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Ralf von Appen Kein Weg aus dem Dilemma von Rock und Ironie. Die Musik in den Schriften Benjamin v. Stuckrad-Barres R Rock oder Ironie? Diese Wahl ist für Benjamin v. Stuckrad-Barre (“1975) und die Autoren, die mit ihm in Tristesse Royale vorgeben, ein »Sittenbild [ihrer] Generation«’ zu entwerfen, die wesentliche »Leitdifferenz«* zwischen zwei grundsätzlichen Lebens- haltungen unserer Zeit. Rock und Ironie - dies sind auch mögliche Kategorien zur Beschreibung der Musik, die Stuckrad-Barre in seinem Debütroman Soloalbum3 erklin- gen läßt und die dabei nicht nur als Illustration, sondern als Paradigma für mögliche Weltsichten dient. Ausgehend von einleitenden Bemerkungen zum Verhältnis von Pop- literatur und Popmusik und deren besonderer Verknüpfung bei Stuckrad-Barre möchte ich im folgendenam Beispiel von Soloalbum überlegen, welche Funktionen das umfangreiche Einbeziehen popmusikalischer Referenzen dort übernimmt und wofür die Musik steht, auf die sich der Autor dabei bezieht. Aus diesen Analysen ergeben sich dann Parallelen zwischen der propagierten Musikästhetik und der in Stuckrad-Barres Schriften erkennbaren literarischen Ästhetik, wodurch sich wiederum die grund- sätzliche Haltung des Autors seiner Zeit und seiner Kultur (pointiert also der Frage nach Rock oder Ironie) gegenüber erhellt - eine Haltung, von der ja viele meinen, sie bringe das Lebensgefühl zahlreicher Leser zum Ausdruck. Popliteratur und Popmusik I Seit ihrem Entstehen in den späten 1960er Jahren ist die sogenannte Popliteratur mit Popmusik verbunden. In Deutschland setzte Rolf Dieter Brinkmann, inspiriert von Autoren der Beat Generation, die ähnlich mit dem Bebop verfuhren, als erster Pop- musikverweise und der Popästhetik analoge Gestaltungsmittel ein, um (hierbei wieder- um von dem Postmoderne-Vordenker Leslie Fiedler angeregt) die Grenzen zwischen Hoch- und Popularkultur zu sprengen und dem verabscheuten Spießbürger-System l Joachim Bessing (Hg.), Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Jouchim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg, Benjamin von Stuckrad-Barre, Berlin 1999, S. 2, vgl. v. a. den Abschnitt Der Rock, S. 138-146. 2 Moritz Baßler, Der deutsche Pep-Roman. Die neuen Archivisten, München 2002, S. 132. 3 Benjamin v. Stuckrad-Barre, Soloalbum, Köln 1998.

Stuckard Barre Popliteratur

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pop knjizevnost, nemacka

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  • Ralf von Appen

    Kein Weg aus dem Dilemma von Rock und Ironie. Die Musik in den Schriften Benjamin v. Stuckrad-Barres

    R Rock oder Ironie? Diese Wahl ist fr Benjamin v. Stuckrad-Barre (1975) und die Autoren, die mit ihm in Tristesse Royale vorgeben, ein Sittenbild [ihrer] Generation zu entwerfen, die wesentliche Leitdifferenz* zwischen zwei grundstzlichen Lebens- haltungen unserer Zeit. Rock und Ironie - dies sind auch mgliche Kategorien zur Beschreibung der Musik, die Stuckrad-Barre in seinem Debtroman Soloalbum3 erklin- gen lt und die dabei nicht nur als Illustration, sondern als Paradigma fr mgliche Weltsichten dient. Ausgehend von einleitenden Bemerkungen zum Verhltnis von Pop- literatur und Popmusik und deren besonderer Verknpfung bei Stuckrad-Barre mchte ich im folgendenam Beispiel von Soloalbum berlegen, welche Funktionen das umfangreiche Einbeziehen popmusikalischer Referenzen dort bernimmt und wofr die Musik steht, auf die sich der Autor dabei bezieht. Aus diesen Analysen ergeben sich dann Parallelen zwischen der propagierten Musiksthetik und der in Stuckrad-Barres Schriften erkennbaren literarischen sthetik, wodurch sich wiederum die grund- stzliche Haltung des Autors seiner Zeit und seiner Kultur (pointiert also der Frage nach Rock oder Ironie) gegenber erhellt - eine Haltung, von der ja viele meinen, sie bringe das Lebensgefhl zahlreicher Leser zum Ausdruck.

    Popliteratur und Popmusik I

    Seit ihrem Entstehen in den spten 1960er Jahren ist die sogenannte Popliteratur mit Popmusik verbunden. In Deutschland setzte Rolf Dieter Brinkmann, inspiriert von Autoren der Beat Generation, die hnlich mit dem Bebop verfuhren, als erster Pop- musikverweise und der Popsthetik analoge Gestaltungsmittel ein, um (hierbei wieder- um von dem Postmoderne-Vordenker Leslie Fiedler angeregt) die Grenzen zwischen Hoch- und Popularkultur zu sprengen und dem verabscheuten Spiebrger-System

    l Joachim Bessing (Hg.), Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Jouchim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schnburg, Benjamin von Stuckrad-Barre, Berlin 1999, S. 2, vgl. v. a. den Abschnitt Der Rock, S. 138-146.

