Vorschläge generieren wie sie
sich selber durch Lebensplanung gegen Armut wappnen können (Bedeutung der
Berufsfindung und Ausbildung). In der Aufarbeitung dieser Lernfelder werden im Rahmen
der vorliegenden Unterrichtssequenz folgende Beiträge zu den Bildungsbereichen geleistet
(BMUKK 2000:1):
Mensch und Gesellschaft:
Dem geforderten Erwerb von Urteils- und Kritikfähigkeit sowie der Entwicklung von
Toleranz gegenüber „dem Anderen“ bzw. gegenüber Minderheiten wird durch das
Kennenlernen der Sichtweisen und Probleme unterprivilegierter Gruppen entsprochen.
SchülerInnen lernen ihre Umwelt von der „anderen“ Seite zu betrachten, sie erfahren wie es
ist mit der Mindestsicherung einkaufen zu gehen bzw. wie es sich anfühlt wenn einem jemand
befiehlt eine Helfertätigkeit auszuführen (Schulsachen vom Boden aufklauben), ohne dass
man etwas dagegen tun kann.
Sprache und Kommunikation:
SchülerInnen verbessern ihre Sprachkompetenz und kritische Medienkompetenz durch
Auswertung und Diskussion von Text- und Bildinformationen und grafischen
Darstellungsformen (Tabellen, Impulsbilder) um die angestrebten Lernaktivitäten
durchzuführen und dabei ihre Kenntnisse zu erweitern.
Kreativität und Gestaltung
Der im Lehrplan geforderten kreativen Darstellung von Sachverhalten wird im Rahmen der
Darstellung des sozialen Absturzes in Station 3, sowie beim Schülerexperiment der 4.
8
Station entsprochen. SchülerInnen lernen die Sichtweisen und Nöte unterprivilegierter
Subjektpositionen kennen (Unterdrückung, Angst) und entwickeln so die positive Bereitschaft
zur Mitwirkung an der Gestaltung der Umwelt und Gesellschaft.
4. Lebensweltorientierte ökonomische Bildung und die Frage
nach Kompetenzen
„Im Mittelpunkt von Geographie und Wirtschaftskunde steht der Mensch“ (BMUKK 2000).
Lebensweltorientierte ökonomische Bildung hat daher den Auftrag Heranwachsende für
Lebenssituationen zu qualifizieren mit denen sie in ihrem gegenwärtigen Leben konfrontiert
sind oder dies in ihrem künftigen Leben sein werden. Es geht also darum reale
gesellschaftliche, politische, ökonomische und soziale Problemstellungen zu erkennen, diese
zu analysieren sowie über die Kenntnisse, Fähigkeiten und Bereitschaft zu verfügen diese
auch effektiv zu lösen (Fridrich 2012: 30).
Die Schülerinnen und Schüler sind hier als handelnde AkteurInnen vor allem
BürgerInnen, die ihr lebensweltliches Umfeld und damit ihre Wirtschaftsumgebung selber
gestalten können. Sie sind als sich bildende Subjekte also keineswegs ökonomisch
intendierbare Objekte einer neoliberalen Wirtschaftsideologie die den Status quo von
sozialem Abbau, Ressourcenausbeutung und Marginalsierung weiter Bevölkerungsschichten
verfolgt sondern kritisch-emanzipatorisch handelnde Individuen, die politische und
sozioökonomische Strukturen als gestaltbar und veränderbar begreifen (Kollmann 2012 76f.).
Um diesen Desiderata gerecht zu werden verortet diese Arbeit die im anschließenden
Stundenbild dargestellten Lernaktivitäten gemäß der fünf folgenden Kompetenzbereiche
(jeweils rot unterlegt):
Sozial- und Selbstkompetenz
Methoden Kompetenz
Volkswirtschaftliche Kompetenz
Betriebswirtschaftliche Kompetenz
Politische Bildung
9
Die Auswahl der Kompetenzbereiche erfolgte in Rekurs auf die Untersuchung von
Schwarz (2012), welche ergab, dass im Österreichischen Lehrplan für GW vor allem die
Bereiche der Sozial- und Selbstkompetenzen zu kurz kommen:
In initial and in-service teacher training, a greater focus must be put on structurally
embedding aspects of political economy and business content with social and self-
competencies. (Schwarz 2012: 154)
5. Stundenpläne
Die nun folgende Stundenplanung gibt einen detaillierten chronologischen Überblick über die
Lernaktivitäten, Lernziele und angestrebten Kernkompetenzen für den kritisch-
emanzipatorisch orientierten Unterricht im Fach GW. Für den Einstieg sowie für den
anschließenden Stationenbetrieb (Erarbeitungsphase) mit abschließender gemeinsamer
Reflexion (Ergebnissicherung) im Klassenverband wird der Zeitraum einer Doppelstunde
anberaumt.
