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Stochastische Prozesse in der Physik kondensierter Materie Prof. Dr. W. Dieterich Fachbereich Physik Universit¨ at Konstanz Vorlesung im SS 2000 L A T E X–Version: R. Beck Abbildungen: T. Volz

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Stochastische Prozesse in der

Physikkondensierter Materie

Prof. Dr. W. Dieterich

Fachbereich Physik

Universitat Konstanz

Vorlesung im SS 2000

LATEX–Version: R. Beck

Abbildungen: T. Volz

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Inhaltsverzeichnis

Einfuhrung 4

1 Zufallsvariablen und Stochastische Prozesse 6

1.1 Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung . . . . . . . . . . . . . 6

1.2 Binomialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.3 Poisson–Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1.4 Gauß–Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

1.5 Zentraler Grenzwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

1.6 Stochastische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

1.7 Zeitliche Korrelationsfunktion, Spektralzerlegung . . . . . . . . . . . . 28

1.8 Gaußsche Zufallsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

1.9 Poisson-Prozeß, Schroteffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

2 Langevin–Theorie der Brownschen Bewegung 36

2.1 Diffusion und Beweglichkeit, Nernst–Einstein Relation . . . . . . . . . 36

2.2 Die Langevin-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

2.3 Thermisches Widerstandsrauschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

2.4 Dynamik flexibler Kettenpolymere (Rouse–Modell) . . . . . . . . . . . 48

2.5 Verallgemeinerte Langevin–Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

2.6 Modell zur mikroskopischen Herleitung einer Langevin–Gleichung . . . 62

3 Die Fokker–Planck–Gleichung 67

3.1 Herleitung der Fokker–Planck–Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

3.2 Theorie der linearen Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

3.3 Der Grenzfall großer Reibung (Smoluchowski–Gleichung) . . . . . . . . 76

3.4 Diffusion in außeren Potentialen, Kramers–Zeit . . . . . . . . . . . . . 81

3.5 Josephson–Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

3.6 * Zerfall instabiler Zustande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

1

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3.7 Funktionalintegraldarstellung von Ubergangswahr–scheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

4 Die Mastergleichung 102

4.1 Herleitung der Mastergleichung, detailliertes Gleichgewicht . . . . . . 102

4.2 Kernspinrelaxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

4.3 Storungstheoretische Berechnung der Ubergangsraten . . . . . . . . . 112

4.4 Zeitlich kontinuierliche Zufallsbewegung(“random walk”) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

4.5 Inelastische Neutronenstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

4.6 Inkoharenter Strukturfaktor und mittleresVerschiebungsquadrat in Hopping–Modellen . . . . . . . . . . . . . . . 124

4.7 Kinetisches Isingmodell (d=1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

5 Diffusion in ungeordneten Medien 137

5.1 Hopping–Modelle mit struktureller Unordnung . . . . . . . . . . . . . 137

5.2 * Exakte Losung in d=1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

5.3 Gitter–Greenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

5.4 Theorie des effektiven Mediums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

5.5 Das Perkolationsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

5.6 Anomale Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

5.7 * Dynamische Renormierungsgruppentheorie . . . . . . . . . . . . . . 159

Erganzende Literatur

N.G. van Kampen, “Stochastic Processes in Physics and Chemistry”, North Holland1981.

H. Risken, “The Fokker–Planck Equation, Methods of Solution and Applications”,Springer Verlag 1989.

J. Honerkamp, “Stochastische Dynamische Systeme”, VCH Weinheim 1994.

C.W. Gardiner, “Handbook of Stochastic Methods for Physics, Chemistry and theNatural Sciences”, Springer Verlag 1983.

W. Paul, J. Baschnagel, “Stochastic Processes: from Physics to Finance”, SpringerVerlag 1999.

S. Chandrasekhar, “Stochastic Problems in Physics and Astronomy”, Rev. Mod. Phys.

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15, 1 (1943).

W.T. Coffey, Yu P. Kalmykov, J.T. Waldron, “The Langevin Equation”, World Scien-tific 1998.

A. Bunde, S. Havlin (Hrsg.), “Fractals and Disordered Systems”, Springer Verlag 1991.

J.W. Haus, K.W. Kehr, “Diffusion in Regular and Disordered Lattices”, Physics Re-ports 150, 263 (1987).

J.-P. Bouchaud, A. Georges, “Anomalous Diffusion in Disordered Media: StatisticalMechanics, Models and Physical Applications”, Physics Reports 195, 127 (1990).

G.H. Weiss, “Aspects and Applications of the Random Walk”, North Holland 1994.

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Einfuhrung

Physikalische Theorien kondensierter Materie (feste Korper, Flussigkeiten, dichte Ga-se, makromolekulare Systeme, chemische Systeme etc.) stehen vor der Aufgabe, Phano-mene zu beschreiben, die durch das Zusammenspiel sehr vieler Freiheitsgrade bestimmtsind. Theorien fur solche Vielteilchensysteme abseits des thermischen Gleichgewichtsunter Einbeziehung der Warmebewegung lassen sich auf verschiedenen Ebenen formu-lieren:

1. Auf der mikroskopischen Ebene geht man klassisch von der Liouville–Gleichungfur die Dichte im Phasenraum aus, quantenmechanisch von der v. Neumann–Gleichung fur den statistischen Operator. Mit vielfaltigen Methoden versuchtman, kinetische Gleichungen fur die Beobachtungsgroßen aufzustellen und dieauftretenden Dampfungseffekte (Transportkoeffizienten) aus den molekularenWechselwirkungen heraus zu berechnen. Dieses Problem ist bis heute nur an-satzweise gelost.

2. Vom entgegengesetzten Standpunkt aus sieht man von der molekularen Struk-tur vollig ab. Man beschaftigt sich mit Makrozustanden, die durch orts- undzeitabhangige Felder makroskopischer Variablen charakterisiert sind, wie z. B.das Temperaturfeld T (~r, t), Stromungsfelder ~v(~r, t), Konzentrationen cα(~r) ver-schiedener chemischer Komponenten usw. Maßgeblich fur die Dynamik ist dasBestreben des Systems, unter Vergroßerung seiner Entropie ins Gleichgewichtuberzugehen. Dies fuhrt auf die Thermodynamik irreversibler Prozesse. UnterBerucksichtigung von Erhaltungssatzen liefert sie Aussagen zum Beispiel zurallgemeinen Form der Bewegungsgleichungen fur die genannten Makrovariablenin der Nahe des Gleichgewichts. Diese Aussagen beschranken sich jedoch aufhinreichend große Langen– und Zeitskalen.

3. Auf einer Zwischenebene werden raumliche und zeitliche Schwankungen (Fluk-tuationen) berucksichtigt, die in Messungen auf kleineren Langen– und Zeits-kalen aufgrund der Vielteilchenwechselwirkungen hervortreten. Wenn man vonDetails in der schnellen, mikroskopischen Dynamik auf der Zeitskala tmikro ab-sieht und sich nur fur Zeiten t ≫ tmikro interessiert (in Festkorpern oder dich-ten Flussigkeiten ist typischerweise tmikro ∼ 10−12s), so genugt es sehr oft, diemikroskopischen Fluktuationen als “Rauschen” anzusehen und hieruber geeig-nete phanomenologische Annahmen zu treffen. Dies fuhrt auf eine stochastischeBeschreibungsweise, die besonders dem Verhalten komplexer Systeme im meso-skopischen Bereich, aber auch verlangsamten molekularen Relaxationsprozessenangepaßt ist.

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Die Vorlesung befaßt sich in erster Linie mit dynamischen Prozessen auf der Basisstochastischer Theorien. (Hinweise auf die Verbindung zu mikroskopischen Theorienfinden sich in §§ 2.5, 2.6 und 4.3). Uberwiegend werden Systeme mit nur wenigen Frei-heitsgraden behandelt (Ausnahmen enthalten §§ 2.4 und 4.7). Die benutzten stocha-stischen Bewegungsgleichungen (Langevin– und Fokker–Planck–Gleichung, klassischeMastergleichung) sind aus folgenden Grunden von Interesse:

i) Sie gestatten die Beschreibung zeitlicher Fluktuationen im Gleichgewicht. MitHilfe des Fluktuations–Dissipationstheorems folgen hieraus Aussagen zu den li-nearen Suszeptibilitaten bei schwach gestorten Systemen. Die zugehorigen zeitabhangi-gen Korrelationsfunktionen sind durch Streuexperimente, magnetische Resonanzoder andere experimentelle Methoden oft direkt meßbar.

ii) Stochastische Theorien sind besonders tragfahig bei der Behandlung von Phano-menen weit abseits des Gleichgewichts, die von Fluktuationen getrieben sind,z. B. bei der Beschreibung des Zerfalls metastabiler oder instabiler Zustande.

iii) Gleichungen eines bestimmten Typs und die damit verbundenen Losungsverfah-ren lassen sich oft auf sehr unterschiedliche Probleme aus Physik, Chemie oderBiologie anwenden. Stochastische Methoden finden zunehmend Eingang auch innicht–naturwissenschaftliche Disziplinen (Wirtschaft, Finanzen etc.).

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Kapitel 1

Zufallsvariablen undStochastische Prozesse

1.1 Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung

Intuitive Definition der Wahrscheinlichkeit

Bei n–maliger Ausfuhrung eines Versuchs unter jeweils gleichen Bedingungen sei nA

die Haufigkeit, mit der ein bestimmtes Ereignis A (“Erfolg”) eintritt. Der Erfahrungnach strebt die relative Haufigkeit nA/n fur große n (n→∞) einem Grenzwert zu:

nA

n−→ PrA = Wahrscheinlichkeit von A (1.1)

Eine Große X bezeichnet man als Zufallsvariable, wenn ihre moglichen Werte x durchVersuchsergebnisse bestimmt sind.

Beispiele:

Zufallsvariable X Ereignis

• Wurfzahl eines 6–seitigen Wurfels(Werte x diskret: x = 1, . . . , 6)

• Geschwindigkeit eines Gasmolekuls(Werte v kontinuierlich)

Versuch−−−−−−→

Wurfzahl x gerade

1 km/s ≤ v ≤ 1, 5 km/s

Abstrakte Definition

Den moglichen Versuchsergebnissen x werden Elemente einer Menge M zugeordnet.Auf den Teilmengen A von M (Ereignissen) wird eine reelle Funktion PrA, dieWahrscheinlichkeit von A, definiert mit den Eigenschaften:

PrA ≥ 0 fur alle A;

A ∩B = φ (φ = leere Menge)⇒ PrA ∪B = PrA+ PrB;PrM = 1.

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Die Wahrscheinlichkeit fur das Ereignis “Nicht A” ist 1− PrA. Es folgt z. B.

Prφ = 0

PrA ∪B = PrA+ PrB − PrA ∩B

Beim Wurfeln (s. o.) gibt es 64 Ereignisse (Anzahl der Teilmengen vonM = 1, 2, . . . 6).

Diskrete Zufallsvariablen

xn (n = 1, 2, . . .) seien die moglichen Werte von X. Die Wahrscheinlichkeit fur einbestimmtes Versuchsergebnis xn ist

PrX = xn = pn (1.2)

mitpn ≥ 0;

n

pn = 1 (1.3) pn

Allgemein ist die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses A

PrA =∑

nxn ∈ A

pn (1.4) PA

Kontinuierliche Zufallsvariablen

Man definiertPrx < X < x+ dx =: p(x)dx (1.5)

und nennt p(x) die Wahrscheinlichkeitsdichte oder “Verteilungsfunktion” der Zufalls-variablen X. Analog zu (1.3) und (1.4) gilt

p(x) ≥ 0 ;

∫ ∞

−∞dx p(x) = 1 (1.6)

Pra < X < b =

∫ b

adx p(x) (1.7)

Formal kann man auch im diskreten Fall eine Wahrscheinlichkeitsdichte einfuhren,

p(x) =∑

n

pnδ(x− xn) (1.8)

Das Integral∫ x−∞ dx′p(x′) bezeichnet man als kumulative Verteilungsfunktion. Beach-

te: Im kontinuierlichen Fall ist PrX = x = 0.

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Mittelwerte, Momente

• X diskret:Der Mittelwert oder Erwartungswert von X ist

〈X〉 =∑

n

pnxn (1.9)

Die r–te Potenz Xr von X (r ganzzahlig) ist wieder eine Zufallsvariable mit demMittelwert

〈Xr〉 =∑

n

pnxrn (1.10)

welchen man als r–tes Moment von X bezeichnet.

• Kontinuierlich:

〈Xr〉 =

dx p(x)xr (1.11)

Ein Maß fur die Abweichungen vom Mittelwert ist die Varianz oder mittlere quadra-tische Abweichung

〈(X − 〈X〉)2〉 = 〈X2〉 − 〈X〉2 (1.12)

bzw. die Standardabweichung

σ = (〈X2〉 − 〈X〉2)1/2. (1.13)

Charakteristische Funktion

Zur Wahrscheinlichkeitsdichte p(x) definiert man die charakteristische Funktion ϕ(k)durch Fourier–Transformation,

ϕ(k) ≡ 〈exp ikx〉 =∫ ∞

−∞dx p(x)eikx (1.14)

Die charakteristische Funktion enthalt deshalb dieselbe Information wie p(x). Fallsalle Momente (r>∼0) existieren, kann man entwickeln:

ϕ(k) =

dx p(x)

(

1 + ikx− k2

2!x2 + . . .

)

=

= 1 + ik〈X〉 − k2

2!〈X2〉+ . . .+

(ik)n

n!〈Xn〉+ . . .

Somitdnϕ

dkn

∣∣∣∣k=0

= in〈Xn〉. (1.15)

d. h. ϕ(k) ist erzeugende Funktion fur die Momente.

Verbundwahrscheinlichkeit, bedingte Wahrscheinlichkeit

In einem Versuch werden gleichzeitig zwei Zufallsvariablen X und Y gemessen unddie Haufigkeiten darauf bezogener Ereignisse A bzw. B registriert. Bei n–maligerAusfuhrung des Versuchs sei

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X Y

n1 = Haufigkeit fur A Bn2 = ” A nicht Bn3 = ” nicht A Bn4 = ” nicht A nicht B

mit n1 + n2 + n3 + n4 = n. Fur n→∞ wird

n1 + n2

n= PrA; n1 + n3

n= PrB

n1

n= PrA,B (1.16)

= Verbundwahrscheinlichkeit fur gleichzeitiges Eintreten von A und B.n1

n1 + n3= PrA |B (1.17)

= Wahrscheinlichkeit fur A unter der Bedingung, daß B eintrittn1

n1 + n2= PrB |A (1.18)

= Wahrscheinlichkeit fur B unter der Bedingung, daß A eintritt.

Fur diese bedingten Wahrscheinlichkeiten gilt

PrA |B =PrA,BPrB (1.19)

und analog

PrB |A =PrA,BPrA

• X diskret:PrX = xn, Y = ym = pn,m ;

n,m

pn,m = 1 (1.20)

PrX = xn =∑

m

pn,m ; PrY = ym =∑

n

pn,m (1.21)

• X kontinuierlich:

Prx < X < x+ dx ; y < Y < y + dy = p(x, y)dxdy (1.22)

Die Wahrscheinlichkeitsdichten fur X bzw. Y ergeben sich durch Integration,

pX(x) =

dy p(x, y) ; pY (y) =

dx p(x, y) (1.23)

Abhangige und unabhangige Zufallsvariablen

Zwei Variablen X, Y sind statistisch unabhangig genau dann, wenn

PrA,B = PrAPrB (1.24)

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fur alle A, B. Daraus folgt PrA |B = PrA usw.Ein Maß fur die Abhangigkeit zweier Zufallsvariablen ist ihre Korrelation:

〈XY 〉 − 〈X〉〈Y 〉 (1.25)

wobei 〈XY 〉 durch die Verbundwahrscheinlichkeit bestimmt ist. Fur unabhangige Va-riablen verschwindet die Korrelation.Beispiel: Korpergroße und Korpergewicht eines Individuums sind voneinander abhangi-ge Zufallsvariablen.

Funktionen von Zufallsvariablen

Es sei Z = f(X). Dann hangen die Dichten pZ und pX folgendermaßen zusammen:

pZ(z) =

dx pX(x)δ(z − f(x)) (1.26)

Fur eine Funktion mehrerer Zufallsvariablen Z = f(X,Y ) gilt entsprechend

pZ(z) =

∫ ∫

dxdy p(x, y)δ(z − f(x, y)). (1.27)

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1.2 Binomialverteilung

Bei einem Versuch sei:

p = Wahrscheinlichkeit fur ein bestimmtes Ereignis (“Erfolg”)

1− p = Wahrscheinlichkeit fur “Mißerfolg”.

Gesucht ist

PN (n) =

Wahrscheinlichkeit furn –maligen ErfolgbeiN unabhangigen Versuchen.

Die Wahrscheinlichkeit fur eine bestimmte Reihenfolge von n Erfolgen und N − nMißerfolgen ist

pn(1− p)N−n.

Die Anzahl verschiedener Anordnungen von N Objekten, wobei n von der Sorte 1 undN − n von der Sorte 2 sind, ist gegeben durch den Binomialkoeffizienten

N !

n!(N − n)!=

(N

n

)

.

Die gesuchte Verteilung ist somit

PN (n) =(Nn

)pn(1− p)N−n Binomialverteilung

zu gegebenemNund p(1.28) PN

Eigenschaften:Mit q = 1− p ergibt sich nach dem Binomialsatz

N∑

n=0

PN (n) = (p+ q)N = 1 (1.29)

d. h. die Normierungsbedingung ist erfullt.Mittelwert (mittlere Anzahl von Erfolgen bei N Versuchen):

n =N∑

n=0

nPN (n) =N∑

n=0

p∂

∂p

(N

n

)

pnqN−n

∣∣∣∣∣q=1−p

=

= p∂

∂p(p+ q)N

∣∣∣∣q=1−p

= Np(p+ q)N−1 =

= Np (1.30)

Ahnlich zeigt man fur die Varianz

n2 − n2 = Np(1− p) = n(1− p) (1.31) Va

Beispiel:

Eindimensionale Zufallsbewegung

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0

0.05

0.1

0.15

0.2

0.25

0.3

0.35

0.4

0 1 2 3 4 5

PN

(n)

n

a) N=20, p=0.05

0

0.05

0.1

0.15

0.2

0.25

4 6 8 10 12 14 16 18

PN

(n)

n

b) N=20, p=0.5

Abbildung 1.1: Binomialverteilung mit den Parametern a) N = 20, p = 0.05 (n = 1); b)N = 20, p = 0.5 (n = 10).

l0

1-p p

Start

21-2 -1

Abbildung 1.2: 1–dimensionale Zufallsbewegung.

Eine Anwendung der Binomialverteilung stellt die Zufallsbewegung auf einem eindi-mensionalen Gitter mit Platzen l = 0,±1, . . . dar, wobei ein Schritt nach rechts (bzw.links) mit der Wahrscheinlichkeit p (bzw. 1− p) erfolgt.Gesucht ist

12

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WN (l) =

Wahrscheinlichkeit, den Platz l nach NSchritten vom Startpunkt 0 aus zu erreichen

(Es ist klar, daß bei geraden N auch l gerade sein muß, sonst ist WN (l) = 0.)Offenbar ist

WN (l) = Wahrscheinlichkeit fur

n1 Schritte nach rechtsn2 Schritte nach linksmit n1 + n2 = N, n1 − n2 = l

= PN (n1) = PN

(N + l

2

)

Folglich

WN (l) = N !

(N+l2 )!(N−l

2 )!p

N+l2 (1− p)N−l

2 (1.32)

Bei p = 1/2 bleibt der Schwerpunkt der Verteilung WN (l) bei l = 0; fur p 6= 1/2 istdem Zerfließen der Verteilung noch eine Drift des Schwerpunkts uberlagert.

0

0.05

0.1

0.15

0.2

0.25

4 6 8 10 12 14 16 18 20

WN

(l)

n1

l=2n1-20

N=20, p=0.5

0 2 4 6 8 -8 -6 -4 -2

Abbildung 1.3: Wahrscheinlichkeitsverteilung bei der 1–dim. Zufallsbewegung nach N = 20Schritten (p = 0.5); vgl. auch Abb. (1.1).

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1.3 Poisson–Verteilung

Ein wichtiger Grenzfall der Binomialverteilung ergibt sich fur

N →∞, p→ 0, n = Np = const. (1.33)

Mit der Umformung

PN (n) =N(N − 1) . . . (N − n+ 1)

n!

( n

N

)n (

1− n

N

)N−n

= 1 ·(

1− 1

N

)(

1− 2

N

)

. . .

(

1− n− 1

N

)nn

n!

(1− n

N

)N

(1− n

N

)n

und mit Hilfe von

limN→∞

(

1− x

N

)N= e−x (1.34)

folgt

limN→∞

PN (n) = P (n) = nn

n! e−n Poisson–Verteilung (1.35)

Eigenschaften:Explizit leicht nachrechenbar ist

∞∑

n=0

P (n) = 1;∞∑

n=0

nP (n) = n (1.36)

n2 − n2 = n (1.37)

Die Varianz folgt auch direkt aus (1.31) mit p→ 0.Als relative Abweichung vom Mittelwert erhalt man

√n2−n2

n = 1√n

(1.38)

Fur n≫ 1 wird die Verteilung sehr scharf.

Anwendungen der Poisson–Verteilung:

i) Zahlstatistik bei einer radioaktiven Quelle (vgl. §1.9)Es sei n die mittlere Anzahl von Teilchen, die innerhalb eines Zeitintervalls [0, t]von der Quelle emittiert werden. Das Intervall [0, t] wird in sehr viele Teilin-tervalle der Lange ∆t = t/N mit N ≫ 1 zerlegt. Jedes Teilintervall entsprichteinem Versuch mit der Wahrscheinlichkeit p = n/N = n(∆t/t) ≪ 1 fur dieBeobachtung eines Teilchens. Die Wahrscheinlichkeit, n Teilchen innerhalb derZeit t zu beobachten, folgt der Poisson–Verteilung P (n) = (nn/n!)e−n.

ii) Dichteschwankungen in einem idealen GasEin Behalter mit dem Volumen V enthalte N ≫ 1 Molekule; die mittlere An-zahldichte betragt ρ = N/V . Die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Molekul imTeilvolumen ∆V zu finden, ist p = ∆V/V . Es sei nun ∆V/V ≪ 1. Die Anzahl derMolekule in ∆V unterliegt dann einer Poisson–Verteilung mit n = Np = ρ∆V .Fur n ≫ 1 werden die Dichteschwankungen sehr klein, so daß im Sinne derThermodynamik nur mehr die mittlere Dichte Bedeutung hat.

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iii) Koharente ZustandeEin vollig anders gelagertes Beispiel entstammt der Quantenmechanik. In derTheorie harmonischer Oszillatoren betrachtet man “koharente Zustande”. Siebeschreiben formstabile Wellenpakete, deren Schwerpunkt mit der klassischenEigenfrequenz ω oszilliert.

Bezeichnen a und a+ die Ab– und Aufsteigeoperatoren eines linearen harmoni-schen Oszillators, so sind die koharenten Zustande gegeben durch

|α〉 = e−12|α|2eαa+ |0〉 (1.39)

mit komplexem α. Sie bilden ein ubervollstandiges System. Die Wahrscheinlich-keit, daß gerade n Schwingungsquanten vorliegen, erhalt man durch Projektionauf die stationaren Zustande |n〉,

|〈n|α〉|2 =|α|2n

n!e−|α|2 (1.40)

Diese Wahrscheinlichkeitsverteilung erweist sich als Poisson–Verteilung mit Mit-telwert |α|2. Die Schrodinger–Wellenfunktion 〈x|α(t)〉 eines Teilchens der Mas-se m mit |α(t)〉 = exp(−iHt/~)|α〉 stellt ein minimales Wellenpaket mit demSchwerpunkt xt = 2α

~/2mω cosωt dar (vgl. A. Messiah, QuantenmechanikI, Kap. 12).

15

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1.4 Gauß–Verteilung

Die BedingungenN ≫ 1,p fest, so daß n = Np≫ 1;

1≪ σ =√

n(1− p)≪ n

(1.41) N1

fuhren auf einen weiteren, sehr wichtigen Grenzfall der Binomialverteilung. Umfor-mung von (1.28) fur PN (n); n≫ 1; mit Hilfe der Stirling–Formel

N ! ∼√

2πN

(N

e

)n(

1 +O

(1

N

))

(1.42)

ergibt

PN (n) ≃ 1√2π

exp

(

N +1

2

)

lnN −(

n+1

2

)

lnn−(

N − n+1

2

)

ln(N − n)

+n ln p+ (N − n) ln(1− p)

=

=1√2π

exp

−(

n+1

2

)

lnn

N−(

N − n+1

2

)

lnN − nN

− 1

2lnN

+n ln p+ (N − n) ln(1− p)

Die Variable n wird durch die Abweichung vom Mittelwert ν = n − n ersetzt. Furν ≪ n folgt

lnn

N= ln

(

p+ν

N

)

= ln p+ν

n− 1

2

n

)2+ Terme ∼

n

)3

und deshalb

−(

n+1

2

)

lnn

N+ n ln p ≃ −1

2ln p−

(

n+1

2

n+

1

2

(

n+1

2

)(ν

n

)2

≃ −1

2ln p− ν − 1

2

ν2

n

Dabei wurde ein Term 12(ν/n) vernachlassigt. Beizubehalten jedoch sind die Terme ∼

ν(ν/n), denn die Annahme σ ≫ 1 unterstellt, daß man primar an ν ≫ 1 interessiert ist.Andererseits ist wegen σ ≪ n nur ν ≪ n relevant, so daß die Terme ∼ (ν/n)3 ebenfallsvernachlassigbar sind. Ahnlich bekommt man (am einfachsten durch die Ersetzungn→ N − n; n→ N − n; p→ 1− p; ν → −ν) den Naherungsausdruck

−(

N − n+1

2

)

lnN − nN

+ (N − n) ln(1− p) ≃ −1

2ln(1− p) + ν − 1

2

ν2

N − n

Folglich

PN (n) ≃ 1√2πN

1√

p(1− p)exp

[

−1

2

(1

n+

1

N − n

)

ν2

]

16

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PN

(n)

n

n–n– -σ n– +σ

Abbildung 1.4: Binomialverteilung im Grenzfall (1.41) und Gauß–Verteilung als Einhullende.

oder

PN (n) =1√2πσ

exp

(

−(n− n)2

2σ2

)

(1.43)

Im Kontinuumsgrenzfall geht n uber in die kontinuierliche Variable x:

n→ x, n→ x, PN (n)→ p(x)∆x mit ∆x = 1

Dann entsteht als Wahrscheinlichkeitsdichte die Gauß–Verteilung oder Normal–Verteilung

p(x) = 1√2πσ

exp(

− (x−x)2

2σ2

)

, (1.44)

mit den elementaren Eigenschaften∫ ∞

−∞dx p(x) = 1, (1.45)

∫ ∞

−∞dx x p(x) = x, (1.46)

∫ ∞

−∞dx (x− x)2p(x) = σ2 (1.47)

Charakteristische Funktion der Gauß–Verteilung

ϕ(k) = 〈eikx〉 =

= eikx

∫ ∞

−∞dx eikx 1√

2πσexp(−x2/2σ2)

Folglich ist die charakteristische Funktion, abgesehen vom Phasenfaktor eikx, wiedereine Gauß–Verteilung mit Varianz σ−2 (vgl. die Orts– und Impulsverteilung GaußscherWellenpakete in der Quantenmechanik!),

ϕ(k) = eikxe−k2σ2/2 (1.48) phik

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bzw.〈eik(x−x)〉 = e−

12k2〈(x−x)2〉. (1.49)

Dieses Ergebnis (“Hochziehen” des Mittelwerts in den Exponenten bei Gaußschen Zu-fallsvariablen) erweist sich oft als sehr nutzlich, z. B. bei der Behandlung harmonischerOszillatoren in der Statistischen Mechanik.

Momente der Gauß–Verteilung

O.B. d. A. setzen wir x = 0. Dann gilt fur n = 0, 1, 2 . . .

〈X2n+1〉 = 0 (1.50)

〈X2n〉 =(2n)!

2n · n!〈X2〉n (1.51)

Speziell erhalten wir die oft benutzte Formel 〈X4〉 = 3〈X2〉2.Beweis:

〈X2n〉 = (−1)n∂2nϕ(k)

∂k2n

∣∣∣∣k=0

=

= (−1)n ∂2n

∂k2n

∞∑

n=0

1

m!

(

−σ2

2

)m

k2m

∣∣∣∣∣k=0

=(2n)!

2n · n!σ2n.

Kumulanten

Fur eine beliebige Verteilung p(x) definiert man die Kumulanten Kn durch

〈exp ikX〉 = exp

( ∞∑

n=1

inKn

n!kn

)

(1.52)

Die Kumulanten sind also durch die Koeffizienten in der Potenzreihenentwicklung vonlnϕ(k) bestimmt, die Momente aber durch die von ϕ(k).

Zusammenhang mit den Momenten:

K1 = 〈X〉 (1.53)

K2 = 〈(X − 〈X〉)2〉 = 〈X2〉 − 〈X〉2 (1.54)

K3 = 〈(X − 〈X〉)3〉 = 〈X3〉 − 3〈X〉〈X2〉+ 2〈X〉3 (1.55)

K4 = 〈(X − 〈X〉)4 − 3〈(X − 〈X〉)2〉 (1.56)

usw. Kumulanten Kn fur große n werden in der Praxis manchmal vernachlassigbarklein.

Die wichtige Eigenschaft der Gauß–Verteilung, daß alle hoheren Kumulanten Kn

mit n ≥ 3 verschwinden, folgt aus der Form (k–Abhangigkeit) ihrer charakteristischenFunktion (1.48).

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Mehrdimensionale Gauß–Verteilung

Es sei (vgl. § 1.1)

p(x1, x2, . . . , xN ) dx1 . . . dxN = Pr. . . , xi < Xi < xi + dxi, . . .

O.B. d. A. werde angenommen, daß xi = 0.

Als N–dimensionale Gauß–Verteilung wird definiert

p(x1 . . . , xN ) = (2π)−N/2(detA)1/2 exp

−1

2

N∑

i,j=1

aijxixj

(1.57) px

mit A = (aij); aij = aji. Die Normierbarkeit von p(x1, . . . xN ) verlangt, daß A positivdefinit ist.Es zeigt sich, daß A die Inverse der Korrelationsmatrix ist,

〈XiXj〉 = (A−1)ij (1.58) Xi

Beweis:Man berechnet zunachst die charakteristische Funktion

ϕ(k1, . . . , kN ) =

dx1 . . . dxNei(k1x1+...kNxN )p(x1, . . . , xN ) =

= exp

−1

2

N∑

i,j=1

(A−1)ijkikj

(1.59)

z. B. indem man zunachst A diagonalisiert und dann integriert. Danach folgt

〈X1X2〉 = − ∂2ϕ

∂k1∂k2

∣∣∣∣ki=0

= (A−1)12

usw.Bemerkung: Mit ki = 0 stellt (1.59) das Normierungsintegral zu p(x1, . . . xN ) dar.

Folgerungen

i) Im trivialen Fall 〈XiXj〉 = 0 fur i 6= j folgt, daß A−1 und A diagonal sind, d. h.

p(x1 . . . xN ) =∏N

i=1 pi(xi).Somit finden wir die Faktorisierung der Verteilungsfunktion bei unkorreliertenVariablen bestatigt.

ii) Da die N–dimensionale Gauß–Verteilung vollstandig durch die Großen 〈XiXj〉bestimmt ist, lassen sich beliebige Korrelationen durch 〈XiXj〉 ausdrucken. We-gen xi = 0 sind Mittelwerte der Form 〈X1X2 . . . X2n+1〉 = 0, wahrend 〈X1 . . . X2n〉in Produkte von 〈XiXj〉, summiert uber alle Paarungen der Indizes 1 bis 2n,zerfallt. Die Anzahl der Paarungen ist (2n)!/(2nn!), vgl. (1.51). Beispiel:

〈X1X2X3〉 = 0 (1.60)

〈X1X2X3X4〉 = 〈X1X2〉〈X3X4〉+ 〈X1X3〉〈X2X4〉+ 〈X1X4〉〈X2X3〉. (1.61) X1

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Zum Beweis von (1.61) benutzt man wieder die charakteristische Funktion.

Summe zweier unabhangiger Gauß–verteilter Variablen

Gegeben seien zwei unabhangige Gauß–verteilte Zufallsvariablen Xi (i = 1, 2) mit

〈Xi〉 = xi, 〈X2i 〉 − x2

i = σ2i , 〈X1X2〉 = x1x2

Die Wahrscheinlichkeitsverteilung p(x1, x2) faktorisiert demnach, p(x1, x2) = p1(x1)p2(x2),so daß die charakteristische Funktion zur Summenvariablen

S = X1 +X2 (1.62)

gegeben ist durch

ϕS(k) = 〈eikS〉 =

=

∫ ∫

dx1dx2 p1(x1)p2(x2)eik(x1+x2), (1.63)

Somit faktorisiert die charakteristische Funktion, ϕS(k) = ϕ1(k)ϕ2(k).Explizit erhalten wir

ϕS(k) = eik(x1+x2) exp(−k2(σ21 + σ2

2)/2). (1.64)

Daran liest man ab, daß S Gauß–verteilt ist mit

s = x1 + x2, σ2S = σ2

1 + σ22. (1.65) bars

Analoges gilt fur die Summe mehrerer Gauß–verteilter Variablen, S =∑N

i=1Xi,s =

i xi; σ2S =

i σ2i .

20

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1.5 Zentraler Grenzwertsatz

Es seien X1, . . . , XN unabhangige Zufallsvariablen mit gleicher, aber beliebiger Wahr-scheinlichkeitsdichte p(x), Mittelwert x und Standardabweichung σ = (〈X2

i 〉 − x2)1/2.Untersucht werden soll die Verteilung der Große

S =1√N

N∑

i=1

Xi (1.66) S

Vorbereitend berechnen wir zunachst ihren Mittelwert s und die Streuung σS . Unmit-telbar ergibt sich, daß

s =√N x (1.67)

und

σ2S = 〈S2〉 − s2 =

1

N

N∑

i=1

〈X2i 〉+

N∑

i6=j=1

〈XiXj〉

−Nx2

=1

N(N(σ2 + x2) +N(N − 1)x2)−Nx2

oderσ2

S = σ2. (1.68) sigma

Bemerkungen:

i) Gl. (1.68) fur den Spezialfall gleichartiger Gauß–verteilter Zufallsvariablen redu-ziert sich (fur N = 2) auf (1.65), wenn der Faktor 1/

√N in der Definition von

S nach (1.66) noch berucksichtigt wird.

ii) Die Varianz des arithmetischen Mittels (1/N)∑N

i=1Xi ist wegen (1.68) offen-bar proportional zu 1/N . Diese Tatsache spielt eine zentrale Rolle bei der Be-grundung der Thermodynamik, vgl. etwa die Schwankung der Gesamtenergiepro Molekul eines aus N gleichartigen Molekulen bestehenden idealen Gases.

Der zentrale Grenzwertsatz macht nun eine Aussage uber die Form der Wahrschein-lichkeitsverteilung pS(s) fur N → ∞. Mit Hilfe der charakteristischen Funktion ϕ(k)zu Xi − x berechnen wir die charakteristische Funktion φ(k) zur Variablen S − s:

φ(k) =

dx1 . . .

dxN p(x1) · . . . p(xN ) exp

(

ik√N

N∑

i=1

(xi − x))

=N∏

i=1

dxi p(xi) exp

(

ik√N

(xi − x))

=

[

ϕ

(k√N

)]N

(1.69)

Bei N ≫ 1 wird ϕ(k) nur fur kleine Argumente benotigt. Dabei ist zu beachten, daßdie fur die Verteilung pS(s) relevanten k’s wegen (1.68) von der Großenordnung k ∼

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σ−1S = σ−1, d. h. unabhangig von N sind. Dies wurde durch den Normierungsfaktor

1/√N in (1.66) erreicht. Wir verwenden also die Entwicklung

ϕ(k) = ϕ(0) +1

2

∂2ϕ

∂k2

∣∣∣∣0

· k2 +O(k3) =

= 1− 1

2σ2k2 +O(k3) (1.70)

mit deren Hilfe

φ(k) =

[

1− 1

2σ2

(k√N

)2

+O

(k3

N3/2

)]N

Wegen k ∼ O(1) kann der Term ∼ k3/N3/2 vernachlassigt werden. Fur hinreichendgroße N gilt somit die Approximation

φ(k) ≈ exp

(

−σ2

2k2

)

= exp

(

−1

2σ2

Sk2

)

und deshalb

pS(s) ≈ 1√2πσs

exp

(

−(S − s)22σ2

S

)

(1.71)

Unabhangig von der Form von p(x) erhalt man fur pS(s) eine Gauß–Verteilung. Des-halb sind Gauß–Verteilungen in der Praxis so weit verbreitet.

Beispiele:

i) 1–dimensionale Zufallsbewegung (§1.2)

Die Position nach N Schritten ist RN =∑N

i=1Xi, wobei die Xi Zufallszahlenmit Werten ±1 sind. Fur N ≫ 1 wird RN Gauß–verteilt.

ii) Fehlerrechnung (Verteilung des Mittelwerts aus N Messungen)

iii) Plausibilitatsbetrachtung zur Maxwell–Verteilung:

Aufaddition der Impulsubertrage ~pi bei N Stoßen eines Molekuls mit anderenMolekulen ergibt einen Gauß–verteilten Gesamtimpuls ~p =

∑Ni=1 ~pi.

Der zentrale Grenzwertsatz laßt sich verallgemeinern auf Verteilungen p(x), derenzweites Moment nicht existiert. Es sei wieder ϕ(k) die gemeinsame charakteristischeFunktion zu den Variablen Xi − x, von der wir die asymptotische Form

ϕ(k) ≃ 1− a|k|µ; 0 < µ < 2 (1.72) varphi

fur k → 0 annehmen (a > 0). Betrachtet wird hiermit eine ganze Klasse von Ver-teilungen, charakterisiert durch den Parameter µ. Wir beschranken uns jedoch aufden Fall symmetrischer Verteilungen. Gestellt wird die Frage nach der Verteilung vonSummenvariablen im Grenzfall N →∞. Dazu setzen wir

S = N−1/µN∑

i=1

Xi (1.73) S2

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und berechnen analog zu (1.69) die charakteristische Funktion φ(k) zu S − s, wobeis = N−1/µx,

φ(k) =N∏

i=1

dxi p(xi) exp(ikN−1/µ(xi − x))

=[

ϕ(kN−1/µ)]N≃[

1− a

N|k|µ

]N

≃ exp(−a|k|µ) (1.74)

Fur k → 0 besitzt dieser Ausdruck dieselbe Asymptotik wie (1.72). Die zugehorigeVerteilung ist die Levy–Verteilung p(s, a, µ), deren Abhangigkeit von den Parameterna und µ wir explizit zum Ausdruck bringen. O.B.d.A. setzen wir x = s = 0, so daß

p(s, a, µ) =1

π

∫ ∞

0dk cos sk e−a|k|µ (1.75)

Offenbar besitzt die Levy–Verteilung die “Skaleneigenschaft”

p(s, a, µ) = a1/µp( s

a1/µ, 1, µ

)

(1.76)

Fur große s verhalt sie sich fur µ < 2 asymptotisch wie

p(s, a, µ) ∼ const.|s|−1−µ; s→∞ (1.77)

Dieser langsame Abfall mit s hat zur Folge, daß das 2. Moment divergiert. Speziellfur µ = 1 erhalt man eine Lorentz–Verteilung, p(s, a, 1) ∝ (s2 + a2)−1, wahrendim Grenzfall µ = 2 (1.69) auf die Gauß–Verteilung zuruckfuhrt. Levy–Verteilungeneinschließlich der Normalverteilung (µ = 2) sind “stabil” in dem Sinne, daß die Summe(1.73) fur N ≫ 1 derselben Verteilung gehorcht wie die Ausgangsvariablen Xi.

Auf Levy–Verteilungen fuhren die “Levy–walks”, die im Gegensatz zur GaußschenZufallsbewegung durch eine Verteilung der Sprungweiten r proportional zu r−(µ+1)

charakterisiert sind. Solche Sprungbewegungen wurden z. B. in 2–dimensionalen, tur-bulent bewegten Flussigkeiten nachgewiesen, vgl. J. Klafter et al., Physics Today 49,33 (1996). Die zeitlichen Inkremente von Aktienkursen unterliegen, wie empirisch fest-gestellt, in guter Naherung Levy–Verteilungen mit Werten µ zwischen 1 und 2 (sofernman von Extremausschlagen absieht), vgl. R.N. Mantegna, H.E. Stanley, Nature 376,46 (1995).

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1.6 Stochastische Prozesse

Aufgrund unserer Unkenntnis der mikroskopischen Dynamik eines Systems liefert dieMessung einer durch viele mikroskopische Freiheitsgrade bestimmten Observablen Xim allgemeinen eine “zufallige Funktion” der Zeit, X(t). Unter gleichen makrosko-pischen Bedingungen wiederholte Messungen ergeben unterschiedliche Zeitverlaufe,d. h. unterschiedliche Realisierungen von X(t). Somit stellt X(t) fur jede Zeit t eineZufallsvariable dar, die einer zeitabhangigen Wahrscheinlichkeitsverteilung W1(x, t)unterliegt. Die Funktion W1(x, t) genugt aber nicht zur vollstandigen Charakterisie-rung von X(t). Wenn etwa eine Beobachtung zur Zeit t den Meßwert x ergibt, so wirdim allgemeinen die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Meßwerte zur Zeit t + τ von xabhangen. Nach hinreichend kurzer Zeit τ wird man mit hoher WahrscheinlichkeitMeßwerte in der Nahe von x finden, wahrend fur große τ , d. h. τ groß gegenuber einertypischen “Korrelationszeit”, die Erinnerung an x erlischt. Eine in dieser Weise durchW1(x, t) und durch alle moglichen zeitlichen Korrelationen charakterisierte zufalligeFunktion X(t) nennt man einen stochastischen Prozeß oder Zufallsprozeß. Abb. (1.5)veranschaulicht die Zeitentwicklung der Funktion W1(x, t) und eine bestimmte Reali-sierung des Prozesses mit dem Meßwert x0 bei t0. In der Beschreibung der Dynamikvon Vielteilchensystemen in Physik, Chemie oder Biologie, insbesondere der Dynamikauf mesoskopischer Skala, spielen stochastische Prozesse eine zentrale Rolle, daruberhinaus aber auch in anderen Wissensgebieten (Wetter, Okonometrie etc.).

0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

x0

t 0 t

x

Abbildung 1.5: Veranschaulichung eines stochastischen Prozesses. Die Graustufen zu festemt stellen die FunktionW1(x, t) dar. Die durchgezogene Kurve zeigt eine bestimmte Realisierungmit dem Meßwert x0 bei t0. Korrelationen spiegeln sich wider in der Art der Veranderung derGraustufen mit t.

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Mathematische Beschreibung

Ein kontinuierlicher stochastischer Prozeß X(t) wird durch einen Satz von Funktionenbeschrieben:

W1(x1, t1) Wahrscheinlichkeitsdichte zur Zeit t1W2(x2, t2;x1, t1) Dichte der Verbundwahrscheinlichkeit

W2(x2, t2;x1t1)dx1dx2

= Prx2 < X(t2) < x2 + dx2; x1 < X(t1) < x1 + dx1Wn(xn, tn;xn−1, tn−1; . . . x1, t1) n–fache Dichte

(1.78)Die Funktionen Wn sind symmetrisch bezuglich Vertauschung von Paaren (xi, ti).

Zusammenhang zwischen den Funktionen Wn:∫

dx1W1(x1, t1) = 1 (1.79)

dx2W2(x2, t2; x1, t1) = W1(x1, t1); usw. (1.80) intdx

Stationare Prozesse

W1(x1, t1) =: W1(x1, 0) ≡W1(x1) unabhangig von t1 (1.81)

W2(x2, t2; x1, t1) = W (x2, t2 − t1; x1, 0) (1.82)

Der allgemeine Ausdruck fur die Unabhangigkeit vom Zeitursprung ist (τ beliebig):

Wn(xn, tn; . . . x1, t1) = Wn(xn, tn + τ ; . . . x1, t1 + τ) (1.83)

Bedingte Wahrscheinlichkeiten

Es sei tn ≥ tn−1 ≥ . . . ≥ t1 und

Wn(xn, tn|xn−1, tn−1; . . . x1, t1) :=Wn(xn, tn; . . . x1, t1)

Wn−1(xn−1, tn−1; . . . x1, t1). (1.84) Wn

Dieser Ausdruck definiert die Wahrscheinlichkeitsdichte zur Zeit tn unter der Bedin-gung, daß X(tn−1) = xn−1; . . . X(t1) = x1.

Klassifikation stochastischer Prozesse

i) Unabhangige ProzesseBei diesem einfachsten Typ ist die Verteilung der Meßwerte unabhangig von derVorgeschichte, d. h.

