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STUDI VERSUM NUMMER 39  | 2011.05 Chaos STUDIS UND IHRE HORROR-JOBS 15 EIN MESSIE ERZäHLT 04 DIPLOMURWALD 09 SMARTES NETZWERK? 34

StudiVersum #39

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«Das Gneie übirbeklct das Caohs» – smiot leierft ecuh die SuersdtiVum-Rdktiaoen eenin Gniietrseech. Ich bin zerzuit für ein Eaumsrs-Stmeeser an der Unsiäveritt Hmrbuag und hbae bei dieesr Aguabse mneie Hdnäe aus dem Speil gseaseln.

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Page 1: StudiVersum #39

STUDIVERSUM

NUMMER 39 | 2011.05

ChaosSTUDIS UND IhRE hoRRoR-JobS 15EIN MESSIE ERzählT 04DIploMURwalD 09 SMaRTES NETzwERk? 34

Page 2: StudiVersum #39

Erst denken,dann drehen.Federico, Speedcuber & Rivellutionär

lang-lebe-anders.ch

ERFRISCHE

DEINENGEIST!

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Page 3: StudiVersum #39

25  STUDIVERSUM | 2011.05

21 LIEBLINGSDING

waRUM Ich MEINE gIESSkaNNE lIEbE

15 UMFRAGE

waS waR DEIN MIESESTER Job?

14 AUS DEM LEBEN

DaS Volk MoTzT

06 ATELIER

aSTERISk UND S-kURVEN 17 DAS UNIKAT

DEIN SchIlDERwalD!

03 WISSENSCHAFT

kENN Ich SchoN?

09 UNIPOLITIK DIploM-chaoS

34 REPORTAGE ThE SocIal TElEVISIoN

13 UNTERHALTUNGIMpRESSUM, RäTSEl

08 DIE FLOTTE 3ER-WG FRaUEN bEgaFFEN wIll gElERNT SEIN

19 WIE ANNO DAZUMAL

kEIN «pUFF» MEhR

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Unser Hirn tickt anders

Eingebrochenes Mosaik

Kranke Züge isolieren

Chaos in der Wissenschaft?

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Erst denken,dann drehen.Federico, Speedcuber & Rivellutionär

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Lbeie Leenrisnen und Lseer, «Das Gneie übirbeklct das Caohs» – smiot leierft ecuh die SuersdtiVum-Rdktiaoen eenin Gniietrseech. Ich bin zerzuit für ein Eaumsrs-Stmeeser an der Unsiäveritt Hmrbuag und hbae bei dieesr Aguabse mneie Hdnäe aus dem Speil gseaseln. Mal shucean, ob in Zrcüih das Coahs auricbsht…

Aebr was, wnen das Coahs gnaz asuesr Knlorotle greät? Dominic Illi hat ein Taem bhcesut, das aelilne der Vrinnederuhg von Caohs denit.

Und – hbean wir das nciht scohn mal ghebat? Djéà Vus göehren zu urrsenem Lbeen – dcoh wie kmoemn sie zu Sntdae? Uli Hahn hat ncah Ucesarhn ghsucet.

«Coahs» knan aebr acuh aus eneir rien wsesin-scheltfichan Pitrsekepve bteeulchet wreedn – Filip Dingerkus bwesiet es.

Uns ist bei dseier Agubase kalr gdorewen: Cahos msus nhcit nur Udnrnunog oedr Klotnorlveslurt bdeetuen – Coahs ist Lbeen!

Veil Gcülk für die Pgüfrneun wcnshüt euch die gstamee Rdiateokn!Erue Rleaffaa Amntsnnga

EDITORIAL | INHALT

Page 4: StudiVersum #39

21 STUDIVERSUM | 2011.05

«was ist zufriedenstellender als einen guten kaffee zusammen mit den Sonnenstrahlen zu geniessen? – Das wasser wird verteilt und der Tag beginnt.»

Dominik Zietlow, 22, studiert Fotografie an der Zürcher Hochschule der Künste

waRUM Ich MEINE gIESSkaNNE lIEbELIEBLINGSDING

Page 5: StudiVersum #39

15 STUDIVERSUM | 2011.05

waS waR DEIN MIESESTER Job?Studenten eilt der Ruf voraus, immer in Geldnot zu sein. Wer nicht ganz von der elterli-chen Unterstützung abhängig sein kann oder möchte, hilft sich mit Nebenjobs über die Runden, die nicht immer Spass machen. Wir haben die Studenten der Uni Bern gefragt, welchen Nebenjob sie nicht nochmal machen wollen. r Text und bild claudia piwecki

«alle meine bisherigen Jobs waren nicht das wahre. Deshalb hab ich mich entschieden, doch noch an die Universität zu gehen und zu studieren.»

Sibylle Naef, 24, Archäologie

Christof Buob, 21, Jus«Ich hab mal bei einem catering Service in St. Moritz gearbeitet, beim schicken poloturnier auf dem See. Und bei der Müllabfuhr. aber das catering war definitiv schlimmer!»

«Im Service bei dem berner gastrounterneh-men ‹gutgelaunt›. Ich war da gar nicht so gut gelaunt und hab nach zwei Monaten wieder aufgehört, weil es mir nicht gefallen hat.»

«als ich mal geld gebraucht habe, weil ich winterferien machen wollte, hab ich bei einer promotionsfirma gearbeitet und bin durch die cafés gezogen, um zigaretten zu verkaufen. Ich als Nichtraucher konnte da gar nicht dahinter stehen!»

«als ich 18 war, hab ich in den Ferien zwei wochen lang ein Schulhaus geputzt. Einmal und nie wieder!»

«In der Migros an der kasse zu arbeiten ist ein Job, den ich hoffentlich nicht mehr machen muss.»

«Ich hab mal passantenbefragungen gemacht. Den ganzen Tag wildfremde Menschen ansprechen, davon hatte ich schnell genug.»

«Sofern das als Job gilt: das Militär!»

«Ich war mal hinter der bar bei einer Jubiläums-party von so einem partyfoto-guide – weiss nicht mehr welcher. Die party war ab 16… ganz schlimm!!»

Noemi Trachter, 21, Psychologie

Dimitri Buddeke, 26, VWL

Miriam Werz, 19, Psychologie

Helen Walz, 23, Psychologie

Maria Ingold, 21, Jus

Nicolas Leu, 20, Jus

Robin Ochsner, 26, Jus

UMFRAGE

Page 6: StudiVersum #39

AUS DEM LEBEN

À – aaD – aak: ÜbUNg IM SchaUMSchlagEN Bullshit der; -s ‹engl.›: (salopp abwertend) Unsinn, dummes Zeug. Oder: Was ich schon immer mal sagen wollte.

Ist es vielleicht die Abasie des Denkens, an der wir leiden? Unzählige teilnehmende Be-obachtungen in Vorlesungen haben dazu geführt, dass sich dieser Gedanke in mei-nem Kopf abaissiert hat. Vorlesungen, in denen sich Abderiten hervortun mussten. Diese wenigen betrieben Baalsdienst am Bafel. Was in mir einen Backlash auslöste: Wie eine Caldera tat sich das Cafard auf. Na-türlich, im Dakhma lebt es sich gut. Erstmal.

Denn das Schweigen kann sich auch als Danaergeschenk herausstellen. Fragen hät-te sicher nicht geschadet. Das Dakapo hätte unterbrochen werden können, um so viel-leicht das dädalische Denken anzustacheln. Vielleicht hätte ich echappieren können, wenn ich mich ein bisschen echauffiert hät-te. Die an Echolalie grenzenden Referate stoppen können. Mich nicht mehr fadisie-ren müssen angesichts des Faibles fürs Un-verständliche. Nicht mehr leicht gaga in den Vorlesungen hängen müssen. Mich nicht mehr fragen müssen, ob die jetzt wirklich habil sind, oder doch eher etwas idolisieren.

Diese Jeremiade, die ich hier vom Stapel reisse, wird mir hoffentlich verziehen. Aber es geht nicht anders. Kadavergehorsam ge-genüber Worten soll ja illustriert werden. Die Konklusion ist mir dabei noch schleier-haft. Es ist einfach so, dass mich dieses La-vieren mittels aufblasbarer Worte eines Ta-ges lanzinierte. Maliziös malediziere ich diese Schaumschlägerei. Wünsche mir eine

maniabel Malediktologie herbei. Negligeant möchte ich diese Worte nasalieren. Ach, wäre das narkotisch!

Es ist obsolet zu erwähnen, dass die Ob-reption nicht korrekt ist. Da sind die meis-ten obstinat, wenn es um Worte geht. Na-türlich, man könnte objizieren, dass das Pamphlet, welches ich hier schreibe, doch eher ein Palaver ist. Und trotzdem: «Palmie-ren Sie mich!», möchte ich rufen, wenn ich lese und höre, wie an Worten parasitiert wird. Natürlich bin auch ich kein Quagga, bin genauso Student wie alle, und radiere meine Worte nicht immer – wider jede Rä-son.

Rapiert wird deswegen niemand. Mögli-cherweise bin ich auch gerade etwas reagi-bel und sehne mich nach Realien. Frage mich, ob wir noch sanabel sind. Salutogen wäre es, mit dem Taktieren aufzuhören und das Fragen nicht zu tabuieren. Aber ubiqui-tär ist dieses Verhalten, univok wird es be-trieben – es ist Usus. Auch bei mir ist es nicht vacat. Einer Wyandotte gleich wird nach Worten gepickt – wahllos. Die Gedan-ken muten dann auf dem Papier oft xeno-blastisch an. Leiden wir etwa alle an Xeno-glossie? Oder ist doch alles nur ein schönes grosses Yankee Doodle?

Ach ja: Harry G. Frankfurt hat ein Buch übers Bullshiten geschrieben, das ich zwar nicht gelesen habe, aber jetzt immerhin zi-tiert.

Text Nora lipp

Wenn man die jüngsten Ereignisse ver-folgt, wird man das Gefühl nicht los, wir seien in einer repetitiven Schlaufe gefan-gen. Betroffene vermitteln den Eindruck, von einer kollektiven Starre befallen zu sein. Aus Unfähigkeit oder Lähmung wird selten eingelenkt oder Lehren aus Vergan-genem gezogen. Karl Marx hat die Aussa-ge des Philosophen Hegel, dass alle gross-en weltgeschichtlichen Tatsachen und Per-sonen sich (sozusagen) zweimal ereignen, ergänzt: «Das eine Mal als Tragödie und das andere Mal als Farce.» Grundlage dieser Aussage ist die Überlegung, dass das Leben und die Geschichte der Menschheit spiral-förmig verlaufen und Ereignisse in ähnli-cher Form immer wiederkehren. So treten zum Beispiel immer wieder Kriege auf, die von gleichen Elementen geprägt sind. Der Konflikt in Libyen hat eine andere Aus-gangslage als beispielsweise der Irakkrieg. Und doch sieht man sich wieder mit einer Endlos-Problematik konfrontiert: Dauer-hafte bürgerkriegsähnliche Zustände wie in Somalia können nicht ausgeschlossen werden. Machtlosigkeit macht sich breit.

Machtlosigkeit befällt auch die deut-sche FDP. Umfragewerte sacken ins Bo-denlose, Sitze in Landesregierungen gehen verloren. Keiner scheint vorbereitet gewe-sen zu sein und doch sollte den Beteiligten klar gewesen sein, wohin ihre Reise führt. Denn bereits Ende der Sechziger und Mit-te der Neunziger hatte die Partei mit erd-rutschartigen Verlusten zu kämpfen. Die Gründe waren ähnlich: programmatische Schwächen und Figuren, deren Drang nach Macht und Profilierung zum Absturz führ-ten.

Nicht zuletzt ist auch das nukleare De-saster in Japan ein erschreckendes Spie-gelbild des Reaktorunfalls in Tschernobyl. Spätestens hier kann die Bezeichnung der Farce nicht mehr geltend gemacht werden. Viel zu gravierend sind die damit verbun-denen Schäden und Verluste.

Das Gesetz der Periodizität sagt, dass lediglich eine gewisse Zeit verstreichen muss, bevor wir wieder vor ähnlichen Pro-blemen stehen. Und es scheint, dass wir nichts dagegen tun können, um Wieder-holungen abzuwenden. Die zahlreichen

Schicksalsgläubigen werden es beruhigt zur Kenntnis nehmen. Denn es liegt wohl nicht in unserer Macht, etwas zu verän-dern.

EwIgE DoppElUNg

Text Filip Dingerkus

George Santayana sagte einmal: «Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.»

