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Vorlesungsskript WS 2014/2015 Stochastische Geometrie Prof. Dr. Daniel Hug, Prof. Dr. Günter Last und Dipl.-Math. techn. Julia Hörrmann 11. Februar 2015 Pascal Bäthke, Marius Leonhardt Fakultät für Mathematik Karlsruher Institut für Technologie

Stochastische Geometrie - KIT · Stochastische Geometrie Prof. Dr. Daniel Hug, Prof. Dr. Günter Last und Dipl.-Math. techn. Julia Hörrmann 11. Februar 2015 Pascal Bäthke, Marius

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Vorlesungsskript WS 2014/2015

Stochastische Geometrie

Prof. Dr. Daniel Hug, Prof. Dr. Günter Last undDipl.-Math. techn. Julia Hörrmann

11. Februar 2015

Pascal Bäthke, Marius Leonhardt

Fakultät für Mathematik

Karlsruher Institut für Technologie

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Inhaltsverzeichnis1 Einführung 4

1.1 Zufällige geometrische Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2 Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 52.1 Grundlegende Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.2 Stationäre Keim-Korn-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.3 Das Boolesche Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 153.1 Zufällige abgeschlossene Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153.2 Zufällige Maße und Punktprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193.3 Poissonprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.4 Stationarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4 Das Boolesche Modell 374.1 Das Kapazitätsfunktional . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374.2 Partikelprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424.3 Die Steinersche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484.4 Das Boolesche Modell mit konvexen Körnern . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

5 Dichten innerer Volumina 565.1 Geometrische Dichten von Partikelprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . 565.2 Geometrische Dichten von Keim-Korn-Modellen . . . . . . . . . . . . . . . 585.3 Integralgeometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625.4 Geometrische Dichten des Booleschen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . 755.5 Ebenenprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

6 Zufällige Mosaike 806.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806.2 Palmsche Wahrscheinlichkeitsmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 826.3 Allgemeine Mittelwertformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876.4 Poisson-Voronoi-Mosaike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

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1 Einführung

1 Einführung

1.1 Zufällige geometrische Strukturen1. Zufällige abgeschlossene Mengen

2. Systeme konvexer Partikel und deren Vereinigung (Keim-Korn-Modell). Die Keime bil-den einen Punktprozess.

3. Systeme von Hyperebenen

4. Mosaike: Unterteilung des Raumes in paarweise fremde konvexe Gebiete. Beispiele sindVoronoi- und Hyperebenenmosaike.

5. Exkursionsmengen reellwertiger zufälliger Felder (Xt)t∈I , I ⊂ Rd:

Z := t ∈ I : Xt ≥ c, c ∈ R.

1.2 FragestellungenSei Z eine Vereinigung von Partikeln oder von Teilen (z.B. Kanten) von Partikeln o.Ä. Ge-geben seien (geometrische) reelle Funktionale f1, . . . , fm (z.B. Volumen, Oberfläche, Euler-Charakteristik, etc.).

1. Gilt limW↑Rd

Vd(W )−1fi(Z ∩W ) = fi P-f.s.?

2. Gilt limW↑Rd

Vd(W )−1Cov(fi(Z ∩W ), fj(Z ∩W )) = σij ? Wie sehen die σij in Abhän-

gigkeit von den Eingangsparametern aus? Gilt der multivariate Zentrale Grenzwertsatz?

3. PerkoliertZ, d.h. gibt es eine unbeschränkte Zusammenhangskomponente vonZ? DieseFrage ist Gegenstand der Perkolationstheorie.

4. Wie sehen die Wahrscheinlichkeiten P(x1 ∈ Z, . . . , xk ∈ Z) für x1, . . . , xk ∈ Rd aus?Das sind die sog. k-Punkt-Korrelationsfunktionen.

5. Es seiX ein zufälliger Punkt in Rd\Z. Was ist die Verteilung von d(X,Z)? Diese Frageführt auf den Begriff der Kontaktverteilungen.

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

2.1 Grundlegende DefinitionenEs sei (Ω,A,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Wir verwenden folgende Notationen:

Fd System der abgeschlossenen Teilmengen des Rd,Cd System der kompakten Teilmengen des Rd,Kd System der konvexen und kompakten Teilmengen des Rd,Od System der offenen Teilmengen des Rd.

Auf diesen Mengensystemen, auf dem Raum der lokalendlichen Maße sowie auf dem Raumder Zählmaße werden in Kapitel 3 σ-Algebren eingeführt. Beispielsweise ist zu der dort an-gegebenen Definition die folgende äquivalent.

2.1.1 Definition. Auf Fd betrachte man die kleinste σ-Algebra, die alle Mengen der FormFC := F ∈ Fd : F ∩ C 6= ∅, C ∈ Cd, enthält. Eine zufällige abgeschlossene Menge ist einzufälliges Element Z von Fd, d.h. eine messbare Abbildung Z : Ω→ Fd, ω 7→ Z(ω).

In diesem Abschnitt werden Messbarkeitsfragen weitgehend ausgespart. Wir halten ledig-lich fest, dass ein zufälliger Punkt im Rd eine messbare Abbildung ξ : Ω→ Rd ist. Eine zufäl-lige kompakte Menge im Rd (d.h. ein zufälliges Element von Cd ist eine messbare AbbildungZ : Ω → Cd. Hierbei bezieht sich Messbarkeit auf die σ-Algebra A auf Ω beziehungsweiseauf die Spur-σ-Algebra auf Cd der auf Fd eingeführten σ-Algebra.

Wir bezeichnen mit A+B := x+ y : x ∈ A, y ∈ B die Minkowski-Summe der MengenA,B ⊂ Rd. Für A ⊂ Rd und x ∈ Rd sei A + x := A + x. Ferner wird die SpiegelungA∗ := −A = −x : x ∈ A von A ⊂ Rd am Ursprung erklärt.

2.1.2 Definition. Seien ξn, n ∈ N, zufällige Punkte im Rd, Zn für n ∈ N zufällige Elementein Cd (vgl. Abschnitt 3.1) und τ eine (N0 ∪ ∞)-wertige Zufallsgröße. Es gelte cardn ≤τ : ξn ∈ C < ∞ P-f.s. für alle C ∈ Cd („ξn häufen sich nicht“). Ferner gelte P-f.s., dassξm 6= ξn für m < n ≤ τ . Dann nennt man

Ψ = (ξn, Zn) : 1 ≤ n ≤ τ

in Rd ×Cd einen markierten Punktprozess auf Rd mit Markenraum Cd. Das zugehörige Keim-Korn-Modell ist

Z :=τ⋃

n=1

(Zn + ξn). (2.1.1)

Hierbei heißt Zn Primärkorn, ξn Keim und Zn + ξn := x + ξn : x ∈ Zn Sekundärkorn.Außerdem nennt man Φ := ξn : n ≤ τ einen Punktprozess auf Rd. Die Zufallszahl τ ist dieAnzahl der (markierten) Punkte von Ψ und auch die Anzahl der Punkte von Φ.

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

2.1.3 Definition. Es sei Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf Cd. Ein markierter Punktprozesswie in Definition 2.1.2 heißt unabhängige Q-Markierung von Φ := ξn : n ≤ τ, falls füralle m ∈ N ∪ ∞ unter dem bedingten Wahrscheinlichkeitsmaß P(· | τ = m) die beidenfolgenden Aussagen gelten:

• Die (endliche oder unendliche) Folge Zn, n ≤ m, ist von Φ unabhängig.

• Die Zn, n ≤ m sind unabhängig und haben die Verteilung Q.

Im Fall P(τ =∞) = 1 sind Φ und (Zn)n≥1 unabhängig und es gilt Znu.i.v.∼ Q.

Man kann zeigen, dass die Verteilung einer Q-Markierung unabhängig von der gewähltenNummerierung der Punkte von Φ ist.

Die vorangehenden beiden Definitionen sind vorläufig und werden später in modifizierterund präzisierter Form angegeben. Zum einen fehlt die Angabe von σ-Algebren, auf die sichMessbarkeitsaussagen beziehen. Ferner ist die Beschreibung eines (markierten) Punktprozes-ses als Menge nicht immer günstig. Die später angestrebte Beschreibung eines Punktprozessesals ein (zufälliges) Zählmaß kann auch Vielfachheiten zulassen.

2.1.4 Definition und Satz (Campbellsche Formel). Ist Ψ = (ξn, Zn) : 1 ≤ n ≤ τ einmarkierter Punktprozess mit Markenraum Cd (andere Räume sind ebenfalls möglich), so heißtdas durch

Θ(A) := E[cardn ≤ τ : (ξn, Zn) ∈ A], A ⊂ Rd × Cd messbar,

definierte Maß auf Rd × Cd das Intensitätsmaß von Ψ. Ist f : Rd × Cd → [0,∞] messbar, sogilt:

E

[τ∑

n=1

f(ξn, Zn)

]=

∫Rd×Cd

f(x,C) Θ(d(x,C)). (2.1.2)

Beweis. Der Beweis wird mit algebraischer Induktion geführt.

(i) Sei f = 1A für eine messbare Menge A ⊂ Rd × Cd. Dann gilt∫Rd×Cd f dΘ = Θ(A).

Nach Definition von Θ ist das gleich dem Erwartungswert auf der linken Seite vonGleichung (2.1.2).

(ii) Nun sei f =∑k

i=1 ci1Aifür ci ≥ 0 und messbare Mengen Ai ⊂ Rd × Cd, i = 1, . . . , k.

Dann ergibt sich mit (i)∫Rd×Cd

f dΘ =

∫Rd×Cd

k∑i=1

ci1AidΘ =

k∑i=1

ci

∫Rd×Cd

1AidΘ =

k∑i=1

ciΘ(Ai).

Andererseits erhält man für die linke Seite von (2.1.2)

E

[τ∑

n=1

f(ξn, Zn)

]= E

[τ∑

n=1

k∑i=1

ci1Ai(ξn, Zn)

]=

k∑i=1

ciE

[τ∑

n=1

1Ai(ξn, Zn)

]

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

=k∑i=1

ciΘ(Ai).

Zusammen ergibt dies die Behauptung im betrachteten Fall.

(iii) Für eine beliebige Funktion f findet man eine Folge von Funktionen fn, die die in (ii)vorausgesetzte Form besitzen und für die außerdem fn ↑ f für n → ∞ gilt. Mit demSatz von der monotonen Konvergenz und dem in (ii) Gezeigten folgt die Behauptung.

2.1.5 Satz. Ist Ψ eine unabhängige Q-Markierung von Φ := ξn : n ≤ τ und hat Φ einσ-endliches Intensitätsmaß Λ, so hat Ψ das Intensitätsmaß Λ⊗Q.

Beweis. Wir setzen N := N ∪ ∞. Sei f : Rd × Cd → [0,∞] eine messbare Funktion. Danngilt

E

[τ∑

n=1

f(ξn, Zn)

]= E

[∑N∈N

N∑n=1

f(ξn, Zn)1τ = N

]

=∑N∈N

N∑n=1

E [f(ξn, Zn)1τ = N]

=∑N∈N

N∑n=1

E [g(ξn)1τ = N] ,

wobeig(x) =

∫Cdf(x,K)Q(dK).

Damit folgt dann weiter

E

[τ∑

n=1

f(ξn, Zn)

]= E

[τ∑

n=1

g(ξn)

]

=

∫Rd

g(x) Λ(dx)

=

∫Rd

∫Cdf(x,K)Q(dK) Λ(dx)

=

∫Rd×Cd

f d(Λ⊗Q).

Für f = 1A folgt Θ(A) = (Λ⊗Q)(A).

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

2.1.6 Satz. Sei Ψ eine unabhängige Q-Markierung von Φ und Z das zugehörige Keim-Korn-Modell (2.1.1). Sei Λ das Intensitätmaß von Φ. Gilt∫

CdΛ(K∗ + C) Q(dK) <∞, C ∈ Cd, (2.1.3)

so ist Z eine zufällige abgeschlossene Menge.

Beweis. Streng genommen beweisen wir, dass es ein A ∈ A mit P(A) = 1 gibt, sodass

ω 7→ Z(ω) :=

Z(ω), falls ω ∈ A,∅, sonst,

eine zufällige abgeschlossene Menge ist. Dazu seien Cm ∈ Cd mit Cm ↑ Rd und Cm ⊂intCm+1, m ∈ N. Setze

Am := cardn ≤ τ : (Zn + ξn) ∩ Cm 6= ∅ <∞

und A :=⋂∞m=1Am. Wir zeigen

E[cardn ≤ τ : (Zn + ξn) ∩ Cm 6= ∅] <∞, m ∈ N. (2.1.4)

Dann folgt P(Am) = 1, m ∈ N, und damit auch P(A) = 1. Die linke Seite von (2.1.4) istwegen der Sätze 2.1.4 und 2.1.5 gleich

E

[τ∑

n=1

1(Zn + ξn) ∩ Cm 6= ∅

]=

∫Cd

∫Rd

1(K + x) ∩ Cm 6= ∅ Λ(dx)Q(dK).

Wegen(K + x) ∩ Cm 6= ∅ ⇔ x ∈ Cm +K∗

folgt die Endlichkeit aus Voraussetzung (2.1.3). Wir zeigen jetzt, dass Z(ω) für ω ∈ A abge-schlossen ist: Für xk ∈ Z(ω), k ∈ N, und xk → x ∈ Rd müssen wir dazu x ∈ Z(ω) zeigen. Esgibt ein m ∈ N, sodass xk ∈ Cm für alle k ∈ N. Wegen ω ∈ Am gibt es ein n0 = n0(ω) ∈ N,sodass

xk ∈ Cm ∩n0∧τ(ω)⋃n=1

(Zn(ω) + ξn(ω)) ⊂ Z(ω), k ∈ N.

Weil die endliche Vereinigung

n0∧τ(ω)⋃n=1

(Zn(ω) + ξn(ω))

abgeschlossen ist, folgt x ∈ Z(ω).Zum Nachweis der Messbarkeit genügt es, Z(ω) ∩ C 6= ∅ = Z ∈ FC ∈ A für C ∈ Cd

zu zeigen. Für C ∈ Cd \ ∅ gilt

Z ∩ C 6= ∅ = A ∩ Z ∩ C 6= ∅

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

= A ∩ τ⋃

n=1

(Zn + ξn) ∩ C 6= ∅

= A ∩⋃k∈N

(τ = k︸ ︷︷ ︸∈A

∩k⋃

n=1

(Zn + ξn) ∩ C 6= ∅︸ ︷︷ ︸∈A

)∈ A.

Hier wurde verwendet, dass Zn + ξn eine zufällige abgeschlossene Menge ist. Dies werdenwir in Kapitel 3 nachweisen.

2.1.7 Bemerkung. Es sei Λ ein σ-endliches Maß auf Rd. Man kann zeigen, dass K 7→ Λ(C+K) für jedesC ∈ Cd eine messbare Abbildung ist (vgl. Kap. 3). Genauer gilt, dassK 7→ C+Kstetig und K 7→ Λ(K) oberhalbstetig bzgl. der Hausdorffmetrik ist. Letzteres bedeutet, dassaus Kn → K stets lim sup Λ(Kn) ≤ Λ(K) folgt.

2.2 Stationäre Keim-Korn-Modelle2.2.1 Definition. (i) Ein markierter Punktprozess Ψ = (ξn, Zn) : n ≤ τ heißt stationär,

falls(ξn + x, Zn) : n ≤ τ d

= (ξn, Zn) : n ≤ τ, x ∈ Rd,

gilt. Insbesondere heißt Φ = ξn : n ≤ τ stationär, falls

ξn + x : n ≤ τ d= ξn : n ≤ τ, x ∈ Rd.

(ii) Eine zufällige abgeschlossene Menge Z heißt stationär, wenn

Z + xd= Z, x ∈ Rd.

2.2.2 Satz. Ist Φ = ξn : n ≤ τ ein stationärer Punktprozess, so gilt

P(τ ∈ 0,∞) = 1.

Beweis. Übung. Idee: Wir nehmen P(0 < τ <∞) = 1 an, da diese Situation durch Bedingenimmer erreicht werden kann. Dann hat das lexikographische Minimum von ξn : n ≤ τ eineverschiebungsinvariante Verteilung. Widerspruch!

2.2.3 Vereinbarung. Ist Φ = ξn : n ≤ τ ein stationärer Punktprozess, so setzen wirP(τ = 0) = 0 voraus. Damit ist P(τ =∞) = 1. Wir schreiben Φ = ξn : n ≥ 1.

2.2.4 Satz. Sei Ψ eine unabhängige Q-Markierung eines stationären Punktprozesses Φ =ξn : n ≥ 1. Genau dann ist Φ stationär, wenn Ψ stationär ist.

Beweis. Die Äquivalenz folgt aus der Beschreibung

P (Ψ ∈ ·) =

∫∫1 ψ ∈ · K∗(ϕ, dψ)PΦ(dϕ),

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

wobei für

ϕ =m∑i=1

δxi

K∗(ϕ, ·) die Verteilung des Punktprozesses∑m

i=1 δ(xi,Yi) sei mit zufälligen kompakten MengenY1, Y2, . . ., die unabhängig und nach Q verteilt sind. Der Kern K∗ ist in einem geeignetenSinne verschiebungsinvariant.

2.2.5 Satz. Ist Ψ ein stationärer markierter Punktprozess mit Intensitätsmaß Θ und

γ := E[cardn ≥ 1 : ξn ∈ [0, 1]d] <∞, (2.2.1)

dann gibt es ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf Cd mit Θ = γλd ⊗ Q, wobei λd das d-dimensionale Lebesgue-Maß bezeichnet.

Beweis. Für jedes messbareH ⊂ Cd betrachte man

ΛH(B) := E[cardn ≥ 1 : ξn ∈ B,Zn ∈ H], B ∈ Bd. (2.2.2)

Dann ist ΛH([0, 1]d) ≤ γ <∞. Das Maß ΛH ist verschiebungsinvariant:

ΛH(B + x) = E[cardn ≥ 1 : ξn − x ∈ B,Zn ∈ H]

Ψ stationär= E[cardn ≥ 1 : ξn ∈ B,Zn ∈ H] = ΛH(B).

Also folgt mit einem Resultat der Maßtheorie

ΛH(B) = Q′(H)λd(B), B ∈ Bd.

für ein Q′(H) ∈ [0,∞). Mit B = [0, 1]d folgt

Q′(H) = E[cardn ≥ 1 : ξn ∈ [0, 1]d, Zn ∈ H].

Damit ist Q′ ein Maß auf Cd. Nach Voraussetzung ist Q′(Cd) = γ < ∞. Aus (2.2.2) folgtΘ(B×H) = Q′(H)λd(B), d.h. Θ = λd⊗Q′. Wegen Vereinbarung 2.2.3 gilt γ > 0 (Ansonstenwäre Q′ ≡ 0, d.h. Θ ≡ 0). Mit Q := γ−1Q′ folgt die Behauptung.

2.2.6 Definition. Die Zahl γ heißt Intensität von Ψ bzw. Φ und Q heißt (Palmsche) Marken-verteilung.

2.2.7 Bemerkung. Für einen stationären Punktprozess Φ = (ξn : n ≥ 1) gilt

E[cardn ≥ 1 : ξn ∈ B] = γλd(B).

2.2.8 Satz. Es sei Ψ = (ξn, Zn) : n ≥ 1 ein stationärer markierter Punktprozess mitendlicher Intensität γ und einer Markenverteilung Q, welche∫

Cdλd(K + C) Q(dK) <∞, C ∈ Cd, (2.2.3)

erfüllt. Dann ist das zugehörige Keim-Korn-Modell Z =⋃∞n=1(Zn + ξn) eine stationäre zu-

fällige abgeschlossene Menge.

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

Beweis. Dass Z eine zufällige abgeschlossene Menge ist, folgt mit dem Beweis von Satz2.1.6. Man beachte dabei Λ = γλd und λd(K∗ + C) = λd(K + C∗). Die Stationarität folgtaus

Z + x =∞⋃n=1

(Zn + (ξn + x))d=∞⋃n=1

(Zn + ξn) = Z.

2.2.9 Bemerkung. Gilt (2.2.3) für eine Kugel C mit positivem Radius, so gilt (2.2.3) für alleC ∈ Cd. Zu einer Kugel B und gegebenem C wählt man Vektoren xi ∈ Rd, i = 1, . . . ,m,sodass C ⊂ ∪mi=1(B + xi). Dann ist K + C ⊂ ∪mi=1(K + B + xi) und die Behauptung folgtmit der Subadditivität des Lebesguemaßes.

Man kann zeigen, dass die AbbildungFd×Rd → R, (F, x) 7→ 1F (x) messbar ist. Ist Z einezufällige abgeschlossene Menge, so ist also (ω, x) 7→ 1Z(ω)(x) ebenfalls messbar. Damit istω 7→ λd(B∩Z(ω)) =

∫Rd 1B(x)1Z(ω)(x) dx messbar, d.h. λd(Z ∩B) ist eine Zufallsvariable.

2.2.10 Definition. Ist Z eine stationäre zufällige abgeschlossene Menge, so heißt

pZ := p := E[λd(Z ∩ [0, 1]d)]

Volumenanteil von Z.

2.2.11 Satz. Es sei Z eine stationäre zufällige abgeschlossene Menge mit Volumenanteil p.Dann gelten

E[λd(Z ∩B)] = pλd(B), B ∈ Bd, (2.2.4)und

p = P(x ∈ Z), x ∈ Rd. (2.2.5)

Beweis. Wegen der Stationarität gilt

p(x) := P(x ∈ Z) = P(0 ∈ Z) = p(0).

Aus dem Satz von Fubini folgt:

E[λd(Z ∩B)] = E[∫

Rd

1Z(x)1B(x)dx

]=

∫Rd

E[1Z(x)1B(x)] dx

=

∫Rd

1B(x)E[1Z(x)] dx

=

∫Rd

1B(x)P(x ∈ Z) dx

=

∫Rd

1B(x)p(0) dx

= p(0)

∫Rd

1B(x) dx = p(0)λd(B).

Mit B = [0, 1]d folgt p = p(0) = p(x) und damit die Behauptungen.

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

2.3 Das Boolesche Modell2.3.1 Definition. Ein Punktprozess Φ = ξn : n ≥ 1 auf Rd heißt homogener (stationärer)Poissonprozess mit Intensität γ > 0, falls gilt:

(i) Für m ≥ 2 und paarweise disjunkte Borelmengen B1, . . . , Bm ∈ Bd sind die Zufallsva-riablen Φ(B1), . . . ,Φ(Bm) stochastisch unabhängig.

(ii)

P(Φ(B) = k) =γk(λd(B))k

k!e−γλ

d(B), B ∈ Bd, k ∈ N0.

Dabei ist∞ · e−∞ := 0 und es bezeichne Φ(B) := cardn ≥ 1 : ξn ∈ B.

Der leere Punktprozess Φ = ∅ hat die beiden Eigenschaften (i) und (ii) aus Definition 2.3.1mit γ = 0. Auch er heißt homogener Poissonprozess mit Intensität γ = 0.

2.3.2 Bemerkung. Es sei Φ ein homogener Poissonprozess mit Intensität γ ≥ 0.

(i) Es gilt E[Φ(B)] = γλd(B), B ∈ Bd.

(ii) Im Fall γλd(B) =∞ gilt P(Φ(B) <∞) = 0, d.h. P(Φ(B) =∞) = 1.

Man schreibt Φ(B) ∼ Poiss(γλd(B)) bzw. Φ ∼ Poiss(γλd).

2.3.3 Definition. Es sei Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf Cd mit∫Cdλd(K + C) Q(dK) <∞, C ∈ Cd. (2.3.1)

Ferner sei Ψ = (ξn, Zn) : n ∈ N eine unabhängige Q-Markierung eines homogenen Pois-sonprozesses Φ = ξn : n ∈ N mit Intensität γ > 0. Dann heißt das zugehörige Keim-Korn-Modell

Z =∞⋃n=1

(Zn + ξn)

Boolesches Modell (mit Parametern Q und γ). Man bezeichnet γ auch als Keimintensität desBooleschen Modells.

2.3.4 Bemerkung. Im obigen Rahmen ist es bequem, eine zufällige abgeschlossene (sogarkompakte) Menge Z0 ∼ Q einzuführen. Man nennt Z0 typisches Korn. Bedingung (2.3.1)lässt sich dann schreiben als

E[λd(Z0 + C)] <∞, C ∈ Cd. (2.3.2)

Allgemeiner kann das typische Korn auch im Rahmen von Satz 2.2.5 eingeführt werden.

2.3.5 Satz. Ein Boolesches Modell ist stationär.

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

Beweis. Man zeigt leicht, dass Φ ∼ Poiss(γλd) stationär ist. Hierzu überlegt man sich, dassauch Φ + x (für ein beliebiges x ∈ Rd) ein homogener Poissonprozess mit Intensität γ ist.Wegen Satz 2.2.4 ist Ψ ebenfalls stationär und die Behauptung folgt aus Satz 2.2.8.

2.3.6 Satz. Der Volumenanteil p eines Booleschen Modells mit Keimintensität γ und typischemKorn Z0 beträgt

p = 1− e−γE[λd(Z0)]. (2.3.3)

Beweis. Nach Satz 2.2.11 gilt p = P(0 ∈ Z). Es sei Φ′ := ξn : 0 ∈ Zn + ξn. Dannist Φ′ eine sogenannte Verdünnung von Φ. Für jedes x ∈ Φ wird mit Wahrscheinlichkeitq(x) := P(0 ∈ Z0 +x) entschieden, ob es zu Φ′ gehört oder nicht. Ein Ergebnis aus Abschnitt3.3 zeigt, dass die Anzahl der Punkte von Φ′ mit dem Parameter γ

∫Rd q(x) dx (dies entspricht

der erwarteten Anzahl der Punkte von Φ′) poissonverteilt ist. Insbesondere folgt:

1− p = P(0 6∈ Z) = P(Φ′ = ∅) = exp

−γ∫Rd

q(x) dx

.

Die Behauptung folgt nun aus∫Rd

q(x) dx =

∫Rd

P(0 ∈ Z0 + x) dx = E∫Rd

10 ∈ Z0 + x dx = Eλd(−Z0) = Eλd(Z0).

Alternativ kann man wie folgt argumentieren. Sei Ψ eine unabhängige Q-Markierung desstationären Poissonprozesses Φ in Rd × Cd. Wir werden später zeigen, dass Ψ ein Poisson-prozess in Rd × Cd ist mit Intensitätsmaß γλd ⊗ Q (vgl. die Sätze 2.1.5 und 2.2.4). Dann ist(Zn + ξn : n ≥ 1) ein stationärer Poissonprozess in Cd mit Intensitätsmaß

γ

∫Rd

∫Cd1C + x ∈ ·λd(dx)Q(dC).

Es folgt

1− p = P(0 /∈ Z) = P(cardn ≥ 1 : 0 ∈ Zn + ξn = 0)

= exp

(−γ∫∫

10 ∈ C + xλd(dx)Q(dC)

)= exp

(−γEλd(Z0)

).

Notation: B(x, r) := y ∈ Rd : ‖y − x‖ ≤ r, Bd := B(0, 1), κd := λd(Bd).

2.3.7 Satz. Es seien Φ = ξn : n ≥ 1 ∼ Poiss(γλd) und R,R1, R2, . . . eine von Φ unabhän-gige Folge unabhängiger, nicht-negativer Zufallsvariablen mit derselben Verteilung. Sei

Z =∞⋃n=1

B(ξn, Rn).

Dann gilt P(Z = Rd) = 1 genau dann, wenn E[Rd] =∞.

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2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell

2.3.8 Bemerkung. Mit den Überlegungen in Abschnitt 3 folgt, dass Z0 = B(0, R) eine P-f.s.kompakte zufällige abgeschlossene Menge ist. Bedingung (2.3.2) ist zu E[Rd] < ∞ äquiva-lent.

Beweis von Satz 2.3.7. Wir können formal nicht davon ausgehen, dass Z eine zufällige abge-schlossene Menge ist. Gleichwohl zeigt der Beweis von Satz 2.2.11, dass

E[λd(Z ∩B)] = P(0 ∈ Z)︸ ︷︷ ︸=:p

λd(B), B ∈ Bd. (2.3.4)

Die Messbarkeit von (x, ω) 7→ 1x ∈ Z(ω) folgt aus

1

x ∈

⋃n≥1

(Zn + ξn)

= max

n≥11x ∈ Zn + ξn,

wobei Zn + ξn für n ∈ N eine zufällige abgeschlossene Menge ist.Aus dem Beweis von Satz 2.3.6 folgt

p = 1− e−γE[λd(Z0)] = 1− e−γκdE[Rd]. (2.3.5)

Gilt P(Z = Rd) = 1, so folgt p = P(0 ∈ Z) = 1, also E[Rd] =∞.Umgekehrt folgt aus E[Rd] =∞ für beschränktes B ∈ Bd, dass

λd(Z ∩B) = λd(B) P-f.s.

