Stockhausen Vokal Komp

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    Die Bedeutung der Phonetik in der Vokalkomposition von StockhausenGeorg Heike, Kln

    Ein Beitrag zum Thema Bedeutung der Phonetik in der Vokalkomposition von Stockhausenmu meiner Meinung nach zunchst die Terminologie klren. Es mag vielleicht spitzfindig

    und lstig erscheinen, Begriffe, unter denen sich wohl jeder etwas vorstellen kann, nocheinmal einer Klrung zuzufhren. Gestatten Sie mir aber dennoch, dies zu tun, da meinerMeinung nach die Behandlung des gestellten Themas auch danach geraten kann, wie klar oderunklar und wie genau festgelegt die Begriffe sind, die man benutzt.

    Ad 1 Vokalkomposition:Meine Anmerkung zu dem Begriff, der wohl von dem traditionellen der Vokalmusik ausgeht,soll nur darauf verweisen, da das, was man in Musiklexika findet, genaugenommen entwederteilweise falsch oder zumindest unklar ist. So findet man beispielsweise unter Vokal in derErluterung zur vokalen Musik, da es sich um stimmhafte Laute handelt, mit denen alsooffenbar Vokalmusik gemacht wird, wie der fachliche Laie annehmen mte. Weder sindVokale durch ihre ausschlieliche Stimmhaftigkeit definiert es gibt, wie jeder wei, auchdie Mglichkeit, Vokale zu flstern noch verzichtet der Komponist von Vokalmusik auf dieKonsonanten eines Textes. Im Gegenteil sind es gerade in der neuen Musik die Konsonanten,die das besondere Interesse der Komponisten finden. Anstelle von Vokalmusik oderVokalkomposition wre es sicherlich und das geschieht gelegentlich ja auch adquater,von Sprachlautkomposition oder von Sprachkomposition zu reden. Gemeint ist auf jeden Falldas Komponieren mit phonetischem nicht unbedingt mit sprachlichem Material. WelcheKonsequenzen letztlich daraus gezogen werden knnen, mchte ich zum Schlu meinesBeitrags behandeln.

    Ad 2: PhonetikUnter Phonetik kann sich offensichtlich auch jeder etwas vorstellen. Die Phonetik ist eine sehrtraditionsreiche Wissenschaft, ihre Methoden und ihre Inhalte haben sich aber nach demKriege grundstzlich gendert. Diese Vernderungen haben insbesondere in der BonnerPhonetik durch Werner Meyer-Eppler stattgefunden, und dies ist auch der Grund dafr,warum Stockhausen die Phonetik und brigens auch die Kommunikationsforschung fr sichund damit auch fr die Neue Musik entdeckt hat. Meyer-Eppler war ab Mitte der 50er Jahredurch einige Vortrge whrend der Darmstdter Ferienkurse fr Neue Musik bekanntgeworden als Phonetiker, aber vor allem auch als Kommunikationswissenschaftler, der sichnicht nur mit Sprache, sondern auch mit ihrem Bezug zur Neuen Musik beschftigte.Stockhausen hat nicht Phonetik an sich studiert, sondern so, wie sie eben durch Meyer-Eppler

    im Zusammenhang mit der Informationstheorie und Kommunikationsforschung betrieben undin einer besonderen Weise vermittelt wurde. Vorlesungen von Meyer-Eppler, die ichzusammen mit Stockhausen eine Zeitlang besuchte, gaben ganz deutliche Hinweise darauf,da Meyer-Eppler whrend der Vorlesungen, bei denen er immer frei sprach, in seinenBeispielen und in der Darstellungsweise auf sthetische Belange vor allem in der Musikeinging, sobald Stockhausen unter den Zuhrern war. Ebenfalls war zu bemerken, daStockhausen von dem Dargebotenen in der Regel sehr zu eigenen Gedanken angeregt wurdeund sofort Umsetzungsmglichkeiten im sthetischen Zusammenhang gesehen hat. LautStockhausen war Meyer-Eppler der beste Lehrer, den er im Leben getroffen hat.1

    1 Zitiert nach Werner Klppelholz, Sprache als Musik. Studien zur Vokalkomposition bei KarlheinzStockhausen, Hans G. Helms, Mauricio Kagel, Dieter Schnebel und Gyrgy Ligeti.. Pfau Verlag, Saarbrcken.2. Aufl. 1995. S. 40.

