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Stressmanagement für Mediziner

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arzt &karriere

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Stress und Burn-Out sind bedeutende Themenunserer hektischen, komplexen Zeit. Das ist inKrankenhäusern nicht anders – viele Ärztehaben selbst große Probleme mit ihrer Gesund-heit. Wie es ihnen gelingt, mit ihrer stressigenArbeitssituation positiv umzugehen, erläutertTobias Illig, Leiter des “Positiven ManagementInstituts”.

Mediziner in Kliniken haben vielfältigen Heraus-forderungen zu bewältigen: straffe Zeitpläne,durch die es die Patienten hindurch zu schleusengilt, ein restriktives Management, das durch Con-trolling die einzelnen Kliniken tiefgreifend(be)schneidet, eine strenge Hierarchie innerhalbder Ärzteschaft, die Zusammenarbeit mit Berufs-gruppen (Pflegekräften, Verwaltungspersonal, etcetera), die sich oft unkooperativ verhalten, bela-stende Schichtdienste bis tief in die Nacht, die andie eigenen Leistungsgrenzen gehen, derUmgang mit der Frage nach Leben und Tod beieigenem Scheitern, und so weiter.Dabei beginnt der Einstieg in den Beruf für viele

Mediziner sehr ambitioniert. Man will engagiertim Dienst der Menschheit zu deren Wohl wirken.Die Ernüchterung stellt sich meist nach der halb-jährigen „honeymoon“-Phase für viele Jungärz-te ein, wenn man sich enttäuscht in einem ver-ökonomisierten Klinikbetrieb wiederfindet. Medi-ziner brauchen ein gesundes Stressmanagementund Psychohygiene, um den Klinikalltag zu mei-stern und den Sinn ihrer Arbeit nicht zu verlieren.

Resignative Reife hilftEinen widrigen Arbeitsplatz zu akzeptieren fälltnicht leicht. Seit Jahren deklarieren Studien nichtnur im Gesundheitswesen eine miserable Arbeits-

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welt voller Arbeitslast, tyrannischen Vorgesetzenund zuviel psychischem Druck. Dabei kann eseine Strategie sein, bewusst nicht (!) mehr gegendie Widrigkeiten zu kämpfen und Stress statt-dessen als normalen Bestandteil des Lebens zubetrachten. Gleiches empfiehlt beispielsweise derHeidelberger Paartherapeut Arnold Retzer, derPaaren rät, ihre Ehe von unrealistisch-verwöhn-ten Ansichten zu entfrachten und wieder zu men-schengemäßen, erwachsenen Anspruchshaltun-gen zu gelangen. Dabei prägte Retzer den Begriffder Resignativen Reife. Es gelte, den Partner zuakzeptieren, wie er ist (zu resignieren). Dies sollman aber mit Würde und Achtung tun (Reife). Es

könnte eine Lösung für manche Mediziner sein,sich von unrealistischen, zu idealisierten Vorstel-lungen zu entfrachten und sich mit der vorge-fundenen Realität konstruktiv zu arrangieren.

Die Opferrolle verlassenOpfer fühlen sich überall und ständig hilflos aus-geliefert. Wer die Lösung ständig vom Manage-ment oder dem eigenen Chef erwartet (denen invielen Fällen übrigens auch die Hände gebundensind), braucht andere Strategien, die eher auf daseigene Innere und das soziale Miteinander zie-len, als von anderswoher die Heilung erhoffen.Wer also lernt, Verantwortung für sein Innenle-ben und sein Sozialleben zu übernehmen, ist derLösung schon einen wesentlichen Schritt näher.