14 STUDIVERSUM | 2011.05

Page 7: StudiVersum #39

AUS DEM LEBEN

Der Zug nach Bellinzona war auffallend schlecht besetzt für einen Samstagmor-gen. Für einmal musste man sich nicht durch die spitzen Walkingstöcke der Rent-ner kämpfen, die schon in Zürich HB ihre Thermoskanne auspacken und herzhaft in ihr «Iklämmts» beissen. Stattdessen setzten sich zwei bildhübsche Mädchen in das leere Abteil neben mir, die bestens in eine dieser aristokratischen Tommy-Hilfiger-Werbun-gen gepasst hätten. Ihre Reisetaschen wa-ren von der Sorte «Preis auf Anfrage», aus-gepackt wurden frisch gepresster Orangen-saft und Butterbrezel aus einer blauweissen Edelpapiertüte. Die Blonde ganz aufgeregt: «Und, wie isches mit em Daniele? Weisch scho öppis Neus?» Die Braune: «Ich han mal alles nagluegt. Es git voll keis schöns ****Ho-tel, das wird also scho rächt tür, wenn ich ihn eimal im Monet wett gse.» Die Braune hatte sich in einen Fussballer verliebt, der in weiter Ferne trainiert und da sie noch nicht volljährig war, bestand ihre Mutter dar-auf, dass sie mindestens in einem ****Ho-tel logiert. Wegen der Sicherheit, versteht sich. Da leider keines dieser Hotels ihrem Geschmack entsprach, blieb der Armen nichts anderes übrig, als einen * anzuhän-gen. «Ah was, ich han gmeint, du sägisch 3000 Franke. Nei, 1500 für es Wuchenänd das gaht scho», meinte die Blonde mit ihrem zuckersüssen Lächeln. Schliesslich war es

die grosse Liebe der Braunen, der Fussbal-ler sprach sogar schon von Kindern – nach drei Monaten.

Die restlichen zwei Stunden wurden mit weiteren brisanten Themen gefüllt: Brust-vergrösserung, von der die Braune über-zeugt war, dass sie damit einfach zufriede-ner wäre. Fremde Leute, wobei die Blonde immer darauf wartete, dass die andere et-was Böses sagte und wenn nichts kam, ein «Jö, so herzig, dass ihr’s guet händ zäme» anhängte. Und Geld, obwohl es für die bei-den eigentlich kein Thema zu sein schien: «Weisch, ich chan eifach nöd verstah, wie-so sie s’Läbe nöd eifach chan gnüsse. Sie hät soo vil Gäld.»

Kurz vor Bellinzona tauchte bei der Blonden ein Funken Selbstreflexion auf: «Weisch wie lustig, wenn e Journalistin oi-ses Gspräch würd verfolge und e Kolumne würd schribe. Was mir da so reded!» Der Funken verglühte jedoch schnell wieder im weiteren Geplapper.

Im nächsten Zug nach Locarno setzte sich eine Nonne in Ordenskleidung in mein Abteil. Kurz darauf packte sie ihren Black-berry und ein Coke Zero aus. Ich fragte mich im ersten Moment, ob Gott Süssstoffe und Smartphones tatsächlich erlaubte und war danach dankbar, dass mein Gegenüber meine Vorurteile tüchtig durcheinander ge-schüttelt hatte.

zÜRIch hb – hallElUJa

Text Melanie keim

Wie sich zwei verwöhnte Mädchen auf einer Fahrt in den sonnigen Süden unterhielten und eine Nonne mich von meinen Vorurteilen befreite.

«Zu viele Pendler», beschweren sich die Pendler und falten die durch unzählige Hände gegangene Gratiszeitung auf, bevor sie sich auf von anderen Pendlern vorge-wärmten Sitzen niederlassen.

«Zu viele Touristen», jammern die Tou-risten und stossen Taschen unter Sitze, die schon mit Schalenkoffern untermauert sind.

«Zu viele Soldaten», beklagen sich die Soldaten und schieben die Bierbüchsen auf dem aufgeklappten Tischchen näher zusammen.

«Zu viele Hundehalter», murmeln die Hundehalter und bellen die anderen «Hün-deler» im Stillen an.

«Zu viele Kinder», denken die Kinder und halten im Gewusel angestrengt Aus-schau nach dem neongelben Rucksack ih-res Lehrers.

«Zu viele Wandervögel», zetern die Wandervögel, warten, bis die Sitznachbarn im selben Abteil ihre Wanderkarte zusam-mengefaltet und weggeräumt haben, zählen dann selber mit dem Zeigefinger Höhenlini-en ab und berechnen Marschstunden.

«Zu viele Businessleute», meinen die Businessleute und klappen ihre Laptops auf ihren in Faltenhosen gehüllten Oberschen-keln auf, bevor sie ihr Kabel an der verblie-benen Steckdose anschliessen.

«Zu viele Schwarzfahrer», fluchen die Schwarzfahrer und geben einmal mehr ih-re Personalien an.

«Zu viele Bikerinnen», schimpfen die Bikerinnen und quetschen ihre Stahlrösser zwischen WC und Wageneingang.

«Zu viele Senioren», denken die Senio-ren und stossen sich an der wiederkehren-den Konversation über Hörgeräte im Abteil nebenan.

Es ist Freitagabend, der Wurm ächzt von West nach Ost. Im Darm unausgespro-chene Flüche, spitze Ellbogen. Ein Volk, das sich im Spiegel nicht gefällt, die Ähnlichkeit des Gegenübers nicht erträgt. Der Wurm tut sein Bestes, kühlt das Klima künstlich, ver-anlasst die Durchsage, er treffe pünktlich in Bern ein, ruft aus, von wo nach wo und auf welchen Schienen andere Würmer gleiten, verkündet, in welcher Kriechrichtung sich der Ausstieg befinde. Er lässt sich nichts an-

merken. Dennoch, er freut sich auf den Be-triebsschluss um 00:24 Uhr. Dann wird er leicht und leer ins Depot gleiten. Ruhen, oh-ne zu verdauen, während in seinem Bauch flinke Arbeiter die zurückgelassenen Abfäl-le in Säcke stopfen.

DaS Volk «MoTzT»

Text Martina zimmermann

Ein scheinbar nimmersatter Wurm gleitet durch das Land, schluckt Menschen und würgt sie wieder aus. Unliebsame Passagiere.

20 STUDIVERSUM | 2011.05

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6 STUDIVERSUM | 2011.05

ATELIER

ASTERISK UND S-KURVEN

NOvELLEN, KOCHREZEPTE, STRASSENSCHILDER. WIR LESEN. ANEINANDERGEREIHTE ZEICHEN. MATTHIAS PAUWELS IST TyPEDESIGNER UND MACHT TExTE LESBAR.

Fragil ist es und kippt und fällt. Das «S». Es hat keinen Boden. Auch das «O» ist boden-los, aber es hält besser. Es ist ausgeglichen, rundum abgerundet. Das «S» braucht Platz und dieser ist knapp. Eine grosse Kurve auf kleinem Raum, eine S-Kurve. Die Punzen – Buchstabeninnenräume – verlangen Auf-merksamkeit und Zeit. Während rund einer Woche befasste Matthias sich mit dem «S».

Seit einem knappen Jahr beschäftigt er sich mit «Florin», der von ihm gezeichne-ten Schrift. Begonnen hat er in London bei der Firma Dalton Maag. Nach seiner Wei-terbildung zum Typographischen Gestalter an der Schule für Gestaltung in Basel woll-te er eine Serifenschrift für Lauftexte kre-ieren. Angefangen hat er mit dem kleinen «n». Dieses gibt schon viele Formen vor, die auf andere Buchstaben übertragen werden können. Dann folgten «h», «o», «p» und «a». Offene und geschlossene Punzen mussten bestimmt werden. Mit Pinsel und Papier malte Matthias, skizzierte, dann arbeitete er am Computer. Er bestimmte die Strich-stärke, bevor er das «n» in verschiedenen Nachbarschaften setzte - «Korkenzieher», «Nasenwurzel» und «Ganglion». Auf Pa-pier gedruckt, werden die Wörter in diver-sen Schriftgrössen verglichen. Dann wer-den Korrekturen angebracht. Die Mathe-matik und das Auge sind sich selten einig. Dieselbe Strichstärke wirkt bei zwei Buch-staben völlig anders. Das Auge entscheidet. Matthias strebt eine ruhige, graue Fläche an.

Seit Herbst 2010 studiert Matthias an der Zürcher Hochschule der Künste (ZH-dK). In seinem Nachdiplomstudium hat er bereits «Regular», die Normalschrift, über-arbeitet. Zurzeit widmet er sich «Bold» und «Italic»: «Florin» wird fett oder kippt nach rechts. Zeichen um Zeichen. Das Ende steht noch in den Sternen – oder eben im Aste-risk. rText Martina zimmermann, bilder Matthias pauwels

pRoJEkT VoNMaTThIaS paUwElS

Matthias pauwels, Schriftstifterlebt und arbeitet in [email protected]

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28 STUDIVERSUM | 2011.05

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Page 11: StudiVersum #39

3 STUDIVERSUM | 2011.05

KennichSchon?

Stefan läuft zu seinem Auto, öffnet die Bei-fahrertüre und lässt seine Freundin einstei-gen. Plötzlich stockt er: «Oh, krass! Ich hatte gerade voll ein Déjà-vu. Ich hab das irgend-wo schon einmal gesehen.» Und gleich da-nach fragen wir uns, wo und wann. Es gibt

Momente, in denen wir dahinter kommen, doch meistens bleibt das Rätsel ungelöst. Und genau das macht ein Déjà-vu aus. Aber was ist es genau?

So schade es auch ist: Man weiss es nicht zu 100 Prozent, obwohl es manche zu wissen glauben. Die vorherrschenden Theorien sind jedoch widersprüchlich. Die Wissenschaft spaltet sich grob in zwei La-ger: Die eine Seite hält das Déjà-vu für ei-ne Delusion, eine nicht reale Erscheinung eines Ereignisses, das sich in der Wirklich-keit gar nicht abgespielt hat. Die andere Sei-te erklärt es als eine Situation, die an ein tat-sächlich geschehenes Ereignis erinnert, das aber wieder verdrängt wurde.

Epileptische AuraEgal, welche der beiden Theorien richti-ger oder wahrscheinlicher ist, unser Ge-dächtnis spielt in diesem Zusammen-hang die Hauptrolle. Prof. Dr. Jürg Kessel-ring, Leiter der neurologischen Abteilung im Schweizer Rehabilitationszentrum Va-lens, bekommt häufig von Epilepsie-Pati-enten Situationen geschildert, die als Dé-jà-vu bezeichnet werden können. Einem epileptischen Anfall geht normalerweise ein Erlebnis voraus, eine so genannte Au-ra. In dieser Aura können Déjà-vus auftre-ten, wobei es sich dabei um Überstimulati-

JEDER haT DaVoN gEhöRT. FaST JEDER wEISS, waS ES IST. UND DIE MEISTEN MENSchEN habEN ES SchoN EINMal «gEhabT»: EIN DéJÀ-VU. MaNchE ERlEbEN ES häUFIgER, MaNchE SElTENER. Doch waRUM TRITT ES aUF, wIE kaNN MaN ES ERkläREN UND wIE koMMT ES zUSTaNDE? EIN ERkläRUNgSVERSUch.

onen des Temporallappens handelt. Dieser ist unter anderem dafür verantwortlich, Ge-hörtes und Gesehenes einzuordnen. Auch Parkinson-Patienten erleben vermehrt Dé-jà-vus. Hierbei werden sie jedoch künst-lich hervorgerufen mit Hilfe des Medika-ments «PK-Merz». Es simuliert und ersetzt das Hormon Dopamin – auch als Glücks-hormon bekannt –, wodurch es zu Delusi-onen kommt.

Nichts UnnormalesDas soll nun nicht heissen, dass das Phä-nomen nur bei erkrankten Personen auf-taucht. Und schon gar nicht, dass gesun-de Personen, die Déjà-vus erleben, gefähr-det sind, an Parkinson oder Epilepsie zu erkranken. Schliesslich taucht dieses Phä-nomen bei zwei von drei Personen auf, im Schnitt einmal pro Jahr. Professor Kessel-ring weist auch auf den Zusammenhang mit Träumen hin. Denn wie bei Déjà-vus han-delt es sich auch beim Träumen um echte Neuproduktionen des Gehirns. Wir konst-ruieren in den meisten Fällen Situationen, die nicht so geschehen sind. Und da nur wir selbst diese Neuproduktionen «sehen», ist es für unsere Mitmenschen nicht direkt nachvollziehbar. Dies macht das Phäno-men auch für die Forschung zu einem sehr schwer erschliessbaren Feld. Es gibt keinen direkten Zugang zur Erlebniswelt von Men-schen. Und auch wenn man mit Drogen, Medikamenten oder elektrischer Stimula-tion ein solches Erlebnis künstlich hervor-rufen kann, das persönliche Empfinden ist für eine dritte Person nicht sichtbar.