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    Nun zur nheren Definition der Phonetik, so wie sie in Bonn erstmals betrieben wurde unddann auch Vorbild fr eine moderne Phonetik im deutschsprachigen Raum wurde.2

    Bezeichnend fr die Phonetik, wie sie Meyer-Eppler vermittelte, war die enorme Erweiterungder alten Phonetik als Wissenschaft von der Beschreibung und Vermittlung der Aussprache,und zwar durch das Einbeziehen der Kommunikationsforschung und der Informationstheorie,

    aber auch im Zusammenhang damit der Psychologie der Wahrnehmung zu einer Phonetik alsWissenschaft von der lautsprachlichen Kommunikation, die sich mit allen Bereichen derKommunikationskette zu befassen hat. Dabei sind vor allem zwei Gesichtspunkte zuerwhnen, die die Bonner Phonetik charakterisierten und die einen Einflu auf Stockhausengehabt haben:

    1. Die Bercksichtigung der auerlinguistischen Bereiche bei der Produktion und Funktionphonetischer Signale, als da sind expressive, diagnostische Information und die Phnomene bei gestrter Sprache;

    2. Die besondere Bercksichtigung der Wahrnehmungsseite der Kommunikationskette, d. h.die Bewertung des akustischen Signals bei der menschlichen Perzeption als Voraus

    setzung fr seine kommunikative Funktionsfhigkeit.

    In apparativ-technischer Hinsicht war in Deutschland im und kurz nach dem Krieg ein groerNachholbedarf entstanden. In dieser Zeit konnte man nur in Bonn moderne Signalanalyse undauch bereits Signalsynthese betreiben und studieren, und dies, vor allem durch dieZusammenarbeit und die Beziehungen von Meyer-Eppler zum Rundfunk in Kln mit sehrguter Technologie. Hier wird deutlich, warum und in welchem Ausma die Phonetik frStockhausen so bestimmend wurde: Meyer-Eppler war auch Initiator fr die Entstehung derelektronischen Musik in Kln und damit in der Welt berhaupt. Man kann zusammenfassendfeststellen, da die Bedeutung der Phonetik, Kommunikationsforschung undInformationstheorie, wie Stockhausen sie in Bonn kennengelernt hat, weit ber dieVokalkomposition Stockhausens hinausgeht und sich in vielfltigen Bezgen auch in seinenPublikationen nachweisen lt. Obwohl ich an einigen wenigen Beispielen diesen Nachweis

    bringen werde, ist eine systematische Darstellung smtlicher Einflsse auf StockhausensWerk in diesem Zusammenhang nicht mglich. Es ist sicherlich auch viel sinnvoller, dasPrinzipielle herauszuarbeiten und eventuell eine Systematik der mglichen und tatschlicherfolgten Umsetzungen und sogar Transformationen von Wissenschaft in musikalischeProduktionen und Konzepte zu versuchen.

    Im Falle derVokalkomposition, um bei diesem Terminus zu bleiben, bietet es sich an, die dreikonstituierenden Stadien der lautsprachlichen Kommunikationskette (Sender Signal Emp

    fnger) zu benutzen, um die wichtigsten Umsetzungen beispielhaft zu beschreiben.

    Ad 1:Die wissenschaftliche Beschreibung und Erklrung der Lautproduktionsprozesse bei derArtikulation gibt Mglichkeiten an die Hand, die weit ber den Buchstabentext hinausgehen,auf den sich traditionelle Vertonung beschrnkt. Die eigentliche Lautung zu definieren unddamit auch Texte differenzierter zu verarbeiten ist mit den Mitteln der phonetischen Notationmglich. Der Komponist kann damit dem musikalischen Interpreten vermitteln, was dieserber das, was er in der Musikhochschule gelernt hat, hinaus noch tun kann. Interessanterweise, nebenbeibemerkt, wird meines Wissens Phonetik in diesem Zusammenhang undin dieser Anwendung an keiner Musikhochschule gelehrt, nicht einmal in zustzlichen

    Kursen. Ein von mir vor Jahren auf Empfehlung und Rat von Stockhausen gemachter

    2 Schler im engeren und weiteren Sinne wurden Lehrstuhlinhaber in Kln, Mnchen, Kiel, Frankfurt.

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    Versuch, solche Kurse der Musikhochschule in Kln anzubieten, ist auf kein Interessegestoen.