Sinn und Salutogenese stärkenDas Konzept der Salutogenese des Medizinso-ziologen Aaron Antonovsky untersucht, wasGesundheit begünstigt, erhält und unterstützt.Mediziner fragen oft danach, was Menschenkrank macht, Antonovsky dreht den Spieß umund untersucht, was den Menschen gesund hält.Im Wesentlichen geht es um die aktive Anpas-sung des Einzelnen an jeweilige dynamische Ver-änderungen und das konstruktive Bewältigenselbst schwer belastender Einflüsse. Besondersdas sogenannte Kohärenzgefühl ist dabeiwesentlich: Es beschreibt die erlebte Sinnhaftig-keit der eigenen Existenz: „Ich bin am richtigenPlatz. Hier werde ich gebraucht.“ Dass man dasfür sich nicht unbedingt leicht beantworten kann,ist besonders dann verständlich, wenn man sichnur als Kostenfaktor und Zahlenlieferant fühlt.Dann braucht ein Arzt den Blick für das Wesent-liche, weil er oder sie bestimmt nicht in ersterLinie für den kaufmännischen Direktor dort arbei-tet oder für den eigenen Chef. Ein Arzt arbeitetfür die Patienten. Eine erfahrene Chefärztin for-mulierte es so: „Am Ende jeden Tages nehme ichmir zehn Minuten Zeit, um zu einem dankbarenPatienten zu gehen. Ich muss sichergehen, dassder Patient wirklich dankbar ist. Zu undankbarenNörglern gehe ich nicht. Diese zehn Minuten miteinem dankbaren Patienten zeigen mir, wofür ichmeinen Beruf eigentlich ausübe. Das gibt mirKraft und Sinn für meinen stressigen Alltag.“

Gesundheitskonzept: Positives LeadershipDie Effekte eines positiven Gesundheitsmanage-ments sind unschlagbar: Mehr Arbeitszufrieden-heit, weniger Krankheitstage, mehr Produktivi-tät, bessere Kooperation, bessere Rendite. Beson-ders der Ansatz des Positive Leadership des US-amerikanischen Managementprofessor KimCameron sucht in vier Konstellationen eine Ver-besserung der Performance und erforscht positi-

ve Abweichungen von der Norm. Sein Fazit: Posi-tive Kommunikation, Vermittlung von Sinn, einpositives Klima und positive Beziehungen sorgenfür mehr soziale Stabilität, Stressreduktion undSinnerhalt. Greifen wir die Ideen aus dem Positi-ven Management auf:

Positive KommunikationBesonders die Arbeiten des Paarforschers JohnGottman und des Führungspsychologen MarcialLosada weisen nach, dass beispielsweise mehrpositive als negative Kommunikation (bei Losa-da mindestens im Verhältnis 3:1, bei Gottmansogar 5:1) Beziehungen langfristig stabilisiert.Das Phänomen ist für klinische Zusammenarbeitbesonders interessant, wenn es darum geht, mit-einander zu kooperieren und weniger zu konkur-rieren. Positive, gewaltarme Kommunikationallerdings will mühsam erlernt werden. InterneKurse und Coaching können Wunder bewirken.

Vermittlung von SinnEs gilt, sich selbst zu fragen, wofür und wozuman jeden Tag in die Klinik geht:Was ist der Sinnmeiner Tätigkeit? Wer diese Frage für sich beant-worten kann, lebt resilienter und kohärent imHier und Jetzt. Wer die Sinnfrage für sich nichtbeantworten kann, wünscht sich eine bessereVergangenheit wieder her („Früher war alles bes-ser!“) oder erhofft sich ein zukünftig schöneresParadies („Wenn ich erst mal..., dann...“). Beidesgeht an der Wirklichkeit im Jetzt vorbei. Es gilt,sich die eigene Berufsidentität mit gesundemSelbstwert und Selbststolz In Erinnerung zu rufenund in den Alltag zu transferieren. Einige Fragenam Ende des Tages helfen: Was ist mir heutegelungen? Worauf bin ich heute stolz? Wofür willich heute danken? Welche Begegnungen habenmit gut getan? Was hat heute mein Interessegeweckt? Was habe ich heute gelernt? Worin binich heute einen Schritt weitergekommen?Wir sollen den Fokus nicht auf die Defizite desAlltags lenken (wir werden verlieren!), sondernauf die „happy moments“, die positiven Abwei-chungen im Alltag. Einen bessernden Effekthaben Forscher der Positiven Psychologie inLangzeitstudien nachweisen können.

