16
Vulnerabilität, Risiko & Resilienz WS 2013/14 Christian Rupp – 02.12.2013 Stress wirkt nicht bei jedem gleich: Die Gen-Umwelt-Interaktion „Influence of Life Stress on Depression: Moderation by a Polymorphism in the 5-HTT Gene“ (Caspi et al., 2003)

Stress wirkt nicht bei jedem gleich: Die Gen-Umwelt ... · Methode " Erfassung der stressful life events zwischen dem 21. und 26. Lebensjahr (UV 2) mit Hilfe eines life-history calendar"

Embed Size (px)

Citation preview

Vulnerabilität, Risiko & Resilienz WS 2013/14 Christian Rupp – 02.12.2013

Stress wirkt nicht bei jedem gleich: Die Gen-Umwelt-Interaktion „Influence of Life Stress on Depression: Moderation by a Polymorphism in the 5-HTT Gene“ (Caspi et al., 2003)

Christian Rupp – 02.12.2013

Überblick

²  Hintergrund der Studie ²  Methode ²  Ergebnisse ²  Schlussfolgerungen ²  Diskussion

Caspi et al. (2003) 2

Christian Rupp – 02.12.2013

Hintergrund der Studie: Das Serotonin-Transporter-Gen

v  Theoretische Basis: Diathese-Stress-Modell è Empfindlichkeit für stressful life events hängt ab von der genetischen Disposition v  Rolle des Serotonin-Transporters bei Depression bekannt è SSRIs v  Die Promotor-Region des Serotonin-Transporter-Gens wird von benachbarten Sequenzelementen reguliert è „5HTT-LPR“ v  5HTT-LPR ist ein Polymorphismus mit 2 Allelen: /s/ und /l/ (short & long) v  /s/-Allel ist assoziiert mit geringerer Transkriptionseffizienz der Promotor- Region è verminderte Genexpression

Caspi et al. (2003) 3

Christian Rupp – 02.12.2013

Hintergrund der Studie: 5HTT-LPR & Depression

v  Belege für direkte Assoziation zwischen /s/ und Depression sehr heterogen v  Aber: Diverse Hinweise auf eine Gen-Umwelt-Interaktion aus Tierversuchen (Mäuse & Makaken):

§  /s/ assoziiert mit geringer Serotoninfunktion, höheren Stresslevels und mehr Angstreaktionen – aber nur bei Vorhandensein von Stress

v  Funktionale Bildgebung bei Menschen: /s/ assoziiert mit stärkerer Amygdala- aktivität in Reaktion auf Stress è  Ziel der Studie: Eine Gen-Umwelt-Interaktion zwischen 5HTT-LPR und dem Auftreten von Major Depression nachweisen

Caspi et al. (2003) 4

Christian Rupp – 02.12.2013

Methode v  Längsschnittstudie über 24 Jahre

v  Eingebettet in die Dunedin Multidisciplinary Health and Development Study v  Repräsentative Kohorte von 1037 Kindern kaukasischer Abstammung (52% männl.) (Drop-out-Rate von nur 4%) v  10 Messungen alle 2-3 Jahre (zwischen dem 3. und 26. Lebensjahr)

§  Entscheidende Messung im Alter von 26 J.

v  Bestimmung der 5HTT-Allelkombination (UV1) §  17 % /ss/ §  51% /sl/ §  31% /ll/ è kein Geschlechtereffekt!

Caspi et al. (2003) 5

Christian Rupp – 02.12.2013

Methode v  Erfassung der stressful life events zwischen dem 21. und 26. Lebensjahr (UV 2) mit Hilfe eines life-history calendar

v  AVen (erhoben bei der letzten Messung im Alter von 26 J.) §  Depressive Symptome & Diagnosen im letzten Jahr (Diagnostic Interview Schedule) §  Suizidgedanken und -versuche (in DIS enthalten) §  Zusätzlich hierzu außerdem Fremdberichtsdaten

Caspi et al. (2003) 6

0

10

20

30

40

0 1 2 3 4 und mehr

Christian Rupp – 02.12.2013

Ergebnisse v  Kein sign. Unterschied zwischen den 3 Allel-Gruppen bzgl. der Häufigkeit von stressful life events è keine Gen-Umwelt-Korrelation ANOVA v  Signifikanter Haupteffekt für life events auf alle AVen v  Kein Haupteffekt für Allelkombination v  Signifikante Interaktion für alle AVen (!)