Selbst Hollywood versuchte mit dem Film «Déjà Vu», dieses Gefühl den Men-schen näher zu bringen. Dabei wird Den-zel Washington als Ermittler Doug Carlin in die Vergangenheit gebeamt, um einen schon geschehenen Terroranschlag zu ver-hindern. Die Komplexität des Phänomens jedoch zeigt dem Regisseur Tony Scott die Grenzen auf. Am Ende wird nicht wirklich klar, worin das eigentliche Déjà-vu beste-hen soll. Auch der Titel des Films verspricht mehr, als er halten kann.

Stefan läuft zu seinem Auto, öffnet die Beifahrertüre und lässt seine Freundin ein-steigen. Moment mal. Das habe ich irgend-wo schon einmal gesehen. rText Uli hahn, Illustration Melanie Imfeld

Noch NIE gESEhENDas Jamais-vu-phänomen beschreibt das gegenteil des Déjà-vus. Demnach fühlt man sich zum beispiel fremd in einer Umgebung, die ganz vertraut ist. Manchmal scheinen auch personen, die man sehr gut kennt, plötzlich unbekannt zu sein. Dieses phänomen tritt bei Erschöpf-ungszuständen vermehrt auf. Da es aber nicht so auffällig ist, nehmen wir es oft nicht als Jamais-vu wahr.

WISSENSCHAFT

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5 STUDIVERSUM | 2011.0531 STUDIVERSUM | 2011.05

dachte ich das selbst. Ich hatte auch über Jahre hinweg gegen schwerste Depressio-nen zu kämpfen, die bis ans präsuizidale Stadium reichten. Ich war überfordert, wusste weder ein noch aus. Gegen aussen war meine innere Stimmung allerdings nur bedingt wahrnehmbar. Wenn mich jemand danach fragte, gab ich aber offen über mei-nen Zustand Auskunft. Mehr als zwei Jahr-zehnte lang suchte ich Unterstützung in mehreren Psychotherapien und versuchte meine Probleme zu lösen.

Auch meine berufliche Laufbahn hat mich nie befriedigt. Nach meiner Lehre und einigen unfruchtbaren Jahren mit ver-schiedenen kleineren Jobs absolvierte ich am Abendtechnikum mein Studium zum Ingenieur HTL und realisierte dabei end-gültig, dass ich nicht für die strukturier-te Arbeit in der Industrie geschaffen bin. Ich verlor mich immer zu stark in den De-tails, was für Messies typisch ist, und konn-te nicht zielgerichtet arbeiten. So fand ich denn zumindest halbwegs Befriedigung auf neuen Wegen als freier Journalist und Fo-tograf. Später wollte ich meinen Horizont mit einer Grundausbildung in Humanisti-scher Psychologie erweitern, musste aber einsehen, dass ich mich da masslos über-schätzt hatte. Messies sind bekannt da-für, sich grosse Illusionen zu machen. Wir stellen uns etwas vor, das wir dann nie er-reichen können. Rückblickend muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, dass ich, der selber mit seinen eigenen Proble-men zu kämpfen hat, anderen helfen woll-te. Immerhin hat mich diese psychologi-sche Weiterbildung persönlich weiterge-bracht und heute erweist sie sich als sehr nützlich bei meinem Messie-Engagement.

So besann ich mich vor 25 Jahren zu-rück auf das Schreiben als Hauptberuf, riss dabei aber etliche Nebenaufgaben an mich. Als freier Journalist spezialisierte ich mich auf den öffentlichen Verkehr und vor al-lem die Eisenbahn. In diesem Bereich bin ich nicht nur zunehmend erfolgreich, son-dern engagiere mich auch im Vorstand der Bahnjournalisten Schweiz. Die journalisti-sche Arbeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben und ist die einzige Kon-stante, die ich bis heute erfolgreich weiter-verfolge.

EinzelgängerMessies sind in der Regel kontaktfreudig. Viele von ihnen üben anspruchsvolle Tä-tigkeiten in der Öffentlichkeit aus. Weil sie sich aber des Zustandes ihrer Wohnung schämen, geraten sie in Gefahr, sich zu-rückzuziehen und sich so zu Einzelgängern zu entwickeln. Diese Ambivalenz trifft in einem gewissen Mass auch auf mich zu. Durch die Isolation in der Kindheit war ich

über lange Zeit extrem scheu, zurückhal-tend und sogar ängstlich. Im Laufe der Zeit setzte sich jedoch meine zwillingshafte Neugier und Kontaktfreude durch. So war ich in meiner Arbeit als Journalist immer sehr erfolgreich darin, Netzwerke zu bil-den, Leute zu vermitteln und untereinan-der bekanntzumachen und dadurch mein eigenes Bekanntennetzwerk zu erweitern.

Seit drei Jahren führe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine glückliche und feste Dauerbeziehung. Ich hatte mehre-re Beziehungen, für die ich letztlich noch

«Viele Ideen schwirren mir im Moment im Kopf herum»

Das Messie-Syndrom bezeichnet schwerwiegende Defizite in der Fähigkeit, die eigene Wohnung ordentlich zu halten und die Alltagsaufgaben zu organisieren. Diese Defizite werden auch als Desorganisationsproble-matik bezeichnet und stehen häufig im Zusammen- hang mit einer Depression, Zwangs-/Suchtproblematik und oft auch mit ADHS.

Messie kommt vom englischen Wort ‹mess› – Chaos, Unordnung. ‹To be in a mess› bedeutet soviel wie ‹sich in einem schlimmen Zustand befinden›.

Oft unterliegen die Betroffenen dem Irrtum, sie seien mit ihrem Problem die Einzigen auf der Welt. Sie ziehen sich zurück und brechen den Kontakt zu Nachbarn, Freunden und Angehörigen ab. Damit droht der Rückzug in die soziale Isolation, was wiederum zu Depress- ionen führt. Das Einsteigen in eine Selbsthilfegruppe ist häufig der erste Schritt aus der Isolation. Auch profes-sionelle Unterstützung in Form von Psychotherapie oder Coaching kann den Weg aus dem Chaos unterstützen.»

Im Jahr 2005 wurde in der Schweiz unter dem Namen LessMess ein Verband und Netzwerk für Messies gegründet. Zu den Mitgliedern gehören Betroffene, An-gehörige, Interessierte und Fachpersonen. LessMess ist Ansprechpartner, unterstützt und berät Messies und deren Angehörige in Alltagsfragen. Ausserdem ver- sucht der Verband, die Öffentlichkeit professionell über das Messie-Syndrom zu informieren. LessMess will, dass Betroffene nicht moralisch bewertet oder ihre Schwierigkeiten bagatellisiert werden, sondern als Aus-druck einer ernst zu nehmenden psychischen Problema-tik zu verstehen sind. Auch unter Studenten findet sich der eine oder andere der unter dem Messie- Syndrom leidet. LessMess bietet kostenlos und anonym Beratung für alle Betroffenen an und vermittelt die- sen Selbsthilfegruppen und Psychotherapeuten.

Verband LessMessMitteldorfweg 31, 8915 Hausen am Albis Beratungstelefon: 079 304 10 97Montag 18.00 – 20.00 Uhr / Donnerstag 10.00 – 12.00 [email protected] / www.lessmess.chDie persönliche Mailadresse von Johannes: [email protected]

nicht reif genug war, weshalb sie nie von sehr langer Dauer waren. Heute bleibt als Makel für eine gute Partnerschaft nur noch mein Messieproblem. Lösen lässt es sich faktisch nur, indem ich immer zu meiner Partnerin fahre. Diese ist glücklicherwei-se offen und tolerant: Sie akzeptiert mich so wie ich bin. Zusammenzuziehen stand aber auch aus einem andern Grund nie zur Debatte: Nachdem ich zuvor immer allein gelebt hatte, wäre es für mich eine schier unmögliche Umstellung gewesen, plötz-lich zu zweit zu wohnen. Als wir uns ken-nenlernten, erlitt sie schon einen kleinen Schock, als sie meine Wohnung zum ers-ten Mal sah. Natürlich hatte ich sie vorge-warnt. Doch für sie war offenbar nicht ganz klar, welches Ausmass das Chaos zum Teil annehmen kann.

Viele Leute lasse ich nicht in mei-ne Wohnung. Wir Messies sind erfinde-risch darin, immer eine Ausrede bereit zu haben, warum ein Bekannter nicht zu Be-such kommen kann. Ein inzwischen ver-storbener Messie hatte immer seine Jacke innen an Wohnungstür hängen, damit er diese, wenn es klingelte, sofort überstrei-fen und hastig die Tür öffnen konnte: «Ich wollte gerade los!» Früher ging es mir ähn-lich. Doch heute bin ich offener geworden. Wenn mich ein alter Freund aus Genf an-ruft und fragt, ob er kurz reingucken kön-ne, da er sowieso gerade in Zürich sei, sa-ge ich ihm unverblümt, dass ich Messie sei und es bei mir nicht einladend aussehe. Ich stelle es ihm frei zu entscheiden, ob er trotzdem kommen will oder ob wir uns in einem Café treffen sollen.

Die Kurve gekriegtMeine depressive Zeit konnte ich vor elf Jahren mit Hilfe von Biofeedback und Hyp-nose endlich hinter mir lassen. Dies war ein extrem befreiender Moment, der sich stark in mein Leben einschnitt und mir wieder Mut gab. Viele Ideen schwirren mir im Moment im Kopf herum. Auf meinem Visitenkärtchen steht: «Anreger - Brücken-bauer – Tabubrecher». In diesen Rollen se-he ich mich auch immer wieder in mei-ner Arbeit. Für die Minderheit der Messies in der Schweiz engagiere ich mich stark im Verband LessMess. Gemeinsam arbei-ten wir für die Aufklärung und Forschung in Sachen Messie-Phänomen. Für mich ist es extrem wichtig, dass wir nicht als fau-le Zeitgenossen dargestellt werden und in den Medien wahrheitsgetreu über uns be-richtet wird. Denn eines ist klar: Wir kön-nen als aktive und kreative Menschen eine grosse Bereicherung für die Gesellschaft sein – solange wir von dieser auch richtig verstanden werden. rText Jonas Frehner, Bilder Laura Ferrara

Johannes von Arx

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5 STUDIVERSUM | 2011.0531 STUDIVERSUM | 2011.05

dachte ich das selbst. Ich hatte auch über Jahre hinweg gegen schwerste Depressio-nen zu kämpfen, die bis ans präsuizidale Stadium reichten. Ich war überfordert, wusste weder ein noch aus. Gegen aussen war meine innere Stimmung allerdings nur bedingt wahrnehmbar. Wenn mich jemand danach fragte, gab ich aber offen über mei-nen Zustand Auskunft. Mehr als zwei Jahr-zehnte lang suchte ich Unterstützung in mehreren Psychotherapien und versuchte meine Probleme zu lösen.

Auch meine berufliche Laufbahn hat mich nie befriedigt. Nach meiner Lehre und einigen unfruchtbaren Jahren mit ver-schiedenen kleineren Jobs absolvierte ich am Abendtechnikum mein Studium zum Ingenieur HTL und realisierte dabei end-gültig, dass ich nicht für die strukturier-te Arbeit in der Industrie geschaffen bin. Ich verlor mich immer zu stark in den De-tails, was für Messies typisch ist, und konn-te nicht zielgerichtet arbeiten. So fand ich denn zumindest halbwegs Befriedigung auf neuen Wegen als freier Journalist und Fo-tograf. Später wollte ich meinen Horizont mit einer Grundausbildung in Humanisti-scher Psychologie erweitern, musste aber einsehen, dass ich mich da masslos über-schätzt hatte. Messies sind bekannt da-für, sich grosse Illusionen zu machen. Wir stellen uns etwas vor, das wir dann nie er-reichen können. Rückblickend muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, dass ich, der selber mit seinen eigenen Proble-men zu kämpfen hat, anderen helfen woll-te. Immerhin hat mich diese psychologi-sche Weiterbildung persönlich weiterge-bracht und heute erweist sie sich als sehr nützlich bei meinem Messie-Engagement.

