Stifter - Bunte Steine (Erzählungen)

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  • 7/28/2019 Stifter - Bunte Steine (Erzhlungen)

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    Adalbert Stifter

    Bunte Steine

    Ein Festgeschenk

    1852

    Vorrede

    Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, da ichnur das Kleine bilde, und da meine Menschen stetsgewhnliche Menschen seien. Wenn das wahr ist, binich heute in der Lage, den Lesern ein noch Kleineresund Unbedeutenderes anzubieten, nmlich allerleiSpielereien fr junge Herzen. Es soll sogar in densel-ben nicht einmal Tugend und Sitte gepredigte werden,

    wie es gebruchlich ist, sondern sie sollen nur durchdas wirken, was sie sind. Wenn etwas Edles undGutes in mir ist, so wird es von selber in meinenSchriften liegen; wenn aber dasselbe nicht in meinemGemte ist, so werde ich mich vergeblich bemhen,Hohes und Schnes darzustellen, es wird doch immerdas Niedrige und Unedle durchscheinen. Groes oderKleines zu bilden, hatte ich bei meinen Schriftenberhaupt nie im Sinne, ich wurde von ganz anderenGesetzen geleitet. Die Kunst ist mir ein so Hohes undErhabenes, sie ist mir, wie ich schon einmal an einemanderen Orte gesagt habe, nach der Religion dasHchste auf Erden, so da ich meine Schriften nie frDichtungen gehalten habe, noch mich je vermessenwerde, sie fr Dichtungen zu halten. Dichter gibt essehr wenige auf der Welt, sie sind die hohen Priester,

    sie sind die Wohltter des menschlichen Geschlechtes;falsche Propheten aber gibt es sehrviele. Allein wenn auch nicht jede gesprochenenWorte Dichtung sein knnen, so knnen sie dochetwas anderes sein, dem nicht alle Berechtigung des

    Daseins abgeht. Gleichgestimmten Freunden eine ver-gngte Stunde zu machen, ihnen allen, bekannten wieunbekannten, einen Gru zu schicken, und ein Krn-lein Gutes zu dem Baue des Ewigen beizutragen, daswar die Absicht bei meinen Schriften, und wird auchdie Absicht bleiben. Ich wre sehr glcklich, wenn ichmit Gewiheit wte, da ich nur diese Absicht er-reicht htte. Weil wir aber schon einmal von demGroen und Kleinen reden, so will ich meine Ansich-ten darlegen, die wahrscheinlich von denen vieler an-derer Menschen abweichen. Das Wehen der Luft, das

    Rieseln des Wassers, das Wachsen der Getreide, dasWogen des Meeres, das Grnen der Erde, das Gln-zen des Himmels, das Schimmern der Gestirne halteich fr gro: das prchtig einherziehende Gewitter,den Blitz, welcher Huser spaltet, den Sturm, der dieBrandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbe-ben, welches Lnder verschttet, halte ich nicht frgrer als obige Erscheinungen, ja ich halte sie frkleiner, weil sie nur Wirkungen viel hherer Gesetzesind. Sie kommen auf einzelnen Stellen vor, und sinddie Ergebnisse einseitiger Ursachen. Die Kraft, wel-che die Milch im Tpfchen der armen Frau emporschwellen und bergehen macht, ist es auch, die dieLava in dem feuerspeienden Berge empor treibt undauf den Flchen der Berge hinab gleiten lt. Nur au-genflliger sind diese Erscheinungen und reien den

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    Blick des Unkundigen und Unaufmerksamen mehr ansich, whrend der Geisteszug des Forschers vorzg-lich auf das Ganze und Allgemeine geht und nur inihm allein Groartigkeit zu erkennen vermag, weil esallein das Welterhaltende ist. Die Einzelheiten gehen

    vorber, und ihre Wirkungen sind nach kurzem kaumnoch erkennbar. Wir wollen das Gesagte durch einBeispiel erlutern. Wenn ein Mann durch Jahre hin-durch die Magnetnadel, deren eine Spitze immer nachNorden weist, tagtglich zu festgesetzten Stunden be-obachtete und sich die Vernderungen, wie die Nadelbald mehr bald weniger klar nach Norden zeigt, ineinem Buche aufschriebe, so wrde gewi ein Unkun-diger dieses Beginnen fr ein kleines und fr Spielereiansehen; aber wie ehrfurchterregend wird dieses Klei-ne und wie begeisterungerweckend diese Spielerei,

    wenn wir nun erfahren, da diese Beobachtungenwirklich auf dem ganzen Erdboden angestellt werden,und da aus den daraus zusammengestellten Tafelnersichtlich wird, da manche kleine Vernderungen ander Magnetnadel oft auf allen Punkten der Erdegleichzeitig und in gleichem Mae vor sich gehen,da also ein magnetisches Gewitter ber die ganze Erdegeht, da die ganze Erdoberflche gleichzeitiggleichsam ein magnetisches Schauern empfindet.Wenn wir, so wie wir fr das Licht die Augen haben,auch fr die Elektrizitt und den aus ihr kommendenMagnetismus ein Sinneswerkzeug htten, welchegroe Welt, welche Flle von unermelichen Erschei-nungen wrde uns da aufgetan sein. Wenn wir aberauch dieses leibliche Auge nicht haben, so haben wirdafr das geistige der Wissenschaft, und diese lehrt

    uns, da die elektrische und magnetische Kraft aufeinem ungeheuren Schauplatze wirke, da sie auf derganzen Erde und durch den ganzen Himmel verbreitetsei, da sie alles umfliee und sanft und unablssigverndernd, bildend und lebenerzeugend sich darstel-

    le. Der Blitz ist nur ein ganz kleines Merkmal dieserKraft, sie selber aber ist ein Groes in der Natur.Weil aber die Wissenschaft nur Krnchen nach Krn-chen erringt, nur Beobachtung nach Beobachtungmacht, nur aus Einzelnem das Allgemeine zusammentrgt, und weil endlich die Menge der Erscheinungenund das Feld des Gegebenen unendlich gro ist, Gottalso die Freude und die Glckseligkeit des Forschensunversieglich gemacht hat, wir auch in unseren Werk-sttten immer nur das Einzelne darstellen knnen, niedas Allgemeine, denn dies wre die Schpfung: so ist

    auch die Geschichte des in der Natur Groen in einerimmerwhrenden Umwandlung der Ansichten berdieses Groe bestanden. Da die Menschen in derKindheit waren, ihr geistiges Auge von der Wissen-schaft noch nicht berhrt war, wurden sie von demNahestehenden und Aufflligen ergriffen und zuFurcht und Bewunderung hingerissen; aber als ihrSinn geffnet wurde, da der Blick sich auf den Zu-sammenhang zu richten begann, so sanken die einzel-nen Erscheinungen immer tiefer, und es erhob sichdas Gesetz immer hher, die Wunderbarkeiten hrtenauf, das Wunder nahm zu.

    So wie es in der ueren Natur ist, so ist es auch inder inneren, in der des menschlichen Geschlechtes.Ein ganzes Leben voll Gerechtigkeit, Einfachheit, Be-zwingung seiner selbst, Verstandesgemheit, Wirk-

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    samkeit in seinem Kreise, Bewunderung des Schnen,verbunden mit einem heiteren, gelassenen Sterben,halte ich fr gro: mchtige Bewegungen des Gem-tes, furchtbar einherrollenden Zorn, die Begier nachRache, den entzndeten Geist, der nach Ttigkeit

    strebt, umreit, ndert, zerstrt, und in der Erregungoft das eigene Leben hinwirft, halte ich nicht fr gr-er, sondern fr kleiner, da diese Dinge so gut nurHervorbringungen einzelner und einseitiger Krftesind, wie Strme, feuerspeiende Berge, Erdbeben.Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen,wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird. Esgibt Krfte, die nach dem Bestehen des Einzelnenzielen. Sie nehmen alles und verwenden es, was zumBestehen und zum Entwickeln desselben notwendigist. Sie sichern den Bestand des Einen und dadurch

    den aller. Wenn aber jemand jedes Ding unbedingt ansich reit, was sein Wesen braucht, wenn er die Be-dingungen des Daseins eines anderen zerstrt, so er-grimmt etwas Hheres in uns, wir helfen dem Schwa-chen und Unterdrckten, wir stellen den Stand wiederher, da er ein Mensch neben dem andern bestehe undseine menschliche Bahn gehen knne, und wenn wirdas getan haben, so fhlen wir uns befriedigt, wir fh-len uns noch viel hher und inniger, als wir uns alsEinzelne fhlen, wir fhlen uns als ganze Menschheit.Es gibt daher Krfte, die nach dem Bestehen der ge-samten Menschheit hinwirken, die durch die Einzel-krfte nicht beschrnkt werden drfen, ja im Gegen-teile beschrnkend auf sie selber einwirken. Es ist dasGesetz dieser Krfte, das Gesetz der Gerechtigkeit,das Gesetz der Sitte, das Gesetz, das will, da jeder

    geachtet, geehrt, ungefhrdet neben dem anderen be-stehe, da er seine hhere menschliche Laufbahngehen knne, sich Liebe und Bewunderung seinerMitmenschen erwerbe, da er als Kleinod gehtetwerde, wie jeder Mensch ein Kleinod fr alle andern

    Menschen ist. Dieses Gesetz liegt berall, wo Men-schen neben Menschen wohnen, und es zeigt sich,wenn Menschen gegen Menschen wirken. Es liegt inder Liebe der Ehegatten zu einander, in der Liebe derEltern zu den Kindern, der Kinder zu den Eltern, inder Liebe der Geschwister, der Freunde zu einander,in der sen Neigung beider Geschlechter, in der Ar-beitsamkeit, wodurch wir erhalten werden, in der T-tigkeit, wodurch man fr seinen Kreis, fr die Ferne,fr die Menschheit wirkt, und endlich in der Ordnungund Gestalt, womit ganze Gesellschaften und Staaten

    ihr Dasein umgeben und zum Abschlusse bringen.Darum haben alte und neue Dichter vielfach diese Ge-genstnde bentzt, um ihre Dichtungen dem Mitge-fhle naher und ferner Geschlechter anheim zu geben.Darum sieht der Menschenforscher, wohin er seinenFu setzt, berall nur dieses Gesetz allein, weil es daseinzige Allgemeine, das einzige Erhaltende und nieEndende ist. Er sieht es eben so gut in der niederstenHtte wie in dem hchsten Palaste, er sieht es in derHingabe eines armen Weibes und in der ruhigen To-desverachtung des Helden fr das Vaterland und dieMenschheit. Es hat Bewegungen in dem menschlichenGeschlechte gegeben, wodurch den Gemtern eineRichtung nach einem Ziele hin eingeprgt worden ist,wodurch ganze Zeitrume auf die Dauer eine andereGestalt gewonnen haben. Wenn in diesen Bewegun-

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    gen das Gesetz der Gerechtigkeit und Sitte erkennbarist, wenn sie von demselben eingeleitet und fortge-fhrt worden sind, so fhlen wir uns in der ganzenMenschheit erhoben, wir fhlen uns menschlich ver-allgemeinert, wir empfinden das Erhabene, wie es

    sich berall in die Seele senkt, wo durch unmebargroe Krfte in der Zeit oder im Raume auf eingestaltvolles, vernunftgemes Ganzes zusammen ge-wirkt wird. Wenn aber in diesen Bewegungen das Ge-setz des Rechtes und der Sitte nicht ersichtlich ist,wenn sie nach einseitigen und selbstschtigenZwecken ringen, dann wendet sich der Menschenfor-scher, wie gewaltig und furchtbar sie auch seinmgen, mit Ekel von ihnen ab, und betrachtet sie alsein Kleines, als ein des Menschen Unwrdiges. Sogro ist die Gewalt dieses Rechts- und Sittengesetzes,

    da es berall, wo es immer bekmpft worden ist,doch endlich allezeit siegreich und herrlich aus demKampfe hervorgegangen ist. Ja wenn sogar der einzel-ne oder ganze Geschlechter fr Recht und Sitte unter-gegangen sind, so fhlen wir sie nicht als besiegt, wirfhlen sie als triumphierend, in unser Mitleid mischtsich ein Jauchzen und Entzcken, weil das Ganzehher steht als der Teil, weil das Gute grer ist alsder Tod, wir sagen da, wir empfinden das Tragische,und werden mit Schauern in den reineren ther desSittengesetzes emporgehoben. Wenn wir die Mensch-heit in der Geschichte wie einen ruhigen Silberstromeinem groen, ewigen Ziele entgegen gehen sehen, soempfinden wir das Erhabene, das vorzugsweiseEpische. Aber wie gewaltig und in groen Zgenauch das Tragische und Epische wirken, wie ausge-

    zeichnete Hebel sie auch in der Kunst sind, so sind eshauptschlich doch immer die gewhnlichen, alltgli-chen, in Unzahl wiederkehrenden Handlungen derMenschen, in denen dieses Gesetz am sichersten alsSchwerpunkt liegt, weil diese Handlungen die dauern-

    den, die grndenden sind, gleichsam die MillionenWurzelfasern des Baumes des Lebens. So wie in derNatur die allgemeinen Gesetze still und unaufhrlichwirken, und das Auffllige nur eine einzelne ue-rung dieser Gesetze ist, so wirkt das Sittengesetz stillund seelenbelebend durch den unendlichen Verkehrder Menschen mit Menschen, und die Wunder desAugenblickes bei vorgefallenen Taten sind nur kleineMerkmale dieser allgemeinen Kraft. So ist dieses Ge-setz, so wie das der Natur das welterhaltende ist, dasmenschenerhaltende.