Wn(xn, tn| . . .) = W1(xn, tn) (1.85)

ist unabhangig von (xn−1, tn−1), . . ..W1(x1, t1) enthalt die gesamte Information uber den Prozeß.

ii) Markoff–ProzesseDie gesamte Information uber diese nachsteinfachen, besonders wichtigen Pro-zesse ist in W1 und in der Ubergangswahrscheinlichkeit

Wn(xn, tn|xn−1, tn−1; . . . x1, t1) =: w(xn, tn|xn−1, tn−1) (1.86)

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enthalten, die unabhangig von (xn−2, tn−2) usw. ist. Gleichung (1.84) fur n = 2lautet hiermit

W2(x2, t2;x1, t1) = w(x2, t2|x1, t1)W1(x1, t1). (1.87)

Wegen (1.80) erfullt die Ubergangswahrscheinlichkeit

dx2 w(x2, t2|x1, t1) = 1. (1.88)

Fur gleiche Zeitargumente ist

w(x2, t1|x1, t1) = δ(x2 − x1). (1.89)

Stationare Markoff-Prozesse

Die Ubergangswahrscheinlichkeit hangt im stationaren Fall nur von der Zeitdif-ferenz ab,

w(x2, t2|x1, t1) = w(x2, t2 − t1|x1, 0) =: w(x2, t2 − t1|x1). (1.90)

Chapman-Kolmogorov-Gleichung

Es sei t3 ≥ t2 ≥ t1.Wird fur einen Markoff–Prozeß (1.84) fur n = 3 und n = 2 kombiniert,

W3(x3, t3;x2, t2;x1, t1) = w(x3, t3|x2, t2)w(x2, t2|x1, t1)W1(x1, t1) (1.91) W3

und schließlich uber x2 integriert, so ergibt sich nach Division durch W1(x1, t1)die Integralgleichung

w(x3, t3|x1, t1) =

dx2w(x3, t3|x2, t2)w(x2, t2|x1, t1). (1.92) integral

Die Ubergangswahrscheinlichkeit von 1 nach 3 laßt sich hiermit darstellen alsProdukt der Ubergangswahrscheinlichkeiten von 1 in einen Zwischenzustand 2und derjenigen von 2 nach 3, integriert uber alle Zwischenzustande.

Markoffsche Ketten

Markoff–Prozesse fur eine diskrete stochastische Variable (mogliche Meßwertexl) und diskrete Zeitschritte tn = nτ nennt man Markoffsche Ketten.Es sei w(l|l′) := w(xl, τ |xl′) die Ubergangswahrscheinlichkeit fur einen elemen-taren Zeitschritt τ , wobei wir den stationaren Fall annehmen. Dann erfullt dieUbergangswahrscheinlichkeit fur n Zeitschritte wn(l|l′) := w(xl, nτ |xl′) nach derChapman–Kolmogorov–Gleichung die Rekursionsformel

wn(l|l′) =∑

l′′

w(l|l′′)wn−1(l′′|l′) (1.93) wn

mit der Anfangsbedingung w0(l|l′) = δl,l′ . Die Normierung

l

w(l|l′) = 1 (1.94)

26

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garantiert∑

l wn(l|l′) = 1 fur alle n. In Matrixschreibweise, mit Wn = (wn(l|l′)),W1 ≡W, lautet (1.93)

Wn = WWn−1; W0 = 1 (1.95)

mit der LosungWn = (W)n (1.96)

iii) Nicht–Markoff–ProzesseZur Beschreibung von Nicht–Markoff–Prozessen benotigt man hohere bedingteWahrscheinlichkeiten. Solche komplizierteren Prozesse lassen sich unter Umstan-den durch Einfuhrung mehrkomponentiger Variablen auf Markoff–Prozesse zu-ruckfuhren.

Ob in einem physikalischen System ein bestimmter Prozeß als Markoff–Prozeßangesehen werden kann, hangt in der Regel von der zugrundegelegten Zeits-kala ab. Zum Beispiel laßt sich die Bewegung eines makroskopischen Teilchensin einem Gas als Markoff–Prozeß auffassen, wenn man den Prozeß mit einerZeitauflosung ∆t verfolgt, die groß ist verglichen mit der mittleren molekularenStoßzeit τcoll. Betrachtet man denselben Vorgang mit einer Zeitauflosung von∆t < τcoll, so ist eine Beschreibung als Markoff–Prozeß sicher nicht moglich.Anhand konkreter Beispiele kommen wir spater an verschiedenen Stellen aufdiese Frage zuruck.

27

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1.7 Zeitliche Korrelationsfunktion, Spektralzerlegung

Mittelwerte, Momente, charakteristische Funktionen und Kumulanten werden fur sto-chastische Prozesse analog §1.1 definiert, z. B.

〈X(t)〉 =

dxW1(x, t)x. (1.97)

Besonders wichtig ist die Korrelationsfunktion

〈X(t1)X(t2)〉 = 〈X(t2)X(t1)〉 =

=

∫ ∫

dx1dx2W2(x2, t2;x1, t1)x1x2 (1.98)

Nehmen wir t2 als das großere Zeitargument (t2 ≥ t1), so konnen wir schreiben

〈X(t2)X(t1)〉 =

∫ ∫

dx1dx2 x2w(x2, t2|x1, t1)x1W (x1, t1) (1.99) XX

Fur gleiche Zeiten ist naturlich 〈X(t1)X(t1)〉 = 〈X2(t1)〉; wegen w(x2, t1|x1, t1) =δ(x2 − x1) reduziert sich (1.99) auf den Mittelwert von X2(t1).

Stationarer Fall:

Der Mittelwert ist zeitunabhangig

〈X(t)〉 = 〈X(0)〉

und〈X(t1)X(t2)〉 = 〈X(t1 − t2)X(0)〉 ≡ C(t1 − t2)

Im stationaren Fall besitzt die durch C(t) bezeichnete Korrelationsfunktion die Ei-genschaften

i) Aus (1.98) folgtC(t) = C(−t). (1.100)

ii) Weiterhin giltC(0) ≥ |C(t)| (1.101)

Beweis:

0 ≤ 〈(X(t)±X(0))2〉 = 〈(X(t))2〉+ 〈(X(0))2〉 ± 2〈X(t)X(0)〉 =

= 2(C(0)± C(t)) q.e.d.

iii) Haufig erlischt aus physikalischen Grunden das Gedachtnis fur t→∞. Dann ist

limt→∞

w(x2, t|x1) = W1(x2) (1.102) limw

und folglichlimt→∞

C(t) = 〈X〉2 (1.103)

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0

C(t)

⟨X2⟩

⟨X⟩2

τc t

Abbildung 1.6: Schematischer Verlauf der Korrelationsfunktion C(t).

Abb. (1.6) zeigt den schematischen Verlauf von C(t), dem naturlich noch Oszillationenuberlagert sein konnen. Die typische Zerfallszeit, die Korrelationszeit τc, kann z. B.definiert werden durch

τc =1

C(0)− C(∞)

∫ ∞

0dt (C(t)− C(∞)) (1.104)

Ergodenhypothese:

Betrachtet wird ein stationarer stochastischer Prozeß X(t). Die Ergodenhypothesebesteht in der Annahme, daß fur jede einzelne Realisierung x(t) (“Trajektorie”) dergemessene Zeitmittelwert x gleich dem zu einer festen Zeit gewonnenen Ensemblemit-telwert ist:

x = limT→∞

1

2T

∫ T

−Tdt x(t) =

∫ ∞

−∞dxxW1(x) (1.105)

In Bezug auf reale physikalische Systeme ist fur die Gultigkeit die Annahme hinrei-chend, daß im Laufe der Zeit die fur das Ensemble relevanten Mikrozustande durch-laufen werden.

Ergodizitat wird ublicherweise postuliert. Ein bekanntes Beispiel nicht–ergodischenVerhaltens ist der Glaszustand, der durch Einfrieren aus einer unterkuhlten Flussigkeitheraus entsteht. Ohne daß eine gebrochene Symmetrie vorliegt, verlieren die Molekuledie Fahigkeit, den gesamten Konfigurationsraum zu explorieren.

Spektralzerlegung

Betrachtet wird ein Meßsignal x(t), welches sich als Realisierung eines stationaren sto-chastischen Prozesses auffassen laßt. Wahrend einer genugend langen Meßdauer 2Twird das Signal durch ein schmales Frequenzfilter beobachtet. Die gemessene Intensitatist durch die spektrale Dichte S(ω) gegeben. Sie wird definiert durch die Fourierzerle-gung des Signals x(t) gemaß:

xT (t) ≡x(t) falls |t| < T0 sonst

(1.106) xT

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x(ω, T ) ≡∫ ∞

−∞dt eiωtxT (t) =

∫ T

−Tdt eiωtx(t) (1.107)

Falls x(t) reell, gilt x(ω, T ) = x∗(−ω, T ). Als spektrale Dichte bezeichnet man

S(ω) = 12π lim

T→∞1

2T |x(ω, T )|2 (1.108)

mit S(ω) = S(−ω).

Wiener-Khinchin-Theorem

Die als Zeitmittelwert definierte Korrelationsfunktion x(t)x(0) des Signals x(t) ist ge-geben durch:

x(t)x(0) = limT→∞

1

2T

∫ ∞

−∞dt′ xT (t+ t′)xT (t′) =

= limT→∞

1

2T

∫ ∞

−∞

∫ ∞

−∞

dω′

2πx∗(ω, T )x(ω′, T )

∫ ∞

−∞dt′ eiω(t+t′)e−iω′t′

= limT→∞

1

2T

∫ ∞

−∞

2πeiωt|x(ω, T )|2 =

∫ ∞

−∞dω eiωtS(ω) (1.109)

Die Gultigkeit der Ergodenhypothese vorausgesetzt gilt dies fur jede Realisierung desProzesses X(t), so daß die Korrelationsfunktion auf der l.S. von (1.109) gemaß (1.106)als Ensemble–Mittelwert mit Hilfe der Verbundwahrscheinlichkeit W2(x2, t;x1, 0) aus-gedruckt werden kann. Folglich

S(ω) = 12π

∫∞−∞ dt e−iωt〈X(t)X(0)〉 (1.110)

d.h. die Meßgroße S(ω) ist die Fouriertransformierte der zeitlichen Korrelationsfunk-tion (gemaß (1.98)) des Prozesses X(t).Wegen 〈X(t)X(0)〉 = 〈X(−t)X(0)〉 kann man auch schreiben

S(ω) =1

π

∫ ∞

0dt cosωt 〈X(t)X(0)〉. (1.111)

Die gesamte Intensitat, der Zeitmittelwert von (x(t))2, ist durch das Integral von S(ω)uber den gesamten Spektralbereich gegeben:

〈X2〉 = limT→∞

1

2T

∫ ∞

−∞dt x2

T (t) =

∫ +∞

−∞dω S(ω). (1.112)

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1.8 Gaußsche Zufallsprozesse

Gaußsche Zufallsprozesse sind dadurch charakterisiert, daß die FunktionenWn(xn, tn; . . . x1, t1) durch n–dimensionale Gaußverteilungen gegeben sind.

Wir beschranken uns auf stationare Prozesse mit x = 0.Dann ist fur n = 1:

W1(x) =1√2πσ

exp(−x2/2σ2) (1.113)

Zur Konstruktion von W2 benotigt man neben σ die Korrelationsfunktion

〈X(t)X(0)〉 ≡ σ2ρ(t) (1.114)

wobei ρ(0) = 1. Die zur Korrelationsmatrix inverse Matrix A hat die Gestalt (vgl.(1.58))

A =

[

σ2

(1 ρρ 1

)]−1

=1

σ2(1− ρ2)

(1 −ρ−ρ 1

)

(1.115)

mit (detA)−1 = σ4(1− ρ2). Nach (1.57) hat W2 die Form

W2(x2, t2;x1, t1) =1

1

σ2√

1− ρ2exp

[

− 1

2σ2(1− ρ2)(x2

1 − 2ρx1x2 + x22)

]

(1.116)

wobei ρ ≡ ρ(t2 − t1). Die hoheren Wn’s sind ebenfalls durch σ2 und ρ(t) bestimmt.

Beispiele :

i) Ornstein-Uhlenbeck Prozeß

Betrachtet wird ein stationarer Gaußscher Prozeß mit ρ(t) = e−γt. Die Uber-gangswahrscheinlichkeit ist, wie sich leicht nachrechnen laßt, gegeben durch

w(x, t|x0) =W2(x, t;x0, 0)

W1(x0)=

1√2π

1

σ√

1− e−2γtexp

[

− (x− x0e−γt)2

2σ2(1− e−2γt)

]

(1.117)Man erhalt also die Form einer Gauß–Verteilung mit zeitlich gegen Null relaxie-rendem Mittelwert und anwachsender Varianz. Grenzfalle:t→ 0:

Wir setzen 1− e−2γt ≃ 2γt und σ2 · 2γt ≡ ǫ. Dann folgt

w(x, t→ 0|x0) ≃ limǫ→0

1√2π

1√ǫ

exp

(

−(x− x0)2

)

= δ(x− x0)

t→∞:

Offensichtlich ist limt→∞w(x, t|x0) = W1(x) erfullt, vgl. (1.102).Abb. (1.7) zeigt schematisch das Zeitverhalten von w(x, t|x0). Wird x mit ei-ner Geschwindigkeitskomponente von Gasmolekulen identifiziert, so beschreibtw(x, t|x0) naherungsweise den Thermalisierungsprozeß aus einer anfanglich schar-fen Geschwindigkeitsverteilung durch Stoße, siehe auch § 2.2.

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0 x0

w(x

,t|x 0

)

t=∞ t > 0t = 0

x

Abbildung 1.7: Ubergangswahrscheinlichkeit fur einen Ornstein-Uhlenbeck Prozeß bei ver-schiedenen Zeiten.

Theorem von Doob:

Notwendig dafur, daß ein stationarer Gaußscher Prozeß in einer Variablen X(t)die Markoff–Eigenschaft besitzt, ist eine exponentiell zerfallende Korrelations-funktion,

ρ(t) = 〈X(t)X(0)〉/〈X2〉 = e−γt (1.118)

Dies wird durch den Ornstein–Uhlenbeck Prozeß erfullt.Beweis:Man stellt W3 als 3–dimensionale Gauß–Verteilung (vgl. (1.57)) durch σ2 undρ(t) dar und uberzeugt sich, daß die Chapman–Kolmogorov–Gleichung (1.92)die Bedingung ρ(t3− t1) = ρ(t3− t2)ρ(t2− t1) verlangt. Dies ist die Funktional-gleichung fur die Exponentialfunktion.

ii) Wiener–Prozeß

Der Wiener–Prozeß ist ein nicht–stationarer Gaußscher Prozeß mit der Uber-gangswahrscheinlichkeit

w(x, t|x0, t0) =1

4πD(t− t0)exp

(

− (x− x0)2

4D(t− t0)

)

(1.119) wxt1

Eine Gauß–VerteilungW1(x0, t0) mit der Varianz σ20 wird durch (1.119) uberfuhrt

in eine Gaußverteilung W1(x, t) mit der Varianz σ2 = 2D(t− t0)+σ20. Setzt man

σ20 = 2Dt0 so ergibt sich σ2 = 2Dt. Der Wiener–Prozeß beschreibt freie Diffusi-

onsvorgange, vgl. § 2.

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1.9 Poisson-Prozeß, Schroteffekt

Auf der Zeitachse werden zufallige Zeitpunkte ti herausgegriffen. Dazu wird die Zeitach-se in sehr kleine Intervalle der Lange ∆t unterteilt. Die Intervalle werden unabhangigvoneinander mit der Wahrscheinlichkeit p = λ∆t≪ 1 mit einem der auszuwahlendenZeitpunkte belegt. Ein Zeitintervall der Lange t enthalt dann im Mittel n = λt Punk-te.Eine zufallige Folge von Impulsen wird durch den Prozeß

Y (t) =∑

i

δ(t− ti) (1.120) Y

beschrieben. Der Prozeß (mit diskretem Wertevorrat)

X(t)−X(0) =

∫ t

0dt′ Y (t′) (1.121) Xt

welcher die Anzahl n der Impulse im Intervall [0, t] angibt, heißt Poisson–Prozeß, vgl.Abb. (1.8).

Verteilungsfunktion zu X(t)−X(0):Die Wahrscheinlichkeit, im Intervall [0, t] n Impulse zu finden, ist nach Konstruktiondurch die Poisson–Verteilung mit n = λt gegeben (vgl. § 1.3),

PrX(t)−X(0) = n =(λt)n

n!e−λt (1.122)

Die Verbundwahrscheinlichkeiten sind dadurch festgelegt, daß die Impulszahlen in sichnicht uberlappenden Intervallen voneinander unabhangig sind.Offenbar

〈X(t)−X(0)〉 ≡ n = λt (1.123)

0

t

X(t) t

Y(t)

1 - 2 - 3 - 4 - 5 -

Abbildung 1.8: Darstellung der Prozesse Y (t) (1.120) und X(t) (1.121).

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so daß

〈Y (t)〉 ≡ y =d

dt〈X(t)−X(0)〉 = λ (1.124)

Wegen n2 − n2 = n folgt

〈(X(t)−X(0))2〉 = (λt)2 + λt. (1.125) lXt

Diese Große kann man durch die Korrelationsfunktion 〈Y (t)Y (0)〉 ausdrucken, vgl.Abb. (1.9):

〈(X(t)−X(0))2〉 =

∫ t

0dt′∫ t

0dt′′ 〈Y (t′)Y (t′′)〉

= 2

∫ t

0dt′∫ t′

0dt′′ 〈Y (t′)Y (t′′)〉

= 2

∫ t

0dt′∫ t′

0dτ 〈Y (τ)Y (0)〉 = 2

∫ t

0dt′∫ t

0dτ Θ(t′ − τ)〈Y (τ)Y (0)〉

wobei

Θ(x) =

1 x > 0fur

0 x < 0(1.126)

Nach Ausfuhrung der t′–Integration verbleibt

〈(X(t)−X(0))2〉 = 2

∫ t

0dτ(t− τ)〈Y (τ)Y (0)〉 (1.127) lXtX

Differentiation nach t ergibt mit (1.125)

2λ2t+ λ = 2

∫ t

0dτ〈Y (τ)Y (0) (1.128)

t |

||t τ = const.=t || t |-

t

t0

Abbildung 1.9: Integrationsgebiet in der (t′′, t′)–Ebene bei der Berechnung von〈(X(t)−X(0))2〉.

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Da die l.S. fur t→ 0 nicht verschwindet, muß 〈Y (τ)Y (0)〉 einen Beitrag λδ(τ) enthalten(wobei fur δ(τ) symmetrische Darstellungen zu benutzen sind). Somit erhalt man

〈Y (t)Y (0)〉 = λ2 + λδ(t)

oder〈(Y (t)− y)(Y (0)− y)〉 = λδ(t)

Die Fluktuationen von Y (t)− y besitzen also ein “weißes”, d. h. ω–unabhangiges Spek-trum:

S(ω) =1

∫ +∞

−∞dt e−iωt〈(Y (t)− y)(Y (0)− y)〉 =

λ

Beispiele:

i) Radioaktiver Zerfall (vgl. § 1.3)

ii) SchroteffektDurch Gluhemission oder beim Photoeffekt werden Elektronen (Ladung e) un-abhangig voneinander aus einer Kathode abgelost. Der Elektronenstrom hat dieForm

I(t) = e∑

i

δ(t− ti) (1.129)

mit einer zufalligen Folge von Zeitpunkten ti. Wenn der mittlere Strom gleichI = en/t = eλ ist, so ergibt sich fur das Spektrum der StromschwankungenI(t)− I,

S(ω) = e2λ/2π = eI/2π (1.130)

Das Spektrum ist frequenzunabhangig und proportional zu I (“weißes Schro-trauschen”).

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Kapitel 2

Langevin–Theorie derBrownschen Bewegung

2.1 Diffusion und Beweglichkeit, Nernst–Einstein Rela-tion

Unter dem Begriff “Brownsche Bewegung” faßt man Phanomene zusammen, die durchstochastische Modelle der in § 2.2ff. und § 3 dargestellten Art beschrieben werden. Imweitesten Sinne handelt es sich um zeitlich und raumlich kontinuierliche Diffusions-vorgange. Zur Einfuhrung einiger elementarer Begriffe betrachten wir das Beispiel derDiffusion kleiner Teilchen, die mit hinreichender Verdunnung in einem Losungsmittelsuspendiert sind. In einem homogenen Medium bewegen sich die Teilchen im Mittelso, daß Dichteunterschiede ausgeglichen werden. Im Rahmen der elementaren Theo-rie der Diffusion geht man davon aus, daß eine raumlich veranderliche Teilchendichten(~r, t) eine Diffusionsstromdichte

~jD(~r, t) = −D~∇n(~r, t) (2.1)

erzeugt (Ficksches Gesetz). Der Proportionalitatsfaktor D ist die Diffusionskonstante.In Verbindung mit der Kontinuitatsgleichung

∂n(~r, t)

∂t+ ~∇~jD(~r, t) = 0 (2.2)

ergibt sich die Diffusionsgleichung

∂n(~r,t)∂t = D∆n(~r, t) (2.3)

In einem unendlich ausgedehnten Medium fuhrt die Anfangsbedingung n(~r, 0) = δ(~r)auf

n(~r, t) = (4πDt)−3/2e−r2/4Dt, (2.4)

vgl. Abb. (2.1). Das mittlere Verschiebungsquadrat wachst proportional zur Zeit. Ind = 3 Dimensionen gilt

〈r2(t)〉 = 6Dt. (2.5) rt

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0

n(r,

t)

r

⟨r2(t)⟩1/2=(6Dt)1/2

t > 0

t = 0

Abbildung 2.1: Zeitliche Entwicklung des Dichteprofils unabhangiger, kraftefreier Brown-scher Teilchen.

Wird auf die suspendierten Teilchen der Masse m eine Kraft ~K ausgeubt, so stelltsich eine systematische Bewegung mit einer mittleren Driftgeschwindigkeit ~v ein, dieder Differentialgleichung

m~v +mγ~v = ~K (2.6) mv

genugt. Dabei wurde eine zu ~v proportionale Reibungskraft angenommen; γ bezeichnetdie Reibungskonstante. Fur eine Kugel mit Radius R, die sich mit der Geschwindigkeit~v durch eine Flussigkeit mit der Scherviskositat η bewegt, ist die Reibungskraft nachder Formel von Stokes gleich −6πRη~v (bei haftenden Randbedingungen).

Im stationaren Fall (~v = 0) erhalten wir

~v = µ ~K (2.7) v

Die Proportionalitatskonstante µ in dieser linearen Beziehung zwischen Driftgeschwin-digkeit und Kraft heißt Beweglichkeit, fur die wir aus (2.6)

µ =1

mγ(2.8) mu1

erhalten.

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Nernst-Einstein-Beziehung

Zwischen der Diffusionskonstanten D und der Beweglichkeit µ besteht ein wichtigerZusammenhang, der sich nach Einstein folgendermaßen elementar begrunden laßt.Findet die Diffusion in einem außeren Potential V (~r) statt, so stellt sich ein Gesamt-strom ~j = ~jD +~jFeld ein, bestehend aus dem Diffusionsstrom ~jD und dem “Feldstrom”~jFeld = n~v = nµ ~K, wobei ~K = −~∇V . Im Gleichgewicht muß der Gesamtstrom ver-schwinden, vgl. Abb. (2.2), d. h.

−D~∇n+ nµ ~K = 0, (2.9) DN

Andererseits gilt im Gleichgewicht die Boltzmann–Verteilung,

neq(~r) = const. e−βV (~r). (2.10) neq

(2.9) mit (2.10) ist dann erfullt, wenn zwischen µ und D die Nernst-Einstein-Relationbesteht,

µ = DkBT (2.11) mu

Sie verknupft die Beweglichkeit, die eine Eigenschaft im Nichtgleichgewicht darstellt,mit der Diffusionskonstanten D, einer Transportgroße im Gleichgewicht. Eine allge-meinere Herleitung von (2.11) findet sich in § 3.2.

Unter Verwendung der Nernst–Einstein–Relation gewinnt die Kontinuitatsglei-chung ∂n/∂t+ ~∇(~jD +~jFeld) = 0 die Form

∂n∂t = D~∇(~∇− β ~K)n. (2.12)

Diese Gleichung, die auch als Smoluchowski–Gleichung bekannt ist (vgl. § 3.3), be-schreibt getriebene Diffusionsvorgange.

V(x)

jFeld neq(x)

jDiff

x

Abbildung 2.2: Illustration der gegenseitigen Kompensation von Diffusionsstrom und Feld-strom im Gleichgewicht.

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2.2 Die Langevin-Gleichung

Die genaue Beobachtung von Teilchen mesoskopischer Abmessungen in einem Losungs-mittel laßt eine irregulare Bewegung erkennen. Diese Brownsche Bewegung wird durchdie standig erfolgenden Stoße mit Flussigkeitsmolekulen aufrechterhalten. Ein Brown-sches Teilchen erfahrt enorm viele Stoße pro Sekunde. Bei zufalliger Haufung vonStoßen aus einer bestimmten Richtung wird die Bewegungsrichtung des Teilchens et-was geandert; es entsteht eine irregulare Trajektorie, zu deren Beschreibung sich einestochastische Theorie anbietet. Es stellt sich heraus, daß diese Theorie weit uber dasklassische Problem der Diffusion kleiner Teilchen hinaus von Bedeutung ist. Ganz ver-schiedenartige Probleme, bei denen thermische Fluktuationen eine wesentliche Rollespielen, lassen sich mit Hilfe der Theorie der Brownschen Bewegung behandeln. Dazugehoren Diffusionsvorgange in Festkorpern, diffusionsbedingte chemische Reaktionen,dynamische Eigenschaften von Makromolekulen (z. B. Polymere), die kritische Dyna-mik bei Phasenubergangen, etc. Außerdem nimmt die Struktur der Theorie wesentlicheZuge moderner mikroskopischer Theorien im Bereich der Statistischen Mechanik irre-versibler Prozesse (Zwanzig–Mori–Theorie) vorweg.Ausgangspunkt der einfachsten stochastischen Theorie der Brownschen Bewegung istdie Langevin–Gleichung. Sie beruht auf der Annahme, daß sich die gesamte Kraft aufdas Brownsche Teilchen in einen systematischen Anteil, der zur Geschwindigkeit ~vproportionalen Reibungskraft −mγ~v (vgl. (2.6)) und in eine von der Geschwindigkeit~v unabhangige Zufallskraft ~f(t) additiv zerlegen laßt. Von einer zusatzlichen außerenKraft wollen wir vorerst absehen, vgl. jedoch § 3.3. Die Langevin–Gleichung fur einungebundenes Brownsches Teilchen besitzt dann die Form

m~v +mγ~v = ~f(t) (2.13)

Die Zufallskraft ~f(t) wird durch folgende Annahmen festgelegt:

i) ~f(t) ist ein stationarer Gaußscher Prozeß.Da ~f(t) das Ergebnis sehr vieler einzelner Stoße mit Flussigkeitsmolekulen ist,wird diese mathematisch bequeme Annahme durch den zentralen Grenzwertsatznahegelegt.

ii) Der Mittelwert der Zufallskraft verschwindet,

〈~f(t)〉 = 0 (2.14)

d. h., daß die auf das Brownsche Teilchen wirkende Kraft im Mittel gleich derReibungskraft ist.

iii) Die Zufallskraft variiert sehr rasch im Vergleich zur Zeitauflosung der Messung.Ihre Korrelationszeit ist verschwindend klein verglichen mit Zeiten, innerhalb de-ren sich ~v(t) merklich andert. Deshalb wird die Korrelationsfunktion der Kompo-nenten fα(t); α = 1, . . . 3, “δ–artig” angenommen, entsprechend einem “weißen”Spektrum:

〈fα(t)fβ(0)〉 = 2mγkBTδ(t)δαβ α, β = 1, . . . 3 (2.15) fa

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Wie anschließend gezeigt wird, folgen die ubrigen Faktoren in (2.15) zwangslaufigaus dem Gleichverteilungssatz der Statistischen Mechanik des Gleichgewichts,wonach 〈vαvβ〉eq = δαβkBT/m. (2.15) wird gelegentlich als “2. Fluktuations–Dissipationstheorem” bezeichnet.

Mit den Annahmen i) bis iii) sind alle Momente von ~f(t) festgelegt. UngeradeMomente verschwinden, wahrend gerade Momente sich nach den fur GaußscheProzesse gultigen Regeln (§ 1.4) auf (2.15) zuruckfuhren lassen. Den so charak-terisierten Prozeß ~f(t) bezeichnet man als “Gaußsches weißes Rauschen”.

iv) Die Geschwindigkeit ~v(t0) ist aus Grunden der Kausalitat mit der Zufallskraft~f(t′) zu spateren Zeiten t′ > t0 nicht korreliert, d. h.

〈vα(t0)fβ(t′)〉 = 0 fur t0 < t′ (2.16) va

Die Langevin–Gleichung ist eine stochastische Differentialgleichung. Jede Realisierungvon ~f(t) erzeugt uber die Differentialgleichung mit den gewunschten Anfangsbedin-gungen eine bestimmte Trajektorie ~v(t) im Geschwindigkeitsraum. Auf diese Weisebestimmt der stochastische Prozeß ~f(t) den Prozeß ~v(t), dessen Eigenschaften ausdenen von ~f(t) zu berechnen sind.

Wir losen nun die Langevin–Gleichung fur eine Komponente vα ≡ v, fα ≡ f . MitHilfe der durch (

∂t+ γ

)

G(t− t′) = δ(t− t′) (2.17)

definierten (kausalen) Greenfunktion

G(t) = Θ(t)e−γt (2.18)

(Θ(t) ist die Einschaltfunktion) finden wir als Losung zur Anfangsbedingungv(t = 0) ≡ v(0),

v(t) = v(0)e−γt +1

m

∫ t

0dt′ e−γ(t−t′)f(t′); t > 0 (2.19) vt

Der Gleichverteilungssatz verlangt, daß im Gleichgewicht 〈v2〉eq = kBT/m, d. h., daß

limt→∞〈(v(t))2〉 = kBT/m. (2.20) lim

Die linke Seite ergibt sich aus der Losung v(t) nach (2.19) durch Mittelung uber f(t).Fur t→∞ verschwindet der Einfluß der Anfangsbedingung, so daß

〈v2(t)〉 ≃ e−2γt

m2

∫ t

0dt′∫ t

0dt′′ eγ(t′+t′′)〈f(t′)f(t′′)〉dt′dt′′. (2.21)

Setzt man 〈f(t′)f(t′′)〉 = Cδ(t′ − t′′) mit einer zu bestimmenden Konstanten C, sofolgt fur t→∞

〈v2(t)〉 ≃ Ce−2γt

m2

∫ t

0dt′ e2γt′

=C

2γm2

(1− e−2γt

)≃ C

2γm2(2.22)

40

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(2.20) verlangt somit C = 2mγkBT , in Ubereinstimmung mit (2.15). Die Intensitatder Zufallskraft ist also proportional zu kBT und zur Reibungskonstanten.

Wir berechnen nun die Korrelationsfunktion der Geschwindigkeit 〈v(t)v(0)〉 imGleichgewicht. Dazu wird zunachst das Produkt v(t)v(0) zu gegebenem v(0) uber dieZufallskraft gemittelt. Wegen (2.16) mit t0 = 0 ist das Ergebnis (v(0))2e−γt. Anschlie-ßend erfolgt Mittelung uber v(0) mit der Gleichgewichtsverteilung. Mit diesen beidenMittelwertbildungen entsteht

〈v(t)v(0)〉 = 〈v2〉eq e−γt = kBTm e−γt (2.23) vtv

Berucksichtigt man den Vektorcharakter von ~v und (2.15), so zeigt sich, daß verschie-dene Komponenten der Geschwindigkeit unkorreliert sind, 〈vα(t)vβ(0)〉 = 0 fur α 6= β.

Wir bemerken, daß man aus der Langevin–Gleichung die Ubergangswahrschein-lichkeit w(v, t|v0) im Geschwindigkeitsraum gewinnen kann. (v bezeichnet wieder einebestimmte Geschwindigkeitskomponente.) Da v(t) nach (2.19) linear mit dem Gauß-schen Prozeß f(t) zusammenhangt, ist v(t) wieder ein Gaußscher Prozeß (vgl. § 1.4),der durch 〈v(t)〉 = 0 und 〈v(t)v(0)〉 = (kBT/m) exp(−γt) charakterisiert ist. Nach§ 1.7 ist v(t) ein Ornstein–Uhlenbeck Prozeß, mit

w(v, t|v0) =

(m

2πkBT (1− e−2γt)

)1/2

exp

[

− m(v − v0e−γt

)2

2kBT (1− e−2γt)

]

(2.24)

d. h. man erhalt eine Gauß–Verteilung mit Mittelwert v0e−γt und der Varianz

(kBT/m)(1 − e−2γt). Der Ausdruck zeigt, wie sich aus einer anfanglich scharfen Ge-schwindigkeit die Maxwell–Verteilung einstellt,

limt→∞

w(v, t|v0) = W1(v) =

(m

2πkBT

)1/2

exp

(

− mv2

2kBT

)

(2.25)

Als nachstes berechnen wir das mittlere Verschiebungsquadrat der auf die x–Achseprojezierten Bewegung des Teilchens. Wegen

∆x(t) := x(t)− x(0) =

∫ t

0dt′ v(t′)

gilt allgemein

〈(∆x(t))2〉 = 2

∫ t

0dτ (t− τ)〈v(τ)v(0)〉 (2.26) deltax

(vgl. hierzu die Rechenschritte in § 1.9 zu (1.127)). Das asymptotische Verhalten furt→∞ laßt sich sofort ablesen,

〈(∆x(t))2〉 ≃ 2Dt; t→∞ (2.27) Dxt

Hierdurch wird ganz allgemein die Diffusionskonstante definiert, fur die wir den Aus-druck

D =∫∞0 dt 〈v(t)v(0)〉 (2.28) D1

41

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0

⟨(∆x(t))2⟩

t

∼ 2Dt

∼ ⟨v2⟩eq t2

γ-1|

Abbildung 2.3: Zeitabhangigkeit des mittleren Verschiebungsquadrats eines freien Brown-schen Teilchens nach der Langevin–Theorie (durchgezogene Kurve).

erhalten. Die Diffusionskonstante ist also durch das Integral uber die Geschwindig-keitskorrelationsfunktion im Gleichgewicht bestimmt. Mit dem obigen Ergebnis fur〈v(t)v(0)〉 folgt explizit

D =kBT

mγ, (2.29) D

in Ubereinstimmung mit (2.11) und (2.8).

Generell erhalten wir aus (2.26) und (2.23) fur das mittlere Verschiebungsquadrat

〈(∆x(t))2〉 =2kBT

mγ2

(e−γt − 1 + γt

)(2.30)

dessen Zeitabhangigkeit in Abb. (2.3) dargestellt ist. Wir diskutieren die Grenzfalle

i) γt≫ 1. Es folgt 〈(∆x(t))2〉 ≃ 2Dt mit D = kBT/mγ, vgl. (2.29).

ii) γt≪ 1. Entwicklung von e−γt bis zur 2. Ordnung liefert

〈(∆x(t))2〉 ≃ kBT

mt2 = 〈v2〉eqt2. (2.31)

Dieses γ–unabhangige Ergebnis kennzeichnet das “ballistische Regime”, in demdie Teilchen sich mit ihrer thermischen Geschwindigkeit frei bewegen.

Das mittlere Verschiebungsquadrat wird durch die Langevin–Gleichung demnach ge-nauer beschrieben als durch die Diffusionsgleichung ∂n(x, t)/∂t = D∂2n/∂x2, die of-fenbar nur fur γt≫ 1 gultig ist.

Die dynamische Beweglichkeit eines Brownschen Teilchens ergibt sich aus der mitt-leren Driftgeschwindigkeit in Gegenwart einer periodischen außeren Kraft,

mv +mγv = K(t) + f(t) (2.32)

42

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0

ℜ e µ(ω)

ω

µ(0)

γ|

Abbildung 2.4: Frequenzabhangigkeit des Realteils der dynamischen Beweglichkeit einesfreien Brownschen Teilchens.

mitK(t) = Re (Kωe

−iωt). (2.33)

Mittelt man uber f(t), so folgt mit 〈v(t)〉 = Re (vωe−iωt)

vω = µ(ω)Kω (2.34)

wobeiµ(ω) = 1

m1

−iω+γ (2.35) muw1

Dieses Ergebnis fur die dynamische Beweglichkeit hat dieselbe Form wie in der Drude–Theorie fur Metallelektronen, vgl. auch Abb. (2.4).

Die zeitlich gemittelte Leistung der außeren Kraft am Brownschen Teilchen betragt(o.B.d.A. ist Kω reell)

W = K(t)v(t)

= K2ω cosωt [(Reµ(ω)) cosωt+ (Imµ(ω)) sinωt]

=1

2K2

ω Reµ(ω) =1

2K2

ω

(γ/m)

ω2 + γ2(2.36)

Man erkennt folgenden Zusammenhang zwischen der dynamischen Beweglichkeit undder Geschwindigkeits–Korrelationsfunktion (2.23),

µ(ω) = 1kBT

∫∞0 dt eiωt〈v(t)v(0)〉 (2.37) muw

Dies ist eine Form des Fluktuations–Dissipationstheorems. Es verknupft die lineareAntwort des Systems gegenuber der außeren Kraft mit den zeitlichen Fluktuationen imGleichgewicht. Die Beziehung wurde hier nur fur freie Brownsche Teilchen abgeleitet.Sie gilt jedoch ganz allgemein (vgl. § 2.5 und § 3.2). Der Spezialfall ω = 0 ist mit derNernst–Einstein–Relation (2.11) identisch.

43

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(2.37) gestattet es, die dynamische Beweglichkeit ganz allgemein durch das mittlereVerschiebungsquadrat (2.26) auszudrucken. Zweimalige Differentiation nach t ergibt(d2/dt2)〈(∆x(t))2〉 = 2〈v(t)v(0)〉, so daß

µ(ω) =1

2kBT

∫ ∞

0dt eiωt d

2

dt2〈(∆x(t))2〉

Nach Einfugen eines Faktors e−ǫt mit ǫ > 0 kann zweimal partiell integriert werden,und wir erhalten

µ(ω) = − ω2

2kBT limǫ→0+

∫∞0 dt e(iω−ǫ)t〈(∆x(t))2〉 (2.38) muomega

Uberdampfte Langevin–Gleichung

Die mit der Masse des Brownschen Teilchens verbundenen Tragheitseffekte spiegelnsich im Kurzzeitverhalten des mittleren Verschiebungsquadrats 〈(∆x)2〉 ∼ t2 fur γt≪1 bzw. in µ(ω) ∼ (−iω)−1 fur ω ≫ γ wider. Sofern man aber nur am diffusiven Regimeγt≫ 1 bzw. ω ≪ γ interessiert ist, genugt es, die uberdampfte Langevin–Gleichung

mγx = f(t) (2.39) mgx

zu untersuchen, in der der Tragheitsterm vernachlassigt ist. Fur x(t) wird hierdurchein Wiener–Prozeß (§1.8) generiert, der aquivalent ist mit der Beschreibung durch dieDiffusionsgleichung. Man erhalt aus (2.39) unmittelbar das mittlere Verschiebungs-quadrat 〈(∆x(t))2〉 = 2Dt; D = kBT/mγ.

Im Fall eines elastisch gebundenen Teilchens ist die Langevin–Gleichung durcheine harmonische Ruckstellkraft K(x) = −dV/dx; V (x) = (m/2)ω2

0x2, zu erganzen.

Im uberdampften Grenzfall, γ ≫ ω0, wird (2.39) verallgemeinert zu

mγx+mω20x = f(t) (2.40) mgx1

Die Losung fur x(t) ist ein Ornstein–Uhlenbeck Prozeß, wobei

〈x(t)x(0)〉 = 〈x2〉eq e−Γt; Γ = ω20/γ. (2.41) xtx

Stationare Verteilung ist die Boltzmann–Verteilung ∝ exp(−βV (x)), mit 〈x2〉eq =kBT/mω

20.

44

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2.3 Thermisches Widerstandsrauschen

Die thermische Bewegung der Elektronen in einem Leiter gibt Anlaß zu einem fluktuie-renden Strom Ifl(t). Das Spektrum von Ifl(t) bestimmen wir mit Hilfe der Vorstellun-gen der Drude–Theorie. Die elektronischen Streuprozesse, die durch eine Relaxations-zeit τ erfaßt werden, geben Anlaß zu einer Reibungskraft −m~vτ−1. Die Beweglichkeitder Elektronen ist dann gegeben durch µ(ω) = 1

m

(−iω + τ−1

)−1. Fur die elektrische

Leitfahigkeit folgt

σ(ω) = ne2µ(ω)

=σ(0)

1− iωτ (2.42)

σ(0) = ne2τ/m. (2.43)

n ist die Anzahldichte und e die Ladung der Elektronen.

Wir betrachten einen zylindrischen Leiter mit dem Querschnitt F und der Langel, in dem sich N Elektronen befinden (n = N/Fl). Ist vi(t) die Geschwindigkeit desi–ten Elektrons langs des Leiters, so ist der Strom gegeben durch

I(t) =e

l

N∑

i=1

vi(t). (2.44)

Wenn keine außere Spannung anliegt, so ist 〈vi(t)〉 = 0 und I(t) ≡ Ifl(t); 〈Ifl(t)〉 = 0.Unter der Voraussetzung, daß sich die Elektronen unabhangig voneinander bewegen,〈vi(t)vj(0)〉 ≡ δij〈v(t)v(0)〉, finden wir

〈Ifl(t)Ifl(0)〉 = N(e

l

)2〈v(t)v(0)〉. (2.45)

Fur das Spektrum von Ifl(t) folgt

SI(ω) =1

∫ ∞

−∞dt eiωt〈Ifl(t)Ifl(0)〉 =

= N(e

l

)2 1

πRe

∫ ∞

0dt eiωt〈v(t)v(0)〉

Mit den Ergebnissen von § 2.2 folgt

SI(ω) = 1π

(Fl

)kBT Reσ(ω). (2.46) SI

Fur Frequenzen ω ≪ τ−1 kann σ(ω) durch σ(0) ersetzt werden. (Eine fur Metalle beiRaumtemperatur typische Großenordnung ist τ ∼ 10−14s). Im Bereich ωτ ≪ 1 erhaltman also ein weißes Rauschspektrum

SI(ω) =kBT

πR(2.47) SI1

wobei R = l/Fσ(0) den Widerstand des Leiters darstellt. Dementsprechend wird

〈Ifl(t)Ifl(0)〉 =2kBT

Rδ(t) (2.48) I

45

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Die δ–Funktion entspricht dem Grenzfall einer verschwindend kleinen Korrelationszeitverglichen mit der Zeitauflosung der Messung. (2.46), (2.47) und (2.48) stellen Formenbzw. Spezialfalle des Nyquist–Theorems dar. Seine Gultigkeit ist viel allgemeiner alsdie hier gewahlte Herleitung. Ohne Zuhilfenahme eines speziellen Modells laßt es sichaus dem Fluktuations–Dissipationstheorem allgemein begrunden.

Falls eine außere Spannung V (t) anliegt, so ist der Gesamtstrom

I(t) = 〈I(t)〉+ Ifl(t) (2.49)

wobei〈I(t)〉 = V (t)/R. (2.50)

Die Aussage des Nyquist–Theorems bezieht sich dann auf den fluktuierenden AnteilIfl(t).

Als Anwendung untersuchen wir die Strom– bzw. Spannungsfluktuationen in einemRC–Kreis im thermischen Gleichgewicht (Abb. 2.5a). Ist Q = CV die Ladung auf demKondensator, so ist der Entladestrom gegeben durch −Q = I = V

R +Ifl. Die Gleichungfur die Spannung V am Kondensator hat demnach dieselbe Form wie die Langevin–Gleichung fur ein freies Brownsches Teilchen,

CV +V

R= −Ifl(t). (2.51)

Dabei entsprechen sich folgende Großen

V = v; C =m;1

R=mγ, so daß

1

RC= γ (2.52)

Die Ergebnisse von § 2.2 lassen sich hiermit sofort ubertragen. Zum Beispiel erhaltman fur die Korrelation der Spannungsfluktuationen

〈V (t)V (0)〉 = 〈V 2〉eq exp(−t/RC) (2.53)

mit〈V 2〉eq = kBT/C. (2.54)

Die Gleichgewichtsverteilung fur die Spannung ist

P (V ) = const. exp

(

−1

2CV 2/kBT

)

(2.55)

12CV

2 ist die elektrostatische Energie des Kondensators.

Ahnlich uberlegt man sich, daß ein LRC–Kreis (Definitionen nach Abb. 2.5b) einemelastisch gebundenen Brownschen Teilchen entspricht. Der Zusammenhang zwischender Spannung V am Widerstand und dem Strom I ist durch zwei Gleichungen gegeben,

V = VL + VC

mitVL = −LI ; VC = Q/C ; I = −Q ;

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sowieV = R(I − Ifl(t))

Elimination von V ergibt

LI +RI +1

C

I dt = RIfl(t) ≡ Vfl(t)

oder

LQ+RQ+Q

C= −Vfl(t) (2.56)

wobei fur Vfl = RIfl nach (2.48) gilt

〈Vfl(t)Vfl(0)〉 = 2kBTR δ(t)

Es entsteht also eine Gleichung von der Form der Langevin–Gleichung fur ein elastischgebundenes Teilchen, wobei bis auf Vorzeichen der Strom der Geschwindigkeit und dieLadung der Auslenkung entspricht.

a) b)

C

R

V

R

C

V=V + V

L

C L

Abbildung 2.5: a) RC–Kreis und b) LRC–Kreis.

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2.4 Dynamik flexibler Kettenpolymere (Rouse–Modell)

Das einfachste statistische Modell zur Beschreibung der Dynamik langer, kettenformi-ger Polymere in einem Losungsmittel oder in der Schmelze ist das Rouse–Modell. Diebetrachteten Kettenmolekule bestehen aus gleichartigen chemischen Einheiten (Mono-mere). Bezuglich der Statik wird das Modell Gaußscher Ketten herangezogen. Jeweilss aufeinanderfolgende Monomere werden zu “statistischen Segmenten” (effektiven Mo-nomeren) zusammengefaßt. Man denkt sich s≫ 1 so gewahlt, daß innerhalb eines sta-tistischen Segments alle Orientierungskorrelationen abgeklungen sind und aufgrunddes zentralen Grenzwertsatzes die Abstande ~r zwischen den Segment–EndpunktenGauß–verteilt sind,

p(~r) =

(3

2πb2

)3/2

exp

(

−3~r 2

2b2

)

(2.57)

Dabei istb =

〈~r 2〉 (2.58)

die effektive Segmentlange.