So besann ich mich vor 25 Jahren zu-rück auf das Schreiben als Hauptberuf, riss dabei aber etliche Nebenaufgaben an mich. Als freier Journalist spezialisierte ich mich auf den öffentlichen Verkehr und vor al-lem die Eisenbahn. In diesem Bereich bin ich nicht nur zunehmend erfolgreich, son-dern engagiere mich auch im Vorstand der Bahnjournalisten Schweiz. Die journalisti-sche Arbeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben und ist die einzige Kon-stante, die ich bis heute erfolgreich weiter-verfolge.

EinzelgängerMessies sind in der Regel kontaktfreudig. Viele von ihnen üben anspruchsvolle Tä-tigkeiten in der Öffentlichkeit aus. Weil sie sich aber des Zustandes ihrer Wohnung schämen, geraten sie in Gefahr, sich zu-rückzuziehen und sich so zu Einzelgängern zu entwickeln. Diese Ambivalenz trifft in einem gewissen Mass auch auf mich zu. Durch die Isolation in der Kindheit war ich

über lange Zeit extrem scheu, zurückhal-tend und sogar ängstlich. Im Laufe der Zeit setzte sich jedoch meine zwillingshafte Neugier und Kontaktfreude durch. So war ich in meiner Arbeit als Journalist immer sehr erfolgreich darin, Netzwerke zu bil-den, Leute zu vermitteln und untereinan-der bekanntzumachen und dadurch mein eigenes Bekanntennetzwerk zu erweitern.

Seit drei Jahren führe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine glückliche und feste Dauerbeziehung. Ich hatte mehre-re Beziehungen, für die ich letztlich noch

«Viele Ideen schwirren mir im Moment im Kopf herum»

Das Messie-Syndrom bezeichnet schwerwiegende Defizite in der Fähigkeit, die eigene Wohnung ordentlich zu halten und die Alltagsaufgaben zu organisieren. Diese Defizite werden auch als Desorganisationsproble-matik bezeichnet und stehen häufig im Zusammen- hang mit einer Depression, Zwangs-/Suchtproblematik und oft auch mit ADHS.

Messie kommt vom englischen Wort ‹mess› – Chaos, Unordnung. ‹To be in a mess› bedeutet soviel wie ‹sich in einem schlimmen Zustand befinden›.

Oft unterliegen die Betroffenen dem Irrtum, sie seien mit ihrem Problem die Einzigen auf der Welt. Sie ziehen sich zurück und brechen den Kontakt zu Nachbarn, Freunden und Angehörigen ab. Damit droht der Rückzug in die soziale Isolation, was wiederum zu Depress- ionen führt. Das Einsteigen in eine Selbsthilfegruppe ist häufig der erste Schritt aus der Isolation. Auch profes-sionelle Unterstützung in Form von Psychotherapie oder Coaching kann den Weg aus dem Chaos unterstützen.»

Im Jahr 2005 wurde in der Schweiz unter dem Namen LessMess ein Verband und Netzwerk für Messies gegründet. Zu den Mitgliedern gehören Betroffene, An-gehörige, Interessierte und Fachpersonen. LessMess ist Ansprechpartner, unterstützt und berät Messies und deren Angehörige in Alltagsfragen. Ausserdem ver- sucht der Verband, die Öffentlichkeit professionell über das Messie-Syndrom zu informieren. LessMess will, dass Betroffene nicht moralisch bewertet oder ihre Schwierigkeiten bagatellisiert werden, sondern als Aus-druck einer ernst zu nehmenden psychischen Problema-tik zu verstehen sind. Auch unter Studenten findet sich der eine oder andere der unter dem Messie- Syndrom leidet. LessMess bietet kostenlos und anonym Beratung für alle Betroffenen an und vermittelt die- sen Selbsthilfegruppen und Psychotherapeuten.

Verband LessMessMitteldorfweg 31, 8915 Hausen am Albis Beratungstelefon: 079 304 10 97Montag 18.00 – 20.00 Uhr / Donnerstag 10.00 – 12.00 [email protected] / www.lessmess.chDie persönliche Mailadresse von Johannes: [email protected]

nicht reif genug war, weshalb sie nie von sehr langer Dauer waren. Heute bleibt als Makel für eine gute Partnerschaft nur noch mein Messieproblem. Lösen lässt es sich faktisch nur, indem ich immer zu meiner Partnerin fahre. Diese ist glücklicherwei-se offen und tolerant: Sie akzeptiert mich so wie ich bin. Zusammenzuziehen stand aber auch aus einem andern Grund nie zur Debatte: Nachdem ich zuvor immer allein gelebt hatte, wäre es für mich eine schier unmögliche Umstellung gewesen, plötz-lich zu zweit zu wohnen. Als wir uns ken-nenlernten, erlitt sie schon einen kleinen Schock, als sie meine Wohnung zum ers-ten Mal sah. Natürlich hatte ich sie vorge-warnt. Doch für sie war offenbar nicht ganz klar, welches Ausmass das Chaos zum Teil annehmen kann.

Viele Leute lasse ich nicht in mei-ne Wohnung. Wir Messies sind erfinde-risch darin, immer eine Ausrede bereit zu haben, warum ein Bekannter nicht zu Be-such kommen kann. Ein inzwischen ver-storbener Messie hatte immer seine Jacke innen an Wohnungstür hängen, damit er diese, wenn es klingelte, sofort überstrei-fen und hastig die Tür öffnen konnte: «Ich wollte gerade los!» Früher ging es mir ähn-lich. Doch heute bin ich offener geworden. Wenn mich ein alter Freund aus Genf an-ruft und fragt, ob er kurz reingucken kön-ne, da er sowieso gerade in Zürich sei, sa-ge ich ihm unverblümt, dass ich Messie sei und es bei mir nicht einladend aussehe. Ich stelle es ihm frei zu entscheiden, ob er trotzdem kommen will oder ob wir uns in einem Café treffen sollen.

Die Kurve gekriegtMeine depressive Zeit konnte ich vor elf Jahren mit Hilfe von Biofeedback und Hyp-nose endlich hinter mir lassen. Dies war ein extrem befreiender Moment, der sich stark in mein Leben einschnitt und mir wieder Mut gab. Viele Ideen schwirren mir im Moment im Kopf herum. Auf meinem Visitenkärtchen steht: «Anreger - Brücken-bauer – Tabubrecher». In diesen Rollen se-he ich mich auch immer wieder in mei-ner Arbeit. Für die Minderheit der Messies in der Schweiz engagiere ich mich stark im Verband LessMess. Gemeinsam arbei-ten wir für die Aufklärung und Forschung in Sachen Messie-Phänomen. Für mich ist es extrem wichtig, dass wir nicht als fau-le Zeitgenossen dargestellt werden und in den Medien wahrheitsgetreu über uns be-richtet wird. Denn eines ist klar: Wir kön-nen als aktive und kreative Menschen eine grosse Bereicherung für die Gesellschaft sein – solange wir von dieser auch richtig verstanden werden. rText Jonas Frehner, Bilder Laura Ferrara

Johannes von Arx

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7 STUDIVERSUM | 2011.05 4 STUDIVERSUM | 2011.05

stark an mich, dass mir keine Freiheit blieb. Ich konnte als Junge nicht protestieren und wollte meiner Mutter nichts zumuten – sie hatte ebenso wie ich zu kämpfen. In einer gewissen Weise war ich eine Unterstützung für sie. Ich war jedoch hoffnungslos über-fordert damit, mich von ihr abzugrenzen, und verbrachte meine gesamte Kindheit wie in einem Gefängnis. Man stellte grosse Erwartungen an mich, die ich zu dieser Zeit in keiner Weise erfüllen konnte und woll-te. Auch die Vaterfigur fehlte mir in meiner Kindheit. Zu meinem Vater hatte ich eine Beziehung wie zu einem guten Bekannten – da gab es keine engere, geschweige denn ei-ne familiäre, liebevolle und zärtliche Bezie-hung. Diese tief gestörte Kindheit ist sicher einer der zentralen Faktoren dafür, dass ich zum Messie wurde.

Unterstützung war für mich immer ein Fremdwort. Dies wirkte sich vor allem auch auf meine Ausbildung aus. Ich flog we-gen ungenügender schulischer Leistungen aus der Kantonsschule. Mit einer empathi-schen Unterstützung durch meine Eltern und ein bisschen Hilfe und Motivation hät-te ich intelligenzmässig die Matura sicher-lich geschafft. Danach fing ich eine Lehre als Chemielaborant an, welche ich erfolg-reich abschloss. Dies war die erste Stati-on in meinem Berufsleben und bei weitem nicht die letzte. Doch schon im Labor fühl-te ich mich nicht wohl, fand keine Befrie-digung und war mit meinem Kopf immer woanders. Ich machte mir, wie auch später in meinem Leben, keine grossen Gedanken darüber, ob dies für mich der richtige Be-ruf sei, sondern konzentrierte mich auf den Moment und versuchte dabei, das Beste he-rauszuholen.

Perfektionistisch veranlagtBald werde ich 68 Jahre alt. Erst vor 10 Jah-ren outete ich mich als Messie. Heute bin

Unser Hirn tickt anders

Wir Messies sind keine gestörten Men-schen. Unser Hirn arbeitet ganz ähnlich wie bei jedem anderen, nur tickt es einfach an-ders. Da sind so viele Ideen und Projekte, die umgesetzt werden wollen. Mir hat die Zeit dafür mein ganzes Leben lang gefehlt. Bis vor elf Jahren kam ich nie auf einen grü-nen Zweig. Nie kam ich an den Punkt, wo ich sagen konnte: «Jetzt hast du es geschafft. Jetzt bist du da, wo du mit dir, deinem Um-feld, deiner Arbeit und deinem Leben zu-frieden sein kannst.»

Eine Kindheit wie im GefängnisIch war immer ausgegrenzt, der Aussen-seiter. Das begann bereits in meiner Kind-heit, die ich in einem Dorf in der Nähe von Solothurn verbrachte. Meine Mutter ver-hinderte einerseits den Kontakt nach au-ssen und überliess mich andererseits mir selbst. Sie musste bereits unter ihrer Mut-ter, die mit uns im selben Haushalt wohn-te, stark leiden. Das hat sich auf die Bezie-hung zwischen meiner Mutter und mir aus-gewirkt. Sie klammerte sich emotional so

das Messie-syndroM ist bisHer kaUM erforscHt. typiscHe anzeicHen sind überMässiges saMMeln Und des- organisiertHeit. Von den Medien werden Messies Meist fälscHlicHerweise nUr iM zUsaMMenHang Mit bildern Von zUgeMüllten woHnUngen erwäHnt – sie sind jedocH Viel MeHr. joHannes Von arx ist einer Von iHnen. ein porträt einer VielscHicHtigen persönlicHkeit.

ich soweit, dass ich offen zu meinem etwas speziellen Charakter stehen kann. Bewusst bezeichne ich das Messie-Syndrom nicht als Krankheit. Denn da steht nebst einem unzweifelhaft bestehenden hohen Leidens-druck eine grosse Kreativität, ein unbändi-ger Schaffensdrang.

Viele Messies neigen dazu, genaues-tens zu organisieren und kategorisieren. Es sind Menschen, die alles sammeln und aufbewahren, «was man einmal noch brau-chen könnte» und häufig Probleme mit Ord-nungsstrukturen haben. Nicht selten ge-schieht dies aus Perfektionsdrang. Dieser Perfektionismus führt dann auch häufig zum Scheitern. Immer wieder wird in den Medien das Messie- mit dem Vermüllungs-Syndrom verwechselt. Messies werden als geistig verwirrte Menschen, die ihre Woh-nung zumüllen und verwahrlost leben cha-rakterisiert. Doch nur ein kleiner Bruchteil aller Messies leidet auch unter dem Vermül-lungs-Syndrom.

Ich zum Beispiel halte meine Woh-nung sauber – aber nicht klinisch rein. Na-türlich herrscht in den Augen eines Besu-chers ein grosses Chaos, doch ich habe den Überblick über die vielen Dinge, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben. Ei-ne Zeitung könnte ich nicht wegwerfen, be-vor ich sie nicht wenigstens einmal durch-geblättert habe. Und so geht es mir mit vie-lem. Mir fehlt schlicht und einfach die Zeit, um alles sofort zu erledigen. Wie auch vie-le andere Messies bin ich extrem aktiv, habe eine schier unbändige Energie. Sicher hängt das auch damit zusammen, dass ich unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperakti-vitätssyndrom (ADHS) leide. Die Sammel-wut habe ich mittlerweile unter Kontrolle. Früher war dies schlimmer. Wenn irgendje-mand etwas vor dem Haus zum Entsorgen bereitstellte, wühlte ich mich immer durch und fand bestimmt etwas, für das es noch einen «Verwendungszweck» geben könn-te. Heute kann ich klar unterscheiden zwi-schen brauchbar und unbrauchbar, und ich nehme nicht einfach irgendetwas mit, das dann sowieso nur bei mir in der Wohnung liegt und nie benutzt wird.