    Wie in der Geschichte der Natur die Ansichtenber das Groe sich stets gendert haben, so ist esauch in der sittlichen Geschichte der Menschen gewe-sen. Anfangs wurden sie von dem Nchstliegendenberhrt, krperliche Strke und ihre Siege im Ring-kampfe wurden gepriesen, dann kamen Tapferkeit undKriegesmut, dahin zielend, heftige Empfindungen undLeidenschaften gegen feindselige Haufen und Verbin-dungen auszudrcken und auszufhren, dann wurdeStammeshoheit und Familienherrschaft besungen, in-zwischen auch Schnheit und Liebe sowie Freund-schaft und Aufopferung gefeiert, dann aber erschienein berblick ber ein Greres: ganze menschlicheAbteilungen und Verhltnisse wurden geordnet, dasRecht des Ganzen vereint mit dem des Teiles, undGromut gegen den Feind und Unterdrckung seiner

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    Empfindungen und Leidenschaften zum Besten derGerechtigkeit hoch und herrlich gehalten, wie ja M-igung schon den Alten als die erste mnnliche Tu-gend galt, und endlich wurde ein vlkerumschlingen-des Band als ein Wnschenswertes gedacht, ein Band,

    das alle Gaben des einen Volkes mit denen des andernvertauscht, die Wissenschaft frdert, ihre Schtze fralle Menschen darlegt, und in der Kunst und Religionzu dem einfach Hohen und Himmlischen leitet.

    Wie es mit dem Aufwrtssteigen des menschlichenGeschlechtes ist, so ist es auch mit seinem Abwrts-steigen. Untergehenden Vlkern verschwindet zuerstdas Ma. Sie gehen nach Einzelnem aus, sie werfensich mit kurzem Blicke auf das Beschrnkte und Un-bedeutende, sie setzen das Bedingte ber das Allge-meine; dann suchen sie den Genu und das Sinnliche,

    sie suchen Befriedigung ihres Hasses und Neidesgegen den Nachbar, in ihrer Kunst wird das Einseitigegeschildert, das nur von einem Standpunkte Gltige,dann das Zerfahrene, Unstimmende, Abenteuerliche,endlich das Sinnenreizende, Aufregende und zuletztdie Unsitte und das Laster, in der Religion sinkt dasInnere zur bloen Gestalt oder zur ppigen Schwr-merei herab, der Unterschied zwischen Gut und Bseverliert sich, der einzelne verachtet das Ganze undgeht seiner Lust und seinem Verderben nach, und sowird das Volk eine Beute seiner inneren Zerwirrungoder die eines ueren, wilderen, aber krftigerenFeindes. - -

    Da ich in dieser Vorrede in meinen Ansichten berGroes und Kleines so weit gegangen bin, so sei es

    mir auch erlaubt zu sagen, da ich in der Geschichtedes menschlichen Geschlechtes manche Erfahrungenzu sammeln bemht gewesen bin, und da ich einzel-nes aus diesen Erfahrungen zu dichtenden Versuchenzusammengestellt habe; aber meine eben entwickelten

    Ansichten und die Erlebnisse der letztvergangenenJahre lehrten mich, meiner Kraft zu mitrauen, daherjene Versuche liegen bleiben mgen, bis sie besserausgearbeitet oder als unerheblich vernichtet werden.

    Diejenigen aber, die mir durch diese keineswegsfr junge Zuhrer passende Vorrede gefolgt sind,mgen es auch nicht verschmhen, die Hervorbrin-gungen bescheidenerer Krfte zu genieen, und mitmir zu den harmlosen folgenden Dingen bergehen.

    Im Herbste 1852Adalbert Stifter

    Einleitung

    Als Knabe trug ich auer Ruten, Gestruchen undBlten, die mich ergtzten, auch noch andere Dingenach Hause, die mich fast noch mehr freuten, weil sienicht so schnell Farbe und Bestand verloren wie diePflanzen, nmlich allerlei Steine und Erddinge. AufFeldern, an Rainen, auf Haiden und Hutweiden, jasogar auf Wiesen, auf denen doch nur das hohe Grassteht, liegen die mannigfaltigsten dieser Dinge herum.Da ich nun viel im Freien herum schweifen durfte,konnte es nicht fehlen, da ich bald die Pltze ent-deckte, auf denen die Dinge zu treffen waren, und da

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    ich die, welche ich fand, mit nach Hause nahm.Da ist an dem Wege, der von Oberplan nach Hos-

    senreuth fhrt, ein gerumiges Stck Rasen, welchesin die Felder hinein geht und mit einer Mauer auslosen Steinen eingefat ist. In diesen Steinen stecken

    kleine Blttchen, die wie Silber und Diamanten fun-keln, und die man mit einem Messer oder mit einerAhle herausbrechen kann. Wir Kinder hieen dieseBlttchen Katzensilber, und hatten eine sehr groeFreude an ihnen.

    Auf dem Berglein des Altrichters befindet sich einStein, der so fein und weich ist, da man ihn miteinem Messer schneiden kann. Die Bewohner unsererGegend nennen ihn Taufstein. Ich machte Tfelchen,Wrfel, Ringe und Petschafte aus dem Steine, bis mirein Mann, der Uhren, Barometer und Stammbume

    verfertigte und Bilder lackierte, zeigte, da man denStein mit einem zarten Firnisse anstreichen msse,und da dann die schnsten blauen, grnen und rtli-chen Linien zum Vorscheine kmen.

    Wenn ich Zeit hatte, legte ich meine Schtze ineine Reihe, betrachtete sie, und hatte mein Vergngenan ihnen. Besonders hatte die Verwunderung keinEnde, wenn es auf einem Steine so geheimnisvollglnzte und leuchtete und ugelte, da man es garnicht ergrnden konnte, woher denn das kme. Frei-lich war manchmal auch ein Stck Glas darunter, dasich auf den Feldern gefunden hatte, und das in allerleiRegenbogenfarben schimmerte. Wenn sie dann sag-ten, das sei ja nur ein Glas, und noch dazu ein verwit-terndes, wodurch es eben diese schimmernden Farbenerhalten habe, so dachte ich: Ei, wenn es auch nur ein

    Glas ist, so hat es doch die schnen Farben, und es istzum Staunen, wie es in der khlen, feuchten Erdediese Farben empfangen konnte, und ich lie es unterden Steinen liegen.

    Dieser Sammelgeist nun ist noch immer nicht von

    mir gewichen. Nicht nur trage ich noch heut zu Tagebuchstblich Steine in der Tasche nach Hause, um siezu zeichnen oder zu malen, und ihre Abbilder dannweiter zu verwenden, sondern ich lege ja auch hiereine Sammlung von allerlei Spielereien und Kram frdie Jugend an, an dem sie eine Freude haben, und densie sich zur Betrachtung zurecht richten mge. Frei-lich mssen meine jungen Freunde zu dieser Samm-lung bedeutend lter sein als ich, da ich mir meineseltsamen Feldsteine zur Ergtzung nach Hause trug.Es wird der Fall nicht eintreten, da ein Juwel in der

    Sammlung sei, so wie kaum die Gefahr vorhanden ist,da ich unter meinen Steinen einstens etwa einen un-geschliffenen Diamant oder Rubin gehabt habe undohne mein Wissen unermelich reich gewesen sei.Wenn aber manches Glasstock unter diesen Dingenist, so bitte ich meine Freunde, zu denken, wie ich beimeinem Glase gedacht habe: es hat doch allerlei Far-ben, und mag bei den Steinen belassen bleiben.

    Wenn man einem Verstorbenen eine Sammlungwidmen knnte, wrde ich diese meinem verstorbenenjungen Freunde Gustav widmen. Ich hatte ihn zuflligkennen gelernt, ihn lieb gewonnen, und er hatte mirwie einem Vater vertraut. Er hatte Freude an Spiele-reien, so wie er auch gleich einem Mdchen nochimmer gelegentlich ein Stckchen Naschwerk liebte,und, wenn er bei mir zu Tische war, auch stets bekam.

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    Mge er in seiner lichteren Heimat manchmal an denlteren Freund denken, der noch immer in dieser Weltist, und noch ein Stckchen Zeit da zu bleiben wnscht.

    Weil es unermelich viele Steine gibt, so kann ichgar nicht voraus sagen, wie gro diese Sammlung

    werden wird.

    Im Herbste 1852Der Verfasser

    Granit

    Vor meinem vterlichen Geburtshause, dicht nebender Eingangstr in dasselbe, liegt ein groer achtecki-

    ger Stein von der Gestalt eines sehr in die Lnge ge-zogenen Wrfels. Seine Seitenflchen sind roh ausge-hauen, seine obere Flche aber ist von dem vielen Sit-zen so fein und glatt geworden, als wre sie mit derkunstreichsten Glasur berzogen. Der Stein ist sehralt, und niemand erinnert sich, von einer Zeit gehrtzu haben, wann er gelegt worden sei. Die urltestenGreise unsers Hauses waren auf dem Steine gesessen,so wie jene, welche in zarter Jugend hinweggestorbenwaren und nebst all den andern in dem Kirchhofeschlummern. Das Alter beweist auch der Umstand,da die Sandsteinplatten, welche dem Steine zur Un-terlage dienen, schon ganz ausgetreten und dort, wosie unter die Dachtraufe hinaus ragen, mit tiefen L-chern von den herabfallenden Tropfen versehen sind.

    Eines der jngsten Mitglieder unseres Hauses, wel-

    che auf dem Steine gesessen waren, war in meinerKnabenzeit ich. Ich sa gerne auf dem Steine, weilman wenigstens dazumal eine groe Umsicht vondemselben hatte. Jetzt ist sie etwas verbaut worden.Ich sa gerne im ersten Frhlinge dort, wenn die mil-

    der werdenden Sonnenstrahlen die erste Wrme anderWand des Hauses erzeugten. Ich sah auf diegeacker-ten, aber noch nicht bebauten Felder hinaus, ich sahdort manchmal ein Glas wie einen weien feurigenFunken schimmern und glnzen, oder ich sah einenGeier vorber fliegen, oder ich sah auf den fernenblaulichen Wald, der mit seinen Zacken an dem Him-mel dahin geht, an dem die Gewitter und Wolkenbr-che hinabziehen, und der so hoch ist, da ich meinte,wenn man auf den hchsten Baum desselben hinauf

    stiege, mte man den Himmel angreifen knnen. Zuandern Zeiten sah ich auf der Strae, die nahe an demHause vorbergeht, bald einen Erntewagen, bald eineHerde, bald einen Hausierer vorber ziehen.

    Im Sommer sa gerne am Abende auch der Gro-vater auf dem Steine und rauchte sein Pfeifchen, undmanchmal, wenn ich schon lange schlief oder in denbeginnenden Schlummer nur noch gebrochen dieTne hinein hrte, saen auch teils auf dem Steine,teils auf dem daneben befindlichen Holzbnkchenoder auf der Lage von Baubrettern junge Bursche undMdchen und sangen anmutige Lieder in die finstereNacht.