Positives KlimaWer in einem inspirierenden Umfeld arbeitet, indem er seine Stärken jeden Tag einbringen kann,kann sich glücklich schätzen. Das Gallup-Institutstellt im jährlichen Engagement-Index immerwieder heraus, dass sich deutsche Arbeitnehmerin ihren Firmen emotional nicht zuhause fühlen.Das betrifft auch das Gesundheitswesen. Viel zuviel wird in Organisationen gejammert undgeklagt, was alles schlecht läuft, defizitär ist und

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nicht funktioniert. Davon kann man tatsächlichdepressiv werden. Wir sollten eher die Energienbündeln und auf das Positive, Gelingende undunsere Stärken richten, wenn wir ein positives Kli-ma finden möchten. Dann haben wir zumindestdie Chance, auch etwas anderes wahrzunehmenals immer nur das ewige Gejammer.

Positive BeziehungenCameron unterscheidet in seinen Forschungendrei Typen in einer Organisation:1. „Schwarze Löcher“ – diese Typen absorbierensämtliche produktive Energie und vergiften jedesKlima. Überall sehen sie das Negative, nichtskann man ihnen recht machen, überall haben sieetwas zum Herummeckern. Werden „schwarzeLöcher“ zu stark in einer Organisation, wirken sietoxisch auf das gesamte Team- und Betriebskli-ma. Es hilft gelegentlich, sie auf ihr destruktivesVerhalten anzusprechen, sie coachen zu lassen,manchmal sie an einen anderen Arbeitsplatz zuversetzen oder oft einfach freizusetzen, damit siean anderer Stelle toxisch wirken können.2. „Dezentrale Personen“ wirken sich weder

positiv noch negativ auf das Betriebsklima aus.Sie sind die arbeitenden Säulen, die den „Ladenam Laufen“ halten und sich durch eine hoheLoyalität auszeichnen.3.„Energetisierende Drehkreuze“ treiben das Kli-ma mit ihrer sympathisch-optimistischen Art nachoben. In ihrer Nähe hält man sich gerne auf, siehaben inspirierende, motivierende Wirkung aufdie gesamte Organisation. Sie bringen „Licht“ insDunkel des Alltags und wirken sich positiv auf dieLeistung aus. Es gilt, in Kliniken, sowohl dieschwarzen Löcher, die dezentralen Personen, alsauch die energetisierenden Drehkreuze zu iden-tifizieren und sich im Team zu überlegen, wieman Leistung und Betriebsklima energetisch pro-duktiv nach oben treiben kann.

Veränderung fängt bei einem selbst an. Sofernman keinen erweiterten Machtspielraum hat, umauch in die Managementetage zu wirken, bleibtdie Arbeit im und am eigenen Umfeld, um Posi-tivität zu ernten. Solidarisieren Sie sich mit posi-tiven Drehkreuzen, kommunizieren wenigstensSie konstruktiv, suchen Sie dankbar das Positive

in Ihrer Klinik und stärken Sie den Sinn Ihrermedizinischen Berufung durch positives Patien-tenfeedback und selbstbestätigendes Mental-training. Sie haben nicht umsonst Ihre Berufunggewählt.

TToobbiiaass IIlllliigg,, 37, ist Leiter des “Institut für Positives

Management”, das Beratung auf Basis von Positive

Organizational Scholarship anbietet. Zudem ist Tobias

Illig Dozent an verschiedenen Hochschulen, unter ande-

rem der Graduate School Rhein-Neckar und der SRH

Hochschule Heidelberg.

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