Keine Illusionen Mit meinem Engagement bei LessMess so-wie mit Vorträgen versuche ich, meine ge-sammelten Erfahrungen nutzbringend weiterzugeben. Mitbetroffenen möchte ich Mut machen und Kraft geben, mit diesem leider noch fast nicht erforschten Syndrom versöhnlich und kreativ umzugehen und auch offen und ehrlich mit sich selbst zu sein. Als Messie fühlt man sich sehr häufig allein. Viele Messies denken, sie seien die Einzigen auf der Welt, die mit diesen Pro-blemen zu kämpfen haben. Lange Zeit

«Messie», 2010, Laura Ferrara (http://people.zhdk.ch/laura.ferrara)

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7 STUDIVERSUM | 2011.05 4 STUDIVERSUM | 2011.05

stark an mich, dass mir keine Freiheit blieb. Ich konnte als Junge nicht protestieren und wollte meiner Mutter nichts zumuten – sie hatte ebenso wie ich zu kämpfen. In einer gewissen Weise war ich eine Unterstützung für sie. Ich war jedoch hoffnungslos über-fordert damit, mich von ihr abzugrenzen, und verbrachte meine gesamte Kindheit wie in einem Gefängnis. Man stellte grosse Erwartungen an mich, die ich zu dieser Zeit in keiner Weise erfüllen konnte und woll-te. Auch die Vaterfigur fehlte mir in meiner Kindheit. Zu meinem Vater hatte ich eine Beziehung wie zu einem guten Bekannten – da gab es keine engere, geschweige denn ei-ne familiäre, liebevolle und zärtliche Bezie-hung. Diese tief gestörte Kindheit ist sicher einer der zentralen Faktoren dafür, dass ich zum Messie wurde.

Unterstützung war für mich immer ein Fremdwort. Dies wirkte sich vor allem auch auf meine Ausbildung aus. Ich flog we-gen ungenügender schulischer Leistungen aus der Kantonsschule. Mit einer empathi-schen Unterstützung durch meine Eltern und ein bisschen Hilfe und Motivation hät-te ich intelligenzmässig die Matura sicher-lich geschafft. Danach fing ich eine Lehre als Chemielaborant an, welche ich erfolg-reich abschloss. Dies war die erste Stati-on in meinem Berufsleben und bei weitem nicht die letzte. Doch schon im Labor fühl-te ich mich nicht wohl, fand keine Befrie-digung und war mit meinem Kopf immer woanders. Ich machte mir, wie auch später in meinem Leben, keine grossen Gedanken darüber, ob dies für mich der richtige Be-ruf sei, sondern konzentrierte mich auf den Moment und versuchte dabei, das Beste he-rauszuholen.

Perfektionistisch veranlagtBald werde ich 68 Jahre alt. Erst vor 10 Jah-ren outete ich mich als Messie. Heute bin

Unser Hirn tickt anders

Wir Messies sind keine gestörten Men-schen. Unser Hirn arbeitet ganz ähnlich wie bei jedem anderen, nur tickt es einfach an-ders. Da sind so viele Ideen und Projekte, die umgesetzt werden wollen. Mir hat die Zeit dafür mein ganzes Leben lang gefehlt. Bis vor elf Jahren kam ich nie auf einen grü-nen Zweig. Nie kam ich an den Punkt, wo ich sagen konnte: «Jetzt hast du es geschafft. Jetzt bist du da, wo du mit dir, deinem Um-feld, deiner Arbeit und deinem Leben zu-frieden sein kannst.»

Eine Kindheit wie im GefängnisIch war immer ausgegrenzt, der Aussen-seiter. Das begann bereits in meiner Kind-heit, die ich in einem Dorf in der Nähe von Solothurn verbrachte. Meine Mutter ver-hinderte einerseits den Kontakt nach au-ssen und überliess mich andererseits mir selbst. Sie musste bereits unter ihrer Mut-ter, die mit uns im selben Haushalt wohn-te, stark leiden. Das hat sich auf die Bezie-hung zwischen meiner Mutter und mir aus-gewirkt. Sie klammerte sich emotional so

das Messie-syndroM ist bisHer kaUM erforscHt. typiscHe anzeicHen sind überMässiges saMMeln Und des- organisiertHeit. Von den Medien werden Messies Meist fälscHlicHerweise nUr iM zUsaMMenHang Mit bildern Von zUgeMüllten woHnUngen erwäHnt – sie sind jedocH Viel MeHr. joHannes Von arx ist einer Von iHnen. ein porträt einer VielscHicHtigen persönlicHkeit.

ich soweit, dass ich offen zu meinem etwas speziellen Charakter stehen kann. Bewusst bezeichne ich das Messie-Syndrom nicht als Krankheit. Denn da steht nebst einem unzweifelhaft bestehenden hohen Leidens-druck eine grosse Kreativität, ein unbändi-ger Schaffensdrang.

Viele Messies neigen dazu, genaues-tens zu organisieren und kategorisieren. Es sind Menschen, die alles sammeln und aufbewahren, «was man einmal noch brau-chen könnte» und häufig Probleme mit Ord-nungsstrukturen haben. Nicht selten ge-schieht dies aus Perfektionsdrang. Dieser Perfektionismus führt dann auch häufig zum Scheitern. Immer wieder wird in den Medien das Messie- mit dem Vermüllungs-Syndrom verwechselt. Messies werden als geistig verwirrte Menschen, die ihre Woh-nung zumüllen und verwahrlost leben cha-rakterisiert. Doch nur ein kleiner Bruchteil aller Messies leidet auch unter dem Vermül-lungs-Syndrom.

Ich zum Beispiel halte meine Woh-nung sauber – aber nicht klinisch rein. Na-türlich herrscht in den Augen eines Besu-chers ein grosses Chaos, doch ich habe den Überblick über die vielen Dinge, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben. Ei-ne Zeitung könnte ich nicht wegwerfen, be-vor ich sie nicht wenigstens einmal durch-geblättert habe. Und so geht es mir mit vie-lem. Mir fehlt schlicht und einfach die Zeit, um alles sofort zu erledigen. Wie auch vie-le andere Messies bin ich extrem aktiv, habe eine schier unbändige Energie. Sicher hängt das auch damit zusammen, dass ich unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperakti-vitätssyndrom (ADHS) leide. Die Sammel-wut habe ich mittlerweile unter Kontrolle. Früher war dies schlimmer. Wenn irgendje-mand etwas vor dem Haus zum Entsorgen bereitstellte, wühlte ich mich immer durch und fand bestimmt etwas, für das es noch einen «Verwendungszweck» geben könn-te. Heute kann ich klar unterscheiden zwi-schen brauchbar und unbrauchbar, und ich nehme nicht einfach irgendetwas mit, das dann sowieso nur bei mir in der Wohnung liegt und nie benutzt wird.

Keine Illusionen Mit meinem Engagement bei LessMess so-wie mit Vorträgen versuche ich, meine ge-sammelten Erfahrungen nutzbringend weiterzugeben. Mitbetroffenen möchte ich Mut machen und Kraft geben, mit diesem leider noch fast nicht erforschten Syndrom versöhnlich und kreativ umzugehen und auch offen und ehrlich mit sich selbst zu sein. Als Messie fühlt man sich sehr häufig allein. Viele Messies denken, sie seien die Einzigen auf der Welt, die mit diesen Pro-blemen zu kämpfen haben. Lange Zeit

«Messie», 2010, Laura Ferrara (http://people.zhdk.ch/laura.ferrara)

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11 STUDIVERSUM | 2011.05

EINGE-BROCHENES MOSAIK

Das Gemeinschaftsprojekt der Redaktion entpuppte sich als heilloses Wirrwarr. Die Bildunterschriften stimmten plötzlich nicht mehr mit dem dazugehörigen Bild überein. Weisst du, welches Bild zu welchem Text passt? Ausserdem wusste die Redaktion selbst nicht mehr, was eigentlich auf den Bil-dern zu sehen ist und musste, ihrem eigenen Empfinden entsprechend, auf die Schnelle eine passende Bildlegende kreieren. Immer-hin konnte die Redaktion auf Seite 13 ver-merken, welche Kombinationen laut den Beteiligten die richtigen sind. Dort kannst du überprüfen, ob es sich mit deiner neu-geordneten Lösung deckt. Vielleicht gibt

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17 STUDIVERSUM | 2011.05

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rText Jonas Frehner, Sarah Frehner, Raffaela angstmann, Sarah huber, Uli hahn, Dominic Illi, Nora lipp, Martina zimmermann, Melanie keim, Julia krättli, Silja aebersold, anonym und Filip Dingerkus, bilder Selin bourquin

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12 STUDIVERSUM | 2011.05

KRANKE ZüGE ISOLIEREN

Cisalpino Pendolino, ist mit einer Verspä-tung von knapp zwanzig Minuten unter-wegs, die er sich bereits in Italien eingefan-gen hat. Der «ETR 470» darf heute offiziell nicht mehr nach der Bahngesellschaft be-nannt werden, da die Cisalpino AG per En-de 2009 die operative Tätigkeit eingestellt hat. Wir nennen ihn trotzdem so.

Die Abteilung, die nicht arbeiten sollEsther existiert genau so wenig wie ihr Freund. Die lebensgrosse Puppe ist eine fiktive Kundin und hat einen zweiten Sitz-platz. Etwas abseits sitzt sie gleichgültig in einer Ecke des Kommandoraums OCP, dem Operation Center Personenverkehr. Sie sitzt abseits, aber nicht abgeschoben. Sogar im offiziellen Raumplan hat die Kun-din Esther ihren festen Platz, direkt neben Fritz, Zugchef und ebenfalls eine Puppe. Durch die Fensterfront des OCP sieht man auf das Bollwerk von Bern. Die beiden Pup-pen schenken der Gleislandschaft vor dem Bahnhof aber keine Aufmerksamkeit, son-dern richten den Blick ins Büro. «Fahrgast Esther und Zugchef Fritz sollen an unsere Aufgabe erinnern: Wir wollen unsere bei-den Kundengruppen zufrieden stellen», er-klärt Martin Zeller. Er leitet jene Abteilung der SBB, die möglichst wenig arbeiten soll. Das Operation Center ist ein elementarer Teil des Verkehrsmanagements der SBB und zuständig für die kurzfristige Produkti-onssteuerung. Konkret: Das OCP löst Prob-leme, die innerhalb von 48 Stunden auftre-ten. Hier werkelt es also immer dann im Hintergrund, wenn die Kunden stirnrun-zelnd auf die Uhr schauen, verschwitzt auf den Bahnhöfen umherirren oder sich hek-tisch alternative Fahrplanverbindungen auf das Smartphone holen. «Unser Chef ist froh, wenn wir nichts zu tun haben», sagt Dieter Gyr. Doch nun hat er seit längerem ein Auge auf den verspäteten Zug aus Ita-

Im Zug von Mailand nach Zürich. 3:0. Pa-to, Pato, Cassano. Noch immer schwärmt Alessandro vom brasilianischen Doppel-torschützen. Und von der letzten Spielmi-nute, als der eingewechselte Antonio Cassa-no mit einem Penalty alles klar machte, den verzweifelten Inter-Mailand-Fans die letz-ten Hoffnungen auf den ersten Tabellen-platz raubte. Anstatt den bisherigen Lea-der AC Milan zu überholen, musste Inter den Erzrivalen als Sieger aus dem gemein-samen Stadion ziehen lassen. Alessandros Augen glänzen. Er träumt bereits vom Scu-detto, dem italienischen Meistertitel. Zwei-mal pro Jahr darf er sich ein Fussballspiel seines Lieblingsklubs live anschauen. Das wäre vielleicht anders, wenn er sich in ei-nen anderen Klub verguckt hätte. Oder in eine andere Freundin. Denn Esther hat Gefallen gefunden am «Derby di Milano» und am Shopping danach. Der halbjährli-che Trip nach Mailand hat sich einen festen Platz im Kalender ergattert. Sie geht mit ihm an den Match, er trägt die Taschen bei der Shopping-Tour. In der ersten Hälfte des ver-längerten Wochenendes hat er das Sagen, in der zweiten sie. Nun ist Dienstagmor-gen und die beiden rollen im Zug gemäch-lich heimwärts nach Zürich. Ein bisschen zu gemächlich vielleicht. Der EuroCity, ein

vERSPäTUNGEN IM ZUGvERKEHR SIND ANSTECKEND. BEREITS WENIGE MINU-TEN RüCKSTAND AUF DEN FAHRPLAN KöNNEN DAS GANZE NETZ DURCHEINANDER BRINGEN. EIN EINGESCHWORENES TEAM KOMMT DANN ZUM EINSATZ, WENN ETWAS NICHT LäUFT, WIE ES SOLL.