    2 Moritz Baler, Der deutsche Pep-Roman. Die neuen Archivisten, Mnchen 2002, S. 132. 3 Benjamin v. Stuckrad-Barre, Soloalbum, Kln 1998.

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    etwas Lebendiges, Rebellisches entgegenzusetzen.4 Doch beschrnkt sich das Prfix Pop I

    im Zusammenhang mit Literatur weder bei Brinkmann noch bei nachfolgenden Autoren wie Wolf Wondratschek, Rainald Goetz oder Thomas Meinecke nur auf Referenzen zu aktueller Musik. Wie die Popart thematisiert Popliteratur gegenwrtige Alltagskultur, sie zitiert Werbeslogans und die Boulevardpresse, bezieht sich auf Comics, Kinofilme, Soap-Operas oder Pornographie. Und nicht erst bei Alexa Hennig von Lange, Christian Kracht, Frank Goosen oder Benjamin Lebert stehen jugendliche oder postadolenszente Lebenswelten im Mittelpunkt, die von Sex, Rausch, Partys, der Suche nach dem intensiven Kick und der demonstrativen Abgrenzung von anderen durch Mode, Musik und Sprache geprgt erscheinen. Dazu kommen als weitere Pop- Aspekte die enorme Popularitt der Autorinnen und Autoren bei einem sehr heterogenen Publikum und die (damit verbundene) Geringschtzung durch Vertreter der brgerlichen Kulturkritik. Viele der genannten Autoren pflegen zudem ein Popstar- Image und vermarkten sich durch groe Medienprsenz und umfangreiche Lese- Tourneen.

    Funktionen der Musik in Stuckrad-Barres Soloalbum

    All diese Pop-Charakteristika finden sich in Werk und Person Benjamin v. Stuckrad- Barres konzentriert und gesteigert wie bei keinem zweiten: Soloalbum bezieht nicht nur wie das gewi als Anregung dienende Hicgh Fidelity5 des Briten Nick Hornby den Titel (und damit die Umschlaggestaltung mit Schallplattenabbildungen) aus dem Bereich der Popmusik. Die einzelnen Kapitel tragen zudem allesamt Songtitel der britischen Band Oasis und sind wie die Stcke einer LP in eine A- und B-Seite aufgeteilt. Sptere Bcher heien Livealbum und Remix, auf den Tontrgerverffentlichungen Live- recodings und Bootleg finden sich Lesungen dokumentiert.6 Auch in den Werbetexten wird extensiv auf das Vokabular der Popmusik zurckgegriffen. So habe der Autor die Texte aus seiner Zeit als (Musik-) Journalist, die in Remix eine Zweitverwertung finden, nachgebessert (Sound! Rhythmus! Refrains!) , so da gestraffte Single-edits und angereicherte Maxi-Versionen entstanden seien, die das Buch zu einer kompakten

    4 Vgl. Leslie A. Fiedler, berquert die Grenze, schlie$t den Graben! ber die Postmoderne [Cross the border, close the gap, 19681, in: Wolfgang Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne. Schlsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Berlin 1994, S. 57-74. Zum Verhltnis Brinkmanns zur Rockmusik vgl. Jan Rhnert, Meine blauen Wildlederschuhe. Notizen zu Rolf Dieter Brinkmann und der allmhlichen Vernderung von Poesie nach dem Hren von Rockmusik, in: Titel. Magazin fr Literatur und Film, http://www.titel-magazin.de/lit-themen/rockinwortl.htm (Zugriff am 07.03.2004) und Baler, Der deutsche Pop-Roman, S. 164-165.

    5 Nick Hornby, High Fidelity, Kln 1996 [London 19951. 6 Benjamin v. Stuckrad-Barre, Livealbum, Kln 1999; ders., Remix, Kln 1999; ders., Liverecordings,

    Hrverlag 1999; ders., Bootleg. Mundraub, Hrverlag 2000.

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    Best-of-Sammlung machten.7 Rein uerlich empfehlen sich die Publikationen damit einer Zielgruppe, die gemeinhin weniger Bcher als Pop-CDs kauft. Doch die Bezge bleiben natrlich nicht uerlich; schon das Setting von Soloalbum ist von Popmusik geprgt und auch das Thema ist ein in tausend Songs besungenes:

    In Soloalbum erleben wir einen dem Autor in einigen biographischen Details gleichenden Ich-Erzhler, der von seiner Freundin verlassen wurde und darber nur langsam hinwegkommt. Diese Minimalhandlung bildet den Rahmen fr allerhand pointierte Alltags- und Selbstbeobachtungen, fr beilufige Kulturanalysen und Szenebeschreibungen voller Schrfe und Humor. Das namenlose Ich fhrt uns durch seine nur halbherzig verfolgten Berufe als Musikjournalist und Angestellter eines Musiklabels (eben diese Positionen bekleidete Stuckrad-Barre beim deutschen Roliing Stone und bei Motor Music), wir folgen ihm in Plattenlden, auf Konzerte, einige Partys und einen Rave. Als frisch Verlassener betrachtet er seine Umwelt zumeist als reflektierender Auenstehender, der sich mit nichts wirklich identifiziert und voller Spott vermeintliche Fehltritte sthetischer (v. a. modischer, sprachlicher und musika- lischer) Art in seiner Umgebung beschreibt.