Besteht die Polymerkette insgesamt aus N − 1 Segmenten, so wird ihre Konfigu-ration grob durch die Verbindungspunkte ~Rn(2 ≤ n ≤ N − 1) aufeinanderfolgenderSegmente (~rn = ~Rn+1 − ~Rn) sowie durch die Lage des Anfangspunktes ~R1 und desEndpunktes ~RN der Kette charakterisiert. Die Wahrscheinlichkeitsdichte fur Konfigu-rationen ~Rn ist gegeben durch

P (~R1, . . . ~RN ) =N−1∏

n=1

p(~Rn+1 − ~Rn)

= const. exp(−βU) (2.59)

wobei

U =k

2

N−1∑

n=1

(~Rn+1 − ~Rn)2 (2.60) U2

Die Verteilungsfunktion dieses Gaußschen Kettenmodells, in dem keinerlei Wechsel-wirkungen berucksichtigt sind, erweist sich als identisch mit der Boltzmann–Verteilungeiner N–gliedrigen harmonischen Kette. Die Federkonstante k ist proportional zu kBTund rein entropischen Ursprungs,

k = 3kBT/b2 (2.61)

Dieses in Abb. (2.6) dargestellte “bead–spring–Modell” sieht von der lokalen Strukturder Kettenmolekule vollig ab, beschreibt aber korrekt die statistischen Eigenschaftensehr langer Ketten (N ≫ 1) auf Langenskalen, die groß sind im Vergleich zu b. ZumBeispiel folgt direkt aus (2.59), daß der End–zu–Endabstand ~P = ~RN− ~R1 =

∑N−1n=1 ~rn

Gauß–verteilt ist, mit 〈P 2〉 = (N−1)b2. Wegen N ≫ 1 gilt fur den typischen Abstandeinfach 〈P 2〉1/2 ∝ N1/2. Ein ahnliches Maß fur die typische Ausdehnung der Ketteist der Gyrationsradius Rg, definiert durch den mittleren quadratischen Abstand derSegmente vom Kettenschwerpunkt. Es gilt Rg = (〈P 2〉/6)1/2. Langreichweitige Wech-selwirkungen innerhalb der Kette, z. B. aufgrund des ausgeschlossenen Volumens, sindim Gaußschen Modell nicht berucksichtigt.

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Rn

Rn+2

Rn−1

Rn+1

0

k

k k

Abbildung 2.6: “Bead–spring–Modell” einer Polymerkette.

Fur spatere Zwecke ist es nutzlich, die quadratische Form (2.60) zu diagonalisieren.Hierzu schreiben wir

U =k

2

N∑

n,m=1

Mn,m~Rn~Rm (2.62) U

mit der symmetrischen, tridiagonalen N ×N–Matrix

(Mn,m) =

1 −1 0

−1 2. . .

. . .. . .

. . .. . . 2 −1

0 −1 1

(2.63)

Das Eigenwertproblem einer N–gliedrigen harmonischen Kette mit offenen Randern,

m

Mn,mϕp,m = λpϕp,n; p = 0, 1, . . . N − 1 (2.64) M

fuhrt auf die folgenden Eigenvektoren und Eigenwerte:

p = 0 : ϕ0,n = 1√N

; λ0 = 0

p 6= 0 : ϕp,n =√

2N cos pπ

N

(n− 1

2

); λp = 2

(1− cos pπ

N

).

(2.65) p

Die Eigenvektoren sind orthonormiert und vollstandig,

N∑

n=1

ϕp,nϕq,n = δp,q (2.66)

N−1∑

p=0

ϕp,nϕp,m = δn,m (2.67) Sp

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Entwickelt man ~Rn nach den Eigenfunktionen ϕp,n,

~Rn =

N−1∑

p=0

~Xpϕp,n (2.68) Rn

so sind die Entwicklungskoeffizienten gegeben durch

~Xp =N∑

n=1

ϕp,n~Rn (2.69) Xp

Der konstante Eigenvektor ϕ0,n beschreibt offenbar eine gemeinsame Verschiebung

aller Punkte ~Rn. Man beachte, daß die “Auslenkungen” (2.65) am Randpunkt n = 1dieselben sind wie an einem gedachten, zusatzlichen Punkt n = 0, so daß die Feder“links” des Randpunkts ~R1 nicht beansprucht wird; analoges gilt am “rechten” Rand.Die Randbedingungen bei offenen Kettenenden sind also erfullt.Einsetzen von (2.68) in (2.62) und Anwendung der Eigenwertgleichung (2.64) ergibt

U =k

2

N∑

n=1

~Rn

N−1∑

p=0

~Xpλpϕp,n

=k

2

N−1∑

p=0

λp~Xp

2 (2.70)

wobei im zweiten Schritt (2.69) verwendet wurde. Diese Form fur U in Verbindungmit (2.59) zeigt, daß die verschiedenen Rouse–Moden p statistisch unabhangig sindund

〈 ~Xp2〉 =

3kBT

kλp=b2

λp(2.71) Xp1

Hinsichtlich der Dynamik geht man von der Vorstellung einer uberdampften, Brown-schen Bewegung der Kette in dem umgebenden Medium aus, beschrieben durch ge-koppelte, lineare Langevin–Gleichungen fur die Positionen ~Rn,

ζd~Rn

dt= − ∂U

∂ ~Rn

+ ~fn(t) (2.72) zeta1

Die Konstante ζ beinhaltet die Starke der Reibung. Explizit ist

− ∂U

∂ ~Rn

=

k(~R2 − ~R1) ; n = 1

k(~Rn+1 + ~Rn−1 − 2~Rn) ; 2 ≤ n ≤ N − 1

k(~RN−1 − ~RN ) ; n = N

(2.73) URn

Analog zu §2.2 sorgen die stochastischen Krafte ~fn(t) mit den Korrelatoren (α, β =1, . . . 3)

〈fnα(t)fmβ(0)〉 = 2ζkBTδn,mδαβδ(t) (2.74) fn

fur Kompatibilitat mit der Gleichgewichtsverteilung (2.59). Man erkennt dies unmit-telbar mit Hilfe der Uberlegungen in §2.2, angewandt auf die nachstehende Form (2.76)der Langevin–Gleichungen in Verbindung mit (2.78) und (2.70).

50

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In Matrixform lauten die Gleichungen (2.73)

n

(

δk,n∂

∂t+k

ζMk,n

)

~Rn(t) =1

ζ~fk(t) (2.75) Su

Es bietet sich an, diese Gleichungen mit Hilfe von (2.68) und (2.69) auf Normal-koordinaten zu transformieren. Multiplikation von (2.75) mit ϕp,n und anschließendeSummation uber alle n ergibt entkoppelte Langevin–Gleichungen fur die zeitabhangi-gen Amplituden ~Xp(t), (

∂t+k

ζλp

)

~Xp(t) =1

ζ~Fp(t) (2.76) par

Die Korrelationsfunktion der transformierten Zufallskrafte

~Fp(t) =N∑

n=1

ϕp,n~fn(t) (2.77)

errechnet sich zu

〈Fp,α(t)Fq,β(0)〉 =∑

n

m

ϕp,nϕq,m〈fnα(t)fmβ(0)〉

= 2ζkBTδp,qδα,βδ(t) (2.78)

Im letzten Schritt wurde (2.74) sowie die Orthogonalitatsrelation (2.67) der Eigen-funktionen ϕp,nbenutzt. In Analogie zu (2.41) folgt aus (2.76) sofort fur p 6= 0 :

〈 ~Xp(t) ~Xq(0)〉 = δp,q〈 ~Xp2〉e−t/τp (2.79) LXp

wobei

τ−1p =

k

ζλp (2.80) tau

und 〈 ~Xp2〉 = b2/λp, vgl. (2.71). (Naturlich verschwinden die Korrelatoren unterschied-

licher Komponenten, 〈Xp,α(t)Xp,β(0)〉 = 0 fur α 6= β.)

Die so eingefuhrten Rouse–Moden mit dem Spektrum (2.80) besitzen physikalischeBedeutung nur im langwelligen Bereich, p ≪ N , so daß in allen Auswertungen dereiner Kontinuumsnaherung entsprechende Ausdruck

τ−1p ≃ p2τ−1

1 ; τ−11 =

3kBT

ζ

( π

bN

)2(2.81) tau1

verwendet werden kann.

Mit Hilfe von (2.79) konnen wir nun verschiedene Falle diskutieren:

i) Diffusion des KettenschwerpunktesDa ϕ0,n unabhanig von n ist, konnen wir die Schwerpunktskoordinate in folgen-der Form schreiben

~RCM =1

N

N∑

n=1

~Rn

=1√N

N∑

n=1

~Rnϕ0n =1√N~Xp=0 (2.82)

51

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Wegen λp=0 = 0 genugt ~Xp=0(t) der Langevin–Gleichung fur ein freies, uberdampf-

tes Brownsches Teilchen, (∂/∂t) ~Xp=0(t) = ~Fp=0(t)/ζ. Analog zu (2.5) erhalten

wir als mittleres Verschiebungsquadrat (∆~RCM (t) = ~RCM (t)− ~RCM (0)):

〈(∆~RCM )2〉 = 6DCM t (2.83) LR1

mit der Schwerpunktsdiffusionskonstanten

DCM = kBT/Nζ, (2.84)

Die Reibungskonstante ist also um den Faktor N , der Anzahl der effektivenMonomere, verstarkt. Naturlich erhalt man dieses Ergebnis auch unmittelbardurch Aufaddition aller Gleichungen (2.72).

ii) Korrelationsfunktion des End–zu–EndvektorsDen Abstandsvektor ~P zwischen Anfangs– und Endpunkt der Kette entwickelnwir nach (2.68),

~P = ~RN − ~R1 =

N−1∑

p=1

~Xp(ϕp,N − ϕp,1) (2.85) VP

Eine elementare Rechnung ergibt

ϕp,N − ϕp,1 =

2

N(cos pπ − 1) cos

2N

=

0 p gerade

−2√

2N cos pπ

2N p ungerade(2.86)

Die Korrelationsfunktion 〈~P (t)~P (0)〉 erhalten wir durch Kombination von (2.85)mit (2.86) und (2.79) als Summation uber Moden mit p ungerade,

〈~P (t)~P (0)〉 =8b2

N

p=1,3...

(cos pπ

2N

)2

λpe−t/τp

≃ 8b2N

π2

p=1,3...

1

p2e−p2t/τ1 (2.87)

Im 2. Schritt nahmen wir hinreichend große Zeiten an, so daß die Summationuber p rasch konvergiert, und die Summanden durch ihr Verhalten bei kleinenp approximiert werden konnen. Den Hauptbeitrag zu (2.87) bei großen Zeitenliefert die Mode p = 1, d. h. die Korrelationsfunktion fur den End–zu–End–Vektor ~P relaxiert fur große Zeiten mit der Rouse–Relaxationszeit τ1.

iii) Mittleres Verschiebungsquadrat eines KettensegmentsDas mittlere Verschiebungsquadrat eines Kettensegments n, welches nicht zunahe an den Kettenenden liegt, konnen wir wie folgt berechnen. Die Verschie-bung ∆~Rn(t) = ~Rn(t) − ~Rn(0) wird wieder nach den Rouse–Moden entwickelt.Aufgrund der Unabhangigkeit verschiedener Moden erhalten wir

〈(∆~Rn(t))2〉 =∑

p

(ϕp,n)2〈( ~Xp(t)− ~Xp(0))2〉 (2.88) LR

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Die Losung von (2.76) zum Anfangswert ~Xp(t = 0) ≡ ~Xp(0) schreiben wir in derForm

~Xp(t)− ~Xp(0) = ~Xp(0)(

e−t/τp − 1)

+1

ζ

∫ t

0dt′e−(t−t′)/τp ~Fp(t

′) ; t > 0 (2.89) VX

Die Mode p = 0 behandeln wir getrennt. Wegen τ−1p=0 = 0 ist

~Xp=0(t)− ~Xp=0(0) =1

ζ

∫ t

0dt′ ~Fp=0(t

′) (2.90)

Die Moden p > 1 beschreiben Fluktuationen in der inneren Struktur der Ket-te. Beim Quadrieren von (2.89) und anschließender Mittelwertbildung wird dieKausalitatsbedingung 〈 ~Xp(0)~Fp(t

′)〉 = 0 fur t′ > 0 benutzt, vgl. (2.16), so daßdie Mischterme entfallen. Die verbleibenden Terme lassen sich unter Verwen-dung von (2.71) zusammenfassen. Zusammen mit der p = 0 Mode erhalten wirschließlich

〈(∆Rn(t))2〉 = 6DCM t+6kBT

ζ

N−1∑

p=1

(ϕp,n)2(1− e−t/τp)

τ−1p

(2.91) DR

Fur Zeiten t/τ1 & 1 dominiert der 1. Term; das mittlere Verschiebungsquadrateines Kettensegments folgt also dem Zeitverhalten der gesamten Kette. Inter-essanter ist der Zeitbereich τN−1 ≪ t ≪ τ1, zu dem viele Moden 1 ≤ p ≪ Nbeitragen. In diesem Fall dominiert der 2. Term in (2.91). Bei der Auswertungbeachten wir, daß fur n ∼ N der Faktor (ϕp,n)2 mit p rasch oszilliert, so daßwir ihn in der Summe (2.91) durch seinen Mittelwert bzgl. p ersetzen konnen:(ϕp,n)2 → 2

N ·(

12

). Außerdem genugt es, fur τp den Ausdruck (2.81) zu verwenden

und die p–Summation durch eine Integration zu ersetzen,

〈(∆~Rn)2〉 ≃ 6DCM t+2Nb2

π2

∫ ∞

0dp

1

p2

(

1− e−tp2/τ1)

(2.92)

Die Substitution x = p√

t/τ1 zeigt, daß das Integral proportional zu√t ist. (Das

Integral F (λ) =∫∞0 dp (1−exp(−λp2))/p2 erfullt F (λ) =

√λF (1) und außerdem

dF/dλ =∫∞0 dp exp(−λp2) = (1/2)

π/λ; folglich F (λ) =√πλ.) Endgultig,

〈(∆~Rn)2〉 ≃ 6DCM t+ 2b

3kBT

πζ· t (2.93) LR2

Im Gegensatz zur normalen Diffusion wachst das mittlere Verschiebungsquadrateines Segments einer Rouse–Kette proportional zu t1/2 an, wenn man von derum den Faktor N geringeren Schwerpunktsdiffusion absieht.

Im Rouse–Modell sind, wie erwahnt, alle langreichweitigen Wechselwirkungenzwischen Polymersegmenten vernachlassigt. Neben dem Volumenausschluß geho–ren hierzu auch hydrodynamische Wechselwirkungen, die in Polymerlosungenauftreten. Die Bewegung eines Kettenabschnitts hinterlaßt im Losungsmitteleinen hydrodynamischen Fluß, der an anderer Stelle auf die Kette zuruckwirkt.

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Im Rahmen des Zimm–Modells wird dieser Sachverhalt naherungsweise durchmodenabhangige Reibungskoeffizienten ζp in (2.76) berucksichtigt, wobei ζp ∼(Np)−1/2 fur kleine p 6= 0, wahrend ζp=0 ∼ N−1/2. Dies fuhrt auf die experimen-tell gemessenen N–Abhangigkeiten DCM ≃ kBT/Nζ0 ∼ N−1/2 und τ1 ∼ N3/2.Diffusionsprozesse werden gegenuber dem Rouse–Modell (DCM ∼ N−1; τ1 ∼N2) also beschleunigt. (Naheres siehe M. Doi, S.F. Edwards, “The Theory ofPolymer Dynamics”, Oxford 1994.) In Polymerschmelzen hingegen kann einRouse–Verhalten der Segmentbewegung nach (2.93) mittels Neutronenstreuung(Spin–Echo Methode) nachgewiesen werden, vgl. D. Richter et al., Phys. Rev.Letters 62, 2140 (1989).

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2.5 Verallgemeinerte Langevin–Gleichung

In diesem Abschnitt wird die Theorie auf Nicht–Markoff–Prozesse verallgemeinert.Ein Anwendungsbeispiel ist die Diffusion von Molekulen in einer Flussigkeit, derenMasse nicht notwendig groß ist im Vergleich zur Masse der umgebenden Flussigkeits-molekule. Der wesentlich neue Gesichtspunkt sind dabei auftretende Gedachtniseffekte.Das betrachtete Molekul verursacht aufgrund seiner Bewegung eine Storung im um-gebenden Medium, die zu spaterer Zeit auf das Molekul zuruckwirkt. Die Kraft, diedas Molekul zu einer bestimmten Zeit erfahrt, hangt deshalb von seinem Bewegungs-zustand zu fruheren Zeiten ab. Folglich ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung fur dieGeschwindigkeit v zur Zeit t von der gesamten Vorgeschichte abhangig, d. h. v(t) istein Nicht–Markoff–Prozeß.Mathematisch wird der Vorgang durch eine verallgemeinerte Langevin–Gleichung be-schrieben (wir beschranken uns auf eine Bewegungskomponente),

mv(t) +m∫ t0 dt

′ γ(t− t′)v(t′) = f(t) t ≥ 0 (2.94) mvt

wobei als Anfangsbedingung die Geschwindigkeit zur Zeit t = 0 (untere Integrati-onsgrenze) vorgegeben ist. Die sogenannte “Gedachtnisfunktion” γ(t) vermittelt denEinfluß der Vorgeschichte. Die Zufallskraft f(t) wird als stationarer Prozeß mit Mit-telwert 〈f(t)〉 = 0 angenommen. Ihre Korrelationsfunktion hangt mit γ(t) zusammen,

〈f(t)f(0)〉 = mkBTγ(t) (2.95) ftf

Diese Beziehung (sog. “2. Fluktuations–Dissipationstheorem”) wird, wie wir untenzeigen, wieder durch den Gleichverteilungssatz gefordert. Durch die Festlegung von〈f(t)〉 = 0 und des Korrelators (2.95) ist der Prozeß f(t) noch nicht vollstandig de-finiert. Setzt man aber wie in (2.94) einen linearen Zusammenhang zwischen v(t)und f(t) voraus, so lassen sich Mittelwerte und 2–Punkt–Korrelationsfunktionen desgesuchten Prozesses v(t) eindeutig berechnen. Hohere Korrelationsfunktionen sind je-doch nicht definiert.

Im Sonderfall, daß γ(t) auf der Zeitskala der Messung sehr rasch gegen Null abfallt,kann γ(t−t′) ≃ 2γδ(t−t′) gesetzt werden (zu wahlen ist eine symmetrische Darstellungvon δ(t)), so daß

∫ t

0dt′ γ(t− t′)v(t′) ≃ γv(t) (2.96)

mit

γ =

∫ ∞

0dt′ γ(t′) (2.97)

Mit dieser auf einer entsprechend vergroberten Zeitskala gultigen Markoff–Naherungkehrt man zur gewohnlichen Langevin–Gleichung zuruck, wobei 〈f(t)f(0)〉 = 2mγkBTδ(t).Gleichungen vom Typ der verallgemeinerten Langevin–Gleichung spielen in der mi-kroskopischen Dynamik von Vielteilchensystemen eine wichtige Rolle.

Korrelationsfunktion der Geschwindigkeit

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Zu gegebenem γ(t) berechnen wir zunachst die Geschwindigkeit–Korrelationsfunktionim Gleichgewicht

C(t) ≡ 〈v(t)v(0)〉 (2.98)

Nach Multiplikation von (2.94) mit v(t = 0) ≡ v(0) ist uber die Zufallskraft zu mittelnund sodann bzgl. v(0) ein Gleichgewichtsmittelwert zu bilden. Wegen 〈f(t)v(0)〉 = 0fur t > 0 (Kausalitat) erhalten wir

C(t) +

∫ t

0dt′ γ(t− t′)C(t′) = 0 (2.99) Ct

mit C(0) = 〈v2〉eq = kBT/m. Diese Gleichung wird durch Laplace–Transformationgelost. Wir definieren

C(z) =

∫ ∞

0dt e−ztC(t) (2.100)

so da߈C(z) = zC(z)− C(0) (2.101)

Mit Hilfe des Faltungssatzes∫ ∞

0dt e−zt

∫ t

0dt′ γ(t− t′)C(t′) = γ(z)C(z) (2.102)

erhalten wir

C(z) =C(0)

z + γ(z)(2.103) Cz

Die Laplace–Transformierte γ(z) von γ(t) mit z = −iω spielt, wie der Vergleich mit(2.23) bzw. (2.35) zeigt, die Rolle einer frequenzabhangigen Reibung.Die Funktion C(t) gewinnt man aus (2.103) mit der inversen Laplace–Transformation,

C(t) =1

2πi

∫ α+i∞

α−i∞dz eztC(z) (2.104)

wobei α so zu wahlen ist, daß in der komplexen z–Ebene “rechts” des Integrationswegeskeine Singularitaten von C(z) liegen. Alternativ berechnet man zunachst die spektraleDichte

Sv(ω) =1

∫ ∞

−∞dt eiωtC(t)

=1

πRe

∫ ∞

0dt eiωtC(t)

=1

πRe C(−iω) (2.105)

und gewinnt C(t) durch Fourier–Transformation. Setzen wir (2.103) ein, so entsteht

Sv(ω) =kBT

m

1

πRe

1

−iω + γ(−iω)(2.106)

Bei ω = 0 erhalten wir nach (2.105) wegen

C(0) =

∫ ∞

0dt 〈v(t)v(0)〉 = D (2.107) C0h

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fur die Diffusionskonstante das Ergebnis

D = πSv(0) =kBT

mγ(0)(2.108)

Fur konstantes γ(z), d. h. γ(t) ∝ δ(t), reduzieren sich alle Ergebnisse auf den Markoff–Fall nach § 2.2. Bei nicht konstantem γ(z) wird C(t) im Gegensatz zu (2.23) von einereinfachen Exponentialfunktion abweichen, so daß bei Annahme eines Gauß–Prozessesfur f(t) das Theorem von Doob die Markoff–Eigenschaft fur v(t) ausschließt.

Beweis des “2. Fluktuations–Dissipationstheorems”Nachzutragen bleibt der Beweis von (2.95). Wir folgen dabei R. Kubo, Reports onProgr. in Phys. 29, Part I, 255 (1966). Vorab werden einige Rechenregeln hinsichtlichder Zeitableitungen von C(t) benotigt. Generell ist C(t) = C(−t) (Symmetrie in derZeit) und C(t) = 〈v(t+ t0)v(t0)〉 unabhangig von t0 (Stationaritat). Folglich

0 =d

dt0〈v(t+ t0)v(t0)〉 = 〈v(t+ t0)v(t0)〉+ 〈v(t+ t0)v(t0)〉

= 〈v(t)v(0)〉+ 〈v(t)v(0)〉 (2.109)

Da der erste Term mit C(t) identisch ist, folgt

〈v(t)v(0)〉 = −C(t); 〈v(t)v(0)〉 = −C(t) (2.110) vtv0

Wird in (2.109) t = 0 gesetzt, so ergibt sich 〈vv〉 = 0 oder

C(0) = 0 (2.111) C0

(Man beachte, daß im Rahmen der einfachen Langevin–Theorie nach § 2.2 C(t) beit = 0 nicht differenzierbar ist.)

Mit der Kenntnis von C(z) kann nun der Korrelator der Zufallskraft berechnetwerden:

1

m2〈f(t)f(0)〉 = 〈(v(t) +

∫ t

0dt′γ(t− t′)v(t′))v(0)〉

= −C(t)−∫ t

0dt′γ(t− t′)C(t′)

Dabei wurde (2.110) benutzt. Ubergang zur Laplace–Transformierten ergibt schließlichunter Verwendung von (2.111) und (2.103)

1

m2

∫ ∞

0dt e−zt〈f(t)f(0)〉 = −(z2C(z)− zC(0)− C(0))− γ(z)(zC(z)− C(0))

= −(

z2

z + γ(z)− z)

C(0)− γ(z)(

z

z + γ(z)− 1

)

C(0)

= γ(z)C(0)

d. h. 〈f(t)f(0)〉 = m2γ(t)C(0). Der Gleichgewichtswert C(0) = kBT/m fuhrt genauauf (2.95).

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Dynamische Beweglichkeit

Wir untersuchen nun, ahnlich wie in §2.2, ein System in Gegenwart einer zeitabhangi-gen außeren Kraft K(t). Die so erweiterte Langevin–Gleichung schreiben wir mit derSubstitution τ = t− t′ in der Form

v(t) +

∫ t

0dτ γ(τ)v(t− τ) =

K(t)

m+f(t)

m(2.112) vt1

mitK(t) = Re (Kωe

−iωt) (2.113)

Im “eingeschwungenen Zustand” (t→∞) wird (2.112) durch den Ansatz

〈v(t)〉 = Re (vωe−iωt)

fur die mittlere Geschwindigkeit befriedigt,

−iωvω +

∫ ∞

0dτ γ(τ)eiωτ

︸ ︷︷ ︸

γ(−iω)

vω =Kω

m(2.114)

Daraus folgtvω = µ(ω)Kω

mit der dynamischen Beweglichkeit

µ(ω) = 1m

1−iω+γ(−iω)

Offensichtlich gilt µ(ω) = µ∗(−ω).

Der Vergleich mit dem Ausdruck fur C(−iω) zeigt, daß unabhangig von der Formder Gedachtnisfunktion γ(t) die Beziehung

µ(ω) =1

kBT

∫ ∞

0dt eiωt〈v(t)v(0)〉 (2.115)

gilt. Damit ist das bereits in § 2.2 diskutierte Fluktuations–Dissipationstheorem untererheblich allgemeineren Voraussetzungen bewiesen.

Relaxationsansatz fur die Gedachtnisfunktion

Zur weiteren Diskussion nehmen wir an, daß die Gedachtnisfunktion einem einfachenexponentiellen Zerfall folgt,

γ(t) = ω20 exp(−|t|/τc). (2.116) gammato

Damit wird

γ(z) =ω2

0

z + τ−1c

(2.117)

und

C(z) =kBT

m

1

z +ω2

0

z+τ−1c

. (2.118) Czh

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Nach (2.107) ist die Diffusionskonstante gegeben durch

D =kBT

m

1

ω20τc

(2.119) D1

Wie die Partialbruchentwicklung von (2.118) zeigt, entspricht C(t) der Superpositionzweier Exponentialfunktionen. Alles Wesentliche erkennt man bereits an den Spezi-alfallen:

i) ω0τc ≪ 1 (D “groß”)Der Nenner von (2.118) ist approximierbar durch z + ω2

0τc = z + γ(0), solange|z| ≪ τ−1

c . Dies entspricht einem Relaxationsverhalten wie bei der einfachenLangevin–Gleichung.

ii) ω0τc ≫ 1 (D “klein”)Der Nenner von (2.118) ist nach Erweiterung mit dem Faktor z naherungswei-se gleich z2 + ω2

0 = ω20 − ω2 (z = −iω). Es entsteht eine Resonanz bei der

charakteristischen Schwingungsfrequenz ω0.

Im allgemeinen Fall zeigt das Geschwindigkeitsspektrum (bzw. µ(ω)) eine gedampfteResonanz,

Sv(ω) =kBT

πm

ω20/τc

(ω2 − ω20)

2 + ω2/τ2c

(2.120) Sv

Sofern ω0τc > 1/2, besitzt dieser Ausdruck ein Maximum bei einer endlichen Frequenz.Dies bedeutet, daß gleichzeitig diffusives wie oszillatorisches Verhalten auftritt. Der-artige viskoelastische Eigenschaften sind typisch fur viele komplexe, makromolekulareSysteme.

Korrelationsfunktion der Geschwindigkeit in einfachen Flussigkeiten

Eine wichtige Anwendung der verallgemeinerten Langevin–Gleichung ergibt sich beider Behandlung der Bewegung von Einzelteilchen in einfachen Flussigkeiten. Aus Com-putersimulationen z. B. von flussigem Argon ist bekannt, daß die Bewegung der Atomeoszillatorische Merkmale zeigt. Zu einer groben Beschreibung kann man den Ausdruck(2.120) fur Sv(ω) heranziehen. Die beiden Parameter ω0 und τc lassen sich folgender-maßen festlegen. ω0 ist durch das zweite Moment von Sv(ω) bestimmt (s.u.):

ω20 =

ω2

ω0(2.121) omega0

Allgemein sind die Momente von Sv(ω) definiert durch

ωn =

∫ ∞

−∞dω ωnSv(ω) (2.122)

wobei ungerade Momente verschwinden, ω2n+1 = 0.Fur n = 0 ist

ω0 =

∫ ∞

−∞dω Sv(ω) = C(0) = kBT/m (2.123) omega1

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Die hoheren Momente stehen direkt in Verbindung mit den Zeitableitungen von C(t)bei t = 0,

ω2n =(−1)n

∫ ∞

−∞dω

∫ ∞

−∞dt

(∂2n

∂t2neiωt

)

C(t)

2n–malige partielle Integration ergibt

ω2n =(−1)n

∫ ∞

−∞dω

∫ ∞

−∞dt eiωt ∂

2n

∂t2nC(t)

= (−1)n

(∂2n

∂t2nC(t)

)

t=0

(2.124)

Die Relation (2.121) ergibt sich durch Differentiation von (2.99) nach t. Wird anschlie-ßend t = 0 gesetzt, so folgt C(0) = −γ(0)C(0). (2.124) fur n = 1 und (2.123) fuhrenschließlich auf ω2 = −C(0) = ω2

0ω0 womit (2.121) gezeigt ist.

(2.124) ermoglicht eine Verbindung zu mikroskopischen Theorien. Werden dieZeitableitungen in (2.124) mit Hilfe mikroskopischer Bewegungsgleichungen ausgefuhrt,so entstehen i.a. kompliziertere Korrelationsfunktionen mikroskopischer Variablen mitdem gemeinsamen Zeitargument t = 0. Auf diese Weise lassen sich die Momenteω2n durch mikroskopische Gleichgewichtsmittelwerte ausdrucken. Solche Beziehungenbezeichnet man als “Summenregeln” fur das Spektrum Sv(ω). Bei einer klassischenFlussigkeit findet man speziell fur n = 1

ω2

ω0=

1

3m〈~∇2φ〉.

Dabei ist m die Teilchenmasse und φ das Wechselwirkungspotential eines im Null-punkt festgehaltenen Teilchens mit allen anderen Teilchen. Gemittelt wird uber alleKonfigurationen der umgebenden Teilchen entsprechend der statischen Nahordnung in

der Flussigkeit. Die Frequenz ω0 =

ω2/ω0 bedeutet somit eine lokale Schwingungs-frequenz des Teilchens in seiner als statisch betrachteten Umgebung. Kennt man dasPaarpotential und die Nahordnung (radiale Verteilungsfunktion), so laßt sich ω0 direktausrechnen.

Der zweite Parameter in (2.120), die Relaxationszeit τc, wird durch Anpassungan die Diffusionskonstante D = kBT/mω

20τc (2.119) gewonnen. Damit laßt sich das

Geschwindigkeitsspektrum von Einzelmolekulen in einer Flussigkeit in seinem gro-ben Verlauf wiedergeben. Generell verletzt jedoch die Annahme einer exponentiellenGedachtnisfunktion (2.116) die hoheren Summenregeln fur Sv(ω), da ω2n fur n ≥ 2nicht existiert.

Um genauere Vergleiche mit der Dynamik von Flussigkeiten anzustellen (Erklarungder Position des Maximums in Sv(ω), Berechnung von D, nicht–analytisches Verhal-ten bei kleinen ω bzw. Langzeitverhalten 〈v(t)v(0)〉 ∼ t−d/2 in d Dimensionen), be-darf es mikroskopischer Theorien. Es ist moglich, mikroskopisch eine verallgemeinerteLangevin–Gleichung fur v(t) mit den angegebenen Eigenschaften herzuleiten. Das Pro-blem besteht dann in der Berechnung von γ(t) ∝ 〈f(t)f(0)〉. Man kann fortfahren undeine verallgemeinerte Langevin–Gleichung fur f(t) herleiten, die eine “Zufallskraft”hoherer Ordnung enthalt, usw. Das Ergebnis ist eine Hierarchie von Gleichungen,

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die man selbstkonsistent zu schließen versucht (“Modenkopplungsverfahren”, vgl. J.P.Hansen, I.R. McDonald, “Theory of Simple Liquids” (Academic Press, 1986)).

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2.6 Modell zur mikroskopischen Herleitung einer Langevin–Gleichung

Dieser Abschnitt soll anhand eines einfachen Modells die Art von Naherungen illustrie-ren, die beim Ubergang von der mikroskopischen Dynamik eines Vielteilchensystemszur stochastischen Dynamik ausgewahlter Freiheitsgrade grundsatzlich durchzufuhrensind. In der Darstellung folgen wir R. Tsekov et al., J. Chem. Phys. 100, 1450 (1994).

Betrachtet wird ein Teilchen der MasseM in einem harmonischen Potential V (X) =(M/2)Ω2

0X2. Zusatzlich wechselwirkt das Teilchen mit einem “Warmebad”, reprasen-

tiert durch ein System sehr vieler harmonischer Oszillatoren.Die Hamiltonfunktion des Gesamtsystems lautet

H = H0 +HBad +HWW (2.125)

mitH0 = P 2/2M + (M/2)Ω2

0X2 (2.126) H0

HBad =N∑

ν=1

(p2ν/2m+ (m/2)ω2

νu2ν) (2.127)

HWW = λN∑

ν=1

Xuν (2.128) HW

Die Wechselwirkung ist bilinear bzgl. der Teilchenauslenkung X und den Auslenkun-gen der Bad–Oszillatoren uν ; der Einfachheit halber nehmen wir die Kopplungskon-stante λ als ν–unabhangig an. Ansonsten ist die Bedeutung aller Großen in (2.126)bis (2.128) offensichtlich.

Unser Ziel ist es, die Badvariablen zu eliminieren und eine stochastische Bewe-gungsgleichung fur X(t) aufzustellen, aus der man Dampfungseffekte ableiten kann.Dies geschieht in mehreren Schritten:

i) Lose die Bewegungsgleichung des Teilchens, d. h. bestimme X(t) zu gegebenenAnfangsbedingungen (P (0), X(0), pν(0), uν(0)) bei t = 0.

ii) Betrachte pν(0) und uν(0) als Zufallsvariablen, die zu gegebenemX(0) Boltzmann–verteilt sind (d. h. das Bad ist zur Zeit t = 0 im thermischen Gleichgewicht). DieGroße X(t) wird so zu einem stochastischen Prozeß.

iii) Bilde bzgl. des Spektrums der Bad–Oszillatoren den Kontinuumslimes. Durchdiesen Schritt wird eine Dampfung eingefuhrt.

iv) Fuhre eventuell zusatzlich die Markoff–Naherung aus.

Zunachst haben wir die mechanischen Bewegungsgleichungen

MX +MΩ20X + λ

ν

uν = 0 (2.129) MX1

muν +mω2νuν + λX = 0 (2.130) mud

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Die zweite Gleichung fassen wir auf als Bewegungsgleichung getriebener Oszillatorenmit einer Erregerkraft proportional zu X(t). Es sei Gν(t) die kausale Greenfunktion,definiert durch

(∂2

∂t2+ ω2

ν

)

Gν(t− t′) = δ(t− t′); Gν(t ≤ 0) = 0 (2.131)

Gν(t) = Θ(t)sinωνt

ων(2.132)

Dann konnen wir die Losung zu gegebenen Anfangswerten uν(0) und pν(0) = muν(0)fur Zeiten t > 0 in der Form schreiben

uν(t) = u(h)ν (t) + u(p)

ν (t) (2.133)

Dabei lost

u(h)ν (t) = uν(0) cosωνt+

pν(0)

mωνsinωνt (2.134) uh

die homogene Differentialgleichung. Die partikulare Losung

u(p)ν (t) = − λ

m

∫ t

0dt′Gν(t− t′)X(t′) (2.135) up

ist so gewahlt, daßu(p)

ν (0) = 0; u(p)ν (0) = 0

(Man beachte, daß Gν(0) = 0.) Mittels

Gν(t− t′) =d

dt′

(cosων(t− t′)

ω2ν

)

fur t > t′ und partieller Integration wird (2.135) umgeformt,

u(p)ν (t) =

(

− λm

)[

X(t)1

ω2ν

−X(0)cosωνt

ω2ν

−∫ t

0dt′

cosων(t− t′)ω2

ν

X(t′)

]

(2.136)

Dieser Ausdruck sowie (2.134) werden in (2.129) eingesetzt. Alle Terme, welche dieAnfangsbedingungen enthalten, schreiben wir auf die rechte Seite und fuhren folgendeAbkurzungen ein,

Ω2eff ≡ Ω2

0 −λ2

mM

N∑

ν=1

1

ω2ν

(2.137)

K(t) ≡N∑

ν=1

cosωνt

ω2ν

(2.138) Kt

f(t) ≡ −λN∑

ν=1

(

u(h)ν (t) +

λX(0)

mω2ν

cosωνt

)

(2.139) ft

Damit entsteht die folgende, exakt gultige Integrodifferentialgleichung fur X(t),

MX(t) +MΩ2effX(t) +

λ2

m

∫ t

0dt′K(t− t′)X(t′) = f(t) (2.140) MX

63

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Formal hat sie die Gestalt einer verallgemeinerten Langevin–Gleichung fur einen Oszil-lator mit der Eigenfrequenz Ωeff . Aufgrund der Ankopplung an die Bad–Oszillatorenist diese Eigenfrequenz gegenuber der ursprunglichen Schwingungsfrequenz Ω0 ver-schoben (“Frequenzrenormierung”). Zusatzlich vermitteln die Badoszillatoren uberdie Funktion K(t) eine Ruckwirkung fruherer Bewegungszustande auf die zur Zeitt herrschende Kraft. Schließlich tritt eine durch die Anfangsbedingungen bestimmteInhomogenitat f(t) auf. Wie in § 2.5 laßt sich (2.140) durch Laplace–Transformationweiterbehandeln. Der Schritt i) ist somit erledigt.

Durch den Schritt ii) wird eine statistische Annahme eingefuhrt. Sie impliziert,daß zur Zeit t = 0 die Verteilungsfunktion der Badvariablen proportional ist zuexp[−β(HBad +HWW )]. Durch quadratische Erganzung im Exponenten erhalten wireine Hamiltonfunktion fur verschobene Oszillatoren,

HBad +HWW =N∑

ν=1

[m

2ω2

ν u2ν −

λ2X2

2mω2ν

+p2

ν

2m

]

(2.141) HBad

Die Auslenkungen

uν = uν +λX

mω2ν

(2.142)

von den verschobenen Gleichgewichtspositionen (−λX/mω2ν) sind Gauß–verteilt mit

〈uν〉 = 0; 〈pν〉 = 0 (2.143)

〈uν uµ〉 = δνµkBT

mω2ν

(2.144)

〈pνpµ〉 = δνµmkBT (2.145)

〈uνpµ〉 = 0 (2.146)

Nach Einsetzen von (2.134) in (2.139) erweist sich

f(t) = −λN∑

ν=1

(

uν(0) cosωνt+pν(0)

mωνsinωνt

)

(2.147)

als Gaußscher Prozeß mit 〈f(t)〉 = 0. Aufgrund der Form von (2.141) ist die Verteilungder Großen uν(0) unabhangig von X(0), so daß

〈X(0)f(t)〉 = 0 fur t ≥ 0 (2.148) X0

Schließlich ist zu berechnen

〈f(t)f(t′)〉 = λ2∑

ν

(kBT

mω2ν

cosωνt cosωνt′ +

mkBT

(mων)2sinωνt sinωνt

′)

= λ2kBT

m

ν

1

ω2ν

cosων(t− t′)

Wegen (2.138) konnen wir schreiben

〈f(t)f(t′)〉 = MkBTγ(t− t′) (2.149) ftft

64

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wobei

γ(t) =λ2

mMK(t) (2.150) gamma

Mit (2.150) und (2.148) nimmt die stochastische Gleichung (2.140) die formale Struk-tur einer verallgemeinerten Langevin–Gleichung mit Tragheitsterm an.

Es bleibt die Frage, unter welchen Umstanden (2.140) eine Dampfung beschreibt.Falls K(t) fur t→∞ hinreichend rasch nach Null strebt, so ubernimmt der Integral-term fur genugend große Zeiten die Rolle einer Dampfung mit der Dampfungskon-stanten γ = (λ2/mM)

∫∞0 dtK(t). Fur endliche N ist aber die Funktion (2.138), die

wir der Deutlichkeit halber mit KN (t) bezeichnen, “fast periodisch”, d. h. sie kommtjedem angenommenen Funktionswert nach hinreichend langer Zeit wieder beliebig na-he. Dampfung entsteht erst, wenn diese Wiederkehrzeit durch Ubergang zu einemkontinuierlichen Bad–Spektrum nach Unendlich geschoben wird. Wir setzen hierzu

KN (t) =

∫ ∞

0dω ρN (ω)

cosωt

ω2(2.151) KNt

mit der Zustandsdichte

ρN (ω) =

N∑

ν=1

δ(ω − ων) (2.152)

und nehmen an, daß im Limes N → ∞ die Eigenfrequenzen ων auf der Frequenz-achse dicht liegen, so daß ρN (ω) nach Einsetzen in (2.151) durch ein kontinuierlichesSpektrum ρ∞(ω) ersetzt werden kann, vgl. Abb. (2.7). Den entsprechenden UbergangKN (t)→ K∞(t) diskutieren wir fur das Beispiel eines Debye–Spektrums

ρ∞(ω) =

Aω2 fur ω < ωD

0 sonst(2.153)

Es folgt

K∞(t) = AsinωDt

t(2.154)

mit der typischen Abklingzeit ω−1D .

Sofern ωD ≫ Ω0, kann es sinnvoll sein, im Anschluß hieran noch die Markoff–Naherungdurchzufuhren. Formal entspricht dies dem Grenzfall

limωD→∞

sinωDt

t= πδ(t) (2.155)

Dann erhalt man die “gewohnliche” Langevin–Gleichung fur einen gedampften Brown-schen Oszillator mit der Dampfungskonstanten γ = λ2Aπ/2mM .

Unabhangig von der Markoff–Naherung ist noch die Berechnung der Dampfung ei-nes schwach gedampften Oszillators fur ein beliebiges Spektrum ρ∞(ω) von Interesse.Die Korrelationsfunktion 〈X(t)X(0)〉 genugt dem homogenen Teil von (2.140). Mitdem Ansatz 〈X(t)X(0)〉 ∼ exp(−iΩt); Ω = Ω0 + iΩ1, findet man eine Dampfungskon-stante Ω1 ∝ λ2ρω(Ω0) , die proportional ist zur Zustandsdichte der Badoszillatoren beider Eigenfrequenz Ω0. Ein Ergebnis dieser Form erinnert an die Quantenmechanik; inder Tat ist diese Vorgehensweise der Berechnung der Dampfung und der Frequenzre-normierung zur Ordnung ∼ λ2 ahnlich der Theorie von V. Weißkopf und E.P. Wignerzur Behandlung der Strahlungsdampfung angeregter Atome.

65

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ρ (ω)Ν

ω

ω

ρ (ω)8

Abbildung 2.7: Zustandsdichte der Bad–Oszillatoren und Ubergang zum Kontinuumslimes.

66

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Kapitel 3

Die Fokker–Planck–Gleichung

3.1 Herleitung der Fokker–Planck–Gleichung

Die Bewegung freier oder harmonisch gekoppelter Brownscher Teilchen wird durch li-neare Langevin–Gleichungen beschrieben. Wie in § 2 gezeigt, lassen sich diese elemen-tar losen. In komplizierten Fallen wird man auf nichtlineare Langevin–Gleichungengefuhrt. Bequemer ist es dann, von der sogenannten Fokker–Planck–Gleichung aus-zugehen, einer linearen, partiellen Differentialgleichung fur die Ubergangswahrschein-lichkeit. Gleichungen dieses Typs spielen in der Theorie kontinuierlicher stochastischerProzesse eine zentrale Rolle.

Wir leiten zunachst die Fokker–Planck–Gleichung fur einen eindimensionalen, sta-tionaren Markoff–Prozeß x(t) her. f(x) sei eine beliebige Funktion von x, die furx→ ±∞ genugend rasch gegen Null geht. Mit

f(t, x0) =

dy f(y)w(y, t|x0) (3.1) barf

bezeichnen wir den bedingten Mittelwert von f(x) zur Zeit t, wobei verlangt ist, daßsich das System zur Zeit t = 0 im Zustand x0 befindet, f(0, x0) ≡ f(x0). UnterVerwendung der Chapman–Kolmogorov–Gleichung folgt

∂f(t, x0)

∂t=

dy f(y)∂w(y, t|x0)

∂t

= limτ→0

1

τ

dy f(y) [w(y, t+ τ |x0)− w(y, t|x0)]

= limτ→0

1

τ

[∫

dy

dx f(y)w(y, τ |x)w(x, t|x0)−∫

dx f(x)w(x, t|x0)

]

.