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26 STUDIVERSUM | 2011.05

KRANKE ZüGE ISOLIEREN

«Wenn ein Zug krank ist, wird er nicht kuriert. Ansonsten werden andere Züge angesteckt und die Verspätung breitet sich aus»

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32 STUDIVERSUM | 2011.05

SURFENViele weitere personen kämpfen gegen das Verkehrs-chaos. auf semestra.ch/verkehrschaos erfährt ihr im Interview mit einem Stadtpolizisten, wieso das chaos am central in zürich trotz fehlender lichtsignale keine chance hat.

schlüsse in Zürich abgewartet werden können und leitet den Bescheid sowie al-ternative Reisevorschläge ans Zugpersonal weiter. Ricardo Dias kennt die Arbeitsbe-dingungen des Zugpersonals: «Zu 40 Pro-zent bin ich als Zugchef unterwegs», er-klärt er, nachdem er einem gestressten Zu-gchef versichert hat, dass alle Anschlüsse gewährleistet sind.

Lediglich die Reisewege grösserer Gruppen sowie diejenigen von Reisenden mit eingeschränkter Mobilität sind den SBB bekannt. Deren Transportkette wird vom Koordinator Ereignismanagement si-chergestellt. Er ist es auch, der bei Verspä-tungen spätabends gegebenenfalls Taxis bestellt oder Hotelreservationen tätigt.

Esther hört mitAll die komplexen Informationsflüsse ma-chen den Betrieb für Aussenstehende un-übersichtlich. Doch sie sind nötig, um die Menge an Ereignissen zu koordinieren. Am äusseren Ende des OCP sitzen die Informa-tionsspezialisten. Sie konzentrieren sich aufs Wesentliche und füttern bei gröberen Störungen die diversen Informationskanä-le: Vom Teletext über die Medien bis hin zum Online-Fahrplan, der via Smartphone auch mobil abrufbar ist. Und sie sind am Mikrofon, wenn die Fahrgäste aufächzen: «Geschätzte Fahrgäste, eine Information der SBB in Bern...» Um das Chaos nicht zu-sätzlich zu vergrössern, muss die Informa-tion überall einheitlich sein. «Das Wording ist genau festgelegt. Wir können nicht von Schneefall, Unwetter und technischen Pro-blemen gleichzeitig sprechen», erklärt In-formationsspezialist Bruno Bollhalder. Er befindet sich direkt gegenüber von Esther und Fritz. Esther starrt apathisch in seine Richtung. Sie hört mit und will wissen, wie sie von Arth-Goldau nach Zürich kommt. rText Dominic Illi, bilder Selin bourquin

gibt es viele. Züge können vorzeitig gewen-det, gestrichen oder ersetzt werden. Beat Steiger widmet sich wieder seinen Moni-toren, wirft auch mal ein Auge auf das öst-liche Netz. Er stellt fest: Die Information vom verspäteten Zug aus Italien ist beim zuständigen Dispatcher Ost angekommen und bereits bearbeitet. Dieser hat Kontakt mit der Betriebsleitzentrale aufgenom-men und entschieden, dass der EuroCi-ty in Arth-Goldau vorzeitig wenden wird. So wird die Verspätung ausgemerzt: Indem die Strecke Arth-Goldau-Zürich nicht ge-fahren wird, kann der Zug eine Stunde spä-ter pünktlich Richtung Mailand starten – mit der Konsequenz, dass Reisende aus Zü-rich mit einem Extrazug nach Arth-Goldau gebracht werden, was ein zusätzliches Um-steigen erfordert.

Das System stabil haltenMartin Zeller, Leiter OCP, erklärt die Stra-tegie anhand einer Analogie: «Wenn ein Zug krank ist, wird er nicht kuriert. An-sonsten werden andere Züge angesteckt und die Verspätung breitet sich aus. Wir isolieren kranke Züge und nehmen so zu-gunsten des ganzen Systems einzelne Ver-spätungen und gebrochene Anschlüsse in Kauf.»

Esther und Alessandro horchen auf. Das Zugpersonal meldet, dass der Zug in Arth-Goldau wendet und alle Reisenden umsteigen müssen. Esther und Alessandro haben Glück: Bis nach Zürich können sie auf den Regionalverkehr über Zug auswei-chen. Andere Reisende dagegen verpassen in Zürich ihre Anschlüsse und brauchen weitere Infos, die sie vom Zugpersonal er-halten. Der Zugchef klärt die Bedürfnis-se ab und leitet sie ans OCP weiter, wo sie vom Koordinator Zug in Empfang genom-men werden. Dieser fragt bei der Betriebs-leitzentrale nach, ob die gewünschten An-

lien geworfen und prüft, wo es zu Kompli-kationen kommen könnte. Dieter Gyr ist heute als Dispatcher International einge-teilt und überwacht alle Züge, die im Ver-lauf ihrer Fahrt irgendwann die Schweiz passieren. Allfällige Verspätungen wie bei unserem Cisalpino aus Italien leitet er wei-ter, sofern diese einen Einfluss auf den Be-trieb in der Schweiz haben könnten.

Fünf Millionen SMSAuf dem Schweizer Eisenbahnnetz sind nicht nur diejenigen SBB-Waggons unter-wegs, die uns Kunden von A nach B brin-gen. Es verkehren auch Gütereisenbah-nen oder Züge anderer Eisenbahnunter-nehmungen. Deshalb ist die Koordination bei Verspätungen komplex. Das OCP kann selber kaum Einfluss nehmen und muss die Bedürfnisse des Personenverkehrs bei den Betriebsleitzentralen – den zustän-digen Stellen der übergeordneten Infra-struktur – anmelden. Zusätzlich fliessen weitere Informationsströme: Allfällige Er-eignisse und Entscheidungen müssen kom-muniziert werden. An das Zugpersonal, an das Bahnhofspersonal und an die Kunden. Jährlich kommen über 600‘000 Meldun-gen über den Alarmierungs- und Ereignis-assistenten (ALEA), das zentrale Chatpro-gramm für SBBler, zusammen. Es werden über fünf Millionen SMS an das Zugper-sonal verschickt. Eine ungeordnete Daten-menge, die für niemanden überschaubar ist. Deshalb werden die Fälle einerseits geo-graphisch in «Ost» und «West» und ande-rerseits nach Funktionen verteilt. Die Mit-arbeitenden müssen rasch erkennen, wel-che Meldungen in ihren Aufgabenbereich fallen und die Auswirkungen auf den Kun-den analysieren. Mithilfe verschiedener Tools und Systemen, die allesamt mitein-ander verknüpft sind, versuchen die Spezi-alisten im OCP dem Chaos Herr zu werden.

Acht MonitoreBeat Steiger ist als Dispatcher West für die Entscheidungsprozesse auf der linken Sei-te der Nord-Süd-Achse verantwortlich. Grafikfahrpläne auf insgesamt acht Moni-toren mit sich kreuzenden Linien zeigen al-le Züge auf einem bestimmten Streckenab-schnitt, in Echt- und Sollzeit. Für den Lai-en ein wirres Spinnennetz, für Beat Steiger dank seiner Erfahrung ein praktisches Tool: «Als Dispatcher ist man in Geografie sattel-fest und kennt das Netz mehr oder weniger auswendig.» Dennoch verlieren sogar die Dispatcher kurzfristig den Überblick. «Bei heftigen Unterbrüchen kann auch bei uns mal das Chaos ausbrechen. Aber nach ma-ximal 15 Minuten sollten wir das Problem erkannt und eine entsprechende Lösung bereit haben.» Interventionsmöglichkeiten

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CHAOS IN DERWISSEN-SCHAFT?

schreiben Vorgänge, wie zum Beispiel die Bewegung der Planeten oder die Entwick-lung des Weltwetters. Charakteristisch dabei ist, dass der Verlauf eines Vorgangs vollkommen bestimmt ist, wenn man den Anfangszustand kennt. Das hat den dyna-mischen Systemen die Bezeichnung «de-terministisch» eingebracht. Die Pointe der Chaosforschung: Deterministisch bedeu-tet nicht automatisch, dass Verläufe auch vorhersagbar sind! In den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts untersuchte der Me-teorologe Edward Lorenz am Massachu-setts Institute of Technology (MIT) in Bos-ton mit Hilfe von Computerberechnungen das Verhalten von dynamischen Systemen. Dabei stellte er zu seiner Verblüffung fest, dass zwei Verläufe ganz schnell ganz stark voneinander abweichen können, wenn sich die jeweiligen Anfangszustände nur ganz geringfügig unterscheiden. Diese «Experi-mente» brachten Schwung in die Chaosfor-schung.

UrsprungDa Lorenz’ Untersuchungen auf Computer-berechnungen fussten, kam die Vorstellung auf, bei der Chaosforschung handle es sich um eine junge Teildisziplin. Der emeritier-te Mathematikprofessor Urs Kirchgraber von der ETH Zürich lässt diese Vorstellung nicht gelten. Ihre Wurzeln würden in Wirk-lichkeit viel weiter zurückreichen. Und wichtig sei der historische Kontext. Ohne den könne die Faszination des Themas nicht begriffen werden. Der französische Mathematiker Henri Poincaré hat Ende des 19. Jahrhunderts fundamentale mathema-

Der diesjährige mehrfache Oscargewinner «The King‘s Speech» handelt von George VI., dem stotternden König von England, und seinem Versuch, das Problem des Stot-terns in den Griff zu bekommen. Der König steht mit seiner Beeinträchtigung nicht al-leine da - etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet an dieser Sprachstörung. Ob sie etwas mit Chaos zu tun hat, ist unklar und in der Wissenschaft herrscht Uneinigkeit darüber. Der Psychologe Rainer Höger zum Beispiel, verfolgt einen Ansatz, um sprachpsycholo-gische Befunde zum Stottern chaostheore-tisch zu erklären. Doch was versteht man eigentlich unter «Chaosforschung» und wo liegt deren Ursprung?

Ordnung in der UnordnungSteckt Erkenntniswert im Chaos? Regelmä-ssigkeiten bei zufällig anmutenden Bewe-gungsabläufen oder beispielsweise Ähn-lichkeiten bei scheinbar willkürlichen Küs-tenlinien zu erkennen und messbar zu machen, sind Themen der Chaosforschung. Ein Teilgebiet der Mathematik befasst sich mit dynamischen Systemen. Diese be-

DIE CHAOSFORSCHUNG IST IN DER MATHE-MATIK UND PHySIK vERWURZELT, HAT ABER WISSENSCHAFTLER AUS ANDEREN DISZIPLINEN ANGESTECKT. WOFüR STEHT DAS BESAGTE «CHAOS» üBERHAUPT UND WIE KANN MAN ES FASSEN?

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tische Untersuchungen zu Newtons Theo-rie der Bewegung der Himmelskörper durchgeführt. Dabei stiess er durch rein ma-thematische Überlegungen, Computer gab es damals noch lange nicht, auf das für die Chaosforschung charakteristische Phäno-men. 1903 formulierte er, dass «kleine Ab-weichungen in den Anfangsbedingungen schliesslich grosse Unterschiede in den Phänomenen erzeugen. Ein kleiner Fehler am Anfang wird später einen grossen Feh-ler zur Folge haben. Vorhersagen werden unmöglich (...).» Er bezieht sich, wie wir heute sagen, auf das Gesetz von Ursache und Wirkung und hat damit den erst etwa 60 Jahre später postulierten Schmetter-lingseffekt schon vorformuliert. Dieser be-sagt, dass beispielsweise ein Flügelschlag ei-nes Schmetterlings in China einen Sturm in Europa auslösen kann.