    Das folgende Beispiel aus derSuperformel fr Licht3 bedarf keiner nheren Kommentierung:Eszeigt nicht nur differenzierte vokalische Artikulationsnderungen, sondern diverse

    Geruschnotationen auch nichtsprachlicher Art (Kugerusch, Jodeln, Atemgerusch).

    Abb. 1: Zeilen 2 und 3 aus derSuperformel fr Licht

    Ad 2:Aus dem Bereich der Akustik des Signals fr uns heute selbstverstndlich, in den fnfzigerJahren jedoch von groem Neuigkeitswert wren zu nennen z. B. die Spektraleigenschaftender Vokalartikulation, die Stochastik und Aleatorik von Turbulenzlauten (Geruschlaute,Frikative etc.), die zeitliche Gerichtetheit im Amplitudenverlauf plosiver bzw. impulsartigerKlangereignisse. Diese Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse waren vonausschlaggebender Bedeutung und eigentlich auch die Voraussetzung dafr, Mglichkeiten zufinden, wie man gesprochene Sprache mit elektronischen, aber auch mit Instrumentalklngensinnvoll verknpfen kann, und zwar in einem Ausma, wie es von dem seriellenKompositionsprinzip gefordert wurde. Hier liegt die Basis fr die systematischenEntsprechungen, die Stockhausen beim Gesang der Jnglinge zwischen phonetischenSignalkategorien und elektronisch erzeugten definiert hat.

    Ad 3:Am Ende der Kommunikationskette kommt es darauf an, wie angebotene akustische Signalevom Perzipienten wahrgenommen werden bzw. wie der Zusammenhang zwischenSignaleigenschaften und Wahrnehmungskategorien aussieht. Hier ist zu nennen die bei

    Stockhausen in verschiedenen Zusammenhngen immer wiederkehrende Forderung danach,3 Aus: Dettloff Schwerdtfeger, Karlheinz Stockhausens OperDonnerstag aus Licht. Ziel und Anfang einerkompositorischen Entwicklung. Magisterarbeit, Kln, WS 97/98.

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    da musikalisch-akustische Parameter ein quivalent in einer Erlebniskategorie beim Hrerhaben sollten. Was die Verarbeitung von Sprache im Gesang der Jnglinge betrifft, so wrein diesem Zusammenhang vor allem zu nennen die beabsichtigte und durchgefhrteKomposition der Verstndlichkeit als Parameter. Aus der Informationstheorie ist ein sehrwichtiges Begriffspaar zu erwhnen, das Stockhausen nicht nur in der Verarbeitung von

    Sprache bestimmt hat, sondern auch ganz allgemein in seiner Komposition. Es sind dieBegriffe der Redundanz und der Entropie und ihre Bedeutung in einer sthetischen Kommunikationsforschung. hnlich wie in der sprachlichen Kommunikation kann man auch in dersthetischen Kommunikation eine Optimierung annehmen, die sich irgendwo zwischenmaximaler Redundanz und maximaler Entropie befindet. Die bertragung wissenschaftlicherErkenntnisse und Untersuchungsmethoden aus dem Bereich der sprachlichen auf diemusikalische Kommunikation ist ein Hauptanliegen der Bonner Schule Meyer-Epplers undhat neue und andere Aspekte der Behandlung beider Bereiche im Gegensatz zumtraditionellen Verhltnis von Sprache und Musik gebracht.

    ber die Werke Stockhausens, die als Exempel fr phonetische Textbehandlungen dienen,

    wie vor allem derGesang der Jnglinge, Stimmungen, Momente, um nur die wohl wichtigstenzu nennen, mchte ich hier nicht ausfhrlich handeln. Das wrde den Rahmen sprengen undist ja auch andererseits und auch meinerseits schon mehrfach gemacht worden. Versuchenmchte ich vielmehr, das Typische und auch Neuartige herauszustellen und zu verallgemeinern. Dies kann zu einer vorlufigen Theorie der Sprachkomposition bzw. bessersogar zu einer Theorie einer allgemeinen sthetischen Klangerzeugung fhren, die imHinblick auf Sprache nicht spezifiziert ist. Eine solche Theorie mte den GegensatzSprachsignalNichtsprachsignal als Parameter enthalten.