Zunächst besitzen die Zufallsvariablen auf beiden Seiten dieser Gleichung wegen (2.3.5) und(2.3.4) den gleichen Erwartungswert. Mit λd(Z∩B) ≤ λd(B) folgt die Gleichheit auch P-f.s.,d.h. λd(B \Z) = 0 P-f.s. Da es eine Folge (Bn) in Bd gibt mit Bn ↑ Rd, folgt λd(Rd \Z) = 0.Das bleibt richtig, falls Z durch

Zε :=∞⋃n=1

B(ξn, (Rn − ε)+)

ersetzt wird. Hierbei ist ε > 0 fest gewählt. Beachte hierzu, dass E[(R − ε)d+] =∞. Also giltfür

Z ′ε :=⋃

n : Rn>ε

B(ξn, Rn − ε)

immer noch λd(Rd \ Z ′ε) = 0 P-f.s. Außerdem ist

Z ′ε + εBd ⊂ Z P-f.s.

Angenommen, es gäbe ein x ∈ Rd \ (Z ′ε + εBd), d.h. x /∈ Z ′ε + εBd, so ist der Abstandd(x, Z ′ε) ≥ ε, womit die offene KugelB0(x, ε) in Rd\Z ′ε liegt. Dies steht aber im Widerspruchzu λd(Rd \ Z ′ε) = 0 P-f.s. Es folgt

Z ′ε + εBd = Rd P-f.s.

und damit auch die Behauptung.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3 Zufällige abgeschlossene Mengen undPunktprozesse

In diesem Kapitel geben wir eine kompakte Einführung in die Theorie der zufälligen abge-schlossenen Mengen und Punktprozesse, so wie sie in dieser Vorlesung benötigt wird. WeitereDetails finden sich zum Beispiel im Skript der Vorlesung “Räumliche Stochastik”.

3.1 Zufällige abgeschlossene MengenWir betrachten Teilmengen des Rd. Für A ⊂ Rd erklären wir

FA := F ∈ Fd : F ∩ A = ∅ und FA := F ∈ Fd : F ∩ A 6= ∅.

3.1.1 Definition. Die Fell-Topologie τ d auf Fd ist die kleinste Topologie, welche die SystemeFC : C ∈ Cd und FG : G ∈ Od enthält. Die zugehörige Borelsche σ-Algebra wird mitB(Fd) bezeichnet.

3.1.2 Satz. Der topologische Raum (Fd, τ d) ist ein kompakter Hausdorffraum mit abzählbarerBasis und damit insbesondere metrisierbar.

3.1.3 Bemerkung. (i) Das System

FC ∩ FG1 ∩ . . . ∩ FGk: C ∈ Cd, G1, . . . , Gk ∈ Od, k ∈ N0

ist durchschnittsstabil (FC ∩ FC′ = FC∪C′) und bildet eine Basis der Fell-Topologie,d.h. jede offene Menge ist Vereinigung von Elementen der Basis.

(ii) Das System FC : C ∈ Cd ist eine Umgebungsbasis von ∅, d.h. für alle H ∈ τ d mit∅ ∈ H existiert ein C ∈ Cd mit FC ⊂ H.

(iii) Für C ∈ Cd ist FC als abgeschlossene Teilmenge des kompakten Raumes Fd wiederumkompakt.

(iv) Ist L ⊂ Fd \ ∅ kompakt, so ist Fd \ L offen, ∅ ∈ Fd \ L, und es gibt nach (i) einC ∈ Cd mit FC ⊂ Fd \ L, d.h. L ⊂ FC .

3.1.4 Satz. Für F, F1, F2, . . . ∈ Fd sind äquivalent:

(i) Fn → F bezüglich τ d.

(ii) a) Für jedes x ∈ F existiert eine Folge (xn) mit xn → x und xn ∈ Fn für fast allen ∈ N.

b) Sind I ⊂ N eine Teilfolge (d.h. card I = ∞) und xn ∈ Fn für n ∈ I mitlimn→∞ xn = x ∈ Rd, so gilt x ∈ F .

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

Beweis. Es gelte (i). Wie zeigen zunächst (ii) a). Sei dazu x ∈ F . Setze

Gn = B0

(x,

1

n

):=

y ∈ Rd : ||y − x|| < 1

n

, n ∈ N.

Wegen Gn ∩ F 6= ∅ gilt F ∈ FGn ∈ τ d. Also gibt es ein kn ∈ N mit Fk ∩Gn 6= ∅ für k ≥ knund n ∈ N. O.B.d.A. gelte k1 < k2 < . . . Wähle

xp ∈ Fp ∩Gn, p = kn, . . . , kn+1 − 1, n ∈ N.

Dann konvergiert (xp)p≥k1 gegen x ∈ F .Nun wollen wir (ii) b) zeigen. Dazu sei xn ∈ Fn für n ∈ I ⊂ N. Angenommen,

xn → x /∈ F. (3.1.1)

Wähle C ∈ Cd mit x ∈ intC und C ∩ F = ∅, d.h. F ∈ FC ∈ τ d. Damit ist Fn ∩ C = ∅ fürfast alle n ∈ N. Wegen (3.1.1) ist xn ∈ C ∩Fn, wenn n hinreichend groß ist, ein Widerspruch.

Nun gelte (ii).

• Es gelte F ∈ FG für G ∈ Od. Wir zeigen, dass Fn ∈ FG für fast alle n ∈ N gilt. Wähledazu x ∈ F ∩ G. Wegen (ii) a) gibt es xn ∈ Fn, n ∈ N, mit xn → x. Aus x ∈ G folgtdann xn ∈ G für fast alle n ∈ N, d.h. Fn ∩ G 6= ∅ für fast alle n ∈ N. Daraus folgtFn ∈ FG für fast alle n ∈ N.

• Es gelte F ∈ FC für ein C ∈ Cd. Wir zeigen Fn ∈ FC für fast alle n ∈ N. Angenom-men, Fn /∈ FC für n ∈ I mit einer Teilfolge I ⊂ N. Wähle dann xn ∈ Fn ∩ C 6= ∅für n ∈ I . Da C kompakt ist, existiert eine unendliche Teilmenge J ⊂ I mit xn → xfür n → ∞ und n ∈ J . Dann ist aber x ∈ C, da C abgeschlossen ist, und es ist x ∈ Fwegen (ii) b), im Widerspruch zu F ∩ C = ∅.

Die Kombination dieser beiden Teilpunkte ergibt (i).

3.1.5 Bemerkung. Sowohl FC : C ∈ Cd als auch FG : G ∈ Od erzeugen B(Fd). ZuG ∈ Od gibt es eine Folge Cd 3 Cn ↑ G ∈ Od, und daher folgt

FG =∞⋃n=1

FCn =∞⋃n=1

(Fd \ FCn

).

Zu C ∈ Cd gibt es eine Folge relativ kompakter Mengen Od 3 Gn ↓ C ∈ Cd, und daher folgt

FC =∞⋃n=1

(Fd \ FGn

).

3.1.6 Bemerkung. Es gilt Cd ∈ B(Fd). Für Cn := B(0, n) gilt nämlich

Cd =∞⋃n=1

FRd\Cn =∞⋃n=1

(Fd \ FRd\Cn

)∈ B(Fd).

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3.1.7 Beispiel. (i) Wenn xn → x in Rd und rn → r in R+, dann folgtB(xn, rn)→ B(x, r).

(ii) Aus ||xn|| → ∞ folgt xn → ∅.

3.1.8 Satz. Die Abbildung Fd ×Fd → Fd, (F, F ′) 7→ F ∪ F ′ ist stetig.

Beweis. Es gelte Fn → F und F ′n → F ′. Wir zeigen mit Satz 3.1.4, dass Fn ∪ F ′n → F ∪ F ′gilt:

a) Es sei x ∈ F ∪ F ′. O.B.d.A. sei x ∈ F . Dann gibt es xn ∈ Fn ⊂ Fn ∪ F ′n mit xn → x.

b) Ist I ⊂ N eine unendliche Teilmenge mit xn ∈ Fn ∪ F ′n, xn → x ∈ Rd für n ∈ I ,so gibt es eine unendliche Teilmenge I ′ ⊂ I mit (o.B.d.A.) xn ∈ Fn, n ∈ I ′, d.h.x ∈ F ⊂ F ∪ F ′.

3.1.9 Satz. (i) Die Abbildung Fd → Fd, F 7→ −F = F ∗ ist stetig.

(ii) Die Abbildung R×Fd → Fd, (α, F ) 7→ αF ist stetig auf (R \ 0)×Fd.

Beweis. Übung. Dort wird auch gezeigt, dass die zweite Aussage nicht richtig ist auf R ×Fd.

3.1.10 Beispiel. Die Abbildung Fd ×Fd → Fd, (F, F ′) 7→ F ∩ F ′ ist nicht stetig. Dies siehtman folgendermaßen: Seien xn ∈ Rd, n ∈ N, mit xn → x, xn 6= x. Dann gilt xn → x,aber mit Fn := xn und F := x gilt: ∅ = Fn ∩ F konvergiert nicht gegen F ∩ F = x.

3.1.11 Satz. (i) Die Abbildung Fd ×Fd → Fd, (F, F ′) 7→ F ∩ F ′ ist messbar.

(ii) Die Abbildungen Fd → Fd, F 7→ cl(Rd \ F ) und Fd → Fd, F 7→ ∂F sind messbar.

(iii) Die Abbildung Fd ×Fd → Fd, (F, F ′) 7→ cl(F + F ′) ist messbar.

(iv) Die Abbildung Rd ×Fd → R, (x, F ) 7→ 1F (x) ist messbar.

Beweis. Wir zeigen (i) und (iv) und verweisen für die restlichen Aussagen auf [3]. Zu (i): Seiϕ die Durchschnittsabbildung, d.h., ϕ(F1, F2) := F1 ∩ F2. Wir zeigen, dass für C ∈ Cd stetsϕ−1

(FC)

offen ist. Sei dazu (F1, F2) ∈ Fd×Fd mit (F1, F2) ∈ ϕ−1(FC), also F1∩F2∩C =

∅. Angenommen, es gäbe keine offene Umgebung von (F1, F2), die in ϕ−1(FC)

enthalten ist.Dann existieren Folgen F i

1, Fi2, i ∈ N, mit F i

1 → F1, F i2 → F2 und F i

1 ∩F i2 ∩C 6= ∅ für i ∈ N.

Wähle Punkte xi ∈ F i1 ∩ F i

2 ∩ C für i ∈ N. Da C kompakt ist, existiert eine Teilfolge I ⊂ Nmit xi → x ∈ C für i → ∞, i ∈ I . Dann ist aber x ∈ F1 und x ∈ F2 wegen F i

1 → F1 undF i

2 → F2. Dies zeigt x ∈ F1 ∩ F2 ∩ C 6= ∅, ein Widerspruch.Zum Nachweis von (iv) zeigen wir, dass für ϕ(x, F ) := 1x ∈ F die Urbildmenge

ϕ−1(1) abgeschlossen ist. Seien dazu (xi, Fi) ∈ ϕ−1(1) für i ∈ N und (xi, Fi)→ (x, F )für i → ∞. Dann ist xi ∈ Fi und x ∈ F wegen Satz 3.1.2 (ii) b). Also folgt (x, F ) ∈ϕ−1(1).

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3.1.12 Definition. Für B ⊂ Rd und ε > 0 sei

B⊕ε := B + εBd

die Parallelmenge von B mit Abstand ε > 0.

3.1.13 Bemerkung. Ist B ∈ Fd, so gilt B⊕ε = x ∈ Rd : d(x,B) ≤ ε.

3.1.14 Definition. Die Hausdorff-Metrik δ auf Cd \ ∅ ist definiert durch

δ(C,C ′) := minε ≥ 0 : C ⊂ C ′⊕ε, C′ ⊂ C⊕ε.

Ferner definiert man δ(∅, C) = δ(C, ∅) :=∞, C ∈ Cd \ ∅, und δ(∅, ∅) := 0.

3.1.15 Satz. Die Hausdorff-Metrik ist sowohl auf Cd \ ∅ als auch auf Cd eine Metrik.

3.1.16 Satz. Es seienC,C1, C2, . . . ∈ Cd\∅. Gilt δ(Cn, C)→ 0, so folgtCn → C bezüglichτ d. Die Umkehrung ist richtig, falls Cn ⊂ K, n ∈ N, für ein K ∈ Cd.

Beweis. "⇒": Sei δ(Cn, C)→ 0 für n→∞. Sei x ∈ C. Da C ⊂ Cn + εBd für n ≥ n(ε) undein gegebenes ε > 0, gibt es zu x ∈ C eine Folge xn ∈ Cn mit d(x, xn)→ 0 für n→∞. Alsoist (ii) a) in Satz 3.1.4 erfüllt. Wir zeigen nun, dass auch (ii) b) gilt. Seien hierzu I ⊂ N eineTeilfolge mit xn ∈ Cn für n ∈ I und xn → x ∈ Rd. Nach Voraussetzung gilt Cn ⊂ C + εBd

für n ≥ n(ε), also ist x ∈ C + εBd, und zwar für alle ε > 0. Dies zeigt x ∈ C."⇐": Sei Cn → C für n→∞ bezüglich τ d und Cn ⊂ K für n ∈ N. Satz 3.1.4 (ii) a) zeigt,

dasss dann auch C ⊂ K gilt. Sei ε ∈ (0, 1).Betrachte C := cl (K \ C⊕ε). Wegen C ∩ C = ∅ ist Cn ∩ C = ∅ für fast alle n ∈ N. Daher

folgt Cn ⊂ C⊕ε für fast alle n ∈ N.Wir zeigen nun noch C ⊂ (Cn)⊕ε für fast alle n ∈ N. Angenommen, diese Inklusion wäre

mit einer unendlichen Teilmenge I ⊂ N für n ∈ I nicht erfüllt. Für n ∈ I gibt es dann xn ∈ Cmit d(xn, Cn) ≥ ε, wobei d die euklidische Metrik bezeichnet. Da C kompakt ist, gibt es eineunendliche Teilmenge J ⊂ I sowie x ∈ C mit xn → x für n→∞ und n ∈ J . Zu x ∈ C gibtes nach Satz 3.1.2 (ii) a) yn ∈ Cn mit yn → x für n → ∞. Zusammen erhält man für n ∈ J ,dass

ε ≤ d(xn, Cn) ≤ d(xn, x) + d(x,Cn) ≤ d(xn, x) + d(xn, yn)→ 0

für n→∞ (mit n ∈ J), ein Widerspruch.

3.1.17 Beispiel. Es seien x, xn ∈ Rd, n ∈ N, mit ‖xn‖ → ∞. Dann gilt xn, x → x inFd, aber δ(xn, x, x)→∞.

3.1.18 Definition. Eine zufällige abgeschlossene Menge ist eine messbare AbbildungZ : Ω→Fd. Ihr Kapazitätsfunktional TZ : Cd → [0, 1] ist definiert durch

TZ(K) := P(Z ∩K 6= ∅), K ∈ Cd.

3.1.19 Satz. Für zufällige abgeschlossene Mengen Z,Z ′ gilt Z d= Z ′ genau dann, wenn TZ =

TZ′ gilt.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

Beweis. "⇒": Z d= Z ′ impliziert f(Z)

d= f(Z ′) für messbare f : Fd → Ω′. Wähle

f(F ) = 1F ∩K 6= ∅ = 1FK(F )

für K ∈ Cd und bilde den Erwartungswert."⇐": Wir benutzen den Monotonen Klassensatz. Setze

D := H ∈ B(Fd) : P(Z ∈ H) = P(Z ′ ∈ H).

Dann ist D ein Dynkin-System, d.h. Fd ∈ D und D ist abgeschlossenen gegenüber echtenDifferenzen und monotonen Vereinigungen. Außerdem enthält D den ∩-stabilen Erzeuger

D′ := FK : K ∈ Cd

von B(Fd), siehe Bemerkung 3.1.5. Es gilt σ(D′) = δ(D′), da D′ ein ∩-stabiles Mengensys-tem ist. Also impliziert der Monotone Klassensatz

B(Fd) = σ(D′) = δ(D′) ⊂ D,

wobei δ(D′) das von D′ erzeugte Dynkin-System bezeichnet.

3.2 Zufällige Maße und PunktprozesseEs sei (X, ρ) ein separabler metrischer Raum mit Borelscher σ-Algebra B(X) =: X .

3.2.1 Definition. (i) B ⊂ X heißt beschränkt, falls

ρ(B) := supρ(x, y) : x, y ∈ B <∞.

ρ(B) heißt Durchmesser von B. Weiter sei Xb := B ∈ X : B beschränkt.

(ii) A ⊂ X heißt lokal-endlich, falls card(A ∩B) <∞, B ∈ Xb.

Jede kompakte (und auch jede relativ kompakte) Teilmenge von X ist beschränkt.

3.2.2 Definition. (i)

M(X) := µ : µ ist ein Maß auf X mit µ(B) <∞ für B ∈ Xb

heißt Menge der lokal-endlichen Maße auf X.

(ii)N(X) := ϕ ∈M(X) : ϕ(B) ∈ N0 für B ∈ Xb

heißt Menge der lokal-endlichen Zählmaße auf X.

(iii)Ns(X) := ϕ ∈ N(X) : ϕ(x) ∈ 0, 1 für x ∈ X

heißt Menge der einfachen Zählmaße auf X.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

(iv) M(X) sei die kleinste σ-Algebra auf M(X), für die die Abbildungen µ 7→ µ(B) fürjedes B ∈ X messbar sind, d.h.M(X) ist die kleinste σ-Algebra, welche alle Mengender Form µ : µ(B) ∈ C, B ∈ X , C ∈ B([0,∞]), enthält. Ferner seien

N (X) :=M(X) ∩N(X) und Ns(X) :=M(X) ∩Ns(X).

Ist µ ∈M(X), so ist µ endlich auf kompakten Mengen.

3.2.3 Definition. Für n ∈ N sei Bn,i : i ∈ N eine Zerlegung von X in Mengen aus Xb. Wirnennen eine Folge (Bn,i : i ∈ N)n∈N solcher Zerlegungen eine (ausgezeichnete) gerichteteFolge von Zerlegungen, wenn jedes B ∈ Bn,i : i ∈ N eine Vereinigung von Mengen ausBn+1,i : i ∈ N ist und wenn supρ(Bn,i) : i ∈ N → 0 für n→∞ gilt.

3.2.4 Bemerkung. In separablen metrischen Räumen (X, ρ) existieren (ausgezeichnete) ge-richtete Folgen von Zerlegungen. Zunächst existiert eine abzählbare Umgebungsbasis offenerMengen Bn ⊂ X, n ∈ N. Das Teilsystem derjenigen Mengen Bn mit Durchmesser höchs-tens 1/k für ein festes k ∈ N, ist dann immer noch eine Umgebungsbasis, überdeckt alsoinsbesondere X. Hieraus erhalten wir sukzessiv eine abzählbare, messbare Zerlegung von Xin disjunkte Mengen vom Durchmesser höchstens 1/k. Durch Schneiden mit den Mengen derStufe k − 1 erhalten wir eine Verfeinerung dieser Zerlegung wie gefordert.

3.2.5 Definition. Ein Maß µ auf X heißt diffus, falls µx := µ(x) = 0 für alle x ∈ X.

3.2.6 Definition. Ein Punkt x ∈ X heißt Atom eines Maßes µ, falls µx > 0.

3.2.7 Beispiel. Sei x ∈ Rd. Das Dirac-Maß δx,

δx(B) := 1B(x),

hat ein Atom bei x.

3.2.8 Beispiel. Jedes Maß auf Rd mit Lebesgue-Dichte ist diffus.

3.2.9 Bemerkung. Ist B ∈ Xb, so hat µ ∈M(X) nur endlich viele Atome mit Masse mindes-tens r > 0. Insgesamt hat µ also maximal abzählbar unendlich viele Atome.

3.2.10 Satz. Jedes µ ∈M(X) besitzt eine Darstellung

µ = µc +τ∑i=1

aiδxi

mit einem diffusen Maß µc, τ ∈ N0∪∞, ai > 0 und xi ∈ X. Dabei können die Abbildungenµ 7→ (µc, τ) und µ 7→ (a1, x1, a2, x2, . . .) messbar gewählt werden, wobei wir (ai, xi) :=(0, x0) für i > τ mit einem festen x0 ∈ X wählen.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

Beweis. Definiere für r > 0 ein Maß

µ∗r(B) := cardx ∈ B : µ(x) ≥ r für B ∈ X .

Dann ist µ∗r ∈ Ns(X). Sei nun (Bn,i : i ∈ N)n≥1 eine geschachtelte, ausgezeichnete Folgevon Zerlegungen von X mittels Mengen aus Xb. In den Übungen soll gezeigt werden, dass

µ∗r(B) = limn→∞

∑i∈N

1µ(Bn,i ∩B) ≥ r für B ∈ Xb.

Folglich ist die Abbildung µ 7→ µ∗r messbar.Sei υ /∈ X fest gewählt. Der Beweis von Lemma 2.1.6 in [2], der auf der Einführung einer

(mit Hilfe gerichteter Zerlegungen erklärten) lexikographischen Ordnung auf X beruht, zeigt,dass es eine Folge messbarer Abbildungen ζi : Ns(X)→ X ∪ υ, i ∈ N, gibt, so dass

η =∑i∈N

δζi(η), η ∈ Ns(X).

Wir erklärenζn,i(µ) := ζi

(µ∗1

n

), i, n ∈ N.

Dann ist µ 7→ ζn,i(µ) messbar, und jedes Atom von µ ist in (ζn,i(µ) : n, i ∈ N) enthalten.Hieraus erhalten wir eine Abzählung (ζ ′1(µ), ζ ′2(µ), . . .) der Atome von µ mittels messbarerAbbildungen ζ ′i : M(X)→ X ∪ υ, i ∈ N, so dass mit τ := limr→0 µ

∗r(X) ∈ N0 ∪ ∞ gilt

ζ ′i(µ) ∈ X für i < τ + 1 und ζ ′i(µ) = υ für i > τ . Setze xi := ζ ′i(µ) und ai := µ(xi) füri ∈ N mit µ(υ) := 0 und µc := µ−

∑τi=1 aiδxi . Dann ist µ 7→ µc messbar und atomfrei.

3.2.11 Bemerkung. Im Beweis von Satz 3.2.10 wurde verwendet, dass die Abbildung

X×M(X)→ [0,∞], (x, µ) 7→ µ(x),

messbar ist. Allgemeiner gilt: Ist f : X× X→ [0,∞] messbar, so ist die Abbildung

X×M(X)→ [0,∞], (x, µ) 7→∫f(x, y)µ(dy),

messbar. Dies zeigt man für f = 1A und messbare Mengen A mit einem Monotone KlassenArgument. Details sollen in den Übungen bearbeitet werden.

3.2.12 Folgerung. Die Mengen N(X) und Ns(X) sind messbare Teilmengen von M(X).

Beweis. Es gilt µ ∈ N(X) ⇔ µc = 0 und ai ∈ N0 für i ∈ N. Ferner gilt µ ∈ Ns(X) ⇔ µ ∈N(X) und ai ∈ 0, 1 für i ∈ N.

3.2.13 Definition. (i) Ein zufälliges Maß η auf X ist eine messbare Abbildung η : Ω →M(X).

(ii) Ein Punktprozess Φ auf X ist eine messbare Abbildung Φ: Ω → N(X). Gilt P(Φ ∈Ns(X)) = 1, so heißt Φ einfach.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3.2.14 Bemerkung. (i) Manchmal wird ein Punktprozess auf X auch als zufälliges Maß Φmit P(Φ ∈ N(X)) = 1 definiert.

(ii) Für ϕ ∈ N(X) sei der Träger von ϕ definiert durch suppϕ = x ∈ X : ϕ(x) > 0.Jedes Maß ϕ ∈ Ns(X) kann mit suppϕ identifiziert werden.

(iii) Eine Abbildung η : Ω ist genau dann messbar, wenn die Abbildung ω 7→ η(ω(B)) fürjedes B ∈ X messbar ist. Das folgt aus dem Monotonen Klassensatz.

(iv) Ist η ein zufälliges Maß, so schreibt man η(ω,B) := η(ω)(B) für ω ∈ Ω und B ∈ Xsowie η(B) für die Zufallsvariable ω 7→ η(ω,B).

3.2.15 Bemerkung. Es sei Φ ein Punktprozess auf X. Gemäß Satz 3.2.10 gibt es dann Zufalls-variablen Ai ∈ N, ξi ∈ X und τ (mit ξi 6= ξj , i, j ≤ τ , i 6= j) mit Φ =

∑τi=1Aiδξi . Analog

gibt es Zufallsvariablen τ ′ und ξ′i mit Φ =∑τ ′

i=1 δξ′i . Oft wird Φ direkt so definiert.

Im folgenden Beispiel und auch später verwenden wir das j-dimensionale HausdorffmaßHj auf Rd. Für die Definition verweisen wir auf Abschnitt 14.5 in [3]. Ist B ⊂ Rd einekonvexe Menge, deren affine Hülle die Dimension k ≥ 1 hat so istHk(B) das j-dimensionaleLebesguemaß von B für k = j, Hk(B) = 0 für k > j und Hk(B) = ∞ für k < j. Fernerist H0 das Zählmaß auf Rd. Ist B eine j-dimensionale glatte Fläche, so ist Hj(B) = 0 der(differentialgeometrische) Flächeninhalt von B.

3.2.16 Beispiel. Sei Z eine zufällige abgeschlossene Menge in Rd. Dann definiert

η(B) := λd(Z ∩B), B ∈ Bd,

ein zufälliges Maß η auf Rd. Dies folgt mit Satz 3.1.11 (iv) und dem Satz von Fubini. AuchB 7→ Hd−1(∂Z ∩ B) ist ein zufälliges Maß auf Rd, falls Hd−1(∂Z ∩ ·) lokal endlich ist.Dabei seiHd−1 das (d−1)-dimensionale Hausdorffmaß auf Rd. Dies folgt aus Satz 3.1.11 (ii)zusammen mit Corollary 2.1.4 in [4].

3.2.17 Beispiel. Es sei Xt : t ∈ Rd ein R+-wertiges zufälliges Feld, sodass (ω, t) 7→ Xt(ω)messbar ist. Dann ist

η(B) :=

∫Rd

1B(t)Xt dt

unter Integrabilitätsbedingungen ein zufälliges Maß.

3.2.18 Beispiel. Es seien X1, . . . , Xm unabhängige Zufallsvariablen in X mit gemeinsamerVerteilung V = P(Xi ∈ ·). Dann heißt der Punktprozess Φ =

∑mi=1 δXi

Binomialprozess mitParametern m und V. Man beachte

Φ(B) = k =

m∑i=1

1B(Xi) = k

=

⋃I⊂1,...,m,|I|=k

(⋂i∈I

Xi ∈ B ∩⋂j∈IcXj /∈ B

)∈ A

für k ∈ 0, . . . ,m, d.h. Φ ist ein Punktprozess. Ferner gilt

P(Φ(B) = k) =

(m

k

)V(B)k(1− V(B))m−k

für k ∈ N0, da(mk

)= 0 für k > m.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3.2.19 Beispiel. Es seien X1, X2, . . . unabhängige, identisch verteilte Zufallsvariablen in Xund τ eine von (Xn)n∈N unabhängige, N0-wertige Zufallsvariable. Dann heißt

Φ :=τ∑i=1

δXi

gemischter Binomialprozess.

Wir sind nun in der Lage, den bereits in Definition 2.3.1 eingeführten homogenen Poisson-prozesses im Rd weiter zu präzisieren.

3.2.20 Definition. Ein Punktprozess Φ : Ω → N(Rd) auf Rd heißt homogener (stationärer)Poissonprozess mit Intensität γ ≥ 0, falls gilt:

(i) Für m ≥ 2 und paarweise disjunkte Borelmengen B1, . . . , Bm ∈ Bd sind die Zufallsva-riablen Φ(B1), . . . ,Φ(Bm) stochastisch unabhängig.

(ii)

P(Φ(B) = k) =γk(λd(B))k

k!e−γλ

d(B), B ∈ Bd, k ∈ N0.

Dabei ist∞ · e−∞ := 0.

3.2.21 Bemerkung. Nach Satz 3.2.10 gibt es eine Folge von Zufallspunkten ξ1, ξ2, . . . in Rd

und eine Zufallsvariable τ in N0 ∪ ∞, so dass Φ =∑τ

i=1 δξi gilt. Insbesondere ist dannΦ(B) := cardn ∈ N : n ≤ τ : ξn ∈ B für B ∈ X .

3.2.22 Beispiel. Es bezeichne Πγ die Verteilung eines homogenen Poissonprozesses Φ mitIntensität γ ≥ 0. Ist Y ≥ 0 eine Zufallsvariable und ist Φ ein Punktprozess auf Rd mit

P(Φ ∈ A|Y ) = ΠY (A) P-f.s., A ∈ N (X),

dann heißt Φ gemischter Poissonprozess mit zufälliger Intensität Y .

3.2.23 Definition. Das Intensitätsmaß Θ eines zufälligen Maßes η ist definiert durch

Θ(B) := E[η(B)], B ∈ X .

3.2.24 Beispiel. (i) Für den Binomialprozess Φ aus Beispiel 3.2.18 gilt

Θ(B) = E

[m∑i=1

δXi

]=

m∑i=1

E[1Xi ∈ B] =m∑i=1

P(Xi ∈ B) = mV(B).

(ii) Für einen gemischten Binomialprozess gilt

Θ(B) =∞∑m=0

E

[1τ = m

m∑i=1

1Xi ∈ B

]=

∞∑m=0

P(τ = m)mV(B) = E[τ ]V(B).

23

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

(iii) Für den gemischten Poissonprozess gilt

Θ(B) = E[E[Φ(B)|Y ]

]= E

[∫η(B) ΠY (dη)

]= E[Y λd(B)] = E[Y ]λd(B).