Poincarés Untersuchungen basieren auf dem Fundament, welches durch Isaac New-ton gelegt wurde. Newton entwickelte im 17. Jahrhundert eine Theorie der Bewegung mit zwei Grundpfeilern: das Grundgesetz der

Mechanik (Kraft ist Masse mal Beschleuni-gung) und das Gravitationsgesetz (ein Pos-tulat über die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern). Die Vorhersagen, die sich aus dieser Theorie für die Bewegungen der Planeten ergaben, waren so hervorragend, dass sogar ein bis dahin nicht bekannter Pla-net – Neptun – entdeckt wurde! So entwi-ckelte und verfestigte sich die Vorstellung, dass deterministisch auch prognostizierbar bedeutet – ein Denkfehler, wie Poincaré be-merkte.

Nicht nur negativDie Chaostheorie hat 2008 mit Edward Lo-renz und 2010 mit Benoît Mandelbrot zwei ihrer einflussreichsten Vordenker verloren und es ist etwas stiller um die einst als revo-lutionär angepriesene Chaosforschung ge-worden. Dies sei ein ganz natürliches Phä-nomen sagt Kirchgraber. Viele Theorien entwickeln sich wellenförmig. Mal sind ge-wisse Themen in aller Munde, dann flacht das Interesse ab und etwas anderes drängt sich in den Vordergrund. In der Mathematik ist dies nicht anders. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Chaosforschung tot ist. Im Moment sei es zwar etwas ruhiger gewor-den, meint Kirchgraber, aber es gebe durch mathematische Beweise gesicherte Ergeb-nisse, die Bestand hätten. In der Biologie kann eine neue Einsicht grosse Teile der Forschung falsifizieren. In der Mathematik ist das nicht so. Man kann jederzeit auf die einmal gewonnenen Erkenntnisse zurück-greifen und weiterführende Forschung be-treiben.

Aus einem Flügelschlag wird ein Tor-nado. Aus einer kleinen Abweichung wird nach einiger Zeit eine riesengrosse, und Prognosen sind mit so grossen Abwei-chungen behaftet, dass sie nutzlos sind. Das klingt nicht sehr befriedigend! Aber es gibt auch eine Kehrseite: das Phänomen kann auch positiv genutzt werden. Der Trick sei, diese Schwäche zu einer Stärke zu ma-chen, so Kirchgraber und benutzt ein Bild. Befindet sich eine Kugel im Tal, braucht es viel Kraft um sie auf den Berg zu hieven. Ist die Kugel jedoch auf dem Gipfel kann sie mit geringer Kraft auf die eine oder ande-re Seite gelenkt werden. Prof. Daniel Stof-fer von der ETH Zürich nennt ein prakti-sches Beispiel: Wenn ein Satellit sich genau dort befindet, wo die Anziehung durch die Erde gleich gross ist wie durch den Mond, braucht es nur einen kleinen Energieauf-wand um ihn in eine der beiden Richtun-gen in Bewegung zu setzen. Solche Über-legungen können zum Entwurf von treib-stoffsparenden Weltraumreisen benutzt werden wie sie Edward Belbruno in seinem populärwissenschaftlichen Buch «Fly Me to the Moon» beschreibt.

«Aus einem Flügelschlag wird ein Tornado»

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PopularisierungIn einem Interview mit der NZZ räumte der Physiker Mitchell Feigenbaum ein, dass der Begriff «Chaostheorie» eine sehr irrefüh-rende Bezeichnung sei. Es handle sich im Grunde nicht um etwas «Chaotisches» son-dern lediglich um «Regelmässigkeiten in komplexen Abläufen». Unter den Ausdrü-cken «Differenzialgleichungen» und «dyna-mische Systeme» können sich Nicht-Fach-leute nicht viel vorstellen und so hat sich im Volksmund die einprägsame Bezeichnung «Chaostheorie» festgesetzt.

Generell steht Kirchgraber Populari-sierungsbemühungen positiv gegenüber. Mathematische Überlegungen sollten den Menschen zugänglich gemacht werden. Vor allem in der Schule, aber nicht nur. Dazu darf auch ruhig auf Vereinfachungen und Metaphern zurückgegriffen werden, solan-ge es der Materie noch gerecht wird. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass hin-ter vielen technischen Errungenschaften Mathematik steht. Geredet wird kaum da-rüber, aber ohne Mathematik gäbe es zum Beispiel so nützliche Geräte wie Handys, GPS, CT, usw. nicht. Das Problem ist, dass Formeln und Rechnungen oft nicht visuali-

sierbar sind wie manche physikalische oder chemische Experimente. Das Thema Cha-os ist einfacher zu vermitteln und so wur-de es einer breiten Öffentlichkeit bekannt – eine Metapher wie der Schmetterlingseffekt bleibt in Erinnerung. Das scheinbare Para-dox, dass «deterministisch» und «nicht pro-gnostizierbar» sich nicht ausschliessen, ge-hört zum Reiz des Themas.

InterdisziplinaritätDass chaotische Phänomene auch in ande-ren Disziplinen auftreten und Erklärungs-wert haben können, ist gewiss denkbar, vor allem im Hinblick auf naturwissenschaftli-che Fragestellungen. Allerdings: In der Me-teorologie, die gerne als interdisziplinäres Beispiel der Chaosforschung herangezogen wird, gibt es keine mathematischen Bewei-se für chaotisches Verhalten. Kirchgraber und Stoffer führen das darauf zurück, dass die Mechanismen, die die Entwicklung des Wetters bestimmen, höchst komplex sind.

Rainer Höger hat bei seinen Forschun-gen festgestellt, dass sich die Strukturen des Stotterns mit der Zeit verändern und die Silbenrepetitionen unregelmässig so-wie arrhythmisch werden. Ein Metronom

oder das Reden im Chor könne den Sprech-fluss erleichtern.

Solche Hypothesen sind zweifelsohne interessant, müssen jedoch mit der nötigen Nüchternheit betrachtet werden. Mitchell Feigenbaum bezweifelt, dass sich die Cha-ostheorie problemlos auf die Sozial- und Geisteswissenschaften anwenden lässt: «Die Chaostheorie bezieht sich auf eine Welt, in der sich Geschwindigkeiten, Kon-zentrationen, kurz: alle betrachteten Grö-ssen, exakt messen lassen. Dass sie plötzlich alle wissenschaftlichen Probleme lösbar machen soll, wäre etwas zu viel verlangt.» Mit der menschlichen Psyche kommt gar ei-ner der komplexesten Faktoren überhaupt ins Spiel!

Im Endeffekt sind sich viele Mathemati-ker und Physiker trotz Skepsis darin einig, dass, obwohl eindeutige Beweise noch feh-len, zukünftig Brücken zwischen Chaosfor-schung und anderen Disziplinen denkbar sind. Die Welt und das Universum in ih-rem ganzen Spektrum erklären zu können, muss jedoch nicht unser Lebensziel sein. Wir sollten uns vom Chaos nicht verrückt machen lassen. rText Filip Dingerkus, bil-der Selin bourquin

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09 STUDIVERSUM | 2011.05   —   Lösung «Eingebrochenes Mosaik»: Siehe Seite 18

Im Jahr 1999 haben die Bildungsminis-ter von 29 europäischen Staaten, darun-ter auch die Schweiz, die Bologna-Dekla-ration unterzeichnet. Ihr Ziel: Bis 2010 soll ein europäischer Hochschulraum geschaf-fen werden. Um die vielgelobte Mobilität zu fördern sowie die Arbeitsmarktfähig-keit der Studierenden zu steigern, wurden verschiedene Massnahmen beschlossen. Neben der Durchsetzung eines Studien-systems mit zwei Hauptzyklen – Bachelor und Master – sowie eines Leistungspunkte-systems – den ECTS-Punkten – ging es ins-besondere darum, die Kompatibilität und Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse zu ermöglichen. Klingt vielversprechend. Doch wurden diese Vorgaben in der Praxis auch umgesetzt? Beim genauen Betrachten der Bachelor-Diplome haben wir ziemlich schnell bemerkt, dass es an den Schweizer Universitäten nicht ein einheitliches Ba-chelor-Diplom gibt, sondern unzählige Va-rianten.

Schlägt man ein Bachelor-Diplom der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich auf, so springt einem gleich der No-tendurchschnitt ins Auge. Derjenige von Haupt- und Nebenfach sowie die gewich-tete Gesamtnote sind an prominenter Stel-

hEUTE, RUND zEhN JahRE Nach DER EINFÜhRUNg DES bologNa-SySTEMS aN DEN SchwEIzER hoch- SchUlEN, wIRD DER MEhR-hEIT DER STUDIERENDEN Nach DREI JahREN STUDIUM EIN bachEloR-DIploM ÜbERREIchT. wIE SIEhT EIN SolchES DIploM aUS? – STUDIVERSUM haT DIE DIploME DER phIlo- SophISchEN UND SozIal-wISSENSchaFTlIchEN FakUlTäTEN DER SchwEI-zER UNIVERSITäTEN VERglIchEN.

UNIPOLITIK UNIPOLITIK diplom-chaoS

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le, auf der rechten Seite des blauen Büch-leins, gleich unter dem Titel «Bachelor of Arts UZH», platziert. Wer seinen Bachelor hingegen an der Faculté de lettres der Uni-versité de Lausanne absolviert hat und sich für seinen Durchschnitt interessiert, müss-te sich die Noten von Haupt- und Neben-fach erst im Leistungsausweis heraussu-chen, um den Gesamtdurchschnitt dann selbst zu berechnen.

Uneinheitliche DiplomeGenau wie die Darstellung variiert auch die Berechnungsweise beträchtlich, welche hinter dem Notenschnitt steckt – von Uni-versität zu Universität, von Fakultät zu Fa-kultät. Vorherrschend scheint an den uni-versitären Hochschulen die Gewichtung der Noten nach Credit Points zu sein. So geben etwa die Universität St. Gallen, die Philosophische Fakultät der Universität Zürich oder die Wirtschafts- und Sozial-wissenschaftliche Fakultät der Universität Fribourg an, die Bachelor-Noten nach die-sem System zu berechnen. Doch auch zwi-schen den Fakultäten, welche den Noten-durchschnitt nach Credit Points gewichten, sind deutliche Unterschiede zu beobach-ten. Während beispielsweise an der Uni St. Gallen jedes einzelne Modul benotet wird, gibt es an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, je nach Studiengang, relativ viele Module, welche nur als «be-standen» oder «nicht bestanden» gewertet werden und somit nicht in die Endnote ein-fliessen.

Andere Fakultäten, wie etwa die Kul-tur- und Sozialwissenschaftliche Fakul-tät der Universität Luzern oder die Philo-sophisch-Historische Fakultät der Univer-sität Basel, gewichten die Bachelor-Note nach Prozentsätzen, welche in den Regle-menten der Fakultäten zu finden sind. Die Sozial- und Politikwissenschaftlichen Fa-kultät der Université de Lausanne hinge-gen macht es sich noch einfacher. Dort wird der Notendurchschnitt gleich ganz weggelassen.

Sabine Felder, Leiterin der Bologna-Koordination der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS), erklärt die unterschiedlichen Vorgehensweisen damit, dass die Zusammenstellung der Ba-chelor-Note ganz in der Kompetenz der Universitäten beziehungsweise Fakultä-ten liegt. Generell werden nur unerlässli-che Vorgaben durch die Bologna-Richtlini-

en der CRUS geregelt, was den Hochschu-len einen hohen Handlungsspielraum lässt. Dieser umfasst nicht nur «Details» wie et-wa die Notendurchschnitte. Da nicht der Bachelor sondern erst der Master als Re-gelabschluss betrachtet wird, werden bei-spielsweise an medizinischen Fakultäten teilweise nicht einmal Bachelor-Diplome ausgestellt.

Was ist der Bachelor wert?Die Tatsache, dass der Bachelor nicht als «Normabschluss» gilt, spiegelt sich auch in der Statistik wider. Insgesamt began-nen laut Bologna-Barometer 2010 (Bundes-amts für Statistik) 88% der Studierenden an Schweizer Universitäten in den zwei Jah-ren nach ihrem Bachelor-Abschluss ein Masterstudium. Bei den Geistes- und So-zialwissenschaften sind es etwas weniger. Die Zahl der Studenten, die nach ihrem Ba-chelor-Abschluss direkt ins Arbeitsleben einsteigen, scheint damit noch immer rela-tiv gering zu sein.