Thema und
Arbeitsphase
Zeit Lernziele und angestrebte sozio-
ökonomische Kernkompetenzen
im GW-Unterricht
Lernaktivitäten Methode und
Sozialform
Bemerkung
Einstieg
– ÖsterReich
Quiz zur
aktuellen
Armutssituation
in Österreich
10‘ -Erkennen, dass Armut in
Österreich kein Randphänomen
ist (Sozialkompetenz, Pol-
Bildung)
- Erkennen das Armut alle
betreffen kann (Sozialkompetenz)
- Erkennen der Wechselbeziehung
zwischen Arbeitslosigkeit,
Strukturwandel am Arbeitsmarkt
und Armut (VWL)
- Erkennen des Unterschiedes
zwischen Armutsgefährdung und
akuter Armut (VWL, Pol-Bild.)
-Kurze Einleitung des Themas
und Ausgabe des Arbeitsblatts
„ÖsterReich Quiz“
-LehrerInnen-
präsentation
-Einzelarbeit am
Arbeitsblatt
-gemeinsame
Diskussion der
Ergebnisse im
Klassengespräch
Die
SchülerInne
n werden im
Bereich ihrer
eigenen
Erfahrung
abgeholt –
dann werden
weitere
Inhalte
angeknüpft
Station 1 –
Die vielen
unterschiedlich
en Gesichter
von Armut -
hier und
weltweit
20‘ -Erkennen der verschieden
Formen und Ursachen von Armut
hier und weltweit (VWL, Pol-
Bildung)
-Erkennen der Unterschiede
zwischen absoluter und relativer
Armut (VWL, Pol-Bildung)
- Auswertung von Statistiken und
kritische Beurteilung der
dargestellten Daten in Bezug auf
die zugrundeliegenden
Zielsetzungen der UN
Millenniumsziele (Pol-Bildung,
Methodenkompetenz)
Arbeitsblatt Station 1
-SchülerInnen lernen
unterschiedliche
Erscheinungsformen von
Armut in Industrie und EW-
Ländern kennen und ordnen den
Bildern mögliche Ursachen zu.
-Schülerinnen beurteilen anhand
eines Beispiels die dargestellte
Armutssituation
-Erarbeitung der
Fragestellungen in
Kleingruppen (5-6
Personen)
Die
Lehrkraft
geht von
Station zu
Station,
nimmt kurz
an
Diskussione
n teil und ist
dort
behilflich wo
dies benötigt
wird.
10
Station 2 –
Konsum und
Mindestsicheru
ng - was kostet
ein Besuch im
Onlinesuper-
Markt?
20‘
-Kenntnis Erwerb zur
Mindestsicherung in Österreich
(VWL Sachkompetenz)
-Erfahren der persönlichen
Konsummöglichkeiten mit
eingeschränkten monetären
Mitteln (VWL, Sozialkompetenz)
-Erfahrung der Lebenssituation
ökonomisch schwacher Akteure
um die eigenen
Konsumgewohnheiten kritisch zu
hinterfragen (Sozialkompetenz)
-Erkennen, dass
Mindestsicherung nicht vor
Armut schützt!
- SchülerInnen lesen den
Einführungstext (Material
Station 2) zur Mindestsicherung
und lösen nachfolgende
Arbeitsaufträge:
-Wie viel Geld kosten meine
Konsumgewohnheiten?
-In welchem Bereich müssen sich
BezieherInnen der MS
einschränken?
-Führt die Mindestsicherung zu
sozialer Ausgrenzung?