    Unter den Dingen, die ich von dem Steine aus sah,war fter auch ein Mann von seltsamer Art. Er kamzuweilen auf der Hossenreuther Strae mit einem

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    glnzenden schwarzen Schuhkarren herauf gefahren.Auf dem Schubkarren hatte er ein glnzendesschwarzes Fchen. Seine Kleider waren zwar vomAnfange an nicht schwarz gewesen, allein sie warenmit der Zeit sehr dunkel geworden und glnzten eben-

    falls. Wenn die Sonne auf ihn schien, so sah er aus,als wre er mit l eingeschmiert worden. Er hatteeinen breiten Hut auf dem Haupte, unter dem die lan-gen Haare auf den Nacken hinabwallten. Er hatte einbraunes Angesicht, freundliche Augen, und seineHaare hatten bereits die gelblich weie Farbe, die siebei Leuten unterer Stnde, die hart arbeiten mssen,gerne bekommen. In der Nhe der Huser schrie ergewhnlich etwas, was ich nicht verstand. In Folgedieses Schreiens kamen unsere Nachbarn aus ihrenHusern heraus, hatten Gefe in der Hand, die mei-

    stens schwarze hlzerne Kannen waren, und begabensich auf unsere Gasse. Whrend dies geschah, war derMann vollends nher gekommen, und schob seinenSchubkarren auf unsere Gasse herzu. Da hielt er stille,drehte den Hahn in dem Zapfen seines Fasses, undlie einem jeden, der unterhielt, eine braune zheFlssigkeit in sein Gef rinnen, die ich recht gut alsWagenschmiere erkannte, und wofr sie ihm eine An-zahl Kreuzer oder Groschen gaben. Wenn alles vor-ber war und die Nachbarn sich mit ihrem Kaufe ent-fernt hatten, richtete er sein Fa wieder zusammen,strich alles gut hinein, was hervor gequollen war, undfuhr weiter. Ich war bei dem Vorfalle schier alleMalezugegen; denn wenn ich auch eben nicht auf derGasse war, da der Mann kam, so hrte ich doch sogut wie die Nachbarn sein Schreien, und war gewi

    eher auf dem Platze als alle andern.Eines Tages, da die Lenzsonne sehr freundlich

    schien und alle Menschen heiter und schelmischmachte, sah ich ihn wieder die Hossenreuther Straeherauffahren. Er schrie in der Nhe der Huser seinen

    gewhnlichen Gesang, die Nachbarn kamen herbei, ergab ihnen ihren Bedarf, und sie entfernten sich. Alsdieses geschehen war, brachte er sein Fa wie zu son-stigen Zeiten in Ordnung. Zum Hineinstreichen des-sen, was sich etwa an dem Hahne oder durch dasLockern des Zapfens an den untern Fadauben ange-sammelt hatte, hatte er einen langen, schmalen, fla-chen Lffel mit kurzem Stiele. Er nahm mit dem Lf-fel geschickt jedes Restchen Flssigkeit, das sich ineiner Fuge oder in einem Winkel versteckt hatte, her-aus und strich es bei den scharfen Rndern des

    Spundloches hinein. Ich sa, da er dieses tat, auf demSteine und sah ihm zu. Aus Zufall hatte ich bloeFe, wie es fter geschah, und hatte Hschen an, diemit der Zeit zu kurz geworden waren. Pltzlich sah ervon seiner Arbeit zu mir herzu und sagte: Willst dudie Fe eingeschmiert haben?

    Ich hatte den Mann stets fr eine groe Merkwr-digkeit gehalten, fhlte mich durch seineVertraulichkeit geehrt, und hielt beide Fe hin. Erfuhr mit seinem Lffel in das Spundloch, langte damitherzu und tat einen langsamen Strich auf jeden derbeiden Fe. Die Flssigkeit breitete sich schn aufder Haut aus, hatte eine auerordentlich klare, gold-braune Farbe und sandte die angenehmen Harzdftezu mir empor. Sie zog sich ihrer Natur nach allmh-lich um die Rundung meiner Fe herum und an

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    ihnen hinab. Der Mann fuhr indessen in seinem Ge-schfte fort, er hatte ein paar Male lchelnd auf michherzu geblickt, dann steckte er seinen Lffel in eineScheide neben das Fa, schlug oben das Spundlochzu, nahm die Tragbnder des Schubkarrens auf sich,

    hob letzteren empor, und fuhr damit davon. Da ichnun allein war, und ein zwar halb angenehmes, aberdeungeachtet auch nicht ganz beruhigtes Gefhlhatte, wollte ich mich doch auch der Mutter zeigen.Mit vorsichtig in die Hhe gehaltenen Hschen gingich in die Stube hinein. Es war eben Samstag, und anjedem Samstage mute die Stube sehr schn gewa-schen und gescheuert werden, was auch heute amMorgen geschehen war, so wie derWagenschmiermann gerne an Samstagen kam, um amSonntage dazubleiben und in die Kirche zu gehen.

    Die gut ausgelaugte und wieder getrocknete Holzfaserdes Fubodens nahm die Wagenschmiere meinerFe sehr begierig auf, so da hinter jedem meinerTritte eine starke Tappe auf dem Boden blieb. DieMutter sa eben, da ich herein kam, an dem Fensterti-sche vorne und nhte. Da sie mich so kommen undvorwrts schreiten sah, sprang sie auf. Sie blieb einenAugenblick in der Schwebe, entweder weil sie michso bewunderte, oder weil sie sich nach einem Werk-zeuge umsah, mich zu empfangen. Endlich aber riefsie: Was hat denn dieser heillose, eingefleischteSohn heute fr Dinge an sich?

    Und damit ich nicht noch weiter vorwrts ginge,eilte sie mir entgegen, hob mich empor und trug mich,meines Schreckes und ihrer Schrze nicht achtend, indas Vorhaus hinaus. Dort lie sie mich nieder, nahm

    unter der Bodenstiege, wohin wir, weil es an einemandern Orte nicht erlaubt war, alle nach Hause ge-brachten Ruten und Zweige legen muten, und wo ichselber in den letzten Tagen eine groe Menge dieserDinge angesammelt hatte, heraus, was sie nur immer

    erwischen konnte, und schlug damit so lange und soheftig gegen meine Fe, bis das ganze Laubwerk derRuten, meine Hschen, ihre Schrze, die Steine desFubodens und die Umgebung voll Pech waren. Dannlie sie mich los, und ging wieder in die Stube hinein.

    Ich war, obwohl es mir schon von Anfange bei derSache immer nicht so ganz vollkommen geheuer ge-wesen war, doch ber diese frchterliche Wendungder Dinge, und weil ich mit meiner teuerstenVerwandten dieser Erde in dieses Zerwrfnis geratenwar, gleichsam vernichtet. In dem Vorhause befindet

    sich in einer Ecke ein groer Steinwrfel, der denZweck hat, da auf ihm das Garn zu den Hauswebenmit einem hlzernen Schlgel geklopft wird. Auf die-sen Stein wankte ich zu und lie mich auf ihn nieder.Ich konnte nicht einmal weinen, das Herz war mir ge-pret, und die Kehle wie mit Schnren zugeschnrt.Drinnen hrte ich die Mutter und die Magd berat-schlagen, was zu tun sei, und frchtete, da, wenn diePechspuren nicht weg gingen, sie wieder herauskom-men und mich weiter zchtigen wrden.

    In diesem Augenblicke ging der Grovater bei derhintern Tr, die zu dem Brunnen und auf die Garten-wiese fhrt, herein, und ging gegen mich hervor. Erwar immer der Gtige gewesen, und hatte, wenn wasimmer fr ein Unglck gegen uns Kinder herein ge-brochen war, nie nach dem Schuldigen gefragt, son-

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    dern nur stets geholfen. Da er nun zu dem Platze, aufdem ich sa, hervor gekommen war, blieb er stehen,und sah mich an. Als er den Zustand, in welchem ichmich befand, begriffen hatte, fragte er, was es denngegeben habe, und wie es mit mir so geworden sei.

    Ich wollte mich nun erleichtern, allein ich konnte auchjetzt wieder nichts erzhlen, denn nun brachen beidem Anblicke seiner gtigen und wohlmeinendenAugen alle Trnen, die frher nicht hervor zu kommenvermocht hatten, mit Gewalt heraus und ran-nen in Strmen herab, so da ich vor Weinen undSchluchzen nur gebrochene und verstmmelte Lautehervorbringen, und nichts tun konnte, als die Fchenempor heben, auf denen jetzt auch aus dem Pechenoch das hliche Rot der Zchtigung hervor sah.

    Er aber lchelte und sagte: So komme nur her zu

    mir, komme mit mir.Bei diesen Worten nahm er mich bei der Hand, zog

    mich sanft von dem Steine herab, und fhrte mich, derich ihm vor Ergriffenheit kaum folgen konnte, durchdie Lnge des Vorhauses zurck und in den Hof hin-aus. In dem Hofe ist ein breiter, mit Steinen gepfla-sterter Gang, der rings an den Bauwerken herum luft.Auf diesem Gange stehen unter dem berdache desHauses gewhnlich einige Schemel oder derlei Dinge,die dazu dienen, da sich die Mgde beim Hechelndes Flachses oder andern hnlichen Arbeiten daraufnieder setzen knnen, um vor dem Unwetter geschtztzu sein. Zu einem solchen Schemel fhrte er michhinzu und sagte: Setze dich da nieder und warte einwenig, ich werde gleich wieder kommen.

    Mit diesen Worten ging er in das Haus, und nach-

    dem ich ein Weilchen gewartet hatte, kam er wiederheraus, indem er eine groe, grnglasierte Schssel,einen Topf mit Wasser und Seife und Tcher in denHnden trug. Diese Dinge stellte er neben mir auf dasSteinpflaster nieder, zog mir, der ich auf dem Schemel

    sa, meine Hschen aus, warf sie seitwrts, go war-mes Wasser in die Schssel, stellte meine Fe hin-ein, und wusch sie so lange mit Seife und Wasser, bisein groer wei und braun gefleckter Schaumberg aufder Schssel stand, die Wagenschmiere, weil sie nochfrisch war, ganz weggegangen, und keine Spur mehrvon Pech auf der Haut zu erblicken war. Dann trock-nete er mit den Tchern die Fe ab und fragte: Istes nun gut?

    Ich lachte fast unter den Trnen, ein Stein nachdem andern war mir whrend des Waschens von dem

    Herzen gellen, und waren die Trnen schon linder ge-flossen, so rangen sie jetzt nur mehr einzeln aus denAugen hervor. Er holte mir nun auch andere Hschenund zog sie mir an. Dann nahm er das trocken geblie-bene Ende der Tcher, wischte mir damit das ver-weinte Angesicht ab und sagte: Nun gehe da berden Hof bei dem groen Einfahrtstore auf die Gassehinaus, da dich niemand sehe, und da du nieman-den in die Hnde fallest. Auf der Gasse warte aufmich, ich werde dir andere Kleider bringen und michauch ein wenig umkleiden. Ich gehe heute in das DorfMelm, da darfst du mitgehen, und da wirst du mir er-zhlen, wie sich dein Unglck ereignet hat, und wiedu in diese Wagenschmiere geraten bist. Die Sachenlassen wir da liegen, es wird sie schon jemandhinwegrumen.

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    Mit diesen Worten schob er mich gegen den Hof,und ging in das Haus zurck. Ich schritt leise berden Hof, und eilte bei dem Einfahrtstore hinaus. Aufder Gasse ging ich sehr weit von dem groen Steineund von der Haustr weg, damit ich sicher wre, und

    stellte mich auf eine Stelle, von welcher ich von fernein die Haustr hinein sehen konnte. Ich sah, da aufdem Platze, auf welchem ich gezchtigt worden war,zwei Mgde beschftigt waren, welche auf demBoden knieten und mit den Hnden auf ihm hin undher fuhren. Wahrscheinlich waren sie bemht, diePechspuren, die von meiner Zchtigung entstandenwaren, weg zu bringen. Die Hausschwalbe flog krei-schend bei der Tr aus und ein, weil heute unter ihremNeste immer Strung war, erst durch meine Zchti-gung und nun durch die arbeitenden Mgde. An der

    uersten Grenze unserer Gasse, sehr weit von derHaustr entfernt, wo der kleine Hgel, auf dem unserHaus steht, schon gegen die vorbeigehende Strae ab-zufallen beginnt, lagen einige ausgehauene Stmme,die zu einem Baue oder zu einem anderen hnlichenWerke bestimmt waren. Auf diese setzte ich mich nie-der, und wartete.

    Endlich kam der Grovater heraus. Er hatte seinenbreiten Hut auf dem Haupte, hatte seinen langen Rockan, den er gerne an Sonntagen nahm, und trug seinenStock in der Hand. In der andern hatte er aber auchmein blaugestreiftes Jckchen, weie Strmpfe,schwarze Schnrstiefelchen und mein graues Filzht-chen. Das alles half er mir anziehen, und sagte: So,jetzt gehen wir.