§  Der Effekt der life events auf das Auftreten von Depression war bei /ss/ und /sl/ deutlich größer als bei /ll/

Regression v  Bei /ss/ und /sl/ ließ sich das Auftreten von Depression durch die Zahl der life events signifikant vorhersagen, bei /ll/ nicht (Gleiche Zusammenhänge sowohl für Selbst- als auch Fremdberichtsdaten)

Caspi et al. (2003) 7

Christian Rupp – 02.12.2013

Ergebnisse Caspi et al. (2003) 8

Selbst- berichtete depressive Symptome

Wahr- scheinlich- keit von Suizidalität

Wahr- scheinlich- keit einer MDE

Fremd- berichtete depressive Symptome

Christian Rupp – 02.12.2013

Vielleicht doch eine Gen-Gen-Interaktion?

v  Es könnte tatsächlich durch andere Gene determiniert sein, wie vielen life events man ausgesetzt wird è Depression als Ergebnis einer Interaktion verschiedener Gene v  Wenn das so ist, müsste die Interaktion auch genau so Fälle von Depression vorhersagen, die vor den erhobenen life events liegen v  Regression mit einer anderen AV: Depressivität im Alter von 18 und 21 (statt 26)

v  Ergebnis: Keine Vorhersagekraft der Interaktion aus life events & Allelkombination auf diese neue AV

v  Schlussfolgerung: Es handelt sich sehr wahrscheinlich um eine tatsächliche Gen-Umwelt-Interaktion

Caspi et al. (2003) 9

Christian Rupp – 02.12.2013

Erwachsene Depression und kindlicher Missbrauch

v  Regression: Vorhersage von der Wahrscheinlichkeit einer MDE im Alter von 18-26 durch die Interaktion von 5HTT-LPR und dem Ausmaß der Misshandlung v  Signifikante Interaktion

§  Vorhersagekraft bestand nur für /ss/ und /sl/, nicht für /ll/

Caspi et al. (2003) 10

Erhoben wurden Missbrauchserfahrungen im Alter von 3 bis 11 Jahren. Einteilung Misshandlung: •  keine •  wahrscheinliche •  schwerwiegende

Christian Rupp – 02.12.2013

Schlussfolgerungen

v  Erster klarer Nachweis einer Gen-Umwelt-Interaktion

v  Erklärung dafür, warum Nachweise eines direkten Zusammenhangs zwischen 5HTT-LPR und Depression kaum gelungen sind v  Das /l/-Allel erscheint als Schutzfaktor in Bezug auf die Bewältigung von Belastungen in der Umwelt des Individuums v  Fragestellungen für die Zukunft:

§  Prophylaktische Maßnahmen nach Identifikation des Genotyps? §  Verbesserung pharmakologischer Behandlung? §  Neurobiologische Endophänotypen?

Caspi et al. (2003) 11

Christian Rupp – 02.12.2013

Diskussion v  Aktuelle Metaanalyse von Karg (2011) unterstützt die Befunde der Caspi-Studie

v  Aber: Hinweise darauf, dass es sich bei 5HTT-LPR um ein allgemeines „Plasti- zitätsgen“ handelt, das die Empfindlichkeit für Umwelteinflüsse per se erhöht

§  Bsp.: /ss/ bedingt auch stärkere Reaktion auf Psychotherapie (Eley et al., 2012)

KRITIK? v  Widerspruch: /s/ führt zu weniger Serotonintransportern; Problem bei Depression aber eher zu starke Re-Uptake-Aktivität v  Methodische Aspekte

§  „Missbrauch in der Kindheit“: keine Angabe, wann genau die life events erhoben wurden (erst mit 26 oder schon bei früheren Messungen?) è Verzerrungen! §  Life-events im Alter von 26 rückblickend erfasst, nicht kontinuierlich è Verzerrungen!

Caspi et al. (2003) 12

Christian Rupp – 02.12.2013

Take-Home Message v  Die Caspi-Studie ist die erste, die eine bedeutsame Interaktion zwischen gene- tischer Disposition und Umwelteinflüssen nachweisen konnte. v  Nur bei Vorliegen des /s/-Allels konnte ein Zusammenhang zwischen kritischen Lebensereignissen und der Entwicklung von Depression beobachtet werden.

v  Eine Gen-Umwelt-Korrelation kann dabei genau so ausgeschlossen werden wie eine verdeckte Gen-Gen-Interaktion. v  Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei dem 5HTT-LPR-Polymorphismus um ein Gen, das die generelle Empfindlichkeit für Umwelteinflüsse moduliert. v  Die Integration mit neurobiologischen Forschungsergebnissen und die Klärung von Widersprüchlichkeiten steht noch aus, ebenso wie die Ableitung von Impli- kationen für die Praxis.

Caspi et al. (2003) 13

Christian Rupp – 02.12.2013

Caspi et al. (2003) 14

Vielen Dank für eure

Aufmerksamkeit!

Christian Rupp – 02.12.2013

Literatur

Caspi, A., Sugden, K., Moffitt, T. E., Taylor, A., Craig, I. W., Harrington, H., McClay, J., Mill, J., Martin, J., Braithwaite, A., & Poulton, R. (2003). Science, 301, 386-389.

Caspi et al. (2003) 15

Christian Rupp – 02.12.2013

Zum Nachlesen: Ein paar genetische Grundbegriffe

v  Gen: abgrenzbarer Abschnitt auf der DNA v  Marker: eindeutig identifizierbarer, kurzer DNA-Abschnitt, dessen Position im Genom bekannt und bei jedem Menschen gleich ist v  Polymorphismus: Gen, das in verschiedenen Varianten (Allelen) existiert v  Promotor-Region: Der Teil des Gens, der die Genexpression mittels Translation und Transkription überhaupt erst möglich macht v  Sequenzelement: Teil eines Gens, der wiederum die Promotor-Region reguliert

Caspi et al. (2003) 16