-Besuch des Online
Supermarktes www.lebensmittel.de und
erstellen einer persönlichen
Einkaufsliste im finanz. Rahmen
der Mindestsicherung
-Anschließende Reflexion des
Konsumerlebnisses mittels
Mindmap – wo muss ich mich
einschränken
-Gruppenarbeit im
5er bis 6er Teams
-Blended Learning
– elarning
unterstütztes
Arbeitsblatt
-Schriftliche
Dokumentation der
Ergebnisse
-Anfertigung einer
Mindmap
Die
Lehrkraft
geht von
Station zu
Station,
nimmt kurz
an
Diskussione
n teil und ist
dort
behilflich wo
dies benötigt
wird.
Station 3 –
Der soziale
Absturz – 4
Fallgeschichten
auf dem Weg
in die Armut
20‘ -Erkennen, dass der soziale
Absturz jeden und jede betreffen
kann (pol. Bildung,
Sozialkompetenz)
-Erkennen, dass es einige
wiederkehrende Hauptursachen
für Armut gibt (keine Ausbildung,
abgebrochene Schulbildung)
-Erkennen, dass diese
Hauptursachen durch
eigenverantwortliche und
überlegte Zukunftsplanung
größtenteils vermeidbar sind
(Selbstkompetenz)
-Erkennen, dass auch der
strukturelle Wandel am
Arbeitsmarkt eine häufige
Ursache für Armut ist (VWL,
Sozialkompetenz)
-Erkennen der Notwendigkeit von
sowie entwickeln der Bereitschaft
zu lebenslangen Lernen
(Selbstkompetenz,
Sozialkompetenz, BWL)
(Material Station 3)
SchülerInnen folgen den
Anweisungen des Spielleiters:
- Verteilung der Papierstreifen mit
Armutsursachen
- Aufbau eines Netzes der
sozialen Sicherheit aus
Bindfäden, Papierstreifen mit
Armutsursachen über einem
Wasserkübel
-Legofigur wird ins Netz gelegt
-Spielleitung liest Rollenkarten
mit Fallgeschichten vor – die
Fäden werden durchtrennt wenn eine der Armutsursachen in
den Fallgeschichten vorkommt.
-Legofigur fällt ins Wasser – der
soziale Absturz ist dargestellt
Anschließend kritische Reflexion
und Überlegung durch welche
Maßnahmen man sich gegen
Armut wappnen kann
-Gruppenaktivität
in 5er bis 6er
Teams
-spielerisches
Erfahren eines
komplexen sozio-
ökonomischen
Sachverhalts
Die
Lehrkraft
geht von
Station zu
Station,
nimmt kurz
an
Diskussione
n teil und ist
dort
behilflich wo
dies benötigt
wird.
11
Station 4 –
Klassenexperi
ment – Armut
und
Unterprivilegie
rung selbst
erfahren
20‘
-Erfahren der Sichtweisen
verschiedener Akteure um eigene
Handlungsmuster kritisch
hinterfragen zu können
(Sozialkompetenz)
-Erkennen, dass
verantwortungsbewusstes soziales
Handeln den Einsatz von Allen
braucht (Pol-Bildung)
Ablauf Experiment:
SchülerInnen teilen sich auf in
„Arme“ und „Reiche“ und
bilden Sesselkreis
Arme verlassen den Raum
Reiche verteilen Inhalte ihrer
Schultaschen am Boden
Arme müssen schweigen und
folgen den Anweisungen der
Reichen beim aufklauben der
Dinge und Einräumen der
Schultaschen
Auflösung – wie habe ich die
gesellschaftliche Spannung erlebt,
wo gibt es Unterdrückung in
meinem Umfeld?
Ergebnissicherung der Aktivität
ist eine kollaboratives Plakat auf
dem die Gruppen nacheinander
ihre Vorschläge zur Minimierung
von Diskriminierung in ihrem
Umfeld präsentieren
-Gruppenspiel im
5er bis 6er Teams
Ziel des
kollaborative
n Plakats ist
es, dass
SchülerInne
n nach dem
Prinzip der
Nachhaltigk
eit sorgsam
mit dem
Platz am
Plakat
umgehen
und dabei
die ersten
Gruppen
noch
genügend
Platz für die
nachfolgend
en Gruppen
lassen.