In der dritten Gleichung wurde Bemerkung 2.3.2 (i) verwendet.

Zur Erinnerung: Ist ν ein Maß auf X und f : X→ [−∞,∞] eine messbare Funktion, so seif+ := max0, f der Positiv- und f− := −min0, f der Negativteil von f . Für f ≥ 0 ist dasIntegral

∫X f dν immer definiert, nimmt aber möglicherweise den Wert∞ an. Für beliebiges

f definieren wir∫X f dν :=

∫X f

+ dν −∫X f− dν, sofern dieser Term nicht von der Form

∞ − ∞ ist. Im Fall∫X f

+ dν =∫X f− dν = ∞ definieren wir

∫X f dν := 0. Außerdem

nennen wir f ν-integrierbar, wenn∫X f

+ dν < ∞ und∫X f− dν < ∞ gilt. Äquivalent dazu

ist die Forderung∫X |f | dν <∞.

3.2.25 Satz (Campbellsche Formel). Ist η ein zufälliges Maß auf X mit Intensitätsmaß Θ undf : X→ [−∞,∞] messbar, so ist

∫X f(x) η(dx) eine [−∞,∞]-wertige Zufallsvariable. Falls

zusätzlich f ≥ 0 gilt oder f Θ-integrierbar ist, so gilt

E[∫

Xf(x) η(dx)

]=

∫Xf(x) Θ(dx). (3.2.1)

Beweis. Für f ≥ 0 kann der Beweis von Satz 2.1.4 angewendet werden. Für allgemei-nes, Θ-integrierbares f gilt

∫X |f | dΘ =

∫X f

+ dΘ +∫X f− dΘ < ∞. Aus (3.2.1) folgt

E[∫

X f±(x) η(dx)

]<∞. Nach Definition und (3.2.1) folgt:

E[∫

Xf dη

]= E

[∫Xf+ dη −

∫Xf− dη

]= E

[∫Xf+ dη

]− E

[∫Xf− dη

]=

∫Xf+ dΘ−

∫Xf− dΘ

=

∫Xf dΘ.

3.2.26 Bemerkung. Ist Φ ein Punktprozess von der Form Φ =∑τ

i=1 δξi , so bedeutet (3.2.1):

E

[τ∑i=1

f(ξi)

]=

∫Xf dΘ.

Die Verteilung Pη eines zufälligen Maßes η ist die Abbildung A 7→ P(η ∈ A) vonM(X)nach [0, 1]. Wir charakterisieren Verteilungsgleichheit von zufälligen Maßen.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3.2.27 Satz. Für zufällige Maße η und η′ auf X sind äquivalent:

(i) η d= η′.

(ii)∫X f dη

d=∫X f dη

′ für alle messbaren f ≥ 0.

(iii) E[exp

(−∫X f dη

)]= E

[exp

(−∫X f dη

′)] für alle messbaren f ≥ 0.

(iv) (η(B1), . . . , η(Bm))d= (η′(B1), . . . , η′(Bm)) für alle m ∈ N, B1, . . . , Bm ∈ Xb.

Beweis. (i)⇒ (ii) und (ii)⇒ (iii): Klar.(iii)⇒ (iv): Wählt man in (iii) f = c11B1 + . . .+ cm1Bm mit ci ≥ 0, Bi ∈ Xb, so folgt

E

[exp

(−

m∑i=1

ciη(Bi)

)]= E

[exp

(−

m∑i=1

ciη′(Bi)

)].

Hiermit und mit dem Satz von Cramér-Wold ([1, Seite 205]) oder alternativ mit einem Ein-deutigkeitssatz für die Laplacetransformation von nichtnegativen Zufallsvektoren (siehe Be-merkung 2.2.6 in [2]) erhält man (iv).

(iv)⇒ (i): Es sei G das System der Mengen

A := µ ∈M(X) : (µ(B1), . . . , µ(Bm)) ∈ C ∈ M(X)

mit m ∈ N, Bi ∈ Xb, C ∈ B(Rm). Dann ist G ∩-stabil und es gilt σ(G) = M(X). WegenVoraussetzung (iii) enthält das Dynkin-System

D := A ∈M(X) : P(η ∈ A) = P(η′ ∈ A)

das Mengensystem G. Aus dem Monotonen Klassensatz folgt σ(G) =M(X) ⊂ D, man erhältalso die Verteilungsgleichheit η d

= η′.

3.2.28 Bemerkung. Lemma 2.2.3 in [2] gibt im Fall von Punktprozessen eine zu (iv) äqui-valente Bedingung an, nach der es genügt, in (iv) paarweise disjunkte messbare MengenB1, . . . , Bm ∈ Xb zu betrachten.

3.2.29 Bemerkung. Für ein zufälliges Maß µ auf X wird das durch

Lµ(f) := E[exp

(−∫Xf dµ

)]für messbare Funktionen f : X → [0,∞] erklärte Funktional als Laplace-Funktional von µbezeichnet. Damit ist auch das Laplace-Funktional eines Punktprozesses erklärt. Satz 3.2.27besagt, dass das Laplace-Funktional eines zufälligen Maßes µ die Verteilung von µ eindeutigfestlegt.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3.3 PoissonprozesseSei (X, ρ) ein separabler metrischer Raum.

3.3.1 Definition. Es sei Θ ein lokal-endliches Maß auf X. Ein Punktprozess Φ auf X heißtPoissonprozess mit Intensitätsmaß Θ, falls gilt:

(i) Φ(B1), . . . ,Φ(Bm) sind stochastisch unabhängige Zufallsvariablen für paarweise dis-junkte messbare Mengen B1, . . . , Bm ∈ X .

(ii)

P(Φ(B) = k) =Θ(B)k

k!e−Θ(B), B ∈ X , k ∈ N0,

wobei∞ke−∞ := 0.

Man schreibt Φ ∼ Poiss(Θ).

3.3.2 Bemerkung. (i) Es gilt E[Φ(B)] = Θ(B), B ∈ X .

(ii) Im Fall Θ(B) =∞ giltP(Φ(B) = k) = 0, k ∈ N0,

d.h.P(Φ(B) =∞) = 1.

Man schreibt Φ(B) ∼ Poiss(∞).

Sind Φ und Ψ Poissonprozesse mit gleichem lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ, so haben Φund Ψ die gleiche Verteilung. Dies folgt aus der Definition von Poissonprozessen zusammenmit Bemerkung 3.2.28.

Ist η ein zufälliges Maß, so auch die Einschränkung ηxB auf eine messbare Menge B ∈ X .In diesem Zusammenhang halten wir fest:

3.3.3 Bemerkung. Ist Φ ein Poissonprozess mit Intensitätsmaß Θ und sind B1, B2, . . . paar-weise disjunkte Elemente von X , so sind die Einschränkungen ΦxB1,ΦxB2, . . . unabhängigePoissonprozesse mit Intensitätsmaßen ΘxB1,ΘxB2, . . .. Das folgt leicht aus den Definitionensowie aus dem Beweis von Satz 3.2.27 (iv) (und Bemerkung 3.2.28).

3.3.4 Theorem. Es sei Φ ein Punktprozess auf X und Θ ein lokal-endliches Maß auf X. Dannsind äquivalent:

(a) Φ ∼ Poiss(Θ).

(b) Für alle messbaren Funktionen f : X→ [0,∞] gilt

E[exp

(−∫Xf dΦ

)]= exp

(−∫X(1− e−f(x)) Θ(dx)

). (3.3.1)

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

Beweis. Es gelte Φ ∼ Poiss(Θ). Für B ∈ X mit Θ(B) <∞ und c ≥ 0 gilt

E[exp(−cΦ(B))] = e−Θ(B)

∞∑k=0

Θ(B)k

k!e−ck = e−Θ(B)e(Θ(B)e−c)

= exp(−Θ(B)(1− e−c)).

Für f := c11B1 + . . .+ cm1Bm mit ci ≥ 0 und paarweise disjunkte Mengen Bi ∈ Xb gilt

E[exp

(−∫XfdΦ

)]= E

[exp

(−

m∑i=1

ciΦ(Bi)

)]

= E

[m∏i=1

exp(−ciΦ(Bi))

]

=m∏i=1

E[exp(−ciΦ(Bi))]

=m∏i=1

exp(−Θ(Bi)(1− e−ci))

= exp

(−

m∑i=1

Θ(Bi)(1− e−ci)

)

= exp

(−

m∑i=1

∫Bi

(1− e−ci) dΘ

)

= exp

(−∫X(1− e−f ) dΘ

),

wobei im letzten Schritt die Disjunktheit der Mengen Bi verwendet wurde. Für eine messbareFunktion f : X → [0,∞] gibt es Treppenfunktionen fn mit fn ↑ f . Dann folgt (3.3.1) mittelsmonotoner Konvergenz.

Umgekehrt nehmen wir nun an, dass (3.3.1) erfüllt sei. Sei B ∈ X mit Θ(B) < ∞ undc ≥ 0. Setze f := c1B. Dann gilt nach Voraussetzung

LΦ(B)(c) = E [exp (−cΦ(B))]

= exp

(−∫X

(1− e−c1B(x)

)Θ(dx)

)= exp

(−∫B

(1− e−c

)Θ(dx)

)= exp

(−(1− e−c

)Θ(B)

)

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

= Lξ(c),

wenn ξ ∼ Poiss(Θ(B)), wie im ersten Beweisteil nachgerechnet wurde. Also ist mit demEindeutigkeitssatz für die Laplace-Transformation Φ(B) ∼ Poiss(Θ(B)). Ist Θ(B) =∞, sozeigt obige Umformung, dass E [exp (−cΦ(B))] = 0 gilt, also ist Φ(B) =∞ P-fast sicher.

Seien nunB1, . . . , Bm ∈ Xb paarweise disjunkt und c1, . . . , cm ≥ 0. Setze f :=∑m

i=1 ci1Bi.

Dann folgt wieder aufgrund der Voraussetzung

E

[exp

(−

m∑i=1

ciΦ(Bi)

)]= E

[exp

(−∫Xf dΦ

)]

= exp

(−∫X

(1− exp

(−

m∑i=1

ci1Bi(x)

))Θ(dx)

)

= exp

(−

m∑i=1

∫Bi

(1− e−ci

)Θ(dx)

)

= exp

(−

m∑i=1

(1− e−ci

)Θ(Bi)

)

=m∏i=1

E[e−ciΦ(Bi)

].

Hieraus schließt man, dass Φ(B1), . . . ,Φ(Bm) stochastisch unabhängig sind. Den allgemeinenFall leitet man hieraus ab.

3.3.5 Satz. Es sei Φ =∑τ

i=1 δXiein gemischter Binomialprozess wie in Beispiel 3.2.19 mit

τ ∼ Poiss(c) für ein c ≥ 0 und Xi ∼ V für i ∈ N, wobei τ,X1, X2, . . . stochastisch unabhän-gig seien. Dann ist Φ ∼ Poiss(cV).

Beweis. Für eine messbare Funktion f : X→ [0,∞] gilt

E[exp

(−∫Xf dΦ

)]= E

[exp

(−

τ∑k=1

f(Xk)

)]

=∞∑m=0

E

[1τ = m exp

(−

m∑k=1

f(Xk)

)]

=∞∑m=0

P(τ = m)E

[m∏k=1

exp(−f(Xk))

]

=∞∑m=0

e−ccm

m!

m∏k=1

E[exp(−f(Xk))]

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

= e−c∞∑m=0

cm

m!

(∫Xe−f(x) V(dx)

)m

= e−c exp

(c

∫Xe−f dV

)= exp

(−c(

1−∫Xe−f dV

))= exp

(−c∫X(1− e−f ) dV

).

Nach Theorem 3.3.4 folgt Φ ∼ Poiss(cV).

3.3.6 Theorem. Ist Θ ein lokal-endliches Maß auf X, so gibt es einen Punktprozess Φ auf Xmit

Φ ∼ Poiss(Θ).

Beweis. Zerlege X =⋃∞i=1 Xi den Raum in messbarer Weise, sodass Θ(Xi) < ∞. Setze

dann ci := Θ(Xi) ≥ 0 und Vi := (ci)−1ΘxXi, falls ci > 0, bzw. wähle Vi als beliebiges

Wahrscheinlichkeitsmaß im Fall ci = 0. Dann gilt Θ =∑∞

i=1 ci · Vi. Seien Φ1,Φ2, . . . unab-hängige gemischte Binomialprozesse mit den Parametern Poiss(ci) und Vi. Man bestätigt nunmit Theorem 3.3.4 leicht, dass Φ :=

∑∞i=1 Φi ∼ Poiss(Θ) gilt. In der Tat ist

E[exp

(−∫f dΦ

)]= E

[exp

(−∑i≥1

∫f dΦi

)]

= E

[∏i≥1

exp

(−∫f dΦi

)]

=∏i≥1

E[exp

(−∫f dΦi

)]

=∏i≥1

exp

(−ci

∫ (1− e−f

)dVi

)

= exp

(−∑i≥1

∫ (1− e−f(x)

)(ciVi)(dx)

)

= exp

(∫ (1− e−f(x)

)Θ(dx)

),

was zu zeigen war.

3.3.7 Theorem (Mecke-Charakterisierung von Poissonprozessen). Sei Φ ein Punktprozess aufX mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ(·) = E[Φ(·)]. Genau dann ist Φ ein Poissonprozess,

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

wenn

E[∫

Xf(Φ, x) Φ(dx)

]=

∫XE[f(Φ + δx, x)] Θ(dx) (3.3.2)

für alle messbaren Abbildungen f : N(X)× X→ [0,∞] gilt.

Beweis. Siehe [2].

Wir leiten nun noch zwei Konsequenzen von Satz 3.3.7 her, die insbesondere bei geometri-schen Anwendungen von Poissonprozessen sehr nützlich sind.

Sei Φ ein Punktprozess in X und n ∈ N. Dann ist

Φn := ⊗ni=1Φ,

das n-fache Produktmaß von Φ, ein Punktprozess auf Xn. Ist etwa Φ =∑

i∈I δζi für einegeeignete (zufällige) Indexmenge I , so folgt

Φn =∑

(i1,...,in)∈Inδ(ζi1 ,...,ζin ).

Das Intensitätsmaß Γn von Φn heißt n-tes Momentenmaß von Φ und ist gegeben durch

Γn(·) := E[Φn(·)] auf Xn.

Speziell für A = ×ni=1Ai, Ai ∈ X , hat man

Γn(A) = E[Φn(A)] = E[Φ(A1) · . . . · Φ(An)]

Sei nun Φ ein Punktprozess (speziell ein Zählmaß) in X mit

Φ =∑i∈I

δζi ,

wobei I eine abzählbare Indexmenge sei, so erklären wir neben Φn eine „faktorielle Version“durch

Φ(n) :=∑

(i1,...in)∈In∗

δ(ζi1 ,...,ζin )

mitIn∗ := (i1, . . . , in) ∈ In | k 6= l⇒ ik 6= il.

Hierdurch ist wieder ein Punktprozess in Xn erklärt. Ist Φ einfach, so haben die hier auftreten-den Tupel (ζi1 , . . . , ζin) paarweise verschiedene Einträge, sodass

Φ(n) = ΦnxXn∗ , Xn

∗ := (x1, . . . , xn) ∈ En | i 6= j ⇒ xi 6= xj.

Speziell ist daher für einen einfachen Punktprozess Φ und A ∈ X

Φ(n)(An) = Φ(A) · (Φ(A)− 1) · . . . · (Φ(A)− n+ 1).

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

Für n = 2 etwa ersieht man dies aus

Φ(2)(A2) =∑i∈I

∑j∈I\i

δ(ζi,ζj)(A× A)

=∑i∈I

∑j∈I\i

1ζi ∈ A1ζj ∈ A

=∑i∈I

1ζi ∈ A∑

j∈I\i

1ζj ∈ A

=∑i∈I

1ζi ∈ A(Φ(A)− 1)

= Φ(A)(Φ(A)− 1),

wobei für die vorletzte Gleichung die Fälle ζi ∈ A und ζi /∈ A unterschieden werden.Um eine alternative Beschreibung für Φ(n) für nicht notwendigerweise einfaches Φ zu er-

halten, erklären wir schrittweise für x1, . . . , xn ∈ X:

Φ \ δx1 := Φ− 1Φ(x1)>0δx1 ,

Φ \ δx1 \ δx2 := (Φ \ δx1) \ δx2 etc.

Hier ist die Messbarkeit von N(X) × X → N(X), (η, x) 7→ η \ δx, zu zeigen. Dann gilt fürA ∈ X n

Φ(n)(A) =

∫X· · ·∫X1A(x)(Φ \ δx1 \ . . . \ δxn−1)(dxn) . . . (Φ \ δx1)(dx2)Φ(dx1). (3.3.3)

Man nennt Γ(n) := E[Φ(n)] das n-te faktorielle Momentenmaß von Φ. Wir unterscheiden also

Γn = E[Φn], Γ(n) = E[Φ(n)] und Θn := E[Φ]n = ⊗ni=1E[Φ].

Das folgende Theorem ergibt sich aus Theorem 3.3.7 und vollständiger Induktion.

3.3.8 Theorem (Multivariate Mecke-Formel). Sei Φ ein Poissonprozess in X mit lokal-endlichemIntensitätsmaß Θ, und sei f : N(X)× Xn → [0,∞] messbar. Dann gilt

E[∫

Xn

f(Φ, x) Φ(n)(dx)

]=

∫Xn

E

[f(Φ +

n∑i=1

δxi , x)

]Θn(x).

3.3.9 Korollar. Ist Φ ein Poissonprozess in X, so gilt Γ(n) = Θn.

3.3.10 Korollar. Sei Φ ein Poissonprozess in X mit diffusem Intensitätsmaß. Dann ist Φ ein-fach.

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

Beweis. Mit Korollar 3.3.9 erhalten wir

E∫

(Rd)21x = yΦ(2)(d(x, y)) =

∫(Rd)2

1x = yΓ(2)(d(x, y))

=

∫(Rd)2

1x = yΘ2(d(x, y))

=

∫Rd

∫Rd

1x = yΘ(dy) Θ(dx)

= 0,

woraus die Behauptung folgt.

3.3.11 Definition. Sei (Y,Y) ein separabler metrischer Raum und K ein stochastischer Kernvon X nach Y, d.h. K : X× Y → [0, 1] erfüllt die folgenden Eigenschaften:

(i) K(x, ·) ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Y,Y).

(ii) Die Abbildung x 7→ K(x,C) ist für alle C ∈ Y messbar.

Für ϕ =∑k

i=1 δxi ∈ N(X) seiK∗(ϕ, ·) die Verteilung des Punktprozesses∑k

i=1 δ(xi,Yi), wobeiY1, Y2, . . . unabhängig mit Verteilungen K(x1, ·), K(x2, ·), . . . (xi := x0, i > τ) seien.

Die obige Definition besagt mit anderen Worten, dass

K∗(ϕ,A) =

∫1

k∑j=1

δ(xj ,yj) ∈ A

(⊗i∈NK(xi, ·))

(d (yi)i∈N

).

für A ∈ N (X × Y). Man zeigt leicht (Übung!), dass K∗ ein stochastischer Kern von N(X)nach N(X× Y) ist.

3.3.12 Definition. Ein Punktprozess Ψ auf X× Y heißt K-Markierung eines PunktprozessesΦ auf X, falls

P(Ψ ∈ A|Φ) = K∗(Φ, A) P-f.s.

für alle A ∈ N (X × Y) gilt. Im Fall K(x, ·) = Q für alle x ∈ X bezeichnet man eineK-Markierung als unabhängige Q-Markierung.

3.3.13 Bemerkung. Die Voraussetzungen an (Y,Y) stellen lediglich sicher, dass auch X×Y(mit der Produkt-Metrik) ein separabler metrischer Raum ist.

3.3.14 Satz. Ist Ψ eineK-Markierung eines Punktprozesses Φ mit Intensitätsmaß Θ, dann hatΨ das Intensitätsmaß

(Θ⊗K)(C) :=

∫X

∫Y1C(x, y)K(x, dy) Θ(dx), C ∈ X ⊗ Y .

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

Beweis. Mit der Notation (und den Voraussetzungen) des Satzes gilt zunächst fürϕ =∑k

i=1 δxiund C ∈ X ⊗ Y , dass∫

ψ(C)K∗(ϕ, dψ) =

∫ k∑j=1

δ(xj ,yj)(C) (⊗i∈NK(xi, ·))(d (yi)i∈N

)

=k∑j=1

∫δ(xj ,yj)(C) (⊗i∈NK(xi, ·))

(d (yi)i∈N

)

=k∑j=1

∫δ(xj ,y)(C)K(xi, dy)

=k∑j=1

gC(xj)

=

∫gC dΦ,

wobeigC(x) :=

∫δ(x,y)(C)K(x, dy).

Hiermit erhalten wir nun

E [Ψ(C)] = E [E [Ψ(C) | Φ]]

= E[∫

ψ(C)P (Ψ ∈ dψ | Φ)

]= E

[∫ψ(C)K∗(Φ, dψ)

]= E

[∫gC dΦ

]=

∫gC(x) Θ(dx)

=

∫∫δ(x,y)(C)K(x, dy) Θ(dx)

=

∫∫1C(x, y)K(x, dy) Θ(dx),

was zu zeigen war.

3.3.15 Korollar. Ist Ψ eine unabhängige Q-Markierung eines Punktprozesses Φ mit Intensi-tätsmaß Θ, dann ist das Intensitätsmaß von Ψ das Produktmaß Θ⊗Q.

33

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

3.3.16 Theorem. Es seien Φ ein Poissonprozess auf X und Ψ eine K-Markierung von Φ.Dann ist Ψ ein Poissonprozess.

Beweis. Es sei f : X× Y→ [0,∞]. Es gilt (siehe unten)

LΨ(f) := E[exp

(−∫X×Y

f dΨ

)]= E

[exp

(−∫Xf ∗ dΦ

)]= LΦ(f ∗),

wobei f ∗(x) := − log∫Y e−f(x,y) K(x, dy) und − log(0) := ∞. Aus Theorem 3.3.4 folgt,

wenn Θ das Intensitätsmaß von Φ ist,

LΨ(f) = exp

(−∫X(1− e−f∗) dΘ

)= exp

(−∫X

(1−

∫Ye−f(x,y) K(x, dy)

)Θ(dx)

)= exp

(−∫X

∫Y(1− e−f(x,y)) K(x, dy) Θ(dx)

)= exp

(−∫X×Y

(1− e−f ) dΘ∗)

mitΘ∗(C) = (Θ⊗K)(C) =

∫X

∫Y1C(x, y) K(x, dy) Θ(dx), C ∈ X ⊗ Y .

Theorem 3.3.4 impliziert Ψ ∼ Poiss(Θ∗).Wir tragen den fehlenden Nachweis nach. Durch Bedingen nach Φ erhält man

E[exp

(−∫f dΨ

)]= E

[∫exp

(−∫f dψ

)P (Ψ ∈ dψ | Φ)

]= E

[∫exp

(−∫f dψ

)K∗(Φ, dψ)

]. (3.3.4)

Nun ist mit derselben Notation wie früher∫exp

(−∫f dψ

)K∗(ϕ, dψ) =

∫exp

(−

k∑i=1

f(xi, yi)

)(⊗j∈NK(xj, ·)) (d (yj)j∈N))

=

∫ k∏i=1

e−f(xi,yi) (⊗j∈NK(xj, ·)) (d (yj)j∈N))

=k∏i=1

∫e−f(xi,yi) K(xi, dyi)

=k∏i=1

∫e−f(xi,y) K(xi, dy)

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

= exp

[k∑i=1

ln

∫e−f(xi,y) K(xi, dy)

]

= exp

[−∫X

(− ln

∫Ye−f(x,y) K(x, dy)

)ϕ(dx)

]= exp

[−∫Xf ∗(x)ϕ(dx)

]. (3.3.5)

Die Gleichungen (3.3.4) und (3.3.5) ergeben zusammen die Behauptung.

3.3.17 Definition. Es sei p : X→ [0, 1] messbar und K der durch

K(x, ·) := (1− p(x))δ0 + p(x)δ1 (3.3.6)

definierte Kern von X nach 0, 1. Ist Ψ eine K-Markierung von Φ, so heißt

Φp := Ψ(· × 1)

p-Verdünnung von Φ.

3.3.18 Korollar. Sei K wie in (3.3.6), und sei Ψ eine unabhängige K-Markierung eines Pois-sonprozesses Φ mit Intensitätsmaß Θ. Dann sind Φp := Ψ(·×1) und Φ−Φp := Ψ(·×0)unabhängige Poissonprozesse mit Intensitätsmaßen

Θ1(B) =

∫B

p(x) Θ(dx) bzw. Θ0(B) =

∫B

(1− p(x)) Θ(dx).

Beweis. Nach Theorem 3.3.16 ist Ψ ein Poissonprozess auf X×0, 1. Aus Bemerkung 3.3.3folgt, dass Φp und Φ−Φp als Einschränkungen von Ψ auf X×1 bzw. X×0 unabhängigePoissonprozesse sind. Ferner gilt nach Satz 3.3.14:

E[Φp(B)] = E[Ψ(B × 1)] =

∫X1B(x)K(x, 1) Θ(dx) =

∫B

p(x) Θ(dx).

3.4 StationaritätSei µ ∈M(Rd). Wir erklären

(µ+ x)(A) := µ(A− x), x ∈ Rd, A ∈ B(Rd).

Allgemeiner lässt sich die Translation (oder Drehung) eines Maßes wie folgt erklären. Seienfür x ∈ Rd bzw. ρ ∈ Hom(Rd,Rd) Abbildungen Tx : Rd → Rd erklärt durch Tx(z) := z + xbzw. Tρ : Rd → Rd erklärt durch Tρ(z) := ρz. Dann definiert man

µ+ x := Tx(µ), ρµ := Tρ(µ),

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3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse

das heißt als die entsprechenden Bildmaße von µ unter der jeweiligen Transformation. Insbe-sondere ist dann (ρµ)(A) = µ(ρ−1A), wobei man A ⊂ Rd erklärt ρ−1A := x ∈ Rd : ρx ∈A. Für ϕ ∈ N(Rd) mit ϕ =

∑ki=1 δxi etwa erhält man

(Txϕ)(A) = ϕ(T−1x (A))

=k∑i=1

δxi(T−1x (A))

=k∑i=1

δTx(xi)(A)

=

(k∑i=1

δTx(xi)

)(A),

also

Txϕ =k∑i=1

δTx(xi).

Eine analoge Beschreibung erhält man für Tρϕ. Eine gute Merkregel ist Tx(δ0) = δx. Außer-dem erwähnen wir die für alle messbaren f : Rd → [0,∞] gültige Formel∫

f(y) (Txϕ)(dy) =

∫f(y + x)ϕ(dy).

Die Abbildungen Tx, Tρ : M(Rd) → M(Rd) sind messbar und ebenso die entsprechendenAbbildungen auf N(Rd)

3.4.1 Definition. Ein zufälliges Maß (ein Punktprozess) µ in Rd heißt stationär, falls µ+x ∼ µfür alle x ∈ Rd gilt. Man nennt µ isotrop, falls Tρµ ∼ µ für alle ρ ∈ Od gilt.

Sei nun µ ein stationäres (isotropes) zufälliges Maß in Rd mit lokal-endlichem Intensitäts-maß Θ = Eµ. Dann ist Θ translationsinvariant (rotationsinvariant) und daher gilt Θ = γλd mitγ ≥ 0. Man nennt γ die Intensität von µ. Ist speziell Φ ein stationärer Poissonprozess in Rd

mit Intensität γ > 0, so ist Θ atomfrei (und nicht der Nullprozess). Folglich ist Φ einfach undhat daher eine Darstellung der Form Φ =

∑n∈N δξn mit einer Folge paarweise verschiedener

zufälliger Punkte ξ1, ξ2, . . . in Rd.

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4 Das Boolesche Modell

4 Das Boolesche ModellIn diesem Kapitel setzen wir die im Unterabschnitt 2.3 begonnen Untersuchungen fort. Sei Φein homogener Poissonprozess in Rd mit Intensität γ > 0 und Q ein Wahrscheinlichkeitsmaßauf Cd, sodass für alle C ∈ Cd gilt∫

Cdλd(K + C) Q(dK) <∞. (4.0.1)

Dann gibt es eine Folge paarweise verschiedener zufälliger Punkte ξ1, ξ2, . . . in Rd mit Φ =∑n∈N δξn . Weiter sei Z0 eine zufällige abgeschlossene Menge mit Verteilung Q. Man nennt

Z0 typisches Korn. Bedingung (4.0.1) ist dann äquivalent zu

E[λd(Z0 + C)] <∞, C ∈ Cd.

Sei ferner Z1, Z2, . . . eine Folge stochastisch unabhängiger zufälliger kompakter Mengen mitder gemeinsamen Verteilung Q (wie Z0), wobei diese Folge von der Folge ξ1, ξ2, . . . stochas-tisch unabhängig sei. Dann ist

Ψ :=∑n∈N

δ(ξn,Zn)

eine unabhängige Q-Markierung von Φ und damit ein Poissonprozess in Rd × Cd mit Intensi-tätsmaß γλd ⊗Q. Man bezeichnet diesen Poissonprozess auch als einen stationären Poisson-schen Keim-Korn-Prozess. Wir betrachten nun

Z =∞⋃n=1

(Zn + ξn).