    Insgesamt werden in Solodbum 108 Musiker oder Bands erwhnt. Bei der neutralen Nennung bleibt es allerdings in keinem der Flle, immer bezieht der Ich-Erzhler in Stil- und Geschmacksfragen dezidiert Stellung. Seine Favoriten sind dabei Oasis und \ die Pet Shop Boys. Von ersteren ist an sechzehn Stellen im Buch die Rede, letztere werden siebenmal genannt. Der Ich-Erzhler ist begeisterter Fan, er kauft seltene Vinyl-Pressungen, obwohl er keinen Plattenspieler besitzt, und reist zur Verffent- lichung einer neuen Oasis-Single eigens nach England. Die im Buch genannte Musik kann dem kundigen Leser also zunchst einmal dazu dienen, die Hauptfigur und seine Lebenswelt zu charakterisieren. Zudem liefert sie eine Identifikationsmglich- keit.

    Ebenso sehr werden ber Musik auch die Nebenfiguren bzw. die Einstellung des Protagonisten ihnen gegenber beschrieben. In amsanter berspitzung wird geschildert, wie schnell und umfassend der Ich-Erzhler polemisch vom Musik- geschmack auf kleinste Details der Persnlichkeit Rckschlsse zieht oder wie er umgekehrt aus Redewendungen oder Kleidungsaufflligkeiten die favorisierten Gruppen der Beobachteten zu erkennen glaubt. Dabei entscheidet der Musik- geschmack rcksichtslos ber Verachtung:

    _I_~~ ~---l-l... _, ; _- 7 Stuckrad-Barre, Remix, S. 3. Zudem verffentliche Stuckrad-Barre jngst eine Autodiscugraphie be-

    titelte CD-Compilation mit Pop-Songs, die sein Leben begleitet haben. 8 Bei diesen Zahlen verlasse ich mich auf Helmut Obst, Der deutsche Pep-Roman und die Postmoderne

    seit 1990. Dargestellt an Erzhlprosa von Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre und Benjamin Lebert, Diplomarbeit (Studiengang ffentliche Bibliotheken), Hochschule der Medien, Stuttgart 2002, s. 31.

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    zunchst ein vornehmer Martini-Cocktail, der zu den modernen Platten, den fran- zsischen Zeitschriften und dem chicen Ambiente pat -, parallel gefhrt: Wir trinken weiter, jetzt, da die Gitarren einmal lrmen, ist es wohl auch o. k., wenn ich den Zahn- stocherschei stehen lasse und Bier trinke.17 Hier wie an anderen Stellen mokiert sich der Ich-Erzhler ber genau solche Distinktionsbemhungen, die er selbst auch stndig unternimmt - ein kalkulierter Widerspruch, ber den spter noch zu sprechen ist.

    Stuckrad-Barre verzichtet auf wortreiche Beschreibungen der Stcke, mit denen er Korrespondenzen von Musik und geschilderter Atmosphre erreichen will. Er setzt die Songs als bekannt voraus und erreicht auf diese hchst effiziente, wenngleich alles andere als subtile Methode durch bloe (auch gehufte) Nennung von Musikern, Titeln oder kurzen Textzitaten lebendige, gut nachvollziehbare Charakterisierungen von Situationen?

    Wieder im Hamburger Hauptbahnhof kaufe ich die Radiohead-Platte mit Creep drauf [ . . .] . Ich hre das Lied den ganzen Tag lang und fhle mich auch so.19

    Ein solches Verfahren kann nur funktionieren, sofern eine gengend groe Leserschaft mit den genannten Titeln vertraut ist. Die Wahl von Beispielen aus dem Popmain- stream garantiert dies (zumindest im Hinblick auf die junge Zielgruppe) wie kein zweites kulturelles Produkt.

    Die Personen- und Situationscharakterisierung durch Musik ist in der Literatur kein auf3ergewhnliches Verfahren. Selten wird es allerdings (selbst im Kontext der jngeren Popliteratur) so extensiv, kenntnisreich und lesergruppenspezifisch eingesetzt, selten dient Musik auch so stark der Gliederung, der Handlung und dem Ansprechen speziel- ler Zielgruppen. Origineller und damit noch interessanter ist allerdings Stuckrad- Barres Einsatz von Musik als Paradigma fr bestimmte Lebenshaltungen, von dem die beiden folgenden Abschnitte handeln.