    Ein Studium der Phonetik garantiert noch keineswegs einen sinnvollen und konsistenten, d. h.den kompositorischen Mglichkeiten adquaten Gebrauch des phonetischen Wissens, wieviele Beispiele zeigen. Charakteristisch fr Stockhausen war, da er das Konzept der seriellenKompositionsweise konsequent und stimmig auf die Behandlung des phonetischen Materialsbertrug. Am deutlichsten lt sich am Beispiel vom Gesang der Jnglinge aufzeigen, da einadquates Komponieren mit phonetischem Material viel mehr bedeutet als Effekthaschereimittels bis dato ungewhnlicher phonetischer Anweisungen.

    Abb. 2: Entsprechungen physiologischer und elektrischer Klangerzeugung

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    Der physikalische Begriff des Parameters hat vermutlich seit Meyer-Eppler bei Komponistendas Bewutsein darber geschrft, womit sie eigentlich komponieren. Nachdem klargeworden war, was traditionellerweise an Parametern schon immer komponiert wurde(Tonhhe, Lautstrke, Klangfarbe, Tempo), stellte sich nun in jeder neuen Komposition mitneuem Klangmaterial die Frage nach den zu komponierenden Parametern, und zwar nicht nur

    auf der Materialebene, sondern auch auf den hheren Ebenen des Umgangs mit dem Material,also der Form und vor allem schlielich der Perzeption. Abbildung 2 veranschaulicht die

    phonetischen Parameter, die sich auf den Erzeugungsvorgang beziehen (z. B. Stimmhaftigkeit, Geruschhaftigkeit, Abruptheit, diverse Vokalparameter etc.). Parameter hhererOrdnung ergaben sich konsequent aus dem musikalisch-kompositorischen Denken:Vokal/Konsonant als kontinuierlicher Parameter, die Verstndlichkeit bei Verwendung vonTexten, der Gegensatz Sprachsignal / elektronisch bzw. instrumental erzeugtes Signal als Poleeines Kontinuums etc. Die folgenden Beispiele zeigen, mit welchen Mitteln die beidenwichtigsten Parameter, nmlich der Parameter elektronischer Klang/Sprachklang und derParameter Verstndlichkeit im Gesang der Jnglinge komponiert wurden.

    Beispiel 1: Verschiedene Versionen einer Silbe bzw. eines Wortes werden miteinanderberlagert, zum Teil verhallt. Im Extremfall resultieren Rauschblcke chorischenCharakters, jedoch ohne sprachliche Erkennbarkeit: Ab 5334 das Wort Feuer (nocherkennbar) und ab 442 eine sprachlich nicht identifizierbare berlagerung.

    Beispiel 2: Einzellaute werden kontrapunktisch mit chorisch-akkordischen undsyllabischen Partien berlagert. In 252 wird das Wort alle mehrfach mit sich selbstberlagert, daraus bleibt das l als Dauerlaut stehen und wird gleichzeitig mitelektronischen Klangmustern und dem Einzelwort preist berlagert.

    Beispiel 3: Durch Manipulation des Bandlaufs werden Transformationen in andereTonlagen und auch die Umkehrung verwendet. Bei ca. 920 Transformation in sehr hoheLage mit Beschleunigung; bei 546 das Wort Sommersglut durch Umkehrung der Wortteile berlagert und kontrapunktiert, gefolgt von der Inversion des Textes preiset denHerrn;

    Beispiel 4: bergnge und Mischungen von gesprochenen Lauten und elektronischenKlngen: Etwa 612: aus dem gesprochenen Wort Eis bleibt der letzte Konsonant, das s,als Dauerlaut stehen und transformiert sich in ein elektronisch erzeugtes Rauschsignal.

    Beispiel 5: Komposition der Sprachverstndlichkeit als Parameter. Stockhausen definiert7 Verstndlichkeitsgrade. Abbildung 3 zeigt sie in der seriellen Anordnung 5-1-2-6-7-3-4,die quasi als Exposition am Anfang des Werkes steht (20,5 bis nach 52,3).