Die Überlegungen aus Kapitel 2 zeigen, dass Z eine zufällige abgeschlossene Menge ist, wenn(4.0.1) vorausgesetzt wird. Eine solche zufällige abgeschlossene Menge wird als BooleschesModell mit den Parametern γ und Q bezeichnet.

4.1 Das KapazitätsfunktionalWir bestimmen für ein Boolesches Modell Z verschiedene Kenngrößen und beginnen mit demKapazitätsfunktional, das die Verteilung von Z schon festlegt.

4.1.1 Theorem. Für C ∈ Cd gilt

TZ(C) = 1− exp(− γE[λd(Z0 + C∗)]

). (4.1.1)

Beweis. Gemäß Theorem 3.3.16 ist Ψ ein Poissonprozess auf Rd × Cd mit Intensitätsmaßγλd ⊗Q. Es sei C ∈ Cd \ ∅. Setze

AC := (x,K) ∈ Rd × Cd : (K + x) ∩ C 6= ∅.

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4 Das Boolesche Modell

Dann gilt Ψ(AC) ∼ Poiss((γλd ⊗Q)(AC)). Es gilt

(λd ⊗Q)(AC) =

∫Cd

∫Rd

1 (K + x) ∩ C 6= ∅︸ ︷︷ ︸⇔x∈C−K

dx Q(dK)

=

∫Cd

∫Rd

1C+K∗(x) dx Q(dK)

=

∫Cdλd(C +K∗) Q(dK)

=

∫Cdλd(K + C∗) Q(dK)

= Eλd(Z0 + C∗).

MitP(Z ∩ C = ∅) = P(Ψ(AC) = 0) = exp

(− γE[λd(Z0 + C∗)]

)folgt die Behauptung.

Setzt man C = 0 in (4.1.1), so erhält man den Volumenanteil von Z:

p = P(0 ∈ Z) = TZ(0) = 1− exp[−γEλd(Z0)].

Aufgrund von Satz 2.2.8 wissen wir bereits, dass Z stationär ist, das heißt

Z + xd= Z, x ∈ Rd.

Für das Kapazitätsfunktional von Z bedeutet dies

TZ+x(C) = P((Z + x) ∩ C 6= ∅) = P(Z ∩ (C − x) 6= ∅) = TZ(C − x)

= P(Z + x ∈ FC)

= P(Z ∈ FC)

= TZ(C).

Also ist TZ translationsinvariant, was man konkret auch an (4.1.1) erkennen kann. Umgekehrtfolgt aus der Translationsinvarianz des Kapazitätsfunktionals einer ZAM Z die Stationaritätvon Z.

Im Folgenden bezeichnen wir die (eigentliche) Drehgruppe auf Rd mit SOd. Wir nenneneine zufällige abgeschlossene Menge Z auf Rd isotrop, wenn ϑZ d

= Z für alle ϑ ∈ SOd gilt.Mit einer ähnlichen Überlegung wie oben sieht man, dass Z genau dann isotrop ist, wenn TZrotationsinvariant ist.

4.1.2 Satz. Sei Z ein Boolesches Modell mit Intensität γ und Formverteilung Q (typischemKorn Z0). Gilt Z0

d= ϑZ0 für jedes ϑ ∈ SOd (d.h. ist Q rotationsinvariant), so ist ϑZ d

= Z,ϑ ∈ SOd.

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4 Das Boolesche Modell

Beweis. Man kann zeigen, dass die Abbildung Fd → Fd, A 7→ ϑA für festes ϑ ∈ SOd stetigist. Mit C ∈ Cd \ ∅ erhält man aufgrund von (4.1.1) die Gleichungskette

TϑZ(C) = P((ϑZ) ∩ C 6= ∅)

= P(Z ∩ (ϑ−1C))

= TZ(ϑ−1C)

= 1− exp(− γE[λd(Z0 + (ϑ−1C)∗)]

)= 1− exp

(− γE[λd(Z0 + ϑ−1C∗)]

)= 1− exp

(− γE[λd(ϑZ0 + C∗)]

)= TZ(C),

wobei wir im letzten Schritt die Isotropie von Z0 ausnutzen.

Außer in Spezialfällen (Übungsaufgabe) gilt keine Umkehrung dieser Aussage.

4.1.3 Definition. Die Kovarianzfunktion von Z wird definiert durch

C(x) := P(0 ∈ Z, x ∈ Z), x ∈ Rd.

4.1.4 Bemerkung. (i) Wegen der Stationarität von Z gilt

C(x) = P(y ∈ Z, x+ y ∈ Z), x, y ∈ Rd.

(ii) Man betrachte das zufällige Feld Y (x) := 1Z(x), x ∈ Rd. Dann gilt

Cov(Y (0), Y (x)) = E[Y (0)Y (x)]− E[Y (0)]E[Y (x)] = C(x)− p2.

4.1.5 Satz. Es giltC(x) = 2p− 1 + (1− p)2 exp

(γC0(x)

),

wobeiC0(x) := E[λd(Z0 ∩ (Z0 − x))]

das sogenannte erwartete Kovariogramm von Z0 in x ist.

Beweis. Es gilt

C(x) = 1− P((0 ∈ Z ∩ x ∈ Z)c)

= 1− P(0 6∈ Z ∪ x 6∈ Z)

= 1− P(0 6∈ Z)− P(x 6∈ Z) + P(0 6∈ Z, x 6∈ Z)

= 1− (1− p)− (1− p) + P(0, x ∩ Z = ∅)

= 2p− 1 + 1− TZ(0, x)

= 2p− 1 + exp(− γE[λd(Z0 + 0,−x)]

)

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4 Das Boolesche Modell

= 2p− 1 + exp(− γE[λd(Z0 ∪ (Z0 − x))]

)= 2p− 1 + exp

(−γ(E[λd(Z0)] + E[λd(Z0 − x)]− E[λd(Z0 ∩ (Z0 − x))]

)),

woraus die Behauptung folgt.

4.1.6 Folgerung. Es giltlim‖x‖→∞

C(x) = p2

und (unter technischen Voraussetzungen an Z0) auch

limx→0

C(x) = p.

In der Tat, da wir voraussetzen, dass E[λd(Z0)] <∞ gilt, kann der Satz von der majorisier-ten Konvergenz verwendet werden, um

lim‖x‖→∞

E[λd(Z0 ∩ (Z0 + x))

]= E

[lim‖x‖→∞

λd(Z0 ∩ (Z0 + x))

]= 0

zu erhalten. Die Asymptotik lim‖x‖→∞

C(x) = p2 kann als asymptotische Unabhängigkeit von

0 ∈ Z und x ∈ Z verstanden werden.Wir setzen für die zweite Behauptung zusätzlich voraus, dass λd(∂Z0) = 0 fast sicher gilt.

Dann folgt

limx→0

E[λd(Z0 ∩ (Z0 + x))

]= lim

x→0

∫Rd

∫1Z0(y)1Z0+x(y)λd(dy)

=

∫Rd

∫limx→0

1Z0(y)1Z0+x(y)λd(dy)

= λd(intZ0) = λd(Z0).

Hiermit erhält man

limx→0

C(x) = 2p− 1 + (1− p)2 exp(γE[λd(Z0)]

)= 2p− 1 + 1− p = p.

4.1.7 Beispiel. Es gelte Z0d= B(0, R) für eine Zufallsvariable R ≥ 0, d = 3, E[R3] < ∞.

Bezeichnet F die Verteilung von R, so gilt:

E[λ3(Z0)] = E[

4

3πR3

]=

4

∫ ∞0

r3 F (dr).

Ferner gilt:

C0(x) =4

∫ ∞‖x‖2

u3

(1− 3‖x‖

4u+‖x‖3

16u3

)F (du).

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4 Das Boolesche Modell

Es sei daran erinnert, dass wir mit Kd die Menge der konvexen und kompakten Teilmengendes Rd bezeichnen. Außerdem sei im Folgenden

K′ := Kd \ ∅

die Menge der konvexen Körper.

4.1.8 Definition. Es sei B ∈ Kd mit 0 ∈ B. Dann heißt die Abbildung

r 7→ HB(r) := P(rB ∩ Z 6= ∅|0 /∈ Z) = 1− P(rB ∩ Z = ∅|0 /∈ Z)

Kontaktverteilungsfunktion zum Eichkörper (oder strukturierenden Element) B. Wir setzenhierbei voraus, dass P(0 /∈ Z) > 0 gilt.

4.1.9 Bemerkung. Die Kontaktverteilungsfunktion wird für beliebige stationäre zufällige ab-geschlossene Mengen eingeführt. Im Fall dim(B) ≤ d − 1 (z.B. sei B das Segment [0, n])kann der Fall

HB(∞) := limr→∞

HB(r) < 1

eintreten.

4.1.10 Definition. Im Fall B = Bd heißt HBd sphärische Kontaktverteilungsfunktion. Im FallB = [0, u] mit u ∈ Sd−1 := x ∈ Rd : ||x|| = 1 heißt HB lineare Kontaktverteilungsfunkti-on.

Aus 0 ∈ B folgt

HB(r) = 1− P(Z ∩ rB = ∅, 0 /∈ Z)

P(0 /∈ Z)= 1− P(Z ∩ rB = ∅)

P(0 /∈ Z). (4.1.2)

Man beachte dabei, dass

P(0 /∈ Z) = 1− p = exp(− γE[λd(Z0)]

)> 0

für ein Boolesches Modell Z gilt.

4.1.11 Bemerkung. Man betrachte die Zufallsvariable

R := infr > 0 : Z ∩ rB 6= ∅

mit inf ∅ :=∞. Dann giltR ≤ r = Z ∩ rB 6= ∅,

wobei die Inklusion “⊆“ aus der Abgeschlossenheit folgt und “⊇“ offensichtlich gilt. Außer-dem gilt R = 0 = 0 ∈ Z, d.h.

HB(r) = P(R ≤ r|R > 0).

4.1.12 Satz. Für B ∈ K′ mit 0 ∈ B gilt

1−HB(r) = exp(− γE[λd((Z0 + rB∗) \ Z0)]

).

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4 Das Boolesche Modell

Beweis. Aus (4.1.2) und Theorem 4.1.1 folgt

1−HB(r) =exp

(− γE[λd(Z0 + rB∗)]

)exp

(− γE[λd(Z0)]

)= exp

(− γE[λd(Z0 + rB∗)]− E[λd(Z0)]

)= exp

(− γE[λd((Z0 + rB∗) \ Z0)]

),

da Z0 ⊆ Z0 + rB∗ ist.

4.1.13 Beispiel. Es gelte Z0d= B(0, R0). Dann folgt aus Satz 4.1.12:

HBd(r) = 1− exp(− γE[λd(((R0 + r)Bd) \R0B

d)])

= 1− exp(− γκdE[(R0 + r)d −Rd

0])

= 1− exp

(−γκdE

[d−1∑j=0

(d

j

)Rj

0rd−j

])= 1− exp

(−γκd

d−1∑j=0

(d

j

)rd−jE[Rj

0]

).

Auf der rechten Seite treten Momente der Radienverteilung von R0 auf. Mit Hilfe der angege-benen Relation kann man Schätzer für diese Momente bestimmen.

4.2 PartikelprozesseEs bezeichne

F ′ := Fd \ ∅ und C ′ := Cd \ ∅.Damit ist F ′ ein lokalkompakter Hausdorffraum mit abzählbarer Basis, insbesondere also einseparabler, vollständig metrisierbarer topologischer Raum (Polnischer Raum).

4.2.1 Definition. Ein Partikelprozess Φ (in Rd) ist ein Punktprozess auf F ′ mit

P(Φ(F ′ \ C ′) = 0) = 1.

Dies bedeutet, dass mit Wahrscheinlichkeit 1 nur kompakte Mengen auftreten.

Ein Partikelprozess in Rd lässt sich in der Form

Φ =τ∑i=1

δCi

mit zufälligen kompakten Mengen Ci und einer Zufallsvariablen τ in N0 ∪ ∞ darstellen.

4.2.2 Definition. Eine Zentrumsfunktion c : C ′ → Rd ist eine messbare Abbildung mit

c(K + x) = c(K) + x, K ∈ C ′, x ∈ Rd.

Man nennt c kovariant unter Translation (translationskovariant).

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4 Das Boolesche Modell

4.2.3 Beispiel. Für K ∈ C ′ sei c(K) der Mittelpunkt der (eindeutig bestimmten) UmkugelB(K) von K. Weil

B(K + x) = B(K) + x, K ∈ K′, x ∈ Rd,

gilt, ist c(·) kovariant. Man kann zeigen, dass B(·) und c(·) stetig bezüglich der Hausdorff-Metrik sind (Übung!). Wegen

B(Fd) ∩ Cd = B(Cd)

(ohne Beweis, vergleiche [3]) ist damit c messbar.

Wir fixieren eine Zentrumsfunktion c. Unter gewissen Voraussetzungen an einen Partikel-prozess Φ liefert dann

Ψ :=

∫C′1(c(K), K − c(K)) ∈ ·Φ(dK)

einen Punktprozess auf Rd × C ′ (einen markierten Punktprozess auf Rd mit Markenraum C ′).Man erhält somit Ψ als Bildmaß von Φ unter der Abbildung T : K 7→ (c(K), K − c(K)).Genauer kommen als Marken nur Mengen aus

C0 := K ∈ C ′ : c(K) = 0

vor.

4.2.4 Definition. Für ϕ ∈ N(Fd) und x ∈ Rd sei Tx : N(Fd)→ N(Fd) definiert durch

(Txϕ)(A) =

∫Fd

1K + x ∈ Aϕ(dK), A ∈ B(Fd),

die Translation von ϕ um x, also (Txϕ)(A) = ϕ(T−1x (A)). Eine Merkregel ist

TxδK = δK+x.

4.2.5 Bemerkung. Die Abbildung N(Fd)× Rd → N(Fd), (ϕ, x) 7→ Txϕ, ist messbar.

4.2.6 Definition. Ein Punktprozess Φ auf Fd (insbesondere kann Φ ein Partikelprozess sein)heißt stationär, falls

TxΦd= Φ, x ∈ Rd,

gilt.

4.2.7 Definition. (i) Ein markierter Punktprozess auf Rd mit Markenraum (M,M) (wobeiM ein separabler metrischer Raum sei) ist ein Punktprozess Ψ auf Rd ×M mit Ψ(B ×M) <∞, B ∈ Cd. Insbesondere ist dann Ψ(· ×M) ein Punktprozess auf Rd.

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4 Das Boolesche Modell

(ii) Ein markierter Punktprozess Ψ auf Rd mit Markenraum M heißt stationär, falls TxΨd=

Ψ für alle x ∈ Rd gilt. Dabei ist für ein Maß µ auf Rd ×M das Maß Txµ auf Rd ×Mdefiniert durch

(Txµ)(A) =

∫Rd×M

1A(y + x,m) µ(d(y,m)). (4.2.1)

Erklärt man Tx(z, C) := (z + x,C), so ist Txµ das Bildmaß von µ unter Tx. Speziellgilt für B ∈ Bd, C ∈M, die sogenannte „shadowing property“:

Txµ(B × C) = µ((B − x)× C).

Merkregel:Txδ(0,m) = δ(x,m) bzw. Txδ(y,m) = δ(y+x,m).

4.2.8 Satz. Es sei Φ ein stationärer Partikelprozess mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ 6= 0.Ferner sei c : C ′ → Rd eine Zentrumsfunktion. Dann ist

Ψ(·) :=

∫C′1(c(C), C − c(C)) ∈ · Φ(dC) (4.2.2)

ein stationärer markierter Punktprozess mit Markenraum C0 = C ∈ C ′ : c(C) = 0. Fernergibt es eine eindeutig bestimmte Zahl γ > 0 und ein eindeutig bestimmtes Wahrscheinlich-keitsmaß Q auf C ′ mit der Eigenschaft Q(C0) = 1 und

Θ(H) = γ

∫Rd

∫C′1H(K + x) Q(dK) dx, H ∈ B(C ′). (4.2.3)

Beweis. Wir betrachten Cd := [0, 1]d, Cd0 := [0, 1)d und den “rechten oberen Rand”von Cd,

der erklärt ist als ∂+Cd := (x1, . . . , xd) ∈ Cd : maxi=1,...,d xi = 1. Ferner sei z1, z2, . . . eineNummerierung der ganzen Zahlen in Rd, d.h. von Zd. Aus der Campbellschen Formel (Satz3.2.25) sowie

⋃i(C

d0 + zi) = Rd folgt:

γ : = E[∫C′1c(C) ∈ Cd

0 Φ(dC)

]=

∫C′1c(C) ∈ Cd

0 Θ(dC)

≤∞∑i=1

∫C′1C ∩ (Cd

0 + zi) 6= ∅, c(C) ∈ Cd0 Θ(dC)

stat.=

∞∑i=1

∫C′1(C + zi) ∩ (Cd

0 + zi) 6= ∅, c(C + zi) ∈ Cd0 Θ(dC)

=∞∑i=1

∫C′1C ∩ Cd

0 6= ∅, c(C) ∈ Cd0 − zi Θ(dC)

=

∫C′1C ∩ Cd

0 6= ∅ Θ(dC) <∞.

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4 Das Boolesche Modell

Zuletzt wurde die lokale Endlichkeit von Θ sowie Cd0 ⊂ Cd benutzt, vergleiche Bemerkung

3.1.3 (iii), wonach FK kompakt ist für K ∈ Cd.Da Φ stationär ist, gilt

E∫C′1c(C) ∈ Cd

0 + xΦ(dC) = E∫C′1c(C − x) ∈ Cd

0Φ(dC)

= E∫C′1c(C) ∈ Cd

0Φ(dC).

Für eine beliebige Menge K ∈ C gibt es x1, . . . , xm ∈ Rd, so dass K ⊂⋃mi=1(Cd

0 + xi). Dannfolgt

E∫C′1c(C) ∈ KΦ(dC) ≤ E

∫C′

m∑i=1

1c(C) ∈ Cd0 + xiΦ(dC)

=m∑i=1

E∫C′1c(C) ∈ Cd

0 + xiΦ(dC)

= mE∫C′1c(C) ∈ Cd

0Φ(dC) <∞.

Wir ignorieren jetzt die messbaren Nullmengenc(C) : Φ(C) > 0 ist nicht lokal-endlich

und Φ(F ′ \ Cd) > 0.

Dann ist Ψ ein markierter Punktprozess (die Messbarkeit folgt aus dem Satz von Campbell).Für eine messbare Abbildung f : Rd × C ′ → [0,∞) und x ∈ Rd erhält man mit Hilfe von(4.2.2), dass ∫

Rd×C′f d(TxΨ) =

∫Rd×C′

f(y + x,C) Ψ(d(y, C))

=

∫C′f(c(K) + x,K − c(K)) Φ(dK)

=

∫C′f(c(K + x), K + x− c(K + x)) Φ(dK)

=

∫C′f(c(K), K − c(K)) (TxΦ)(dK)

d=

∫C′f(c(K), K − c(K)) Φ(dK)

=

∫Rd×C′

f dΨ.

Damit folgt aus Satz 3.2.27: Ψd= TxΨ. Die anderen Behauptungen folgen aus Satz 2.2.5.

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4 Das Boolesche Modell

4.2.9 Bemerkung. Unter den Voraussetzungen von Satz 4.2.8 gilt für eine MengeB ∈ Bd mit0 < λd(B) <∞

γ =1

λd(B)E[∫C′1B(c(K)) Φ(dK)

].

Dazu setzt manH := K ∈ C ′ : c(K) ∈ B in (4.2.3) und erhält

Θ(H) = E[∫C′1c(K) ∈ B Φ(dK)

]= γ

∫C0

∫Rd

1c(K + x) ∈ B dxQ(dK)

= γ

∫C0λd(B − c(K)) Q(dK)

= γ

∫C0λd(B) Q(dK) = γλd(B).

Analog folgt

Q(H) =1

γλd(B)E[∫C′1B(c(K))1H(K − c(K)) Φ(dK)

].

4.2.10 Definition. Ist Φ ein stationärer Partikelprozess mit lokalendlichem Intensitätsmaß,so heißt γ die Intensität und Q die Formverteilung von Φ (jeweils bezüglich der gegebenenZentrumsfunktion).

4.2.11 Lemma. Es sei c′ eine weitere Zentrumsfunktion. Unter den Voraussetzungen von Satz4.2.8 gilt

γ = E[∫C′1c′(K) ∈ B Φ(dK)

]für B ∈ Bd mit λd(B) = 1. Intensitäten hängen also nicht von der gewählten Zentrumsfunkti-on ab.

4.2.12 Bemerkung. Unter den Voraussetzungen von Lemma 4.2.11 sei Q′ die Formverteilungbezüglich c′. Dann gehen Q und Q′ durch “Verschiebung“ auseinander hervor. Ist etwaH ⊂ C ′verschiebungsinvariant (d.h.H = H + x := K + x : K ∈ H, x ∈ Rd), so gilt

Q(H) = Q′(H).

4.2.13 Bemerkung. Nicht jedes Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf C kann unter den Vorausset-zungen von Satz 4.2.8 als Formverteilung vorkommen. Für C ∈ C ′ gilt:

∞ > Θ(FC) = γ

∫C′

∫Rd

1(K + x) ∩ C 6= ∅ dxQ(dK) = γ

∫C0λd(K + C∗) Q(dK).

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4 Das Boolesche Modell

Also gilt ∫C0λd(K + C∗) Q(dK) <∞, C ∈ Cd. (4.2.4)

Dies wird in den Übungen genauer besprochen.

4.2.14 Satz. Unter den Voraussetzungen von Satz 4.2.8 sei Φ ein Poissonprozess. Dann ist

Ψ :=

∫C′1(c(K), K − c(K)) ∈ · Φ(dK)

ein Poissonprozess auf Rd × C ′.

Beweis. Wir verwenden den „Abbildungssatz“für Poissonprozesse, der in den Übungen be-sprochen wird. Sei Φ ein Poissonprozess auf X mit Intensitätsmaß Θ und T : X→ Y messbar.Definiere

T (Φ)(B) :=

∫X1T (x) ∈ B Φ(dx).

Gilt nun zusätzlich

E[T (Φ)(B)] =

∫X1T (x) ∈ B Θ(dx) <∞, B ⊂ Y beschränkt,

so ist T (Φ) ein Poissonprozess. In unserem Fall ist T (K) := (c(K), K − c(K)).

4.2.15 Satz. Es sei Ψ ein Poissonprozess auf Rd × C ′ mit Intensitätsmaß γλd ⊗ Q für γ > 0und ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf C ′. Es gelte (4.2.4). Dann ist

Φ(·) :=

∫Rd×C′

1K + x ∈ · Ψ(d(x,K))

ein stationärer Poissonprozess.

Beweis. Abbildungssatz für Poissonprozesse.

4.2.16 Bemerkung. Es sei Φ ein stationärer Poissonscher Partikelprozess mit lokal-endlichemIntensitätsmaß Θ. Es sei

Z :=⋃K∈Φ

K

das zugehörige Boolesche Modell. Dann folgt

TZ(C) = 1− P(Z ∩ C = ∅) = 1− exp(−Θ(FC)),

in Übereinstimmung mit Theorem 4.1.1 und Satz 4.2.14. Gemäß Übungsaufgabe 6.5 legt TZdas Intensitätsmaß Θ fest.

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4 Das Boolesche Modell

4.3 Die Steinersche FormelIm Folgenden bezeichnen wir mit Vd(B) das d-dimensionale Volumen und mit Od−1(B) denOberflächeninhalt einer Borelschen Menge B ⊂ Rd. Formal erklärt man Od−1(B) als das(d− 1)-dimensionale Hausdorffmaß des Randes ∂B von B.

4.3.1 Lemma. Für K ∈ Cd und ε ≥ 0 ist

K + εBd := x+ y : x ∈ K, y ∈ εBd = x ∈ Rd : d(x,K) ≤ ε.

Beweis. Übungsaufgabe.

Wir untersuchen jetzt das Parallelvolumen Vd(K + εBd) in Abhängigkeit von ε.

Beobachtung 1.Vd(K + εBd) ≈ Vd(K) + εOd−1(K) +R(ε),

wobei R(ε) ∈ O(ε2), d.h. R(ε) ist im Vergleich zu ε klein.

Beispiel. Sei d = 2, K = rB2. Dann gilt:

V2(K + εB2) = V2((r+ ε)B2) = π(r+ ε)2 = πr2 + 2πrε+ πε2 = V2(K) + εO1(K) + πε2.

Beobachtung 2. Sei wieder d = 2 und K ein konvexes Polygon.

V2(K + εB2) = V2(K) + εO1(K) + πε2

ist ein Polynom in ε von Grad zwei.

4.3.2 Definition. Für d ∈ N sei κd := Vd(Bd) = πd/2(Γ((d/2) + 1) das Volumen der d-

dimensionalen Einheitskugel. Ferner sei κ0 = 1. Es gilt: κ1 = 2, κ2 = π, κ3 = 43π, . . .

4.3.3 Satz (Steinersche Formel). Für K ∈ Kd gibt es Zahlen V0(K), . . . , Vd(K) ≥ 0, sodass

Vd(K + εBd) =d∑j=0

κd−jεd−jVj(K) (4.3.1)

für alle ε ≥ 0 gilt.

Beweis. O.B.d.A. sei K 6= ∅. Für x ∈ Rd sei

p(K, x) := y ∈ K, falls ‖x− y‖ = d(x,K).

Für x ∈ K ist p(K, x) = x und für x /∈ K ist p(K, x) ∈ ∂K. Weil K konvex ist, ist yeindeutig bestimmt. Der Vektor p(K, x) heißt metrische Projektion von x auf K.

u(K, x) :=x− p(K, x)

d(K, x)∈ Sd−1, x /∈ K,

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4 Das Boolesche Modell

ist eine äußere Normale von K im Punkt x. Betrachte

H(x, u) = z ∈ Rd : 〈z, u〉 = c, c := 〈p(K, x), u〉,

die Stützhyperebene von K im Punkt p(K, x) ∈ ∂K. Wir setzen zunächst voraus, dass Kein Polytop ist, d.h. ein endlicher Durchschnitt von Halbräumen. Wir definieren für j =0, . . . , d − 1 außerdem Fj(K) als das System aller j-Seiten von K. Dabei ist eine Seite einDurchschnitt von K mit einer Stützhyperebene und wir bezeichnen F als eine j-Seite, fallsdimF := dim(aff F ) = j gilt. Des Weiteren ist der Normalenkegel N(K,F ) die Menge deräußeren Normalenvektoren in einem Punkt x ∈ relint F ⊂

⋃d−1j=0 Fj(K). Diese Definition ist

unabhängig von der konkreten Wahl von x. Ferner sei

γ(F,K) :=Hd−j−1(N(K,F ) ∩ Sd−1)

Hd−j−1(L ∩ Sd−1), F ∈ Fj(K),

der äußere Winkel von K bei F , wobei L das orthogonale Komplement des Richtungsraumsvon F undHk das k-dimensionale Hausdorff-Maß auf dem Rd ist. Dann gilt:

Vd(K + εBd)− Vd(K) =

∫Rd

1x ∈ (K + εBd) \K dx

=d−1∑j=0

∑F∈Fj(K)

∫Rd

1x ∈ (K + εBd) \K, p(K, x) ∈ relintFdx

=d−1∑j=0

∑F∈Fj(K)

∫Rd

∫Rd

1 z ∈ N(K,F ), ||z|| ≤ ε, y ∈ relintFHd−j(dz)Hj(dy)

=d−1∑j=0

∑F∈Fj(K)

Hj(relintF )

∫Rd

1 z ∈ N(K,F ), ||z|| ≤ 1Hd−j(dz) · εd−j

=d−1∑j=0

∑F∈Fj(K)

Hj(relintF )1

d− jHd−1−j(N(K,F ) ∩ Sd−1)

κd−jκd−j

· εd−j

=d−1∑j=0

∑F∈Fj(K)

Hj(relintF ) · γ(F,K) · κd−j · εd−j.

MitVj(K) :=

∑F∈Fj(K)

Hj(F ) · γ(F,K) (4.3.2)

gilt (4.3.1).Für allgemeines K ∈ Kd \ ∅ gibt es Polytope Kn, n ∈ N, mit ρ(Kn, K) → 0, n → ∞.

(Der Beweis dieser Aussage sei Übungsaufgabe.) Aus (4.3.1) ergibt sich für k ∈ 1, . . . , d +

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4 Das Boolesche Modell

1:

Vd(Kn + kBd) =d∑j=0

κd−jkd−jVj(Kn).

Dieses lineare Gleichungssystem kann nach Vj(Kn) aufgelöst werden:

Vj(Kn) =d+1∑k=1

αjkVd(Kn + kBd).

Die Koeffizienten αjk ∈ R hängen nicht von Kn ab. Man kann außerdem leicht

Vd(Kn + εBd)→ Vd(K + εBd), n→∞, ε ≥ 0 (4.3.3)

zeigen. Deswegen existiert der Grenzwert

Vj(K) := limn→∞

Vj(Kn) =d+1∑k=1

αjkVd(K + kBd). (4.3.4)

Geht man in

Vd(Kn + εBd) =d∑j=0

κd−jεd−jVj(Kn)

zum Grenzwert über, so folgt (4.3.1).