Wir nehmen an, daß innerhalb einer sehr kurzen Zeit τ nur Ubergange in eng be-nachbarte Zustande eine Rolle spielen, d. h. daß w(y, τ |x) fur sehr kleine τ nur fury ≈ x merklich von Null verschieden ist. Dann kann man unter dem Integral f(y) umx entwickeln,

f(y) ≃ f(x) + (y − x)f ′(x) +1

2(y − x)2f ′′(x) + . . . ,

67

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wobei sich der Term nullter Ordnung im Ausdruck fur ∂f/∂t wegen∫dy w(y, τ |x) = 1

heraushebt. Mit den Abkurzungen

Km(x) = limτ→0

1

τ

dy (y − x)mw(y, τ |x) fur m ≥ 1

≡ limτ→0

1

τ(x(τ)− x(0))m (3.2)

folgt nach Ausfuhrung der y–Integration die Kramers–Moyal–Entwicklung fur ∂f/∂t,

∂f(t, x0)

∂t=

dx

[

K1(x)f′(x) +

1

2K2(x)f

′′(x) + . . .

]

w(x, t|x0). (3.3)

Ihrer Definition nach beschreiben die Kramers–Moyal Koeffizienten Km(x) das Kurz-zeitverhalten der Ubergangswahrscheinlichkeit in Form ihrer Momente. Nach der obi-gen Annahme zum Verhalten von w(y, τ |x0) fur τ → 0 wird Km(x) klein fur großem. Als Naherung wird Km(x) fur m ≥ 3 nun ganz vernachlassigt. (Fur den Fall derBrownschen Bewegung wird unten gezeigt, daß in der Tat Km(x) ≡ 0 fur m > 2.)Damit folgt

∂f(t, x0)

∂t=

dx (L+f(x))w(x, t|x0)

≡ (L+f)(t, x0) (3.4)

mit dem Differentialoperator

L+ = K1(x)∂

∂x+

1

2K2(x)

∂2

∂x2. (3.5) L

Nach partieller Integration in (3.4) (die Randterme fur x → ±∞ verschwinden auf-grund unserer Voraussetzungen zu f(x)) wirkt der adjungierte Operator L auf w(x, t|x0),

∂f(t, x0)

∂t=

dx f(x)Lw(x, t|x0)

mit

Lw ≡ − ∂

∂x(K1w) +

1

2

∂2

∂x2(K2w) (3.6)

Da andererseits ∂f/∂t =∫dx f(x)(∂/∂t)w(x, t|x0), so folgt

dx f(x)

(∂

∂t− L

)

w(x, t|x0) = 0

fur beliebiges f(x). Daraus folgt die Fokker–Planck (FP)–Gleichung

∂w(x,t|x0)∂t = Lw(x, t|x0)

≡ − ∂∂x(K1(x)w(x, t|x0)) + 1

2∂2

∂x2 (K2(x)w(x, t|x0))

Die x0–Abhangigkeit der Losung ergibt sich durch die Anfangsbedingung

w(x, t = 0|x0) = δ(x− x0). (3.7) wxt

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Zur Interpretation der FP–Gleichung gehen wir auf die Definition (3.2) von K1 und K2

zuruck. K1(x) bedeutet die mittlere Geschwindigkeit ¯x im Zustand x. Wenn man nurden K1–Term beibehalt, so entsteht eine Kontinuitatsgleichung fur die Dichte w mitder zugehorigen Stromdichte K1w. Bei bekanntem K1(x) beschreibt deren Losung ei-ne deterministische Bewegung. Insbesondere bleibt eine anfanglich scharfe (δ–formige)Verteilung fur alle Zeiten scharf. Die Trajektorie x(t) folgt durch Losen der gewohn-lichen Differentialgleichung dx/dt = K1(x) mit der Anfangsbedingung x(t = 0) = x0.Im Fall einer kontinuierlichen Verteilung w kann man die Bewegung als hydrodyna-mischen Fluß interpretieren, der durch das Geschwindigkeitsfeld K1(x) bestimmt ist.

Die Große K2 enthalt nach (3.2) Information uber die Abweichungen von dermittleren Bewegung, ausgedruckt durch eine Verbreiterung von w(y, τ |x0) fur kleineτ und somit uber die Fluktuationen. Der K2–Term in (3.7) ist verantwortlich fur dieDiffusion. Die FP–Gleichung enthalt also Drift und Diffusion.

“Ruckwarts”–FP Gleichung

Fur die Ubergangswahrscheinlichkeit kann man auch eine Differentialgleichung bzgl.des Anfangswertes x0 aufstellen,

∂w(x, t|x0)

∂t= L+w(x, t|x0)

≡[

K1(x0)∂

∂x0+

1

2K2(x0)

∂2

∂x20

]

w(x, t|x0). (3.8)

Der Differentialoperator L+, der “Ruckwartsoperator”, wurde bereits in (3.119) ein-gefuhrt. Er wirkt hier auf x0. Bei der Ruckwartsgleichung ergibt sich die x–Abhangig-keit aus der Anfangsbedingung (3.7).

Man kann die Ruckwartsgleichung wieder durch Entwicklung aus der Chapman–Kolmogorov–Gleichung gewinnen. Wir gehen stattdessen von dem x0–abhangigen Mit-telwert (3.1) aus. Fortgesetzte Zeitableitung von (3.4) liefert ∂nf(t, x0)/∂t

n = ((L+)nf)(t, x0)fur n = 0, 1, 2, . . . . Wegen w(x, 0|x0) = δ(x − x0) folgt speziell fur t = 0, daß∂nf(t, x0)/∂t

n|0 = (L+)nf(x0), wobei zu beachten ist, daß hier und in den folgen-den Ausdrucken L+ auf den Anfangswert x0 wirkt. Es folgt

f(t, x0) =

∞∑

n=0

1

n!(L+t)nf(x0)

= eL+tf(x0). (3.9)

Daran erkennen wir, daß in Systemen, die durch eine FP–Gleichung beschrieben wer-den, der Operator L+ eine ahnliche Rolle spielt wie der Liouville–Operator in Hamil-tonschen Systemen. (3.9) stellt die formale Losung der Differentialgleichung

∂f(t, x0)

∂t= L+f(t, x0) (3.10)

zur Anfangsbedingung f(0, x0) = f(x0) dar. Zusammen mit der Definition von f(t, x0)nach (3.1) folgt

dx f(x)

(∂

∂t− L+

)

w(x, t|x0) = 0

69

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fur beliebiges f(x). Damit ist die “Ruckwartsgleichung” (∂/∂t− L+)w = 0 bewiesen.

Mehrdimensionale Prozesse

Fur mehrere Variablen Xα(t), α = 1, 2, . . . n, lautet die FP–Gleichung

∂w∂t = −∑α

∂∂xα

(Kαw) + 12

α,β∂2

∂xα∂xβ(Kαβw) (3.11)

wobei

Kα(x1, . . . xn) = limτ→0

1

τ(xα(τ)− xα(0)) (3.12) Ka

Kαβ(x1, . . . xn) = limτ→0

1

τ(xα(τ)− xα(0))(xβ(τ)− xβ(0)). (3.13) Kab

Die zugehorige Ruckwartsgleichung (Anfangswerte x0α) enthalt wieder den adjungier-

ten Operator,

∂w∂t =

αKα∂w∂x0

α+ 1

2

αβ Kαβ∂2w

∂x0α∂x0

β

(3.14)

FP–Gleichung zur Brownschen Bewegung

Als Anwendungsbeispiel wollen wir die Momente Km aus der Langevin–Gleichung furein Brownsches Teilchen berechnen.

i) Kraftefreier FallDer eindimensionale stochastische Prozeß v(t) wird durch die Langevin–Gleichung

v + γv = f(t)/m (3.15)

bestimmt, vgl. § 2.2. Integration uber ein kleines Zeitintervall τ liefert

v(τ)− v(0) = −γv(0)τ +1

m

∫ τ

0dt′ f(t′) + o(τ)

Mittelung uber die Zufallskraft f(t) ergibt

∆v ≡ v(τ)− v(0) = γv(0)τ + o(τ)

(∆v)2 =1

m

∫ τ

0dt′∫ τ

0dt′′〈f(t′)f(t′′)〉+ o(τ)

=2γkBT

mτ + o(τ)

und folglich

K1(v) = limτ→0

1

τ∆v = −γv (3.16)

K2(v) = limτ→0

1

τ(∆v)2 = 2γkBT/m (3.17)

70

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K1 wird also durch die systematische Reibungskraft, K2 durch die Zufallskraftbestimmt. Fur m ≥ 3 ist offensichtlich (∆v)m = o(τ), so daß Km(v) = 0.Somit lautet die FP–Gleichung fur ein freies Brownsches Teilchen

∂w

∂t= γ

∂v(vw) +

γkBT

m

∂2w

∂v2

oder

∂w∂t = γ ∂

∂v

(

v + kBTm

∂∂v

)

w (3.18) pwpt

Die Gleichung ist, wie zu erwarten, nicht invariant gegenuber Zeitumkehr. Der 1.Term der rechten Seite beschreibt eine irreversible Drift aufgrund der Reibung,der 2. Term die Diffusion im Geschwindigkeitsraum.

Als stationare Losung mit der Randbedingung w → 0 fur v → ±∞ finden wirdie Maxwell–Verteilung

Weq(v) = const. exp

(

−β2mv2

)

. (3.19)

Die Losung von (3.18) mit der Anfangsbedingung w(v, 0|v0) = δ(v − v0) istgegeben durch

w(v, t|v0) =

(m

2πkBT (1− e−2γt)

)1/2

exp

[

− m(v − v0e−γt)2

2kBT (1− e−2γt)

]

(3.20)

Dies ist die Ubergangswahrscheinlichkeit des Ornstein–Uhlenbeck Prozesses, vgl.§ 2.2, die sich hier als Losung der partiellen Differentialgleichung (3.18) erweist.Aufgrund der Linearitat der FP–Gleichung ist die Losung W (v, t) zu einer be-liebigen Anfangsverteilung W (v, 0) = W0(v) gegeben durch

W (v, t) =

dv0 w(v, t|v0)W0(v0) (3.21)

ii) Außere KrafteIn Anwesenheit einer außeren Kraft K(x) = −V ′(x) ist es von vornherein not-wendig, den 2–dimensionalen Prozeß (x(t), v(t)) zu betrachten. Aus der Langevin–Gleichung

v + γv =K(x)

m+f(t)

m(3.22)

erhalten wir (x ≡ x(0), v ≡ v(0))

v(τ)− v(0) = −γvτ +K(x)

mτ +

1

m

∫ τ

0dt′ f(t′) + o(τ)

und somit fur τ → 0

∆v ≃(

−γv +K(x)

m

)

τ

(∆v)2 ≃ 2γkBT

71

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Fur die Ortsanderung innerhalb τ ergibt sich

x(τ)− x(0) = vτ + o(τ)

d. h. ∆x ≃ v(0); (∆x)2 = o(τ); ∆x∆v = o(τ)Daraus ergeben sich die Momente (vgl. (3.12),(3.13))

Kv = −γv +K(x)

m; Kvv =

2γkBT

m(3.23)

Kx = v; Kxx = 0; Kxv = 0. (3.24)

Die zugehorige FP–Gleichung, die sog. Kramers–Gleichung, lautet hiermit

(∂∂t + v ∂

∂x + K(x)m

∂∂v

)

w = γ ∂∂v

(

v + kBTm

∂∂v

)

w (3.25) KG

Anfangsbedingung fur die Ubergangswahrscheinlichkeit ist

w(x, v, 0|x0, v0) = δ(x− x0)δ(v − v0). (3.26)

Im Vergleich zum kraftefreien Fall, in dem nur der Prozeß v(t) betrachtet wurde, habenwir zusatzlich reversible Driftterme. Zu deren Diskussion setzen wir γ = 0. Dann folgteine reversible (zeitumkehrinvariante) Bewegung, die alleine von den Gesetzen derMechanik diktiert ist. Die Liouville–Gleichung der klassischen Mechanik besagt, daßdie totale Zeitableitung der Dichte w im Phasenraum verschwindet, in unserem Fall

dw

dt=∂w

∂t+

(∂w

∂x

)

x+

(∂w

∂v

)

v = 0. (3.27)

Dies ist identisch mit dem Verschwinden der l.S. von (3.25) im Fall γ = 0. Die volleFP–Gleichung (γ 6= 0) enthalt daruberhinaus eine irreversible Drift und die Geschwin-digkeitsdiffusion wie im kraftefreien Fall. Bei K(x) ≡ 0 erhalt man (3.18) zuruck, wennman von der raumlichen Diffusion absieht, d. h. (3.25) uber x integriert.

Stationare Losung von (3.25) ist die Maxwell–Boltzmann–Verteilung

Weq(x, v) = const. exp[

−β(m

2v2 + V (x)

)]

, (3.28) Weq

sofern das Potential so beschaffen ist, daß sich Gleichgewicht einstellen kann (vgl. aber§ 3.4).

In Verbindung mit (3.28) ist folgendes anzumerken. Der fundamentale Zusammen-hang 〈f(t)f(0)〉 = 2mγkBTδ(t) zwischen Zufallskraft und Reibungskonstanten γ (sog.“2. FDT”) wurde in § 2.2 nur fur den kraftefreien Fall aus dem Gleichverteilungssatzhergeleitet. Der Beweis fur die Brownsche Bewegung mit außerer Kraft wird mit Hilfeder FP–Gleichung gefuhrt. Man setzt 〈f(t)f(0)〉 = Cδ(t) mit einer zunachst unbekann-ten Konstanten C, so daß Kvv = C/m2. Fordert man, daß die Maxwell–Boltzmann–Verteilung stationar ist, so muß notwendigerweise Kvv = 2γkBT/m. Daraus folgtC = 2mγkBT .

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Die Kramers–Gleichung (3.25) ist eine partielle Differentialgleichung 2. Ordnung.Abgesehen vom linearen Fall K(x) ∝ x, dem ein harmonisch gebundenes Teilchen ent-spricht, sind Losungen sehr schwer zu finden. Meistens ist man nicht an der Ubergangs-wahrscheinlichkeit selbst, sondern an der Zeitentwicklung von Mittelwerten f(t, x0, v0)des Typs (3.1) bzw. an Korrelationsfunktionen interessiert, zu deren Berechnung eineReihe von Methoden zur Verfugung steht. (Naheres s. H. Risken, The Fokker–PlanckEquation, Methods of Solution and Applications (Springer–Verlag, 1989))

Eine einfache Folgerung laßt sich aber allgemein ziehen. Durch Integration von(3.25) uber v uberzeugt man sich leicht, daß die ortliche Dichte

W (x, t) =

dv w(x, v, t|x0, v0)

zusammen mit der Stromdichte

j(x, t) =

dv v w(x, v, t|x0, v0)

der Kontinuitatsgleichung genugen, ∂W/∂t+ ∂j/∂x = 0.

73

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3.2 Theorie der linearen Antwort

Ein physikalisches System befinde sich zunachst im thermischen Gleichgewicht. ZurZeit t = 0 wird eine zeitabhangige Storung eingeschaltet, die das System aus demGleichgewicht entfernt. Die Reaktion des Systems auf die Storung zeigt sich durchveranderte Mittelwerte der beobachteten physikalischen Großen. Bei genugend schwa-cher Storung hangt die Abweichung vom Gleichgewichtsmittelwert linear mit derStorung zusammen. Es gilt also eine Beziehung der Form

Systemantwort =

(verallgemeinerteSuszeptibilitat

)

× Storung.

Die Theorie der linearen Antwort befaßt sich damit, die “verallgemeinerte Suszeptibi-litat” auf Eigenschaften des Systems im Gleichgewicht zuruckzufuhren. Das Problemlaßt sich unter Verwendung mikroskopischer Bewegungsgleichungen ganz allgemeinbehandeln und fuhrt auf allgemein gultige Fluktuations–Dissipationstheoreme (vgl.R. Kubo, M. Toda, N. Hashitsume, “Statistical Physics II - Nonequilibrium Statisti-cal Mechanics” (Springer–Verlag, 1985)). Auf der Basis stochastischer Bewegungsglei-chungen haben wir Beispiele in § 2.2 und § 2.3 bereits kennengelernt.

Wir interessieren uns hier fur den Fall eines Brownschen Teilchens in einem auße-ren Potential V (x), dessen Dynamik durch die Kramers–Gleichung (3.25) beschrie-ben wird. Als Storung nehmen wir eine zusatzliche zeitabhangige, raumlich konstanteKraft Kext(t) an, unter deren Einfluß sich eine zeitabhangige mittlere Driftgeschwin-digkeit einstellt. Die verallgemeinerte Suszeptibilitat ist wie in § 2.2 identisch mit derdynamischen Beweglichkeit.

Es seiKext(t) = Re(Kωe

−iωt) fur t ≥ 0. (3.29) KextZu Zeiten t < 0 befindet sich das System im Gleichgewicht. Wenn die mittlere Drift-geschwindigkeit zu fester Frequenz ω berechnet ist, so laßt sich das Ergebnis fur einenbeliebigen Zeitverlauf von Kext(t) durch Superposition gewinnen.

Unter der Wirkung der Kraft (3.29) entsteht ein nicht–stationarer Prozeß. Die zu-gehorige FP–Gleichung fur die Verteilungsfunktion W (x, v, t) wird dadurch gewonnen,daß man in (3.25) Kext(t) zu K(x) = −V ′(x) addiert. Dabei entsteht

∂W

∂t=(L0 + Lext(t)

)W (3.30)

mit dem ungestorten FP–Operator

L0 = −v ∂∂x− K(x)

m

∂v+ γ

∂v

(

v +kBT

m

∂v

)

(3.31)

und der explizit zeitabhangigen Storung

Lext(t) = −Kext(t)

m

∂v. (3.32)

Gesucht ist die Losung W (x, v, t) zur Anfangsbedingung

W (x, v, 0) = Weq(x, v) = const. exp[

−β(m

2v2 + V (x)

)]

. (3.33)

74

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Dazu setzen wir W = Weq + W1 mit W1(x, v, t) = 0 fur t < 0. Da die Storung alsgenugend schwach vorausgesetzt wird, konnen wir die FP–Gleichung linearisieren,

(∂

∂t− L0

)

W1 = Lext(t)Weq. (3.34)

Diese inhomogene Gleichung fur W1 wird mit Hilfe der kausalen Greenfunktion Ggelost. Es sei w0 die Ubergangswahrscheinlichkeit des ungestorten Problems und Θ(t)die Einschaltfunktion. Dann ist

G(x, v, t|x0, v0) = Θ(t)w0(x, v, t|x0, v0) (3.35)

die benotigte Greenfunktion zum Operator ∂/∂t− L0,

(∂

∂t− L0

)

G = δ(t)w0 + Θ(t)

(∂

∂t− L0

)

w0 =

= δ(t)δ(x− x0)δ(v − v0)

Fur t ≥ 0 folgt

W1(x, v, t) =

∫ ∞

0dt′∫

dx0

dv0 G(x, v, t− t′|x0, v0)(Lext(t′)Weq)(x0, v0)

=

∫ t

0dt′∫

dx0

dv0 w0(x, v, t− t′|x0, v0)βKext(t′)v0Weq(x0, v0).

Der Mittelwert der Geschwindigkeit zur Zeit t ist nun gegeben durch

〈v(t)〉 =

∫ ∫

dx dv vW1(x, v, t).

Mit der Substitution τ = t− t′ erhalten wir

〈v(t)〉 = Re e−iωt

∫ t

0dτ

∫ ∫

dx dv

∫ ∫

dx0 dv0 vw0(x, v, τ |x0, v0)v0Weq(x0, v0)βKωeiωτ .

Nach Abklingen der Einschalteffekte (t→∞) folgt

〈v(t)〉 = Re(µ(ω)Kωe−iωt) (3.36)

µ(ω) ist die dynamische Beweglichkeit, die durch die Geschwindigkeitkorrelationsfunk-tion im Gleichgewicht bestimmt ist,

µ(ω) = β

∫ ∞

0dτ eiωτ 〈v(τ)v(0)〉. (3.37)

Damit ist das Fluktuations–Dissipationstheorem in der Form (2.37) auch bei Anwesen-heit eines Potentials V (x) bewiesen. Wir bemerken, daß die mikroskopische Theorie,die von den Hamiltonschen Gleichungen anstatt von der FP–Gleichung ausgeht, zumgleichen Ergebnis gelangt.

75

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3.3 Der Grenzfall großer Reibung (Smoluchowski–Gleichung)

Bei großer Reibung γ entwickelt ein durch die Kramers–Gleichung beschriebenes Sy-stem zwei grundsatzlich verschiedene Zeitskalen. Je großer γ, umso rascher relaxiertdie Geschwindigkeit ins Gleichgewicht; gleichzeitig aber verlangsamt sich die ortlicheRelaxation. Es ist deshalb naheliegend, durch Eliminieren der “schnellen” Geschwin-digkeitsvariablen eine reduzierte Beschreibung fur die “langsamen” ortlichen Variablenzu suchen. Das Ergebnis ist die Smoluchowski (SM)–Gleichung, die auf heuristischemWege in § 2.1 bereits hergeleitet wurde. Nachfolgend wird die SM–Gleichung aus derKramers–Gleichung im Grenzfall großer γ hergeleitet. Dabei erhalt man auch ein Kri-terium uber die zu fordernde Große von γ.

Es sei W (x, v, t) die Losung der FP–Gleichung

(∂

∂t+ v

∂x+K(x)

m

∂v

)

W = γ∂

∂v

(

v +kBT

m

∂v

)

W (3.38)

zu einer beliebigen Anfangsverteilung W (x, v, 0). Abspaltung der Wurzel aus derMaxwell–Verteilung,

W (x, v, t) ≡ e− 12µ2φ(x, µ, t), (3.39) Wxvt

wobei

µ = v

√m

2kBT(3.40)

eine dimensionslose Geschwindigkeitsvariable darstellt, liefert nach kurzer Rechnungeine Gleichung fur φ,

[

∂t+

2kBT

mµ∂

∂x+K(x)

m

√m

2kBT

(

−µ+∂

∂µ

)]

φ =γ

2

(∂2

∂µ2+ 1− µ2

)

φ. (3.41) partial

Die Form der Reibungsterme auf der rechten Seite ist von der Schrodingergleichungfur einen harmonischen Oszillator her bekannt. Die Eigenfunktionen der Reibungster-me im FP–Operator zur Randbedingung φ(µ → ±∞) → 0 sind deshalb Oszillator–Funktionen φn(µ),

1

2

(

− ∂2

∂µ2+ µ2

)

φn(µ) =

(

n+1

2

)

φn(µ), n = 0, 1, 2, . . . (3.42)

die wir als normiert ansehen,

φn(µ) =(√π2nn!

)−1/2e−

12µ2Hn(µ) (3.43)

Hn(µ) bezeichnet die Hermiteschen Polynome.Wir betrachten nun den Fall großer Reibung γ. Da die γ–abhangigen Terme dominie-ren, liegt es nahe, die Losung der FP–Gleichung nach deren Eigenfunktionen φn(µ) zuentwickeln,

φ(x, µ, t) =∞∑

l=0

φl(µ)ψl(x, t). (3.44) phix

76

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Die Geschwindigkeitsabhangigkeit des Terms l = 0 entspricht im Ausdruck (3.39) derMaxwellverteilung ∝ e−µ2

, wahrend die Terme l > 0 zunehmend feinere Abweichungenvon der Maxwellverteilung beschreiben.

Wir setzen die Entwicklung (3.44) in die FP–Gleichung (3.41) ein, multiplizierenvon links mit φn(µ) und integrieren uber µ. Unter Verwendung der Auf– und Abstei-geoperatoren

1√2

(

µ− ∂

∂µ

)

φl ≡ a+φl =√l + 1φl+1

1√2

(

µ+∂

∂µ

)

φl ≡ aφl =√lφl−1

erhalt man das folgende System von Differentialgleichungen fur die Funktionen ψn(x, t),

(∂

∂t+ nγ

)

ψn =

kBTn

m

(

− ∂

∂x+K(x)

kBT

)

ψn−1 −√

kBT (n+ 1)

m

∂ψn+1

∂x(3.45) partial1

Z.B. entstehen die Ableitungsterme (∂/∂x)ψn±1 aus (3.41) mit Hilfe von∫

dµ φn(µ)µφl(µ) =1√2〈n|a+ a+|l〉

=1

2(√n+ 1δl,n+1 +

√nδl,n−1)

Fur n = 0 ist ψn−1 ≡ 0 zu setzen. Bei großer Reibung γ wird das System bestrebtsein, Abweichungen von der Maxwellverteilung moglichst rasch auszugleichen. Diemaßgebliche Zeitkonstante fur ψn(x, t) ist nγ. Terme mit niedrigen n werden bei großenZeiten deshalb die wichtigste Rolle spielen, so daß man das Gleichungssystem (3.45)naherungsweise bei einem bestimmten n abbrechen kann. Uns interessiert hier nur derGrenzfall γ → ∞ (uberdampfter Grenzfall); hierfur genugt es, sich auf ψ0 und ψ1 zubeschranken.Es folgt also

∂ψ0

∂t= −

kBT

m

∂ψ1

∂x(3.46) parpsi0

∂ψ1

∂t+ γψ1 =

kBT

m

(

− ∂

∂x+K(x)

kBT

)

ψ0 (3.47) parpsi1

Vernachlassigt man fur γ → ∞ noch ∂ψ1/∂t gegen γψ1 fur Zeiten t ≫ γ−1, (d. h. ψ1

folgt “adiabatisch” der Funktion ψ0(x, t)) so entsteht endgultig

∂ψ0

∂t=kBT

∂x

(∂

∂x− βK(x)

)

ψ0 (3.48) parpsi

Die vernachlassigten Terme n ≥ 2 liefern Korrekturen hoherer Ordnung in γ−1. Ausihnen kann man ablesen, daß (3.48) anwendbar ist, solange

1

γ

kBT

m≪(K ′(x)K(x)

)−1

. (3.49)

Der Weg, auf dem ein Teilchen mit thermischer Geschwindigkeit abgebremst wird,muß kurz sein im Vergleich zu denjenigen Langen, uber denen sich die außere Kraft

77

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wesentlich andert. Außerdem gilt die SM–Gleichung aufgrund der Vernachlassigungvon ∂ψ1/∂t in (3.47) nur fur Zeiten t ≫ γ−1 (vgl. das anfangliche Argument derZeitskalentrennung).

Um die Bedeutung von ψ0 und ψ1 zu erkennen, betrachten wir die vollstandigeVerteilungsfunktion im Rahmen der SM–Behandlung. Mit H0 = 1, H1 = 2µ erhaltenwir

W (x, v, t) ≃ π−1/4e−µ2

(

ψ0(x, t) +2µ√

2ψ1(x, t)

)

. (3.50)

Offensichtlich bestimmen ψ0 und ψ1 die raumliche Dichte W (x, t) bzw. die zugehorigeStromdichte j(x, t),

W (x, t) =

dv W (x, v, t) = π−1/4

2πkBT

mψ0(x, t) (3.51)

j(x, t) =

dv vW (x, v, t) = π−1/4√

2πkBT

mψ1(x, t). (3.52)

Folglich ist (3.46) mit der Kontinuitatsgleichung

∂W

∂t+∂j

∂x= 0 (3.53) partialW

identisch, wobei nach (3.47) die Stromdichte gegeben ist durch

j(x, t) = −kBT

(∂

∂x− βK(x)

)

W (x, t). (3.54) jxt

Hiermit haben wir die SM–Gleichung in der gewohnten Form erhalten. Die in § 2.1angenommene Aufspaltung des Stromes in einen Diffusionsstrom und einen Feldstromist damit auf der Basis der stochastischen Theorie gerechtfertigt. Stationare Losungim Gleichgewicht ist Weq(x) ∝ exp(−βV (x)).

Schließlich bemerken wir, daß die SM–Gleichung als FP–Gleichung zur uberdampf-ten Langevin–Gleichung (vgl. (2.39), (2.40))

mγx−K(x) = f(t) (3.55)

aufzufassen ist. Um dies zu sehen, berechnen wir daraus nach § 3.1

K1(x) ≡ ¯x = limτ→0

1

τ(x(τ)− x(0)) =

1

mγK(x) (3.56)

K2(x) = limτ→0

1

τ(x(τ)− x(0))2

=1

(mγ)22mγkBT =

2kBT

mγ. (3.57)

Die zugehorige FP–Gleichung (3.7) ist mit (3.53) identisch. Verglichen mit der vollstan-digen Langevin–Gleichung fur ein Brownsches Teilchen fehlt im hier betrachtetenuberdampften Fall der Tragheitsterm mx, der fur γ → ∞ im Vergleich zum Rei-bungsterm keine Rolle spielt. Dies verdeutlicht, daß in einer SM–Beschreibung keineTragheitseffekte enthalten sind.

78

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Hermitisierung der SM–Gleichung

Es sei W (x, t) die Verteilungsfunktion fur ein Teilchen, das (uberdampft) im PotentialV (x) diffundiert. Mit der freien Diffusionskonstanten

D0 = kBT/mγ (3.58)

schreiben wir zunachst die SM–Gleichung in der Form

∂W

∂t= D0

∂x

(∂

∂x+ β

dV

dx

)

W

= D0∂

∂x

(

e−βV (x) ∂

∂xeβV (x)W

)

.

Wir setzenW (x, t) ≡ e−

β2V (x)ϕ(x, t) (3.59)

d. h. die Wurzel aus der Gleichgewichtsverteilung wird abgespalten, so daß

1

D0

∂ϕ

∂t= e

β2V (x) ∂

∂x

[

e−βV (x) ∂

∂x

(

eβ2V (x)ϕ

)]

≡ D(−β)D(β)ϕ

D(β) ist der Differentialoperator

D(β) = e−β2V (x) ∂

∂xe

β2V (x) (3.60)

Mit K = −V ′ gilt

D(β)ϕ = ϕ′ − β

2Kϕ

D(−β)D(β)ϕ = D(−β)

(

ϕ′ − β

2Kϕ

)

=

(

ϕ′ − β

2Kϕ

)′+β

2K

(

ϕ′ − β

2Kϕ

)

= ϕ′′ − β

2K ′ϕ−

(βK

2

)2

ϕ.

Mit der Abkurzung

U(x) ≡ β

2K ′(x) +

(βK(x)

2

)2

(3.61)

folgt fur ϕ(x, t) eine Differentialgleichung von der Form einer Schrodingergleichungmit imaginarer Zeit,

− 1D0

∂ϕ∂t =

(

− ∂2

∂x2 + U(x))

ϕ (3.62) D0

in der U(x) die Rolle des Potentials spielt. Damit ist gezeigt, daß sich die SM–Gleichung auf ein hermitesches Problem zuruckfuhren laßt. (Die volle FP–Gleichung,die Ort und Geschwindigkeit enthalt, laßt eine Hermitisierung nicht zu.)

79

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Analog zur Schrodingertheorie bietet es sich an, die Losungen ϕ(x, t) von (3.62)nach einer Basis orthonormierter Eigenfunktionen ϕn(x) zu entwickeln. Es sei also

(

− ∂2

∂x2+ U(x)

)

ϕn(x) =λn

D0ϕn(x) (3.63)

mit ∫

dx ϕ∗n(x)ϕm(x) = δn,m;

n

ϕn(x)ϕ∗n(x′) = δ(x− x′). (3.64) intx1

Zu beachten ist, daß die Gleichgewichtsverteilung genau die Grundzustandsfunktionϕ0 mit dem Eigenwert λ0 = 0 bestimmt,

ϕ0(x) = W 1/2eq (x). (3.65)

Alle ubrigen Eigenwerte erfullen λn > 0 (vgl. den Knotensatz bei der 1–dimensionalenSchrodingergleichung!). Als allgemeine Losung setzen wir an

ϕ(x, t) =∑

n

anϕn(x)e−λnt

Wahlt man an ∝ ϕ∗n(x0)/ϕ0(x0), so erfullt wegen (3.64) die Losung

W (x, t = 0) ∝ δ(x − x0). Damit haben wir die Darstellung fur die Ubergangswahr-scheinlichkeit

w(x, t|x0) = ϕ0(x)ϕ−10 (x0)

∞∑

n=0ϕn(x)ϕ∗

n(x0)e−λnD0t (3.66) wxtx0

gewonnen. Man erkennt, daß fur t → ∞ nur der Grundzustand uberlebt, so daßlimt→∞w(x, t|x0) = (ϕ0(x))

2 = Weq(x). Der fuhrende Term bei langen Zeiten istdurch den Eigenwert λ1 des ersten angeregten Zustands bestimmt.

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3.4 Diffusion in außeren Potentialen, Kramers–Zeit

Thermisch aktivierten Prozessen uber eine Potentialbarriere hinweg begegnet man invielfaltiger Form in der Festkorperphysik (behinderte Diffusion oder lokale Relaxa-tionsschritte von Fremdatomen oder intrinsischen Defekten in Festkorpern), in derChemie (Reaktionskinetik), in der Biologie (Ionentransport durch Membrankanale),generell bei der Frage der Lebensdauer metastabiler Zustande. Ein wichtiges Problemist die Bestimmung der charakteristischen Zeit τ , der sogenannten Kramers–Zeit oder“Entkommzeit”, mit der eine Barriere aufgrund thermischer Fluktuationen uberwun-den wird. Typische Potentialformen V (x) sind in Abb. (3.1) gezeigt. Wie in § 3.3schreiben wir die zu losende Smoluchowski–Gleichung in der Form

∂W (x, t)

∂t= D0

∂x

(∂

∂x+ β

dV

dx

)

W (x, t) (3.67) Wxt

Im Fall von Abb. (3.1a) bietet es sich an, die Darstellung (3.66) der Ubergangswahr-scheinlichkeit durch Eigenfunktionen heranzuziehen. (Unter der Annahme stuckweise

x

V(x)

c)

a) b)

Abbildung 3.1: a) Bistabiles Potential, b) metastabiles Potentialminimum, c) periodischesPotential ohne und mit zusatzlicher treibender Kraft.

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linearer oder stuckweise parabelformiger Potentiale sind unabhangig davon exakte Be-rechnungen moglich.) Zumeist ist die Hohe der Potentialbarriere V0 groß gegenuberkBT . Dann ist in dem aquivalenten quantenmechanischen Problem (3.62) die durchWKB–Naherung berechenbare Tunnelaufspaltung λ1−λ0 zwischen Grundzustand und1. angeregten Zustand klein verglichen mit den hoheren Eigenwerten λn; n ≥ 2.Wahrend die Beitrage in (3.66) zu n ≥ 2 die lokale Relaxation innerhalb jeweils ei-ner Potentialmulde beschreiben, ist die Rate fur den Ausgleich zwischen den Muldenbestimmt durch

τ−1 = λ1 − λ0 (3.68)

Die Dichten

P+(t) =

∫ ∞

0dx w(x, t|x0) (3.69)

und

P−(t) = 1− P+(t) =

∫ 0

−∞dx w(x, t|x0) (3.70)

(w bezeichnet wieder die Ubergangswahrscheinlichkeit) genugen auf der Zeitskalat≫ (λ2 − λ0)

−1 den Ratengleichungen

dP+(t)dt = − 1

2τ (P+ − P−)

dP−(t)dt = 1

2τ (P+ − P−)

(3.71)

Die genaue Rechnung auf diesem Wege findet man z. B. in N.G. van Kampen, J. Stat.Phys. 17, 71 (1977), mit dem unten zitierten Ergebnis (3.80) fur die Kramerszeit τ .

Einfacher laßt sich dieses Ergebnis erhalten, wenn man eine stationare Drift in einerperiodischen Anordnung von Potentialbergen (Abb. (3.1c)) betrachtet und die lineareBeweglichkeit µ berechnet. Nach der Nernst–Einstein Beziehung (vgl. § 2.1 und § 3.2)ist die Diffusionskonstante dann gegeben durch D = kBTµ. Andererseits kann manunter der Bedingung V0 ≫ kBT fur die Potentialbarriere die Diffusion als “Hopping–Prozeß” auffassen (vgl. § 4.2), wonach in je einer der beiden Richtungen instantaneSprunge uber die Distanz a mit der Rate τ−1 erfolgen. Setzt man D = a2τ−1 (vgl.§ 4.2), so ergibt sich die gesuchte Kramerszeit τ .

Zur Berechnung des Flusses (Drift) unter dem Einfluß einer konstanten Kraft Kext

gehen wir von der stationaren SM–Gleichung aus. Im 1–dimensionalen Fall (vgl. V.Ambegaokar, B.I. Halperin, Phys. Rev. Lett. 22, 1364 (1969)) erhalt man sofort einerstes Integral, namlich die raumlich konstante Stromdichte j (vgl. (3.54)),

j = −D0

(∂

∂x+ β

∂V

∂x− βKext

)

Wst(x) (3.72) j

wobei V (x) = V (x + a) das periodische Potential bezeichnet. Von der stationarenLosung Wst(x) verlangen wir

Wst(x) = Wst(x+ a) Periodizitat (3.73) perio∫ a

0Wst(x) dx = 1 Normierung (3.74) norm

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Im Mittel befindet sich hiermit genau ein Teilchen innerhalb der raumlichen Periodea. Die inhomogene Differentialgleichung 1. Ordnung (3.72) wird wie ublich durch “Va-riation der Konstanten” gelost. Dies fuhrt auf eine weitere Integrationskonstante, diezusammen mit j aus den beiden Bedingungen (3.73) und (3.74) bestimmbar ist.

Es erweist sich als bequem, durch

Wst(x) ≡Weq(x)h(x) (3.75) Wst

eine Funktion h(x) einzufuhren, welche die Abweichungen von der Gleichgewichtsver-teilung

Weq(x) =e−βV (x)

∫ a0 dx e

−βV (x)(3.76)

bei Abwesenheit der außeren Kraft bestimmt. Durch Einsetzen von (3.75) in (3.72)finden wir die Differentialgleichung (′≡ d/dx)

h′ − βKexth = − j

D0Weq(x)(3.77) hstrich

deren homogener Teil nur konstante Koeffizienten enthalt. Besonders einfach ist dieAuswertung fur kleineKext im “linear response”–Bereich, die wir separat durchfuhren.

i) Linearisierung bezuglich Kext

Offenbar ist |1− h(x)| = O(Kext), so daß

h′ − βKext ≃ − j

D0Weq(x)

Da h(x) wegen (3.73) periodisch ist, ergibt sich durch Integration uber einePeriode

βD0aKext = j

∫ a

0dx (Weq(x))

−1

Die mittlere Teilchendichte betragt 1/a, die mittlere Driftgeschwindigkeit istsomit aj. Setzen wir aj = µKext, so folgt die lineare Beweglichkeit

µ =βD0a

∫ a0 dx (Weq(x))−1

= βD0

(

e−βV (x) eβV (x))−1

(3.78)

Der waagrechte Strich bedeutet Mittelwertbildung uber eine Periode, z. B.

e−βV (x) =1

a

∫ a

0dx e−βV (x)

Der Vorfaktor βD0 = µ0 = (mγ)−1 in (3.78) ist die Beweglichkeit eines krafte-freien Brownschen Teilchens. Durch das periodische Potential wird naturlich dieDrift behindert, so daß µ < µ0. Den starksten Einfluß hierbei uben nach (3.78)diejenigen Bereiche der x–Achse aus, in denen die Gleichgewichtsdichte Weq(x)besonders klein ist, d. h. die Potentialmaxima.

83

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Zur weiteren Diskussion nehmen wir an, daß die Barrierenhohe V0 ≫ kBT erfulltund V (x) in der Nahe des Potentialminimums bzw. Maximums durch

V (x) ≃

m2 ω

2min(x− xmin)2 fur x ≈ xmin

V0 − m2 ω

2max(x− xmax)2 fur x ≈ xmax

(3.79)

approximiert werden kann. Dann ist

e−βV (x) ≃ 1

a

∫ ∞

−∞dx exp

(

−βm2ω2

minx2

)

=1

a

(2πkBT

mω2min

)1/2

eβV (x) ≃ eβV01

a

∫ ∞

−∞dx exp

(

−βm2ω2

maxx2

)

= eβV01

a

(2πkBT

mω2max

)1/2

Wie oben dargelegt, wird die Beweglichkeit durch die Entkommzeit τ gemaßµ = βD = βa2τ−1 ausgedruckt, und wir erhalten

τ−1 = ωminωmax

2πγ e−βV0 (3.80) tau2

Die Entkommrate zeigt thermisch aktiviertes Verhalten, ausgedruckt durch denArrheniusfaktor exp(−βV0) mit der Aktivierungsenergie V0.

Dieses auf der SM–Gleichung beruhende Ergebnis fur τ−1 ist nur im uberdampf-ten Grenzfall (γ → ∞) anwendbar. Zu bemerken bleibt, daß fur allgemeines γH.A. Kramers (Physica 7, 284 (1940)) ausgehend von (3.25) fur kBT ≪ V0 denAusdruck

τ−1 =ωmin

2πωmax

(√

ω2max +

2

)2− γ

2

)

e−βV0 (3.81) tau3

hergeleitet hat. Die Temperaturabhangigkeit ist wieder Arrhenius–artig. Abb.(3.2) zeigt die Abhangigkeit der Entkommrate von γ. Fur γ ≫ ωmax reduziertsich der Vorfaktor auf das SM–Ergebnis. Bei kleiner Dampfung γ ≪ ωmax wirdτ−1 von der Reibungskonstanten γ unabhangig und geht uber in

τ−1abs = ωmin

2π e−βV0 = νmine−βV0 (3.82) tau4

d. h. die Entkommrate ist nur durch Potentialparameter bestimmt. Dieses Ergeb-nis entspricht der klassischen absoluten Ratentheorie. νmin stellt die Versuchs-frequenz dar, d. h. die Anzahl der Versuche pro Zeit, mit der das Teilchen gegenden Potentialberg anlauft. Der Faktor e−βV0 laßt sich als Wahrscheinlichkeit fureinen erfolgreichen Versuch deuten.

Fur extrem kleine γ allerdings geht die exakt aus (3.25) berechnete Entkommrateim Gegensatz zu (3.81) wieder gegen Null. Thermisches Gleichgewicht kann sichauf der Zeitskala τ nach (3.81) nicht mehr einstellen, so daß die Region nahexmax “entvolkert” wird. Naheres zur Berechnung von Reaktionsraten vgl. P.Hanggi, P. Talkner, Rev. Mod. Phys. 62, 251 (1990).

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1

0

γ

τ-1 / τabs-1

∼ γ-1

Abbildung 3.2: γ–Abhangigkeit der aus der Kramers–Gleichung (3.25) exakt berechnetenEntkommrate. Der mit Punkten dargestellte Verlauf entspricht (3.81). Die Extrapolation (γ →0) fuhrt auf den Wert (3.82), der jedoch in einem Bereich kleiner γ’s eine brauchbare Naherungdarstellt.

π2 βV0D0

j a²

aK ext

π2 V0G= 8

0 1

Abbildung 3.3: Qualitativer Zusammenhang zwischen Strom j und treibender Kraft Kext

(Strom–Spannungscharakteristik) fur ein uberdampftes Brownsches Teilchen in einem periodi-schen Potential V (x) = V0 cos(2πx/a) nach (3.83) bei verschiedenen Temperaturen, bestimmtdurch Γ = 2βV0.

ii) Nichtlinearer “response”Die allgemeine Losung von (3.77) hat die Form

h(x) = eβKextx

(

A+

∫ x

0dx′ e−βKextx′

(

− j

D0Weq(x′)

))

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mit A = h(0). Die Periodozitat (3.73) verlangt somit A = h(a) oder

A =1

1− e−βKexta

∫ a

0dx′ e−βKextx′

(j

D0Weq(x′)

)

Die so berechnete Funktion h(x) enthalt den gesuchten Strom j als Faktor, derdurch die Normierungsbedingung (3.74) mit (3.75) festgelegt ist. Setzen wir zurAbkurzung

f(x) = Weq(x)eβKextx

so folgt schließlich

j

D0=

1

1− e−βKexta

∫ a

0dx f(x)

∫ a

0dx′

1

f(x′)−∫ a

0dx

∫ x

0dx′

f(x)

f(x′)

−1

(3.83) jD0Hiermit ist der vollstandige Zusammenhang j = j(Kext) gewonnen, der als“Strom–Spannungs–Charakteristik” interpretiert werden kann, vgl. Abb.(3.3).Im Grenzfall Kext → 0 uberwiegt in (3.83) der 1. Term, der auf aj = µKext und(3.78) zuruckfuhrt. Umgekehrt, sofern aKext ≫ kBT oder (1−exp(−βKexta))−1 ≈1, dann konnen die beiden Integralterme zusammengefaßt werden. Ubrig bleibtdas Integrationsgebiet 0 ≤ x ≤ x′ ≤ a, und man erhalt

j

D0≃∫ a

0dx

∫ a

xdx′

f(x)

f(x′)

−1

Im Grenzfall Kext →∞ tragen nur Bereiche x ≈ x′ merklich zum Integral bei, sodaß sichWeq(x) herauskurzt. Es verbleibt das triviale Ergebnis j/D0 ≃ βKext/a.In diesem Grenzfall eines starken außeren Feldes spielt das Potential V (x) alsokeine Rolle mehr.

iii) Gleichrichterwirkung, “Brownsche Motoren”Falls V (x) ein Inversionszentrum besitzt, o.B.d.A. V (x) = V (−x), erfullt dieStrom–Spannungscharakteristik (3.83) die Symmetrieeigenschaft j(−Kext) =−j(Kext). Bei unsymmetrischen Barrieren jedoch kommt es außerhalb des “line-ar response”–Bereichs i. a. zu einer Gleichrichterwirkung, j(−Kext) 6= −j(Kext),vgl. Abb. (3.4). Bestimmte Stofftransportvorgange in der Biologie scheinen vondieser Moglichkeit Gebrauch zu machen (vgl. z. B. G. Stark, Biochimica andBiophysica Acta 298, 323 (1973)).