Ergebnissicher
ung –
gemeinsame
Reflektion der
gemachten
Lern-
Erfahrungen
10‘ -formulieren von Strategien die es
ermöglichen in den Lernaufgaben
gemachte Erfahrungen in Rahmen
von Alltagshandlungen
umzusetzen
(Synthesekompetenz)
Die gemachten Erfahrungen
werden besprochen und es wird in
einem Klassengespräch erörtert
wo überall Marginalisierung
durch unterschiedliche
Armutsformen auftreten kann
(Station 4) sowie auf welche
Weise man sich selbst sinnvoll
vor Armut wappnen kann
(Station 3)
Ausblick und weiterführende
Aktivitäten:
- in der folgenden Stunde werden
Thinktanks gebildete und ein
Artikel mit diesen alternativen
Strategien für die Schülerzeitung
verfasst.
Klassengespräch, Notieren der
alternativen
Handlungsweisen
für Beitrag in
Schülerzeitung
Offene
Fragen
werden in
der nächsten
Stunde
wieder
aufgriffen
12
6. Materialien
Einstieg: ÖsterReich Quiz zur Armutssituation in Österreich
1. Als armutsgefährdet gilt in Österreich und der EU wer monatlich weniger als…
o.. 530 Euro
o.. 656 Euro
o.. 951 Euro
o.. 1239 Euro zur Verfügung hat
2. Wenn zur Armutsgefährdung noch verschärfende persönliche Umstände dazukommen spricht man von akuter
Armut. Zu solchen Lebensumständen können zählen:
o.. Krankheit
o.. schlechte Wohnsituation / Kündigung des Mietvertrages
o.. Jobverlust
o.. größere ungeplante Ausgaben im Haushalt
3. Wie viel Prozent aller ÖsterreicherInnen gelten als Armutsgefährdet / wie viele Menschen leben in akuter Armut?
o.. 5,5 % / 360.000
o.. 13 % / 492.000
o.. 2,2 % / 140.000
o.. 1,1 % / 88.000
4. Welche Personen sind am stärksten Armutsgefährdet?
o.. AlleinerzieherInnen
o.. Langzeitarbeitslose
o.. alleinstehende PensionistInnen
o.. kinderreiche Familien
5. Wie viele Menschen sind in Österreich wohnungslos?
o.. 20.000
o.. 37.000
o.. 12.704
o.. 7.600
6. Wie viele Kinder und Jugendliche sind in Österreich von Armut betroffen?
o.. 150.000
o.. 95.000
o.. 34.000
o.. 130.000
7. Der Begriff „working poor“ bedeutet…
o.. eine unzufriedene Arbeitskraft
o.. Menschen die arbeiten aber trotzdem arm sind
o.. Menschen die sich mit ihrer Arbeit für Arme einsetzen
o.. keine Antwort ist richtig
(Quelle: Caritas 2010: 14)
Auflösung: 1 (4); 2 (1-4); 3(2); 4(1-4); 5(3); 6(2); 7(2)
13
Station 1 – Die vielen unterschiedlichen Gesichter von Armut hier
und weltweit
1. Armut hat viele unterschiedliche Gesichter und Ursachen
(Bildquellen: Standard.at, cathrinka.blog.de, kleinezeitung.at)
A. Welche Formen und Folgen von Armut erkennst du auf den Fotos? Überlege welche Erscheinungsformen von Armut
eher in Industrie oder Entwicklungsländern vorkommen. Begründe deine Entscheidung.
B. Welche der folgenden Ursachen und Folgen von Armut könnten für welche der Bilder zutreffen? Ordne die Begriffe zu.
Arbeitslosigkeit – mangelnde Produktivität der Landwirtschaft – geringes Einkommen – instabile politische Verhältnisse –
Korruption – Unzureichendes Bildungssystem – mangelnde Gesundheitsförderung – Bürgerkriege –
Nahrungsmittelmangel durch Dürre oder Überflutungen – hohe Militärausgaben zu Lasten von Gesundheit und Bildung
2. Absolute Armut
Im Jahr 2001 erklärten es die UN Staaten zum vorrangigen Ziel den Anteil der in absoluter Armut lebenden Bevölkerung bis
zum Jahr 2015 zu halbieren. Als absolut arm gilt wer weniger als 1,25 US-Dollar (knapp ein Euro) pro Tag zum Leben hat.