    Stuckrad-Barres Musiksthetik: Die Unertrglichkeit des Rock

    Um die Musiksthetik zu verstehen, mit der der Ich-Erzhler sich identifiziert, ist es hilfreich, sich ihr zunchst einmal von den musikalischen Feindbildern her zu nhern. Besonders ablehnend steht der Protagonist (neben Musikern wie Pur, Wolfgang Petry oder Modern Talking, die kein Mensch in Stuckrad-Barres Alter hren kann, der sich als cool und intelligent prsentieren will) Bruce Springsteen, Neil Young, Rage against the machine, Pearl Jam, U2 und den Toten Hosen gegenber, ohne dabei jemals Argu-

    7Ebd. l8 Dies beginnt bereits bei den als Kapitelberschrift dienenden Songtiteln, die in einigen Fllen die

    emotionale Stimmung des folgenden Textes ankndigen (Dont Look Back in Anger, Its Getting Betier (Ahn!!)).

    l9 Stuckrad-Barre, Soloalbum, S. 117.

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    mente zu nennen. Gemeinsam ist allen, da sie sich und ihre Musik sehr ernst nehmen, sich politisch uern und ihre Musik als Mglichkeit sozialen Engagements ansehen. Sie gelten gemeinhin als authentisch, man glaubt also, da sie ihre Kunst aus Berufung und Leidenschaft ausbten, da sie ,ihren Wurzeln treu blieben, Distanz zu Industrie und Markterfordernissen wahrten, da ihre Musik ,ehrlicher Ausdruck ihrer besonderen Persnlichkeit sei. Genau dies sind die Werte, mit denen sich seit den spten 1960er Jahren die ,knstlerische, ,gegenkulturelle Rockmusik (wie sie Brink- mann favorisierte) von der als kommerziell, unehrlich und oberflchlich verurteilten Popmusik abzugrenzen versucht. Fr Stuckrad-Barre (hier darf man, wie sich zeigen wird, die Stimme des Ich-Erzhlers mit der des Autors gleichsetzen) ist dies die Musik der Elterngeneration und der in vielen Texten parodierten Hippies. Statt ihrer folgt er einer sich seit den frhen 1980er Jahren verbreitenden Pop-sthetik, die die Rock- sthetik angesichts neuer Technologien, der Allmacht musikindustrieller Einflu- nahme und der sozialen wie wirtschaftlichen Etablierung der ehemals Gegen- kulturellen als heuchlerisch und veraltet kritisiert. Oder wie Stuckrad-Barre in einem Ich birt kein Rockist betitelten Interview formuliert: Eine Band, die heute Gitarren benutzt, braucht einen guten Grund.20

    In Tristesse Royale steht diese Rockmusik paradigmatisch fr die Sehnsucht nach Ehrlichkeit21, fr Eigentlichkeit und klare Positionierung auf festem Grund 22 , fr die Angst, da alles so bleiben soll, wie es ist, wie es gut ist.23 Besonders gehssig fhrt Stuckrad-Barre all die verachteten Rock-Werte in seiner Rezension des Romans Der Boden unter ihren Fiiaen (1999) vor, den Salman Rushdie in der Rockszene spielen lt:

    , Als Kind hat Rushdie Luftgitarre in Bombay gespielt, er liebt schnelle Autos, und wahrscheinlich steht er in Rockkonzerten am Tresen, trgt ein Hard-Rock-Cafe- Bombay-T-Shirt, schnauft und schreit, bis ihm die Brille beschlgt [. . .]. Da Rushdie verklrt ber Musik und deren Attitde denkt, die der Soundtrack seiner Adoleszenz war, ist logisch; doch statt die dieser Musik zuhauf anhaftenden Klischees einer neuen Idee zu unterstellen, fllt Rushdie komplett darauf hinein. [, ..] Sein rockistisches Vokabular gereichte einem Jon Bon Jovi zur Ehre, und so lesen wir von Monster-Riffs, wahnsinnigen Schlagzeugern und konkurrierenden Gitarren [. . .]. Doch an die revolutionre Kraft von Rock glaubt auch Rushdie immer noch, gibt jedoch kleinlaut zu Protokoll, mit neuer Musik bei allerbestem Willen nichts

    2o In: Lars Christiansen/Uli Seiter, Ich bin kein Rockst, in: WOMJournal Nr. 209 (Januar 2002), S. 22-25. Zur Unterscheidung dieser zwei Wertsysteme vgl. Simon Frith, Art Ideology and Pep Pructice, in: Cary Nelson/Lawrence Grossberg (Hg.), Murxism and the Interpretation of Culture, Houndmills 1988, S. 461-475.

    21 Christian Kracht in: Bessing (Hg.), Tristesse Royale, S. 139. 22 Baler, Der deutsche Pep-Roman, S. 133 u. 124. 23 Eckhart Nickel in: Bessing (Hg.), Tristesse Royale, S. 140.