Wirkt im Fall unsymmetrischer Barrieren eine zusatzliche, zeitlich periodischeaußere Kraft, so sind die Strome wahrend der beiden Halbperioden nach demeben Gesagten nicht entgegengesetzt gleich. Es stellt sich also in einer Richtungein Nettostrom ein. Anstelle einer zeitlich periodischen Kraft genugt es, zusatz-liches Rauschen nichtthermischen Ursprungs mit verschwindendem Mittelwert,aber endlicher Korrelationszeit auf das System einwirken zu lassen. Auch hierbeientsteht eine gerichtete Bewegung. Durch solche Modelle “Brownscher Motoren”konnten sich gerichtete Bewegungsvorgange verstehen lassen, die sich auf mole-kularer Ebene und damit unter dem Einfluß starker thermischer Fluktuationenin bestimmten biologischen Systemen abspielen (vgl. M.O. Magnasco, Phys. Rev.Lett. 71, 1477 (1993); J. Rousselet et al., Nature 370, 446 (1994).

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x

V(x)+|Kext|x

V(x)-|Kext|x

Abbildung 3.4: Periodisch fortgesetzte unsymmetrische Potentialbarriere mit uberlagertemlinearen Potential ±|Kext|x zur Veranschaulichung einer Gleichrichterwirkung.

3.5 Josephson–Kontakte

Fur zwei Supraleiter, die uber eine sehr dunne (∼ 20A) Isolierschicht gekoppelt sind,gibt es eine Reihe interessanter Effekte, die auf dem Tunneln von Cooper–Paaren be-ruhen. Zwischen beiden Supraleitern kann ein Strom ohne Spannungsabfall, also einSuprastrom fließen (Josephson–Gleichstrom). Wird uber der Schicht ein Spannungsab-fall aufrechterhalten, so fließt außerdem ein Wechselstrom (Josephson–Wechselstrom).Am einfachsten zu behandeln ist der Fall genugend kleiner Linearabmessungen desTunnelkontakts, so daß die Stromverteilung in der Kontaktflache homogen ist. Vorge-geben sei ein konstanter Strom I. Uber dem Kontakt wird die Spannung V abgegriffen.Die I−V –Charakteristik sowie das Frequenzspektrum des Josephson–Wechselstromeswerden vor allem in der Nahe der Sprungtemperatur Tc von thermischen Fluktuationendes Normalstroms beeinflußt, der bei nicht–verschwindender Spannung V zusatzlichzum Suprastrom fließt.Zunachst benotigen wir die Grundgleichungen der Josephson–Effekte. Bekanntlichwird der Supraleitungszustand durch einen komplexen Ordnungsparameter ψ = |ψ|eiαbeschrieben. Betrag und Phase sind makroskopische Großen. Wesentlich fur die Vorgangeam Tunnelkontakt ist die Differenz ϕ = α1 − α2 der Phasen in den angrenzenden Su-praleitern. Nach Josephson ist der Suprastrom durch den Kontakt gegeben durch (vgl.W. Buckel, “Supraleitung” (VCH Weinheim, 1990))

Is = I1 sinϕ. (3.84) Is

I1, der maximale Josephsonstrom, ist eine materialabhangige Große, die fur T → Tc

(kritische Temperatur des Supraleiters) gegen Null geht. Weiter gilt nach Josephsonder Zusammenhang

ϕ =2e

~V (3.85) dotphi

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zwischen der Spannung V und der zeitlichen Anderung der Phase ϕ. Falls V = const.,so folgt ϕ = ω0t mit ~ω0 = 2eV . Eine linear mit der Zeit anwachsende Phase implizierteinen periodischen Vorgang; es fließt ein Wechselstrom mit der Frequenz ω0.

Die tatsachliche Bewegungsgleichung fur ϕ laßt sich aus dem Ersatzschaltbild nachAbb. (3.5) ablesen, welches die Kapazitat C des Kontakts berucksichtigt. Man erhalt

I = Is + In + CV

Dabei ist I der von außen eingepragte Strom und

In =V

R+ Ifl

der Normalstrom mit dem fluktuierenden Anteil Ifl(t). Nach dem Nyquist–Theorem(§ 2.3) gilt 〈Ifl(t)Ifl(0)〉 = (2kBT/R)δ(t). In Verbindung mit (3.84) und (3.85) erhaltenwir die Langevin–Gleichung

~

2eCϕ+

~

2e

ϕ

R+ I1 sinϕ− I = −Ifl(t). (3.86) hC

Folgendes mechanisches Analogon laßt sich dazu konstruieren. Multiplikation von(3.86) mit ~/2e ergibt

Mϕ+Mγϕ+dU

dϕ= Ffl(t) (3.87)

wobei

M =

(~

2e

)2

C; γ =1

RC(3.88) M1

U(ϕ) = U0 cosϕ−Kextϕ (3.89) Uphi

U0 = − ~

2eI1; Kext =

~

2eI (3.90) U0

〈Ffl(t)Ffl(0)〉 = 2MγkBTδ(t). (3.91) Ffl

Diese Gleichung beschreibt die Bewegung eines Teilchens der Masse M entlang derϕ–Achse im Potential U(ϕ), vgl. Abb.(3.1c), welches fur I < I1 Minima, fur I > I1jedoch keine Minima besitzt. Das Verhalten des Systems laßt sich daran qualitativleicht ubersehen.Bei T = 0 und I < I1 liegt ein stationarer, metastabiler Zustand vor, in dem das“Teilchen” sich in einem der Minima aufhalt,

ϕ = ϕmin + 2πn; n ganz

ϕ = 0, V = 0.

Es fließt also ein stationarer Suprastrom Is = I1 sinϕmin. Wird der eingepragte Stromerhoht, so daß I > I1, so wandert das “Teilchen” standig bergab mit einer bestimm-ten mittleren Geschwindigkeit ¯ϕ = (~/2e)V . Vereinfacht betrachtet wachst die Phaselinear mit der Zeit an, so daß ϕ(t) ∼ ω0t mit ω0 ≡ ¯ϕ und Is = I1 sinω0t. Am Kontaktliegt also die Gleichspannungskomponente V , wahrend der Strom oszilliert. Genauerbetrachtet oszilliert ϕ(t) um den Wert ω0t mit der Frequenz ω0. Folglich enthalt V (t)

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Iges I S

I C

In

C

R

V

Abbildung 3.5: Ersatzschaltbild eines Josephson–Kontaktes mit Josephson–Element, Nor-malwiderstand und Kapazitat.

einen oszillierenden Anteil. Im Suprastrom treten hohere Harmonische auf.Bei endlichen Temperaturen T 6= 0 ergibt sich bereits bei I < I1 eine Gleichspan-nungskomponente V , da das “Teilchen” aufgrund thermischer Fluktuationen die Po-tentialbarrieren uberwinden kann. Die I − V –Charakteristik kann aus der zu (3.86)gehorenden FP–Gleichung durch sog. “Matrix–Kettenbruchverfahren” (vgl. H. Risken)bestimmt werden.

Wesentlich einfacher zu behandeln ist jedoch der uberdampfte Grenzfall, der nach§ 3.3 durch die SM–Gleichung

∂W

∂t= D0

∂ϕ

(∂

∂ϕ+ β

dU

)

W (ϕ, t)

fur die Verteilungsfunktion W (ϕ, t) beschrieben wird. Die I − V –Charakteristik unterstationaren Bedingungen folgt unmittelbar aus § 3.4 mit Hilfe der Ubersetzungsre-geln (3.88)–(3.91). Die dortige Periode a ist einfach durch 2π zu ersetzen. Der sta-tionare Smoluchowski–Strom j bestimmt die mittlere Driftgeschwindigkeit ¯ϕ gemaßj = (1/2π) ¯ϕ. Wird ¯ϕ nach (3.85) durch V ersetzt und Kext nach (3.90) durch I,so liefert (3.83) die gesuchte Strom–Spannungs–Charakteristik V = V (I), vgl. Abb.(3.3).

Netzwerke von Josephsonkontakten haben sich auch als Modelle fur bestimmteEigenschaften granularer Hoch–Tc–Supraleiter bewahrt, z. B. bei der Beschreibungdes durch thermische Fluktuationen ausgelosten “Flußkriechens”, vgl. H.P. Fischer etal., Phys. Rev. E 54, 12397 (1996).

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3.6 * Zerfall instabiler Zustande

Mit der Berechnung der Kramers–Zeit (3.80) bzw. (3.81) ist die Frage nach der Lebens-dauer eines metastabilen Zustands im Rahmen der vorliegenden Modelle beantwortet.Wir wollen nun einen instabilen Zustand betrachten, der in Abwesenheit thermischerFluktuationen (T = 0) einem instabilen mechanischen Gleichgewicht entspricht. Dazugehen wir von der SM–Gleichung (3.67) mit dem in Abb. (3.6) dargestellten PotentialV (x) aus, welches ein lokales Maximum bei x = 0 und dazu die stabilen Minima beix = ±x0 besitzt. Als Modell wahlen wir

V (x) = −a2x2 +

b

4x4; a, b > 0 (3.92) Vx

mit x0 =√

a/b. Die Hohe der Barriere zwischen den beiden Minima betragtV0 = a2/4b.

Folgende Fragen stellen sich dabei:

i) Wie rasch wird sich ein bei x = 0 praparierter Anfangszustand unter dem Einflußthermischer Fluktuationen vom Maximum wegbewegen?

ii) Nach welcher charakteristischen Zeit TS entwickelt die anfanglich in der Nahevon x = 0 konzentrierte Verteilungsfunktion zwei Maxima im Verlauf des Uber-gangs in die beiden stabilen “Phasen” ±x0? TS wird als Suzuki–Zeit bezeichnet(M. Suzuki, Phys. Lett. 67 A, 339 (1978)).

iii) Welches Gewicht nehmen die beiden Phasen±x0 im Endzustand (Gleichgewicht)ein, wenn die Symmetrie des Problems bzgl. x = 0 leicht gestort wird?

x

V(x)

(a)(b)

x0 x0

| |

Abbildung 3.6: Stabiler (a) und instabiler Zustand (b) nach Uberfuhrung des PotentialsV (x) in eine bistabile Form.

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Probleme dieser Art treten typischerweise dann auf, wenn in einem zunachst stabilenGleichgewichtszustand die Parameter der Umgebung plotzlich stark verandert werden.Eine wohlbekannte Situation aus der Physik der Phasenubergange sind Experimente,in denen durch plotzliche Temperaturerniedrigung eine Phase unter ihre Stabilitats-grenze unterkuhlt wird. Die freie Energie in Abhangigkeit des Ordnungsparametersspielt dabei die Rolle des Potentials V (x). Vor und nach dem Temperatursprungverhalt sich V (x) wie in Abb. (3.7a) bzw. (3.7b) gezeigt. Eine verwandte Situationist in der Evolutionstheorie denkbar, wenn Umgebungsfaktoren plotzlichen Anderun-gen unterworfen werden; vgl. auch D.K. Kondepudi, G.W. Nelson, Nature 314, 438(1985).

Unser Modell der SM–Gleichung mit dem Potential (3.92) enthalt die ParameterD0, β, a und b. Um in der Theorie die Anzahl unabhangiger Parameter zu reduzieren,fuhren wir dimensionslose Variablen ein,

y =x

x0; τ =

D0t

x20

(3.93)

Die SM–Gleichung wird damit uberfuhrt in

∂W

∂τ=

∂y

(∂

∂y− α(y − y3)

)

W (3.94) Wtau

wobeiα = 4βV0 (3.95)

Wichtig ist nur der Fall kBT ≪ V0 oder α ≪ 1, auf den wir uns im folgenden be-schranken. Das gestellte nichtlineare Problem losen wir naherungsweise mit der Mo-mentenmethode. Es sei

Mn(τ) ≡ 〈yn〉τ =

∫ ∞

−∞dy ynW (y, τ) (3.96)

das n–te Moment der Verteilung W (y, τ), mit

M0(τ) = 1 (3.97)

Aus der partiellen Differentialgleichung (3.94) kann ein unendliches System gekop-pelter gewohnlicher Differentialgleichungen fur die Momente abgeleitet werden. Wirbilden

dMn

dτ=

∫ ∞

−∞dy yn ∂

∂y

(∂

∂y− α(y − y3)

)

W (3.98) dMn

und integrieren partiell, wobei wir annehmen, daß fur y → ±∞ die Verteilung Whinreichend rasch verschwindet. Dann entsteht das Gleichungssystem

dMn

dτ= n(n− 1)Mn−2 + αn(Mn −Mn+2) (3.99) dMn1

Fur n = 0 und n = 1 verschwindet auf der r.S. der 1. Term.Falls die Anfangsverteilung zur Zeit t = 0 hinreichend in der Nahe des Potentialma-ximums bei x = 0 konzentriert ist, so werden im Fruhstadium der Zeitentwicklunghohere Momente vernachlassigbar klein. Fur kurze Zeiten vernachlassigen wir daher

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Mn(τ) fur n ≥ 3. Die ersten beiden Momente im Rahmen dieser harmonischen Nahe-

rung bezeichnen wir mit M(0)1 (τ) und M

(0)2 (τ). Sie genugen den linearen Differential-

gleichungendM0

1

dτ= αM

(0)1 (3.100)

dM02

dτ= 2

(1 + αM0

2

)(3.101)

In der Tat sind diese Gleichungen identisch mit den Momentengleichungen n = 1 und2, wenn das Potential (3.92) durch seinen harmonischen Anteil V (0)(x) = −(a/2)x2

ersetzt wird. Sowohl M(0)1 als auch M

(0)2 wachsen exponentiell mit der Zeit an,

M(0)1 (τ) = M

(0)1 (0)eατ (3.102)

M(0)2 (τ) = M

(0)2 (0)e2ατ +

1

α

(e2ατ − 1

)(3.103) M20

Das Argument der Exponentialfunktion in diesen Ausdrucken hangt wegen D0 =kBT/mγ mit der physikalischen Zeit t gemaß

ατ =

(

βa2

b

)D0t

x20

=a

mγt (3.104)

zusammen. Bei kurzen Zeiten geht wie erwartet das Potential nur durch seine Krummungbei x = 0 ein, die durch den Parameter a gegeben ist. Wahlt man als Anfangsver-

teilung p(y, 0) = δ(y), so folgt M(0)1 (0) = M

(0)2 (0) = 0. Das zweite Moment wachst

jedoch aufgrund der Fluktuationen an, fur kurze Zeiten ατ ≪ 1 wie bei freier Diffusi-on, M2(τ) ≃ 2τ .

Der vollstandige Ausdruck fur M(0)2 (τ) nach (3.103) findet z. B. Verwendung in der

Theorie von Cahn, Hilliard und Cook zum Fruhstadium der spinodalen Entmischungbinarer Systeme. Die Instabilitat bezieht sich in diesem Beispiel auf langwellige Kon-zentrationsfluktuationen der beteiligten Komponenten. (Vgl. J.S. Langer, in “Solidsfar from Equilibrium” edited by C. Godreche (Cambridge University Press, 1992)ch.3).

Das nichtlineare Problem behandeln wir nun naherungsweise mit einer quasiharmo-nischen Naherung, wie sie ahnlich bei anharmonischen Schwingungsproblemen benutztwird. Dazu wird der Term y3 in (3.98) linearisiert mit Hilfe der Ersetzung

y3 → y〈y2〉τ = yM2(τ) (3.105) y3

so daß in der SM–Gleichung (3.94) der zur Kraft proportionale Term α(y−y3) ubergehtin αy(1 −M2(τ)). Es entsteht eine effektive harmonische Kraftkonstante, die durchden Einfluß von M2(τ) im Laufe der Zeit mehr und mehr reduziert wird. Die Dynamikverlangsamt sich zunehmend, wie man es von dem stabilisierenden Einfluß des Terms4. Ordnung im Potential (3.92) her erwartet.Im Rahmen der Naherung (3.105) erhalt man nun ein System zweier nichtlinearerDifferentialgleichungen fur die Momente M1 und M2

dM1

dτ= αM1(1−M2) (3.106) dM1

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dM2

dτ= 2(1 + αM2(1−M2)) (3.107) dM2

In Bezug auf (3.99) entspricht dies der Faktorisierungsnaherung fur M3 ≃M1M2 undM4 ≃M2

2 .

Die Differentialgleichung (3.107) laßt sich durch Variablentrennung losen. Uber-sichtlicher ist es jedoch, zunachst die verschiedenen, dem Problem entspringendencharakteristischen Zeiten bzw. Zeitbereiche zu identifizieren:

• Kurzzeitbereich: τ ∼ 1α ≪ 1

Wie bereits ausgefuhrt, bestimmt 1α die Zeitkonstante der anfanglichen Instabi-

litat.

• Suzuki–Zeit τSτS ≡ D0tS/x

20 entspricht derjenigen Zeit, bei der die Nichtlinearitaten wesent-

lich werden. Die Nichtlinearitaten außern sich durch den Faktor 1 − M2 in(3.106), (3.107). Großenordnungsmaßig ist τS also bestimmt durch die Bedin-gung M2(τS) ≃ 1. Vereinfachend setzen wir

M02 (τS) = 1 (3.108)

Die FunktionM(0)2 (τ) entstammt zwar der linearen Theorie. Dennoch konnen wir

mit ihrer Hilfe das Kriterium formulieren, daß die lineare Theorie spatestens beiτ >∼τS zusammenbricht. Explizit erhalten wir nach Vernachlassigung des Terms−1/α in (3.103)

τS ≃ −1

2αln

(

M(0)2 (0) +

1

α

)

(3.109)

Zu τS tragen also sowohl die Anfangsbedingungen als auch thermische Fluktua-tionen bei. Wegen α≫ 1 gilt offensichtlich 1/α≪ τS ≪ 1.

• Neben der trivialen Zeitskala τ ∼ 1 fur die freie Diffusion uber die Distanzx0 tritt im Prinzip noch die Kramers–Zeit auf, τK ∼ eβV0 = eα/4, vgl. § 3.4.Insgesamt resultieren aus der SM–Gleichung mit dem Potential (3.92) bei α≫ 1drei verschiedene Zeitskalen, namlich τ ∼ 1

α ,1α ln 1

α und eα/4.

Beschrankt man sich darauf, im Fall α ≫ 1 die Losung von (3.107) nur jenseitsdes Kurzzeitbereichs, τ ≫ 1/α, zu suchen, so fuhrt ein Skalenansatz zum Ziel. Es sei

g(τ, α) ≡(

M(0)2 (0) +

1

α

)

e2ατ = e2α(τ−τS) (3.110) gta

Dieser Ausdruck approximiert (3.103) fur ατ ≫ 1. Fur das 2. Moment M2 ≡M2(τ, α)machen wir den Ansatz

M2(τ, α) = f(g(τ, α)) (3.111) M2t

wonach die Abhangigkeit von τ und α auf eine Funktion f(g) nur einer Variablen, derSkalenvariablen g, zuruckgefuhrt wird. g(τ, α) stellt ein fur Systeme mit unterschied-lichem α geeignetes Maß fur das Fortschreiten der Zeit dar. Wird (3.111) und

∂M2

∂τ=df

dg

∂g

∂τ= 2αg

df

dg(3.112)

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in (3.107) eingesetzt, so erhalt man zunachst αg(df/dg) = 1+αf(1−f). Nach Divisiondurch α und Vernachlassigung des Terms 1/α ≪ 1 fallt der Parameter α heraus, sodaß der Skalenansatz tatsachlich zum Ziel fuhrt. Fur die unbekannte Funktion f(g)entsteht die Differentialgleichung

gdf

dg= f(1− f) (3.113) gdf

Fur sehr große τ wird sich Gleichgewicht in den beiden Potentialmulden einstellen.Wegen α ≫ 1 ist die Gleichgewichtsverteilung um die Punkte ±x0 konzentriert. Un-abhangig von deren Gewichtung gilt daher 〈y2〉eq ≃ 1. Damit haben wir eine Randbe-dingung fur die Funktion f(g): Wegen g →∞ fur τ →∞ muß gelten

f(g)→ 〈y2〉eq = 1 fur g →∞ (3.114) fg

Eindeutige Losung von (3.113) mit (3.114) ist f = g/(1 + g), so daß endgultig

M2(τ, α) ≃ g(τ, α)

1 + g(τ, α); τ ≫ 1/α (3.115) M2ta

Sofern τ < τS (jedoch eατ > 1), gilt g < 1, so daß M2 ≈ g ≈ M(0)2 (τ), d. h. M2

stimmt mit der linearen Theorie uberein. Das anfanglich exponentielle Wachstumvon M2 verlangsamt sich aber bei Zeiten um τS . Bei τ = τS wird g(τS , α) = 1 undM2(τS , α) = 1/2; schließlich erhalten wir M2 → 1 fur τ →∞.

Abschließend gehen wir der Frage nach, mit welchen Gewichten eine nichtsymme-trische Anfangsverteilung mit M1(0) 6= 0 sich bei langen Zeiten auf die beiden Poten-tialmulden aufteilt, bevor allerdings ein Ausgleich der Potentialmulden untereinanderstattgefunden hat. Wir betrachten also das Zeitintervall τS ≪ τ ≪ τK , wobei zubemerken ist, daß τK durch die quasiharmonische Naherung nicht erfaßt wird. Dazuberechnen wir M1(τ) aus (3.106) mit Hilfe von (3.115). Nach Division durch M1 laßtsich (3.106) integrieren zu

M1(τ) = M1(0) exp

[

α

∫ τ

0dτ ′ (1−M2(τ

′))

]

= M(0)1 (0) exp

[

α

∫ τ

0

dτ ′

1 + exp 2α(τ ′ − τS)

]

(3.116)

Dabei wurde 1−M2 = (1 + g)−1 und (3.110) fur g(τ, α) verwendet. Der Integrand in(3.116) hat die Form einer Fermi–Funktion, deren “Aufweichung” der Breite 1/α umτS wegen α≫ 1; ατS ∼ lnα≫ 1 klein ist. Folglich erhalten wir

M1(τ) ≃M1(0)eατ ; τ ≪ τSM1(0)eατS ; τ ≫ τS

bzw. M1(τ) ≃M1(0)(M2(0) + α−1)−1/2 bei τ ≫ τS .

Zur weiteren Diskussion nehmen wir an, daß p(y, τ = 0) = δ(y − y0); y0 6= 0, sodaß M2(0) = y2

0 = (M1(0))2 und

M1(τ) ≃M1(0)

(M1(0))2 + α−1; τ ≫ τS (3.117)

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Man sieht hieran die Konkurrenz zwischen dem Anfangswert y0 = M1(0) und derStarke der Fluktuationen 1/α hinsichtlich der Große von M1(τ). Wenn α−1 ≪M1(0),so entsteht

M1(τ) = sgnM1(0) (3.118)

d. h. nahezu das gesamte Gewicht geht auf die anfanglich bevorzugte Seite x > 0 oderx < 0. Dies gilt insbesondere, wenn x eine makroskopische Variable darstellt. DieGewichte der beiden moglichen Endzustande hangen dann extrem empfindlich voneiner anfanglichen Bevorzugung eines der beiden Gleichgewichtszustande ab.

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3.7 Funktionalintegraldarstellung von Ubergangswahr–scheinlichkeiten

Funktionalintegrale (Pfadintegrale) wurden in der Physik vor allem durch R. Feyn-man popular (vgl. R. Feynman, R. Hibbs, “Quantum Mechanics and Path Integrals”(Mc Graw Hill, 1965)). Die bereits durch (3.62) angedeutete Analogie zwischen Dif-fusionsgleichung und Schrodingergleichung legt es nahe, analog zum FeynmanschenPfadintegral der Quantenmechanik eine Funktionalintegraldarstellung MarkoffscherUbergangswahrscheinlichkeiten w(x, t|x0) zu suchen. Es soll w(x, t|x0) als “Summe”uber alle Trajektorien (Wege) x(t′) dargestellt werden, die innerhalb des Zeitinter-valls 0 ≤ t′ ≤ t von x0 nach x fuhren (x(0) = x0; x(t) = x), dabei aber mit jeweilsunterschiedlichen Gewichten eingehen. Solch eine Theorie kann Vorteile bei der Ent-wicklung von Naherungsverfahren bieten, wenn z. B. die Wege in der Nachbarschafteines wahrscheinlichsten Weges den Hauptbeitrag liefern. Zudem gestatten Funktio-nalintegrale eine formale Entwicklung von Storungstheorien auf elegante Weise (vgl.z. B. Honerkamp).

Unser Ausgangspunkt ist die FP–Gleichung ∂w/∂t = Lw fur einen 1–dimensionalen,stationaren Prozeß, mit

L = − ∂

∂xK1(x) +

1

2

∂2

∂x2K2(x) (3.119) L

Das Zeitintervall [0, t] wird in N gleiche Teilintervalle der Lange τ = t/N zerlegt.(N − 1)–malige Anwendung der Chapman–Kolmogorov Gleichung (1.93) ergibt

w(x, t|x0) =

dxN−1 . . .

dx1 w(x, τ |xN−1) . . . w(x2, τ |x1)w(x1, τ |x0) (3.120) wxtx

Integriert wird jeweils uber alle Zwischenzustande x1, . . . xN−1 zu den zugehorigenZeitpunkten kτ ; k = 1, . . . , N − 1. Die Idee besteht nun darin, fur große N bzw.kleine τ eine Naherung fur die Ubergangswahrscheinlichkeit zu gewinnen, deren Fehlerhochstens von der Ordnung O(τ2) ist. Dann verhalt sich der Gesamtfehler in (3.120)wie Nτ2 ≃ t2/N und geht fur N →∞ gegen Null.Wir sahen bereits bei der Herleitung der FP–Gleichung, daß die benotigte Informationuber das Kurzzeitverhalten von w(x, τ |x0) durch die beiden niedrigsten Kramers–Moyal–Koeffizienten geliefert wird, vgl. (3.2). Unter Betrachtung von w(x, 0|x0) =δ(x − x0) erhalt man fur hinreichend kleine τ > 0 eine Verteilung w(x, τ |x0), derenSchwerpunkt und Varianz bzgl. x durch K1(x0) bzw. K2(x0) bestimmt ist,

dx (x− x0)w(x, τ |x0) ≃ τK1(x0) (3.121)

dx (x− x0)2w(x, τ |x0) ≃ τK2(x0) (3.122)

Diese beiden Bedingungen werden durch folgenden Ausdruck von der Form einerGauß–Verteilung respektiert,

w(x, τ |x0) = 1√2πτK2(x0)

exp[

− (x−x0−τK1(x0))2

2τK2(x0)

]

+O(τ2) (3.123) wxtx1

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Zur formalen Herleitung dieses Kurzzeitpropagators einschließlich der Fehlerabschatzungschreiben wir

w(x, τ |x0) = eLτδ(x− x0)

= (1 + Lτ +O(τ2))δ(x− x0) (3.124)

Nach Einsetzen des FP–Operators (3.119) durfen wegen der Deltafunktion δ(x− x0)die Großen K1(x) und K2(x) durch K1(x0) bzw. K2(x0) ersetzt werden. Im nachstenSchritt werden die in τ linearen Terme wieder in den Exponenten erhoben, so daßwiederum bis auf Fehler O(τ2) gilt:

w(x, t|x0) =

exp τ

(

−K1(x0)∂

∂x+

1

2K2(x0)

∂2

∂x2

)

δ(x− x0) +O(τ2) (3.125)

Nach Verwendung von

δ(x− x0) =

∫ ∞

−∞

dq

2πeiq(x−x0)

und Vorziehen der q–Integration erhalten wir

w(x, τ |x0) =

∫ ∞

−∞

dq

exp τ

(

−iqK1(x0)−q2

2K2(x0)

)

eiq(x−x0) +O(τ2) (3.126)

Mit Hilfe der Formel∫ ∞

−∞

dq

2πeiq(x−x0−A)− 1

2Bq2

=1√2πB

e−(x−x0−A)2

2B (3.127)

fur B > 0, wobei zur Abkurzung A = τK1(x0) und B = τK2(x0) gesetzt wurde,folgt unmittelbar (3.123) fur den Kurzzeitpropagator. (Bereits aus der Herleitung istersichtlich, daß diese Form nicht eindeutig ist; eindeutig sind jedoch die in τ linearenTerme.)

In (3.120) gehen wir nun zum Limes N →∞ uber und konnen wegen τ → 0 unserErgebnis (3.123) einsetzen:

w(x, t|x0) =

= limN→∞

∫ N−1∏

k=1

dxk√

2πτK2(xk)exp

−τ

N−1∑

k=0

(xk+1−xk

τ −K1(xk))2

2K2(xk)

·

1√

2πτK2(x0)

(3.128) wxtx2

Abb. (3.7) veranschaulicht eine den Anfangs– und Endpunkt x0 bzw. x verbindendeTrajektorie x(t′), die im Diskreten (N endlich) an den Zwischenpunkten k durch dieZahlenwerte xk bis auf “Toleranzen” dxk (k = 1, . . . , N − 1) festgelegt ist. Der Bei-trag solch eines Weges zu w(x, t|x0) ist durch den Integranden in (3.128) bestimmt.Die (N − 1)–fache Integration uber alle unabhangigen Variablen xk entspricht einerSummation uber alle moglichen derartigen Wege.

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X( )

x0

x

dxk

dxix(t )ix(t )k

t i = iτ( )

t

tk tt= kτ( )0

Abbildung 3.7: Diskrete Charakterisierung von Trajektorien x(t′) zu festem Anfangspunktx0 zur Zeit t′ = 0 und Endpunkt x zur Zeit t′ = t.

Im Limes N →∞, in dem die Punkte kτ ; k = 0, . . . , N ; auf der Zeitachse dicht liegen,ist es ublich, zu einer Kontinuumsschreibweise uberzugehen,

xk −→ x(t′)

xk+1 − xk

τ−→ x(t′)

τN−1∑

k=0

−→∫ t

0dt′

1√

2πτK2(x0)

N−1∏

k=1

dxk√

2πτK2(xk)−→ Dx(t)

womit

w(x, t|x0) =∫Dx(t) exp

[

−∫ t0 dt

′ (x(t′)−K1(x(t′)))2

2K2(x(t′))

]

x(t′ = 0) = x0; x(t′ = t) = x

(3.129) wxtx3

Das Integral im Exponenten, das sog. Onsager–Machlup–Funktional (L. Onsager, S.Machlup, Phys. Rev. 91, 1505 (1953)) bestimmt die Große der Beitrage der moglichenWege x(t′). Bei der expliziten Auswertung von (3.129) muß i.a. wieder diskretisiertwerden.

Zur Interpretation von (3.129) ist folgendes anzumerken.

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i) Losungen der Bewegungsgleichung in Abwesenheit der Fluktuationen,

x(t′) = K1(x(t′)) (3.130)

entsprechen dem absoluten Maximum der Exponentialfunktion in (3.129), je-doch mussen die dort zugelassenen Wege zwei Randbedingungen erfullen. Allge-mein muß zur Bestimmung des wahrscheinlichsten Weges das Onsager–Machlup–Funktional unter diesen beiden Randbedingungen minimiert werden. Dies fuhrtauf eine Euler–Lagrange–Gleichung von 2. Ordnung in den Zeitableitungen, diedurch zwei Randbedingungen eindeutig gelost wird.

ii) Je großer K2(x), d. h. je großer die Fluktuationen, umso “flacher” ist das Maxi-mum des Integranden. Wege abseits des wahrscheinlichsten Weges erhalten dannein umso starkeres Gewicht.

iii) Bemerkungen zum Feynmanschen Funktionalintegral:Fur die quantenmechanische Ubergangsamplitude (Propagator) im Ortsraumauf der Basis der Schrodingergleichung gilt

K(x, t|x0) ≡ 〈x|e− i~

Ht|x0〉

=

Dx(t) exp

[i

~

∫ t

0dt′ L(x(t′), x(t′))

]

(3.131)

wobei L(x, x) die klassische Lagrange–Funktion darstellt. Vor dem Wirkungs-funktional

∫Ldt′ steht der Faktor i, im Unterschied zu (3.129), so daß ver-

schiedene Wege unterschiedliche Phasen liefern. Der klassische Weg, also dasExtremum des Wirkungsfunktionals, macht die Phase stationar, so daß Wegein dessen Nachbarschaft mit annahernd gleicher Phase (konstruktiv) beitragen.Entwicklungen um den klassischen Weg fuhren auf WKB–Naherungen.

Als Anwendungsbeispiel betrachten wir die SM–Gleichung (3.53), wobei

K1(x) = DβK(x) (3.132)

durch die außere Kraft K(x) gegeben und

K2(x) = 2D (3.133)

eine Konstante ist. Zur Illustration der Methode beschranken wir uns auf den krafte-freien Fall K(x) = 0, so daß

w(x, t|x0) =

Dx(t) exp

[

− 1

4D

∫ t

0dt′ (x(t′))2

]

(3.134)

Der wahrscheinlichste Weg x(t′) muß der Euler–Lagrange–Gleichung(d/dt′)(2 ˙x(t′)) = 0 oder

¨x(t′) = 0 (3.135) xt0

genugen. Die zu den Randbedingungen in (3.129) gehorende Losung lautet

x(t′) = (x− x0)t′

t+ x0 (3.136)

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Die Abweichungeny(t′) = x(t′)− x(t′)

vom wahrscheinlichsten Weg genugen den Randbedingungen y(0) = y(t) = 0. Ausdem Onsager–Machlup Funktional wird durch Ubergang zur Variablen y(t′)

∫ t

0dt′ (x(t′))2 =

∫ t

0dt′ ( ˙x(t′))2 +

∫ t

0dt (y(t′))2

wobei der Mischterm nach partieller Integration und Verwendung von (3.135) ver-schwindet,

∫ t

0dt′ ˙x(t′)y(t′) = x(t′)y(t′)

∣∣t

0−∫ t

0dt′ ¨x(t′)y(t′) = 0

Ubrig bleibt

w(x, t|x0) = N(t) exp

[

− 1

4D

∫ t

0dt′ ( ˙x(t′))2

]

(3.137) wxtx4

Der zeitabhangige Faktor

N(t) =

Dy(t) exp

[

− 1

4D

∫ t

0dt′ (y(t′))2

]

(3.138)

hangt nicht von x und x0 ab, so daß wir anstelle einer direkten Berechnung ihn ausder Normierungsbedingung ∫

dx w(x, t|x0) = 1 (3.139)

gewinnen konnen. Wegen ˙x(t′) = (x − x0)/t unabhangig von t′ folgt unmittelbar dasbekannte Ergebnis (3.119) fur die freie Diffusion

w(x, t|x0) =1√

4πDtexp

[

− 1

4D

(x− x0)2

t

]

(3.140)

Analog laßt sich die Diffusion im harmonischen Potential mit K(x) ∝ x behandeln.Das Onsager–Machlup Funktional enthalt als Integranden eine quadratische Form in xund x. Auch in diesem Fall wird ahnlich wie in (3.137) die Ubergangswahrscheinlichkeitbereits vollstandig durch den wahrscheinlichsten Weg bestimmt, abgesehen von einemnachtraglich berechenbaren Normierungsfaktor.

Abschließend sei erwahnt, daß man bei der Kramers–Gleichung (3.25) analog vor-gehen kann. Der Kurzzeitpropagator hat die Gestalt

w(x, v, τ |x0, v0) = δ(x−x0−τv0)1

4γkBTπτ/mexp

(

v − v0 − τ(

K(x0)m − γv0

))2

4γkBTτ/m

(3.141)Schließlich erhalt man

w(x, v, t|x0, v0) =

Dx(t) exp

− m

4γkBT

∫ t

0dt′

[

x(t′)−(K(x(t′))

m− γx(t′)

)]2

(3.142) wxv

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mit den Randbedingungen fur x(t′):

x(0) = x0; x(t) = x; x(0) = v0; x(t) = v (3.143)

Da der Integrand in (3.142) auch den Term x(t′) enthalt, fuhrt das Extremalprinzipfur das Integral im Exponenten auf eine Euler–Lagrange–Gleichung 4. Ordnung.

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Kapitel 4

Die Mastergleichung

4.1 Herleitung der Mastergleichung, detailliertes Gleich-gewicht

In einer wichtigen Klasse von Markoff–Prozessen ist die betrachtete Zufallsvariablediskret. Ihre moglichen Werte xl entsprechen den verschiedenen diskreten Zustandenl des Systems.

Wir beschranken uns auf stationare Prozesse. Es sei P (l, t) die Wahrscheinlichkeit,das System zur Zeit t > 0 im Zustand l anzutreffen, unter der Bedingung, daß zur Zeitt = 0 eine bestimmte Anfangsverteilung P (l, t = 0) = P0(l) vorgegeben ist. Speziell furP0(l) = δl,l0 ist P (l, t) mit der Ubergangswahrscheinlichkeit p(l, t|l0) identisch. Nachder Chapman–Kolmogorov–Gleichung gilt

P (l, t) =∑

l′

p(l, t− t′|l′)P (l′, t′) (4.1)

Aus der Anderung von P (l, t) innerhalb eines kleinen Zeitintervalls τ

P (l, t+ τ)− P (l, t) =∑

l′

(p(l, τ |l′)− δl,l′)P (l′, t) (4.2) Plt

gewinnt man ein lineares Differentialgleichungssystem fur P (l, t), welches das Kurz-zeitverhalten der Ubergangswahrscheinlichkeit als Eingangsgroße enthalt. Wir setzen

limτ→0

1

τ(p(l, τ |l′)− δl,l′) ≡ −Tl,l′ (4.3) limtau

und erhalten aus (4.2)

∂P (l,t)∂t = −∑l′ Tl,l′P (l′, t) (4.4)

Eine Gleichung dieser Form fur die zeitabhangige Wahrscheinlichkeit zusammen mitden nachfolgend beschriebenen Eigenschaften der Eingangsgroßen Tl,l′ bezeichnet manals Mastergleichung. Ist Tl,l′ bekannt, so laßt sich P (l, t) aus der AnfangsverteilungP0(l) berechnen.

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Die Mastergleichung ist im Gegensatz zu mikroskopischen Bewegungsgleichungennicht zeitumkehrinvariant. Ahnlich wie bei der FP–Gleichung wird dies durch dasAuftreten der 1. Zeitableitungen bereits nahegelegt. Sie beschreibt, wie unten gezeigt,irreversible Prozesse, insbesondere Relaxationsprozesse ins Gleichgewicht (vgl. (4.20)und (4.28)).

Gemaß ihrer Definition erfullt die Matrix T = (Tl,l′) die folgenden Bedingungen:

i)∑

l

p(l, τ |l′) = 1 =⇒∑

l

Tl,l′ = 0 (4.5) suml

d. h. die Summe uber die Matrixelemente jeder Spalte l′ verschwindet. Dies ga-rantiert (∂/∂t)

l P (l, t) = 0, d. h. die Normierung von P (l, t) bleibt im Laufeder Zeit erhalten.

ii) Wegen p(l, τ |l′) ≥ 0 folgt fur die Nicht–Diagonalelemente

Tl,l′ ≤ 0 fur l 6= l′ (4.6)

In Verbindung mit i) ergibt sich fur die Diagonalelemente

Tl′,l′ = −∑

l 6=l′

Tl,l′ ≥ 0. (4.7) Tll

Durch diese Ungleichungen wird ausgedruckt, daß fur l 6= l′ die Ubergangswahr-scheinlichkeit p(l, τ |l′) anfangs zeitlich zunimmt aufgrund der Ubergange vonl′ nach l. Entsprechend verringert sich die Wahrscheinlichkeit, das System imAusgangszustand l = l′ anzutreffen.

Aus den genannten Eigenschaften der Matrix T folgen (zumindest fur Systeme mitendlich vielen Zustanden) wichtige Aussagen uber die Losungen der Mastergleichung.

i) Wegen∑

l Tl,l′ = 0 verschwindet die Summe aller Zeilenvektoren, d. h. die Zei-lenvektoren von T sind linear abhangig. Demnach besitzt T einen Eigenwertγ0 = 0. Der zugehorige Eigenvektor Pst(l) ist eine stationare Losung der Master-gleichung, die (sofern Pst(l) ≥ 0 fur alle l) eine stationare Verteilung beschreibt.

ii) Unter Annahme der Ergodizitat kann man weiter zeigen, daß jede Losung P (l, t)fur t → ∞ in eine stationare Losung Pst(l) ubergeht (vgl. van Kampen, sowie(4.20) und (4.29)).

Die Mastergleichung erhalt eine ubersichtlichere Form, wenn auf der rechten SeiteDiagonal– und Nichtdiagonalterme getrennt werden. Fur l 6= l′ fuhren wir die Uber-gangsrate ein,

w(l′ → l) ≡ −Tl,l′ = limτ→0

1

τp(l, τ |l′) ≥ 0, l 6= l′ (4.8)

Dann ist nach (4.7)

Tl,l =∑

l′ 6=l

w(l→ l′) ≥ 0 (4.9)

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Folglich

∂P (l,t)∂t =

l′ [w(l′ → l)P (l′, t)− w(l→ l′)P (l, t)] (4.10) parP

Diese Form der Gleichung zeigt explizit die Gewinn– und Verlustterme. Zu beachtenist, daß der Term l′ = l herausfallt.

Bewegungsgleichung fur bedingte Mittelwerte

Wir bemerken an dieser Stelle, daß fur die Zeitentwicklung bedingter Mittelwerte diezu T adjungierte Matrix T+ (“Ruckwartsoperator”) zustandig ist, ahnlich wie in (3.4).Da T reell, ist (T+)l,l′ = Tl′,l. Es sei f(l) eine beliebige Funktion von l und

f(t, l0) =∑

l

f(l)p(l, t|l0) (4.11) ftl

ihr Mittelwert zur Zeit t, unter der Bedingung, daß zur Zeit t = 0 sich das System imZustand l0 befand (f(0, l0) ≡ f(l0)). Differentiation nach t ergibt

∂f(t, l0)

∂t= −

l

f(l)∑

l′

Tl,l′p(l′, t|l0)

= −∑

l

(T+f)(l)p(l, t|l0) (4.12)

Dabei wurde l mit l′ in der Notation vertauscht. Auf der rechten Seite von (4.12) stehtder bedingte Mittelwert der Funktion T+f , die gegeben ist durch

(T+f)(l) ≡∑

l′

T+l,l′f(l′) (4.13)

Die formale Losung von (4.12) hat die zu (3.9) analoge Gestalt,

f(t, l0) =∑

l′

(

e−T+t)

l0,l′f(l′) (4.14) ftl0

wie man durch Vergleich der n–ten zeitlichen Ableitung von f(t, l0) nach (4.12) bzw.(4.14) jeweils bei t = 0 erkennt. Folglich gilt fur die bedingten Mittelwerte die Diffe-rentialgleichung

∂f(t, l0)

∂t= −

l′

T+l0,l′ f(t, l′) (4.15) parft

Alternativ kann man auch ausgehen von

p(l, t|l0) =(e−Tt

)

l,l0(4.16)

so daß nach Einsetzen in (4.11)

∂f(t, l0)

∂t= −

l

l′

f(l)(e−Tt

)

l,l′Tl′,l0

= −∑

l′

T+l0,l′

l

f(l)(e−Tt

)

l,l′

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Dies ist identisch mit (4.15).

Systeme mit detailliertem Gleichgewicht

Mastergleichungen mit detailliertem Gleichgewicht stellen einen wichtigen Spezialfalldar. In einem abgeschlossenen physikalischen System stellt sich nach hinreichend lan-ger Zeit thermisches Gleichgewicht ein. Die stationare Verteilung ist dann mit derGleichgewichtsverteilung Peq(l) identisch, die durch die Gesetze der statistischen Me-chanik des Gleichgewichts bestimmt ist. Detailliertes Gleichgewicht liegt vor, wenn imGleichgewicht jeder einzelne Summand l′ in (4.10) verschwindet, d. h. wenn

Peq(l′)w(l′ → l) = Peq(l)w(l→ l′) (4.17) Peq

Diese Bedingung fur die Ubergangsraten besagt, daß im Gleichgewicht fur je zweiZustande l und l′ die Zahl der Ubergange pro Zeit in beiden Richtungen dieselbe ist.

Unter Umstanden laßt sich (4.17) aus dem Prinzip der Mikroreversibilitat be-grunden. Im speziellen Fall, daß die Ubergangsraten aus einem zugrundeliegendenquantenmechanischen Problem storungstheoretisch in niedrigster Ordnung berechnetwerden, laßt sich (4.17) unmittelbar beweisen, vgl. § 4.2.

H–Theorem

In einem abgeschlossenen System muß jede Verteilung der Bedingung limt→∞ P (l, t) =Peq(l) genugen. Ein Ausdruck dafur ist das H–Theorem, welches wir unter Voraus-setzung des detaillierten Gleichgewichts beweisen. (Hinsichtlich eines allgemeinerenBeweises s. van Kampen.)

In Anlehnung an das Boltzmannsche H–Theorem definieren wir

H(t) =∑

l

P (l, t) lnP (l, t)

Peq(l)(4.18)

Die Funktion H(t) besitzt folgende Eigenschaften:

i) Falls P (l, t) = Peq(l), so nimmt sie (zu gegebenem Peq(l)) ihr absolutes MinimumH = 0 an.

ii) AdditivitatBesteht das System aus zwei unabhangigen Teilsystemen 1 und 2, mit Zustandenl bzw. ZustandenM und zugehorigen Wahrscheinlichkeiten P1(l, t) bzw. P2(M, t),so wird

H(t) =∑

l,M

P1(l, t)P2(M, t) lnP1(l, t)P2(M, t)

Peq,1(l)Peq,2(M)

=∑

l,M

P1(l, t)P2(M, t)

(

lnP1(l, t)

Peq,1(l)+ ln

P2(M, t)

Peq,2(M)

)

= H1(t) +H2(t) (4.19)

Im letzten Schritt wurden die Normierungsbedingungen fur P1 und P2 benutzt.(4.19) besagt, daß H sich additiv aus den H–Funktionen der Teilsysteme zusam-mensetzt.