    Wir gingen auf dem schmalen Fuwege durch das

    Grn unsers Hgels auf die Strae hinab, und gingenauf der Strae fort, erst durch die Huser der Nach-barn, auf denen die Frhlingssonne lag, und vondenen die Leute uns grten, und dann in das Freiehinaus. Dort streckte sich ein weites Feld und schner

    grner Rasen vor uns hin, und heller, freundlicherSonnenschein breitete sich ber alle Dinge der Welt.Wir gingen auf einem weien Wege zwischen demgrnen Rasen dahin. Mein Schmerz und mein Kum-mer war schon beinahe verschwunden, ich wute, daein guter Ausgang nicht fehlen konnte, da der Gro-vater sich der Sache annahm und mich beschtzte; diefreie Luft und die scheinende Sonne bten einen beru-higenden Einflu, und ich empfand das Jckchen sehrangenehm auf meinen Schultern und die Stiefelchenan den Fen, und die Luft flo sanft durch meine

    Haare.Als wir eine Weile auf der Wiese gegangen waren,

    wie wir gewhnlich gingen, wenn er mich mit nahm,nmlich da er seine groen Schritte milderte, abernoch immer groe Schritte machte, und ich teilweiseneben ihm trippeln mute, sagte der Grovater: Nun,sage mir doch auch einmal, wie es denn geschehen ist,da du mit so vieler Wagenschmiere zusammen gera-ten bist, da nicht nur deine ganzen Hschen vollPech sind, da deine Fe voll waren, da ein Pech-fleck in dem Vorhause ist, mit Pech besudelte Rutenherum liegen, sondern da auch im ganzen Hause, woman nur immer hin kmmt, Flecken von Wagen-schmiere anzutreffen sind. Ich habe deiner Mutterschon gesagt, da du mit mir gehest, du darfst nichtmehr besorgt sein, es wird dich keine Strafe mehr tref-

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    fen.Ich erzhlte ihm nun, wie ich auf dem Steine geses-

    sen sei, wie der Wagenschmiermann gekommen sei,wie er mich gefragt habe, ob ich meine Fe einge-schmiert haben wolle, wie ich sie ihm hingehalten,

    und wie er auf jeden einen Strich getan habe, wie ichin die Stube gegangen sei, um mich der Mutter zu zei-gen, wie sie aufgesprungen sei, wie sie mich genom-men, in das Vorhaus getragen, mich mit meinen eige-nen Ruten gezchtiget habe, und wie ich darnach aufdem Steine sitzen geblieben sei.

    Du bist ein kleines Nrrlein, sagte der Grova-ter, und der alte Andreas ist ein arger Schalk, er hatimmer solche Streiche ausgefhrt, und wird jetztheimlich und wiederholt bei sich lachen, da er denEinfall gehabt hat. Dieser Hergang bessert deine Sache

    sehr. Aber siehst du, auch der alte Andreas, sobel wir seine Sache ansehen mgen, ist nicht soschuldig, als wir andern uns denken; denn woher solldenn der alte Andreas wissen, da die Wagenschmie-re fr die Leute eine so schreckende Sache ist, undda sie in einem Flause eine solche Unordnung an-richten kann; denn fr ihn ist sie eine Ware, mit der erimmer umgeht, die ihm seine Nahrung gibt, die erliebt, und die er sich immer frisch holt, wenn sie ihmausgeht. Und wie soll er von gewaschenen Fubdenetwas wissen, da er Jahr aus, Jahr ein bei Regen undSonnenschein mir seinem Fasse auf der Strae ist, beider Nacht oder an Feiertagen in einer Scheune schlft,und an seinen Kleidern Heu oder Halme kleben hat.Aber auch deine Mutter hat recht; sie mute glauben,da du dir leichtsinniger Weise die Fe selber mit so

    vieler Wagenschmiere beschmiert habest, und da duin die Stube gegangen seiest, den schnen Boden zubesudeln. Aber lasse nur Zeit, sie wird schon zur Ein-sicht kommen, sie wird alles verstehen, und alles wirdgut werden. Wenn wir dort auf jene Hhe hinauf ge-

    langen, von der wir weit herum sehen, werde ich direine Geschichte von solchen Pechmnnern erzhlen,wie der alte Andreas ist, die sich lange vorher zuge-tragen hat, ehe du geboren wurdest, und ehe ich gebo-ren wurde, und aus der du ersehen wirst, welche wun-derbare Schicksale die Menschen auf der Welt deslieben Gottes haben knnen. Und wenn du starkgenug bist und gehen kannst, so lasse ich dich in dernchsten Woche nach Spitzenberg und in dieHirschberge mitgehen, und da wirst du am Wege imFichtengrunde eine solche Brennerei sehen, wo sie die

    Wagenschmiere machen, wo sich der alte Andreasseinen Vorrat immer holt, und wo also das Pech herist, womit dir heute die Fe eingeschmiert wordensind.

    Ja, Grovater, sagte ich, ich werde recht starksein.

    Nun, das wird gut sein, antwortete er, und dudarfst mitgehen.

    Bei diesen Worten waren wir zu einer Mauer auslosen Steinen gelangt, jenseits welcher eine grneWiese mit dem weien Fupfade war. Der Grovaterstieg ber den Steigstein, indem er seinen Stock undseinen Rock nach sich zog, und mir, der ich zu kleinwar, hinber half; und wir gingen dann auf dem rei-nen Pfade weiter. Ungefhr in der Mitte der Wieseblieb er stehen und zeigte auf die Erde, wo unter

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    einem flachen Steine ein klares Wsserlein hervorquoll und durch die Wiese fortrann.

    Das ist das Behringer Brnnlein, sagte er, wel-ches das beste Wasser in der Gegend hat, ausgenom-men das wunderttige Wasser, welches auf dem

    Brunnberge in dem berbauten Brnnlein ist, in dessenNhe die Gnadenkapelle zum guten Wassersteht. Manche Menschen holen sich aus diesemBrnnlein da ihr Trinkwasser, mancher Feldarbeitergeht weit herzu, um da zu trinken, und mancher Kran-ke hat schon aus entfernten Gegenden mit einemKruge hieher geschickt, damit man ihm Wasser brin-ge. Merke dir den Brunnen recht gut.

    Ja, Grovater, sagte ich.Nach diesen Worten gingen wir wieder weiter. Wir

    gingen auf dem Fupfade durch die Wiese, wir gingen

    auf einem Wege zwischen Feldern empor, und kamenzu einem Grunde, der mit dichtem, kurzem, fastgrauem Rasen bedeckt war, und auf dem nach allenRichtungen hin in gewissen Entfernungen von einan-der Fhren standen.

    Das, worauf wir jetzt gehen, sagte der Grova-ter, sind die Drrschnbel, es ist ein seltsamerName, entweder kmmt er von dem trockenen, drrenBoden, oder von dem mageren Krutlein, das tausend-fltig auf dem Boden sitzt, und dessen Blte ein wei-es Schnblein hat mit einem gelben Znglein darin.Siehe, die mchtigen Fhren gehren den Brgern zuOberplan je nach der Steuerbarkeit, sie haben die Na-deln nicht in zwei Zeilen, sondern in Scheiden wiegrne Borstbschel, sie haben das geschmeidige, fetteHolz, sie haben das gelbe Pech, sie streuen sparsamen

    Schatten, und wenn ein schwaches Lftchen geht, sohrt man die Nadeln ruhig und langsam sausen.

    Ich hatte Gelegenheit, als wir weiter gingen, dieWahrheit dessen zu beobachten, was der Grovatergesagt hatte. Ich sah eine Menge der weigelben

    Blmlein auf dem Boden, ich sah den grauen Rasen,ich sah auf manchem Stamme das Pech wie goldeneTropfen stehen, ich sah die unzhligen Nadelbschelauf den unzhligen Zweigen gleichsam aus winzigendunkeln Stiefelchen heraus ragen, und ich hrte, ob-gleich kaum ein Lftchen zu verspren war, das ruhi-ge Sausen in den Nadeln.

    Wir gingen immer weiter, und der Weg wurdeziemlich steil.

    Auf einer etwas hheren und freieren Stelle bliebder Grovater stehen und sagte: So, da warten wir

    ein wenig.Er wendete sich um, und nachdem wir uns von der

    Bewegung des Aufwrtsgehens ein wenig ausgeatmethatten, hob er seinen Stock empor und zeigte aufeinen entfernten mchtigen Waldrcken in der Rich-tung, aus der wir gekommen waren, und fragte:Kannst du mir sagen, was das dort ist?

    Ja, Grovater, antwortete ich, das ist die Alpe,auf welcher sich im Sommer eine Viehherde befindet,die im Herbste wieder herabgetrieben wird.

    Und was ist das, das sich weiter vorwrts von derAlpe befindet? fragte er wieder. Das ist derHttenwald, antwortete ich.

    Und rechts von der Alpe und dem Httenwalde?Das ist der Philippgeorgsberg.

    Und rechts von dem Philippgeorgsberge?

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    Das ist der Seewald, in welchem sich das dunkleund tiefe Seewasser befindet.

    Und wieder rechts von dem Seewalde?Das ist der Blockenstein und der Sesselwald.

    Und wieder rechts?

    Das ist der Tussetwald.Und weiter kannst du sie nicht kennen; aber da istnoch mancher Waldrcken mit manchem Namen, siegehen viele Meilen weit in die Lnder fort. Einstwaren die Wlder noch viel grer als jetzt. Da ichein Knabe war, reichten sie bis Spitzenberg und dievordern Stiftshuser, es gab noch Wolfe darin, unddie Hirsche konnten wir in der Nacht, wenn eben dieZeit war, bis in unser Bette hinein brllen hren.Siehst du die Rauchsule dort, die aus dem Htten-walde aufsteigt?

    Ja, Grovater, ich sehe sie.Und weiter zurck wieder eine aus dem Walde der

    Alpe?Ja, Grovater.Und aus den Niederungen des Philippgeorgsber-

    ges wieder eine?Ich sehe sie, Grovater. Und weit hinten im

    Kessel des Seewaldes, denman kaum erblicken kann, noch eine, die so schwachist, als wre sie nur ein blaues Wlklein?

    Ich sehe sie auch, Grovater.Siehst du, diese Rauchsulen kommen alle von

    den Menschen, die in dem Walde ihre Geschfte trei-ben. Da sind zuerst die Holzknechte, die an Stellendie Bume des Waldes umsgen, da nichts brig istals Strnke und Strauchwerk. Sie znden ein Feuer

    an, um ihre Speisen daran zu kochen, und um auchdas unntige Reisig und die ste zu verbrennen.Dann sind die Kohlenbrenner, die einen groen Mei-ler trmen, ihn mit Erde und Reisern bedecken und inihm aus Scheitern die Kohlen brennen, die du oft In

    groen Scken an unserem Hause vorbei in die ferne-ren Gegenden hinaus fhren siehst, die nichts zu bren-nen haben. Dann sind die Heusucher, die in den klei-nen Wiesen und in den von Wald entblten Stellendas Heu machen, oder es auch mit Sicheln zwischendem Gesteine schneiden. Sie machen ein Feuer, umebenfalls daran zu kochen, oder da sich ihr Zugviehin den Rauch lege und dort weniger von den Fliegengeplagt werde. Dann sind die Sammler, welche Holz-schwmme, Arzneidinge, Beeren und andere Sachensuchen, und auch gerne ein Feuer machen, sich daran

    zu laben. Endlich sind die Pechbrenner, die sich ausWalderde fen bauen, oder Lcher mit Lehmberwlben, und daneben sich Htten aus Waldbu-men aufrichten, um in den Htten zu wohnen, und inden fen und Lchern die Wagenschmiere zu bren-nen, aber auch den Teer, den Terpentin und andereGeister. Wo ein ganz dnnes Rauchfdlein aufsteigt,mag es auch ein Jger sein, der sich sein StockleinFleisch bratet oder der Ruhe pflegt. Alle diese Leutehaben keine bleibende Sttte in dem Walde; denn siegehen bald hierhin, bald dorthin, je nachdem sie ihreArbeit getan haben oder ihre Gegenstnde nicht mehrfinden. Darum haben auch die Rauchsulen keinebleibende Stelle, und heute siehest du sie hier und einanderes Mal an einem anderen Platze.

    Ja, Grovater.

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    Das ist das Leben der Wlder. Aber la uns nunauch das auerhalb betrachten. Kannst du mir sagen,was das fr weie Gebude sind, die wir da durch dieDoppelfhre hin sehen?

    Ja, Grovater, das sind die Pranghfe.

    Und weiter von den Pranghfen links?Das sind die Huser von Vorder- und Hinterstift.Und wieder weiter links?Das ist Glckelberg.Und weiter gegen uns her am Wasser?Das ist die Hammermhle und der Bauer David.Und die vielen Huser ganz in unserer Nhe, aus

    denen die Kirche emporragt, und hinter denen ein Bergist, auf welchem wieder ein Kirchlein steht?