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    von Frankie Valli als Teen-Pop Ballade, von der Boys Town Gang als Disco-Stck inter- pretiert) zu einem beraus weltlichen Dance-Medley. Dabei bekommt das Lied einen homosexuell zu deutenden Subtext, der sich brigens in vielen ihrer Stcke nachweisen lt.28

    Nun haben Oasis und die Pet Shop Boys musikalisch allerdings rein gar nichts gemein. Oasis spielen in klassischer Rockbesetzung, orientieren sich in Harmonik, Songaufbau, Melodik und Instrumentierung stark an Prototypen klassischer Rock- musik und prsentieren sich als biertrinkende, fuballiebende, spa- und streitschtige Radaubrder. Was ist also der gute Grund, aufgrund dessen unser Autor ihnen erlaubt, Gitarren zu benutzen?

    Wie die Pet Shop Boys reagieren Oasis mit ihrer Musik auf die bermchtige Bedeutung der kanonisierten Helden der spten 1960er Jahre. Whrend sich die Pet Shop Boys aber (typisch fr die 1980er Jahre) konsequent durch Ablehnung positionieren, plndern Oasis (typisch fr die Retro-Trends seit den 1990ern) das Rock-Erbe willkrlich fr ihre eigenen Zwecke. Sie zitieren und kopieren Versatzstcke und bekennen sich in einer Zeit der verlorenen Unschuld offen zu diesem Verfahren (das man im Sinne Umberto Ecos, weniger aber dem allgemeinen Sprachgebrauch nach als ironisch bezeichnen knnte).29 So beginnt Dont Look Back In Anger mit den Akkorden von John Lennons Imugine, ohne sich inhaltlich auf das politische Stck zu beziehen, All Around The World ist offensichtlich an Hey Jude von den Beatles ange- lehnt. Be Here New, der Titel der dritten CD der Band zitiert einen berhmten Len- non-Ausspruch, so wie das Album-Cover zahlreiche Verweise auf The Who und The Beatles in sich birgt3 Bei aller musikalischen Vergangenheits-orientierung ber- nehmen Oasis aber nie die von Stuckrad-Barre als Ideologie kritisierten Aspekte der Rock-sthetik. Sie engagieren sich nicht politisch, glauben nicht an Rock als Gegen- kultur, halten sich nicht fr genialische Knstler, die auerhalb der Gesellschaft stehen und gar nicht anders knnen, als ihre besondere Persnlichkeit ohne kommerzielles

    28 Vgl. Mark Butler, Tuking it seriously: intertextuality and authenticity in two covers by the Pet Shop Boys, in: Pupt&- Music 22:l (2003), S. l- 19; vgl. auch Ian Balfour, Queen Theory: Notes on the Pet Shop Boys, in: Roger Beebe/Denise Fulbrook/Ben Saunders (Hg.), Rock Over the Edge. Transformations in Popular Music Culture, Durham/London 2002, S. 357-370.

    29 Umberto Eco, Postmodernismus, Ironie und Vergngen, in: Welsch (Hg.): Wege aus der Moderne, S. 75-78, hier: S. 76. Ironisch bedeutet in diesem Sinne nicht, da Oasis nicht vollstndig hinter dem stnden, was sie verkrpern.

    3o So hat z.B. der in einem Swimmingpool versenkte Rolls Royce das gleiche Nummernschild wie ein Auto auf dem Abbey Road-Cover der Beatles. Im Song DYou Know Hat 1 Mean werden die Beatles- Titel The Fool On The Hill und 1 Feel Fine innerhalb von einer Textzeile genannt, ohne daI3 dafr ein anderer Grund als der Wille zum Zitieren ersichtlich wre. Das Album endet mit verhallten Schritten und einer zuschlagenden Tr: dem Beginn des Songs We Love You der Rolling Stones, bei deren Im Free sie wiederum tchtig fr Whatever geklaut haben. Fade Away bernimmt die Strophe von Wham!s Freedom, Cigurettes Q Alcohol borgt bei T.Rex Get It On. Die Beispiele knnten endlos wei- tergefhrt werden,

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    Interesse zum Ausdruck zu bringen. * Statt dessen sehen sie ihre Musik als bloe Unterhaltung und stehen zu ihren finanziellen Interessen:

    What else is there? 1 get the money, you get the records. Thats the deal. We wanted any- body to listen to our records and still do. [. . . ] 1 dont really like to write about anything too personal in the music, Cause 1 feel that thats private and the music should be enter- tainment. Im certainly not the kind of person that would sit down and discuss my Problems with the general public. We make Party music anyway, its not therapy.31