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iii) H(t) nimmt zeitlich monoton ab:

dH(t)

dt≤ 0 (4.20) dHt

Bei einem ergodischen System gilt das Gleichheitszeichen genau dann, wennP (l, t) identisch Peq(l), d. h. die zeitliche Abnahme erfolgt so lange, bis dasGleichgewicht erreicht ist, vgl. i).Nach i) bis iii) kann H(t) als ein auf das Nichtgleichgewicht verallgemeinertesthermodynamisches Potential interpretiert werden, welches im Gleichgewicht un-ter den gegebenen außeren Bedingungen extremal wird.

Beweis von iii):Wegen (d/dt)

l P (l, t) = 0 ist

dH

dt=∑

l

dP (l, t)

dtlnP (l, t)

Peq(l)

und nach (4.10) sowie (4.17), mit zl = P (l, t)/Peq(l),

dH

dt=

l,l′

[Peq(l

′)w(l′ → l)zl′ − Peq(l)w(l→ l′)zl]ln zl

=∑

l,l′

Peq(l′)w(l′ → l)(zl′ − zl) ln zl

Addition derselben Gleichung mit vertauschten Summationsindizes liefert

dH

dt= −1

2

l,l′

Peq(l)w(l→ l′)(zl − zl′)(ln zl − ln zl′)

Aufgrund der Monotonie von ln z sind alle Summanden großer oder gleich Null, sodaß dH/dt ≤ 0. Sofern zwischen zwei Zustanden l und l′ uberhaupt ein Austauschstattfindet, Peq(l)w(l → l′) 6= 0, verschwindet der Summand (l, l′) genau dann, wennzl = zl′ . Fur ein ergodisches System, in dem jeder Zustand mit jedem anderen uber eineSequenz nichtverschwindender Ubergangsraten verbunden ist, ergibt sich der Schluß,daß dH/dt = 0 genau dann, wenn zl unabhangig von l ist, also P (l, t) ≡ Peq(l).Damit ist gezeigt, daß jede Losung P (l, t) der Mastergleichung eine zeitliche Abnahmevon H(t) impliziert und fur t→∞ in die Gleichgewichtslosung ubergeht.

Symmetrisierung

Ahnlich wie in § 3.3 gehen wir von der Wahrscheinlichkeit P (l, t) gemaß

P (l, t) = (Peq(l))1/2ϕ(l, t) (4.21)

zu einer Funktion ϕ(l, t) uber, die der Bewegungsgleichung

∂ϕ(l, t)

∂t= −

l′

Sl,l′ϕ(l′, t) (4.22) parphi

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genugt. Die MatrixSl,l′ = P−1/2

eq (l)Tl,l′P1/2eq (l′) (4.23)

besitzt dieselben Eigenwerte wie T und ist symmetrisch, denn fur l 6= l′ gilt

S(l, l′) = −P−1/2eq (l)w(l′ → l)P 1/2

eq (l′) =

= −P 1/2eq (l)w(l→ l′)P−1/2

eq (l′) = S(l′, l) (4.24)

Folglich sind die Eigenwerte reell.

Negative Eigenwerte treten nicht auf, da die quadratische Form

S =∑

l,l′

Sl,l′ylyl′ (4.25)

positiv semi–definit ist. Dies wird folgendermaßen gezeigt:

S =∑

l,l′

P−1/2eq (l)ylTl,l′P

1/2eq (l′)yl′ =

=∑

l 6=l′

P−1/2eq (l)yl

[

w(l→ l′)P 1/2eq (l)yl − w(l′ → l)P 1/2

eq (l′)yl′

]

.

Der erste Term, welcher y2l enthalt, entstand aus den Diagonalelementen Tl,l nach

(4.7). Mit Hilfe des detaillierten Gleichgewichts wird er umgeformt:

l 6=l′

w(l→ l′)y2l =

1

2

l 6=l′

(w(l→ l′)y2l + w(l′ → l)y2

l′) =

=1

2

l 6=l′

w(l′ → l)

[Peq(l

′)Peq(l)

y2l + y2

l′

]

.

Somit folgt

S =1

2

l 6=l′

w(l′ → l)Peq(l′)

[

y2l

Peq(l)− 2

ylyl′

P1/2eq (l)P

1/2eq (l′)

+y2

l′

Peq(l′)

]

=1

2

l 6=l′

w(l′ → l)Peq(l′)

[

yl

P1/2eq (l)

− yl′

P1/2eq (l′)

]2

≥ 0 q. e. d.

Entwicklung nach Eigenfunktionen

In volliger Analogie zur SM–Gleichung (vgl. § 3.3) laßt sich die allgemeine Losungder Mastergleichung mit detailliertem Gleichgewicht durch ein vollstandiges, ortho-normiertes System von Eigenvektoren ϕn der Matrix S darstellen. Es sei

l′

Sl,l′ϕn(l′) = λnϕn(l) (4.26)

mit Eigenwerten λn ≥ 0. Wir nehmen an, daß nur ein Eigenwert λ0 = 0 auftritt, derzur Gleichgewichtsverteilung gehort, d. h.

ϕ0(l) = P 1/2eq (l) mit λ0 = 0. (4.27)

107

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Die allgemeine Losung der Mastergleichung in der Form (4.22) fur die Funktion ϕ(l, t)lautet

ϕ(l, t) =∑

n

anϕn(l)e−λnt

mit willkurlichen Konstanten an. Die Anfangsbedingungen P (l, 0) = δl,l0 bzw. ϕ(l, 0) =

P−1/2eq (l0)δl,l0 wird aufgrund der Vollstandigkeitsrelation

n

ϕn(l)ϕ∗n(l0) = δl,l0

befriedigt durch an = P−1/2eq (l0)ϕ

∗n(l0). Folglich ist die Ubergangswahrscheinlichkeit

gegeben durch:

p(l, t|l0) = P1/2eq (l)P

−1/2eq (l0)

n ϕn(l)ϕ∗n(l0)e

−λnt (4.28) wltl0

vgl. den entsprechenden Ausdruck (3.66) bei der SM–Gleichung. Der Term n = 0 mitλ0 = 0 ergibt die Gleichgewichtsverteilung, so daß

p(l, t|l0) = Peq(l) + P 1/2eq (l)P−1/2

eq (l0)∑

n6=0

ϕn(l)ϕ∗n(l0)e

−λnt. (4.29) pltl0

Man erkennt, daß fur große Zeiten die Relaxation ins Gleichgewicht durch die kleinstenEigenwerte λn 6= 0 bestimmt ist.

108

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4.2 Kernspinrelaxation

Kernresonanzexperimente sind ein wichtiges Hilfsmittel zur Untersuchung der innerenFelder in Flussigkeiten oder Festkorpern. Als Anwendungsbeispiel fur eine Master-gleichung mit zwei Zustanden behandeln wir die Relaxation nichtwechselwirkenderKernspins I = 1/2 ins Gleichgewicht. Wie in § 4.3 gezeigt wird, liefert die Messungder Relaxationszeit Information uber die Dynamik der inneren Felder.

Ein Kern mit dem Spin ~I besitzt ein magnetisches Moment

~µ = γ~~I (4.30)

dessen Große durch den gyromagnetischen Faktor γ bestimmt ist. (Fur ein Proton istµ = γp(~/2) = 2.793µK mit dem Kernmagneton µK = e~/2Mpc). Die Wechselwirkung

des Kerns mit einem außeren Magnetfeld ~B ist durch den Zeemann–Hamiltonoperator

H = −~µ ~B (4.31)

gegeben. Fur I = 1/2 und ~B = B~z erhalt man H = −~ω0Iz mit den beiden Eigen-zustanden | ↑> und | ↓>, die um die Zeemann–Energie

~ω0 = γ~B (4.32)

aufgespalten sind, vgl. Abb. (4.1). ω0 ist die Larmor–Frequenz. Wenn B = 1 Tesla,so gilt fur ein Proton ~ω0 = 1.76 · 10−7eV und ω0/2π = 4.258 · 107s−1. Wird einmakroskopisches System in ein außeres Feld gebracht, so stellt sich im Gleichgewichteine bestimmte Magnetisierung ein, die fur schwache Felder proportional zu B ist,

~Meq = γ~

N∑

i=1

〈~Ii〉eq = χ0~B (4.33)

χ0 ist die isotherme Suszeptibilitat. Fur Flussigkeiten und kubische Kristalle ist χ0 einSkalar. Wenn sich das außere Feld plotzlich andert, so relaxiert die Magnetisierung ge-gen einen neuen Gleichgewichtswert. Dabei sind zwei Arten von Relaxationsprozessenzu unterscheiden.

B 2ww1

Abbildung 4.1: Zeemann–Aufspaltung eines Spin 1/2–Systems und Ubergangsraten in(4.34).

109

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Bz

M z

1B

0B

χ0B1

χ0B0

t/T1−

~ e

t

t

Abbildung 4.2: Schematische Darstellung der longitudinalen Relaxation der Magnetisierung.

i) Longitudinale RelaxationDas Feld andert sich vom Anfangswert ~B1 auf den Wert ~B0 = B0~z. Dann re-laxiert die Komponente der Magnetisierung parallel zu ~B0 (z–Komponente) ge-gen den Wert Meq = χ0B0. Bei diesem Vorgang andert sich die Besetzung derZeemann–Niveaus.

Folglich muß Energie mit einem Warmebad (“Gitter”) ausgetauscht werden.Die Große der entsprechenden longitudinalen Relaxationszeit oder Spin–Gitter–Relaxationszeit T1, vgl. Abb. (4.2), hangt von der Starke der Ankopplung ansWarmebad ab.

ii) Transversale RelaxationDie Komponente der Magnetisierung senkrecht zu ~B0 muß gegen Null relaxieren.Dabei bleibt die Zeemann–Energie der Spins im außeren Feld konstant. Diesetransversale Relaxation beruht auf Spin–Spin–Wechselwirkungen.

Wir diskutieren nur die longitudinale Relaxation. Da wir nur am Mittelwert der Ma-gnetisierung interessiert sind, genugt es, die Mastergleichung fur einen einzelnen Spinzu betrachten,

∂P (↑, t)∂t

= w2P (↓, t)− w1P (↑, t)∂P (↓, t)∂t

= w1P (↑, t)− w2P (↓, t) (4.34)

P (↑, t) und P (↓, t) sind die Wahrscheinlichkeiten fur die beiden moglichen Spinein-stellungen. w1 und w2 bezeichnen die Ubergangsraten fur Ubergange in das oberebzw. untere Niveau. Offenbar ist ∂

∂t(P (↑, t) + P (↓, t)) = 0, so daß die NormierungP (↑, t) + P (↓, t) = 1 erhalten bleibt, vgl. (4.5). Im Gleichgewicht (∂/∂t = 0) muß

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gelten

w1w2

=Peq(↓)Peq(↑) = e−β~ω0 (4.35) w1w2

d. h. die Ubergangsraten erfullen die Bedingung des detaillierten Gleichgewichts.

In Bezug auf (4.34) hat die in (4.3) eingefuhrte Matrix T die Gestalt

T =

(w1 −w2

−w1 w2

)

(4.36)

und besitzt die Eigenwerte

λ0 = 0; λ1 = w1 + w2 (4.37)

Mit Hilfe der Mastergleichung (4.34) untersuchen wir nun das zeitliche Verhaltender Magnetisierung

Mz(t) = γ~N〈Iz(t)〉 = γ~N

2(P (↑, t)− P (↓, t)) (4.38)

Ihr Gleichgewichtswert

Meq = γ~N

2(Peq(↑)− Peq(↓)) =

= γ~N

2

1− e−β~ω0

1 + e−β~ω0= γ~

N

2tanh

β~ω0

2(4.39)

ist fur kleine B0 dem Feld proportional, Meq = χ0B0, mit der Curie–Suszeptibilitatχ0 = const./T . Bei großen Feldern ~γB ≫ kBT sind alle Spins ausgerichtet, so daßMeq ≃ γ~N/2. Bilden wir die Differenz (∂/∂t)(P (↑, t) − P (↓, t)), so folgt aus (4.34)unter Verwendung des detaillierten Gleichgewichts

dMz(t)

dt= − 1

T1(Mz(t)−Meq) (4.40)

wobei die longitudinale Relaxationszeit gegeben ist durch

1T1

= w1 + w2. (4.41)

Man findet ein exponentielles Abklingen der Abweichung vom Gleichgewicht,

Mz(t) = Meq + (Mz(t = 0)−Meq)e−t/T1 . (4.42)

111

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4.3 Storungstheoretische Berechnung der Ubergangsra-ten

Am Beispiel eines Kernspinsystems zeigen wir, wie im Prinzip die Ubergangsraten inder Mastergleichung aus einem mikroskopischen Modell gewonnen werden konnen. EinSpin im außeren Magnetfeld ~B = B~z mit dem Hamiltonoperator

H0 = −~ω0Iz; ω0 = γB; Iz = ±1/2 (4.43)

sei an ein Warmebad gekoppelt. Die Kopplung sei von der Form

H1(t) = Ixhx(t) + Iyhy(t) =1

2(I+h−(t) + I−h+(t)) (4.44)

mitI± = Ix ± iIy; h± = hx ± ihy. (4.45)

Offensichtlich induziert H1(t) Ubergange zwischen den Zeemann–Niveaus.

Im Rahmen einer halb–klassischen Theorie betrachten wir die auf den Spin ein-wirkenden Felder hx(t) und hy(t) als klassische, stochastische Variablen, die durch dieFreiheitsgrade des Warmebads bestimmt sind. Zu ihrer Charakterisierung nehmen wiran, daß es sich um stationare Prozesse handelt mit verschwindenden Zeitmittelwertenh±(t) = 0. Die Prozesse hx(t) und hy(t) seien unabhangig, so daß

h+(t)h−(0) = hx(t)hx(0) + hy(t)hy(0)

Fur Zeiten groß im Vergleich zu einer bestimmten Korrelationszeit τc soll h+(t)h−(0)gegen Null gehen.

Wir bestimmen nun die Ubergangsraten w1 und w2 mittels zeitabhangiger Storungs-theorie 1. Ordnung. (Die Rechnung ist identisch mit der Berechnung der Einsteinkoef-fizienten in der halb–klassischen Theorie der Wechselwirkung inkoharenter elektroma-gnetischer Strahlung mit Atomen.) Dazu ist die zeitabhangige Schrodingergleichung

i~∂|ψ(t)〉∂t

= (H0 +H1(t))|ψ(t)〉 (4.46)

in 1. Ordnung bezuglich H1(t) zu losen. Zur Berechnung von w2 stellen wir die An-fangsbedingung, daß sich das System zur Zeit t = 0 im oberen Niveau befindet, d. h.|ψ(0)〉 = | ↓〉, vgl. Abb. (4.1). Mittels

|ψ(t)〉 =: e−i~

H0t|ψ(t)〉

i~∂|ψ(t)〉∂t

= H1(t)|ψ(t)〉

wobeiH1(t) ≡ e

i~

H0tH1(t)e− i

~H0t

wird die Schrodingergleichung ins Wechselwirkungsbild transformiert. In 1. Ordnungerhalten wir

|ψ(t)〉 =

(

1− i

~

∫ t

0dt′ H1(t

′)

)

| ↓〉.

112

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Die Wahrscheinlichkeit, nach der Zeit t den energetisch tieferen Zustand | ↑〉 vorzufin-den, ist gegeben durch

|〈↑ |ψ(t)〉|2 = |〈↑ |ψ(t)〉|2.Fur die Ubergangsamplitude findet man mit 〈↑ |I+| ↓〉 = 1; 〈↑ |I−| ↓〉 = 0,

〈↑ |ψ(t)〉 = − i~

∫ t

0dt′ 〈↑ |H1(t

′)| ↓〉 =

= − i

2~

∫ t

0dt′ e−iω0t′h−(t′)

Multiplikation mit 〈ψ(t)| ↑〉 ergibt

|〈↑ |ψ(t)〉|2 =1

4~2

∫ t

0dt′′∫ t

0dt′ e−iω0(t′−t′′)h+(t′′)h−(t′).

Wird der zeitliche Mittelwert bzgl. der fluktuierenden Felder h±(t) gebildet, so hangtder Integrand nur vom Betrag der Zeitdifferenz τ = t′′ − t′ ab. Man fuhrt nun τ alsIntegrationsvariable ein und benutzt fur t→∞ (vgl. die Rechenschritte zu (2.27))

∫ t

0dt′′∫ t

0dt′ g(t′′ − t′) −→ t

∫ ∞

−∞dτ g(τ)

fur eine beliebige Funktion g(τ) = g(−τ), die fur große |τ | genugend rasch abfallt. Diezeitlich gemittelte Ubergangsrate (Ubergangswahrscheinlichkeit pro Zeit) erhalten wirals

w2 = limt→∞

|〈↑ |ψ(t)〉|2t

=1

4~2

∫ ∞

−∞dτ eiω0τh+(τ)h−(0)

Analog wird w1 berechnet. Mit der spektralen Dichte

S(ω) =1

∫ ∞

−∞dτ eiωτh+(τ)h−(0) (4.47)

des Prozesses h±(t) erhalten wir endgultig

w2 = π2~2S(ω0)

w1 = π2~2S(−ω0)

(4.48)

Die Ubergangsraten sind also proportional zur spektralen Dichte der Storung bei derUbergangsfrequenz ω0. Da h±(t) als klassische Variablen angesehen wurden, gilt S(ω) =S(−ω), d. h. w1 = w2 (vgl. die Symmetrie der Einsteinschen B–Koeffizienten). In einervollstandig quantenmechanischen Behandlung sind h± Operatoren. Die Rechnung, indie dann die Zustande des Warmebades einbezogen werden, verlauft vollig analog (vgl.z. B. R. Kubo et al., “Statistical Physics II–Nonequilibrium Statistical Mechanics”,Springer 1985). Das Ergebnis fur w1 und w2 ist dasselbe. Die Funktion S(ω) erfulltjedoch allgemein die Beziehung

S(−ω) = e−β~ωS(ω) (4.49)

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die von den Intensitatsverhaltnissen von Stokes– und Antistokes–Beitragen etwa beiinelastischen Streuexperimenten her bekannt ist. Dadurch wird detailliertes Gleichge-wicht garantiert, vgl. (4.35),

w1

w2= e−β~ω0 (4.50)

Fur T1 ergibt sich somit

1

T1=

π

2~2

(

1 + e−β~ω0

)

S(ω0) (4.51)

Der oben explizit behandelte klassische Grenzfall wird erreicht, wenn kBT ≫ ~ω0.Dann folgt wieder S(ω) = S(−ω), so daß 1/T1 = (π/~2)S(ω0).

Wir diskutieren folgende Anwendungen:

i) Kernspinrelaxation in Metallen (Korringa–Relaxation)Der Effekt entsteht durch die Hyperfeinwechselwirkung zwischen den Kernspinsund den Leitungselektronen. h± ist im wesentlichen der Operator der Spindichteder Leitungselektronen am Kernort. Aufgrund des Pauli–Prinzips tragen nurLeitungselektronen aus einem Bereich der Breite ∼ kBT um die Fermikante bei.Folglich wird 1/T1 ∝ kBT .

ii) Relaxation aufgrund der Dipol–Dipol–Wechselwirkung bei sich bewegenden Ker-nen (N. Bloembergen, E.M. Purcell, R.V. Pound, Phys. Rev. 73, 679 (1948)).Das magnetische Moment eines Kerns erzeugt ein Magnetfeld, welches auf diemagnetischen Momente der Nachbarkerne wirkt (magnetische Dipol–Dipol–Wechselwirkung). Wenn sich die Kerne relativ zueinander bewegen, z. B. in ei-ner Flussigkeit oder in einem Festkorper durch Diffusion, so entstehen zeitlichfluktuierende Felder. Ohne die Dipol–Dipol–Wechselwirkung im einzelnen zudiskutieren, setzen wir fur die Korrelationsfunktion des fluktuierenden Feldesvereinfachend

h+(t)h−(0) = |h|2e−|t|/τc (4.52)

so daß

S(ω) = |h|2 1

π

τc1 + (ωτc)2

(4.53)

Die Korrelationszeit τc gibt an, innerhalb welcher Zeit sich die Umgebung einesKerns wesentlich andert. Man erhalt hiermit das Ergebnis

1

T1=

1

~2|h|2 τc

1 + ω20τ

2c

(4.54) 1T1

welches qualitativ den Einfluß der Korrelationszeit auf die Relaxationsrate be-schreibt. Die Relaxationsrate T−1

1 wird bei Veranderung von τc maximal, wennω0τc = 1. Da im Experiment ω0 bekannt ist, laßt sich τc hiermit messen. InFlussigkeiten ist τc von der Großenordnung der mittleren Stoßzeit (∼ 10−13s).In Festkorpern ist τc im wesentlichen die mittlere Verweilzeit eines Defekts zwi-schen zwei Sprungen. Sehr oft findet man ein thermisch aktiviertes Verhaltengemaß einem Arrheniusgesetz,

1

τc= ν0 exp(−EA/kBT ) (4.55) 1tauc

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Dann kann τc durch Temperaturvariation leicht innerhalb weiter Grenzen veran-dert werden. Experimentelle Daten werden ublicherweise so dargestellt, daß manlnT−1

1 bei festem ω0 gegen 1/T ∝ ln(ν0τc) auftragt. Bei Gultigkeit von (4.54) mit(4.55) erhalt man einen bzgl. ω0τc = 1 symmetrischen Peak. An den Steigungenlinks und rechts des Peaks (ω0τc ≪ 1 bzw. ω0τc ≫ 1) kann die Aktivierungsener-gie direkt abgelesen werden. Messungen bei unterschiedlicher Larmorfrequenz er-geben eine Verschiebung der Tieftemperaturflanke gemaß T−1

1 ∝ ω−20 , wahrend

die Hochtemperaturflanke von ω0 unbeeinflußt bleibt. Ein Beispiel zeigt Abb.(4.3).

Eine genauere, auf der Diffusionsgleichung beruhende Naherung fur die spektraleDichte S(ω) im Bereich ωτc ≪ 1 liefert S(ω) ≃ S(0)−Aω1/2 in d = 3, wahrendin d = 2 eine logarithmische Frequenzabhangigkeit S(ω) ∝ lnω−1 entsteht (C.A.Sholl, J. Phys. C14, 447 (1981); P. Heitjans, A. Schirmer, in “Diffusion in Con-densed Matter”, hrsg. v. J. Karger et al., Vieweg 1998, S. 116).

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Abbildung 4.3: Spin–Gitter Relaxationsrate von 8Li–Kernen in Abhangigkeit von der Tem-peratur, gemessen an polykristallinem Li (P. Heitjans et al., J. Phys. F: Met. Phys. 15, 41(1985)).

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4.4 Zeitlich kontinuierliche Zufallsbewegung(“random walk”)

Bereits in § 1.2 wurde eine Zufallsbewegung in d = 1 untersucht, die in Form zeitlichund raumlich diskreter Schritte ablief. Wir betrachten jetzt eine zeitlich kontinuier-liche Zufallsbewegung auf einem raumlich diskreten, d–dimensionalen Gitter mit denmoglichen Gitterplatzen ~l. Es sei

w(~l→ ~l′)∆t = Wahrscheinlichkeit fur einen Sprung vom Ort ~l nach ~l′

innerhalb eines Zeitintervalls [t, t+ ∆t].

Diese Wahrscheinlichkeit soll unabhangig von der Vorgeschichte sein, d. h. sie soll un-abhangig davon sein, wie lange sich das Teilchen bereits am Ausgangsort ~l aufgehaltenund welche Platze es vorher besucht hat. Mit dieser Annahme ist der Vorgang ein stati-onarer Markoff–Prozeß in den Variablen ~l. Die Wahrscheinlichkeit P (~l, t), das Teilchenam Ort ~l zu finden, gehorcht der Mastergleichung

∂P (~l, t)

∂t=∑

l′

[

w(~l′ → ~l)P (~l′, t)− w(~l→ ~l′)P (~l, t)]

(4.56) parPlt

Die Losung der Mastergleichung zur Anfangsbedingung P (~l, 0) = δ~l,~l0 ist identisch mit

der Ubergangswahrscheinlichkeit p(~l, t|~l0).Anwendungen der Mastergleichung (4.56) auf physikalische Sprungprozesse setzen

voraus, daß die Zeit, die der Sprungvorgang selbst in Anspruch nimmt, vernachlassig-bar klein ist gegenuber der mittleren Verweilzeit am Ort ~l. Dies ist bei atomarenSprungprozessen in Festkorpern (Bewegung von Fremdatomen, Zwischengitteratomenoder Leerstellen) i. a. gut erfullt, sofern evtl. die Temperaturen nicht zu hoch sind. Manspricht dann von Sprungdiffusion oder einer Hopping–Bewegung. Viel untersuchte Sy-steme sind Losungen von Wasserstoff in Metallen, feste Ionenleiter, Adsorbatatomeauf Festkorperoberflachen etc. Dabei hat man es i. a. mit der gleichzeitigen Diffusionvieler Atome zu tun. Ist solch ein “kinetisches Gittergas” jedoch hinreichend verdunnt,so genugt eine 1–Teilchen–Beschreibung wie in (4.56).

Als einfaches Beispiel untersuchen wir die Bewegung auf einem periodischen Gitterbestehend aus aquivalenten Platzen. Die elementaren Sprunge sollen nur zwischennachsten Nachbarn erfolgen und zwar mit einer einheitlichen Sprungrate Γ, d. h. w(~l→~l+~δ) = Γ. Die Sprungvektoren ~δ sind dabei identisch mit den Verbindungen zwischennachsten Nachbarn. Dann folgt aus (4.56) die Gleichung

∂P (~l, t)

∂t= Γ

[

P (~l + ~δ, t)− P (~l, t)]

(4.57) parPl

die sich durch Fourier–Darstellung

P~q(t) =∑

~l

P (~l, t)e−i~q~l; P (~l, t) =1

N

~q∈1.BZ

P~q(t)ei~q~l (4.58)

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sofort losen laßt. Dabei seien periodische Randbedingungen vorgegeben. Summiertwird uber N Gitterplatze im Periodizitatsvolumen; die ~q–Summation erstreckt sichuber die 1. Brillouin–Zone. Es gelten die Regeln

~l

ei(~p−~q)~l = Nδ~q,~p ;∑

~q∈1.BZ

ei~q(~l−~l′) = Nδ~l,~l′ (4.59)

Nach Multiplikation von (4.57) mit e−i~q~l und anschließender Summation uber alle ~lentsteht

P~q(t) = e−γ(~q)tP~q(0) (4.60)

mit der “Dispersionsrelation” der Relaxationsmoden

γ(~q) = Γ∑

(

1− ei~q~δ)

(4.61) gammaq1

Fur ein einfach kubisches 3− d Gitter mit der Gitterkonstanten a ist

γ(~q) = 6Γ

(

1− 1

3(cos aqx + cos aqy + cos aqz)

)

(4.62) gammaq

Der Anfangsbedingung P (~l, 0) = δ~l,~l0 entspricht P~q(0) = e−i~q~l0 . Folglich wird die

Ubergangswahrscheinlichkeit

p(~l, t|~l0) =1

N

~q

ei~q(~l−~l0)e−γ(~q)t (4.63) wvecl

Im Grenzfall t→∞ bleibt nur der Summand ~q = 0 mit γ(0) = 0 ubrig, so daß

p(~l, t|~l0) t→∞−→ 1/N ≡ Peq(~l0) (4.64)

1

2

3

4

0 π/a

q

q || [1,0,0]

γ(q)/Γ

∼ Dq2

Abbildung 4.4: Dispersionsrelation der Relaxationsmoden nach (4.62).

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1/N ist gleich der Gleichgewichtsverteilung, bei der alle Platze mit gleicher Wahr-scheinlichkeit besetzt sind.

Meistens interessiert man sich fur sehr große Gitter (N →∞), so daß (4.63) in einIntegral ubergeht,

p(~l, t|~l0) = a3

∫d3q

(2π)3ei~q(

~l−~l0) e−γ(~q)t (4.65) wveclt

Dies laßt sich fur große Zeiten leicht explizit auswerten. Da fur Γt ≫ 1 zum Integralnur kleine q beitragen, kann man naherungsweise

γ(~q) ≃ Γ(aq)2 ≡ Dq2 fur aq ≪ 1 (4.66) gammaq2

setzen, mit der Diffusionskonstanten

D = Γa2 (4.67)

Dann folgt aus (4.65) eine Gauß–Verteilung

p(~l, t|~l0) = a3(4πDt)−3/2 exp

[

−(~l −~l0)24Dt

]

(4.68) wvecltl

mit dem mittleren Verschiebungsquadrat 〈(~l(t)−~l0)2〉 = 6Dt.

Diese Ergebnisse erhalt man auch direkt aus einer Kontinuumsnaherung in derMastergleichung bezuglich der Ortsabhangigkeit. Die kontinuierliche Ortsvariable be-zeichnen wir mit ~r und fuhren gemaß

P (~l, t)→ a3p(~r, t) (4.69)

die Wahrscheinlichkeitsdichte p(~r, t) ein. Da sich fur große Zeiten, also nahe am Gleich-gewicht, P (~l, t) und P (~l + ~δ, t) nur wenig unterscheiden, folgt, wenn ~x = (1, 0, 0),

P (~r + a~x, t) + P (~r − a~x, t)− 2P (~r, t) ≃ a2∂2P (~r, t)

∂x2(4.70)

usw. (Die r. S. von (4.57) ist nichts anderes als der Laplace–Operator im Diskreten.)Hiermit entsteht aus der Mastergleichung unmittelbar die Diffusionsgleichung

∂p(~r, t)

∂t= D∆p(~r, t); D = Γa2 (4.71)

mit den bekannten Ergebnissen fur die Ubergangswahrscheinlichkeit und das mittlereVerschiebungsquadrat, vgl. § 2.1, die mit (4.68) ubereinstimmen.

Ausgehend von (4.62) kann die Ubergangswahrscheinlichkeit (4.65) zu beliebigenZeiten durch die modifizierten Bessel–Funktionen

In(z) =1

π

∫ π

0dϕ cosnϕ ez cos ϕ (4.72)

mit der Asymptotik (n ≥ 0)

In(z) ∼

12nn!z

n; z → 0

ez√2πz

; z →∞(4.73)

119

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fur kleine bzw. große Argumente ausgedruckt werden. Offenbar faktorisiert p(~l, t|~l0)in drei Bestandteile, die jeweils eine 1–dimensionale Diffusion in einer der drei Raum-richtungen beschreiben. Jeder dieser Faktoren hat die Form

p(l, t|l0) = e−2ΓtIn(2Γt); n = (l − l0)/a (4.74)

Fur Γt≪ 1; n 6= 0, wachst dieser Ausdruck wie t|n| an. Fur Γt≫ 1; n fest, erhalt manp ≃ (4πΓt)−1/2, entsprechend dem Vorfaktor in (4.68).

Abschließend sei erwahnt, daß (4.56) im Spezialfall symmetrischer Ubergangsra-ten w(~l → ~l′) = w(~l′ → ~l) vom mathematischen Standpunkt aus mit einem elemen-taren festkorperphysikalischen Problem verwandt ist, der Dynamik eines harmonischschwingenden Festkorpers. Die Ubergangsraten entsprechen den Kraftkonstanten. Al-lerdings sind die Schwingungsgleichungen von 2. Ordnung in der Zeit, im Unterschiedzu (4.56). Dementsprechend zeigt der “Relaxationszweig” (4.61) fur q → 0 das Ver-halten γ(q) ∼ q2, im Gegensatz zur linearen Dispersion der akustischen Phononen.Außerdem besitzt (4.56) als Gleichung fur die skalare Große P (~l, t) nur einen Relaxa-tionszweig.

120

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4.5 Inelastische Neutronenstreuung

Die inelastische Streuung thermischer oder kalter Neutronen ist eine der wichtigstenexperimentellen Methoden zur Untersuchung dynamischer Vorgange in kondensierterMaterie, da Energien und Wellenlangen der Neutronen mit Zeit– und Langenskalenatomarer Dichtefluktuationen oder magnetischer Anregungen gut zusammenpassen.Man schickt monochromatische Neutronen mit dem Wellenvektor ~k0 und der Ener-gie ǫ0 = ~

2~k20/2MN auf das zu untersuchende Target. Fur thermische Neutronen ist

typischerweise ǫ0 = 0.03eV ; λ = 2π/k0 = 1.65A. Die Streuung erfolgt durch dieWechselwirkung mit den Kernen des Targets und durch die Wechselwirkung des ma-gnetischen Moments des Neutrons mit den inneren Magnetfeldern. Im folgenden wirdnur die Kernstreuung betrachtet, die durch das Fermische Pseudopotential

V (~r) =∑

i

aiδ(~r − ~Ri)

beschrieben werden kann. Dabei ist ~r der Ort des Neutrons. ~Ri sind die Orte derTargetkerne und ai deren Streulangen, die von der Isotopenart und der relativen Ein-stellung der Neutronen– und Kernspins abhangen.

Im Experiment werden die in den Raumwinkel dΩ mit der Energie ǫ1 = ~2k2

1/2MN

gestreuten Neutronen gezahlt. Nach van Hove gilt fur den zweifach differentiellenWirkungsquerschnitt in Abhangigkeit des Impulsubertrags ~~q = ~(~k0 − ~k1) und desEnergieverlustes ~ω = ǫ0 − ǫ1,

d2σ

dΩdǫ=

1

~

k1

k0

[a2Scoh(~q, ω) + (a2 − a2)Sinc(~q, ω)

](4.75) d2s

wobei

Scoh(~q, ω) =1

2πN0

i,j

∫ ∞

−∞dt e−iωt〈e−i~q ~Ri(0)ei~q

~Rj(t)〉 (4.76)

Sinc(~q, ω) =1

2πN0

i

∫ ∞

−∞dt e−iωt〈e−i~q ~Ri(0)ei~q

~Ri(t)〉 (4.77) sinc2

N0 ist die Anzahl der Targetkerne. Der Wirkungsquerschnitt besteht nach (4.75) auszwei Anteilen, bestimmt durch den koharenten und den inkoharenten dynamischenStrukturfaktor, Scoh(~q, ω) und Sinc(~q, ω). Diese Großen sind durch Korrelationsfunk-tionen des Targets im Gleichgewicht gegeben sind. Ihr relatives Gewicht hangt vomMittelwert und von der Varianz der Streulangen ab. Der koharente Strukturfaktor istdurch die Phasenbeziehungen zwischen den von verschiedenen Kernen ausgehendenStreuwellen bestimmt. Er hangt unmittelbar mit der Dichte–Korrelationsfunktion zu-sammen. Die Fourierkomponenten der Dichte ρ(~r) =

i δ(~r − ~Ri) der Targetkernesind gegeben durch

ρ~q =

d3~r e−i~q~rρ(~r) =∑

i

e−i~q ~Ri (4.78)

Folglich

Scoh(~q, ω) =1

2πN0

∫ ∞

−∞dt e−iωt〈ρ~q(0)ρ−~q(t)〉. (4.79)

121

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Maßgebend fur den inkoharenten Strukturfaktor Sinc(~q, ω) ist die Korrelation zwi-schen den Orten ein und desselben Kerns zu verschiedenen Zeiten. Sinc(~q, ω) enthaltalso Information uber die Bewegung eines Einzelteilchens, im Gegensatz zu Kollektiv-bewegungen, die sich in Dichtefluktuationen niederschlagen und durch Scoh(~q, ω) erfaßtwerden.

Bei einer Messung ohne Energieauflosung ist der einfach differentielle Wirkungs-querschnitt

dΩ=

dǫd2σ

dΩdǫ≃ 1

~

[a2S(~q) + a2 − a2

](4.80) dsigma

durch den statischen Strukturfaktor

S(~q) =

∫ ∞

−∞dω Scoh(~q, ω) =

=1

N0

i,j

〈ei~q(~Ri−~Rj)〉 =1

N0〈ρ~qρ−~q〉 (4.81)

bestimmt. S(~q) mißt die Starke der raumlichen Dichteschwankungen mit Wellenvektor~q. Im Gegensatz zu (4.81) ist

∫dω Sinc(~q, ω) = 1 fur alle ~q.

Dichteschwankungen sind im allgemeinen mit Schwankungen der Polarisierbarkeitverknupft. Dies hat zur Folge, daß der dynamische Strukturfaktor auch einen we-sentlichen Beitrag zum Wirkungsquerschnitt fur inelastische Lichtstreuung liefert. Imsichtbaren Bereich sind die Impulsubertrage bei der Lichtstreuung von der Großenord-nung q ≃ 2π/λopt ∼ 10−3A−1. Dabei gewinnt man eine hohe ω–Auflosung. Bewegensich die Teilchen, an denen gestreut wird, unabhangig voneinander, wie dies bei hin-reichender Verdunnung zu erwarten ist, so geht der koharente Strukturfaktor in deninkoharenten uber.

Bewegen sich alle Teilchen im Mittel in gleicher Weise, so kann man schreiben

Sinc(~q, ω) =1

∫ ∞

−∞dt e−iωt〈ei~q(~R(t)−~R(0))〉 (4.82) sinc3

wobei die Korrelationsfunktion fur ein herausgegriffenes Teilchen berechnet wird. Imfolgenden wird nur dieser Fall weiter diskutiert. Spezielle Beachtung verdient das Ver-halten fur kleine ~q. Eine Kumulantenentwicklung niedrigster Ordnung fuhrt auf

〈ei~q(~R(t)−~R(0))〉 = exp

[

−1

2〈(~q(~R(t)− ~R(0)))2〉+O(q4)

]

(4.83) eiq

Bei Isotropie folgt

Sinc(~q, ω) ≃ 1

∫ ∞

−∞dt e−iωte−q2〈(~R(t)−~R(0))2〉/6 (4.84) sinc

Fur q → 0 ist Sinc(~q, ω) somit durch das mittlere Verschiebungsquadrat bestimmt.Dieses laßt sich allgemein aus dem zeitabhangigen Strukturfaktor ableiten gemaß

〈(~R(t)− ~R(0))2〉 = −∆~q 〈ei~q(~R(t)−~R(0))〉|~q=0 (4.85) vecR

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∆~q ist der auf ~q wirkende Laplace–Operator.

Falls der einfachste Typ eines diffusiven Prozesses vorliegt, d. h. 〈(~R(t)− ~R(0))2〉 =6Dt fur alle t > 0, so wird

Sinc(~q, ω) =1

∫ ∞

−∞dt e−iωte−q2D|t|

=1

π

Dq2

ω2 + (Dq2)2(4.86)

Man erhalt ein quasielastisches Streuspektrum von der Form einer Lorentzfunktion,deren Halbwertsbreite Dq2 in Abhangigkeit von q die Bestimmung der Diffusions-konstanten D gestattet. Bei komplizierterer Zeitabhangigkeit des mittleren Verschie-bungsquadrats erhalt man, wie ein Vergleich mit (4.84) der Terme 2. Ordnung bzgl. qzeigt,

Sinc(~q, ω) =1

πRe

(

1

−iω + q2D(−iω + 0+)

)

(4.87) sinc1

wobei

D(z) =z2

6

∫ ∞

0dt e−zt〈(~R(t)− ~R(0))2〉 (4.88) Dz

An (4.87) laßt sich unter Zuhilfenahme von kBTµ(ω) = D(−iω + 0+), vgl. (2.38), dieRelation

kBT

πReµ(ω) = ω2 lim

q→0Sinc(q, ω)/q2 (4.89) kBT

ablesen.

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4.6 Inkoharenter Strukturfaktor und mittleresVerschiebungsquadrat in Hopping–Modellen

Wir kehren zu dem in § 4.4 formulierten stochastischen Modell einer Hopping–Bewegungauf einem einfach–kubischen Gitter zuruck und berechnen hierfur den inkoharentenStrukturfaktor (4.82). Dabei wird klar, wie aus einer Messung von Sinc(q, ω) auf Ein-zelheiten des Hopping–Prozesses zuruckgeschlossen werden kann.

Die stochastische Variable, der diskrete Ort des “walkers” zur Zeit t, bezeichnenwir wieder mit ~l(t). Nach (4.82) ist zunachst zu berechnen (t > 0):

〈ei~q(~l(t)−~l(0))〉 =∑

~l,~l0

ei~q(~l−~l0)p(~l, t|~l0)Peq(~l0) =

=1

N2

~p

~l,~l0

ei(~q+~p)(~l−~l0)e−γ(~p)t

wobei fur die Ubergangswahrscheinlichkeit das Ergebnis (4.63) sowie Peq(~l0) = 1/N

verwendet wurde. Wegen (1/N)∑

~lexp i(~q + ~p)~l = δ~q+~p,0 und γ(~p) = γ(−~p) folgt fur

beliebige t,

〈ei~q(~l(t)−~l(0))〉 = e−γ(~q)|t| (4.90)

und

Sinc(~q, ω) =1

π

γ(~q)

ω2 + γ2(~q)(4.91)

Dieses Ergebnis geht auf C.T. Chudley und R.T. Elliott zuruck (Proc. Phys. Soc. 77,353 (1961)). Man bekommt ein quasielastisches Streuspektrum, bestehend aus einerLorentzlinie mit der Halbwertsbreite γ(~q). Fur q → 0 erhalt man wegen (4.66) dasErgebnis (4.86) nach der einfachen Diffusionsgleichung zuruck und kann somit dieDiffusionskonstante D an der gemessenen Streuung ablesen. Die ~q–Abhangigkeit furgroße q spiegelt die Sprunggeometrie wider, vgl. (4.61). Die Sprungrate ergibt sich ausdem Absolutwert der Halbwertsbreite.

Abb. (4.5) zeigt ein experimentelles Spektrum, aufgenommen an dem kristallinenIonenleiter SrCl2. In diesem Material vollfuhren Cl−–Leerstellen eine Hopping– Bewe-gung auf einem einfach–kubischen Gitter. Dies ermoglicht langreichweitige Diffusionund ionische Transportstrome; die ionische Leitfahigkeit betragt σion = ne2D/kBT ,wobei n=Ionenkonzentration; e=Ionenladung. Man erhalt gute Ubereinstimmung mitdem Chudley–Elliott–Modell. Die Sprungrate Γ folgt einem Arrhenius–Gesetz, wie dieDiskussion der Entkommrate uber eine Potentialbarriere hinweg nach § 3.4 erwartenlaßt.Detailliert untersucht ist auch die Diffusion von Wasserstoff in UbergangsmetallenNb,Ta oder Pd. Diese Metalle zeigen eine hohe Loslichkeit von Wasserstoff, der aufbestimmten Zwischengitterplatzen eingebaut wird. Im Falle von NbHx werden die Te-traederplatze innerhalb des kubisch–raumzentrierten Nb–Gitters eingenommen. DieDiffusionskonstante bei Raumtemperatur betragt etwa D ∼ 10−4cm2/s. Innerhalbeiner kubischen Elementarzelle stehen 6 Tetraederplatze zur Verfugung. Analog zurbekannten Behandlung der Eigenschwingungen eines harmonischen Gitters mit Basis

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Abbildung 4.5: Quasielastische Neutronenstreuung an SrCl2: Linienbreite γ(~q) fur dieHauptsymmetrierichtungen (M.H. Dickens et al., J. Phys. C 16, L1 (1983)).

erhalt man aus der Mastergleichung fur Sprunge auf den Tetraederplatzen mehrere Re-laxationszweige γν(~q); ν = 1, . . . 6 (vgl. die Diskussion am Ende von § 4.5). Ein Zweig(ν = 1) hat die Eigenschaft γ1(~q) ≃ Dq2 fur q → 0. Die ubrigen Zweige ν = 2, . . . 6 mitder Eigenschaft γν(q) > 0 fur q → 0 (analog zu den “optischen” Dispersionszweigen)beschreiben lokale Relaxationsschritte innerhalb einer Elementarzelle. Der inkoharenteStrukturfaktor besteht i.a. aus einer Superposition von 6 Lorentzlinien. Eine Analy-

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se des Spektrums unter Ausnutzung von Symmetrieuberlegungen gestattet es, geradediese Tetraederplatzstruktur zu identifizieren und sie z. B. von einer Oktaederplatz-struktur, wie sie in PdHx vorliegt, zu unterscheiden. Dieselbe Sprunggeometrie mitTetraederplatzen findet man auch in dem Ionenleiter α−AgI fur die Ag+–Ionen.

Das bisher behandelte einfache Sprungmodell (Sprunge auf einem einfach–kubischenGitter mit uberall konstanter Rate Γ) fuhrt auf ein mittleres Verschiebungsquadrat〈(∆~l(t))2〉 = 〈(~l(t) − ~l(0))2〉, welches fur alle Zeiten t proportional zu t ist. Dies folgtmit Hilfe von (4.85) und (4.66),

〈(∆~l(t))2〉 = −(∆~q e−γ(~q)t)q=0 = 6Dt (4.92) Deltal

oder direkt aus der Mastergleichung (4.57) nach Multiplikation mit ~l2 und Summa-tion uber alle ~l. In realen Systemen mit diffusivem Transport wachst das mittlereVerschiebungsquadrat im Gegensatz zu (4.92) bei kurzen Zeiten i. a. rascher an als beilangen Zeiten, beispielsweise als Folge des Auftretens unterschiedlich hoher Potenti-albarrieren, verknupft mit unterschiedlichen Sprungraten. Zur Illustration betrachtenwir das in Abb. (4.6) skizzierte 1–dimensionale Modell mit abwechselnden Sprungra-ten Γ und Γ′ < Γ. Fur die Besetzungswahrscheinlichkeiten P (l, t) bekommt man dasDifferentialgleichungssystem

dP (l, t)

dt= ΓP (l + 1, t) + Γ′P (l − 1, t)− (Γ + Γ′)P (l, t) (4.93)

falls l gerade und

dP (l, t)

dt= Γ′P (l + 1, t) + ΓP (l − 1, t)− (Γ + Γ′)P (l, t) (4.94)

falls l ungerade. Nach einiger Rechnung findet man

〈(∆l(t))2〉 = 2Dt+a2

2

(Γ− Γ′)2

(Γ + Γ′)2

(

1− e−2(Γ+Γ′)t)

(4.95) deltal

mit dem asymptotischen Verhalten bei kurzen und langen Zeiten

〈(∆l(t))2〉 ≃

2D∞t t→ 0fur

2Dt t→∞(4.96)

Die Kurzzeitdiffusionskonstante

D∞ =a2

2(Γ + Γ′) (4.97)

ergibt sich aus dem arithmetischen Mittel der Sprungraten Γ und Γ′. Im Gegensatzdazu ist die Langzeitdiffusionskonstante

D = a2

[1

2

(1

Γ+

1

Γ′

)]−1

; D ≤ D∞ (4.98)

durch das Mittel der inversen Sprungraten bestimmt, so daß die kleinere SprungrateΓ′ den entscheidenden Einfluß gewinnt. Dieses Ergebnis fur die Langzeitdiffusion ist

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Γ

Γ

l l+1 l+2 x

Abbildung 4.6: 1–dimensionales periodisches Hopping–Modell mit abwechselnd hoher undniedriger Barriere.

bereits aufgrund der Struktur von (3.78) zu erwarten. Der Ubergangsbereich zwischenKurzzeit– und Langzeitdiffusion liegt bei t ∼ τ mit τ−1 = 2(Γ + Γ′), vgl. Abb. (4.7).Im Grenzfall Γ′ → 0 kann das Teilchen nur zwischen zwei Platzen hin– und herhupfen,so daß das mittlere Verschiebungsquadrat

〈(∆l(t))2〉 =a2

2

(1− e−2Γt

)(4.99)

fur t→∞ einem Sattigungswert zustrebt.