4.3.4 Definition. Die Zahlen V0(K), . . . , Vd(K) heißen innere Volumina von K.

4.3.5 Bemerkung. Die Koeffizienten κd−j wurden aus Normierungsgründen gewählt.

4.3.6 Bemerkung. (i) Vd(K) auf der rechten Seite von (4.3.1) ist gleich λd(K).

(ii) Aus (i) folgt

2Vd−1(K) = κ1Vd−1(K) = limε→0

1

ε(Vd(K + εBd)− Vd(K)).

Im Fall dimK = d ist Vd−1 also der halbe Oberflächeninhalt von K und im FalldimK ≤ d− 1 der Oberflächeninhalt von K.

(iii) Im Fall K 6= ∅ ist V0(K) = 1. Ferner gilt V0(∅) = . . . = Vd(∅) = 0. Man nennt V0 auchEuler-Charakteristik.

4.3.7 Definition und Satz. Sei j ∈ 0, . . . , d. Dann gilt:

(i) Das Funktional Vj ist bewegungsinvariant, d.h.

Vj(gK) = Vj(K), K ∈ Kd, g ∈ Gd.

Dabei ist Gd die Gruppe der Bewegungen auf Rd (Komposition von Drehungen undVerschiebungen).

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4 Das Boolesche Modell

(ii) Vj ist homogen von Grad j, d.h.

Vj(αK) = αjVj(K), K ∈ Kd, α > 0.

(iii) Vj ist stetig auf Kd bezüglich der Hausdorffmetrik.

(iv) Vj ist additiv, d.h.

Vj(K ∪ L) = Vj(K) + Vj(L)− Vj(K ∩ L), K, L,K ∪ L ∈ Kd.

Beweis. (i) und (iii) folgen direkt aus (4.3.4) und den entsprechenden Eigenschaften vonVd.

(ii) Für α > 0, K ∈ Kd gilt

d∑j=0

κd−jεd−jVj(αK)

(4.3.1)= Vd(αK + εBd) = αdVd(K +

ε

αBd)

(4.3.1)= αd

d∑j=0

κd−jεd−jα−(d−j)Vj(K) =

d∑j=0

κd−jεd−jαjVj(K).

Koeffizientenvergleich (vor εd−j) zeigt Vj(αK) = αjVj(K).

(iv) Es seien K,L ∈ Kd mit K ∪ L ∈ Kd. O.B.d.A. gelte K 6= ∅ und L 6= ∅. Man zeigt(durch Betrachtung von p(K, ·), p(L, ·) und p(K ∪ L, ·)), dass gilt

1(K∪L)+εBd + 1(K∩L)+εBd = 1K+εBd + 1L+εBd .

Integration liefert, dassK 7→ V (K+εBd) additiv ist. Aus (4.3.4) folgt die Behauptung.

Die inneren Volumina können auf vielfältige Weise verallgemeinert werden. Es gibt (hierohne Beweis) ein eindeutig bestimmtes symmetrisches (nicht-negatives) Funktional V : (Kd \∅)d → R mit

Vd(t1K1 + . . .+ tmKm) =m∑

i1,...,id=1

ti1 . . . tidV (Ki1 , . . . , Kid) (4.3.5)

für alle t1, . . . , tm ≥ 0, K1, . . . , Km ∈ Kd \ ∅, m ∈ N, das symmetrisch und “multilinear”in den Argumenten ist.

4.3.8 Definition. Die nicht-negative reelle Zahl V (K1, . . . , Kd) heißt gemischtes Volumen vonK1, . . . , Kd. Für K,L ∈ Kd \ ∅, j ∈ 0, . . . , d schreibt man

V (K[j], L[d− j]) := V (K, . . . ,K︸ ︷︷ ︸j

, L, . . . , L)︸ ︷︷ ︸d−j

.

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4 Das Boolesche Modell

4.3.9 Bemerkung. Wählt man m = 2, t1 = 1, t2 = t, K1 = K und K2 = L in (4.3.5), soerhält man

Vd(K + tL) =d∑j=0

(d

j

)td−jV (K[j], L[d− j]).

Man nennt diese Formel auch Steiner-Formel zum strukturierenden Element L. Ein Vergleichmit der Steiner-Formel für L = Bd zeigt:

Vj(K) =

(d

j

)κ−1d−jV (K[j], Bd[d− j]), j = 0, . . . , d.

4.4 Das Boolesche Modell mit konvexen Körnern

Wir betrachten ein stationäres Boolesches Modell Z mit Intensität γ und typischem KornZ0 mit P(Z0 ∈ Kd \ ∅) = 1.

4.4.1 Satz. Für die sphärische Kontaktverteilungsfunktion von Z gilt

1−HBd(r) = exp

(−γ

d−1∑j=0

κd−jrd−jE[Vj(Z0)]

), r ≥ 0.

Beweis. Satz 4.1.12 besagt für B ∈ Kd mit 0 ∈ B

1−HB(r) = exp(−γ(E[λd(Z0 + rB∗)]− E[λd(Z0)]

)).

Für B = Bd folgt die Behauptung aus der Steiner-Formel:

E[λd(Z0 + rBd)] =d∑j=0

κd−jrd−jE[Vj(Z0)].

4.4.2 Bemerkung. Aus der Voraussetzung E[λd(Z0 + rBd)] <∞, r ≥ 0, folgt

E[Vj(Z0)] <∞, j = 0, . . . , d.

Auch die Umkehrung dieser Aussage ist richtig.

4.4.3 Bemerkung. Die sphärische Kontaktverteilungsfunktion wird durch die Zahlen γE[Vj(Z0)],j = 0, . . . , d− 1, festgelegt. Der Volumenanteil wird durch γE[Vd(Z0)] bestimmt.

4.4.4 Satz. Es sei B ∈ Kd mit 0 ∈ B. Dann gilt:

1−HB(r) = exp

(−γ

d−1∑j=0

rd−j(d

j

)E[V (Z0[j], B∗[d− j])

]), r ≥ 0

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4 Das Boolesche Modell

Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz 4.1.12 und Bemerkung 4.3.9. Auf Messbarkeitsfragengehen wir nicht ein.

4.4.5 Satz. Für jedes u ∈ Sd−1 gilt

1−H[0,u](r) = exp(−γrE[Vd−1(Z0|u⊥)]

).

Dabei ist K|u⊥ die orthogonale Projektion von K ⊂ Rd auf u⊥ := span(u)⊥. Ist Z0 isotrop,so gilt

1−H[0,u](r) = exp

(−γ 2κd−1

dκdrE[Vd−1(Z0)]

).

Beweis. Für B := [0, u] = s · u : 0 ≤ s ≤ 1 und K ∈ Kd \ ∅ zeigen wir(d

j

)V (K[j], B[d− j]) =

Vd−1(K|u⊥), falls j = d− 1,

0, sonst.

Dann folgt die Behauptung aus Satz 4.4.4. Zum Beweis der Behauptung genügt nach Bemer-kung 4.3.9 der Nachweis von

Vd(K + r[0, u]) = Vd(K) + rVd−1(K|u⊥), r ≥ 0.

Für y ∈ u⊥ sei f(y) := maxλ ∈ R : y + λu ∈ K. Dann gilt:

y + λu ∈ (K + rB) \K ⇔ (i) y ∈ K|u⊥ und (ii) f(y) < λ ≤ f(y) + r.

Der Satz von Fubini liefert

Vd((K + rB) \K) =

∫u⊥

∫R1y + λu ∈ (K + rB) \K dλ dy

=

∫u⊥

∫R1y ∈ K|u⊥1f(y) < λ ≤ f(y) + r dλ dy

=

∫u⊥1y ∈ K|u⊥r dy

= rVd−1(K|u⊥).

Es bezeichne ν has Haarsche Wahrscheinlichkeitsmaß auf SOd. Im isotropen Fall schließtman dann für jedes u ∈ Sd−1 und jedes ρ ∈ SOd

EVd−1(Z0|u⊥) = EVd−1(Z0|%u⊥)

und damit

EVd−1(Z0|u⊥) = E∫SOd

Vd−1(Z0|%u⊥) ν(d%)

=2

dκdEκd−1Vd−1(Z0).

Die letzte Gleichung folgt mit Hilfe der integralgeometrischen Projektionsformel in Bemer-kung 5.3.21.

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4 Das Boolesche Modell

4.4.6 Beispiel. Wie weit kann man in einem (Booleschen) Wald sehen?Betrachte dazu d = 2 und Z0 = B(0, R). Aus dem isotropen Fall von Satz 4.4.5 folgt für

u ∈ Sd−1

1−H[0,u](r) = exp

(−γr2κ1

2κ2

E[V1(B(0, R))]

)= exp

(−γr2κ1

2κ2

E[κ2R]

)= exp(−2γrE[R]).

Sei zum Beispiel E[R] = 0, 2m und γ = 0, 01m−2. Dann gilt H[0,u](r) = 1− exp(−0, 004r).So ist etwa die Wahrscheinlichkeit, höchstens 500 Meter weit sehen zu können

H[0,u](500) = 1− e−2 ≈ 0, 865.

4.4.7 Beispiel. Es sei u ∈ Sd−1. Man zeigt leicht, dass Zu := Z ∩ span(u) wieder ein Boole-sches Modell in span(u) ist (Man betrachte dazu etwa TZu). Von Zu werden Teile von span(u)überdeckt. Wir gehen davon aus, dass 0 ∈ span(u) nicht von Z überdeckt wird, und bezeich-nen mit X0 die Länge der Zusammenhangskomponente von span(u) \ Zu, welche 0 enthält.Die Länge der (in positive u-Richtung gezählt) nächsten Zusammenhangskomponente vonspan(u) \ Zu werde mit X1 bezeichnet, die Länge der vorherigen mit X−1 usw.

Die Zufallsvariablen (Xn)n∈Z sind unabhängig unter P(·|0 /∈ Zu) (ohne Beweis). Fernersind sie exponentialverteilt (folgt aus Satz 4.4.5). Die Xn entsprechen den “idle periods“ ineiner M/G/∞-Warteschlange. Für Details wird auf die Übungen verwiesen.

4.4.8 Satz. Das typische Korn Z0 sei isotrop. Dann gilt

1−HB(r) = exp

(−γ

d−1∑j=0

κjκd−j(dj

)κd

rd−jVd−j(B)E[Vj(Z0)]

), r ≥ 0.

Beweisidee. Aufgrund der vorausgesetzten Isotropie gilt

E[Vd(Z0 + rB∗)] = E[∫

Rd

1(Z0 + x) ∩ rB 6= ∅ dx]

= E[∫

SOd

∫Rd

1(ρZ0 + x) ∩ rB 6= ∅ dx ν(dρ)

].

Hierbei ist ν das eindeutig bestimmte rotationsinvariante (Haarsche) Wahrscheinlichkeitsmaßauf SOd. Das bedeutet

E[Vd(Z0 + rB∗)] = E[∫

Gd

1gZ0 ∩ rB 6= ∅ µd(dg)

],

wobei Gd die Menge aller Bewegungen auf Rd und µd ein geeignet normiertes bewegungs-invariantes Maß auf Gd ist (für Details wird auf die Vorlesung verwiesen). Dies führt auf diekinematische Hauptformel, die in Kapitel 5 ausführlicher besprochen wird. Diese besagt∫

Gd

Vj(K ∩ gM)µd(dg) =d∑k=j

αdjkVk(K)Vd+j−k(M),

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4 Das Boolesche Modell

wobei

αdjk =

(kj

)κkκd+j−k(dk−j

)κjκd

.

Speziell für j = 0 erhält manαd0k =

κkκd−k(dk

)κd

.

Dies ergibt die Behauptung.

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5 Dichten innerer Volumina

5 Dichten innerer Volumina

5.1 Geometrische Dichten von PartikelprozessenEs sei Φ ein stationärer Partikelprozess mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ. Hierbei seienγ und Q Intensität und Formverteilung bezüglich des Umkugelmittelpunktes c : C ′ → Rd alsZentrumsfunktion.

5.1.1 Satz. Es sei f : C ′ → R messbar und translationsinvariant. Weiter gelte f ≥ 0 oder∫C′ |f | dQ <∞.

(i) Für B ∈ Bd mit 0 < λd(B) <∞ gilt

γf := γ

∫C′f dQ =

1

λd(B)E[∫C′1c(C) ∈ Bf(C) Φ(dC)

].

(ii) Für W ∈ Kd mit Vd(W ) > 0 gilt

γf = limr→∞

1

Vd(rW )E[∫C′1C ⊂ rWf(C) Φ(dC)

].

(iii) Es gelte ∫C′|f(C)|λd(C +Bd) Q(dC) <∞. (5.1.1)

Dann folgt für W ∈ Kd mit Vd(W ) > 0

γf = limr→∞

1

Vd(rW )E[∫C′1C ∩ rW 6= ∅f(C) Φ(dC)

].

Beweis. (i) Mit der Campbellschen Formel und Satz 4.2.8 erhält man

E[∫C′1c(C) ∈ Bf(C) Φ(dC)

]=

∫C′1c(C) ∈ Bf(C) Θ(dC)

= γ

∫C0

∫Rd

1c(K + x) ∈ Bf(K + x) dxQ(dK)

= γ

∫C0

∫Rd

1c(K) + x ∈ Bf(K) dxQ(dK)

= γ

∫C0λd(B)f(K) Q(dK)

= λd(B)γf .

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5 Dichten innerer Volumina

(ii) Wie in (i) folgt

E[∫C′1C ⊂ rWf(C) Φ(dC)

]= γ

∫C0f(K)λd(x ∈ Rd : K + x ⊂ rW) Q(dK).

O.B.d.A. (!) gelte 0 ∈ intW . Es gibt eine messbare Funktion ρ : C ′ → [0,∞) mit

K ⊂ ρ(K)W, K ∈ C ′.

Für fixiertes K ∈ C ′ sei r > ρ(K). Dann gilt(1− ρ(K)

r

)d=

(r − ρ(K))d

rd

=Vd((r − ρ(K))W )

Vd(rW )

= Vd(rW )−1

∫Rd

1x ∈ (r − ρ(K))W dx

≤ Vd(rW )−1

∫Rd

1K + x ⊂ rW dx ≤ 1.

Für die Ungleichung überlegt man sich, dass für x ∈ (r − ρ(K))W gilt

K + x ⊂ K + (r − ρ(K))W ⊂ ρ(K)W + (r − ρ(K))W = rW.

Damit folgt aus

1

Vd(rW )E[∫C′1C ⊂ rWf(C) Φ(dC)

]= γ

∫C0f(K)

λd(x ∈ Rd : K + x ⊂ rW)λd(rW )︸ ︷︷ ︸↑1, r→∞

Q(dK)

die Behauptung im Fall f ≥ 0 mittels monotoner Konvergenz angewendet auf die untereSchranke für den Integranden. Im integrierbaren Fall folgt die Behauptung aus dem Satzüber majorisierte Konvergenz.

(iii) Es gilt:

1

Vd(rW )

∫C′1C ∩ rW 6= ∅f(C) Φ(dC)

Vd(rW )

∫C0

∫Rd

1(K + x) ∩ rW 6= ∅f(K) dxQ(dK)

Vd(W )

∫C0

∫Rd

1(r−1K + y) ∩W 6= ∅f(K) dyQ(dK)

57

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5 Dichten innerer Volumina

Vd(W )

∫C0λd(W − r−1K)f(K) Q(dK).

Für jedes K ∈ Cd gilt (!)

limr→∞

Vd(W − r−1K) = Vd(W ).

O.B.d.A. gelte 0 ∈ W . Ein Überdeckungsargument zeigt (Details werden in den Übun-gen behandelt)

Vd(W − r−1K) ≤ bWVd(W −K), r ≥ 1,

für ein bW > 0 unabhängig von K sowie

Vd(W −K) ≤ b′WVd(Bd +K)

für ein b′W > 0. Nach (5.1.1) ist∫C0 |f(K)|Vd(Bd + K) Q(dK) < ∞. Majorisierte

Konvergenz liefert die Behauptung.

5.1.2 Definition. Die Zahlγf := γ

∫C0f dQ

heißt f -Dichte von Φ. Für translationsinvariantes f , welches zusätzlich eine Integrabilitätsbe-dingung erfüllt, gilt

γf = limr→∞

1

Vd(rW )E[∫C′1C ∩ rW 6= ∅f(C)Φ(dC)

], C ∈ C ′,

wie gerade gezeigt wurde.

5.2 Geometrische Dichten von Keim-Korn-Modellen5.2.1 Definition. (i) Der KonvexringRd ist das System aller endlichen Vereinigungen kon-

vexer Körper.

(ii) Der erweiterte Konvexring Sd ist das System aller Mengen M ⊂ Rd mit

M ∩K ∈ Rd, K ∈ Kd.

(iii) Eine Funktion f : Kd \ ∅ → R (oder f : Kd → R) heißt additiv, falls

f(K ∪ L) + f(K ∩ L) = f(K) + f(L),

für alle K,L ∈ Kd \ ∅mit K ∪L ∈ Kd gilt. Gehört die leere Menge zum Definitions-bereich von f , so fordert man noch f(∅) = 0. Eine Funktion f : Rd → R heißt additiv,falls f(∅) = 0 und die obige Gleichung für alle K,L ∈ Rd richtig ist.

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5 Dichten innerer Volumina

Ziele: Sei Z eine stationäre zufällige abgeschlossene Menge im erweiterten Konvexring,die passende Integrabilitätsbedingungen erfüllt.

(i) Für translationsinvariante und additive Funktionen f : Rd → R zeigen wir die Existenzdes Grenzwertes

δf := limr→∞

Vd(rW )−1E[f(Z ∩ rW )]

für W ∈ Kd mit Vd(W ) > 0.

(ii) Alternative Darstellungen für δf .

(iii) Formeln für Boolesche Modelle (“δVi ist eine Funktion von γVi”).

(iv) Ergodische Interpretation von δf .

Wir benötigen zunächst einige Lemmata.

5.2.2 Lemma. Ist f : Rd → R additiv, so gilt das Inklusions-Exklusionsprinzip:

f(K1 ∪ . . . ∪Km) =m∑j=1

(−1)j−1∑

1≤i1<...<ij≤m

f(Ki1 ∩ . . . Kij), K1, . . . Km ∈ Rd

mit m ∈ N.

Beweis. Induktion (Übung).

Bezeichnungen:

• Cd := [0, 1]d, Cd0 := [0, 1)d, ∂+Cd := Cd \ Cd

0 .

• Für z ∈ Zd sei Cz := Cd + z, C0,z := Cd0 + z und ∂+Cz := ∂+Cd + z.

• Ist f : Sd → R, so sei

f(K, z) := f(K ∩ Cz)− f(K ∩ ∂+Cz).

Es folgt ein zentrales Lemma:

5.2.3 Lemma. Ist f : Rd → R additiv, so gilt:

f(K) =∑z∈Zd

f(K, z), K ∈ Rd.

Beweis. Es bezeichne < die (strikte) lexikographische Ordnung auf Zd. Für (z1, . . . , zd) ∈ Zdund (y1, . . . , yd) ∈ Zd ist diese erklärt durch

(z1, . . . , zd) < (y1, . . . , yd)

genau dann, wenn es ein k ∈ 1, . . . , d gibt mit z1 = y1, . . . , zk−1 = yk−1 und zk < yk.

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5 Dichten innerer Volumina

Dann gilt∂+Cz = Cz ∩

⋃y : z<y

Cy, z ∈ Zd.

Aus Lemma 5.2.2 folgt

∑z∈Zd

f(K ∩ ∂+Cz) =∑z∈Zd

f

( ⋃y:z<y

(K ∩ Cz ∩ Cy)

)

=∑z∈Zd

∞∑j=1

(−1)j−1∑

z<y1<...<yj

f(K ∩ Cz ∩ Cy1 ∩ . . . ∩ Cyj)

= −∞∑k=2

(−1)k−1∑

z1<...<zk

f(K ∩ Cz1 ∩ . . . ∩ Czk),

wobei wir im zweiten Schritt die Tatsache nutzen, dass Cz ∩ Cyj 6= ∅ nur für endlich viele jund f(∅) = 0 gilt. Damit folgt wiederum mit Lemma 5.2.2

f(K) = f

(⋃z∈Zd

(K ∩ Cz)

)

=∑z∈Zd

f(K ∩ Cz) +∞∑k=2

(−1)k−1∑

z1<...<zk

f(K ∩ Cz1 ∩ . . . ∩ Czk)

=∑z∈Zd

f(K ∩ Cz)−∑z∈Zd

f(K ∩ ∂+Cz)

=∑z∈Zd

(f(K ∩ Cz)− f(K ∩ ∂+Cz)

)=∑z∈Zd

f(K, z).

5.2.4 Definition. Eine Funktion f : Rd → R heißt bedingt beschränkt, falls sie für jedesK ∈ K′ beschränkt auf L ∈ K′ : L ⊂ K ist.

5.2.5 Lemma. Ist f : Rd → R verschiebungsinvariant, additiv und bedingt beschränkt, so gilt

limr→∞

f(rW )

Vd(rW )= f(Cd)− f(∂+Cd),

falls W ∈ Kd mit Vd(W ) > 0.

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5 Dichten innerer Volumina

Beweis. O.B.d.A. sei 0 ∈ intW . Aus Lemma 5.2.3 folgt

f(rW ) =∑z∈Zd

f(rW, z), r > 0. (5.2.1)

Definiere

Z1r := z ∈ Zd : Cz ∩ rW 6= ∅, Cz 6⊂ rW und Z2

r := z ∈ Zd : Cz ⊂ rW.

Wir benutzen (Übung)

limr→∞

cardZ1r

Vd(rW )= 0 und lim

r→∞

cardZ2r

Vd(rW )= 1. (5.2.2)

Aus der Translationsinvarianz und der bedingten Beschränktheit von f folgt

|f(rW, z)| = |f(rW ∩ Cz)− f(rW ∩ ∂+Cz)|

= |f((rW − z) ∩ Cd)− f((rW − z) ∩ ∂+Cd)| ≤ b

für ein von z, r und W unabhängiges b ≥ 0. Damit ist

Vd(rW )−1

∣∣∣∣∣∣∑z∈Z1

r

f(rW, z)

∣∣∣∣∣∣ ≤ Vd(rW )−1 card(Z1r )b

(5.2.2)−→ 0, r →∞.

Also folgt mit (5.2.1) und f(∅) = 0

limr→∞

Vd(rW )−1f(rW ) = limr→∞

Vd(rW )−1∑z∈Z2

r

f(rW, z)

= f(Cd0 ) lim

r→∞Vd(rW )−1 cardZ2

r

(5.2.2)= f(Cd

0 ).

Dabei haben wir im zweiten Schritt ausgenutzt, dass für Cz ⊂ rW gilt

f(rW, z) = f(rW ∩ Cz)− f(rW ∩ ∂+Cz)

= f(Cz)− f(∂+Cz) = f(Cd)− f(∂+Cd),

wobei wir wieder die Translationsinvarianz von f verwendet haben.

Mit dem nächsten Theorem erreichen wir zwei der zu Beginn des Abschnitts formuliertenZiele.

5.2.6 Theorem. Der stationäre markierte Punktprozess Ψ erfülle die Voraussetzungen vonSatz 2.2.8 und es sei Z das zugehörige Keim-Korn-Modell. Es sei f : Rd → R messbar,translationsinvariant, additiv und bedingt beschränkt. Ferner gelte

E[2NCd ] <∞, (5.2.3)

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5 Dichten innerer Volumina

wobei NM für M ∈ Bd definiert ist durch

NM :=

∫Rd×C′

1(K + x) ∩M 6= ∅ Ψ(d(x,K)).

Dann existiert der Grenzwert

δf := limr→∞

E[f(Z ∩ rW )]

Vd(rW )= E[f(Z ∩ Cd)− f(Z ∩ ∂+Cd)].

Beweis. O.B.d.A. kann W ⊂ Cd vorausgesetzt werden. Man betrachte den Partikelprozess

ΦW (·) :=

∫Rd×C′

1K + x ∈ ·1(K + x) ∩W 6= ∅ Ψ(d(x,K)),

d.h. man betrachtet nur die Körner K + x, die W schneiden. Es existieren zufällige kompakteMengen K1, K2, . . . mit ΦW =

∑NW

j=1 δKj. Damit gilt mit Lemma 5.2.2:

f(Z ∩W ) = f

(W ∩

NW⋃j=1

Kj

)=

NW∑j=1

(−1)j−1∑

1≤i1<...<ij≤NW

f(W ∩Ki1 ∩ . . . ∩Kij).

Weil f bedingt beschränkt ist, gibt es ein b > 0 mit

E[|f(Z ∩W )|] ≤ bE

[NW∑j=1

(NW

j

)]≤ bE[2NW ] ≤ bE[2NCd ] <∞.

Wegen Stationarität und Translationsinvarianz erhält man E[|f(Z∩(W+x)|] <∞ für x ∈ Rd.Aus Lemma 5.2.2 folgt E[|f(Z ∩ M)|] < ∞ für M ∈ Rd. Somit ist f ∗ : Rd → R mitf ∗(M) := E[f(Z ∩M)] eine additive, translationsinvariante, bedingt beschränkte Funktion.Lemma 5.2.2, angewendet auf f ∗, liefert die Behauptung.

5.3 IntegralgeometrieIst f : Kd → R additiv, so heißt eine additive Funktion f : Rd → R additive Fortsetzung vonf , wenn f |Kd = f . In diesem Fall schreibt man oft f := f . Wegen der Inklusions-Exklusions-Formel kann es höchstens eine Fortsetzung geben.

5.3.1 Satz. Für jedes j ∈ 0, . . . , d gibt es genau eine additive Fortsetzung von Vj .

Für den Beweis benötigen wir noch ein paar Vorbereitungen.

5.3.2 Lemma. Es sei f : Kd → R stetig und additiv. Giltm∑i=1

αi1Ki= 0

für m ∈ N, α1, . . . , αm ∈ R, K1, . . . , Km ∈ Kd, so folgtm∑i=1

αif(Ki) = 0.

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5 Dichten innerer Volumina

Beweis. Angenommen, die Aussage ist falsch. Dann gibt es ein m ∈ N mitm∑i=1

αi1Ki= 0, (5.3.1)

aberm∑i=1

αif(Ki) = a 6= 0, (5.3.2)

für αi ∈ R und Ki ∈ Kd. Wir wählen m minimal!Sei H ⊂ Rd eine Hyperebene mit Halbräumen H+, H− und K1 ⊂ intH+. Multipliziert

man (5.3.1) mit 1H− bzw. 1H , so erhält manm∑i=1

αi1Ki∩H− = 0,m∑i=1

αi1Ki∩H = 0.

Wegen K1∩H− = K1∩H = ∅ haben beide Summen höchstens m−1 Summanden ungleich0. Aus der Minimalität von m folgt

m∑i=2

αif(Ki ∩H−) =m∑i=2

αif(Ki ∩H) = 0.

Beide Summen ändern sich nicht, wenn man sie bei i = 1 beginnen lässt, da f(∅) = 0. Weil fadditiv ist, folgt aus (5.3.2) mit Ki = (Ki ∩H+) ∪ (Ki ∩H−):

m∑i=1

αif(Ki ∩H+) = a. (5.3.3)

Weiter gibt es eine Folge (Hj)j≥1 von Hyperebenen mit K1 =⋂∞j=1H

+j und K1 ⊂ intH+

j ,j ∈ N. Dazu kann man beispielsweise eine abzählbare, in Rd \K dichte Teilmenge xj : j ≥1 wählen und dann jeden Punkt xj durch eine Hyperebene senkrecht zu xj − p(K1, xj) vonK1 trennen. Iteration des obigen Arguments liefert

m∑i=1

αif

(Ki ∩

k⋂j=1

H+j

)= a, k ∈ N.

Im Fall Ki ∩ K1 6= ∅ gilt Ki ∩⋂kj=1 H

+j → Ki ∩ K1, k → ∞. Im Fall Ki ∩ K1 = ∅ gilt

Ki ∩⋂kj=1 H

+j = ∅ für genügend große k. Also folgt aus der Stetigkeit von f und f(∅) = 0:

m∑i=1

αif(Ki ∩K1) = a.

Wiederhole diesen Schritt mit K ′i := Ki ∩K1 und approximiere K ′2. Schließlich erhält man

1K1∩...∩Km

m∑i=1

αi =m∑i=1

αi1K1∩...∩Km = 0 (?)

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und

f(K1 ∩ . . . ∩Km)m∑i=1

αi =m∑i=1

αif(K1 ∩ . . . ∩Km) = a 6= 0. (??)

Aus (?) folgt∑m

i=1 αi = 0 oder K1 ∩ . . . ∩Km = ∅, jeweils im Widerspruch zu (??).

Beweis von 5.3.1. Wir setzen f := Vj . Es sei V der reelle Vektorraum aller Linearkombinationvon Indikatorfunktionen konvexer Körper. Weil die Abbildung B 7→ 1B additiv ist, folgt fürK =

⋃mi=1 Ki, K1, . . . , Km ∈ Kd:

1K =m∑k=1

(−1)k−1∑

1≤i1<...<ik≤m

1Ki1∩...∩Kik

∈ V.