    1: nicht verstndlich 5: nicht genau verstndlich

    2 kaum verstndlich 6: verstndlicher 3: ganz wenig verstndlich 7: verstndlich4: fast verstndlich

    4 Die Zeitangaben beziehen sich auf die CD 3 (Stockhausenverlag) und gelten einschlielich 10Vorlauf.

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    Abb. 3: Die 7 komponierten Verstndlichkeitsgrade im Gesang der Jnglinge,aus dem Anfang (10,5 bis 42,3).

    Erwhnt werden mu (siehe Text zur CD 3), da Stockhausen offenbar eine Korrelation vonVerstndlicheit und Klangform auf der Skala Sprachklang / elektronischer Klang annimmt:verstndliche Passagen sind auch erkennbar gesungen, unverstndliche sind nahezuvollstndig elektronisch erzeugt. Zitat (s. Beiheft, S. 60): ... der Begriff Verstndlichkeit istalso semantisch und klanglich-phonetisch differenziert.

    Bei der Parameterisierung phonetischer Merkmale fr kompositorische Zwecke wird esinteressanterweise auch oder gerade dem linguistisch orientierten Phonetiker bewut, da diefr die Beschreibung linguistischer Kategorien benutzten polaren bzw. binren Merkmale wiez. B. stimmhaft/stimmlos, abrupt/dauernd, hell/dunkel etc. eigentlich phonologische

    Konstrukte sind. Auf der Ebene der phonetischen Substanz liegt nahezu immerKontinuierlichkeit vor. Phonetische Parameter weisen jedoch auch dann im Vergleich zuinstrumentalen bzw. elektronisch steuerbaren Signalparametern einige Besonderheiten auf:

    1. Phonetische Parameter nehmen nur selten extreme Positionen ein. Sie schwanken in derRegel um Mittelwerte. Dies gilt allerdings jeweils nur innerhalb eines Parameters. Mankann also sagen, da phonetische Parameter in gesprochener Sprache nicht optimalausgenutzt sind hinsichtlich der Differenzierungsmglichkeiten. Damit wird eine hoheRedundanz garantiert, die fr die Verstndlichkeit auch erforderlich ist.

    2. Phonetische Parameter weisen in Abhngigkeit von der Zeit keine abrupten Sprnge auf.

    3. Zwischen unterschiedlichen phonetischen Kategorien gibt es in der Regel keinekontinuierlichen bergnge, d. h. die kategorialen Unterschiede sind signalphonetischabgesichert.

    4. Zwischen phonetischen Parametern liegt in der Regel eine Abhngigkeit vor, dieallerdings unterschiedliches Ausma haben kann. Das bedeutet im Gegensatz zurmusikalischen Parameterstrukturierung, da nicht in jedem Parameter frei in denParameterwerten variiert werden kann.

    5. Was unter Punkt 1. die Strukturierung innerhalb eines Signalparameters angeht, trifft auchfr die Strukturierung der Zeit zu. In gesprochener Sprache sind die Vernderungen inAbhngigkeit von der Zeit prinzipiell nicht so extrem strukturierbar wie in der Musik, d.

    h. es gibt nicht extrem lange Zeitdauern fr bestimmte Parameterwerte und auch nichtextrem kurze. Das gleiche gilt auch fr Signalpausen. Treten in gesprochener Sprache

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    durch Zgerungsphnomene Pausen auf, so besteht die Tendenz, diese Pausen durchnicht-sinnvolle uerungen zu fllen (durch Verlegenheitslaute: sog. 'gefllte' Pausen).

    6. Phonetische Signale sind typischerweise durch Klangfarbenmodulation charakterisiert, d.h. gerade die Vernderungen der Klangfarbe als Folge artikulatorischer Bewegungen sindes, die die Codierung sprachlicher Informationen ermglichen. Man kann diesenSachverhalt physikalisch so ausdrcken, da es sich bei gesprochener Sprache um eineetwa im Silbenrhythmus (ffnungs- und Schliebewegung) ablaufende gleichzeitige Modulation in Frequenz und Amplitude handelt.