    Aber, Grovater, das ist ja unser MarktfleckenOberplan, und das Kirchlein auf dem Berge ist das

    Kirchlein zum guten Wasser.Und wenn die Berge nicht wren und die Anh-

    hen, die uns umgeben, so wrdest du noch viel mehrHuser und Ortschaften sehen: die Karlshfe, Stuben,Schwarzbach, Langenbruck, Melm, Honnetschlag,und auf der entgegengesetzten Seite Pichlern, Pernek,Salnau und mehrere andere. Das wirst du einsehen,da in diesen Ortschaften viel Leben ist, da dortviele Menschen Tag und Nacht um ihren Lebensun-terhalt sich abmhen und die Freude genieen, dieuns hienieden gegeben ist. Ich habe dir darum dieWlder gezeigt und die Ortschaften, weil sich inihnen die Geschichte zugetragen hat, welche ich dirim Heraufgehen zu erzhlen versprochen habe. Aberla uns weiter gehen, da wir bald unser Ziel errei-chen, ich werde dir die Geschichte im Gehen erzh-

    len.Der Grovater wendete sich um, ich auch, er setzte

    die Spitze seines Stockes in die magere Rasenerde,wir gingen weiter, und er erzhlte: In allen diesenWldern und in allen diesen Ortschaften hat sich einst

    eine merkwrdige Tatsache ereignet, und es ist eingroes Ungemach ber sie gekommen. Mein Grova-ter, dein Ururgrovater, der zu damaliger Zeit gelebthat, hat es uns oft erzhlt. Es war einmal in einemFrhlinge, da die Bume kaum ausgeschlagen hatten,da die Bltenbltter kaum abgefallen waren, da eineschwere Krankheit ber diese Gegend kam und inallen Ortschaften, die du gesehen hast, und auch injenen, die du wegen vorstehender Berge nicht hastsehen knnen, ja sogar in den Wldern, die du mir ge-zeigt hast, ausgebrochen ist. Sie ist lange vorher in

    entfernten Lndern gewesen und hat dort unglaublichviele Menschen dahin gerafft. Pltzlich ist sie zu unsherein gekommen. Man wei nicht, wie sie gekom-men ist: haben sie die Menschen gebracht, ist sie inder milden Frhlingsluft gekommen, oder haben sieWinde und Regenwolken daher getragen: genug, sieist gekommen und hat sich ber alle Orte ausgebrei-tet, die um uns herum liegen. ber die weien Blten-bltter, die noch auf dem Wege lagen, trug man dieToten dahin, und in dem Kmmerlein, in das dieFrhlingsbltter hinein schauten, lag ein Kranker, undes pflegte ihn einer, der selbst schon krankte. DieSeuche wurde die Pest geheien, und in fnf bis sechsStunden war der Mensch gesund und tot, und selbstdie, welche von dem bel genasen, waren nicht mehrrecht gesund und recht krank, und konnten ihren Ge-

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    schften nicht nachgehen. Man hatte vorher in Win-terabenden erzhlt, wie in andern Lndern eineKrankheit sei, und die Leute an ihr wie an einemStrafgerichte dahin sterben; aber niemand hatte ge-glaubt, da sie in unsere Wlder herein kommen

    werde, weil nie etwas Fremdes zu uns herein kmmt,bis sie kam. In den Ratschlgerhusern ist sie zuerstausgebrochen, und es starben gleich alle, die an ihrerkrankten. Die Nachricht verbreitete sich in der Ge-gend, die Menschen erschraken und rannten gegeneinander. Einige warteten, ob es weiter greifen wrde,andere flohen und trafen die Krankheit in den Gegen-den, in welche sie sich gewendet hatten. Nach einigenTagen brachte man schon die Toten auf den Oberpla-ner Kirchhof, um sie zu begraben, gleich darauf vonnahen und fernen Drfern und von dem Marktflecken

    selbst. Man hrte fast den ganzen Tag dieZgenglocke luten, und das Totengelute konnteman nicht mehr jedem einzelnen Toten verschaffen,sondern man lutete es allgemein fr alle. Bald konn-te man sie auch nicht mehr in dem Kirchhofe begra-ben, sondern man machte groe Gruben auf dem frei-en Felde, tat die Toten hinein und scharrte sie mitErde zu. Von manchem Hause ging kein Rauchempor, in manchem hrte man das Vieh brllen, weilman es zu fttern vergessen hatte, und manches Rindging verwildert herum, weil niemand war, es von derWeide in den Stall zu bringen. Die Kinder liebten ihreEltern nicht mehr und die Eltern die Kinder nicht,man warf nur die Toten in die Grube und ging davon.Es reiften die roten Kirschen, aber niemand dachte ansie, und niemand nahm sie von den Bumen, es reif-

    ten die Getreide, aber sie wurden nicht in der Ord-nung und Reinlichkeit nach Hause gebracht wie sonst,ja manche wren gar nicht nach Hause gekommen,wenn nicht doch noch ein mitleidiger Mann sie einemBblein oder Mtterlein, die allein in einem Hause

    gesund geblieben waren, einbringen geholfen htte.Eines Sonntages, da der Pfarrer von Oberplan dieKanzel bestieg, um die Predigt zu halten, waren mitihm sieben Personen in der Kirche; die andern warengestorben, oder waren krank oder bei der Kranken-pflege, oder aus Wirrnis und Starrsinn nicht gekom-men. Als sie dieses sahen, brachen sie in ein lautesWeinen aus, der Pfarrer konnte keine Predigt halten,sondern las eine stille Messe, und man ging auseinan-der. Als die Krankheit ihren Gipfel erreicht hatte, alsdie Menschen nicht mehr wuten, sollten sie in dem

    Himmel oder auf der Erde Hilfe suchen, geschah es,da ein Bauer aus dem Amischhause von Melm nachOberplan ging. Auf der Drillingsfhre sa ein Vg-lein und sang:

    Et Enzian und Pimpinell,Steht auf, sterbt nicht so schnell.Et Enzian und Pimpinell,Steht auf, sterbt nicht so schnell.

    Der Bauer entfloh, er lief zu dem Pfarrer nachOberplan und sagte ihm die Worte, und der Pfarrersagte sie den Leuten. Diese taten, wie das Vglein ge-sungen hatte, und die Krankheit minderte sich immermehr und mehr, und noch ehe der Haber in die Stop-peln gegangen war, und ehe die braunen Haselnssean den Bschen der Zune reiften, war sie nicht mehr

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    vorhanden. Die Menschen getrauten sich wieder her-vor, in den Drfern ging der Rauch empor, wie mandie Betten und die andern Dinge der Kranken ver-brannte, weil die Krankheit sehr ansteckend gewesenwar; viele Huser wurden neu getncht und gescheu-

    ert, und die Kirchenglocken tnten wieder friedfertigeTne, wenn sie entweder zu dem Gebete riefen oderzu den heiligen Festen der Kirche.

    In dem Augenblicke, gleichsam wie durch dieWorte hervor gerufen, tnte hell, klar und rein mitihren deutlichen tiefen Tnen die groe Glocke vondem Turme zu Oberplan, und die Klnge kamen zuuns unter die Fhren herauf.

    Siehe, sagte der Grovater, ist es schon vierUhr, und schon Feierabendluten; siehst du, Kind,diese Zunge sagt uns beinahe mit vernehmlichen

    Worten, wie gut und wie glcklich und wie befriedigtwieder alles in dieser Gegend ist.

    Wir hatten uns bei diesen Worten umgekehrt, undschauten nach der Kirche zurck. Sie ragte mit ihremdunkeln Ziegeldache und mit ihrem dunkeln Turme,von dem die Tne kamen, empor, und die Huserdrngten sich wie eine graue Taubenschar um sie.

    Weil es Feierabend ist, sagte der Grovater,mssen wir ein kurzes Gebet tun.

    Er nahm seinen Hut von dem Haupte, machte einKreuz und betete. Ich nahm auch mein Htchen ab,

    und betete ebenfalls. Als wir geendet, die Kreuze ge-macht und unsere Kopfbedeckungen wieder aufgesetzthatten, sagte der Grovater: Es ist ein schner Ge-brauch, da am Samstage nachmittags mit der Glockedieses Zeichen gegeben wird, da nun der Vorabend

    des Festes des Herrn beginne, und da alles strengeIrdische ruhen msse, wie ich ja auch an Samstagennachmittags keine ernste Arbeit vornehme, sondernhchstens einen Gang in benachbarte Drfer mache.Der Gebrauch stammt von den Heiden her, die frher

    in den Gegenden waren, denen jeder Tag gleich war,und denen man, als sie zum Christentume bekehrtwaren, ein Zeichen geben mute, da der Gottestagim Anbrechen sei. Einstens wurde dieses Zeichen sehrbeachtet; denn wenn die Glocke klang, beteten dieMenschen und setzten ihre harte Arbeit zu Hause oderauf dem Felde aus. Deine Gromutter, als sie noch einjunges Mdchen war, kniete jederzeit bei dem Feier-abendluten nieder und tat ein kurzes Gebet. Wennich damals an Samstagabenden, so wie ich jetzt inandere Gegenden gehe, nach Glckelberg ging, denn

    deine Gromutter ist von dem vordern Glckelberg zuHause, so kniete sie oft bei dem Klange desDorfglckleins mit ihrem roten Leibchen und schnee-weien Rckchen neben dem Gehege nieder, und dieBlten des Geheges waren eben so wei und rot wieihre Kleider.

    Grovater, sie betet jetzt auch noch immer, wennFeierabend gelutet wird, in der Kammer neben demblauen Schreine, der die roten Blumen hat, sagte ich.

    Ja, das tut sie, erwiderte er, aber die andernLeute beachten das Zeichen nicht, sie arbeiten fort auf

    dem Felde, und arbeiten fort in der Stube, wie ja auchdie Schlage unsers Nachbars, des Webers, selbst anSamstagabenden forttnt, bis es Nacht wird und dieSterne am Himmel stehen.

    Ja, Grovater.

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    Das wirst du aber nicht wissen, da Oberplan dasschnste Gelute in der ganzen Gegend hat. DieGlocken sind gestimmt, wie man die Saiten einerGeige stimmt, da sie gut zusammen tnen. Darumkann man auch keine mehr dazu machen, wenn eine

    brche oder einen Sprung bekme, und mit der Schn-heit des Gelutes wre es vorber. Als dein OheimSimon einmal vor dem Feinde im Felde lag und krankwar, sagte er, da ich ihn besuchte: Vater, wenn ich

    nur noch einmal das Oberplaner Glcklein hrenknnte! aber er konnte es nicht mehr hren undmute sterben.

    In diesem Augenblicke hrte die Glocke zu tnenauf, und es war wieder nichts mehr auf den Feldernals das freundliche Licht der Sonne.

    Komme, lasse uns weiter gehen, sagte der Gro-

    vater.Wir gingen auf dem grauen Rasen zwischen den

    Stmmen weiter, immer von einem Stamme zum an-dern. Es wre wohl ein ausgetretener Weg gewesen,aber auf dem Rasen war es weicher und schner zugehen. Allein die Sohlen meiner Stiefel waren vondem kurzen Grase schon so glatt geworden, da ichkaum einen Schritt mehr zu tun vermochte und beimGehen nach allen Richtungen ausglitt. Da der Gro-vater diesen Zustand bemerkt hatte, sagte er: Dumut mit den Fen nicht so schleifen; auf diesem

    Grase mu man den Tritt gleich hinstellen, da er gilt,sonst bohnt man die Sohlen glatt, und es ist kein si-cherer Halt mglich. Siebst du, alles mu man lernen,selbst das Gehen. Aber komme, reiche mir die Hand,ich werde dich fhren, da du ohne Mhsal fort

    kmmst.Er reichte mir die Hand, ich fate sie, und ging nun

    ge sttzt und gesicherter weiter.Der Grovater zeigte nach einer Weile auf einen

    Baum und sagte: Das ist die Drillingsfhre.

    Ein groer Stamm ging in die Hhe und trug dreischlanke Bume, welche in den Lften ihre ste undZweige vermischten. Zu seinen Fen lag eine Mengeherabgefallener Nadeln.

    Ich wei es nicht, sagte der Grovater, hattedas Vglein die Worte gesungen, oder hat sie Gottdem Manne in das Herz gegeben; aber die Drillings-fhre darf nicht umgehauen werden, und ihrem Stam-me und ihren sten darf kein Schaden geschehen.

    Ich sah mir den Baum recht an, dann gingen wirweiter, und kamen nach einiger Zeit allmhlich aus

    den Drrschnbeln hinaus. Die Stmme wurden dn-ner, sie wurden seltener, hrten endlich ganz auf, undwir gingen auf einem sehr steinigen Wege zwischenFeldern, die jetzt wieder erschienen, hinauf. Hier zeig-te mir der Grovater wieder einen Baum, und sagte:Siehe, das ist die Machtbuche, das ist der bedeut-samste Baum in der Gegend, er wchst aus demsteinigsten Grunde empor, den es gibt. Siehe, darumist sein Holz auch so fest wie Stein, darum ist seinStamm so kurz, die Zweige stehen so dicht und haltendie Bltter fest, da die Krone gleichsam eine Kugel

    bildet, durch die nicht ein einziges uglein des Him-mels hindurch schauen kann. Wenn es Winter werdenwill, sehen die Leute auf diesen Baum und sagen:Wenn einmal die Herbstwinde durch das drre Laub

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    der Machtbuche sausen, und ihre Bltter auf demBoden dahin treiben, dann kmmt bald der Winter.Und wirklich hllen sich in kurzer Zeit die Hgel undFelder in die weie Decke des Schnees. Merke dir denBaum, und denke in spten Jahren, wenn ich lngst

    im Grabe liege, da es dein Grovater gewesen ist,der ihn dir zuerst gezeigt hat.Von dieser Buche gingen wir noch eine kleine Zeit

    aufwrts, und kamen dann auf die Schneidelinie derAnhhe, von der wir auf die jenseitigen Gegendenhinber sahen und das Dorf Melm in einer Menge vonBumen zu unsern Fen erblickten.