A. Überlege wie die Lebensbedingungen für Menschen aussehen die mit 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen. Führe
hierzu ein Google Bildersuche mit dem Suchbegriff „absolute Armut“ durch und beschreibe deine Eindrücke in Form
von Stichworten.
B. Beurteile mit Hilfe der Grafik die weltweite Entwicklung der Armut. Wird das Millenniumsziel der UN Staaten die
Armut um die Hälfte zu reduzieren erfüllt werden. Wie verhält es sich mit den unterschiedlichen Regionen
C. Westeuropa, die USA und Australien/Neuseeland kommen in dieser Grafik nicht vor. Ist dort absolute Armut
ausgeschlossen? Begründe deine Antwort
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3. Relative Armut
Das Konzept der relativen Armut beinhaltet verschiedene Ansätze mit deren Hilfe die Armutssituation einzelner Menschen
mit ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld verglichen werden kann. Es wird so möglich zu erklären warum Menschen die
nicht absolut arm sind (z.B. in Industrieländern) trotzdem von Armut bedroht sein können. Relative Armut wird also vor allem
durch die Möglichkeiten definiert die einem Menschen zur Verfügung stehen an Bildung, Gesundheitsvorsorge und den
üblichen Dingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens teilzunehmen. Ordne die Konzepte entsprechend zu.
Existenzminimum --- Armutsgrenze --- Armutsrisikoquote --- prekärer Wohlstand
Anteil der Bevölkerung mit weniger als 60% des Durchschnittseinkommens
Bevölkerungsanteil mit weniger als 50% des Durchschnittseinkommens
Bevölkerungsanteil mit 50-75% des Durchschnittseinkommens
Mindesteinkommen das die Teilhabe an der Gesellschaft erlaubt (Kino, Theater, Hobbies, etc.)
(Quelle: BPD 2010)
Ein Beispiel: Thomas aus Linz
„Ich bin 12 Jahre alt und lebe mit meinen 2 Brüdern in einer kleinen Wohnung bei meiner Oma am Stadtrand von Linz. Meine
Eltern haben sich schon vor Jahren zerstritten und leben beide nicht mehr bei uns. Mein Vater ist nach Thailand ausgewandert
und ich habe von ihm seitdem nichts mehr gehört. Nachdem meine Mutter ihren Job als Rezeptionistin verloren hat ist sie nach
Wien zu ihrem Freund gezogen und schickt meiner Oma manchmal ein bisschen Geld für uns alle. Besuchen kommt sie uns seit
einem Jahr aber nicht mehr. Weil wir nicht viel Geld haben gibt es bei uns in der Wohnung wenig Möbel. Ich teile mein Zimmer
mit meinem Bruder und schlafe neben seinem Bett auf einer Matratze am Boden. Ich mache meine Hausaufgaben am
Küchentisch und oft stört mich dabei das laute Radio meiner Oma. Manchmal nimmt mein älterer Bruder Freunde mit und
dreht dann die Stereoanlage sehr laut auf. Ich gehe dann immer in den Park. Geld mir was zu kaufen wie die anderen Kinder
habe ich meistens keines. Bei Skikursen und Sommersportwochen kann ich leider auch nicht mitfahren“. (fiktive Geschichte)
A. Welche Form von Armut erlebt Thomas? Begründet eure Antwort.
B. Warum sind kinderreiche Familien stärker armutsgefährdet? Denkt an Thomas Wohnsituation.
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Station 2: Konsum und Mindestsicherung – wie viel kostet ein
Besuch im Onlinesupermarkt?
1. Mindestsicherung
Seit 2011 gibt es in Österreich die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Anspruch haben bedürftige Personen deren Unterhalt nicht durch eigene Mittel gedeckt werden kann. Die Mindestsicherung (2013) besteht aus 2 Teilen: 596,18 € Grundbetrag und 198,73 € Wohnkostenanteil pro Monat. Zusammen sind das 794,91 €. Personen in Lebensgemeinschaften bekommen den 1,5 fachen Betrag, also 1192,37 €. Für Kinder gibt es jeweils 143,08 €, ab dem 4. Kind 119,24 €. (Quelle und weitere Informationen: www.arbeiterkammer.at/beratung/arbeitundrecht/Arbeitslosigkeit/Mindestsicherung)
A. Das Ziel einer staatlichen Grundsicherung ist die Ermöglichung eines menschwürdigen Lebens und die Teilhabe an der Gesellschaft. Ist dies mit 750 Euro monatlich gewährleistet? Begründe deine Überlegungen.