    Das letzte besonders typische Merkmal eines phonetischen Parameters ist brigens erst jngstin der phonetischen Theorie in seiner konsequenten Bedeutung erkannt worden und hat zurEntwicklung des sog. gesturalen Ansatzes sowohl in der Deskription als auch in derModellierung gefhrt. Gesten stehen in einem unmittelbaren und auch beim Perzipieren ineinem urschlichen und nachvollziehbaren und somit auch rekonstruierbaren Zusammenhangmit den verursachenden Organbewegungen. Eine zuverlssige und ungefhrlicheRegistrierung von Artikulationsbewegungen ist brigens erst seit ca. 10 Jahren mit der

    Entwicklung des Elektromagnetischen Articulographen mglich. Eine Umsetzung inmusikalische Parameterstrukturierungen knnte interessante Erweiterungen im Bereich derSteuerung von Zeitablufen ergeben.Die Verwendung von Bewegungsgesten fr die elektronische Klangerzeugung in Sprache undMusik wre im Rahmen eines computerimplementierten Produktionsmodells nach demQuelle-Filter Prinzip am sinnvollsten. Werden Quelle und Filter wie bei derSprachproduktion durch ein Phonationsmodell und einen Artikulationstrakt spezifiziert, dannwre das Ergebnis gesprochene Sprache. Der Vorteil eines solchen Synthesesystems, wie imFall des Klner Artikulationsmodells bereits weitgehend entwickelt, liegt darin, da die

    phonetischen Parameter in ihrer anschaulichen und durch ihre organische Produktionbestimmten Art und Weise kontrollierbar sind. Es werden also nicht beispielsweise

    Formantfrequenzen von Vokalen kontrolliert, sondern die Artikulationsbewegungen derZunge, des Unterkiefers und der Lippen. Dadurch wird es mglich, die Artikulations- undPhonationsorgane als von dem speziellen Zwecke der Sprachproduktion befreite Organe undquasi als Musikinstrumente zu benutzen. Durch eine weiterentwickelte Sprachsynthese dieserArt, die beispielsweise auch darin bestehen wrde, da anstelle eines Phonationsmodells eine

    beliebige Quelle simuliert werden knnte, wre der Komponist in der Lage, zwischenSprachsignalen und nichtsprachlich verwendeten phonetischen Parametern zu wechseln. DieKomposition phonetischer Parameter mit Hilfe eines solchen computerimplementiertenSynthesesystems knnte durchaus im Rahmen eines musikalischen Kompositionsprogrammserfolgen. Da solche Computerartikulationsmodelle in der Regel auch eine visuelle Darstellungder modellhaften Artikulations- und Phonationsbewegungen ermglichen, wre der bliche

    Nachteil elektronischer Musikproduktion, nmlich die Unanschaulichkeit, bis zu einemgewissen Grade vermieden. Dem Komponisten bliebe es, wie im Falle der elektronischenMusik bis jetzt auch, natrlich nach wie vor berlassen, bei der Auffhrung eines entsprechenden Sprachmusikwerks rein synthetisch erzeugte phonetische Signale zusammen mitsolchen von agierenden menschlichen Interpreten zu verwenden.

    Literatur:

    Heike, Georg: sthetische Phonetik als Wissenschaft von der sthetischen Kommunikation inSprache und Musik, in: Angela Biege und Ines Bode (Hrsg.): Theorie und Empirie in derSprechwissenschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Eberhard Stock am 17. Juni 1998.

    Verlag Werner Dausien, Hanau und Halle/S. 1998. S. 65-74.

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    Heike, Georg: Musiksprache und Sprachmusik. Anmerkungen zu einer Theorie der sthetischenKommunikation, in: Georg Heike: Musik und Sprache Gesammelte Aufstze. Pfau Verlag,Stuttgart (im Druck)

    Krger, Bernd J.: Ein Phonetisches Modell der Sprachproduktion, Niemeyer, Tbingen 1998.

    Klppelholz, Werner: Sprache als Musik. Studien zur Vokalkomposition bei Karlheinz Stockhausen,Hans G. Helms, Mauricio Kagel, Dieter Schnebel und Gyrgy Ligeti.. Pfau Verlag,Saarbrcken. 2. Aufl. 1995. S. 40.

    Schwerdtfeger, Dettloff: Karlheinz Stockhausens OperDonnerstag aus Licht. Ziel und Anfang einerkompositorischen Entwicklung. Magisterarbeit, Kln, WS 97/98.

    Prof. Dr. Georg Heike

    Institut fr PhonetikGreinstrae 2D-50939 Kln