    Der Grovater blieb hier stehen, zeigte mit seinemStocke auf einen entfernten Wald und sagte: Siehstdu, dort rechts hinber der dunkle Wald ist der Rind-lesberg, hinter dem das Dorf Rindles liegt, das wir

    nicht sehen knnen. Weiter links, wenn der Nadel-wald nicht wre, wrdest du den groen Alschhof er-blicken. Zur Zeit der Pest ist in dem Alschhofe allesausgestorben bis auf eine einzige Magd, welche dasVieh, das in dem Alschhofe ist, pflegen mute, zweiReihen Khe, von denen die Milch zu dem Ksekmmt, den man in dem Hofe bereitet, dann die Stiereund das Jungvieh. Diese mute sie viele Wochen langnhren und warten, weil die Seuche den Tieren nichtsanhaben konnte, und sie frhlich und munter blieben,bis ihre Herrschaft Kenntnis von dem Ereignisse er-

    hielt, und von den brig gebliebenen Menschen ihreinige zu Hilfe sendete. In der groen Hammermhle,die du mir im Heraufgehen gezeigt hast, sind eben-falls alle Personen gestorben bis auf einen einzigenkrummen Mann, der alle Geschfte zu tun hatte und

    die Leute befriedigen mute, die nach der Pest dasGetreide zur Mhle brachten und ihr Mehl habenwollten; daher noch heute das Sprichwort kmmt:Ich habe mehr Arbeit als der Krumme im Hammer.

    Von den Priestern in Oberplan ist nur der alte Pfarrer

    brig geblieben, um der Seelsorge zu pflegen, diezwei Kaplne sind gestorben, auch der Kster ist ge-storben und sein Sohn, der schon die Priesterweihehatte. Von den Badhusern, die neben der kurzenZeile des Marktes die gebogene Gasse machen, sinddrei gnzlich ausgestorben.

    Nach diesen Worten gingen wir in dem Hohlwegeund unter allerlei lieblichen Spielen von Licht undFarben, welche die Sonne in den grnen Blttern derGestruche verursachte, in das Dorf Melm hinunter.

    Der Grovater hatte in dem ersten Hause dessel-

    ben, im Machthofe, zu tun. Wir gingen deshalb durchden groen Schwibbogen desselben hinein. DerMachtbauer stand in dem Hofe, hatte bloe Hemdr-mel an den Armen und viele hochgipflige Metall-knpfe auf der Weste. Er grte den Grovater, als erihn sah, und fhrte ihn in die Stube; mich aber lieensie auf einem kleinen hlzernen Bnklein neben der Trim Hofe sitzen, und schickten mir ein Butterbrod,das ich verzehrte. Ich rastete, betrachtete die Dinge,die da waren, als: die Wgen, welche abgeladen unterdem Schoppendache ineinander geschoben standen,

    die Pflge und Eggen, welche, um Platz zu machen,in einen Winkel zusammengedrngt waren, dieKnechte und Mgde, die hin und her gingen, ihreSamstagsarbeit taten und sich zur Feier des Sonntagesrsteten; und die Dinge gesellten sich zu denen, mit

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    denen ohnehin mein Haupt angefllt war, zuDrillingsfhren, Toten und Sterbenden und singendenVglein.

    Nach einer Zeit kam der Grovater wieder herausund sagte: So, jetzt bin ich fertig, und wir treten un-

    sern Rckweg wieder an.Ich stand von meinem Bnklein auf, wir gingendem Schwibbogen zu, der Bauer und die Burin be-gleiteten uns bis dahin, nahmen bei dem Schwibbo-gen Abschied und wnschten uns glckliche Heim-kehr.

    Da wir wieder allein waren und auf unserem Rck-wege den Hohlweg hinan schritten, fuhr der Grova-ter fort: Als es tief in den Herbst ging, wo die Prei-elbeeren reifen und die Nebel sich schon auf denMooswiesen zeigen, wandten sich die Menschen wie-

    der derjenigen Erde zu, in welcher man die Totenohne Einweihung und Geprnge begraben hatte.VieleMenschen gingen hinaus und betrachteten den fri-schen Aufwurf, andere wollten die Namen derer wis-sen, die da begraben lagen, und als die Seelsorge inOberplan wieder vollkommen hergestellt war, wurdedie Stelle wie ein ordentlicher Kirchhof eingeweiht, eswurde feierlicher Gottesdienst unter freiem Himmelgehalten, und alle Gebete und Segnungen nachgetra-gen, die man frher versumt hatte. Dann wurde umden Ort eine Planke gemacht, und ungelschter Kalk

    auf denselben gestreut. Von da an bewahrte man dasGedchtnis an die Vergangenheit in allerlei Dingen.Du wirst wissen, da manche Stellen unserer Gegendnoch den Beinamen Pest tragen, zum Beispiel Pest-wiese, Peststeig, Pesthang; und wenn du nicht so jung

    wrest, so wrdest du auch die Sule noch gesehenhaben, die jetzt nicht mehr vorhanden ist, die auf demMarktplatze von Oberplan gestanden war, und aufwelcher man lesen konnte, wann die Pest gekommenist, und wann sie aufgehrt hat, und auf welcher ein

    Dankgebet zu dem Gekreuzigten stand, der auf demGipfel der Sule prangte.Die Gromutter hat uns von der Pestsule er-

    zhlt, sagte ich.Seitdem aber sind andere Geschlechter gekom-

    men, fuhr er fort, die von der Sache nichts wissenund die die Vergangenheit verachten, die Einhegun-gen sind verloren gegangen, die Stellen haben sich mitgewhnlichem Grase berzogen. Die Menschenvergessen gerne die alte Not, und halten die Gesund-heit fr ein Gut, das ihnen Gott schuldig sei, und das

    sie in blhenden Tagen verschleudern. Sie achtennicht der Pltze, wo die Toten ruhen, und sagen denBeinamen Pest mit leichtfertiger Zunge, als ob sieeinen andern Namen sagten, wie etwa Hagedorn oderEiben.

    Wir waren unterdessen wieder durch den Hohlwegauf den Kamm der Anhhe gekommen, und hatten dieWlder, zu denen wir uns im Heraufgehen umwendenmuten, um sie zu sehen, jetzt in unserem Angesichte,und die Sonne neigte sich in groem Geprnge berihnen dem Untergange zu.

    Wenn nicht so die Abendsonne gegen uns schie-ne, sagte der Grovater, und alles in einem feurigenRauche schwebte, wrde ich dir die Stelle zeigen kn-nen, von der ich jetzt reden werde, und die in unsereErzhlung gehrt. Sie ist viele Wegestunden von hier,

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    sie ist uns gerade gegenber, wo die Sonne untersinkt,und dort sind erst die rechten Wlder. Dort stehen dieTannen und Fichten, es stehen die Erlen und Ahorne,die Buchen und andere Bume wie die Knige, unddas Volk der Gebsche und das dichte Gedrnge der

    Grser und Kruter, der Blumen, der Beeren undMoose steht unter ihnen. Die Quellen gehen von allenHhen herab, und rauschen, und murmeln, underzhlen, was sie immer erzhlt haben, sie gehen berKiesel wie leichtes Glas, und vereinigen sich zu B-chen, um hinaus in die Lnder zu kommen, oben sin-gen die Vgel, es leuchten die weien Wolken, dieRegen strzen nieder, und wenn es Nacht wird,scheint der Mond auf alles, da es wie ein genetztesTuch aus silbernen Fden ist. In diesem Walde ist einsehr dunkler See, hinter ihm ist eine graue Felsen-

    wand, die sich in ihm spiegelt, an seinen Seiten stehendunkle Bume, die in das Wasser schauen, und vornesind Himbeer- und Brombeergehege, die einen Ver-hau machen. An der Felsenwand liegt ein weies Ge-wirre herabgestrzter Bume, aus den Brombeerensieht mancher weie Stamm empor, der von dem Blit-ze zerstrt ist, und schaut auf den See, groe graueSteine liegen hundert Jahre herum, und die Vgel unddas Gewild kommen zu dem See, um zu trinken.

    Das ist der See, Grovater, den ich im Heraufge-hen genannt habe, sagte ich, die Gromutter hat

    uns von seinem Wasser erzhlt, und den seltsamen Fi-schen, die darin sind, und wenn ein weies Wlkleinber ihm steht, so kmmt ein Gewitter.

    Und wenn ein weies Wlklein ber ihm steht,fuhr der Grovater fort, und sonst heiterer Himmel

    ist, so gesellen sich immer mehrere dazu, es wird einWolkenheer, und das lst sich von dem Walde los,und zieht zu uns mit dem Gewitter heraus, das uns denschweren Regen bringt und auch fter den Hagel.Am Rande dieses Waldes, wo heut zu Tage schon

    Felder sind, wo aber dazumal noch dichtes Gehlzewar, befand sich zur Zeit der Pest eine Pechbrenner-htte. In derselben wohnte der Mann, von dem ich direrzhlen will. Mein Grovater hat sie noch gekannt,und er hat gesagt, da man zeitweilig von dem Waldeden Rauch habe aufsteigen sehen, wie du heute dieRauchfden hast aufsteigen gesehen, da wir heraufge-gangen sind.

    Ja, Grovater, sagte ich.Dieser Pechbrenner, fuhr er fort, wollte sich in

    der Pest der allgemeinen Heimsuchung entziehen, die

    Gott ber die Menschen verhngt hatte. Er wollte inden hchsten Wald hinauf gehen, wo nie ein Besuchvon Menschen hinkmmt, wo nie eine Luft von Men-schen hinkmmt, wo alles anders ist als unten, undwo er gesund zu bleiben gedachte. Wenn aber docheiner zu ihm gelangte, so wollte er ihn eher mit einemSchrbaume erschlagen, als da er ihn nher kommenund die Seuche bringen liee. Wenn aber die Krank-heit lange vorber wre, dann wollte er wieder zu-rckkehren und weiter leben. Als daher die schwarzenSchubkarrenfhrer, die von ihm die Wagenschmiere

    holten, die Kunde brachten, da in den angrenzendenLndern schon die Pest entstanden sei, machte er sichauf und ging in den hohen Wald hinauf. Er ging abernoch weiter, als wo der See ist, er ging dahin, wo derWald noch ist, wie er bei der Schpfung gewesen

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    war, wo noch keine Menschen gearbeitet haben, wokein Baum umbricht, als wenn er vom Blitze getrof-fen ist oder von dem Winde umgestrzt wird; dannbleibt er liegen, und aus seinem Leibe wachsen neueBumchen und Kruter empor; die Stmme stehen in

    die Hhe, und zwischen ihnen sind die unangesehenenund unangetasteten Blumen und Grser und Kruter.Whrend der Grovater dieses sagte, war die

    Sonne untergegangen. Der feurige Rauch war pltz-lich verschwunden, der Himmel, an welchem keineeinzige Wolke stand, war ein goldener Grund gewor-den, wie man in alten Gemlden sieht, und der Waldging nun deutlich und dunkelblau in diesem Grundedahin.

    Siehe, Kind, jetzt knnen wir die Stelle sehen,von der ich rede, sagte der Grovater, blicke da ge-

    rade gegen den Wald, und da wirst du eine tiefereblaue Frbung sehen, das ist das Becken, in welchemder See ist. Ich wei nicht, ob du es siehst.

    Ich sehe es, antwortete ich, ich sehe auch dieschwachen grauen Streifen, welche die Seewand be-deuten.

    Da hast du schrfere Augen als ich, erwiderte derGrovater; gehe jetzt mit den Augen von der See-wand rechts und gegen den Rand empor, dann hastdujene hheren groen Waldungen. Es soll ein Felsdort

    sein, der wie ein Hut berhngende Krempen hat undwie ein kleiner Auswuchs an dem Waldrande zusehen ist.

    Grovater, ich sehe den kleinen Auswuchs.Er heit der Hutfels, und ist noch weit oberhalb

    des Sees im Hochwalde, wo kaum ein Mensch gewe-sen ist. An dem See soll aber schon eine hlzerneWohnung gestanden sein. Der Ritter von Wittinghau-sen hat sie als Zufluchtsort fr seine zwei Tchter imSchwedenkriege erbaut. Seine Burg ist damals ver-

    brannt worden, die Ruinen stehen noch wie ein blauerWrfel aus dem Thomaswalde empor.Ich kenne die Ruine, Grovater.Das Haus war hinter dem See, wo die Wand es

    beschtzte, und ein alter Jger hat die Mdchen be-wacht. Heut zu Tage ist von alle dem keine Spur mehrvorhanden. Von diesem See ging der Pechbrenner biszum Hutfels hinan und suchte sich einen geeignetenPlatz aus. Er war aber nicht allein, sondern es warensein Weib und seine Kinder mit ihm, es waren seineBrder, Vettern, Muhmen und Knechte mit, er hatte

    sein Vieh und seine Gerte mitgenommen. Er hatteauch allerlei Smereien und Getreide mit gefhrt, umin der aufgelockerten Erde anbauen zu knnen, da ersich Vorrat fr die knftigen Zeiten sammle. Nunbaute man die Htten fr Menschen und Tiere, manbaute die fen zum Brennen der Ware, und man stedie Samen in die aufgegrabenen Felder.