B. Stichwort „Teilhabe an der Gesellschaft“ – was gehört deiner Meinung dazu? Wie viel Geld wird für die Aktivitäten in der Tabelle durchschnittlich benötigt.
Restaurantbesuche Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Freunde treffen Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Bekleidung Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Skikurs Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Wandertag Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Computer Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Internetanschluss Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Bücher kaufen Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Urlaubsreise Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Zigaretten Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Eigenes Auto Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Zeitungsabo Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Handyvertrag Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Abends Ausgehen Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Fernseher Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
Konzerte besuchen Wichtig -o- Wenig wichtig -o- Kosten:
C. Geht auf die Seite des Onlinesupermarktes http://www.lebensmittel.de und erstellt eure persönliche Einkaufsliste.
Nehmt pro Person ein Monatsbudget von 750 Euro an (Mindestsicherung), davon entfallen 350 Euro für Wohnkosten
und andere Fixausgaben, sodass ein maximales monatliches Einkaufsbudget von 400 Euro überbleibt.
- Wie viel Geld könnt ihr pro Einkauf ausgeben wenn ihr zwei Mal pro Woche in den Supermarkt wollt?
- Wie viel Geld soll euch für die Aktivitäten und Konsumoptionen in der obigen Tabelle überbleiben?
- Stellt eine Einkaufsliste zusammen (Dinge des täglichen Bedarfs, Hygieneartikel, Lebensmittel, Naschsachen) und
trag in die Mindmap all jene Dinge ein auf die ihr möglicherweise verzichten müsst.
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Station 3: Der soziale Absturz – 4 Fallgeschichten auf dem Weg in
die Armut
Rollenkarten
(Quellen: Caritas 2010: 21-22)
Fall 1
Nachdem es als Alleinerzieherin von 3 Kindern gar nicht so einfach ist, einen Job zu finden, hatte ich nun das Glück, bei einer Leasingfirma eine Stelle als Hilfsarbeiterin zu finden. Ich arbeite im Schichtbetrieb in einer Lebensmittelfirma in Teilzeit und verdiene Euro 725 netto. Ich werde um 4 Uhr von einem Firmenbus abgeholt. Zum Treffpunkt muss ich in der Nacht bei jedem Wetter und jeder Jahreszeit durch die halbe Stadt mit dem Moped fahren, da um diese Zeit noch keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Meine Kinder müssen dann allein aufstehen und in die Schule fahren. Eigentlich hatte ich, aufgrund der Rahmenbedingungen, große Bedenken diese Arbeit anzunehmen. Andererseits bin ich ansonsten weiterhin vom Arbeitsmarktservice abhängig und es droht auch eine Sperre der Notstandshilfe für 6Wochen, sollte ich den Job nicht annehmen.
Fall 2
Als Vater von 3 kleinen Kindern und Alleinverdiener in der Familie habe ich nach einer vorübergehenden Arbeitslosigkeit endlich wieder einen Job gefunden. Ohne abgeschlossene Berufsausbildung bin ich als Hilfsarbeiter angestellt. Als solcher verdiene ich gerade so viel, dass die laufenden Lebenserhaltungskosten der Familie abgedeckt werden können. Sorgen machen mir und meiner Familie jedoch die Rückstände bei Strom und Miete, die während der Zeit der Arbeitslosigkeit entstanden sind.
Fall 3
Ich bin eine ca. 35 jährige Frau (geschieden, alleinerziehende Mutter von 2 Kindern) und arbeite in einem Gemeindeamt in Teilzeit als Reinigungskraft durchschnittlich 6 Monate im Jahr. Die restlichen 6 Monate bekomme ich schwer eine andere Arbeit, weil ich keine abgeschlossene Ausbildung habe. Die Arbeitslosen- und Notstandshilfe sind so gering (da sie von meinem eigenen Einkommen bemessen werden), dass ich nicht davon leben kann. Die langen arbeitslosen Zeiträume wirken sich negativ auf meine Pension aus. Ich werde, wie viele Frauen, erst im Alter in Form einer Ausgleichszulage ein garantiertes Mindesteinkommen erreichen.