Die frequenzabhangige Beweglichkeit µ(ω) zeigt als Folge der unterschiedlichenSprungraten eine Dispersion. Mit (4.95) berechnet man D(z) nach (4.88) und setztkBTµ(ω) = D(−iω +O+). Dann entsteht

kBTµ(ω) = D∞ −D∞ −D1− iωτ ; τ−1 = 2(Γ + Γ′) (4.100)

0

⟨(∆l(t))2⟩

t

∼ 2D∞t

∼ 2Dt

Abbildung 4.7: Zeitabhangigkeit des mittleren Verschiebungsquadrats (durchgezogene Kur-ve) im Modell Abb. (4.6) mit Γ/Γ′ = 12.

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Der Realteil dieses Ausdrucks wachst monoton mit der Frequenz vom Wert D beiω = 0 zum Sattigungswert D∞ bei hohen Frequenzen, vgl. Abb. (4.8). Im SpezialfallΓ′ = 0 gewinnt man den haufig benutzten Ausdruck fur Debyesche Relaxation,

kBTµ(ω) =(a

2

)2 (−iω)

1− iωτ (4.101)

0

kBT ℜ e µ(ω)

ω

D∞

D

Abbildung 4.8: Frequenzdispersion der Beweglichkeit im Modell Abb. (4.6).

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4.7 Kinetisches Isingmodell (d=1)

Das Isingmodell dient der Beschreibung klassischer, gekoppelter 2–Zustandssysteme.Jedem Platz ~l eines Gitters wird eine Variable σ~l

zugeordnet, die zwei Werte σ~l= ±1

annehmen kann. Die Gesamtenergie des Systems (“Ising–Hamiltonian”) ist gegebendurch

H = −1

2

~l,~l′

J~l,~l′σ~lσ~l′− h

~l

σ~l(4.102) H12

mit Kopplungskonstanten J~l,~l′und einem außeren Feld h. Beispielsweise stellt dieser

Ausdruck die Energie eines wechselwirkenden Spinsystems (s = 1/2) dar, wenn dieWechselwirkung auf die z–Komponenten der Spins beschrankt ist. (4.102) gestattetin diesem Fall die Berechnung der zugehorigen magnetischen Eigenschaften. AndereInterpretationen des Modells beziehen sich auf binare Legierungen oder Gittergase,wobei der “Pseudospin” σ~l

die beiden moglichen Besetzungszustande eines Gitterplat-zes ausdruckt.

Die Beispiele zeigen, daß man im allgemeinen an Isingmodellen in Kontakt miteinem Warmebad interessiert ist. Die Kopplung an das Warmebad pragt dem Spinsy-stem eine stochastische Dynamik auf, zu deren Beschreibung sich eine Mastergleichungder allgemeinen Form

dP (σ, t)

dt=∑

σ′

(w(σ′ → σ)P (σ′, t)− w(σ → σ′)P (σ, t)) (4.103) dPst

anbietet. P (σ, t) ist die Wahrscheinlichkeit, zur Zeit t die Spinkonfiguration σ ≡ σ~l

anzutreffen. w(σ → σ′) bezeichnet die Rate fur den Ubergang von σ in die Konfigura-

tion σ′. Die Ubergangsraten erfullen die Bedingung des detaillierten Gleichgewichts,

w(σ → σ′)Peq(σ) = w(σ′ → σ)Peq(σ

′) (4.104) wsigma

mit der Gleichgewichtsverteilung

Peq(σ) =1

Ze−βH . (4.105)

Z ist die Zustandssumme.

Isingmodelle mit einer durch (4.103) definierten Dynamik bezeichnet man als ki-netische Isingmodelle. Dabei ist die Unterscheidung wichtig, ob die Ubergangsratenw(σ → σ

′) eine zeitliche Anderung des Ordnungsparameters M =∑

~lσ~l

(Gesamt-spin bzw. Magnetisierung) erlauben, wie dies z. B. bei Einzelspinflips als elementareUbergange (Glauber–Dynamik) der Fall ist, oder ob M eine Erhaltungsgroße darstellt(paarweise Spinflips, Kawasaki–Dynamik). Im ersten Fall beschreibt die Masterglei-chung typischerweise die Relaxation der Magnetisierung oder dynamische Spinfluktua-tionen eines Ferromagneten. Kinetische Isingmodelle mit Erhaltung des Gesamtspinsfinden Anwendung z. B. bei der korrelierten Diffusion in wechselwirkenden Gitterga-sen, deren Gesamtteilchenzahl konstant ist.

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Wir behandeln den einfachsten Fall eines eindimensionalen Isingmodells mit Wech-selwirkung nur zwischen nachsten Nachbarn im Fall eines verschwindenden auße-ren Feldes. Die Gesamtenergie einer N–atomigen Kette mit der Konfiguration σ =σ1, . . . σN ist gegeben durch

H(σ) = −JN∑

l=1

σlσl+1 (4.106)

Dabei verwenden wir periodische Randbedingungen, σN+1 = σ1. Gleichgewichtseigen-schaften lassen sich z. B. mit der Transfermatrixmethode exakt berechnen. Wir zitierennur die wichtigsten Ergebnisse. Fur die Spinkorrelationsfunktion erhalt man

〈σlσ0〉eq = (tanhβJ)|l| (4.107) sigman

Mit xl = la (a=Gitterkonstante) laßt sich dies auch in der Form schreiben

〈σlσ0〉eq = e−|xl|/ξ (4.108)

wobei die Korrelationslange ξ durch

ξ = − a

ln tanhβJ(4.109)

definiert ist. Fur T → 0 divergiert ξ exponentiell (beachte tanh z ≃ 1 − 2e−2z furz →∞),

ξ ≃ a

2e2βJ , T → 0. (4.110)

Auch die magnetische Suszeptibilitat

χ = Nβ∑

l

〈σlσ0〉eq

= Nβe2βJ (4.111)

divergiert exponentiell fur T → 0. Das 1–dimensionale Isingmodell strebt also furT → 0 einem geordneten Zustand zu (“Phasenubergang bei T = 0”). In hoherenDimensionen existiert ein Phasenubergang bei einer kritischen Temperatur Tc > 0.

Wir gehen nun uber zum 1–dimensionalen kinetischen Isingmodell. Zunachst mussenAnnahmen uber die Ubergangsraten w(σ → σ

′) getroffen werden. Bezuglich ihrerWahl folgen wir R. Glauber, J. Math. Phys. 4, 294 (1963) und nehmen an, daß sichKonfigurationen σ nur durch Umklappen einzelner Spins andern. Erlaubt sind alsonur Ubergange des Typs

σ = σ1 . . . , σl, . . . σN ←→ σ′ = σ

(l) = σ1 . . . ,−σl, . . . σN

mit l beliebig. Die zugehorigen Ubergangsraten lassen sich in der Form

w(σ → σ′) =

wl(σ) falls σ

′ = σ(l)

0 sonst(4.112)

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schreiben. Dabei ist wl(σ) die Wahrscheinlichkeit pro Zeit, daß in der Konfigurationσ der l–te Spin umklappt. Die Mastergleichung (4.103) nimmt hiermit die folgendeGestalt an,

dP (σ, t)

dt=

N∑

l=1

(

wl(σ(l))P (σ(l), t)− wl(σ)P (σ, t)

)

(4.113)

Aufgrund der Wechselwirkung wird die Ubergangsrate fur σl von der Einstellung derNachbarspins abhangen. Da wir J > 0 (ferromagnetische Kopplung) voraussetzen,werden Nachbarspins, die parallel zu σl orientiert sind, die Ubergangsrate erniedrigenund umgekehrt. Dieser Uberlegung tragt der folgende Ansatz Rechnung:

Einstellung der Spinsσl−1, σl, σl+1 ↑↑↑ ↑↑↓ ↓↑↓Ubergangsrate wl(σ) α

2 (1− γ) α2

α2 (1 + γ)

Der Faktor α ist willkurlich und bestimmt lediglich eine globale Zeitskala. Die Großeγ mit 0 < γ < 1 enthalt den Einfluß der Wechselwirkung des zentralen Spins σl mitseinen beiden Nachbarn. Die Raten zu allen sonstigen Kombinationen der drei her-ausgegriffenen Spins ergeben sich aus den dargestellten durch Symmetriebeziehungen.Insgesamt kann man schreiben

wl(σ) =α

2

(

1− γ

2σl(σl−1 + σl+1)

)

(4.114) wlsigma

Die Bedingung des detaillierten Gleichgewichts (4.104) verlangt, daß

γ = tanh 2βJ. (4.115) gammat

(4.114) erweist sich hiermit als Spezialfall von Ubergangsraten der allgemeinen Form

w(σ → σ′) =

α

2(1− tanh(β∆H/2)) (4.116) wsigmar

mit der Energiedifferenz ∆H = H(σ(l))−H(σ) zwischen End– und Anfangszustand.Die Identitat

e2x =1 + tanhx

1− tanhx,

wobei x = β∆H/2, zeigt unmittelbar, daß (4.104) durch (4.116) befriedigt wird. Inunserem vorliegenden Modell ist ∆H = 2JSl. Dabei haben wir vorubergehend dieVariable

Sl = σl−1σl + σlσl+1 = σl(σl−1 + σl+1)

eingefuhrt, welche nur die Werte 0 oder ±2 annehmen kann. Offensichtlich gilt

tanh(β∆H/2) = tanhβJSl =Sl

2tanh 2βJ =

γ

2Sl

so daß sich (4.116) in der Tat auf (4.114) mit (4.115) reduziert.

Falls kBT ≫ J ist γ ≪ 1, und der Einfluß der Wechselwirkung auf die Ubergangs-raten verschwindet. Andererseits gilt γ → 1 fur T → 0, so daß bei T = 0 ein Spin mitzwei gleichgerichteten Nachbarn “einfriert”.

131

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Nachdem das dynamische Modell endgultig definiert ist, mussen wir jetzt die Ma-stergleichung losen. Im Prinzip wurde dies die Diagonalisierung einer 2N–dimensionalenMatrix verlangen. Fur große N wird dies beliebig schwierig. Es zeigt sich jedoch,daß Nichtgleichgewichtsmittelwerte einzelner Spins und k–facher Produkte von Spinsin sich geschlossene Gleichungssysteme bilden, die exakt losbar sind. (Dies gilt nurin dem vorliegenden eindimensionalen Problem bei h = 0!). Zur Aufstellung dieserGleichungssysteme ist das folgende, auf der Verwendung der “Ruckwartsgleichung”beruhende Verfahren bequem (vgl. § 4.1).

Es sei p(σ, t|σ0) Losung der Mastergleichung zur Anfangsbedingung p(σ, 0|σ0) =δσ,σ0 . Fur eine beliebige Funktion f(σ) definieren wir wie in (4.11) den bedingtenMittelwert

f(t,σ0) =∑

σ

f(σ)p(σ, t|σ0) (4.117) ftsigma

Fur t = 0 ist f(0,σ0) ≡ f(σ0). Differentiation nach t liefert mit Hilfe der Masterglei-chung (4.103)

∂f(t,σ)

∂t=∑

σ

f(σ)∑

l

[

wl(σ(l))p(σ(l), t|σ0)− wl(σ)p(σ, t|σ0)

]

(4.118)

Nun wird∑

σund

l vertauscht. Anschließend wird im ersten Term die Summati-onsvariable σl in −σl umbenannt. Dadurch entsteht

∂f(t,σ0)

∂t=

l

σ

wl(σ)[

f(σ(l))− f(σ)]

p(σ, t|σ0)

≡ −∑

σ

(T+f)(σ)p(σ, t|σ0)

Man erhalt also wieder einen Mittelwert der Form (4.117) mit der Funktion

(T+f)(σ) =∑

l

wl(σ)[

f(σ)− f(σ(l))]

(4.119) Tfett

anstelle von f(σ). Hiermit ist explizit der zur Mastergleichung gehorende “Ruckwarts-operator” T+ konstruiert. Wiederholung der zu (4.14), (4.15) fuhrenden Schritte ergibt(in verkurzter Schreibweise) die Bewegungsgleichung fur Mittelwerte

∂f(t,σ0)

∂t= −T+f(t,σ0) (4.120)

Formale Losung zur Anfangsbedingung f(0,σ0) = f(σ0) ist f(t,σ0) = exp(−T+t)f(σ0).

Als erstes wenden wir dieses Schema auf Einzelspins an und setzen f(σ) = σk. Furden Mittelwert f(t,σ) ≡ σk(t) =

σ′ σ′kp(σ

′, t|σ) erhalten wir

dσk

dt

∣∣∣∣t=0

= −T+σk = −wk(σ)[σk − (−σk)] = −2σkwk(σ)

= −2σkα

2

(

1− γ

2σk(σk−1 + σk+1)

)

= α(

−σk +γ

2(σk−1 + σk+1)

)

,

132

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wobei σ2k = 1 benutzt wurde. Anwendung des Operators e−T+t auf beide Seiten dieser

Gleichung liefert

1

α

dσk(t)

dt= −σk(t) +

γ

2(σk−1(t) + σk+1(t)) . (4.121)

Dieses Gleichungssystem laßt sich ahnlich wie in § 4.4 mittels Fouriertransformationlosen. Fur die Fourierkomponenten

σ(q, t) =∑

k

σk(t)e−iqka (4.122)

finden wirdσ(q, t)

dt= −λ(q)σ(q, t) (4.123)

Abb. (4.9) zeigt die “Dispersionsrelation”

λ(q) = α(1− γ cos aq). (4.124) lambdaq

Die Extremalwerte bei q = 0 bzw. q = π/a entsprechen der kleinsten und großtenUbergangsrate (4.114). Es folgt

σ(q, t) = σ(q, 0)e−λ(q)t. (4.125)

Aus diesem Ergebnis lassen sich eine Reihe von Schlussen ziehen.

i) Relaxation des Ordnungsparameters.Der Ordnungsparameter (Gesamtmagnetisierung) relaxiert gemaß

M(t) =∑

k

σk(t) = σ(q = 0, t)

= M(0)e−α(1−γ)t. (4.126)

0

λ(q)

q

α(1-γ1)

α(1-γ2)

T2<T1

T1

T=0

π/a

Abbildung 4.9: Dispersionsrelation λ(q) nach (4.124) mit γ1 = tanh 2J/kBT1 etc.

133

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Eine Anfangsmagnetisierung M(0) zerfallt also mit der Relaxationsrate λ(0) =α(1−γ). Je tiefer die Temperatur, um so langsamer verlauft die Relaxation, mitλ(0)→ 0 fur T → 0. Dies illustriert das bei kontinuierlichen Phasenubergangenauftretende Phanomen der “kritischen Verlangsamung” (critical slowing down).

ii) Dynamische Spinkorrelation im Gleichgewicht.Die Korrelationsfunktion der Fourierkomponenten σ(q, t) ist gegeben durch

F (q, t) ≡ 1

N〈σ(q, t)σ(−q, 0)〉eq

= F (q, 0)e−λ(q)|t| (4.127)

mit der Gleichgewichtsgroße

F (q, 0) =1

N〈|σ(q, 0)|2〉eq

=∑

k

〈σkσ0〉eqe−iqka

=∑

k

exp(−|k|a/ξ)e−iqka. (4.128)

Um zunachst F (q, 0) weiter auszuwerten, betrachten wir kleine q und tiefe Tem-peraturen, so daß die Korrelationslange ξ ≫ a. Dann kann man die Summe uberk durch ein Integral ersetzen und erhalt

F (q, 0) =2ξ/a

1 + q2ξ2. (4.129)

(Dieser Ausdruck ist identisch mit dem Ornstein–Zernike–Ausdruck fur lang-wellige Fluktuationen in der Nahe eines kritischen Punktes.) Offensichtlich kon-zentrieren sich die Fluktuationen fur T → 0 (ξ → ∞) auf den immer kleinerwerdenden Bereich qξ<∼1. Bei q = 0 divergiert der Ausdruck fur T → 0. F (q, 0)beschreibt das “Gewicht” der zur Korrelationsfunktion F (q, t) gehorenden spek-tralen Dichte

S(q, ω) =1

∫ ∞

−∞dt e−iωtF (q, t)

= F (q, 0)1

π

λ(q)

ω2 + λ2(q). (4.130)

Das Spektrum ist demnach durch eine Lorentzfunktion mit der Halbwertsbreiteλ(q) gegeben. Fur q = 0 und T → 0 wird das Spektrum beliebig schmal undspiegelt die “kritische Verlangsamung” wider.

Schließlich behandeln wir die Zeitentwicklung von Produkten zweier Spinvariablen.Wir setzen f(~σ) = σkσl (k 6= l) und erhalten mit Hilfe von (4.119)

d(σkσl)

dt= −T+σkσl =

= wk(σ)(σkσl − (−σk)σl) + wl(σ)(σkσl − σk(−σl))

= −2σkσl(wk(σ) + wl(σ)) (4.131)

134

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bzw.

1

α

d(σkσl)(t)

dt= −2(σkσl)(t)+

γ

2((σk+1σl)(t) + (σk−1σl)(t) + (σkσl+1)(t) + (σkσl−1)(t))

(4.132)Man sieht, daß auf der rechten Seite wieder nur Produkte zweier Spins entstehen.Wir beschranken uns darauf, dieses Gleichungssystem im Gleichgewicht (d/dt = 0)auszuwerten, wobei

(σkσl)(t) −→ 〈σkσl〉eq = 〈σk−lσ0〉eq. (4.133)

Mit k − l = n und 〈σnσ0〉eq ≡ Cn folgt

0 = −2Cn + γ(Cn−1 + Cn+1) (4.134)

wobei C0 = 〈σ20〉eq = 1. Die allgemeine Losung dieses Systems von Differenzengleichun-

gen ist eine Superposition zweier linear unabhangiger Losungen der Form Cn = ηn

mit −2 + γ(1/η + η) = 0 oder

η1,2 =1

γ(1±

1− γ2).

Wegen |Cn| ≤ 1 kommt nur das negative Vorzeichen in Frage. Mit

η2 =1

γ(1−

1− γ2) = tanhβJ

folgt also〈σnσ0〉eq = (tanhβJ)|n|

in Ubereinstimmung mit (4.107).

Abschließend sollen kinetische Isingmodelle in Dimensionen d > 1 betrachtet wer-den, fur die keine exakten Losungen bekannt sind. Ihr Verhalten kann naherungsweiseauf dem Computer mit Hilfe der Monte–Carlo Methode simuliert werden, vgl. K. Bin-der, Rep. Prog. Phys. 60, 487 (1997). (Der Fall d = 1 stellt eine gute Testmoglichkeitfur die Rechengenauigkeit dar!) Wir begnugen uns mit einigen wenigen Hinweisen.

Ausgangspunkt ist wieder die Mastergleichung fur 1–Spinflip–Prozesse. Meistens

wahlt man nach Metropolis fur die Rate des Ubergangs σ → σ(~l) anstelle von (4.116)

den Ausdruck

w~l(σ) = const.

1 H(σ(~l)) < H(σ)falls

e−β(H(σ(~l))−H(σ)) H(σ(~l)) > H(σ)

(4.135)

welcher die Bedingung des detaillierten Gleichgewichts erfullt. Ein Monte–Carlo–Schrittbesteht in einer Folge von Einzelschritten:

1. Zufallige Auswahl eines Spins σ~lam Gitterplatz ~l.

2. Berechnung der Energien H(σ) und H(σ(~l)).

135

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3. Falls die Energie der “Zielkonfiguration” σ(~l) niedriger ist als die Energie der

Ausgangskonfiguration, d. h. wenn H(σ(~l)) < H(σ), so wird der Spin σ~lum-

geklappt. Wenn jedoch H(σ(~l)) > H(σ), so wird der Spin σ~lmit der Wahr-

scheinlichkeit W = e−β(H(σ(~l))−H(σ)) < 1 umgeklappt. Hierzu zieht man eineZufallszahl r ∈ [0, 1] und vergleicht sie mit W . Der Spin wird umgeklappt, fallsr < W .

Nacheinander werden nun sehr viele Monte–Carlo–Schritte ausgefuhrt und dabei ei-ne Markoff–Kette von Spinkonfigurationen erzeugt. Das gesamte Beispiel, in dem derUbergang σ → σ

(l) als physikalisch sinnvoller, durch die Mastergleichung vorgege-bener Einzelprozeß anzusehen ist, erlaubt es, jedem Monte–Carlo Schritt einen ele-mentaren Zeitschritt zuzuordnen und die Entwicklung der Spinkonfigurationen alsZeitentwicklung zu interpretieren. Man gewinnt so Information uber die Relaxationins Gleichgewicht (Thermalisierung) sowie uber statische und zeitliche Fluktuationenim Gleichgewicht. (Insbesondere ist garantiert, daß nach hinreichend vielen SchrittenKonfigurationen σ mit Gewichten ∝ exp(−βH(σ)) erzeugt werden.) Ohne auf Ein-zelheiten einzugehen, zitieren wir einige Ergebnisse. Fur das Isingmodell auf 2– oder3–dimensionalen Gittern existiert ein kritischer Punkt bei einer Temperatur Tc > 0.Verschiedene physikalische Großen befolgen in der Nahe von Tc Potenzgesetze, z. B.

Ordnungsparameter M ∼ (Tc − T )β ; T < Tc (4.136)

Korrelationslange ξ ∼ 1

|T − Tc|ν(4.137)

β und ν sind Beispiele statischer kritischer Exponenten, mit β = 1/8, ν = 1 furd = 2 (Onsager–Losung) und β ≃ 0.32, ν ≃ 0.63 fur d = 3. Diese Exponenten sind“universell” in dem Sinne, daß sie nicht von der Starke der Wechselwirkung oder derGeometrie des zugrundeliegenden Gitters abhangen, daruberhinaus sogar einheitlichsind fur (fast) alle Systeme mit skalarem Ordnungsparameter und kurzreichweitigenWechselwirkungen. Sie hangen jedoch von der Dimension d ab.

Die Dynamik der Spinfluktuationen wird wiederum durch die spektrale DichteS(q, ω) charakterisiert, welche durch die Fourier–Transformierte der zeitlichen Kor-relationsfunktion F (q, t) ∝ 〈σ(q, t)σ(−q, 0)〉eq gegeben ist. Bezeichnet man analog zu(4.124) mit λ(q, T ) die charakteristische Linienbreite des Spektrums, so gilt nach derdynamischen Skalenhypothese asymptotisch fur q → 0 und T → Tc

λ(q, T ) ≃ qzΩ(qξ) (4.138) lambdaqT

mit einer Skalenfunktion Ω(x). Der dynamische kritische Exponent z hangt davonab, ob der Ordnungsparameter einem lokalen Erhaltungssatz genugt oder nicht. Dasvorliegende Modell, welches auf der Glauberdynamik (kein Erhaltungssatz) beruht,fuhrt auf Werte z ≈ 2. Monte–Carlo Simulationen ergeben z ≈ 2.18 fur d = 2, z ≈ 2.09fur d = 3 und z ≃ 2 fur d = 4 (vgl. z. B. Z. Alexandrowicz, D. Stauffer, Physica A191, 195 (1992)), wahrend die zeitabhangige Molekularfeldtheorie stets z = 2 liefert.In der Nahe von Tc (ξ endlich) relaxiert die Gesamtmagnetisierung σ(q = 0, t) miteiner Rate λ(0, T ) > 0. Die Funktion Ω(x) muß also fur x→ 0 sich so verhalten, daßin (4.138) die q–Abhangigkeit fur q → 0 (ξ fest) herausfallt. Dies erfordert Ω(x) ≃ x−z

fur x→ 0, so daß λ(0, T ) ∼ ξ−z ∼ (T − Tc)νz.

136

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Kapitel 5

Diffusion in ungeordnetenMedien

5.1 Hopping–Modelle mit struktureller Unordnung

Die Behandlung klassischer Diffusionsprozesse in ungeordneten Strukturen stellt einProblem dar, welches in der Physik der kondensierten Materie in vielfaltiger Form inErscheinung tritt. Bekannte Beispiele fur die Wanderung von Defekten in ungeordne-ten Festkorpern sind etwa die Ionenleitung in gestorten Kristallen oder Glasern oderdie Wasserstoffdiffusion in metallischen Legierungen. Auch die elektronische Hopping-Leitfahigkeit in amorphen oder stark dotierten kristallinen Halbleitern kann, abge-sehen von dem zugrundeliegenden elementaren Tunnelprozeß, weitgehend klassischbehandelt werden (H. Bottger, V.V. Bryksin, “Hopping Conduction in Solids”, VCHWeinheim, 1985). Schließlich interessiert man sich fur Transportvorgange in Stoffenmit struktureller Unordnung auf großeren Langenskalen, zum Beispiel in porosen Ma-terialien, in Leiter-Isolator Mischsystemen etc.

Der einfachste theoretische Ansatz zur Beschreibung solcher Vorgange besteht ineiner Mastergleichung (“Hopping-Modell”) des Typs :

dpi(t)

dt=∑

j

(wj,i pj(t)− wi,j pi(t)) (5.1) master

fur die Wahrscheinlichkeiten pi(t), das diffundierende Teilchen zur Zeit t am Ort Ri

zu finden. Wir nehmen der Einfachheit halber an, daß die Orte Ri den Gitterpunkteneines regularen Gitters entsprechen. (Topologisch ungeordnete Gitter werden nichtbetrachtet). Strukturelle Unordnung wird dadurch berucksichtigt, daß in (5.1) dieSprungraten wi,j ≡ w(~Ri → ~Rj) fur Ubergange von Ri nach Rj als Zufallsvariablenangesehen werden, die einer gegebenen Wahrscheinlichkeitsverteilung unterliegen. DieRaten zu unterschiedlichen Sprungvektoren Ri−Rj seien statistisch unabhangig. Diephysikalisch interessierenden Großen ergeben sich aus der Losung der Mastergleichung(5.1) zu einer festen Konfiguration der wi,j und anschließender Konfigurationsmitte-lung.

Es ist naheliegend, folgende Klassen von Modellen zu unterscheiden:

137

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i) Unordnung in den PotentialbarrierenPhysikalisch betrachtet resultieren die Raten wij aus einer Potentiallandschaft,in der sich das Teilchen bewegt. Abb. (5.1a) veranschaulicht ein Modell mitstatistisch verteilten Barrierenhohen bei einheitlicher Tiefe der Potentialmulden.Charakterisiert ist dieses Modell durch symmetrische Sprungraten

wi,j = wj,i (5.2)

ii) Energetische UnordnungDen Platzen Ri werden zufallige Energien ǫi zugeordnet. Die Bedingung desdetaillierten Gleichgewichts verlangt

wi,j e−βǫi = wj,i e

−βǫj (5.3) wije

Nimmt man dazu an, daß die Potentialberge alle gleich hoch sind (vgl. Abb.5.1b), so hangen die Sprungraten nur vom Ausgangsort ab und sind insbesondereunabhangig von der Sprungrichtung. Es ist also wi,j unabhangig von j,

wi,j = w0 eβǫi (5.4) wij

mit konstantem w0. Je nach Potentialtiefe hat man es mit mehr oder wenigerausgepragten “Traps” zu tun.

Naturlich gibt es Mischformen beider Modellklassen, z. B. wi,j ∝ expβ(ǫi−ǫj). Hopping-Modelle des Typs i) mit symmetrischen Sprungraten lassen sich unmittelbar aufelektrische Netzwerke abbilden. Ersichtlich wird dies an den Laplace–transformiertenGroßen

pi(z) =

∫ ∞

0dt e−ztpi(t), (5.5)

fur die nach (5.1)

zpi(z)− pi(t = 0) =∑

j

wi,j(pj(z)− pi(z)) (5.6) zpiz

xl-1 l l+1

a)V(x)

xl-1 l+1l

b)V(x)

Abbildung 5.1: Hoppingmodelle mit a) Barrierenunordnung (“random barriers”) und b)Unordnung in den Platz–Energien (“random traps”).

138

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gilt. Hiermit vergleichen wir die Kirchhoffschen Gleichungen eines Netzwerks mit Leit-werten σi,j = σj,i zwischen den Knoten i und j. Zusatzlich ist jeder Knoten uber einElement mit konstantem (i. a. komplexen) Leitwert z geerdet (Erdpotential gleichNull). Stromerhaltung an jedem Knoten fuhrt auf das Gleichungssystem

zφi(z)− Ii =∑

j

σi,j(φj(z)− φi(z)) (5.7) zphiz

fur die Potentiale φi(z) am Knoten i. Dabei sind noch eventuell von außen eingespeisteStrome Ii berucksichtigt, vgl. Abb.(5.2).

Die Gleichungsysteme (5.6) und (5.7) sind ihrer Form nach vollig identisch. Ins-besondere ist die aus (5.1) folgende makroskopische Diffusionskonstante D durch eineFunktion der wi,j gegeben, die mit der makroskopischen Leitfahigkeit σ des Systems(5.7) als Funktion der σi,j ubereinstimmt. Dies ergibt sich aus der formalen Gleichheitdes Ohmschen Gesetzes, j = σ(−∇φ), mit dem Fickschen Gesetz fur den Diffusions-strom, jD = D(−∇p).

I iI j

σij

ΦjΦizz

Abbildung 5.2: Zu Abb. (5.1a) aquivalentes elektrisches Netzwerk.

139

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5.2 * Exakte Losung in d=1

Eindimensionale Hopping-Modelle (d = 1) des Typs

dpi(t)

dt= wi+1,i pi+1(t) + wi−1,i pi−1(t)

−(wi,i+1 + wi,i−1)pi(t) (5.8)

mit detailliertem Gleichgewicht,

wi,i+1e−βǫi = wi+1,i e

−βǫi+1 (5.9) wii

aber ansonsten beliebigen Ubergangsraten wi,j erlauben eine Reihe exakter Aussagen.Im folgenden berechnen wir die dc–Leitfahigkeit σ oder, mit Hilfe der Nernst–Einstein–Beziehung, die Langzeitdiffusionskonstante D.

Wirkt auf das System ein konstantes Kraftfeld K ein, so werden in Richtung desFeldes die Energien benachbarter Platze im Abstand a schrittweise um aK abgesenkt.Dabei verandern sich die Ubergangsraten. Gemaß dem Arrhenius-Gesetz nehmen wiran, daß

wi,i±1 → wi,i±1 e±F/2 (5.10)

mit F = βaK. Im stationaren Fall stellt sich ein i- unabhangiger Strom j ein,

j = wi,i+1eF/2pst

i − wi+1,ie−F/2pst

i+1 (5.11)

Die Abweichung der stationaren Verteilungsfunktion psti von der Gleichgewichtsvertei-

lung peqi beschreiben wir durch Großen hi (vgl. auch § 3.4),

psti ≡ peq

i hi (5.12)

Da wir nur an den linearen Transportkoeffizienten interessiert sind, konnen wir dasProblem bezuglich F linearisieren. Unter Beachtung von 1−hi = O(F ) folgt mit Hilfevon (5.9):

j ≃ wi,i+1 peqi (hi − hi+1 + F ) (5.13) jwii

Aus der unendlich langen Kette von Platzen wird nun ein endliches Segment mitN ≫ 1 Platzen ausgewahlt und periodisch fortgesetzt. Entsprechend sei die Gleichge-wichtsverteilung innerhalb dieses Periodizitatsintervalls auf “1” normiert,

peqi =

1

ZNe−βǫi ; ZN =

N∑

i=1

e−βǫi (5.14) pieq

Am Ende der Rechnung kann man den Grenzubergang N → ∞ vollziehen. Divisionvon (5.13) durch wi,i+1 p

eqi und anschließende Summation uber eine Periode ergibt

jN∑

i=1

(wi,i+1 peqi )−1 = h1 − hN+1 +NF (5.15)

140

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Wegen der gewahlten periodischen Randbedingungen ist aber h1 = hN+1, so daß wirsofort einen Ausdruck der Form j = σK erhalten, mit der Leitfahigkeit

σ = βa

[

1

N

N∑

i=1

(wi,i+1peqi )−1

]−1

(5.16) sbeta

(vgl. R. Kutner et al. in “Diffusion Processes: Experiment, Theory, Simulation”, Lec-ture Notes in Physics 438, hrsg. v. A. Pekalski, Springer Verlag 1994). Bei genau einemTeilchen innerhalb eines Segments der Lange Na ist die Anzahldichte der Teilchengleich (Na)−1, so daß nach der Nernst–Einstein–Beziehung die Langzeitdiffusionskon-stante D gegeben ist durch σ = (Na)−1βD. Somit erhalten wir aus (5.16) mit (5.14):

D = a2〈e−βǫi〉N 〈(wi,i+1)−1eβǫi〉N−1 (5.17) Da2

Im folgenden nehmen wir an, daß die auftretenden arithmetischen Mittelwerte(1/N)

∑Ni=1 ... ≡ 〈...〉N fur N → ∞ in das Konfigurationsmittel hinsichtlich der wi,j

ubergehen, das wir mit 〈〈...〉〉 bezeichnen.

Zur Diskussion ziehen wir die Spezialfalle (5.3) und (5.4) heran:

i) BarrierenunordnungWegen ǫi ≡ 0 liefert (5.17) im Limes N →∞

D = a2〈〈w−1〉〉−1 (5.18) Da22

wobei

〈〈w−1〉〉 =

∫ ∞

0dwP (w)w−1 (5.19) llw

das Konfigurationsmittel der inversen Sprungraten w−1i,i+1 darstellt, gebildet mit

der Wahrscheinlichkeitsverteilung P (w). Das Ergebnis (5.18) setzt voraus, daßdas Integral (5.19) konvergiert. Anderenfalls hat man endliche N zu betrachten,und die Diffusionskonstante wird in nicht–trivialer Weise von der SystemgroßeN abhangen.

In Anbetracht der Aquivalenz dieses Modells mit einem elektrischen Wider-standsnetzwerk laßt sich (5.18) als Leitwert einer Serienschaltung von Widerstandenw−1

i,i+1 interpretieren. Der hier betrachtete stationare Fall entspricht in Abb. (5.2)dem Grenzfall z = 0.

ii) Energetische UnordnungEinsetzen von (5.4) in (5.17) ergibt fur ein periodisches System

D = a2w0〈e−βǫi〉−1N (5.20)

Andererseits ist die Kurzzeitdiffusionskonstante D∞ durch den Gleichgewichts-mittelwert der Sprungraten gegeben. Dies folgt unmittelbar aus der Masterglei-chung (5.1), siehe auch § 5.3. Folglich ist

D∞ = a2N∑

i=1

wi,i+1peqi

= a2w0N/ZN = D (5.21)

141

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wobei wir (5.4) und (5.14) verwendet haben. Langzeit- und Kurzzeitdiffusions-konstante fallen also zusammen. Allgemein kann man zeigen, daß ReD(ω) ei-ne mit der Frequenz ω monoton wachsende Funktion ist. (Dies folgt aus derallgemeinen Darstellung (4.28) der Ubergangswahrscheinlichkeit durch die Ei-genfunktionen und Eigenwerte der symmetrisierbaren Ubergangsmatrix T.) Derfrequenzabhangige Diffusionskoeffizient D(ω) ist dabei durch das mittlere Ver-schiebungsquadrat 〈(x(t))2〉 im Gleichgewicht definiert,

D(ω) = limǫ→0

D(−iω + ǫ) (5.22)

wobei (d = 1)

D(z) =z2

2

∫ ∞

0dt e−zt〈(x(t))2〉 (5.23)

Wegen (5.21) mit D∞ = limω→∞D(ω) und D = limω→0D(ω) hat man also imeindimensionalen Modell mit energetischer Unordnung unter Gleichgewichtsbe-dingungen keine Dispersion, d. h. ReD(ω) = D fur alle ω; das mittlere Verschie-bungsquadrat ist demnach linear in der Zeit fur alle t.

142

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5.3 Gitter–Greenfunktionen

Im Weiteren beschranken wir uns auf d–dimensionale regulare Gitter mit konstantenPlatzenergien ǫi = 0 und symmetrischen Sprungraten wi,j = wj,i (Barrierenunord-nung).

Es sei

Wi,j =

k wi,k i = jfalls

−wi,j i 6= j(5.24) WijM

mit Wij = Wji, so daß die Mastergleichung (5.6) die Form annimmt

j

(zδi,j +Wi,j)pj(z) = pi(t = 0) (5.25) summej

Aquivalent ist die Matrixschreibweise

(z1 + W)p(z) = p(t = 0) (5.26)

Die Greenfunktion G(z) zu unserem Problem wird nun eingefuhrt als die Inverse derMatrix z1 + W,

(z1 + W)G(z) = 1 (5.27) z1

Wie ublich laßt sich G(z) mit Hilfe eines vollstandigen, orthonormierten Systems vonEigenvektoren ϕ(ν) der symmetrischen Matrix W explizit darstellen:

Gi,j(z) =∑

ν

1

z + λνϕ

(ν)i (ϕ

(ν)j )∗ (5.28) Gijz1

λν ≥ 0 bezeichnet die entsprechenden Eigenwerte. Gi,j(z) = G∗j,i(z) besitzt in der

komplexen z–Ebene einfache Pole an den Stellen z = −λν . Offenbar ist Gi,j(z) iden-tisch mit der Laplacetransformierten der Ubergangswahrscheinlichkeit p(i, t|j), d.h.der Losung pi(t) von (5.1) zur Anfangsbedingung pi(t = 0) = δi,j , vgl. (4.28),

Gi,j(z) = p(i, z|j). (5.29)

Im Netzwerkanalogon (5.6) entspricht Gi,j(z) dem Potential am Punkt i, wenn amPunkt j ein Strom der Starke “1” eingespeist wird, d.h. wenn Ii = δi,j .

Bei Kenntnis von G(z) kann man zum Beispiel das mittlere Verschiebungsquadratmit Hilfe des Ausdrucks

∫ ∞

0dt e−zt〈(R(t))2〉j =

i

(Ri −Rj)2Gi,j(z) (5.30) dte

berechnen. Der Index j kennzeichnet den Startpunkt des Teilchens.

Zunachst behandeln wir die Greenfunktion G0(z) im Fall eines geordneten Gitters,in dem Sprunge nur zwischen nachsten Nachbarn stattfinden (vgl. § 4.4). Entsprechenddefinieren wir

∆i,j =

1 falls Ri, Rj nachste Nachbarn0 sonst

(5.31)

143

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Die Summeζ =

j

∆i,j (5.32) zeta

ist die Koordinationszahl des Gitters, wobei fur d-dimensionale kubische Gitter ζ = 2d.Somit konnen wir schreiben wi,j = w∆i,j , bzw.

W 0i,j = w(ζδi,j −∆i,j) (5.33) W0ij

mit einer konstanten Rate w (die mit Γ in § 4.4 identisch ist). Die Eigenvektoren derMatrix W 0

i,j sind ebene Wellen, so daß fur ein unendliches Gitter (d = 3) der Ausdruck(5.28) ubergeht in

G0i,j(z) = a3

∫d3p

(2π)3eip(Ri−Rj)

z + γ(p)(5.34) G0ij

mitγ(p) = w

δ

(1− eipδ) (5.35) gammap

Die p-Integration in (5.34) erstreckt sich uber die 1. Brillouinzone. Mit δ sind diemoglichen Sprungvektoren (Verbindungen zu den nachsten Nachbarn) bezeichnet.

Fur spatere Zwecke notieren wir eine Beziehung zwischen den Diagonalelemen-ten von G0(z) und den

”benachbarten“ Nichtdiagonalelementen. Betrachtet man die

Diagonalelemente von (5.27), so ergibt sich mit (5.32) und (5.33):

zG0i,i(z) + w

ζG0i,i(z)−

j

∆i,jG0j,i(z)

= 1 (5.36)

Da alle nachsten Nachbarn i + δ des Platzes i gleichberechtigt sind, ist G0i+δ,i un-

abhangig von δ. Somit folgt

G0i,i(z)−G0

i+δ,i(z) =1

ζw(1− zG0

i,i(z)) (5.37) G0ii

Im Netzwerk–Analogon bedeutet die l.S. von (5.37) die Potentialdifferenz zwischenden Punkten i und i + δ, wenn an der Stelle i der Strom Ii = 1 eingespeist wird.Dieser Strom teilt sich auf in einen Strom zG0

i,i(z) zur Erde und ζ gleiche Strome

w(G0i,i(z)−G0

i+δ,i(z)) zu den Nachbarpunkten i+ δ.

Wir wenden uns jetzt dem ungeordneten System zu. Ubergange finden wiederumnur zwischen nachsten Nachbarn statt mit zufalligen Sprungraten wi,i+δ, die einer ein-heitlichen Verteilungsfunktion P (w) unterliegen. Physikalisch relevant sind die uberalle Konfigurationen der Sprungraten gemittelten Großen, insbesondere die gemittelteGreenfunktion 〈〈G(z)〉〉. Wichtig ist zunachst die Feststellung, daß nach der Konfi-gurationsmittelung kein Gitterplatz ausgezeichnet, also die Invarianz gegenuber Git-tertranslationen wiederhergestellt ist. Folglich hangt 〈〈Gi,j(z)〉〉 nur von der DifferenzRi − Rj ab. Das mittlere Verschiebungsquadrat 〈〈R2(t)〉〉 wird damit unabhangigvom Startpunkt. Zu seiner Bestimmung aus Gl. (5.30) konnen wir nun o. B. d. A.Rj = R0 = 0 setzen, so daß

∫ ∞

0dt e−zt〈〈R2(t)〉〉 =

i

R2i 〈〈Gi,0(z)〉〉 (5.38) intdte

144

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Fur den frequenzabhangigen Diffusionskoeffizienten des ungeordneten Systems erhal-ten wir

D(ω) = −ω2

6limǫ→0

i

R2i 〈〈Gi,0(−iω + ǫ)〉〉 (5.39)

und fur den dynamischen Strukturfaktor S(q, ω) = (1/π)ReS(q,−iω) mit

S(q, z) =∑

i

eiqRi〈〈Gi,0(z)〉〉 (5.40) hatS

Wie in (4.89) kann D(ω) aus dem langwelligen Limes von S(q, z) gewonnen werden.

Die Berechnung von 〈〈G(z)〉〉 ist i. a. eine sehr schwierige Aufgabe, so daß man aufNaherungsverfahren angewiesen ist (s. u.). Aussagen zum asymptotischen Verhaltenfur z → ∞ ergeben sich jedoch verhaltnismaßig einfach aus der Definitionsgleichung(5.27):

G(z) = (z1 + W)−1 =

=1

z(1 + W/z)−1 =

=1

z

∞∑

n=0

(

−1

z

)n

Wn (5.41)

Folglich wird unter Beachtung von (5.24) und (5.33)

〈〈Gi,j(z)〉〉 =1

zδi,j −

1

z2(δi,jζ −∆i,j)〈〈w〉〉+O(z−3) (5.42) Gijz

wobei

〈〈w〉〉 =

∫ ∞

0dwwP (w) (5.43)

die uber die Unordnung gemittelte Sprungrate darstellt. Nach (5.30) ergibt sich furz →∞: ∫ ∞

0dt e−zt〈〈R2(t)〉〉 ≃ 1

z2a2ζ〈〈w〉〉; z →∞ (5.44)

bzw. das Kurzzeitverhalten des mittleren Verschiebungsquadrats

〈〈R2(t)〉〉 ≃ ζD∞t; t→ 0 (5.45)

mitD∞ = a2〈〈w〉〉 (5.46)

Die Kurzzeitdiffusionskonstante ist also durch den Mittelwert der Sprungrate be-stimmt, vgl. auch (5.21) sowie § 4.6.

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5.4 Theorie des effektiven Mediums

Ein wichtiges Naherungsverfahren zur Bestimmung von 〈〈G(z)〉〉 stellt die “Theoriedes effektiven Mediums” (EMT) dar. In Verbindung mit Unordnung in den weiterhinsymmetrisch angenommenen Sprungraten wi,j = wj,i behandeln wir die einfachsteVersion der EMT (“single-bond EMT”, vgl. S. Kirkpatrick, Rev. Mod. Phys. 45, 574(1973)).