Für h =∑m

i=1 αi1Ki∈ V setzen wir f(h) :=

∑mi=1 αif(Ki). Wegen Lemma 5.3.2 ist diese

Definition sinnvoll! Die Abbildung f ist linear und es gilt f(1K) = f(K), K ∈ Kd. Wirsetzen f(K) := f(1K), K ∈ Rd. Es bleibt zu zeigen, dass f additiv ist. Für K,M ∈ Rd gilt:

f(K ∪M) + f(K ∩M) = f(1K∪M) + f(1K∩M)

= f(1K∪M + 1K∩M)

= f(1K + 1M)

= f(1K) + f(1M)

= f(K) + f(M).

5.3.3 Bemerkung. Satz 5.3.1 gilt auch für jedes stetige, additive Funktional f : Kd → R.Dabei kann R auch durch einen topologischen Vektorraum ersetzt werden.

5.3.4 Bemerkung. Rd ist abzählbare Vereinigung abgeschlossener Teilmengen von Cd. Istf : Rd → R messbar auf Kd und additiv, so ist f messbar auf Rd. Vergleiche dazu Theorem14.4.4 in [3].

5.3.5 Bemerkung. Die Abbildung Vj : Rd → R heißt ebenfalls j-tes inneres Volumen. Sie istadditiv, homogen vom Grade j und bewegungsinvariant. Für A =

⋃mi=1Ki ∈ Rd mit Ki ∈ Kd

gilt nämlich:

Vj(A) = Vj

(m⋃i=1

Ki

)=

m∑k=1

(−1)k−1∑

1≤i1<...<ik≤m

Vj(Ki1 ∩ . . . ∩Kik).

Weiter ist Vd(A) = λd(A). Für cl(intA) = A gilt Vd−1(A) = 12Hd−1(∂A) (ohne Beweis). Die

Funktion V0 = χ ist die Euler-Charakteristik. Sie nimmt nur Werte in Z an. Im Fall d = 2 giltV0(A) = k(A)− l(A), wobei k(A) die Anzahl der Zusammenhangskomponenten von A undl(A) die Anzahl der Löcher von A, d.h. der beschränkten Zusammenhangskomponenten vonR2 \ A, ist.

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5.3.6 Beispiel. Die Euler-Charakteristik eines gefüllten Quadrats ist 1, dreier disjunkter, aus-gefüllter Quadrate 3. Stanzt man aus dem ausgefüllten Quadrat ein kleineres Quadrat aus, soergibt sich die Euler-Charakteristik 0. Auch der Rand dieser Menge hat Euler-Charakteristik0. Stanzt man zwei disjunkte Quadrate aus, so ergibt sich −1, betrachtet man den Rand dieserMenge, so erhält man allerdings 0.

5.3.7 Theorem (Charakterisierungssatz von Hadwiger). Ist Ψ: K′ → R additiv, stetig undbewegungsinvariant, so gilt

Ψ =d∑i=0

ciVi

mit gewissen c0, . . . , cd ∈ R.

Der Beweis beruht auf folgendem Satz:

5.3.8 Satz. Die Funktion Ψ: K′ → R sei additiv, stetig und bewegungsinvariant. Ferner gelteΨ(K) = 0, falls dimK ≤ d− 1 oder falls K = Cd ist. Dann ist Ψ ≡ 0.

Beweisidee. Induktion über d. Für d = 0 (R0 = 0) ist die Behauptung trivial.Sei nun d = 1. Dann ist Ψ(x) = 0 für alle x ∈ Rd und Ψ(I) = 0 für I = [a, a+1], a ∈ R.

Wegen

[a, a+ 1] = [a, a+1

k] ∪ . . . ∪ [a+ 1− 1

k, a+ 1]

ist Ψ(I) = 0, falls I ein abgeschlossenes Intervall mit rationaler Länge ist.Die Behauptung gelte nun für d − 1 ≥ 0. Es sei H ⊂ Rd eine Hyperebene und I eine

Strecke orthogonal zu H mit der Länge 1. Setze

f(K) := Ψ(K + I), K ∈ K′, K ⊂ H.

Bezogen auf H erfüllt f alle Voraussetzungen von Satz 5.3.8. Nach Induktionsvoraussetzungist f(K) = 0, also Ψ(K + I) = 0. Das bleibt richtig für jede zu H orthogonale Strecke I(vergleiche dazu die Argumentation für d = 1). Weiteres Vorgehen:

• Ψ(Z) = 0 für jeden „Zylinder“ Z (durch zerschneiden und zusammensetzen).

• Ψ(S) = 0 für Simplizes S.

• Ψ(P ) = 0 für Polytope P .

• Stetigkeit von Ψ impliziert Ψ = 0.

Beweis von 5.3.7. Erneute Induktion über d. Für d = 0 ist die Behauptung trivial.Die Behauptung gelte nun für d − 1 ≥ 0. Sei H ⊂ Rd eine Hyperebene. Aus der Indukti-

onsvoraussetzung erhalten wir die Existenz von c0, . . . , cd−1 ∈ R mit

Ψ(K) =d−1∑j=0

cjVj(K), K ∈ K′, K ⊂ H.

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Hierbei wurde benutzt, dass die Vi dimensionsunabhängig sind, was aus der Dimensionsunab-hängigkeit der äußeren Winkel folgt. Weil Ψ und Vj bewegungsinvariant sind, folgt

Ψ(K) =d−1∑j=0

cjVj(K), K ∈ Kd, dimK ≤ d− 1.

Setze

Ψ′(K) := Ψ(K)−d∑j=0

cjVj(K), K ∈ Kd,

wobei cd ∈ R so gewählt wird, dass Ψ′(Cd) = 0. Mit Satz 5.3.8 angewendet auf Ψ′ folgtΨ′ ≡ 0 und somit die Behauptung.

Wir führen einige Bezeichnungen ein:

• G(d, q) bezeichnet die Menge der q-dimensionalen linearen Unterräume des Rd.

• A(d, q) bezeichnet die Menge der q-dimensionalen affinen Unterräume des Rd.

• Mit SOd wird die spezielle orthogonale Gruppe des Rd bezeichnet.

• Gd bezeichnet die Bewegungsgruppe auf dem Rd.

Im Folgenden ist unser Ziel die Behandlung von Integralen der Form∫Gd

Vj(K ∩ gM) ”dg”, K,M ∈ Kd −→ kinematisches Integral

und ∫A(d,q)

Vj(K ∩ F ) ”dF”, K ∈ Kd −→ Crofton-Integral.

5.3.9 Definition. Es seiG eine topologische Gruppe mit neutralem Element e. Eine Operationvon G auf einem topologischen Raum E ist eine Abbildung von G×E nach E, (g, x) 7→ gx,mit:

(i) g′(gx) = (g′g)x, g, g′ ∈ G, x ∈ E.

(ii) ex = x, x ∈ E.

Ist diese Abbildung stetig, so heißt die Operation stetig. Gibt es für alle x, y ∈ E ein g ∈ Gmit gx = y, so heißt die Operation transitiv.

5.3.10 Bemerkung. (i) Jede Gruppe wirkt auf sich selbst durch Multiplikation von links:(g, x) 7→ g · x, g, x ∈ G.

(ii) Operiert G auf E, so gilt

g−1(gx) = (g−1g)(x) = ex = x und g(g−1x) = x.

Also ist die Abbildung x 7→ gx von E nach E bijektiv und ihre Inverse ist x 7→ g−1x.

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5.3.11 Beispiel. (i) SOd operiert auf Sd−1 und auf G(d, q).

(ii) Gd operiert auf A(d, q) vermöge gF := gx : x ∈ F.

5.3.12 Definition. G operiere stetig auf E. Ein Maß ν auf E heißt invariant, falls gilt

ν(gA) = ν(A), A ∈ B(E), g ∈ G.

Äquivalent dazu kann man auch fordern, dass für alle f : E → [0,∞), g ∈ G gilt∫E

f(gx) ν(dx) =

∫E

f(x) ν(dx).

Für G = E heißt diese Eigenschaft Linksinvarianz von ν. Im Fall G = E heißt ν rechtsinva-riant, falls ν(Ag) = ν(A), A ∈ B(E), g ∈ G.

Allgemeine Voraussetzung: G sei eine lokal-kompakte Gruppe mit abzählbarer Basis undmit der Hausdorffeigenschaft. Abkürzung: LCSCH-Gruppe. Ein Maß ν auf einem lokal-kompaktenRaum E heißt Radon-Maß, falls ν(A) <∞ für A ⊂ E kompakt gilt.

5.3.13 Theorem. Auf G gibt es ein linksinvariantes Radon-Maß ν 6= 0. Ist ν ′ ein weitereslinksinvariantes Radon-Maß, so gilt ν ′ = cν für ein c ≥ 0.

Beweis. ohne.

5.3.14 Definition. Das Maß ν aus Theorem 5.3.13 heißt Haarsches Maß.

5.3.15 Beispiel. (i) Ist G eine abzählbare Gruppe, so ist das Zählmaß ein invariantes Maß.

(ii) Das Lebesguemaß λd := λd auf Rd ist invariant unter Gd.

(iii) Auf SOd gibt es ein eindeutig bestimmtes invariantes Wahrscheinlichkeitsmaß ν.

5.3.16 Theorem. Auf der Bewegungsgruppe Gd gibt es ein bis auf Faktoren eindeutig be-stimmtes Radon-Maß µ.

Beweis. Betrachteγ : Rd × SOd → Gd, γ(x, ϑ) := tx ϑ

mit tx(y) := x + y. Diese Abbildung ist bijektiv (!). Man definiert gn → g, falls γ−1(gn) →γ−1(g). Damit istGd eine LCSCH-Gruppe. Es kann also Theorem 5.3.13 angewendet werden.Konkret:

µ(·) =

∫Rd

∫SOd

1tx ϑ︸ ︷︷ ︸=γ(x,ϑ)

∈ · ν(dϑ)λd(dx).

Es gilt: µ(g ∈ Gd : γ−1(g) ∈ [0, 1]d × SOd) = 1.

5.3.17 Theorem. Auf G(d, q) gibt es ein eindeutig bestimmtes SOd-invariantes Wahrschein-lichkeitsmaß νq.

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Beweis. Fixiere Lq ∈ G(d, q). Betrachte die surjektive (aber nicht injektive) Abbildung

βq : SOd → G(d, q), ϑ 7→ ϑLq.

Betrachte auf G(d, q) die gröbste Topologie, sodass βq stetig ist, d.h. eine Menge A ⊂ G(d, q)ist genau dann offen, wenn β−1

q (A) offen in SOd ist. Die Behauptung folgt aus allgemeinenResultaten der Maßtheorie. Konkret:

νq(·) =

∫SOd

1 ϑLq︸︷︷︸=βq(ϑ)

∈ · ν(dϑ). (5.3.4)

5.3.18 Theorem. Auf A(d, q) gibt es ein eindeutig bestimmtes, bzgl. Gd invariantes Radon-Maß µq mit

µq(F ∈ A(d, q) : F ∩Bd 6= ∅) = κd−q.

Ist f : A(d, q)→ [0,∞] messbar, so gilt∫A(d,q)

f dµq =

∫G(d,q)

∫L⊥f(L+ y) λd−q(dy)νq(dL). (5.3.5)

Beweisidee. Fixiere Lq ∈ G(d, q). Betrachte die surjektive (aber nicht injektive) Abbildung

γq : L⊥q × SOd → A(d, q), (x, ϑ) 7→ ϑ(Lq + x).

Wir definierenµq(·) :=

∫SOd

∫L⊥q

1ϑ(Lq + x)︸ ︷︷ ︸=γq(x,ϑ)

∈ · λd−q(dx)ν(dϑ). (5.3.6)

Beachte: A(d, q) ist eine messbare Teilmenge von Fd. Wir versehen A(d, q) deshalb mit derSpurtopologie. Jede kompakte Teilmenge vonA(d, q) ist dann in einer der Mengen γq(x, ϑ) : x ∈L⊥q , ‖x‖ ≤ n, ϑ ∈ SOd, n ∈ N, enthalten. Das µq-Maß dieser Mengen ist endlich. Damit istµq ein Radon-Maß. Es sei f : A(d, q)→ [0,∞] messbar und es sei g = γ(x, ϑ) = tx ϑ ∈ Gd.Dann gilt:∫

A(d,q)

f(gF ) µq(dF ) =

∫SOd

∫L⊥q

f(gρ(Lq + y)) λd−q(dy)ν(dρ)

=

∫SOd

∫L⊥q

f(ϑρ(Lq + y) + x) λd−q(dy)ν(dρ)

=

∫SOd

∫L⊥q

f(ϑρ(Lq + y + ρ−1ϑ−1x)) λd−q(dy)ν(dρ)

=

∫SOd

∫L⊥q

f(ϑρ(Lq + y + πL⊥q (ρ−1ϑ−1x))) λd−q(dy)ν(dρ)

68

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5 Dichten innerer Volumina

=

∫SOd

∫L⊥q

f(ϑρ(Lq + y)) λd−q(dy)ν(dρ)

=

∫SOd

∫L⊥q

f(ρ(Lq + y)) λd−q(dy)ν(dρ)

=

∫A(d,q)

f dµq.

Dabei wurde in den letzten Schritten zunächst die Invarianz von λd−q und von ν ausgenutzt.Weiter gilt: ∫

A(d,q)

f dµq =

∫SOd

∫L⊥q

f(ρ(Lq + y)) λd−q(dy)ν(dρ)

=

∫SOd

∫L⊥q

f(ρLq + ρy︸︷︷︸=:z

) λd−q(dy)ν(dρ)

=

∫SOd

∫(ρLq)⊥

f(ρLq + z) λd−q(dz)ν(dρ)

(5.3.4)=

∫G(d,q)

∫L⊥f(L+ z) λd−q(dz)νq(dL).

Insbesondere ist die Definition von µq unabhängig vom gewähltenLq. Die Normierung rechnetman nach. Zu zeigen bleibt die Eindeutigkeit.

Erinnerung: Γ(x) :=∫∞

0tx−1e−t dt, x > 0. Es gilt Γ(x + 1) = xΓ(x), Γ(1

2) =√π und

κm = πm2

Γ(m2

+1). Es sei ckj := k!κk

j!κjund cr1,...,rks1,...,sk

:=∏k

j=1 crjsj .

5.3.19 Theorem (Crofton-Formel). Es seien K ∈ K′, k ∈ 1, . . . , d− 1 und j ∈ 0, . . . , k.Dann gilt: ∫

A(d,k)

Vj(K ∩ F ) µk(dF ) = ck,d−k+jj,d Vd−k+j(K). (5.3.7)

Die Fälle k = d und k = 0 sind auch zugelassen. Dabei ist µd = δRd und µ0 = λd, wobei mandabei A(d, 0) mit Rd identifiziert.

Beweis. Definiere

Ψ: K′ → [0,∞), Ψ(K) :=

∫A(d,k)

Vj(K ∩ F ) µk(dF ), K ∈ K′.

Dabei ist zu beachten, dass der Integrand durch eine vonK unabhängige Konstante beschränktist. Aus der Steiner-Formel (4.3.1) folgt nämlich

Vd(K +Bd) ≥ Vd((K ∩ F ) +Bd) =d∑i=0

κd−iVj(K ∩ F )

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5 Dichten innerer Volumina

und damit Vj(K ∩ F ) ≤ cj1K ∩ F 6= ∅, für eine von F ∈ A(d, k) unabhängige Konstantecj > 0. Man beachte ferner, dassFK∩A(d, k) inA(d, k) kompakt ist. Aus den entsprechendenEigenschaften der inneren Volumina folgt leicht, dass Ψ additiv ist. Ferner gilt für g ∈ Gd:

Ψ(gK) =

∫A(d,k)

Vj(K ∩ g−1F ) µk(dF )µk invariant

= Ψ(K),

d.h.Ψ ist bewegungsinvariant. Das Funktional Ψ ist auch stetig. Seien dazuKn ∈ K′ mitKn → Kfür n→∞. Im Allgemeinen folgt daraus nicht Kn∩F → K∩F für F ∈ A(d, k). Allerdingsgilt diese Konvergenz für µk-fast alle F . Dazu verweisen wir auf den Beweis von Theorem5.1.2 in [3]. Aus majorisierter Konvergenz folgt nun Ψ(Kn)→ Ψ(K), d.h. die Stetigkeit vonΨ.

Nach Theorem 5.3.7 (Hadwiger) gilt:

Ψ(K) =d∑r=0

crVr(K)

mit c0, . . . , cr ∈ R. Nun gilt für α > 0 mit (5.3.5):

Ψ(αK) =

∫G(d,k)

∫L⊥Vj(αK ∩ (L+ x))λd−k(dx)νk(dL)

= αj∫G(d,k)

∫L⊥Vj(K ∩ (L+ α−1x))λd−k(dx)νk(dL)

α−1x=y= αjαd−k

∫G(d,k)

∫L⊥Vj(K ∩ (L+ y))λd−k(dy)νk(dL) = αd+j−kΨ(K).

Damit ist

αd+j−kΨ(K) =d∑r=0

crαrVr(K), α > 0,

und daraus folgt crVr(K) = 0 für r 6= d+ j − k. Damit verbleibt die Bestimmung von c in∫A(d,k)

Vj(K ∩ F )µk(dF ) = cVd−k+j(K), K ∈ K′.

Für K = Bd folgt aus (5.3.6) (mit fixiertem Lk ∈ G(d, k)):

cVd+j−k(Bd) =

∫SOd

∫L⊥k

Vj(Bd ∩ (θ(Lk + x))λd−k(dx)ν(dθ)

Bd=θBd,Vj invariant=

∫L⊥k

Vj( Bd ∩ (Lk + x)︸ ︷︷ ︸Kugel in Lk + x mit MP x und Radius

√1− ||x||2

)λd−k(dx)

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5 Dichten innerer Volumina

=

∫L⊥k ∩Bd

(√

1− ||x||2)jVj(Bd ∩ Lk)λd−k(dx).

Nun gilt (Übungsaufgabe)

Vi(Bd) =

(d

i

)κdκd−i

,

d.h.

Vj(Bd ∩ Lk) =

(k

j

)κkκk−j

.

Es folgt

c =

(kj

)κk−jκk(

dd−k+j

)κk−jκd

∫L⊥k

(1− ||x||2)j2λd−k(dx). (5.3.8)

Mittels Polarkoordinaten ("dx = rd−k−1Hd−k−1(du)") folgt∫L⊥k

(1− ||x||2)j2λd−k(dx) = Hd−k−1(Sd−1)

∫ 1

0

rd−k−1(1− r2)j2dr

r=√t

= (d− k)κd−k

∫ 1

0

td−k−1

2 (1− t)j2

1

2t−

12dt

=(d− k)κd−k

2

∫ 1

0

td−k2−1(1− t)

j+22−1dt

=(d− k)κd−k

2B(

d− k2

,j + 2

2)

=(d− k)κd−k

2

Γ(d−k2

)Γ( j2

+ 1)

Γ(d−k+j2

+ 1)

= κd−kΓ(d−k

2+ 1)Γ( j

2+ 1)

Γ(d−k+j2

+ 1).

Verwendet man κm = πm2

Γ(m2

+1)und setzt in (5.3.8) ein, so folgt

c = ckj cd−k+jd =

k!κkj!κj

(d− k + j)!κd−k+j

d!κd= ck,d−k+j

j,d .

5.3.20 Bemerkung. Setzt man j = 0 und m = d− k in Theorem 5.3.19, so folgt

Vm(K) = c0,dm,d−m

∫A(d,d−m)

V0(K ∩ F ) µd−m(dF )

71

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5 Dichten innerer Volumina

und damit eine geometrische Interpretation der inneren Volumina. Im Fall d = 2 ergibt sichbeispielsweise

V1(K) = c0,21,1

∫A(2,1)

1K ∩ F 6= ∅ µ1(dF ).

5.3.21 Bemerkung. Wegen (5.3.5) ist

Vm(K) = c0,dm,d−m

∫G(d,d−m)

∫L⊥V0(K ∩ (L+ y))λm(dy)νd−m(dL)

!= c0,d

m,d−m

∫G(d,d−m)

∫L⊥

1y ∈ K|L⊥λm(dy)νd−m(dL)

= c0,dm,d−m

∫G(d,d−m)

λm(K|L⊥)νd−m(dL)

!= c0,d

m,d−m

∫G(d,m)

λm(K|L)νm(dL).

Dabei bezeichne K|L⊥ das Bild von K unter der orthogonalen Projektion auf L⊥. Im Fallm = 1 ergibt sich V1(K) als Vielfaches der mittleren Breite.

5.3.22 Folgerung. Die inneren Volumina sind monoton.

5.3.23 Bemerkung. Beide Seiten der Crofton-Formel sind additiv. Deswegen gilt sie auch aufRd.

5.3.24 Theorem. Ist f : K′ → R additiv und stetig, so gilt∫Gd

f(K ∩ gM) µ(dg) =d∑

k=0

fd−k(K)Vk(M), K,M ∈ K′ (5.3.9)

mitfd−k(K) :=

∫A(d,k)

f(K ∩ F ) µk(dF ), K ∈ K′, k = 0, . . . , d.

Beweis. Mit ähnlichen Überlegungen wie im Beweis von Theorem 5.3.19 folgt, dass die Ab-bildung g 7→ f(K ∩ gM) für alle K,M ∈ K′ messbar ist, sh. auch Beweis von Theorem 5.1.2in [3]. Setze für fixiertes K ∈ K′:

Ψ(M) =

∫Gd

f(K ∩ gM) µ(dg), M ∈ K′.

Dann ist Ψ additiv und wegen der Bewegungsinvarianz von µ auch bewegungsinvariant. Damitist nach Theorem 5.3.7 (Hadwiger)

Ψ(M) =d∑i=0

fd−i(K)Vi(M)

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5 Dichten innerer Volumina

für gewisse fd−i(K).Seien k ∈ 0, . . . , d und Lk ∈ G(d, k). Sei weiter C ⊂ Lk ein k-dimensionaler Einheits-

würfel mit Zentrum 0. Für r > 0 folgt (wegen Vi(C) = 0 für i > k)

Ψ(rC) =k∑i=0

fd−i(K)riVi(C).

Andererseits folgt nach einer Rechnung (sh. Beweis von Theorem 5.1.2 in [3])

1

rkΨ(rC) =

1

rk

∫Gd

f(K ∩ grC) µ(dg)r→∞−→

∫A(d,k)

f(K ∩ F ) µk(dF ).

5.3.25 Theorem (Kinematische Hauptformel). Für K,M ∈ K′ und j ∈ 0, . . . , d gilt:∫Gd

Vj(K ∩ gM) µ(dg) =d∑k=j

ck,d−k+jj,d Vk(K)Vd−k+j(M).

Beweis. Wir wenden Theorem 5.3.24 mit f = Vj an. In diesem Fall liefert die Crofton-Formel(5.3.7) für j ≤ k:

(Vj)d−k(K) =

∫A(d,k)

Vj(K ∩ F ) µk(dF ) = ck,d−k+jj,d Vd−k+j(K).

Dieses Integral ist Null für j > k.

5.3.26 Theorem (Iterierte Kinematische Hauptformel). Es seien K0, . . . , Kk ∈ K′ und j ∈0, . . . , d. Dann gilt:∫

(Gd)kVj(K0 ∩ g1K1 ∩ . . . ∩ gkKk) µ

k(d(g1, . . . , gk)) =d∑

m0,...,mk=jm0+...+mk=kd+j

cdj

k∏i=0

cmid Vmi

(Ki).

Beweis. Wir verwenden Induktion. Für k = 1 gilt m0 + m1 = d + j und cdjcm0d cm1

d =

cm0,d−m0+jj,d und obige Formel ist genau die kinematische Hauptformel.

Für k + 1 ist die linke Seite der Behauptung gleich∫Gd

. . .

∫Gd

Vj(K0 ∩ g1(K1 ∩ g−11 g2K2 ∩ . . . ∩ g−1

1 gk+1Kk+1)) µ(dg1) . . . µ(dgk+1)

=

∫Gd

. . .

∫Gd

Vj(K0 ∩ g1(K1 ∩ g2K2 ∩ . . . ∩ gk+1Kk+1)) µ(dg1)µ(dg2) . . . µ(dgk+1)

=

∫(Gd)k

d∑m0=j

cm0,d−m0+jj,d Vm0(K0)Vd−m0+j(K1 ∩ g2K2 ∩ . . . ∩ gk+1Kk+1) µk(dg)

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5 Dichten innerer Volumina

=d∑

m0=j

cm0,d−m0+jj,d cdd−m0+jVm0(K0)

d∑m1,...,mk+1=d−m0+j

m1+...+mk+1=kd+d−m0+j

k+1∏i=1

cmid Vmi

(Ki)

=d∑

m0,...,mk+1=jm0+...+mk+1=(k+1)d+j

cdj

k+1∏i=0

cmid Vmi

(Ki).

Dabei verwenden wir im ersten Schritt die Invarianz des Maßes µ (sowie zweimal Fubini),danach die kinematische Hauptformel (Theorem 5.3.26) mit K = K0 und M = K1 ∩ g2K2 ∩. . . ∩ gk+1Kk+1 und der Abkürzung g = (g2, . . . , gk+1) und im Anschluss die Induktionsvor-aussetzung. Im letzten Schritt beachte man, dass aus m0 + . . . + mk+1 = (k + 1)d + j dieUngleichungen ml ≥ j, l = 1, . . . , k + 1, folgen (Man kann sich elementar überlegen, dassdie beiden Laufbereiche der Indizes übereinstimmen).

5.3.27 Bemerkung. Für K,M ∈ K′ gilt:∫Rd

Vd−1(K ∩ (M + x)) dx = Vd−1(K)Vd(M) + Vd(K)Vd−1(M),

d.h. die Kinematische Hauptformel bleibt (für j = d − 1) auch „ohne Integration“ bzgl. derDrehungen richtig.

Beweis. Wir nehmen dimK = dimM = d an (die restlichen Fälle gehen analog). Dann istdie linke Seite gleich

1

2

∫Rd

∫Rd

1y ∈ ∂(K ∩ (M + x)) Hd−1(dy)dx

=1

2

∫Rd

∫Rd

1y ∈ ∂K, y ∈M + x Hd−1(dy)dx

+1

2

∫Rd

∫Rd

1y ∈ K, y ∈ ∂M + x Hd−1(dy)dx

=1

2

∫Rd

∫Rd

1y ∈ ∂K,−x ∈M − y dxHd−1(dy)

+1

2

∫Rd

∫Rd

1y + x ∈ K, y ∈ ∂M dxHd−1(dy)

=1

2Vd(M)Vd−1(K) +

1

2Vd(K)Vd−1(M).

Wir verwenden dabei die Darstellung von Vd−1 durch Hd−1 (vgl. Bemerkung 4.3.6), spaltendann im ersten Schritt ∂(K ∩ (M + x)) geeignet auf und substituieren dann y − x durch y.Letzteres braucht man, um den Satz von Fubini auf das zweite Integral anwenden zu dürfen(Hd−1 ist nicht σ-endlich auf Rd, aber eingeschränkt auf ∂M ist es (σ-)endlich).

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5 Dichten innerer Volumina

5.4 Geometrische Dichten des Booleschen ModellsWir betrachten ein ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q aufK′ und eine unabhängige Q-MarkierungΨ = (ξn, Zn) : n ∈ N eines stationären Poissonprozesses Φ = ξn : n ∈ N mit Intensitätγ > 0. Wegen Theorem 3.3.16 ist Ψ ein Poissonprozess auf Rd × K′ mit Intensitätsmaßγλd ⊗ Q. Weiter sei Z0 ∼ Q das typische Korn mit E[λd(Z0 + C)] < ∞, C ∈ Cd. DasBoolesche Modell ist gegeben durch

Z =∞⋃n=1

(Zn + ξn).

Wir betrachten für i ∈ 0, . . . , d die sogenannten Dichten der inneren Volumina des Parti-kelprozesses

γi := γVi = γ

∫K′Vi(K) Q(dK) = γE[Vi(Z0)].

Beachte γ0 = γ. Weiter betrachten wir

δi := δVi = limr→∞

Vd(rW )−1E[Vi(Z ∩ rW )]

mit W ∈ K′, Vd(W ) > 0. Weil Vi messbar, verschiebungsinvariant, additiv und bedingt be-schränkt ist und weil Voraussetzung (5.2.3) nach Übungsaufgabe 8.3 erfüllt ist, existiert derGrenzwert nach Theorem 5.2.6. Die Zahl δi ist die Dichte des i-ten inneren Volumens desBooleschen Modells. Aus Satz 2.3.6 und Satz 2.2.11 folgt

δd = p = 1− exp(−γE[Vd(Z0)]) = 1− e−γd .

5.4.1 Theorem. Ist Q isotrop, so gilt für j ∈ 0, . . . , d− 1:

δj = (1− p)

γj − d−j∑s=2

(−1)s

s!

d−1∑m1,...,ms=j+1

m1+...+ms=(s−1)d+j

cdj

s∏i=1

cmid γmi

.δj lässt sich somit als Polynom in γj, . . . , γd−1 schreiben.

5.4.2 Satz. Es sei Ψ ein Poissonprozess auf X mit diffusem Intensitätsmaß Λ. Ferner seif : Xn → R messbar und es gelte f ≥ 0 oder

∫Xn |f | dΛn <∞. Dann gilt:

E

[ 6=∑x1,...,xn∈Ψ

f(x1, . . . , xn)

]=

∫Xn

f dΛn.

Dabei bedeutet∑ 6=, dass nur über n-Tupel mit paarweise verschiedenen Einträgen summiert

wird.