    Unter den Leuten im Walde war auch ein Bruderdes Pechbrenners, der nicht in dem Walde bleiben,sondern wieder zu der Htte zurckkehren wollte. Dasagte der Pechbrenner, da er ihnen ein Zeichen geben

    solle, wenn die Pest ausgebrochen sei. Er solle aufdem Hausberge in der Mittagsstunde eine Rauchsuleaufsteigen lassen, solle dieselbe eine Stunde gleichar-tig dauern lassen, und solle dann das Feuer dmpfen,da sie aufhre. Dies solle er zur Gewiheit drei Tage

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    hinter einander tun, da die Waldbewohner daran einZeichen erkennen, das ihnen gegeben worden sei.Wenn aber die Seuche aufgehrt habe, solle er ihnenauch eine Nachricht geben, da sie hinabgehen knn-ten und die Krankheit nicht bekmen. Er solle eine

    Rauchsule um die Mittagsstunde von dem Haus-berge aufsteigen lassen, solle sie eine Stunde gleichar-tig erhalten, und dann das Feuer lschen. Dies solle ervier Tage hinter einander tun, aber an jedem Tageeine Stunde spter; an diesem besonderen Vorgangewrden sie erkennen, da nun alle Gefahr vorber sei.Wenn er aber erkranke, so solle er den Auftrag einemFreunde oder Bekannten als Testament hinterlassenund dieser ihn wieder einem Freunde oder Bekannten,so da einmal einer eine Rauchsule errege, und vondem Pechbrenner eine Belohnung zu erwarten habe.

    Kennst du den Hausberg?Ja, Grovater, antwortete ich, es ist der schwar-

    ze spitzige Wald, der hinter Pernek empor steigt undauf dessen Gipfel ein Felsklumpen ist.

    Ja, sagte der Grovater, der ist es. Es solleneinmal drei Brder gelebt haben, einer auf der Alpe,einer auf dem Hausberge und einer auf dem Thomas-walde. Sie sollen sich Zeichen gegeben haben, wenneinem eine Gefahr drohte, bei Tage einen Rauch, beiNacht ein Feuer, da es gesehen wrde, und da dieandern zu Hilfe kmen. Ich wei nicht, ob die Brder

    gelebt haben. In dem hohen Walde wohnten nun dieAusgewanderten fort, und als die Pest in unsern Ge-genden ausgebrochen war, stieg um die Mittagsstundeeine Rauchsule von dem Hausberge empor, dauerteeine Stunde gleichartig fort, und hrte dann auf. Dies

    geschah drei Tage hinter einander, und die Leute indem Walde wuten, was sich begeben hatte. - Abersiehe, wie es schon khl geworden ist, und wie bereitsder Tau auf die Grser fllt, komme, ich werde dirdein Jckchen zumachen, da du nicht frierst, und

    werde dir dann die Geschichte weiter erzhlen.Wir waren whrend der Erzhlung des Grovatersin die Drrschnbel gekommen, wir waren an derDrillingsfhre vorber gegangen, und unter den dunk-len Stmmen auf dem fast farblosen Grase bis zu denFeldern von Oberplan gekommen. Der Grovater legteseinen Stock auf den Boden, beugte sich zu mirherab, nestelte mir das Halstuch fester, richtete mirdas Westchen zurecht und knpfte mir das Jckchenzu. Hierauf knpfte er sich auch seinen Rock zu,nahm seinen Stab, und wir gingen wieder weiter.

    Siehst du, mein liebes Kind, fuhr er fort, es hataber alles nichts geholfen, und es war nur eine Versu-chung Gottes. Da die Bsche des Waldes ihre Bltenbekommen hatten, weie und rote, wie die Natur will,da aus den Blten Beeren geworden waren, da dieDinge, welche der Pechbrenner in die Walderde ge-baut hatte, aufgegangen und gewachsen waren, da dieGerste die goldenen Barthaare bekommen hatte, dadas Korn schon weilich wurde, da die Haberflockenan den kleinen Fdlein hingen, und das Kartoffelkrautseine grnen Kugeln und blaulichen Blten trug:

    waren alle Leute des Pechbrenners, er selber undseine Frau bis auf einen einzigen kleinen Knaben, denSohn des Pechbrenners, gestorben. Der Pechbrennerund sein Weib waren die letzten gewesen, und da dieberlebenden immer die Toten begraben hatten, der

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    Pechbrenner und sein Weib aber niemand hinter sichhatten, und der Knabe zu schwach war, sie zu begra-ben, blieben sie als Tote in ihrer Htte liegen. DerKnabe war nun allein in dem frchterlichen, groenWalde. Er lie die Tiere aus, welche in den Stllen

    waren, weil er sie nicht fttern konnte, er dachte, dasie an den Grsern des Waldes eine Nahrung findenwrden, und dann lief er selber von der Htte weg,weil er den toten Mann und das tote Weib entsetzlichfrchtete. Er ging auf eine freie Stelle des Waldes,und da war jetzt berall niemand, niemand als derTod. Wenn er in der Mitte von Blumen und Gestru-chen nieder kniete und betete, oder wenn er um Vaterund Mutter und um die andern Leute weinte und jam-merte, und wenn er dann wieder aufstand, so warnichts um ihn als die Blumen und Gestruche und das

    Vieh, welches unter die Bume des Waldes hineinweidete und mit den Glocken lutete. Siehst du, sowar es mit dem Knaben, der vielleicht gerade so growar wie du. Aber siehe, die Pechbrennerknaben sindnicht wie die in den Marktflecken oder in den Stdten,sie sind schon unterrichteter in den Dingen der Natur,sie wachsen in dem Walde auf, sie knnen mit demFeuer umgehen, sie frchten die Gewitter nicht, undhaben wenig Kleider, im Sommer keine Schuhe undauf dem Haupte statt eines Hutes die beruten Haare.Am Abende nahm der Knabe Stahl, Stein und

    Schwamm aus seiner Tasche und machte sich einFeuer; das in den fen der Pechbrenner war lngstausgegangen und erloschen. Als ihn hungerte, grub ermit der Hand Kartoffeln aus, die unter den empor-wachsenden Reben waren, und briet sie in der Glut

    des Feuers. Zu trinken gaben ihm Quellen undBche.Am anderen Tage suchte er einen Ausweg ausdemWalde. Er wute nicht mehr, wie sie in den Wald hin-auf gekommen waren. Er ging auf die hchste Stelle

    des Berges, er kletterte auf einen Baum und sphte,aber er sah nichts als Wald und lauter Wald. Er ge-dachte nun zu immer hhern und hhern Stellen desWaldes zu gehen, bis er einmal hinaus she und dasEnde des Waldes erblickte. Zur Nahrung nahm erjetzt auch noch die Krner der Gerste und des Kornes,welche er samt den hren auf einem Steine ber demFeuer rstete, wodurch sich die Haare und Hlsenverbrannten, oder er lste die rohen, zarten Kornkr-ner aus den Hlsen, oder er schlte Rben, die in denKohlbeeten wuchsen. In den Nchten hllte er sich in

    Bltter und Zweige und deckte sich mit Reisig. DieTiere, welche er ausgelassen hatte, waren fortgegan-gen, entweder weil sie sich in dem Walde verirrt hat-ten, oder weil sie auch die Totenhtte scheuten undvon ihr flohen; er hrte das Luten nicht mehr, undsie kamen nicht zum Vorscheine. Eines Tages, da erdie Tiere suchte, fand er auf einem Hgel, auf wel-chem Brombeeren und Steine waren, mitten in einemBrombeerengestrippe ein kleines Mdchen liegen.Dem Knaben klopfte das Herz auerordentlich, erging nher, das Mdchen lebte, aber es hatte die

    Krankheit und lag ohne Bewutsein da. Er ging nochnher, das Mdchen hatte weie Kleider und einschwarzes Mntelchen an, es hatte wirre Haare, undlag so ungefg in dem Gestrippe, als wre es hineingeworfen worden. Er rief, aber er bekam keine Ant-

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    wort, er nahm das Mdchen bei der Hand, aber dieHand konnte nichts fassen und war ohne Leben. Erlief in das Tal, schpfte mit seinem alten Hute, den eraus der Htte mitgenommen hatte, Wasser, brachte eszu dem Mdchen zurck und befeuchtete ihm die Lip-

    pen. Dies tat er nun fter. Er wute nicht, womit demKinde zu helfen wre, und wenn er es auch gewuthtte, so htte er nichts gehabt, um es ihm zu geben.Weil er durch das verworrene Gestrippe nicht leichtzu dem Platze gelangen konnte, auf welchem dasMdchen lag, so nahm er nun einen groen Stein,legte ihn auf die kriechenden Ranken der Brombeeren,und wiederholte das so lange, bis er die Brombeerenbedeckt hatte, bis sie niedergehalten wurden, und dieSteine ein Pflaster bildeten. Auf dieses Pflaster knieteer nieder, rckte das Kind, sah es an, strich ihm die

    Haare zurecht, und weil er keinen Kamm hatte, sowischte er die nassen Locken mit seinen Hnden ab,da sie wieder schnen, feinen menschlichen Haarenglichen. Weil er aber das Mdchen nicht heben konn-te, um es auf einen besseren Platz zu tragen, so lief erauf den Hgel, ri dort das drre Gras ab, ri dieHalme ab, die hoch an dem Gesteine wachsen, sam-melte das trockene Laub, das von dem vorigen Herbstebrig war, und das entweder unter Gestrippenhing, oder von dem Winde in Steinklfte zusammengeweht worden war, und tat alles auf einen Haufen.

    Da es genug war, trug er es zu dem Mdchen, undmachte ihm ein weicheres Lager. Er tat die Dinge anjene Stellen unter ihrem Krper, wo sie am meistennot taten. Dann schnitt er mit seinem Messer Zweigevon den Gestruchen, steckte sie um das Kind in die

    Erde, band sie an den Spitzen mit Gras und Halmenzusammen, und legte noch leichte ste darauf, da sieein Dach bildeten. Auf den Krper des Mdchenslegte er Zweige, und bedeckte sie mit breitblttrigenKrutern, zum Beispiel mit Huflattig, da sie eine

    Decke bildeten. Fr sich holte er dann Nahrung ausden Feldern des toten Vaters. Bei der Nacht machte erein Feuer aus zusammen getragenem Holze undModer. So sa er bei Tage bei dem bewutlosenKinde, htete es und schtzte es vor Tieren und Flie-gen, bei Nacht unterhielt er ein glnzendes Feuer.Siehe, das Kind starb aber nicht, sondern die Krank-heit besserte sich immer mehr und mehr, die Wng-lein wurden wieder lieblicher und schner, die Lippenbekamen die Rosenfarbe und waren nicht mehr sobleich und gelblich, und die uglein ffneten sich und

    schauten herum. Es fing auch an zu essen, es a dieErdbeeren, die noch zu finden waren, es a Himbee-ren, die schon reiften, es a die Kerne derHaselnsse,die zwar nicht reif, aber s und weichwaren, es aendlich sogar das weie Mehl der gebratenen Kartof-feln und die zarten Krner des Kornes, was ihm allesder Knabe brachte und reichte; und wenn es schlief,so lief er auf den Hgel und erkletterte einen Felsen,um berall herum zu sphen, auch suchte er wiederdie Tiere, weil die Milch jetzt recht gut gewesen wre.