Der Grundgedanke besteht darin, aus dem ungeordneten System eine Bindungzwischen zwei benachbarten Gitterpunkten R0 und R1 herauszugreifen und sie in eingeordnetes, effektives Medium einzubetten, welches durch eine einheitliche Sprungra-te weff charakterisiert ist. Die Unbekannte weff wird dadurch bestimmt, daß derEinfluß der lokalen Storung gegenuber dem effektiven Medium, w01−weff , im Mittelverschwinden soll. Genau laßt sich diese Forderung am einfachsten in der Netzwerkter-minologie formulieren. Wird im Punkt i = 0 ein außerer Strom I0 eingepragt und imPunkt i = 1 wieder abgefuhrt, so soll der Spannungsabfall uber die gestorte Bindungim statistischen Mittel gleich sein dem Spannungsabfall uber die ungestorte (effektive)Bindung zwischen den beiden Punkten. Ausgangspunkt der Rechnung ist Gl. (5.27);die in dem beschriebenen Sinn optimal gewahlte effektive Sprungrate wird danachvom Parameter z abhangen, weff ≡ weff (z).

Die Greenfunktion unseres lokal gestorten Systems genugt der Gleichung

(z1 + Weff − δW)G(z) = 1 (5.47) z1W

wobei in Analogie zu (5.33),

W effi,j = weff (z)(ζδi,j −∆i,j) (5.48)

Die Storung δW besitzt Nichtdiagonalelemente

δW0,1 = δW1,0 = w0,1 − weff (z); (5.49)

ihre Diagonalelemente δW00 = δW11 ergeben sich aus (5.24) oder aus der Bedingung∑

iWij = 0. Alle ubrigen Matrixelemente verschwinden. Somit hat δW die Gestalt

δW = δwA (5.50) deltaW

mitδw = 2(weff (z)− w0,1) (5.51) deltaw

Die einzigen nichtverschwindenden Elemente der Matrix A sind enthalten in dem(2× 2)–Block

(A00 A01

A10 A11

)

=1

2

(1 −1−1 1

)

(5.52)

Im folgenden erweist sich die Dirac-Schreibweise als nutzlich. Es sei der Vektor |b〉definiert durch die Komponenten bi = 0 fur i 6= 0; i 6= 1, und

(b0b1

)

=1√2

(1−1

)

(5.53)

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Man erkennt, daß 〈b|b〉 = 1 undA = |b〉〈b| (5.54)

so daßA2 = A. (5.55)

Zu Gl. (5.47) entwickeln wir nun eine Storungstheorie, die sich wegen des lokalenCharakters der Storung δW in allen Ordnungen durchfuhren laßt. Es sei Geff dieGreenfunktion des ungestorten Problems,

(z · 1 + Weff )Geff = 1 (5.56) zdot

Nach den Ergebnissen von § 5.3 ist Geff gegeben durch den Ausdruck (5.34) und(5.35); dort ist lediglich die Sprungrate w durch weff (z), d.h. γ(q) durch

γ(q, z) = weff (z)∑

δ

(1− eiqδ) (5.57) gammaqz

zu ersetzten. Es folgt aus (5.47) und (5.56) :

G−1 = z · 1 + Weff − δW =

= (Geff )−1 − δW =

= (Geff )−1(1−GeffδW) (5.58)

oderG = (1−GeffδW)−1Geff (5.59) G1

Dieser Ausdruck stellt die formale Losung der sog. “Dyson- Gleichung”

G = Geff + GeffδW G (5.60) GGeff

dar. Lost man (5.60) durch Iteration, so entsteht die Storungsreihe von G.

Eine zu (5.60) aquivalente Gleichung ergibt sich durch Einfuhrung der T - Matrix(“single–bond T–Matrix”),

T = δW(1−GeffδW)−1

= δW∞∑

n=0

(GeffδW)n. (5.61)

Ersetzt man namlich die Greenfunktion G auf der r.S. von (5.60) durch den Ausdruck(5.59), so erhalten wir mit der Definition (5.61)

G = Geff + GeffTGeff (5.62) green

Verglichen mit (5.60) enthalt die r.S. dieser Gleichung nur die ungestorte Greenfunkti-on; dafur enthalt T die Storung in allen Ordnungen. Die Reihe (5.61) beschreibt einenVielfachstreuprozeß mit dem “Propagator” Geff zwischen den Streuereignissen. Einegraphische Veranschaulichung zeigt Abb. (5.3). In unserem vorliegenden Fall laßt sich

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+ + + ...

Abbildung 5.3: Storungsreihe fur die T–Matrix. Die vertikalen, gestrichelten Linien symbo-

lisieren die Storung δW , die durchgezogenen Linien die ungestorte Greenfunktion Geff .

(5.61) leicht aufsummieren. Die Terme n 6= 0 enthalten das Matrixprodukt

AGeffA = |b〉〈b|Geff |b〉〈b|= 〈b|Geff |b〉A (5.63)

mit

〈b|Geff |b〉 =1

2(Geff

0,0 −Geff0,1 −G

eff1,0 +Geff

1,1 )

= Geff0,0 −G

eff1,0

=1

ζweff (z)(1− zGeff

0,0 (z)) (5.64)

Im letzten Schritt haben wir (5.37) verwendet. Kombination von (5.61), (5.50) und(5.63) ergibt

T = δw∞∑

n=0

(δw)nA(GeffA)n =

= δw∞∑

n=0

(

δw〈b|Geff |b〉)n

A

=δw

1− δw〈b|Geff |b〉 A (5.65)

In (5.62) wird nun der Konfigurationsmittelwert gebildet. Mit der Forderung

〈〈T 〉〉 = 0 bzw. 〈〈G〉〉 = Geff (5.66)

verschwindet der Einfluß der Storung im Mittel. Einsetzen von (5.65) , (5.64) und(5.51) liefert eine Selbstkonsistenzbedingung fur weff (z):

∫ ∞

0dwP (w)

w − weff (z)

(ζ/2)weff (z) + (w − weff (z))(1− zGeff0,0 (z))

= 0 (5.67) intdwP

wobei

Geff0,0 (z) = a3

∫d3q

(2π)31

z + γ(q, z)(5.68)

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(Integration uber die 1. Brillouinzone) und γ(q, z) durch (5.57) definiert ist.Mit dem auf diese Weise bestimmten weff (z) stellt Geff (z) die gesuchte Naherungfur die gemittelte Greenfunktion dar.

Von der grundsatzlichen Idee her ist die EMT mit Molekularfeldtheorien bei wech-selwirkenden Systemen verwandt. Andere Anwendungsbereiche der EMT sind unge-ordnete Elektronensysteme, z.B. ungeordnete “tight-binding”–Modelle. Dort ist sieunter der Bezeichnung “coherent potential approximation” (CPA) bekannt.

Um den Inhalt der EMT naher zu erlautern, stellen wir fest, daß Geff (z) als Green-funktion eines geordneten Systems, jedoch mit z-abhangigen Hoppingraten wi,j(z) =weff (z)∆i,j aufgefaßt werden kann. Fur ein solches System hat Gleichung (5.25) dieForm

zpi(z)− pi(t = 0) = weff (z)∑

j

∆i,j(pj(z)− pi(z)) (5.69) zhatp

(5.69) ist aber die Laplace-Transformierte der verallgemeinerten Mastergleichung

dpi(t)

dt=

∫ t

0dt′φ(t− t′)

j

∆i,j(pj(t′)− pi(t

′)) (5.70)

mit einer Gedachtnisfunktion φ(t), die bestimmt ist durch

weff (z) =

∫ ∞

0dt e−ztφ(t) (5.71)

(Faltungssatz!). In der EMT wird also das ursprungliche Hoppingmodell in Gegenwartstruktureller Unordnung auf ein geordnetes Modell abgebildet, in dem die Bewegungdes Teilchens jedoch durch einen Nicht-Markoff-Prozeß beschrieben wird.

Die unmittelbare physikalische Bedeutung von weff (z) wird ersichtlich, wenn wirz. B. (5.40) oder (5.38) berechnen. Diese Großen haben dieselbe Form wie im geord-neten Fall, wobei aber γ(q) durch γ(q, z) ersetzt ist,

S(q, z) =1

z + γ(q, z)(5.72)

Fur q → 0 ergibt sich aus (5.57)

γ(q, z) ≃ D(z)q2 (5.73)

mitD(z) = a2weff (z) (5.74) hatD

so daß weff (z) unmittelbar den frequenzabhangigen Diffusionskoeffizienten bestimmt.

Wir wenden uns nun der Auswertung von (5.67) zu. Bezuglich der z– Abhangigkeitinteressieren uns zunachst die Grenzfalle z → 0 und z →∞. Fur z →∞ erhalten wirsofort unter Verwendung von Geff

0,0 (z) ≃ z−1,

weff (z) ≃ 〈〈w〉〉; z →∞ (5.75)

so daß in diesem Grenzfall Geff (z) mit dem exakten Verhalten (5.42) bis einschließlichder Terme ∼ z−2 ubereinstimmt.

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Fur z = 0 ergibt sich folgende Bestimmungsgleichung fur weff (0) ≡ weff :

∫ ∞

0dwP (w)

w − weff

weff (ζ/2− 1) + w= 0 (5.76) intdw

Diese Gleichung soll fur das Beispiel einer bimodalen Verteilung P (w) weiter ausge-wertet werden. In einem anfangs geordneten Modell mit einheitlichen Sprungratenw0 > 0 wird ein Bruchteil 1 − p von Bindungen in zufalliger Weise ausgewahlt, unddie Sprungraten werden dort gleich Null gesetzt. Somit ist, mit δ+(w) ≡ δ(w − 0+)

P (w) = (1− p)δ+(w) + pδ(w − w0) (5.77)

Aus (5.76) erhalten wir sofort

weff

w0=

p−pc

1−pcfur p > pc

0 sonst(5.78)

wobeipc = 2/ζ (5.79) pc2

eine kritische Konzentration darstellt. Oberhalb dieser sog. “Perkolationsschwelle”(d. h. fur p > pc) kann ein diffundierendes Teilchen “perkolieren”, d. h. es kann eine ma-kroskopische Probe durchqueren, mit der Langzeitdiffusionskonstanten D = a2weff .Unterhalb der Schwelle (p < pc) ist eine Bewegung nur innerhalb endlicher Bereichemoglich und D = 0.

Bezogen auf den Fall eines elektrischen Netzwerks haben wir ein Leiter–IsolatorGemisch vor uns, mit einem Mengenanteil (1 − p) an Isolatormaterial. Der Schwell-wert pc entspricht der kritischen Konzentration fur einen Leiter /Isolatorubergang.Zu beachten ist, daß (5.79) und (5.78) nur Naherungsausdrucke darstellen und dastatsachliche Verhalten in der Nahe von pc komplizierter ist, vgl. § 5.5.

Qualitativ lassen sich noch einige weitere Schlusse ziehen. Im Bereich p < pc kannman zeigen, daß fur endliche, aber kleine z (in d = 3 Dimensionen)

weff (z) ≃ χz (5.80) weffz

mit einer Konstanten χ, die bis auf triviale Vorfaktoren der statischen dielektri-schen Suszeptibilitat entspricht (setze z = −iω und verwende den Zusammenhangχ(ω) = iσ(ω)/ω zwischen Suszeptibilitat und frequenzabhangiger Leitfahigkeit einesDielektrikums). Mit (5.80) und (5.74) folgt, daß der Ausdruck (5.38) fur z → 0 sichwie z−1 verhalt. Folglich erhalt man fur das mittlere Verschiebungsquadrat bei großenZeiten einen Sattigungswert proportional zu χ. Bei Annaherung an pc findet man, daßdie Suszeptibilitat divergiert, χ ∝ (pc − p)−1.

Schließlich interessiert uns noch das mittlere Verschiebungsquadrat am kritischenPunkt. Asymptotisch fur große t kann man von (5.67) ausgehend zeigen, daß (d = 3)

〈〈R2(t)〉〉 ∼ t1/2 (5.81) R21

Dieser Ausdruck wachst fur t → ∞ zwar unbegrenzt an, aber langsamer als bei dergewohnlichen Diffusion. Man spricht von “anomaler Diffusion”. Der EMT–Exponentin (5.81) ist jedoch nur qualitativ zu verstehen, vgl. § 5.6.

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5.5 Das Perkolationsproblem

Das im vorliegenden Abschnitt beschriebene Hopping-Modell mit der Verteilungs-funktion (5.59) fur die Sprungraten ist ein Beispiel dafur, daß in stark ungeordne-ten Systemen in Abhangigkeit vom Grad der Unordnung ein Schwellwertverhaltenauftreten kann. Das hier beschriebene Perkolationsproblem laßt sich am bequemstenin Gittermodellen untersuchen. (D. Stauffer, A. Aharony, “Perkolationstheorie, eineEinfuhrung”, VCH Weinheim, 1995; A. Bunde, S. Havlin (eds.) “Fractals and Disor-dered Systems”, Springer Verlag 1991). Man unterscheidet gewohnlich:

i) Platzperkolation:Wir betrachten als Beispiel ein endliches Quadratgitter mit N = L2 Zellen. EinBruchteil p der Zellen wird zufallig ausgewahlt und “besetzt”. Die besetzten Zel-len bilden Cluster. Zwei besetzte Zellen gehoren zum gleichen Cluster, wenn sieuber besetzte nachste Nachbarn verbunden sind. Es sei WN (p) die Wahrschein-lichkeit, daß ein Cluster vorgefunden wird, der den linken und rechten Rand desSystems verbindet. Ein grundlegendes Ergebnis besagt, daß WN (p) fur N →∞in eine Stufenfunktion θ(p − pc) ubergeht. D.h. fur N → ∞ perkolieren diebesetzten Zellen mit Wahrscheinlichkeit 0, falls p < pc und mit Wahrschein-lichkeit 1, falls p > pc (Existenz eines “unendlichen Clusters”). Man findet furdas Quadratgitter (d = 2) pc ≃ 0.593. Dieser Schwellwert andert sich mit demGittertyp und mit der Art der vorausgesetzten Verbundenheit bei der Definitionder Cluster. Fur ein einfach kubisches Gitter (d = 3) und Verbindungen ubernachste Nachbarn gilt pc ≃ 0.312.

ii) Bindungsperkolation:Ahnliches gilt fur ein Gitter mit zwei Typen zufallig verteilter Bindungen; vgl.das Beispiel in § 5.4. Im Fall eines Quadratgitters (d = 2) gilt pc = 0.5. Sol-che Bindungsperkolationsmodelle finden Anwendung bei Diffusionsproblemen,statistischen elektrischen Netzwerken und in der Polymerphysik.

Vielfach sind auch allgemeinere Definitionen der Verbundenheit auf Gittern, aber auchPerkolationsmodelle im Kontinuum von Interesse.

Das asymptotische Verhalten von Perkolationssytemen in der Nahe der Schwelle,p→ pc, weist viele formale Gemeinsamkeiten mit thermodynamischen Phasenubergan-gen 2. Art auf. Insbesondere gibt es einen kritischen Bereich. Dort gelten Skalen-gesetze, die in geeigneten Grenzfallen in Potenzgesetze mit universellen, kritischenExponenten ubergehen. Zur Definition der kritischen Exponenten bedarf es zunachsteiner genaueren Beschreibung der Clusterstruktur. Wir beziehen uns dabei auf diePlatzperkolation.

Fur ein d-dimensionales Gitter mit N = Ld Platzen sei

ns =1

N× (Anzahl der Cluster mit s Platzen). (5.82)

Sofern p < pc ist offenbar (N →∞)

p =∞∑

s=1

nss. (5.83)

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Greift man einen beliebigen, besetzten Platz heraus, so ist die Wahrscheinlichkeit, daßer zu einem s–Cluster gehort, gleich

nss∑∞

s=1 nss=

1

pnss. (5.84)

Der Mittelwert von s bezuglich dieser Verteilung definiert die mittlere Clustergroße

S =1

p

s

nss2. (5.85) S1p

Fur p > pc liegt eine endliche Wahrscheinlichkeit P∞ > 0 vor, daß ein beliebig heraus-gegriffener Platz zum unendlichen Cluster gehort (“Perkolationswahrscheinlichkeit”).Dann ist

p = P∞ +∞∑

s=1

nss, (5.86) pP

wobei in der Summation uber s der unendliche Cluster ausgeschlossen ist. Die Großenpc, S und P∞ lassen sich exakt nur in den einfachsten Fallen bestimmen.

i) Eindimensionales System (d = 1)Wir zahlen die s–Cluster ab, indem wir jeden s–Cluster z. B. durch seinen linkenRandpunkt markieren. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein beliebig herausgegriffenerPunkt in dieser Weise markiert ist, ist gegeben durch

(1− p)ps(1− p).

Folglich ist die Anzahl der s-Cluster gleich N(1− p)2ps und

ns = (1− p)2ps (5.87)

Es ist leicht zu sehen, daß

∞∑

s=1

nss = (1− p)2∞∑

s=1

sps = (1− p)(

pd

dp

) ∞∑

s=1

ps = (5.88)

= (1− p)2(

pd

dp

)(1

1− p − 1

)

= p.

Wir berechnen nun

S =1

p

s

(1− p)2pss2 =

=(1− p)2

p

(

pd

dp

)2 ∞∑

s=1

ps

=(1− p)2

p

(

pd

dp

)2( 1

1− p − 1

)

=1 + p

1− p. (5.89)

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Die mittlere Clustergroße wachst mit p und divergiert fur p → pc = 1. DiePerkolationsschwelle ist trivialerweise pc = 1, da bereits ein unbesetzter Platzdie Perkolation zerstort.

Ein Maß fur die Ausdehnung zusammenhangender Bereiche ist die Korrelati-onslange ξ. Generell definiert man:

g(r) = Wahrscheinlichkeit, daß ein bestimmter Platz im Abstand r einesbesetzten Platzes mit diesem verbunden ist.

Im vorliegenden Fall ist

g(r) = pr (5.90)

= exp(−r/ξ), (5.91)

wobei ξ = −(ln p)−1. Fur p→ pc = 1 konnen wir schreiben ln p ≃ ln(1+p−pc) ≃p− pc. Folglich,

ξ ≃ 1

pc − p(5.92)

ii) Bethe–Gitter (d =∞)Ein Bethe-Gitter der Koordinationszahl ζ besteht nach Auswahl eines Zentrums0 aus ζ unabhangigen Baumen mit ζ − 1 Verzweigungen an jedem Punkt (Abb.5.4). Die exakte Behandelbarkeit beruht auf der Eigenschaft, daß es zwischenzwei Punkten des Gitters genau einen Weg gibt. Im Fall ζ = 2 ist das Bethe–Gitter mit einer 1–dimensionalen Kette identisch. Fur ζ > 2 wachst die Anzahlder Verzweigungspunkte (“Masse” M des Gitters) mit der Zahl der Generationenn (“Radius” r ∝ n) wie (ζ − 1)n. Mit anderen Worten, die Masse M wachstrascher mit r als jede Potenz von r, im Gegensatz zur Beziehung M ∝ rd furSysteme einer endlichen Dimension d. Formal wird deshalb dem Bethe–Gitterder Grenzfall d =∞ zugeordnet.

Es seien nun alle Gitterpunkte mit der Wahrscheinlichkeit p zufallig besetzt. DasZentrum 0 sei ein besetzter Punkt. Wir betrachten einen der von 0 ausgehendenBaume und fragen nach der mittleren Anzahl 〈x〉n von “Individuen” (besetztePunkte) der n–ten Generation von Punkten. n = 0 entspricht dem nachstenNachbarn von 0. Wenn ein Individuum im Mittel µ “Nachkommen” hat, dannist

〈x〉n+1 = µ〈x〉n (5.93)

Auf der rechten Seite der Gleichung durfen die Mittelwerte multipliziert wer-den, da die Besetzung von Punkten der n–ten und der (n − 1)–ten Generationunabhangig erfolgt. Aus der Anfangsbedingung

〈x〉0 = p (5.94)

ergibt sich sofort〈x〉n = pµn. (5.95)

153

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Abbildung 5.4: Bethe–Gitter mit ζ = 4 bis einschließlich der ersten Verzweigung.

Da die Anzahl der Nachkommen eines Individuums einer Binominalverteilungunterliegt, mit der Wahrscheinlichkeit

pk =

(ζ − 1k

)

pk(1− p)ζ−1−k (5.96)

fur k Nachkommen, ist der Mittelwert µ gegeben durch

µ =

ζ−1∑

k=0

kpk = (ζ − 1)p. (5.97)

Die zu erwartende Große des Clusters, zu dem der besetzte 0-Punkt gehort,ergibt sich durch Aufsummation uber alle n und anschließende Summation uberdie ζ unabhangigen Baume (µ < 1),

S = 1 + ζp∞∑

n=0

µn = 1 +ζηp

1− µ =1 + p

1− (ζ − 1)p. (5.98)

Man erkennt, daß S bei dem Schwellwert

pc =1

ζ − 1(5.99)

divergiert. (Fur ζ = 2 liegt eine 1–dimensionale Kette vor mit pc = 1.)

154

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Fur p > pc (ζ > 2) ist zwar die mittlere Clustergroße unendlich, jedoch istnicht in jedem Fall das Zentrum mit einem unendlich fernen Punkt uber besetztePunkte verbunden. Anders ausgedruckt, die Perkolationswahrscheinlichkeit istP∞ < 1. (Beispielsweise besteht fur p < 1 eine endliche Wahrscheinlichkeitdafur, daß alle nachsten Nachbarn von 0 unbesetzt sind). Man kann zeigen, daßbei p− pc ≪ 1

P∞ ≃2ζ

ζ − 2· (p− pc). (5.100)

Das “Gewicht” des unendlichen Clusters wachst beim Bethe–Gitter demnachlinear mit dem Abstand von pc.

Analogie zu kontinuierlichen Phasenubergangen in der Thermodynamik

Am Beispiel des 1–dimensionalen Falles und des Bethe–Gitters erkennt man explizit,daß mit der Perkolationsschwelle Singularitaten verbunden sind. Im allgemeinen (z. B.bei d = 2 oder d = 3) werden diese Singularitaten durch Potenzgesetze in |p − pc|mit nicht–trivialen Exponenten beschrieben. Im Vergleich mit thermodynamischenPhasenubergangen lassen sich folgende Analogien feststellen:

Thermisch getriebener Phasenubergang Perkolationssystem

Temperatur T Besetzungswahrscheinlichkeit pOrdnungsparameter M ∼ (Tc − T )β Perkolationswahrscheinlichkeit P∞ ∼ (p− pc)

β

Korrelationslange ξ ∼ |T − Tc|−ν Korrelationslange ξ ∼ |p− pc|−ν

Suszeptibilitat χ ∼ |T − Tc|−γ Mittlere Clustergroße S(p) ∼ |p− pc|−γ

Die kritischen Exponenten β, ν, γ sind universell, d.h. sie hangen nicht vom zu-grundeliegenden Gittertyp ab und sind auch unabhangig davon, ob Platz– oder Bin-dungsperkolation vorliegt. Jedoch hangen sie von der Dimensionalitat d ab. Beispiel:

d = 2 d = 3 d =∞ (Bethe-Gitter)

β 5/36 0.417± 0.003 1ν 4/3 0.875± 0.008 1γ 43/18 1.795± 0.005 1

Die Ergebnisse beim Bethe–Gitter entsprechen wegen d =∞ in gewisser Weise der“Molekularfeldtheorie”.

Es ist klar, daß die Exponenten ν, β und γ aus der Verteilungsfunktion ns und ih-rer Abhangigkeit von p− pc ableitbar sind. Wir fassen nur die wichtigsten Ergebnissezusammen. Im kritischen Bereich zeigt die Verteilungsfunktion eine Skaleneigenschaft.Fur p = pc existiert keine ausgezeichnete Clustergroße, so daß fur ns (bei s≫ 1) nurein Potenzgesetz in Frage kommt, ns(pc) ∼ s−τ mit τ ∼ 2; die Clusterstruktur istselbstahnlich. Abseits des kritischen Punktes ist dieser Ausdruck durch eine Skalen-funktion zu erganzen,

ns(p) ≃ s−τf((p− pc)sσ); s→∞; p→ pc (5.101)

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wobei f(x) ≃ const. fur x → 0. Die Auswertung dieses Ausdrucks hinsichtlich (5.85)und (5.86) fuhrt auf β = (τ − 2)/σ; γ = (3− τ)/σ.

Am kritischen Punkt besitzt der unendliche Cluster ein verschwindendes Gewicht(P∞ = 0). Die Anzahl der dazugehorenden Platze (Masse) innerhalb eines Radiusr wachst wie rdf mit df < d. Geometrische Gebilde dieser Art bezeichnet man alsFraktale; df ist die fraktale Dimension. Man findet df = d − β/ν. Fur p > pc bleibtder unendliche Cluster fraktal auf Langenskalen r ≪ ξ, jedoch kompakt (Masse ∼ rd)auf Distanzen r ≫ ξ.

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5.6 Anomale Diffusion

Wie in § 5.5 erwahnt, sind die statischen Exponenten β und γ auf die Großenvertei-lung der Cluster ns(p) zuruckfuhrbar. Untersucht man im Gegensatz hierzu Trans-portgroßen, z. B. die Diffusionskonstante D(p) bzw. die elektrische Leitfahigkeit, sowerden feinere Details der Clusterstruktur wichtig. Nahe der Schwelle wird es bei derDiffusion uber große Distanzen insbesondere auf die Haufigkeit von “Engpassen” indem sich ausbildenden unendlichen Cluster ankommen. Die Folge ist das Auftreteneines neuen, dynamischen kritischen Exponenten µ, definiert durch

D(p) ∼ (p− pc)µ; p− pc → 0+, (5.102) Dp

welcher sich nicht auf statische Exponenten zuruckfuhren laßt. Naherungsweise findetman µ ≃ 1.3 fur d = 2 und µ ≃ 1.9 fur d = 3 (wohingegen die EMT µ = 1 ergibt, vgl.§ 5.4). D(p) ist hierbei durch das Langzeitverhalten des mittleren Verschiebungsqua-drats 〈(R(t))2〉 eines “random walks” definiert nach Mittelung uber alle Startplatze.Einen nichtverschwindenden Beitrag zu D(p) liefern aber nur Startplatze auf demunendlichen Cluster, da die mittleren Verschiebungsquadrate bei einem Start auf end-lichen Clustern notwendigerweise fur große Zeiten bei endlichen Werten sattigen.

Wir untersuchen nun speziell die Diffusion auf dem unendlichen Cluster. Die Lang-zeitdiffusionskonstante D unter der Bedingung, daß der Start auf dem unendlichenCluster erfolgt, ist offenbar bestimmt durch D = DP∞, denn P∞ ist gerade die Wahr-scheinlichkeit, daß ein zufallig gewahlter Platz zum unendlichen Cluster gehort. WegenP∞ ∼ (p− pc)

β folgtD(p) ∼ (p− pc)

µ−β (5.103) DtpEs stellt sich nun die Frage nach dem Zeitverhalten des mittleren Verschiebungsqua-drats am kritischen Punkt, welches fur t → ∞ zwar unbeschrankt anwachst, wegenD = 0 jedoch in sublinearer Weise. Naheliegend ist es, fur diese anomale Diffusion(Diffusion auf einem Fraktal - Problem der Ameise im Labyrinth) einen Potenzansatzzu machen,

〈R2(t)〉 ∼ t2/dw ; p = pc (5.104) R2mit dw > 2. (Der Exponent dw laßt sich als fraktale Dimension der Trajektorie deswalkers auffassen; bei “normaler” Diffusion hat man Gaußsche Trajektorien mit dw =2.)

Mit Hilfe von Skalenargumenten laßt sich eine Beziehung zwischen µ und dw her-stellen. Bei p > pc, a ≪ ξ < ∞ (a ist die Gitterkonstante), besitzt der unendlicheCluster eine selbstahnliche Struktur auf Distanzen r mit a ≪ r ≪ ξ und ist jedochkompakt auf Distanzen r ≫ ξ. Folglich hat man anomale Diffusion innerhalb einesbeschrankten Zeitbereichs t≪ t∗, mit 〈R2(t)〉 ≪ ξ2. Die crossover–Zeit t∗ ist dadurchbestimmt, daß 〈R2(t∗)〉 ≃ ξ2 oder, mit (5.104)

t∗ ∼ ξdw (5.105) tstern

Fur t ≫ t∗, wobei 〈R2(t)〉 ≫ ξ2, soll hingegen ein Ubergang zu normaler Diffusionstattfinden. Dies legt den Skalenansatz nahe

〈R2(t)〉 ≃ t2/dwφ

(t

t∗

)

(5.106) R2t

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Wegen (5.104) geht die Skalenfunktion φ(x) fur x ≪ 1 in eine Konstante uber. Um-gekehrt, fur t ≫ t∗ muß (5.106) mit 〈R2(t)〉 ∼ Dt vertraglich sein. Dies bedingtφ(x) ∼ x1−2/dw fur x≫ 1 und somit 〈R2(t)〉 ∼ t(t∗)2/dw−1. Der Vergleich mit (5.103)zeigt, daß (t∗)2/dw−1 ∼ (p − pc)

µ−β oder mit (5.105), ξ2−dw ∼ (p − pc)µ−β . Wegen

ξ ∼ (p− pc)−ν folgt

dw = 2 +µ− βν

(5.107)

Dies ist die gesuchte Beziehung zwischen µ und dw, in die noch die statischen Expo-nenten β und ν eingehen.

Untersucht man hingegen das mittlere Verschiebungsquadrat ohne Einschrankungdes Startplatzes, so mussen die Beitrage der endlichen Cluster mitberucksichtigt wer-de. Im wesentlichen fuhrt dies dazu, daß in der obigen Argumentation die Korrela-tionslange ξ durch eine die Ausdehnung endlicher Cluster berucksichtigende LangeR ∼ |p− pc|−ν+β/2 zu ersetzen ist. Dann folgt fur p = pc

〈R2(t)〉 ∼ tk

mitk = 1− µ

µ+ 2ν − βSchreibt man k = 2/d′w, so findet man dw/d

′w = 1 − β/2ν. Dieser Zahlenwert ist nur

wenig von 1 verschieden. In d = 3 ist naherungsweise k ≃ 0.38, im Unterschied zumEMT–Ergebnis k = 0.5 (§ 5.4).

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5.7 * Dynamische Renormierungsgruppentheorie

Renormierungstheorien spielen beim Verstandnis kritischer Phanomene in der sta-tistischen Mechanik eine zentrale Rolle. Als besonders fruchtbar haben sich solcheTheorien im Zusammenhang mit kontinuierlichen Phasenubergangen im Gleichge-wicht erwiesen (Begrundung der Skaleneigenschaften, Universalitatsklassen, quanti-tative Abschatzungen kritischer Exponenten). Aber auch bei Nichtgleichgewichtspro-zessen lassen sich diese Konzepte oft erfolgreich einsetzen.

Zur Illustration der grundsatzlichen Idee der Renormierung im Ortsraum ist dasPerkolationsproblem gut geeignet. Den Ausgangspunkt bildet die Skalenhypothese (diebetreffenden Annahmen lagen bereits der Diskussion in § 5.6 zugrunde):

i) An der Perkolationsschwelle p = pc besitzt die Clusterstruktur auf Langenskalenr ≫ a (a = Abstand nachster Nachbarn), statistisch gesehen, die Eigenschaftgeometrischer Selbstahnlichkeit. Dies bedeutet, daß nach einer “Vergroberung”des Systems um einen Faktor b > 1 (Mittelung uber alle Besetzungsfluktuatio-nen mit einer “Glattungsfunktion” der Reichweite ≃ ba) die dann entstehendeClusterstruktur von der des originalen Systems nicht unterscheidbar ist.

ii) Fur p 6= pc, aber hinreichend nahe der Schwelle, hat man eine endliche Korrelati-onslange ξ ≫ a. In diesem “kritischen Bereich” soll ξ die fur die Clusterstruktureinzige maßgebliche Langenskala darstellen. Dies impliziert, daß auf Distanzen rmit a≪ r ≪ ξ immer noch Selbstahnlichkeit gegeben ist. Fur p→ pc divergiertdie Korrelationslange, vgl. i).

Die Skalenhypothese wird nun folgendermaßen umgesetzt. In einem System mit gege-bener Besetzungswahrscheinlichkeit p (fur Platze oder Bindungen) wird die Cluster-struktur mit dem Faktor b > 1 geglattet; anschließend wird die ursprungliche elemen-tare Lange (Gitterkonstante) durch ahnliche Verkleinerung des Systems um den Faktorb wiederhergestellt. Nach dieser Renormierungstransformation (RG–Transformation)besitzt das System eine Besetzungswahrscheinlichkeit

p′ = Rb(p) (5.108) pRb

und gleichzeitig eine um den Faktor b verkleinerte Korrelationslange ξ′ = ξ/b. Die miteinem geeigneten Verfahren zu berechnende (vom Parameter b abhangige) FunktionRb(p) besitzt offenbar die Halbgruppeneigenschaft

Rb′(Rb(p)) = Rb′b(p)

Rb=1(p) = 1 (5.109)

Da die typische Ausdehnung von Clustern sich verkleinert hat, muß sich das trans-formierte System vom kritischen Punkt pc wegbewegt haben, |p′ − pc| > |p− pc|. DieSelbstahnlichkeit an der Perkolationsschwelle impliziert, daß das System unter derRG–Transformation invariant ist. Insbesondere hat p = pc auch p

= pc zur Folge, sodaß pc als (nichttrivialer) Fixpunkt von Rb bestimmt ist,

pc = Rb(pc) (5.110)

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0

Fixpunkt pcp

1

p 1

Abbildung 5.5: Schematische Darstellung der Iteration von (5.108).

(Daneben existieren die trivialen Fixpunkte p = 0 und p = 1.) Nach dem eben Gesag-ten ist der Fixpunkt abstoßend, folglich

λc(b) =

∣∣∣∣∣

(dRb

dp

)

pc

∣∣∣∣∣> 1 (5.111)

Die RG–Transformation laßt sich in verschiedener Hinsicht auswerten:

i) Bestimmung des nichttrivialen Fixpunkts, pc = Rb(pc)

ii) Aus den Eigenschaften der Transformation in der Nahe des Fixpunkts (p nahepc) folgen Aussagen zu statischen kritischen Exponenten. Insbesondere erhaltman den Exponenten ν fur die Korrelationslange,

ξ(p) ∼| p− pc |−ν (5.112) xip

Einerseits ist die Korrelationslange des transformierten Systems ξ′

= ξ/b. An-dererseits ist ξ

gegeben durch ξ′

= ξ(p′

), so daß

ξ(p′

) =1

bξ(p), mit p

= Rb(p) (5.113)

Diese Relation wird durch den Potenzansatz (5.112) befriedigt. Es ergibt sich

1

b=

∣∣∣∣

Rb(p)−Rb(pc)

p− pc

∣∣∣∣

−ν

≃∣∣∣∣∣

(dRb

dp

)

pc

∣∣∣∣∣

−ν

= (λc(b))−ν (5.114)

und somit

ν =ln b

lnλc(b)(5.115) nulnb

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σ5σ2

σ1

σ3

σ4

Abbildung 5.6: RG–Transformation (b = 2) in einem 2d Bindungsperkolationsmodell.

iii) Ausgehend von p 6= pc entsteht durch Iteration von Rb(p) ein nahezu geordnetesSystem. (Zum Beispiel nahert man sich fur p > pc einem vollstandig besetz-ten Gitter an: limN→∞ pN = 1, wenn pN+1 = R(pN ); vgl. Abb. 5.5). Aus deni. a. leicht berechenbaren Eigenschaften eines schwach gestorten Gitters kannman mit Hilfe der Transformation auf das stark ungeordnete Ausgangssystemzuruckschließen (s. u.).

Mit der Methode der Ortsraumrenormierung wollen wir nun die Leitfahigkeit bzw.die Diffusion in einem Bindungsperkolationsproblem auf einem 2–dimensionalen Qua-dratgitter untersuchen (vgl. R.B. Stinchcombe, B.P. Watson, J. Phys. C9, 3221 (1976)sowie J. Bernasconi, Phys. Rev. B18, 2185 (1978)). Ein Bruchteil p zufallig ausgewahl-ter Bindungen wird als elektrisch leitend angesehen und besitzt den konstanten Leit-wert σ0. Die ubrigen Bindungen sind elektrisch isolierend. Somit ist die Wahrschein-lichkeitsverteilung fur die Leitwerte

ρ(σ) = (1− p)δ+(σ) + pδ(σ − σ0). (5.116)

Gesucht ist die mittlere Leitfahigkeit σ(p), die wegen d = 2 mit dem Leitwert einesgroßen quadratischen Systems (L× L) identisch ist.

Wegen der Aquivalenz der Kirchhoffschen Gleichungen fur ein elektrisches Netz-werk mit den Gleichungen fur die stationare Verteilung eines “random walk” bei sym-metrisch angenommenen Sprungraten laßt sich die vorliegende Problemstellung sofortuminterpretieren. Ersetzt man Leitwerte durch Sprungraten, so geht σ(p) in die p–abhangige Diffusionskonstante D(p) uber. Deren Berechnung wurde im Rahmen derTheorie des effektiven Mediums bereits durchgefuhrt, vgl. (5.78). Die im folgendendargestellte Behandlung erweist sich jedoch als genauer; insbesondere liefert sie eineAbschatzung des kritischen Exponenten µ in dem asymptotischen Ausdruck fur D(p)nach (5.102).

Denken wir uns das Quadratgitter aufgebaut aus den in Abb. (5.6) dargestelltenEinheiten:

Die 4 Knoten zusammen mit den beiden nach rechts weisenden Anschlussen ge-hen im Rahmen einer b = 2–Transformation in die waagrecht gezeichnete renormierteBindung uber. Analog wird in vertikaler Richtung verfahren. Um jeweils zwei Kno-ten mit einem Endpunkt der renormierten Bindung zu identifizieren, wird ihnen eineinheitliches elektrisches Potential zugewiesen. Der renormierte Leitwert g(σ1, ...σ5)ergibt sich aus einer Wheatstone–Bruckenschaltung nach Abb. (5.7) mit zufalligen

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2σ 4σ

3σ5σ

2σ 3σ 4σ 5σ1σ , , , ,g( )

Abbildung 5.7: Renormierter Leitwert g.

Leitwerten σi; i = 1, ...5, die der Verteilung ρ(σ) unterliegen. Zu renormieren ist jetztbezuglich der Verteilungsfunktion der Leitwerte. Die transformierte Verteilung ρ′(σ)ist ein Funktional von ρ(σ). Explizit haben wir im vorliegenden Beispiel

ρ′(σ) =

dσ1 ...

dσ5 ρ(σ1) · ... · ρ(σ5)δ(σ − g(σ1, ...σ5)) (5.117)

Auch wenn sich g(σ1, ...σ5) leicht allgemein berechnen laßt, so kann die Iteration derVerteilungsfunktion doch nur numerisch durchgefuhrt werden. Dabei ist klar, daß dienichtleitenden Konfigurationen der Wheatstone–Brucke in ρ′(σ) einen Beitrag propor-tional zu δ+(σ) liefern, dessen Gewicht 1− p′ die renormierte Besetzung p′ definiert.

Das weitere Problem wollen wir dadurch vereinfachen, daß wir ρ′(σ) wieder durcheine bimodale Verteilung annahern,

ρ′(σ) ≃ (1− p′)δ+(σ) + p′δ(σ − σ′) (5.118)

σ′ bezeichnet dabei einen geeigneten Mittelwert von g(σ1, ...σ5) uber alle leitendenKonfigurationen. Zur Bestimmung von p′ und σ′ aus p und σ0 teilen wir die 25 = 32Konfigurationen in Abb. (5.7) in zwei Klassen, namlich die Klasse C0 der nichtleiten-den und in die Klasse C1 der leitenden Konfigurationen, vgl. Abb. (5.8). Bei sym-metrieverwandten Konfigurationen ist in der Abbildung nur ein Reprasentant gezeigt.Offenbar ist das Gewicht der Klasse C0, d. h. die Gesamtwahrscheinlichkeit, eine nicht-leitende Konfiguration zu finden, gegeben durch

1− p′ =∑

i∈C0

wi(p)

= q5 + 5pq4 + 8p2q3 + 2p3q2 (5.119)

wobei q = 1− p, oder (vgl. (5.108))

p′ = R(p)

= p2(2p3 − 5p2 + 2p+ 2) (5.120)

Als nichttrivialen Fixpunkt finden wir pc = 1/2, in Ubereinstimmung mit dem exaktenErgebnis fur die Schwelle der Bindungsperkolation im 2−d Quadratgitter (Dualitatsar-gument!). Fur den Exponenten ν ergibt sich nach (5.115) ν = ln 2/ ln(dR/dp)pc ≃ 1.4.Zur Berechnung von σ′ konnte man das arithmetische Mittel der nichtverschwinden-den Leitwerte gi (siehe Tabelle) bilden. Es zeigt sich, daß das geometrische Mittel zuetwas besseren Resultaten fuhrt. Wir setzen also

lnσ′

σ0=

1

p′∑

i∈C1

wi(p) ln(gi/σ0) (5.121) 6.6

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p q 32 p q3 2 p q3 2 p q4 p5p q3 2 p q4

g/Leitwert

2 2 42 1 14

1/2 1/2 1/2 3/51/3 1 1

Anzahl

w(p)Wahrscheinlichkeit

q5 pq4 p q 32 p q 32p q 32 p q3 2pq4

2224141Anzahl

w(p)Wahrscheinlichkeit

0σ0σ

0σ 0σ

0σ 0σ

0σ 0σ

0σ 0σ0σ

0σ0σ0σ

0σ 0σ

0σ 0σ0σ

Leitende Konfigurationen C1

0σ0σ 0σ

0σ0σ

Nichtleitende Konfigurationen C0

Abbildung 5.8: Klassifizierung der 25 Konfigurationen zu Abb. 5.7.

Diese Formel definiert eine Funktion

σ′

σ0= F (p) (5.122) 6.7

mit F (0) = 0; F (1) = 1. Um die gemittelte Leitfahigkeit σ(p) fur beliebige p nahe-rungsweise zu berechnen, werden die beiden Gleichungen

pN+1 = R(pN )

σN+1 = σNF (pN ), (5.123)

ausgehend von dem Startwert p = p0, simultan iteriert. Falls p0 > pc, so strebt pN

gegen 1. Das ursprungliche System wird also in ein Gitter uberfuhrt, dessen Bindungenmit einer gegen 1 strebenden Wahrscheinlichkeit einen konstanten Leitwert einnehmen,so daß

σ(p0) ≃ limN→∞

σN (5.124) 6.9

In der Praxis erreicht man Konvergenz schon nach ca. 20 Iterationsschritten. Auf dieseWeise wird die gesuchte makroskopische Leitfahigkeit fur einen beliebigen Startwertp0 > pc errechnet. Fur Startwerte p0 < pc ergibt sich naturlich pN → 0 und σ(p0) = 0.Am kritischen Punkt p = pc findet man

σ′/σ0 = F (pc) ≡ (λµ)−1 ≃ 0.54 (5.125) 6.10

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Dies laßt sich zu einer Abschatzung fur den kritischen Leitfahigkeitsexponenten µbenutzen, der nach (5.102) durch

σ(p) ∼ (p− pc)µ; p− pc → 0+ (5.126) 6.11

definiert ist. Genauer besehen muß schon aus Dimensionsgrunden der Proportiona-litatsfaktor in diesem Ausdruck den typischen Leitwert σ0 des Systems enthalten, d.h.bis auf einen nicht interessierenden Zahlenfaktor gilt σ(p) ∼ σ0(p − pc)

µ fur p → pc.Einmalige Iteration ergibt

σ0(p− pc)µ = σ′(p′ − pc)

µ (5.127)

oderσ0

σ′=

(R(p)−R(pc)

p− pc

≃ λµc (5.128)

mit λc =(

dRdp

)

pc

. Setzt man σ0/σ′ ≃ (F (pc))

−1 = λµ, so ergibt sich

µ =lnλµ

lnλc(5.129) 6.12

Mit den Zahlenwerten aus unserer Naherung finden wir µ = ln 1.85/ ln 1.625 ≃ 1.27.Der aus genaueren Naherungen bekannte Wert betragt etwa µ ≃ 1.32.

Die vorstehende Uberlegung kann verallgemeinert werden auf den Fall einer Ver-teilung

ρ(σ) = (1− p)δ+(σ) + pρ(σ) (5.130) 6.13

mit einer beliebigen, auf “1” normierten Funktion ρ(σ),

∞∫

0

dσ ρ(σ) = 1 (5.131) 6.14

Man kann zeigen, daß am kritischen Punkt p = pc durch fortgesetzte Iteration jedeVerteilung ρ(σ) dieser Art in eine invariante Verteilung ρc(σ) ubergeht. Invarianzbedeutet hier, daß bei einer weiteren Iteration sich diese Verteilung nur bis auf einenSkalenfaktor andert:

ρ′c(σ) = λµρc(λµσ) (5.132) 6.15

(Ein additiver Anteil (1 − pc)δ+(σ) bleibt von diesem Skalenfaktor naturlich un-beruhrt.)

Wahlt man p = p0 sehr nahe pc und iteriert N–mal so, entsteht σ(p) ∼ σN (pN −pc)

µ, wobei σN durch die Verteilungsfunktion ρN (σ) im N-ten Schritt bestimmt ist,

σN =

∞∫

0

dσ σρN (σ) (5.133)

N wird nun so groß gewahlt, daß ρN+1(σ) ≃ λµρN (λµσ) bereits gut erfullt ist. Noch-malige Iteration ergibt

σN (pN − pc)µ = σN+1(pN+1 − pc)

µ (5.134)

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wobei

σN+1 =

∞∫

0

dσ σλµρN (λµσ) =1

λµ

∞∫

0

dx xρN (x)

=1

λµσN (5.135)

Also finden wir wiederum

λµ =

(R(pN )−R(pc)

pN − pc

≃ λµc (5.136)

oder (5.129).

165