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5 Dichten innerer Volumina

Beweisskizze. Aus dem Beweis von Theorem 3.3.6 folgt, dass Ψ einfach ist. Deswegen ge-nügt es, Funktionen f mit f(x1, . . . , xn) = 0, falls xi = xj für i 6= j, zu betrachten. Ei-ne „typische“ Funktion mit dieser Eigenschaft ist f(x1, . . . , xn) = 1B1(x1) . . .1Bn(xn) mitBi ∩Bj = ∅ für i 6= j. In diesem Fall ist die linke Seite der Behauptung gleich

E[Ψ(B1) . . .Ψ(Bn)] =n∏i=1

E[Ψ(Bi)] =n∏i=1

Λ(Bi) = Λn(B1 × . . .×Bn) =

∫Xn

f dΛn.

5.4.3 Bemerkung. Satz 5.4.2 gilt auch für einen Poissonprozess mit nicht diffusem Intensi-tätsmaß Λ.

Beweis von Theorem 5.4.1. Es seien W ∈ K′ und wie im Abschnitt 5.2 sei NW := cardn ≥1 : (Zn + ξn) ∩W 6= ∅. Es seien M1, . . . ,MNW

die Sekundärkörner, welche W schneiden.Dann folgt:

E[Vj(Z ∩W )] = E

[Vj

(NW⋃k=1

Mk ∩W

)]

= E

[NW∑k=1

(−1)k−1∑

1≤i1<...<ik≤NW

Vj(Mi1 ∩ . . . ∩Mik ∩W )

]

= E

∞∑k=1

(−1)k−1

k!

6=∑(x1,K1),...,(xk,Kk)∈Ψ

Vj((K1 + x1) ∩ . . . ∩ (Kk + xk) ∩W )

.Im Beweis von Theorem 5.2.6 haben wir E[

∑1k!

∑ 6= . . .] <∞ gesehen (E[2NW ] <∞). NachVertauschung von Erwartungswert und Summation und Anwendung von Satz 5.4.2 liefert das(mit dx = d(x1, . . . , xk) und dK = d(K1, . . . , Kk)):

E[Vj(Z ∩W )] =∞∑k=1

(−1)k−1γk

k!

∫(K′)k

∫(Rd)k

Vj

(k⋂i=1

(Ki + xi) ∩W

)λkd(dx)Qk(dK).

Für j = d − 1 können wir jetzt Bemerkung 5.3.27 benutzen. Für j ≤ d − 2 setzen wirIsotropie voraus. Weil Q isotrop ist, kann Ki durch ρiKi (ρi ∈ SOd) ersetzt werden. Es folgt(mit dρ = d(ρ1, . . . , ρk) und dg = d(g1, . . . , gk)):

E[Vj(Z ∩W )]

=∞∑k=1

(−1)k−1γk

k!

∫(K′)k

∫(Rd)k

∫(SOd)k

Vj

(k⋂i=1

(ρiKi + xi) ∩W

)νk(dρ)λkd(dx)Qk(dK)

=∞∑k=1

(−1)k−1γk

k!

∫(K′)k

∫(Gd)k

Vj

(k⋂i=1

giKi ∩W

)µk(dg)Qk(dK)

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5 Dichten innerer Volumina

=∞∑k=1

(−1)k−1γk

k!

d∑m0,...,mk=j

m0+...+mk=kd+j

∫(K′)k

cm0j Vm0(W )

k∏i=1

cmid Vmi

(Ki)Qk(dK)

=∞∑k=1

(−1)k−1

k!

d∑m0,...,mk=j

m0+...+mk=kd+j

cm0j Vm0(W )

k∏i=1

cmid γmi

=∞∑k=1

(−1)k−1

k!Vj(W )γkd +

∞∑k=1

(−1)k−1

k!

d∑m=j+1

cmj Vm(W )d∑

m1,...,mk=jm1+...+mk=kd+j−m

k∏i=1

cmid γmi

.

Hierbei wird im vierten Schritt die Definition von γmi= γ

∫K′ Vmi

(Ki)Q(dKi) verwendet undim fünften Schritt die Summation über m0 getrennt betrachtet. Das heißt

E[Vj(Z ∩W )] =

− (e−γd − 1)Vj(W ) +d∑

m=j+1

cmj Vm(W )∞∑k=1

(−1)k−1

k!

d∑m1,...,mk=j

m1+...+mk=kd+j−m

k∏i=1

cmid γmi

︸ ︷︷ ︸=:am

.

Zur Behandlung von am sei s die Anzahl der mi mit mi ≤ d− 1. Wegen m > j ist s ≥ 1 unds ≤ m− j. Es folgt

am =∞∑k=1

(−1)k−1

k!

m−j∑s=1

(k

s

)γk−sd

d−1∑m1,...,ms=j

m1+...+ms=sd+j−m

s∏i=1

cmid γmi

,

d.h.

E[Vj(Z ∩W )] = −(e−γd − 1)Vj(W )

+ e−γdd∑

m=j+1

cmj Vm(W )

m−j∑s=1

(−1)s−1

s!

d−1∑m1,...,ms=j

m1+...+ms=sd+j−m

s∏i=1

cmid γmi

. (5.4.2)

Ersetzt man in (5.4.2) W durch rW und dividiert durch Vd(rW ), so verschwinden die Sum-manden für m ≤ d − 1, wenn man r → ∞ laufen lässt. Für s = 1 ist m1 = j und cdjc

jd = 1.

Weil für s ≥ 2 die Ungleichung mi ≥ j + 1, i = 1, . . . , s gelten muss, folgt die Behaup-tung.

5.4.4 Bemerkung. Für j = d− 1 gilt

δd−1 = (1− p)γd−1 = γ(1− p)E[Vd−1(Z0)].

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5 Dichten innerer Volumina

5.4.5 Bemerkung. Für d = 2 gilt für die Dichte der Euler-Charakteristik

δ0 = (1− p)(γ − 1

2c2

0(c12γ1)2),

d.h.

δ0 = (1− p)(γ − γ21

π)

= (1− p)(γ − γ2E[V1(Z0)]2

π

)= (1− p)

(γ − γ2E[U(Z0)]2

)= (1− p)

(− log(1− p)E[V2(Z0)]

+(log(1− p))2E[V1(Z0)]2

πE[V2(Z0)]2

),

wobei U den Umfang bezeichnet.

5.4.6 Bemerkung. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich mit Größen zweiter Ordnung, z.B.

σi,j := limr→∞

1

Vd(rW )Cov(Vi(Z ∩ rW ), Vj(Z ∩ rW )).

Zum Beispiel gilt (siehe Übungsaufgabe 12.3)

σd,d = (1− p)2

∫Rd

(eγC0(x) − 1)dx =

∫Rd

(C(x)− p2)dx,

mit C0(x) = E[λd(Z0 ∩ (Z0 − x))], vgl. dazu Satz 4.1.5.

5.4.7 Theorem. Das typische Korn Z0 sei isotrop. Dann gilt:

TZ(K) = 1− exp

(− 1

κd

d∑i=0

κiκd−i(di

) Vd−i(K)γi

), K ∈ K′.

Beweis. Für K ∈ K′ folgt aus Theorem 4.1.1:

1− TZ(K) = P(Z ∩K = ∅)

= exp

(−γE

[∫Rd

1(Z0 + x) ∩K 6= ∅ dx])

= exp

(−γE

[∫Rd

∫SOd

1(ρZ0 + x) ∩K 6= ∅ ν(dρ)dx

])

= exp

(−γE

[∫Gd

1gZ0 ∩K 6= ∅ µ(dg)

])

78

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5 Dichten innerer Volumina

= exp

(−γE

[d∑i=0

ci,d−i0,d Vi(K)Vd−i(Z0)

])

= exp

(−

d∑i=0

i!κi(d− i)!κd−id!κd

Vi(K)γd−i

)

= exp

(− 1

κd

d∑i=0

κiκd−i(di

) Vd−i(K)γi

).

Dabei wurde in der dritten Umformung die Isotropie von Z0 und in der fünften Gleichheit diekinematische Hauptformel (Theorem 5.3.25 mit j = 0) verwendet.

Insbesondere folgt Satz 4.4.8.

5.4.8 Theorem. Für jedes j ∈ 0, . . . , d gilt

δj = limr→∞

Vj(Z ∩ rW )

Vd(rW )P-f.s.

Beweisidee. Das Ergebnis ist eine Konsequenz räumlicher Ergodentheorie. Wir verwendenSatz 4.1.19 aus [2]: Ist ξ = ξ(Ψ) ein zufälliges Maß auf Rd mit ξ(Ψ + x,B + x) = ξ(Ψ, B),x ∈ Rd, so gilt:

limr→∞

ξ(rW )

Vd(rW )= E

[ξ([0, 1]d)

]P-f.s.

Wie können wir ξ wählen? Im Fall j = d können wir ξ(B) = λd(Z ∩ B) wählen (beachteδd = p). Für j ≤ d − 1 setzen wir ξ(B) := Cj(Z,B), B ∈ Bd, wobei Cj(K, ·) das j-teKrümmungsmaß von K ∈ Sd ist. Es gilt Cj(K,Rd) = Vj(K), K ∈ Rd. Außerdem giltCj(K,B) = Cj(L,B), B ⊂ A, A offen, sodass K ∩ A = L ∩ A. Ferner gilt Cj(K + x,B +x) = Cj(K,B), x ∈ Rd. Wendet man den räumlichen Ergodensatz auf den Negativ- bzw.Positivanteil von ξ an, so ergibt sich das Resultat.

5.5 EbenenprozesseHier liegt bislang nur eine ca. 16-seitige handschriftliche Vorlage vor. Wurde im WS 2014/15nicht behandelt.

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6 Zufällige Mosaike

6 Zufällige Mosaike

6.1 Definitionen6.1.1 Definition. Ein Mosaik m in Rd ist ein abzählbares System (nicht leerer) kompakterMengen mit den folgenden Eigenschaften:

(i) m ist lokal-endlich, d.h. cardC ∈ m : C ∩K 6= ∅ <∞, K ∈ Cd.

(ii) Jedes C ∈ m ist konvex und hat innere Punkte.

(iii)⋃C∈mC = Rd.

(iv) Für C,C ′ ∈ m mit C 6= C ′ gilt intC ∩ intC ′ = ∅.

Die Elemente von m heißen Zellen von m.

Natürlich kann es insbesondere für Anwendungen sinnvoll sein, Mosaike weniger restriktivzu erklären. Die hier angegebene Definition erzwingt unter anderem, dass die Zellen Polytopesind.

6.1.2 Definition. Es sei P ⊂ Rd ein Polytop, d.h. eine kompakte Menge, die endlicher Durch-schnitt von Halbräumen ist. Eine Seite F von P ist der Durchschnitt von P mit einer Stützhy-perebene von P . Dabei sei dimF := dim aff F . Für j ∈ 0, . . . , d− 1 sei Fj(P ) die Mengealler j-dimensionalen Seiten von P . Ferner sei Fd(P ) := P.

In der Konvexgeometrie wird ein Polytop als die konvexe Hülle von endlich vielen Punktenerklärt. Dort wird gezeigt, dass diese Definition mit der hier gegebenen äquivalent ist. Auchder Begriff der Seite wird in der Literatur unterschiedlich erklärt. Ist A ⊂ Rd convex undF ⊂ A, so heißt F Seite von A, falls für jede Strecke [x, y] ⊂ A mit (x, y) ∩ F 6= ∅ gilt[x, y] ⊂ F . Eine Seite ist dann stets abgeschlossen. Im Fall eines Polytopes stimmt dieserSeitenbegriff mit dem obigen überein.

6.1.3 Lemma. Die Zellen eines Mosaiks sind Polytope.

Beweis. Sei m ein Mosaik undK ∈ m. Wegen der lokalen Endlichkeit gibt es nur endlich vieleZellenK1, . . . , Kr ∈ m\K, so dassKi∩K 6= ∅. Eigenschaft (iii) impliziert, dass bd(K) =⋃ri=1(Ki ∩K). Für jedes i ∈ 1, . . . , r ist int(K) ∩ int(Ki) = ∅. Nach einem Trennungssatz

aus der Konvexgeometrie gibt es dann eine Hyperebene Hi, welche die Halbräume H+i und

H−i berandet, so dass K ⊂ H+i und Ki ⊂ H−i gilt. Es folgt

K =r⋂i=1

H+i

Dass K im Durchschnitt enthalten ist, ist nach Definition klar. Sei nun x ∈⋂ri=1H

+i . Ange-

nommen, es wäre x /∈ K. Zunächst gibt es y ∈ int(K) ⊂ int⋂ri=1H

+i . Sei x′ ∈ [y, x]∩bd(K).

Wegen x′ 6= x ist x′ ∈ int⋂ri=1 H

+i . Andererseits ist auch x′ ∈ Kj für ein j ∈ 1, . . . , r und

folglich xj ∈ H−j , ein Widerspruch.

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6 Zufällige Mosaike

6.1.4 Definition. Ein Mosaik m heißt seitentreu, falls P ∩P ′ für alle P, P ′ ∈ m mit P ∩P ′ 6= ∅sowohl eine Seite von P als auch eine Seite von P ′ ist. Ferner sei

M := m : m ist ein Mosaik

undM∗ := m ∈M : m ist seitentreu.

6.1.5 Bemerkung. Die Mengen M und M∗ sind Teilmengen der Potenzmenge von F ′ :=Fd \ ∅. Nun ist F ′ ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum mit abzählbarer Basis. Man kanndaher auf F ′ als Grundraum die Fell-Matheron Topologie und die zugehörige Borelsche σ-Algebra einführen. Zu jeder kompakten Teilmenge L von F ′ gibt es ein C ∈ Cd mit L ⊂ FC .Ist nun m = Fi : i ∈ N ein Mosaik, also ein lokal-endliches System von nichtleerenkompakten Teilmengen des Rd, so gilt Fi ∈ FC nur für endliche viele i ∈ N. Für jedes m ∈Mist daher nicht nur m ⊂ F ′, sondern m ist abgeschlossen in F ′, d.h. ein Element von F(F ′).Man kann zeigen, dass M und M∗ messbare Teilmengen von F(F ′) sind. Ferner sind dieAbbildungen

m 7→ Fj(m) :=⋃P∈m

Fj(P )(∈ F(F ′)

)für jedes j ∈ 0, . . . , d messbar auf M∗.

6.1.6 Definition. Ein zufälliges Mosaik X ist ein einfacher Partikelprozess mit

P(suppX ∈M∗) = 1.

Vernachlässigt man Nullmengen, so kann manX auch als zufälliges Element in M∗ einführen.Man nennt X stationär, wenn X als Partikelprozess stationär ist.

6.1.7 Beispiel. Für ϕ ∈ Ns(Rd) \ 0 sei

C(ϕ, x) := z ∈ Rd : ‖z − x‖ ≤ ‖z − y‖ ∀y ∈ ϕ, x ∈ ϕ,

die Voronoi-Zelle von x. Sind alle Zellen von m(ϕ) := C(ϕ, x) : x ∈ ϕ beschränkt, soist m(ϕ) ein seitentreues Mosaik, das von ϕ erzeugte Voronoi-Mosaik. In diesem Fall giltinsbesondere ϕ(Rd) =∞. Eine hinreichende Bedingung für die Beschränktheit der Zellen istdie Bedingung conv(ϕ) = Rd (siehe [3, Seiten 470-1]).

Ist Φ ein Punktprozess auf Rd mit P(conv(Φ) = Rd) = 1, so ist

X := C(Φ, x) : x ∈ Φ =∑x∈Φ

δC(Φ,x)

ein zufälliges Mosaik, wenn wir einfache Zählmaße mit deren Träger identifizieren. Ist Φstationär, so ist X stationär als Partikelprozess. Das folgt aus der Translationskovarianz

C(ϕ+ z, x+ z) = C(ϕ, x) + z,

für alle ϕ ∈ Ns \ 0, x ∈ ϕ, z ∈ Rd.

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6 Zufällige Mosaike

6.1.8 Satz. Ist Φ 6= 0 ein stationärer Punktprozess auf Rd, so gilt

P(conv(supp Φ) = Rd) = 1.

Beweisidee. “Analog” zu Satz 2.2.2. Eine allgemeinere Aussage steht beispielsweise in [3,Theorem 2.4.4].

6.1.9 Beispiel. Es sei ϕ ⊂ A(d, d− 1) lokal-endlich, d.h.

cardH ∈ ϕ : H ∩K 6= ∅ <∞, K ∈ Cd.

Es sei m(ϕ) das System der Abschlüsse der Zusammenhangskomponenten von Rd\(⋃H∈ϕH).

Unter Regularitätsvoraussetzungen an ϕ ist m(ϕ) ein seitentreues Mosaik, nämlich das von ϕerzeugte Hyperebenen-Mosaik.

Ziele und Fragestellungen für stationäre Mosaike

• Wie viele j-Seiten gibt es im Mittel in einer Menge B ∈ Bd? Was ist die asymptotischeVarianz?

• Welchen Einfluss hat Anisotropie auf Mittelwerte und Verteilungen?

• Was ist die Verteilung einer “typischen” Zelle beziehungsweise von Funktionalen (wieder Eckenzahl oder dem Volumen) typischer Zellen?

• Wie verhalten sich innere Volumina des j-Skeletts?

• Welche Form haben große und kleine Zellen?

6.2 Palmsche WahrscheinlichkeitsmaßeSei (Ω,A,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Wir betrachten einen Fluss θx : x ∈ Rd, d.h.eine Familie von Abbildungen θx : Ω→ Ω, sodass

(i) die Abbildung Ω× Rd → Ω, (ω, x) 7→ θxω messbar ist,

(ii) θy θx = θx+y für alle x, y ∈ Rd gilt und

(iii) θ0 = idΩ gilt.

Insbesondere ist θx bijektiv mit θ−1x = θ−x für alle x ∈ Rd und messbar.

6.2.1 Beispiel. Für Ω = Fd sei

θxF := F + x, x ∈ Rd, F ∈ Fd.

Dies ist ein Fluss.

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6 Zufällige Mosaike

6.2.2 Beispiel. Wir setzen das vorherige Beispiel fort und erklären einen Fluss auf Ω = M∗,indem wir

θxm := θxC : C ∈ m, x ∈ Rd,m ∈M∗

definieren. Auch dies ist ein Fluss, der für die später zu beweisenden Mittelwertformeln aus-reicht. Für manche Anwendungen ist es aber sinnvoll, zusätzlichen Zufall zuzulassen.

6.2.3 Beispiel. Auf dem messbaren Raum (M(Rd),M(Rd)) aller lokal-endlichen Maße aufRd bilden die zu Beginn von Abschnitt 3.4 definierten Verschiebungsoperatoren Tx, x ∈ Rd,einen Fluss (sh. auch Bemerkung 6.2.7). Man kann auch auf diesem Raum ein stationäresMosaik definieren. Dazu betrachtet man für ein Mosaik m die Vereinigung der Ränder allerZellen von m und das darauf gegebene (d − 1)-dimensionale Hausdorff-Maß. Aus diesemMaß lässt sich das Mosaik m zurückgewinnen. Als Wahrscheinlichkeitsmaß P kann das Bildder Verteilung eines stationären Mosaiks unter der oben beschriebenen Abbildung verwendetwerden.

Auch die in Definition 4.2.7 definierten Verschiebungen von Maßen auf Rd×M (mit einemMarkenraum M) bilden einen Fluss.

6.2.4 Definition (und Voraussetzung). Das Wahrscheinlichkeitsmaß P auf (Ω,A) sei invariantbezüglich des gegebenen Flusses θx : x ∈ Rd auf Ω, d.h.

P(θxA) = P(A), x ∈ Rd, A ∈ A,

wobei θxA := θxω : ω ∈ A.

6.2.5 Definition. Ein zufälliges Maß η auf Rd heißt invariant (oder auch adaptiert), falls

η(θxω,B + x) = η(ω,B), ω ∈ Ω, B ∈ Bd, x ∈ Rd

bzw.η(θxω,B) = η(ω,B − x), ω ∈ Ω, B ∈ Bd, x ∈ Rd

gilt.

6.2.6 Bemerkung. Ein zufälliges Maß η auf Rd ist genau dann invariant, wenn für alle ω ∈ Ω,B ∈ Bd und x ∈ Rd gilt

η(θxω,B) =

∫Rd

1z + x ∈ B η(ω, dz).

6.2.7 Bemerkung. Ein invariantes zufälliges Maß η ist stationär, d.h.

Txηd= η, x ∈ Rd.

Dabei ist für ein Maß µ auf Rd

Txµ(B) := µ(B − x), x ∈ Rd, B ∈ Bd.

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6 Zufällige Mosaike

In der Tat gilt für B1, . . . , Bm ∈ Bd, x ∈ Rd und ω ∈ Ω:(Txη(ω,B1), . . . , Txη(ω,Bm)

)=(η(ω,B1 − x), . . . , η(ω,Bm − x)

)=(η(θxω,B1), . . . , η(θxω,Bm)

).

Deswegen folgt aus P θx = P die Verteilungsgleichheit(Txη(B1), . . . , Txη(Bm)

) d=(η(B1), . . . , η(Bm)

)und damit die Behauptung.

6.2.8 Definition. Ist η ein invariantes zufälliges Maß auf Rd, so heißt

γη := E[η([0, 1]d)]

Intensität von η.

6.2.9 Bemerkung. Ist η ein invariantes zufälliges Maß auf Rd und E[η([0, 1]d)] <∞, so gilt

E[η(B)] = γηλd(B), B ∈ Bd.

Dies folgt sofort daraus, dass E[η(·)] ein translationsinvariantes, lokalendliches Maß auf derBorelschen σ-Algebra von Rd ist.

6.2.10 Theorem (Verallgemeinerte Campbell-Formel). Es sei η ein invariantes zufälliges Maßauf Rd mit 0 < γη <∞. Dann existiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß P0

η auf (Ω,A) mit

E[∫

Rd

f(θ−x, x) η(dx)

]= γηE0

η

[∫Rd

f(θ0, x) dx

](6.2.1)

für messbare Funktionen f : Ω × Rd → [0,∞], wobei E0η den Erwartungswert bezüglich P0

η

bezeichnet.

Beweis. Der Beweis ist analog zum Beweis von Satz 2.2.5. Für A ∈ A sei

ΛA(B) := E[∫

Rd

1x ∈ B, θ−x ∈ A η(dx)

], B ∈ Bd.

Es seien B ∈ Bd und z ∈ Rd. Dann gilt, wenn zunächst die Invarianz von P und dann dieInvarianz von η verwendet wird,

ΛA(B + z) =

∫Ω

∫Rd

1x ∈ B + z, θ−xω ∈ A η(ω, dx)P(dω)

=

∫Ω

∫Rd

1x− z ∈ B, θ−x θz︸ ︷︷ ︸=θ−(x−z)

ω ∈ A η(θzω, dx)P(dω)

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6 Zufällige Mosaike

=

∫Ω

∫Rd

1y ∈ B, θ−yω ∈ A η(ω, dy)P(dω)

= ΛA(B).

Somit giltΛA(B) = P′η(A)λd(B), B ∈ Bd,

mit einer von A abhängenden Konstanten 0 ≤ P ′η(A). Für B = [0, 1]d folgt P′η(Ω) = γη <∞.Also ist P′η ein endliches Maß auf (Ω,A). Mit P0

η := γ−1η P′η erhält man

E[∫

Rd

1x ∈ B1θ−x ∈ A η(dx)

]= γηP0

η(A)λd(B).

Algebraische Induktion führt nun zur Behauptung.

6.2.11 Bemerkung. Unter den Voraussetzungen des Satzes gilt auch “die äquivalente Glei-chung”

E[∫

Rd

f(θ0, x) η(dx)

]= γηE0

η

[∫Rd

f(θx, x) dx

]. (6.2.2)

6.2.12 Definition. Das Wahrscheinlichkeitsmaß P0η aus Theorem 6.2.10 heißt Palmsches Wahr-

scheinlichkeitsmaß von η.

6.2.13 Bemerkung. Für B ∈ Bd mit 0 < λd(B) < ∞ und A ∈ A folgt aus (6.2.1) mitf(ω, x) := 1A(ω)1B(x) die Darstellung

P0η(A) =

1

γηλd(B)E[∫

B

1A(θ−x) η(dx)

](6.2.3)

=1

γηλd(B)

∫Ω

∫B

1ω ∈ θxA η(ω, dx)P(dω).

Für eine messbare Funktion h : Ω → [0,∞) folgt analog mit f(ω, x) := h(ω)1B(x) dieGleichung

E0η[h] =

1

γηλd(B)E[∫

B

h(θ−y) η(dy)

]. (6.2.4)

Man kann P0η als das Wahrscheinlichkeitsmaß interpretieren, welches das zugrundeliegende

stochastische Experiment aus der Sicht eines „zufällig ausgewählten“ Punktes in der „Mas-se“ von η beschreibt. Diese etwas vage Aussage kann mit Ergodentheorie präzisiert werden.Im Falle eines einfachen Punktprozesses kann P0

η(η ∈ ·) auch als bedingte Verteilung von ηinterpretiert werden. Dabei bedingt man auf das Ereignis, dass im Punkt 0 ein Punkt von ηliegt. Auch darauf gehen wir hier nicht näher ein.

6.2.14 Theorem (Austauschformel von Neveu). Sind η, η′ invariante zufällige Maße mit po-sitiven und endlichen Intensitäten, so gilt für alle messbaren Funktionen g : Ω×Rd → [0,∞]

γηE0η

[∫Rd

g(θ−x, x) η′(dx)

]= γη′E0

η′

[∫Rd

g(θ0,−x) η(dx)

]. (6.2.5)

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Beweis. Es seien B ∈ Bd mit λd(B) = 1 und g : Ω× Rd → [0,∞] eine messbare Abbildung.Aus (6.2.4) mit

h(ω) :=

∫Rd

g(θ−xω, x) η′(ω, dx),

der Flusseigenschaft, der Invarianz des zufälligen Maßes η′ und dem Satz von Fubini folgtdann

γηE0η

[∫Rd

g(θ−x, x) η′(dx)

]= E

[∫Rd

∫Rd

1B(y)g(θ−x θ−y, x) η′(θ−y, dx) η(dy)

]= E

[∫Rd

∫Rd

1B(y)g(θ−(x+y), x) η′(θ−y, dx) η(dy)

]= E

[∫Rd

∫Rd

1B(y)g(θ−(x−y+y), x− y) η′(dx) η(dy)

]= E

[∫Rd

∫Rd

1B(y)g(θ−x, x− y) η(dy) η′(dx)

].

Mit der Invarianz von η, der verallgemeinerten Campbell-Formel (6.2.1) für η′ mit

f(ω, x) =

∫Rd

1B(z + x)g(ω,−z) η(ω, dz),

dem Satz von Fubini und λd(B) = 1 folgt weiter

γηE0η

[∫Rd

g(θ−x, x) η′(dx)

]= E

[∫Rd

∫Rd

1B(z + x)g(θ−x,−z) η(θ−x, dz) η′(dx)

]= γη′E0

η′

[∫Rd

∫Rd

1B(z + x)g(θ0,−z) η(θ0, dz) dx

]= γη′E0

η′

[∫Rd

g(θ0,−z)

∫Rd

1B(z + x) dx η(θ0, dz)

]= γη′E0

η′

[∫Rd

g(θ0,−z) η(dz)

].

Dies zeigt die behauptete Gleichung.

6.2.15 Bemerkung. Es sei η′ = λd. Dann gilt γη′ = 1 und P0η′ = P. In der Tat, wir erhalten

aus (6.2.3), dass

γη′P0η′(A) =

1

λd(B)E∫B

1A(θ−x)λd(dx)

=1

λd(B)

∫B

E1A(θ−x)︸ ︷︷ ︸=P(A)

λd(dx)

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= P(A).

Hieraus folgen beide Behauptungen. Gleichung (6.2.5) bedeutet dann

γηE0η

[∫Rd

g(θ−x, x) dx

]= E

[∫Rd

g(θ0,−x) η(dx)

].

Dies ist äquivalent zu (6.2.1) und zu (6.2.2).

6.3 Allgemeine MittelwertformelnEs seiX ein stationäres zufälliges Mosaik mitX(ω) ∈M∗, ω ∈ Ω. Wir erinnern hierbei daran,dass wir ein zufälliges Mosaik als einen speziellen Partikelprozess (mit konvexen Partikeln)und zugleich als eine spezielle lokalendliche Kollektion konvexer Partikel ansehen. Für k ∈0, . . . , d sei Xk := Fk(X) der Partikelprozess der k-Seiten von X . Es gilt Fk(m + x) =Fk(m) + x für alle m ∈M∗ und x ∈ Rd. Deshalb folgt

P(Xk + x ∈ ·) = P(Fk(X) + x ∈ ·) = P(Fk(X + x) ∈ ·) = P(Fk(X) ∈ ·) = P(Xk ∈ ·),

d.h. Xk ist stationär.

6.3.1 Voraussetzung und Definition. Die Intensitätsmaße von Xk seien lokal-endlich fürjedes k ∈ 0, . . . , d. Es bezeichne

γk := E[cardF ∈ Xk : c(F ) ∈ [0, 1]d

]<∞ (6.3.1)

die Intensität von Xk und Qk die Formverteilung von Xk. Für die Zentrumsfunktion c : K′ →Rd gelte c(K) ∈ relint(K) für K ∈ K′.