    Um Stuckrad-Barres Musiksthetik zusammenzufassen, kann sie vorerst unter Vorbehalt mit dem Begriff Postmoderne in Verbindung gebracht werden. Aus dieser Perspektive interpretiert, sind die Pet Shop Boys und Oasis uneigentliche ,Post-Bands, die ohne den Bezug auf die klassisch gewordenen Erneuerer der vorangegangen Generation nicht denk- bar sind und deren Musik daher (hnlich der postmodernen Architektur) zitathaft und auf verschiedene Art ironisch mit ,verbrauchtem Material spielt, die sich um Popularitt bemhen und kommerzielle Interessen offen eingestehen, die aber andererseits den (modernen) moralisch rigorosen Ansprchen nach Aufklrung und Wahrhaftigkeit nicht mehr ohne weiteres folgen knnen und wollen. Die Pet Shop Boys bernehmen dabei den Part der intellektuellen Doppelagenten (Fiedler), die lyrische Qualitt, avantgardistische Musikvideos, ironische Gesellschaftskritik oder homosexuelle Emanzipation mit ein- gngigen Disco-Stcken verknpfen und dementsprechend unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. In diesem Sinne schaffen sie Pep-Art, so der Titel einer aktuellen Compi- lation. Mit Oasis dagegen kann man sich von Intellektuellen hervorragend abgrenzen (Stuckrad-Barre lstert in seinen Texten immer wieder ber Studenten). Sie stehen abge- sehen von allen postmodernen Merkmalen (durch die sie sich fr Stuckrad-Barre legitimieren) auch fr das Verlangen nach ironiefreier Unmittelbarkeit, fr Spafi und kompromiloses Fan-Sein, fr Prellerei und Do?enbier und berhaupt auch Schweinerock32, fr Coolness und Arroganz, fr angenehmen Zeitvertreib ohne mit- gelieferte Ideologie: Groartige Jungen-Band; haben nichts zu sagen, aber das sagen sie laut.33

    Stuckrad-Barres Literarsthetik: Die Unertrglichkeit der Ironie

    Parallel zu den postmodernen Tendenzen in der bevorzugten Musik lieen sich problemlos Merkmale des Postmodernen in Stil und Inhalt von Stuckrad-Barres Texten finden.34 Das

    31 Noel Gallagher, Hauptkomponist der Band, in der TV-Sendung Music Planet 2nite, gesendet auf arte am 23. April 2002,23.15-0.00 Uhr.

    32 Stuckrad-Barre, Soloalbum, S. 243. 33 Silke Schnettler, Mein Bauch ist der Nabel der Welt. Benjamin von Stuckrad-Barre macht in einem

    Roman allein Musik und sorgt sich um seine schlanke Linie, zit. n. http://www.welt.de/daten/l999/01/09/01091w58786.htx, (Zugriff am 01.06.2004).

    34 Vgl. Carsten Gansel, Adoleszenz, Ritual und Inszenierung in der Pop-Literatur, in: Text + Kritik Sonder- bund Popliteratur (Mnchen 2003), S. 234-257; Thomas Jung, Die Geburt der Popliteratur aus dem

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    Spiel mit Zitaten, Intertextualitt, das Verwischen der Grenzen zwischen Realitt und Fiktion sowie zwischen verschiedenen Textgattungen, das Interesse am Beschreiben von Oberflchlichem, das Nebeneinander von elaboriertem Stil und Comic-Sprache, die enge Kooperation mit der ,Kulturindustrie, insbesondere aber der in Soloalbum beschriebene Mangel an moralischer Orientierung, eigener Identitt und eigenem Standpunkt des Protagonisten (die man hufig blind auf den Autor bertrgt) werden als Argumente fr die Postmodernitt Stuckrad-Barres angefhrt und oft zugleich als Aufhnger fr ver- nichtende Kritik genutzt:

    Nichts gilt mehr in diesem Buch, sogar die Feststellung, daf3 nichts mehr gilt. [. . .] Was sich ironisch gibt und sich sogar selbst als von Stereotypen geleitet zu kritisieren vorgibt, ist unter seiner metareflexiven Hlle eine reaktionre Tirade ohne eigenen Standpunkt.35

    Joachim Bessing, Benjamin von Stuckrad-Barre und die anderen Hardcore-Popliteraten geben in ihren Gesprchen in Tristesse Royal [sic] denn auch zu erkennen, da man an den klassischen ethischen Werten einer Aufklrungstradition nicht mehr interessiert ist. Man hat sich, auch als Knstler und Literat, in das Ghetto der postmodernen Beliebig- keit - um nicht zu sagen Indifferenz - zurckgezogen und gibt sich berzeugt antiauf- klrerisch. Letzteres impliziert eine antiemanzipatorische und in gewissem Sinne ant- isolidarische Grundhaltung, die die Literatur nurmehr als zirzensische Selbst- bespiegelung und letzten Ende [sic] als Vermarktungsoption instrumentalisiert.36

    Doch unabhngig von der Frage nach der Postmodernitt hat, wer Stuckrad-Barre fr indifferent, affirmativ oder gar antiaufklrerisch hlt, dessen Absicht nicht verstanden. Er bt schlicht eine andere Form der Kritik, eine Form, die sich bewut vom offenen Pro- test (hufig verbunden mit erhobenem Zeigefinger) der Eltern-/ 1968er-Generation abgrenzt. So antwortet er im Gesprch mit Walter Kempowski auf dessen Frage, ob er ein Moralist sei, ob er aus einer Art Verzweiflung heraus schreibe, weil er sich die Welt besser vorstelle, mit Worten, die Adornos htten sein knnen: Unbedingt. Das Nichteinver- standensein ist ein Hauptauslser. 37 Und in Tristesse Royale stellt er, nachdem er seine knstlerisch, nicht inhaltlich begrndete Abneigung gegenber explizite [ r] Form von politischem Protest38 zum Ausdruck gebracht hat, der Runde die Frage, ob es dann

    --l~--- ,-c In Geiste von Mozart und MTV Anmerkungen zu Benjamin von Stuckrad-Barres Roman Soloalbum, in ders. (Hg.), Alles nur Pop?Anmerkungen zurpopulren und Pep-Literatur seit 1990 (Osloer Beitrge zur . Germanistik Bd. 32), Frankfurt/M. 2002, S. 137- 156.

