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TREFFPUNKT FORSCHUNG 82 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2011, 45, 78 – 82 RECHTECKIG ODER QUADRATISCH? Streit um die Quadratur des Kohlenstoffs Im Oktober berichteten wir über die Synthese und Untersuchung eines viergliedrigen Koh- lenstoffrings, der offenbar sowohl die quadratische, nach der Hückel-Regel anti-aromati- sche Konformation als auch die rechteckige Form mit lokalisierten Doppelbindungen an- nahm [1]. Zwei Zuschriften, die nun in Science erschienen, ziehen jedoch diese Interpreta- tion der röntgenkristallographischen Daten von der Gruppe von Mihail Barboiu an der Universität von Montpellier in Zweifel. Prüfung der Daten zu dem Schluss, dass diese besser zu einer einfache- ren Erklärung passen würden [2]. Demnach blieb die Reaktion auf der Stufe stehen, wo der viergliedrige Ring nur eine Doppelbindung ent- hielt. Dieses bizyklische Lacton ent- hält noch ein Kohlenstoff- und zwei Sauerstoffatome, die im nächsten Schritt als CO 2 abgespalten werden müssten (Abbildung). Verdächtig erschien den Kriti- kern vor allem, dass das in der Kri- stallstruktur ebenfalls sichtbare CO 2 - Molekül nicht gerade gestreckt ist, wie es in den Lehrbüchern steht, son- dern im Winkel von nahezu 120 Grad geknickt. Dieser Winkel und die Ab- stände zwischen den einzelnen Ato- men lassen sich am einfachsten mit der Lacton-Struktur erklären. Die Arbeitsgruppe von Barboiu verteidigte in ihrer Entgegnung hinge- gen die in ihrer Publikation gezoge- nen Schlussfolgerungen. Eine Mehr- deutigkeit der Daten lasse sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung und angesichts der intrinsischen Pro- bleme bei der Untersuchung von so stark gespannten Molekülen nicht vermeiden, sagen die Forscher. Den- noch halten sie ihre ursprüngliche In- terpretation der Ergebnisse weiterhin für die wahrscheinlichere. [1] M. Groß, Chem. Unserer Zeit 2010, 44, 317. [2] D. Scheschkewitz sowie I. Alabugin et al., Science 2010, 330, 1047. Michael Groß Sowohl David Scheschkewitz vom Imperial College in London als auch die Arbeitsgruppe von Igor Alabugin an der Florida State University in Tal- lahassee kamen nach eingehender

Streit um die Quadratur des Kohlenstoffs

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

82 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2011, 45, 78 – 82

R EC H T EC K I G O D E R Q UA D R AT I S C H ?

Streit um die Quadratur des KohlenstoffsIm Oktober berichteten wir über die Synthese und Untersuchung eines viergliedrigen Koh-lenstoffrings, der offenbar sowohl die quadratische, nach der Hückel-Regel anti-aromati-sche Konformation als auch die rechteckige Form mit lokalisierten Doppelbindungen an-nahm [1]. Zwei Zuschriften, die nun in Science erschienen, ziehen jedoch diese Interpreta-tion der röntgenkristallographischen Daten von der Gruppe von Mihail Barboiu an derUniversität von Montpellier in Zweifel.

Prüfung der Daten zu dem Schluss,dass diese besser zu einer einfache-ren Erklärung passen würden [2].Demnach blieb die Reaktion auf derStufe stehen, wo der viergliedrigeRing nur eine Doppelbindung ent-hielt. Dieses bizyklische Lacton ent-hält noch ein Kohlenstoff- und zweiSauerstoffatome, die im nächstenSchritt als CO2 abgespalten werdenmüssten (Abbildung).

Verdächtig erschien den Kriti-kern vor allem, dass das in der Kri-stallstruktur ebenfalls sichtbare CO2-

Molekül nicht gerade gestreckt ist,wie es in den Lehrbüchern steht, son-dern im Winkel von nahezu 120 Gradgeknickt. Dieser Winkel und die Ab-stände zwischen den einzelnen Ato-men lassen sich am einfachsten mitder Lacton-Struktur erklären.

Die Arbeitsgruppe von Barboiuverteidigte in ihrer Entgegnung hinge-gen die in ihrer Publikation gezoge-nen Schlussfolgerungen. Eine Mehr-deutigkeit der Daten lasse sich beimgegenwärtigen Stand der Forschungund angesichts der intrinsischen Pro-bleme bei der Untersuchung von sostark gespannten Molekülen nichtvermeiden, sagen die Forscher. Den-noch halten sie ihre ursprüngliche In-terpretation der Ergebnisse weiterhinfür die wahrscheinlichere.

[1] M. Groß, Chem. Unserer Zeit 2010, 44, 317.[2] D. Scheschkewitz sowie I. Alabugin et al.,

Science 2010, 330, 1047.

Michael Groß

Sowohl David Scheschkewitz vomImperial College in London als auchdie Arbeitsgruppe von Igor Alabuginan der Florida State University in Tal-lahassee kamen nach eingehender