6.3.2 Voraussetzung. Sei θx : x ∈ Rd ein Fluss auf Ω, sodass

X(θxω) = X(ω) + x

für ω ∈ Ω und x ∈ Rd gilt. Wie bisher nehmen wir an, dass P θx = P für x ∈ Rd erfülltist. Daraus folgt schon die Stationarität von X . Wegen der möglichen Wahl Ω := M∗, θxm :=m + x für m ∈ M∗ und x ∈ Rd sowie P := P(X ∈ ·) ist die Beschreibung mit Hilfe einesFlusses für die Zwecke dieses Abschnitts keine Einschränkung der Allgemeinheit.

6.3.3 Definition. Für jedes j ∈ 0, . . . , d sei

Φj :=∑F∈Xj

δc(F )

undηj :=

∑F∈Xj

Hj(F ∩ ·).

Beachte Φ0 = η0.

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6.3.4 Bemerkung. Offenbar ist Φj ein invarianter Punktprozess auf Rd (d.h. ein speziellesinvariantes zufälliges Maß). Nach Definition ist Φj nicht das Nullmaß. Damit ist die Intensitätγj von Φj nicht nur endlich (nach Voraussetzung 6.3.1) sondern auch positiv: γj > 0. Fernerist ηj ein invariantes zufälliges Maß auf Rd. Es gilt nämlich wegen Xj(θxω) = Xj(ω) + x,dass

ηj(θxω,B + x) =∑

F∈Xj(θxω)

Hj(F ∩ (B + x))

=∑

F∈Xj(ω)

Hj((F + x) ∩ (B + x))

= ηj(ω,B).

Die Intensität von ηj bezeichnen wir mit

δj := E[ηj([0, 1]d)].

Auch hier folgt aus ηj 6= 0 die Positivität von δj . Allerdings können wir den Fall δj =∞ nichtausschließen. Wir weisen auch auf die Gleichung ηd = λd hin. Insbesondere gilt δd = 1 undP0ηd

= P.

6.3.5 Lemma. (a) Es gilt P0Φj

(0 ∈ relint(G) für ein G ∈ Xj) = 1.

(b) Ist δj <∞, so gilt P0ηj

(0 ∈ relint(G) für ein G ∈ Xj) = 1.

Beweis. Sei B eine Borelmenge mit Volumen 1.(a) Aus der Definition der Palmschen Verteilung folgt

P0Φj

(0 ∈ relint(G) für ein G ∈ Xj)

=1

γjE∑F∈Xj

1c(F ) ∈ B1

0 ∈ relint(G) für ein G ∈ Xj θ−c(F )

=

1

γjE∑F∈Xj

1c(F ) ∈ B1 0 ∈ relint(G) für ein G ∈ Xj − c(F )︸ ︷︷ ︸=1, da G = F − c(F ) für F ∈ Xj gewählt werden kann

=1

γjE∑

F∈Xj(ω)

1c(F ) ∈ B

= 1.

(b) Wir argumentieren ähnlich wie in (a). So erhalten wir

P0ηj

(0 ∈ relint(G) für ein G ∈ Xj)

=1

δjE∑F∈Xj

∫B∩F

1 0 ∈ relint(F ) für ein F ∈ Xj − x︸ ︷︷ ︸=1 fürHj -f.a. x ∈ F

Hj(dx)

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6 Zufällige Mosaike

=1

δjE∑

F∈Xj(ω)

Hj(B ∩ F )

= 1.

Die folgenden Definitionen benötigen die (bisher nicht benutzte) Seitentreue eines Mosaiksm ∈M∗.

6.3.6 Definition. Für m ∈M∗, j ∈ 0, . . . , d und x ∈ Rd sei

Zj(m, x) :=

F, falls F ∈ Fj(m) und x ∈ relintF ,

x, sonst.

Wir setzen Zj(x) := Zj(X, x). Ferner seien Zj(m) := Zj(m, 0) und Zj := Zj(X) =Zj(X, 0). Speziell wird Zd(m, 0) als Nullzelle von m bezeichnet.

6.3.7 Bemerkung. Es gilt

Zj(m + y, x+ y) = Zj(m, x) + y, x, y ∈ Rd,m ∈M∗.

Wegen (6.3.2) ergibt sich daraus

Zj(X θ−x) = Zj(X θ−x, 0) = Zj(X − x, x− x) = Zj(X, x)− x.

Hiermit und aus (6.2.3) folgt fürH ∈ B(K′) und B ∈ Bd mit λd(B) = 1, dass

P0Φj

(Zj ∈ H) = γ−1j E

∫B

1Zj(X θ−x︸ ︷︷ ︸=X−x

) ∈ HΦj(dx)

= γ−1

j E[∫

B

1Zj(X, x)− x ∈ HΦj(dx)

]

= γ−1j E

∑F∈Xj

1c(F ) ∈ B1Zj(X, c(F ))︸ ︷︷ ︸=F

−c(F ) ∈ H

= Qj(H),

vergleiche dazu Bemerkung 4.2.9. Man bezeichnet Qj(·) = P0Φj

(Zj ∈ ·) als die Verteilungder “typischen“ j-Seite von X . Im Fall j = d ist Qd die Verteilung der typischen Zelle von X .Hierbei ist zu beachten, dass wir in Lemma 6.3.5 (a) schon

P0Φj

(0 ∈ relintF für ein F ∈ Xj) = 1

bewiesen hatten.

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6 Zufällige Mosaike

6.3.8 Bemerkung. Hat ηj eine endliche Intensität, so nennt man P0ηj

(Zj ∈ ·) die Verteilungder flächengewichteten typischen j-Seite. Diese Bezeichnung wird auch durch den folgendenSatz gerechtfertigt.

6.3.9 Theorem. Es sei j ∈ 0, . . . , d. Das zufällige Maß ηj habe eine endliche Intensität δj .Sei f : K′ → [0,∞] eine messbare Abbildung. Dann gilt

δjE0ηj

[f(Zj − c(Zj))] = γjE0Φj

[λj(Zj)f(Zj)]. (6.3.2)

Beweis. Wir verwenden die Austauschformel von Neveu in der Form

γηE0η

[∫Rd

g(θ−x,−x) η′(dx)

]= γη′E0

η′

[∫Rd

g(θ0, x) η(dx)

]mit η′ := Φj und η := ηj . Mit

g(ω, x) = f(Zj(X(ω)))1x ∈ relint(Zj(X(ω)))

ergibt sich für die rechte Seite der Behauptung

γjE0Φj

∫Rd

f(Zj)1x ∈ relintZj ηj(dx)︸ ︷︷ ︸=λj(Zj)

.Hierbei wurde verwendet, dass es unter P0

Φjgenau eine j-Seite von X gibt, die 0 im relativen

Inneren enthält. Diese ist Zj(X, 0) = Zj(X) = Zj . Nun ist ηj gerade das Hj-Maß auf denj-Seiten und die Integration erstreckt sich über x ∈ relint(Zj(X, 0)).

Für die linke Seite erhält man

δjE0ηj

∫Rd

f(Zj(X − x, 0)︸ ︷︷ ︸=Zj(X,x)−x

)1−x ∈ relintZj(X − x, 0)Φj(dx)

= δjE0

ηj

∑F∈Xj

f(Zj(X, c(F ))− c(F ))10 ∈ relintZj(X, c(F ))

,wobei

−x ∈ relintZj(X − x, 0)⇔ 0 ∈ relintZj(X, x)

verwendet wurde. Nun gibt es unter P0ηj

genau eine j-SeiteF ∈ Xj mit 0 ∈ relintZj(X, c(F )),nämlich F = Zj(X, 0) = Zj . Daraus folgt die Behauptung.

6.3.10 Bemerkung. Unter P0Φj

istZj die eindeutig bestimmte j-Seite vonX , die 0 im relativenInneren enthält. Also folgt λj(Zj) > 0 fast sicher unter P0

Φj.

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6 Zufällige Mosaike

6.3.11 Folgerung. Für j ∈ 0, . . . , d gelte δj <∞. Dann gilt

E0Φj

[λj(Zj)] =δjγj. (6.3.3)

E0ηj

[λj(Zj)−1] =

γjδj. (6.3.4)

Insbesondere folgt

E0Φd

[λd(Zd)] =1

γd. (6.3.5)

E[λd(Zd)−1] = γd. (6.3.6)

Beweis. Wählen wir in (6.3.2) f = 1, so folgt E0Φj

[λj(Zj)] <∞. Ferner ist λj(Zj) > 0 unterP0

Φjfast sicher erfüllt.

(6.3.3) folgt mit der Wahl von f ≡ 1 in (6.3.2).(6.3.4) folgt mit f(K) = λj(K)−1, K ∈ K′, da λj(Zj) > 0 fast sicher unter P0

Φjgilt.

(6.3.5) und (6.3.6) folgen mit j = d.Beachte hierzu ηd = λd (vgl. Bemerkung 6.3.4 und Bemerkung 6.2.15).

6.3.12 Bemerkung. Die Funktion x 7→ x−1 ist konvex. Die Jensen’sche Ungleichung liefert

E0ηj

[λj(Zj)] =1

(E0ηj

[λj(Zj)])−1≥ 1

E0ηj

[λj(Zj)−1]

(6.3.4)=

δjγj

(6.3.3)= E0

Φj[λj(Zj)].

Im Fall j = d ergibt sich E[λd(Zd)] ≥ E0Φd

[λd(Zd)]. Das mittlere Volumen der Nullzelle istgleich dem mittleren Volumen der volumengewichteten typischen Zelle und dieses ist mindes-tens so groß wie das mittlere Volumen der typischen Zelle. Das ist eine räumliche Version desWartezeitparadoxons. Man kann sogar zeigen (Übungsaufgabe), dass

P0ηj

(λj(Zj) > t) ≥ P0Φj

(λj(Zj) > t), t ≥ 0

gilt.

Für jedes m ∈ M∗ und jedes x ∈ Rd gibt es ein eindeutig bestimmtes i ∈ 0, . . . , d undein eindeutig bestimmtes F ∈ Fi(m) mit x ∈ relintF . Wie setzen Z(m, x) := F . Ist x imrelativen Inneren einer j-Seite F ∈ Fj(m), so ist Z(m, x) = Zj(m, x). Damit werden also diefrüheren Definitionen von Zj(m, x) zusammengeführt. Wie zuvor gilt

Z(m + y, x+ y) = Z(m, x) + y, x, y ∈ Rd,m ∈M∗. (6.3.7)

Für k ∈ 0, . . . , d definieren wir den k-Seitenstern von m bei x ∈ Rd durch

Sk(m, x) :=

Fk(Z(m, x)), falls k ≤ dimZ(m, x),

G ∈ Fk(m) : Z(m, x) ⊂ G, sonst.

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6 Zufällige Mosaike

Erneut giltSk(m + y, x+ y) = Sk(m, x) + y, x, y ∈ Rd,m ∈M∗. (6.3.8)

Definiere Z(x) := Z(X, x), Z := Z(X, 0),Sk(x) := Sk(X, x),Sk := Sk(X, 0). Wir bemer-ken

P0Φj

(Z = Zj) = 1, j ∈ 0, . . . , d. (6.3.9)

Im Weiteren sei P0j := P0

Φjund E0

j := E0Φj

.

6.3.13 Definition. Für j, k ∈ 0, . . . , d sei njk := E0j [cardSk]. Für j < k ist das die mittlere

Anzahl der k-Seiten, welche die typische j-Seite enthalten. Für j ≥ k ist njk die mittlereAnzahl der k-Seiten, welche in der typischen j-Seite enthalten sind. Ferner gilt njj = 1.

6.3.14 Satz. Für j ∈ 0, . . . , d gilt

j∑k=0

(−1)knjk = 1 (6.3.10)

undd∑k=j

(−1)d−knjk = 1. (6.3.11)

Beweis. Ist P ∈ K′ ein Polytop, so bezeichne fk(P ) := cardFk(P ), k ∈ 0, . . . , d. DieEulersche Formel (sh. Abschnitt 14.4 in [3]) ergibt

j∑k=0

(−1)kfk(P ) = 1, falls dimP = j. (6.3.12)

Wegen P0j(dimZ(0) = j) = 1 folgt also

j∑k=0

(−1)knjk = E0j

[j∑

k=0

(−1)k cardSk(X, 0)

]= E0

j [1] = 1.

Zum Beweis von (6.3.11) kann j ≤ d− 1 vorausgesetzt werden. Für m ∈M∗ und G ∈ Fj(m)sei fk(m, G) := cardF ∈ Fk(m) : G ⊂ F. Dann gilt (Übung bzw. [3, Seite 627])

d∑k=j

(−1)d−kfk(m, G) = 1

Die Behauptung folgt wie zuvor.

6.3.15 Bemerkung. Aus (6.3.10) folgt für j = 1: n10 − n11 = 1, d.h. n10 = 2. Für j = 2folgt: n20 − n21 + 1 = 1, d.h. n20 = n21.

Aus (6.3.11) folgt für j = d − 1: −nd−1,d−1 + nd−1,d = 1, d.h. nd−1,d = 2. Für j = d − 2folgt: nd−2,d−2 − nd−2,d−1 + nd−2,d = 1, d.h. nd−2,d = nd−2,d−1. All diese Formeln sind auchdeterministisch richtig.

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6 Zufällige Mosaike

Im folgenden Satz beachte man, dass P0j(0 ∈ relintF für ein F ∈ Sj(X)) = 1 gilt.

6.3.16 Satz. Für 0 ≤ j ≤ k ≤ d und messbares g : K′ ×K′ × Rd → [0,∞) gilt

γjE0j

[∑G∈Sk

g(Z,G− c(G),−c(G))

]= γkE0

k

∑F∈Sj

g(F − c(F ), Z, c(F ))

. (6.3.13)

Insbesondere gilt für messbares g : K′ ×K′ → [0,∞)

γjE0j

[∑G∈Sk

g(Z − c(G), G− c(G))

]= γkE0

k

∑F∈Sj

g(F,Z)

. (6.3.14)

Beweis. Die rechte Seite von (6.3.13) ist gleich

I := γkE0k

[∫Rd

g(Z(x)− x, Z, x)1Z(x) ⊂ Z Φj(dx)

].

Beachte, dass hier x = c(Z(x)) für x ∈ Φj gilt und Z(x) = Z(X, x) sowie Z = Z(X, 0). Mitder Austauschformel von Neveu erhält man, dass I gleich ist zu

γjE0j

[∫Rd

g(Z(X − x,−x) + x, Z(X − x, 0),−x)1Z(X − x,−x) ⊂ Z(X − x, 0) Φk(dx)

].

Wegen (6.3.7) ist Z(X−x,−x) = Z(X, 0)−x und ferner Z(X−x, 0) = Z(X−x, x−x) =Z(X, x)− x. Somit folgt

I = γjE0j

[∫Rd

g(Z,Z(x)− x,−x)1Z ⊂ Z(x) Φk(dx)

]und damit die Behauptung.

6.3.17 Folgerung. Für i, j, k ∈ 0, . . . , d gilt

γjE0j

[∑G∈Sk

Vi(G)

]= γkE0

k[Vi(Z) cardSj]. (6.3.15)

Speziell giltγjnjk = γknkj. (6.3.16)

Beweis. Sei zunächst j ≤ k. Man wähle in (6.3.14) g(F,G) := Vi(G) = Vi(G− c(G)), da Viverschiebungsinvariant. Dann folgt (6.3.15).

Im Fall j > k muss man in (6.3.13) die Rollen von j und k vertauschen und g(F,G) :=Vi(F ) wählen. Dann folgt wieder (6.3.15).

Für i = 0 folgt (6.3.16).

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6 Zufällige Mosaike

6.3.18 Folgerung. Es gilt

γ0E00

[∑G∈S1

V1(G)

]= 2γ1E0

1[V1(Z)]. (6.3.17)

Beweis. Aus (6.3.15) für j = 0, i = k = 1 folgt

γ0E00

[∑G∈S1

V1(G)

]= γ1E0

1[V1(Z) cardF0(Z)︸ ︷︷ ︸=2, da Z Kante

] = 2γ1E01[V1(Z)].

6.3.19 Definition. Sei P ein Polytop mit dimP = d und F eine Seite von P . Für z ∈ relintFsei

S(P, F ) := α(x− z) : x ∈ P, α ≥ 0und

β(F, P ) :=1

κdλd(S(P, F ) ∩Bd).

Man nennt β(F, P ) den inneren Winkel von P an der Seite F . Diese Definition ist unabhängigvon der Wahl von z ∈ relintF .

6.3.20 Theorem. Sei f : K′ → [0,∞] messbar und translationsinvariant. Sei j ∈ 0, . . . , d.Dann gilt

γdE0d

∑F∈Sj

β(F,Z)f(F )

= γjE0j [f(Z)]. (6.3.18)

Insbesondere ist

γj = γdE0d

∑F∈Sj

β(F,Z)

. (6.3.19)

Beweis. Wir verwenden (6.3.14) für k = d, also

γjE0j

[∑G∈Sd

g(Z − c(G), G− c(G))

]= γdE0

d

∑F∈Sj

g(F,Z)

(6.3.20)

mit g(F,G) := β(F,G)f(F ), wobei β(F ′, G′) := 0, falls G′ kein volldimensionales Polytopist oder falls F ′ keine Seite von G′ ist. Dann ist die linke Seite von (6.3.18) gleich der rechtenSeite von (6.3.20) und die linke Seite von (6.3.20) gleich

γjE0j

[∑G∈Sd

β(Z − c(G), G− c(G))f(Z)

]= γjE0

j

[f(Z)

∑G∈Sd

β(Z,G)︸ ︷︷ ︸=1

]= γjE0

j [f(Z)],

was gerade die rechte Seite von (6.3.18) ist.Für f ≡ 1 folgt (6.3.19).

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6 Zufällige Mosaike

6.3.21 Satz. Es giltd∑j=0

(−1)jγj = 0.

Beweis. Für jedes Polytop P mit dimP = d gilt die Gramsche Beziehung (vgl. [3, Seite 458])

d∑j=0

(−1)j∑

F∈Fj(P )

β(F, P ) = 0. (6.3.21)

Die Behauptung folgt damit aus (6.3.19).

Im Fall d = 2 bedeutet (6.3.21) für ein Polygon P mit n Ecken und Innenwinkeln α1, . . . , αngerade

n∑k=1

αk −n

2+ 1 = 0⇒

n∑k=1

αk =n− 2

2.

6.3.22 Satz. Im Fall d = 2 gilt

n20 =2n02

n02 − 2, (6.3.22)

γ0 =2

n02 − 2γ2 (6.3.23)

undγ1 =

n02

n02 − 2γ2. (6.3.24)

Beweis. Aus (6.3.16) folgtγ0n02 = γ2n20, (6.3.25)

γ1n10 = γ0n01, (6.3.26)

d.h. wegen n10 = 2 und n01 = n02 (vgl. Bemerkung 6.3.15)

2γ1 = γ0n02. (6.3.27)

Ferner gilt wegen Satz 6.3.21γ0 − γ1 + γ2 = 0. (6.3.28)

Aus (6.3.27) und (6.3.28) folgt

γ0 − γ0n02

2+ γ2 = 0.

Mit (6.3.25) folgtγ2n20

n02

− γ2n20

2+ γ2 = 0

und damit (6.3.22). Aus (6.3.25) und (6.3.22) folgt (6.3.23). Aus (6.3.27) folgt dann (6.3.24).

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6 Zufällige Mosaike

6.3.23 Beispiel. Es gelte d = 2 und n02 = 3 (Letzteres ist bei einem “genügend zufälligen“Voronoi-Mosaik der Fall). Dann liefert Satz 6.3.22

n20 = 6, γ0 = 2γ2 und γ1 = 3γ2.

6.3.24 Beispiel. Es gelte d = 2 und n02 = 4 (Das ist bei einem Geraden-Mosaik der Fall).Dann liefert Satz 6.3.22

n20 = 4, γ0 = γ2 und γ1 = 2γ2.

6.3.25 Bemerkung. Es gelte d = 2. Jede Ecke sende die “Masse“ 1 an die anliegenden Zellen.Das Massentransportprinzip besagt:

E[aus Einheitsfläche gesendete Masse] = E[in Einheitsfläche empfangene Masse],

also γ0n02 = γ2n20.Nun sende jede Ecke den Innenwinkel an die jeweilige Zelle. Dann liefert das Massentrans-

portprinzip γ0 = γ2n20−2

2. Das Massentransportprinzip ist eine Version der Austauschformel

von Neveu.

6.4 Poisson-Voronoi-MosaikeEs sei Φ ein stationärer Poissonprozess mit Intensität γ > 0. Sei X := C(Φ, x) : x ∈ Φ dasvon Φ erzeugte Voronoi-Mosaik (vergleiche Beispiel 6.1.7). Man kann leicht die Gleichungγd = γ für die Intensität der Zellen beweisen (Übung).

6.4.1 Satz. Das Poisson-Voronoi-Mosaik X ist P-f.s. seitentreu. Ferner ist P-f.s. jede k-Seitein genau d− k + 1 Zellen enthalten.

Beweisidee. Die Seitentreue haben wir in Beispiel 6.1.7 kurz diskutiert.Die zweite Eigenschaft nennt man auch Normalität. Zum Beweis sei F ∈ Fk(X) für k ≤

d− 2. Es seien x0, . . . , xm ∈ Φ, sodass

F ⊂ ∂C(Φ, xi), i = 0, . . . ,m.

Dabei seimmaximal. Dann ist aff(F ) Schnitt vonmHyperebenen. Jeder Punkt in aff F hat zuallen xi den gleichen Abstand. Weil P-f.s. nicht d+ 2 Poisson-Punkte von Φ auf einer Sphäreliegen, gilt m ≤ d. Andererseits liegen x0, . . . , xm P-f.s. nicht in einer (m−1)-dimensionalenEbene (siehe Übungsaufgabe 14.4) und können deshalb als affin unabhängig vorausgesetztwerden. Damit hat aff(F ) als Schnitt von m Hyperebenen die Dimension d−m.

Wegen der Gleichung δ0 = γ0 liefert das folgende Theorem (für Poisson-Voronoi Mosaike)insbesondere eine explizite Formel für die Intensität der Ecken. Für d = 2 (aber auch nurdann) gilt diese Formel für ganz allgemeine stationäre normale Mosaike, sh. Beispiel 6.3.23.

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6.4.2 Theorem. Für jedes k ∈ 0, . . . , d gilt

δk =2d−k+1π

d−k2 Γ

(d2−kd+k+1

2

) (Γ(1 + d

2

))d−k+ dk Γ(d− k + k

2

)d(d− k + 1)!Γ

(d2−kd+k

2

) (Γ(d+1

2

))d−kΓ(k+1

2

) γd−kd (6.4.1)

sowie

γjE0j

[∑G∈Sk

Vk(G)

]=

(d− k + 1

j − k

)γkE0

k [Vk(Z)]︸ ︷︷ ︸=δk

, j ∈ k, . . . , d. (6.4.2)

Beweisidee. Gleichung (6.4.2) folgt aus Folgerung 6.3.17 (mit i = k) und

cardSj =

(d− k + 1

d− j + 1

)=

(d− k + 1

j − k

)P0k-f.s.

für k ≤ j.Zum Beweis von (6.4.1) seien x0, . . . , xd−k ∈ Φ in allgemeiner Lage. (Im Fall k < d gibt es

keinen (d− k − 1)-dimensionalen affinen Unterraum, der diese Punkte enthält.) Dann gibt eseine eindeutig bestimmte (d − k)-dimensionale Kugel Bd−k(x0, . . . , xd−k) mit x0, . . . , xd−kim relativen Rand der Kugel Bd−k(x0, . . . , xd−k). Es seien z(x0, . . . , xd−k) der Mittelpunktvon Bd−k(x0, . . . , xd−k) und F (x0, . . . , xd−k) der k-dimensionale affine Unterraum mit

z(x0, . . . , xd−k) ∈ F (x0, . . . , xd−k) und F (x0, . . . , xd−k) ⊥ Bd−k(x0, . . . , xd−k).

Setze

S(x0, . . . , xd−k,Φ) := y ∈ F (x0, . . . , xd−k) : B0(y, ||y − x0||) ∩ Φ = ∅.

Hierbei bezeichnet B0(y, r) die offene Kugel um y mit Radius r. Ist S(x0, . . . , xd−k,Φ) 6= ∅,so ist S(x0, . . . , xd−k,Φ) eine k-dimensionale Seite. Alle k-dimensionalen Seiten entstehenauf diese Weise. Es folgt

δk =1

Vd(Bd)

1

(d− k + 1)!E

6=∑x0,...,xd−k∈Φ

Vk(S(x0, . . . , xd−k,Φ) ∩Bd)

.Mit Hilfe der multivariaten Mecke-Gleichung erhalten wir

E

6=∑x0,...,xd−k∈Φ

h(Φ, x0, . . . , xd−k)

= E

[∫(Rd)d−k+1

h(Φ + δx0 + . . .+ δxd−k, x0, . . . , xd−k) Λd−k+1(d(x0, . . . , xd−k))

],

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wobei Λ das Intensitätsmaß von Φ bezeichnet und h eine nicht negative messbare Funktionist. Damit folgt

δk =γd−k+1

κd(d− k + 1)!

∫(Rd)d−k+1

E

[Vk(S(x0, . . . , xd−k,Φ +

d−k∑i=0

δxi) ∩Bd)

]d(x0, . . . , xd−k)

=γd−k+1

κd(d− k + 1)!

∫(Rd)d−k+1

∫Rd

1y ∈ F (x0, . . . , xd−k) ∩Bd

× E[1B0(y, ||y − x0||) ∩ Φ = ∅]︸ ︷︷ ︸=exp(−γκd||y−x0||d)

Hk(dy) d(x0, . . . , xd−k).

Wir verwenden die Blaschke-Petkantschin Formel der Integralgeometrie. Dazu sei

∆d−k(x0, . . . , xd−k) := Hd−k(convx0, . . . , xd−k).

Mittels der affinen Version dieser Blaschke-Petkantschin Formel (siehe [3, Theorem 7.2.7])folgt

δk =γd−k+1

κd(d− k + 1)!((d− k)!)kbk

∫A(d,d−k)

∫E

. . .

∫E

∫(z(x0,...,xd−k)+E⊥)∩Bd

e−γκd||y−x0||d

∆d−k(x0, . . . , xd−k)kHk(dy)λE(dx0) . . . λE(dxd−k)µd−k(dE)

mitbk :=

ωk+1 · . . . · ωdω1 · . . . · ωd−k

und ωi := i · κi.

Jetzt verwenden wir für festes E ∈ A(d, d − k) eine weitere integralgeometrische Transfor-mationsformel, die auf Miles zurückgeht. Diese lautet (siehe [3, Theorem 7.3.1], angewendetin E)∫

Ed−k+1

hd(λd−k+1E ) = (d− k)!

∫E

∫ ∞0

∫E∩Sd−1

. . .

∫E∩Sd−1

h(z + ru0, . . . , z + rud−k)

r(d−k)2−1∆d−k(u0, . . . , ud−k)σE(du0) . . . σE(dud−k) drHd−k(dz).

Mit der Abkürzung

ck :=γd−k+1

κd(d− k + 1)!((d− k)!)kbk

folgt

δk = ck

∫A(d,d−k)

∫E∩Sd−1

. . .

∫E∩Sd−1

J(E, u0)∆d−k(u0, . . . , ud−k)k+1

σE(du0) . . . σE(dud−k)µd−k(dE), (6.4.3)

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6 Zufällige Mosaike

wobei

J(E, u0) :=

∫E

∫ ∞0

∫(z+E⊥)∩Bd

e−γκd||y−(z+ru0)||drd(d−k)−1Hk(dy) drHd−k(dz).

Die Zahl J(E, u0) ist unabhängig von u0 in der Einheitssphäre von E, d.h. es gilt J(E, u0) ≡J(E, uE). Die innere Integration in (6.4.3) kann ausgeführt werden. Es verbleibt die Berech-nung von ∫

A(d,d−k)

J(E, uE)µd−k(dE).

Es ergibt sich ein Beta-Integral. Für Details wird auf [3, Seiten 475-6] verwiesen.

6.4.3 Theorem. Es gelte d = 3. Dann ist

γ0 =24π2

35γ,

γ1 =48π2

35γ,

γ2 =

(24π2

35+ 1

und

γ3 = γ.

Ferner gilt

n21 =144π2

24π2 + 35≈ 5.23,

n30 =96π2

35≈ 27.17,

n31 =144π2

35≈ 40.61

und

n32 =48π2

35+ 2 ≈ 15.54.

Beweis. Übung.

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Page 100: Stochastische Geometrie - KIT · Stochastische Geometrie Prof. Dr. Daniel Hug, Prof. Dr. Günter Last und Dipl.-Math. techn. Julia Hörrmann 11. Februar 2015 Pascal Bäthke, Marius

Literatur

Literatur[1] Norbert Henze: Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie (Stochastik II), Vorlesungs-

skript, Karlsruhe, 2010.

[2] Daniel Hug and Günter Last: Räumliche Stochastik. Vorlesungsskript, Karlsruhe,2014.

[3] Rolf Schneider and Wolfgang Weil: Stochastic and Integral Geometry. Springer,Berlin, Heidelberg, 2008.

[4] Martina Zähle: Random processes of Hausdorff rectifiable closed sets. Math. Nachr.108 (1982), 49-72.

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