Fall 4
Ich bin 34 Jahre alt. Ich kam in die Sozialberatung, weil ich aufgrund einer 50%igen Streichung der Sozialhilfe meinen Lebensunterhalt nicht mehr ausreichend bestreiten konnte. Das Sozialreferat hatte mir Arbeitsunwilligkeit vorgeworfen. Ich verfüge über einen Sonderschulabschluss. Immer wieder habe ich gesundheitliche Probleme: Zwölffingerdarmgeschwür und vor einem Jahr hatte ich einen Herzinfarkt. Ich bin auf dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt vermittelbar. Nach einer langen Obdachlosigkeit und Problemen mit Alkohol lebe ich nun in einer betreuten Wohnform und spare auf eine eigene Gemeindewohnung.
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Papierstreifen mit Gründen für die Armut der Betroffenen:
- Alleinerziehend
- HilfsarbeiterIn
- Arbeitslosigkeit
- AlleinverdienerIn mit Familie
- Keine abgeschlossene Berufsausbildung
- Schulden (Rückstände bei Strom und Miete)
- Depressionen
- Alter
- Sonderschulabschluss
- Schlechte Gesundheit
- Obdachlosigkeit
- Scheidung
- Teilzeitarbeit
- Keine abgeschlossene Schulausbildung
- Alkohol und Gewalt
Außerdem benötigt werden
- eine Legofigur
- Bindfaden,
- Klebeband
- ein halbgefüllter Wasserkübel
- eine Schere
Spielanleitung:
Der/die SpielleiterIn (ein Gruppenmitglied) verteilt die Papierstreifen mit den Armutsgründen so, dass jede
Person in der Gruppe drei bis vier Streifen bekommt. Bindet nun die Streifen jeweils an einen Bindfaden
und spannt diesen über den Wasserkübel mit Hilfe des Klebebandes. Legt die Legofigur anschließend auf
die straff gespannten Fäden.
Nun ist der/die SpielleiterIn an der Reihe. Er/sie liest der Reihe nach die Rollenkarten vor und sobald einer
der Armutsgründe genannt wird die auf den Papierstreifen stehen wird der entsprechende Faden
durchgeschnitten – solange bis die Figur ins Wasser fällt.
A. Diskutiert schließlich die Dynamik des sozialen Absturzes und überlegt wo es Parallelen zum
täglichen Leben gibt.
B. Was bedeutet das für eure Zukunft – durch welche Maßnahmen könnt ihr euch vor Armut schützen?
Fasst eure Überlegungen in Stichworten zusammen.
(Quelle: Caritas 2010: 21, adaptiert nach eigenen Überlegungen)
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Station 4: Klassenexperiment – Armut und Unterprivilegierung
selbst erfahren
Reflexion und Auswertung des Experiments: Setzt euch nun wieder alle zusammen und denkt über euer Klassenexperiment nach:
A. Wie habt ihr die Einteilung in arm und reich empfunden?
B. Wie hab ihr euch gefühlt als „Arme“ in der Dienerrolle?
C. Wie war es reich zu sein und anschaffen zu können?
D. Wie sieht das in eurer Umgebung aus – welche Gruppen sind da privilegiert und können anderen anschaffen was
sie tun sollen?
E. Wie können beide Gruppen dazu beitragen sich besser zu verstehen und so die Ungleichheiten im Umgang miteinander zu reduzieren? Bastelt ein kollaboratives Plakat in dem ihr eure Lösungsstrategien vorstellt und dabei noch Platz für die anderen Gruppen überlasst bzw. deren Vorschläge ergänzt.
Spielanleitung:
Nehmt Platz in einem Sesselkreis und zählt durch: arm – reich – arm – reich usw. Schließlich verlassen alle
„Armen“ den Raum. Die „Reichen“ und „Armen“ erhalten gesonderte Rollenanweisungen. Die „Armen“ bleiben
vor der Türe bis sie wieder hereingerufen werden.