    35 Mathias Mertens, Robbery, assault, and battery. Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre und ihre mutmaJ3lichen Vorbilder Bret Easton Ellis und Nick Hornby, in: Text + Kritik Sonderband Pop- literatur (Mnchen 2003), S. 201-217, hier: S. 211.

    36 Thomas Jung, Vom Pep international zur Tristesse Royal [sic]. Die Popliteratur, der Kommerz und die postmoderne Beliebigkeit, in ders. (Hg.), Alles nur Pep?, S. 29-53.

    37 Stuckrad-Barre in: Adrian0 Sack, Wahrheit als Dichtung. Zwei deutsche Chronisten ber ihr Land: Walter Kempowski, 73, und Benjamin von Stuckrad-Barre, 27, ber die tgliche Bilderflut, die Suche nach Moral und den Verwandlungsknstler Gerhard Schrder, in: Welt am Sonntag vom 27.01.2002, zit. n. http://www.stuckrad-barre.de/bvsb/presse.html#, (Zugriff am 30.01.2004).

    s8 Stuckrad-Barre in: Bessing (Hg.), Tristesse Royale, S. 107.

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    . noch ntig und mglich [sei], sich in Wort oder Ton politisch zu artikulieren, worauf er selbst antwortet:

    Politische Witze, in der Form, wie sie etwa Harald Schmidt zu machen versteht, bleiben fr mich allerdings ntig. Er ist ein groer Aufklrer. [ ,..] So ist dann politisches Witzemachen mglich; also in der Verweigerung des Kommentars. Ledig- lich im Abbilden von dem, was wir sehen.39

    An anderer Stelle konkretisiert er, da ihm dies auch als Ziel seiner schriftstellerischen Arbeit vorschwebt:

    Ich mchte weg von den Meinungstexten, das ist langweilig und doof. Ich beschreibe lieber, was ich sehe, und lasse das dann fr sich sprechen. Meine Aufgabe als Autor ist eigentlich nicht das Schreiben, sondern vielmehr das Sammeln. [. . .] Ich halte es mit Heiner Mller: Alles ist Material. Ablauschen, aufschreiben, kommentarlos verlesen. Leute ber ihre Sprache zu charakterisieren, verrt mehr ber Sozialverhalten, Bildung und Interessen als Beruf, Frisur und Kontostand. Die Wahrheit ist md;ist grauselig. Ich begreife die Welt nicht, also beschreibe ich sie lieber bruchstckhaft.

    Nach genau diesem Prinzip verfhrt der Autor in Soloalbum, wo er minutis beschreibt und pausenlos kritisiert, aber nie explizit einen konstruktiven Standpunkt bezieht, sondern ganz offensichtlich vieles, worber er spottet, wenige Seiten spter an sich selbst ironisch aufdeckt (mit unserem Tun haben wir uns doch alle vollkommen der Ironie unterworfen41). Dabei gibt es viele Momente, in denen (ber-) Affirmation ironisch als Abgrenzung von der orthodoxen Protestkultur eingesetzt wird. Eigentlich kann Stuckrad-Barre diese Ironie-Industrie42 aber nicht mehr ausstehen, wie er in Tristesse Royale und dem aus dem gleichen Jahr stammenden Text Ironie bekennt:

    39 Ebd., S. 108. Vor seiner schriftstellerischen Karriere hatte Stuckrad-Barre als Gagschreiber fr die Harald-Schmidt-Show gearbeitet. Er berichtet davon in Rem& S. 59-68. Analog he& es dort ber Schmidts Interviewstrategie: Am Ende ist es bser - und zugleich aufklrerischer -, jemanden ein- fach reden zu lassen, statt ihn penetrant mit seiner Stasi-Akte vor der Nase rumzuwedeln. Denn da htte der Fernsehzuschauer nur Mitleid mit dem schwitzenden Befragten, und die intendierte Wirkung verkehrte sich ins Gegenteil. (ebd., S. 64)

    4O In: Frank Frey, )jJeder Depp hat ein Buch . Pop-Poet Benjamin von Stuckrad-Barre geht nicht ber Los, sondern begibt sich direkt in die Scheipe, in: Unicum 12/1999, zit. n. http://www.unicum.de/archiv-u/u- 12-99/ccl-1299.htm (Zugriff am 17.05.2004).