    Aber er konnte nichts ersphen, und konnte die Tierenicht finden. Da das Mdchen schon strker war undmithelfen konnte, brachte er es an einen Platz, woberhngende ste es schtzten, aber da er dachte,da ein Gewitter kommen, und der Regen durch die

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    ste schlagen knnte, so suchte er eine Hhle, dietrocken war, dort machte er ein Lager, und brachtedas Mdchen hin. Eine Steinplatte stand oben berdie Sttte, und sie konnten schn auf den Wald hin-aussehen. Ich habe dir gesagt, da jene Krankheit sehr

    heftig war, da die Menschen in fnf bis sechs Stun-den gesund und tot waren; aber ich sage dir auch: werdie Krankheit berstand, der war sehr bald gesund,nur da er lange Zeit schwach blieb, und lange Zeitsich pflegen mute. In dieser Hhle blieben nun dieKinder, und der Knabe ernhrte das Mdchen, und tatihm alles und jedes Gute, was es notwendig hatte.Nun erzhlte ihm auch das Mdchen, wie es in denWald gekommen sei. Vater und Mutter und mehrereLeute htten ihre ferne Heimat verlassen, als sich dieKrankheit genhert habe, um hhere Orte zu suchen,

    wo sie von dem bel nicht erreicht werden wrden. Indem groen Walde seien sie irre gegangen, der Vaterund die Mutter seien gestorben, und das Mdchen seiallein brig geblieben. Wo Vater und Mutter gestor-ben seien, wo die andern Leute hingekommen, wie esselber in die Brombeeren geraten sei, wute es nicht.Auch konnte es nicht sagen, wo die Heimat sei. DerKnabe erzhlte dem Mdchen auch, wie sie ihre Htteverlassen hatten, wie alle in den Wald gegangenwren, und wie sie gestorben seien, und er allein nuram Leben geblieben wre. Siehst du, so saen die

    Kinder in der Hhle, wenn der Tag ber den Waldhinber zog und das Grne beleuchtete, die Vgleinsangen, die Bume glnzten, und die Bergspitzenleuchteten; oder sie schlummerten, wenn es Nachtwar, wenn es finster und still war, oder der Schrei

    eines wilden Tieres tnte, oder der Mond am Himmelstand und seine Strahlen ber die Wipfel go. Dukannst dir denken, wie es war, wenn du betrachtest,wie schon hier die Nacht ist, wie der Mond so schau-erlich in den Wolken steht, wo wir doch schon so

    nahe an den Husern sind, und wie er auf die schwar-zen Vogelbeerbume unsers Nachbars herniederscheint.

    Wir waren, whrend der Grovater erzhlte, durchdie Felder von Oberplan herab gegangen, wir warenber die Wiese gegangen, in welcher das BehringerBrnnlein ist, wir waren ber die Steinwand gestie-gen, wir waren ber den weichen Rasen gegangen,und nherten uns bereits den Husern von Oberplan.Es war indessen vllig Nacht geworden, der halbeMond stand am Himmel, viele Wolken hatten sich

    aufgetrmt, die er beglnzte, und seine Strahlen fielengerade auf die Vogelbeerbume, die in dem Gartenunsers Nachbars standen.

    Nachdem das Mdchen sehr stark geworden war,fuhr der Grovater fort, dachten die Kinder daran,aus dem Walde zu gehen. Sie beratschlagten untersich, wie sie das anstellen sollten. Das Mdchenwute gar nichts; der Knabe aber sagte, da alle Ws-ser abwrts rinnen, da sie fort und fort rinnen, ohnestille zu stehen, da der Wald sehr hoch sei, und dadie Wohnungen der Menschen sehr tief liegen, da

    bei ihrer Htte selber ein breites rinnendes Wasservorbeigegangen wre, da sie von dieser Htte in denWald gestiegen seien, da sie immer aufwrts undaufwrts gegangen und mehreren herabflieendenWassern begegnet seien; wenn man daher an einem

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    rinnenden Wasser immer abwrts gehe, so msse manaus dem Walde hinaus und zu Menschen gelangen.Das Mdchen sah das ein, und mit Freuden beschlos-sen sie so zu tun. Sie rsteten sich zur Abreise. Vonden Feldern nahmen sie Kartoffeln, so viel sie tragen

    konnten, und viele zusammen gebundene Bschel vonhren. Der Knabe hatte aus seiner Jacke einen Sackgemacht, und fr Erdbeeren und Himbeeren machte erschne Tschchen aus Birkenrinde. Dann brachen sieauf. Sie suchten zuerst den Bach in dem Tale, ausdem sie bisher getrunken hatten, und gingen dann anseinem Wasser fort. Siehst du, der Knabe leitete dasMdchen, weil es schwach war, und weil er in demWald erfahrener war; er zeigte ihm die Steine, auf diees treten, er zeigte ihm die Dornen und spitzigen Hl-zer, die es vermeiden sollte, er fhrte es an schmalen

    Stellen, und wenn groe Felsen oder Dickichte undSmpfe kamen, so wichen sie seitwrts aus, und lenk-ten dann klug immer wieder der Richtung des Bacheszu. So gingen sie immer fort. Wenn sie mde waren,setzten sie sich nieder und rasteten, wenn sie ausgera-stet hatten, gingen sie weiter. Am Mittag machte erein Feuer, und sie brieten Kartoffeln und rsteten sichihre Getreidehren. Das Wasser suchte er in einerQuelle oder in einem kalten Bchlein, die winzig berweien Sand aus der schwarzen Walderde oder ausGebsch und Steinen hervorrannen. Wenn sie Stellen

    trafen, wo Beeren und Nsse sind, so sammelten siediese. Bei der Nacht machte er ein Feuer, machte demMdchen ein Lager, und bettete sich selber, wie ersich in den ersten Tagen im Walde gebettet hatte. So

    wanderten sie weiter. Sie gingen an vielen Bumenvorber, an der Tanne mit dem herabhngenden Bart-moose, an der zerrissenen Fichte, an dem langarmigenAhorne, an dem weigefleckten Buchenstamme mitden lichtgrnen Blttern, sie gingen an Blumen, Ge-

    wchsen und Steinen vorber, sie gingen unter demSingen der Vgel dahin, sie gingen an hpfendenEichhrnchen vorber oder an einem weidenden Reh.Der Bach ging um Hgel herum, oder er ging in gera-der Richtung, oder er wand sich um die Stmme derBume. Er wurde immer grer, unzhligeSeitenbchlein kamen aus den Tlern heraus, undzogen mit ihm, von dem Laube der Bume und vonden Grsern tropften ihm Tropfen zu, und zogen mitihm. Er rauschte ber die Kiesel, und erzhlte gleich-sam den Kindern. Nach und nach kamen andere

    Bume, an denen der Knabe recht gut erkannte, dasie nach auswrts gelangten; die Zackentanne, dieFichte mit dem rauhen Stamme, die Ahorne mit dengroen sten und die knollige Buche hrten auf, dieBume waren kleiner, frischer, reiner und zierlicher.An dem Wasser standen Erlengebsche, mehrereWeiden standen da, der wilde Apfelbaum zeigte seineFrchte, und der Waldkirschenbaum gab ihnen seinekleinen, schwarzen, sen Kirschen. Nach und nachkamen Wiesen, es kamen Hutweiden, die Bume lich-teten sich, es standen nur mehr Gruppen, und mit

    einem Male, da der Bach schon als ein breites, ruhigesWasser ging, sahen sie die Felder und Woh-nungen der Menschen. Die Kinder jubelten, und gin-gen zu einem Hause. Sie waren nicht in die Heimatdes Knaben hinaus gekommen, sie wuten nicht, wo

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    sie hingekommen waren, aber sie wurden rechtfreundlich aufgenommen, und von den Leuten in diePflege genommen. Inzwischen stieg wieder eineRauchsule von dem Hausberge empor, sie stieg inder Mittagsstunde auf, blieb eine Stunde gleichartig,

    und hrte dann auf. Dies geschah vier Tage hinter ein-ander, an jedem Tage um eine Stunde spter; aber eswar niemand da, das Zeichen verstehen zu knnen.

    Als der Grovater bis hieher erzhlt hatte, warenwir an unserem Hause angekommen.

    Er sagte: Da wir mde sind, und da es so warmist, so setzen wir uns ein wenig auf den Stein, ichwerde dir die Geschichte zu Ende erzhlen.

    Wir setzten uns auf den Stein, und der Grovaterfuhr fort: Als man in Erfahrung gebracht hatte, werder Knabe sei, und wohin er gehre, wurde er samt

    dem Mdchen in die Pechbrennerhtte zu dem Oheimgebracht. Der Oheim ging in den Wald hinauf, undverbrannte vor Entsetzen die Waldhtte, in welcherder tote Pechbrenner mit seinem Weibe lag. Auch dasMdchen wurde von seinen Verwandten ausgekund-schaftet und in der Pechbrennerhtte abgeholt. Siehstdu, es ist in jenen Zeiten auch in andern Teilen derWlder die Pest ausgebrochen, und es sind viele Men-schen an ihr gestorben; aber es kamen wieder andereTage, und die Gesundheit war wieder in unsern Ge-genden. Der Knabe blieb nun bei dem Oheime in der

    Htte, wurde dort grer und grer, und sie betrie-ben das Geschft des Brennens von Wagenschmiere,Terpentin und andern Dingen. Als schon viele Jahrevergangen waren, als der Knabe schon beinahe einMann geworden war, kam einmal ein Wgelchen vor

    die Pechbrennerhtte gefahren. In dem Wgelchen saeine schne Jungfrau, die ein weies Kleid und einschwarzes Mntelchen an hatte und an der Brust einBrombeerstrulein trug. Sie hatte die Wangen, dieAugen und die feinen Haare des Waldmdchens. Sie

    war gekommen, den Knaben zu sehen, der sie gerettetund aus dem Walde gefhrt hatte. Sie und der alteVetter, der sie begleitete, baten den Jngling, ermchte mit ihnen in das Schlo des Mdchens gehenund dort leben. Der Jngling, der das Mdchen auchrecht liebte, ging mit. Er lernte dort allerlei Dinge,wurde immer geschickter, und wurde endlich der Ge-mahl des Mdchens, das er zur Zeit der Pest in demWalde gefunden hatte. Siehst du, da bekam er einSchlo, er bekam Felder, Wiesen, Wlder, Wirtschaf-ten und Gesinde, und wie er schon in der Jugend ver-

    stndig und aufmerksam gewesen war, so vermehrteund verbesserte er alles, und wurde von seinenUntergebenen, von seinen Nachbarn und Freundenund von seinem Weibe geachtet und geliebt. Er starbals ein angesehener Mann, der im ganzen Lande ge-ehrt war. Wie verschieden die Schicksale der Men-schen sind. Seinen Oheim hat er oft eingeladen zukommen, bei ihm zu wohnen und zu leben, dieseraber blieb in der Pechbrennerhtte, und betrieb dasBrenngeschft fort und fort, und als der Wald immerkleiner wurde, als die Felder und Wiesen bis zu seiner

    Htte vorgerckt waren, ging er tiefer in das Gehlze,und trieb dort das Brennen der Wagenschmiere wei-ter. Seine Nachkommen, die er erhielt, als er in denEhestand getreten war, blieben bei der nmlichen Be-schftigung, und von ihm stammt der alte Andreas ab,

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    der auch nur ein Wagenschmierfuhrmann ist, undnichts kann, als im Lande mit seinem schwarzenFasse herum ziehen, und trichten Knaben, die esnicht besser verstehen, die Fe mit Wagenschmiereanstreichen.

    Mit diesen Worten hrte der Grovater zu erzhlenauf. Wir blieben aber noch immer auf dem Steine sit-zen. Der Mond hatte immer heller und heller geschie-nen, die Wolken hatten sich immer lnger und lngergestreckt, und ich schaute stets auf den schwarzenVogelbeerbaum des Nachbars.

    Da streckte sich das Antlitz der Gromutter aus derTr heraus, und sie fragte, ob wir denn nicht zum Essenge hen wollten. Wir gingen nun in die Stubeder Groeltern, die Gromutter tat ein schnes, ausbraun- und weigestreiftem Pflaumenholze verfertig-

    tes Hngetischchen von der Wand herab, berdecktees mit weien Linnen, gab uns Teller und Egerte,und stellte ein Huhn mit Reis auf. Da wir aen, sagtesie mit bser Miene, da der Grovater noch trichterund unbesonnener sei als der Enkel, weil er zum Wa-schen von Wagenschmierfen eine grnglasierteSchssel genommen habe, so da man sie jetzt ausEkel zu nichts mehr verwenden knne.

    Der Grovater lchelte und sagte: So zerbrechenwir die Schssel, da sie nicht einmal aus Unacht-samkeit doch genommen wird, und kaufen eine neue;

    es ist doch besser, als wenn der Schelm lnger in derAngst geblieben wre. Du nimmst dich ja auch umihn an.

    Bei diesen Worten zeigte er gegen den Ofen, wo ineinem kleinen Wnnchen meine Pechhschen einge-

    weicht waren. Als wir gegessen hatten, sagte derGrovater, da ich nun schlafen gehen solle, und ergeleitete mich selber in meine Schlafkammer. Als wirdurch das Vorhaus gingen, wo ich in solche Strafe ge-kommen war, zwitscherten die jungen Schwalben

    leise in ihrem Neste wie schlaftrunken, in der groenStube brannte ein Lmpchen auf dem Tische, das alleSamstagsnchte die ganze Nacht zu Ehren der heiligenJungfrau brannte, in dem Schlafgemache derEltern lag der Vater in dem Bette, hatte ein Lichtneben sich, und las, wie er gewhnlich zu tun pflegte;die Mutter war nicht zu Hause, weil sie bei einerkranke