Rolle der „Reichen“: Ihr füllt eure Rucksäcke mit Hefte und Büchern und leert sie in die Mitte des Sesselkreises auf den
Boden. Dann stellt ihr eure Rucksäcke daneben hin und setzt euch hin. Nun ruft ihr die „Armen“ wieder herein und gebt
ihnen die Arbeitsanweisung sich auf den Boden zu knien und alles wieder in die Rucksäcke einzuräumen. Dabei sollt ihr
ihnen lautstark anschaffen was sie in welchen Rucksack geben sollen. Die Armen dürfen dabei jedoch nicht sprechen.
Rolle der „Armen“: Ihr verlasst den Raum und wartet bis euch die „Reichen“ wieder herein rufen. Ihr dürft jetzt kein Wort
mehr reden und müsst ihren Anweisungen auf jeden Fall Folge leisten.
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7. Quellen
BDP (Bundeszentrale für politische Bildung), Hrsg. (2010): Armut hier und weltweit.
Themenblätter im Unterricht Nr. 77. (Zugriff: 25.8.2013;
http://www.bpb.de/publikationen/TBKYRN,0,Armut_hier_und_weltweit.html).
BMASK (Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), Hrsg. (2012):
Sozialbericht 2011-2012. (Zugriff: 25.8.2013;
http://www.bmask.gv.at/cms/site/attachments/3/7/2/CH2171/CMS1353079209699/sozialberic
ht_2011_gesamt.pdf)
BMUKK, Hrsg. (2000): Lehrplan der AHS Unterstufe – Geographie und Wirtschaftskunde.
(Zugriff: 25.8.2013; http://www.bmukk.gv.at/medienpool/784/ahs9.pdf).
BMUKK, Hrsg. (2004): Lehrplan der AHS Oberstufe – Geographie und Wirtschaftskunde.
(Zugriff: 25.8.2013; http://www.bmukk.gv.at/medienpool/11858/lp_neu_ahs_06.pdf).
Caritas, Hrsg. (2010): Armut in Österreich – Hintergrundinfos und Unterrichtsmethoden.
(Zugriff: 25.8.2013; http://www.caritas-
salzburg.at%2Fuploads%2Ftx_sbmediadb%2FARMUT.pdf&ei=dD4bUualIq6u4QSshIH4Aw
&usg=AFQjCNGF_FsO3HO9NmK1rNYCHY3WiGFIyA&sig2=QVXBd6en43U_EelLhkM
FSA).
Der Standard. (2013): BIP pro Kopf – Österreich wird reicher. 19. Juni 2013. (Zugriff:
25.8.2013; http://derstandard.at/1371169984003/BIP-pro-Kopf-Oesterreich-wird-reicher).
Fridrich, Christian. (2012): Wirtschaftswissen allein ist zu wenig – oder: Plädoyer für eine
lebensweltorientierte ökonomische Bildung im Unterrichtsgegenstand Geographie und
Wirtschaftskunde in der Sekundarstufe 1. In: GW-Unterricht 125, Seiten 21-40-
Kollmann, Karl. (2012): Wirtschaftsbildung muss kritisch sein – oder man lässt es gleich
bleiben. Eine grundsätzliche Überlegung auch für die Österreichische Schule. In: GW-
Unterricht 127, Seiten 72-77.
Oppermann, Christiane. (2006): Nachgefragt: Wirtschaft – Basiswissen zum Mitreden.
Bindlach: Loewe.
Schwarz, Ingrid. (2012): Perspectives for Pupils and Teachers in Economic Education:
European and Austrian Aspects oft the Fifobi Project. (Zugriff: 25.8.2013,
http://link.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-531-19028-0_7)
Young Caritas, Hrsg. (2011): Armut in Österreich – Anregungen für den Unterricht in Unter-
und Oberstufe. (Zugriff: 25.8.2013; http://www.youngcaritas.at/img/db/docs/13929.pdf).
Zentrum Polis, Hrsg. (2010): Armut in Österreich. Polis Aktuell 2010/1. (Zugriff: 25.8.2013,
http://www.politik-lernen.at/content/site/gratisshop/shop.item/105699.html).