    41 Stuckrad-Barre in: Bessing (Hg,), Tristesse Royale, S. 146. 42 Dirk Frank, Die Nachfuhren der Gegengegenkultur: Die Geburt der Tristesse Royale aus dem Geiste

    der achtziger Jahre, in: Text + Kritik Sonderband Popliteratur (Mnchen 2003), S. 218-233, hier S. 219 u. 223. An anderer Stelle heit es dort: Wer sich in den spten achtziger Jahren die real erlebten oder auch nur vom Hrensagen bekannten Betroffenheits- und Engagiertheits-Diskurse der sechziger und siebziger Jahre sprachlich vom Leib halten wollte, reagierte darauf mit Anti-Hippie-Witzen, politischen Unkorrektheiten oder einer Parodie des alternativen Jargons (ebd., S. 222) - all dies findet man bei Stuckrad-Barre, der von sich sagt, er sei friedensbewegt aufgewachsen, habe zutiefst sozialdemokratische Eltern (Bessing (Hg.), Tristesse Royale, S. 104) und sich seinen korn- munistischen Kunstlehrer [. . .] mit neokonservativem Spott vom Leib gehalten (ebd., S. 122).

  • R. v. Appen: Kein Weg aus dem Dilemma von Rock und Ironie 165

    Die Ironie wurde uns noch umbringen. Inzwischen war ja jedermann ironisch, man bekam [. . .] nur noch ironische Ausknfte. Wre das Leben eine Bruchzahl, dann wrde man all die Ironie unterm und berm Strich einfach wegkrzen knnen, um danach etwas klarer zu sehen.43

    Generell mchte ich feststellen, da Selbstironisierung immer schlechte Produkte zur Folge hat. Selbstironisches Musikmachen oder Anziehen sind mglicherweise immer noch erklrbar, aber nie wieder gut.

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    Letztlich wird das stndige Ironisieren aller Aussagen zur ebenso unertrglichen Alternative erklrt wie der Rock, die obsolet gewordene Eigentlichkeit(q4, von der man sich damit abzugrenzen versucht. Aus dem Dilemma von Rock und Ironie fhre aber, so die Autoren, kein Weg hinaus; man wolle sich fr keine der beiden Grundhaltungen ent- scheiden, doch eine dritte gbe es nicht:

    du wirst deinen eigenen Gefhlen gegenber eine ironische Haltung einnehmen, um dir selbst nicht unangenehm zu werden, nicht mit dir selbst in einen Konsens zu geraten. Oder du begibst dich in die Mhlen des Rock, dann kannst du ewig leben oder zumindest eine fr dich nachvollziehbare Existenz fhren. Das ist doch eine Spirale, die schlimmer niemand schauen knnte. [. . .] Jetzt mochte ich wissen: Wer von uns entscheidet sich fr die komplette Ironisierung, wer fr den Rock?46

    Schaut man auf Stuckrad-Barres Texte, so scheint er seinen Umgang mit diesem Dilemma eben darin zu sehen, auf jegliche Entscheidungen und eindeutige Zuord- nungen zu verzichten und dabei die Ironie in spteren Texten zunehmend zu reduzieren. Schon in SoloaLbum bildet er Beobachtetes kommentarlos ab und deckt Widersprche im eigenen Text offen auf. Diesem oben erklrten Ideal kommt er in Deutsches %ateY7 dann noch nher, indem er das Land und seine Gesellschaft dort ohne Selbstironie anhand akribisch beobachteter Alltagssituationen beschreibt, ohne SchluI3folgerungen zu ziehen. Dieses photographische Verfahren entspringt nicht etwa Affirmation oder Indifferenz, sondern zum einen dem verloren gegangenen Glauben an expliziten Protest (Ich mische mich durch meine Arbeit ein, das reicht ja voll- kommen, so Stellung zu beziehen. Da muss ich nicht auch noch ,Willy whlen drun- terschreiben, hoffe ich48), zum anderen einem ehrlichen Kapitulieren vor der zuneh- menden Komplexitt der Welt (Die Menschen, die lssig drber stehen und zu allem gleich eine Meinung haben, sind mir verdchtig49). Aus diesen Texten spricht zweifelsohne Nichteinverstandensein, aufklrerischer Anspruch ist durchaus erkenn- 43 Stuckrad-Barre, Rem& S. 84. 44 Stuckrad-Barre in: Bessing (Hg.), Tristesse Royale, S. 29. 45 Baler, Der deutsche Pep-Roman, S. 133. 46 Bessing in: ders. (Hg.), Tristesse Royale, S. 144-145. 47 Benjamin v. Stuckrad-Barre, Deutsches Theater, Kln 2001. 4s Stuckrad-Barre in: Anne Philippi/Kristof Schreuf, Remix - Remodel. Bcher, die in Mode sind, in:

    Rolling Stone (dt.) Nr. 60 (Oktober 1999), S. 77-79, hier: S. 78. 49 Stuckrad-Barre in Sack, Wahrheit als Dichtung, ohne Seitenangabe.

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