Laut Roger Gfrörer, Abteilungsleiter der Career Services der Universität Zü-rich, ist es schwierig, den tatsächlichen Wert eines philosophischen oder sozial-wissenschaftlichen Bachelors auf dem Ar-beitsmarkt abzuschätzen. Denn «den Mas-ter gibt es auf dem Arbeitsmarkt eigentlich noch gar nicht.» Er stellt aber fest, dass zu-nehmend mehr Studierende mit einem Ba-chelor die Career Services aufsuchen, etwa weil sie vor dem Masterstudium eine Pause einlegen wollen. Die Studenten scheinen ihre Chancen also durchaus als intakt ein-zuschätzen. Wer nach dem Bachelor-Ab-schluss den Schritt ins Arbeitsleben wagt, dem empfiehlt Gfrörer, die vollständigen Zeugnisse, also auch das Bachelor-Zeugnis, dem Bewerbungsdossier beizulegen und gute Noten zu betonen. Die Tatsache, dass die Bachelor-Noten auf völlig unterschied-liche Weise ermittelt werden, war den Ca-reer Services der Universität Zürich bisher nicht bekannt. Die Frage, inwiefern dies die Auswahl von Bewerbern – für eine Arbeits-stelle oder einen spezialisierten Masterstu-diengang – beeinflussen kann, bleibt offen.

Auslandsemester unerwähntAusser Frage steht hingegen, dass ein Mo-bilitätsaufenthalt auf dem Arbeitsmarkt ein grosses Plus bedeutet. Dazu muss aber auch erkennbar sein, dass ein solcher statt-gefunden hat. Logisch. Im Bachelor-Dip-

lom der Philosophischen Fakultät der Uni-versität Zürich jedoch sind Module, welche im Rahmen eines Austauschprogramms absolviert wurden, lediglich als «exter-ne Leistungen, anerkannt im Fach X» ver-merkt. Wer nach der genauen Bezeichnung einer Lehrveranstaltung oder dem Namen der Gastuniversität sucht, der sucht ver-geblich. Auch im Diploma-Supplement ist keine Spur eines Studienaustauschs zu finden. Gleiches gilt an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Université de Genève und der Philosophi-schen Fakultät der Universität Fribourg. Während die Zürcher bisher keine Stel-lung dazu genommen haben und die Gen-fer die Tatsache bedauern, verweist man in Fribourg auf die Scheine, welche die Gas-tuniversitäten den Studierenden als Bestä-tigung für die erbrachten Leistungen aus-händigen sowie auf die Learning Agree-ments zwischen den Universitäten. Diese könnten dem Bachelor-Diplom ja beigelegt werden. Eine etwas unbefriedigende Erklä-rung, wenn man bedenkt, wie viele Schei-ne man bereits für ein Semester anhängen müsste oder wie umfangreich die beizule-genden Erklärungen ausfallen müssten, da beispielsweise die Kreditpunkte auf dem Zertifikat in den wenigsten Fällen mit den-jenigen auf dem Diplom übereinstimmen. Einen Lichtblick bilden dennoch diejeni-gen Institutionen, welche sowohl die Lehr-veranstaltung als auch die Gastuniversität aufführen oder zumindest angeben, dass und wo ein Studienaustausch stattgefun-den hat, wie etwa die Philosophisch-Histo-rische Fakultät der Universität Basel oder die Universität St. Gallen.

Mission Bologna accomplished? Rund zehn Jahre nach der Unterzeichnung der Bologna-Deklaration stellen wir fest: Die Schweizer Universitäten scheinen forma-le Details wie Abschluss-Zeugnisse nicht als zentralen Punkt der angestrebten Ver-einheitlichungsprozesse anzusehen. Um die grundsätzlich positive Absicht der Bo-logna-Reform, nämlich die Vergleichbar-keit der Studienzyklen und der Abschlüsse sowie die gesteigerte Mobilität, zu ermögli-chen, ist ein einheitliches Grundgerüst je-doch unabdingbar. Nur so kann Chancen-gleichheit entstehen. Die Frage bleibt offen, ob die Schweizer Universitäten sich diesem Ideal annähern oder ob sie sich nicht im-mer weiter davon entfernen. rText SarahFrehner, Illustration Melanie Imfeld

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34 STUDIVERSUM | 2011.05

Just do itMit Anfang 30 zurück im Elternhaus, bis spät nachts arbeiten, das heissgeliebte Mo-torrad für Startkapital verkaufen, das eige-ne Zimmer als Büro nutzen – so sah das Le-ben der jungen Startup-Unternehmer Se-bastian und Justin in den letzten Monaten aus. Und den beiden macht das sogar noch unendlichen Spass: «Wir leben den ‹Ame-rican Dream› und bauen selbst etwas auf.» Justin weiss wovon er spricht, schliesslich ist er selbst aus den USA und wohnt der-zeit in New York. «Es ist wie Achterbahn fahren. Es geht immer rauf und runter…», «…aber wenn du am Ende aussteigst, dann weisst du, was du geschafft hast», beendet Sebastian Justins Satz.

Kennengelernt haben sich die beiden bei ihrem letzten Arbeitgeber, einer renom-mierten Unternehmensberatung. Bereits an Justins erstem Arbeitstag waren sie zusam-men essen, und seither verbindet die bei-den eine dicke Freundschaft. Auch als Se-bastian, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, Jahre später entschied, seinen Job als Berater aufzugeben und ein Sabbatical im Ausland zu machen, blieben die beiden in Kontakt. In dieser Zeit wuchs bei ihnen der Drang nach etwas Neuem und vor allem nach etwas Eigenem. Beide frag-ten sich damals: «Wenn nicht jetzt, wann ei-

wERk gESchaFFEN, DaS UNSER TV-NUTzUNgS-VERhalTEN VERäNDERN köNNTE. STUDIVERSUM TRaF DIE bEIDEN VISIoNäRE IN bERlIN.

Soziale Online-Netzwerke – sie dienen schon lange nicht mehr dem blossen Aus-tausch mit Freunden, sondern helfen uns bei der Frage, in welche Bar wir heu-te Abend gehen, wohin wir demnächst in den Urlaub fahren oder gar welchen poten-ziellen Lebenspartner wir unbedingt tref-fen sollten.

Erstaunlich «unsozial» verhalte sich heute dagegen immer noch der Konsum von TV-Inhalten, finden Sebastian Bartz und Justin Scull vom Internet-Startup Tu-nedIn. «Und das obwohl TV-Inhalte von Natur aus sozial wirken, wie die allmor-gendlichen Gespräche in Schule, Uni und auf der Arbeit über das Vorabend-Pro-gramm bezeugen.» Das massive Aufkom-men von Smartphones und Tablets werde die TV-Welt verändern. Für dieses so ge-nannte «Second-Screen»-Phänomen, also die komplementäre Nutzung eines zweiten Bildschirms während des Fernsehens, ha-ben die beiden ein passendes soziales Netz-werk geschaffen.

wIR allE kENNEN SocIal MEDIa. SEIT JahREN wERDEN SozIalE oNlINE-NETzwERkE ÜbERall aUF DER wElT IMMER bElIEb-TER UND VERäNDERN zUNEhMEND MEhR bEREIchE UNSERES oFFlINE-lEbENS. DaS lEbEN VERlagERT SIch INS INTERNET. MaN Mag DaS SchäTzEN oDER NIchT, abER ES wIRD wohl koM- MEN. SEbaSTIaN baRTz UND JUSTIN ScUll habEN NUN EIN SozIalES NETz-

TheSocialTele-viSion

REPORTAGE

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gentlich dann?»«Wenn du ein soziales Online-Netz-

werk aufbauen willst, ist es natürlich von Vorteil auch offline ein Netzwerker zu sein.» Nach diesem Leitprinzip haben die beiden ihr Arbeitsumfeld aufgebaut: Das TunedIn-Team setzt sich zusammen aus früheren Arbeitskollegen, Freunden und Bekannten, die aus verschiedensten Dis-ziplinen und Ländern stammen. Dieses so entstandene Netzwerk hat es ihnen ermög-licht, innert weniger Monate und nur mit ei-genem Kapital das Produkt zu entwickeln: Der Launch ist auf Mitte Mai 2011 angekün-digt.

Die IdeeTunedIn heisst das Produkt, beziehungs-weise die Webapplikation, die später auch angepasst für gängige Smartphones und Ta-blets verfügbar sein wird. Es ist Social Te-levision: Statt am Abend alleine vor dem Fernseher zu sitzen soll der User Kontakt zu seinen Freunden und Gleichgesinnten haben können, während sie live dasselbe Fernsehprogramm konsumieren. Die bei-den Jungunternehmer bedienen sich hier dreier Massenphänomene: TV, (mobilem) Internet und sozialer Netzwerke.

«Wir wollen aus Media wahrhaftig ‹So-cial Media› machen. Der Konsum von Mas-senmedien ist heute eigentlich nicht sehr sozial, insbesondere das Fernsehen. Einper-sonenhaushalte nehmen in unserem Kul-turkreis stark zu; bereits heute schaut die Mehrheit der Menschen allein fern. Gleich-zeitig aber steigt der soziale Austausch über Smartphones und Online-Netzwerke.»

Das Ganze muss man sich so vorstel-len: Der Nutzer sitzt vor dem Fernseher auf dem Sofa und ist über Notebook, Smart-phone oder Tablet bei TunedIn eingeloggt. Für den Fall, dass er bei all dem unüber-blickbaren TV- und Film-Content gar nicht weiss, was er schauen soll, wird TunedIn ihm hier helfen können. Der Nutzer kann sehen, was seine Freunde gerade schauen und basierend auf eigenen Bewertungen von Filmen, Serien und Shows und denen aus dem Netzwerk, schlägt TunedIn seinen Nutzern den Content vor, der am besten zu ihnen passt.

Ist der gewünschte Inhalt ausgewählt, kann er hierzu Freunde einladen, sich mit ihnen austauschen, seine Meinung äussern und mit seiner gesamten Aktivität bei Tu-nedIn Punkte sammeln, die ihn im Ranking aufsteigen lassen. Diese Punkte stellen ei-ne Art Währung dar und sollen sich in Zu-kunft in Real-Life-Benefits verwandeln.

Klingt alles ganz plausibel. Aber werden nicht schon heute soziale Netzwerke für den Austausch zu Medieninhalten genutzt?

«Sicher», entgegnet Justin, «es gibt Facebook um sich mit Freunden auszutauschen und Videos zu posten, Twitter für kurze State-ments, und tv.com oder imbd.com, um sich über die Serien zu informieren. Das alles ist weit zerstreut im Web verfügbar. Wir brin-gen das Beste von diesen Plattformen zu-sammen und bieten es einfach zugänglich für alle an. Alles was man dazu braucht, ist ein Fernseher und ein Internetzugang. Die Bedienung ist simpel und unser gesamtes Angebot für den Nutzer kostenfrei. Wenn man junge Teenager beobachtet, sind die die ganze Zeit am simsen während sie TV schauen. Mit TunedIn können sie sich gra-tis mit Freunden austauschen. Sie brauchen sich auch kein neues Netzwerk aufbauen. Da der Login über Facebook Connect läuft, sind ihre Facebook-Freunde auch gleich ih-re TunedIn-Freunde.»

Weshalb sollte ich online mit meinen Freunden chatten und daheim Fussball schauen, wenn ich meine Freunde auch ein-fach in einer Bar treffen könnte? Das wäre doch «sozialer».«Ja klar ist es schöner gemeinsam mit Freunden im selben Raum eine interessan-te Show oder einen guten Film zu schauen. Das wollen und können wir auch nicht er-setzen! Jeder kennt allerdings die Situati-on, dass es häufig einfach nicht möglich ist, physisch beieinander zu sein. Gerade wäh-rend des Studiums ist doch der Freundes-kreis oft global verteilt. Mit TunedIn wird man seine Freunde virtuell um ein media-les Thema versammeln können, egal wo sie sich gerade befinden.»

Es gibt bereits Konkurrenz in den USA.«Richtig, unser Gesamtkonzept geht jedoch wesentlich weiter als das blosse ‹Share what

you’re watching and earn points›-Konzept der meisten Akteure. Bereits ab Start bie-ten wir ein individuelles Set aus wichtigen Features rund um den Konsum von TV-In-halten, gepaart mit einem ansprechenden Design.»

Virtuelles SocializingAngebote wie dieses werfen Fragen nach der Zukunft von Social Media auf. Wird die Zukunft einen ewigen zweiten Bildschirm enthalten? Studien zeigen, dass die Men-schen schon jetzt verschiedenste Medien zeitgleich nutzen. Auf welche Ebenen kann man das noch bringen? Aufmerksamkeit, das wertvollste Gut in der Medienbranche, wird immer schwieriger zu generieren, vor allem wenn die Schnelllebigkeit des Inter-nets kein Ende kennt. Sind wir schon zu «connected»? Kein Tag vergeht, an dem wir nicht auf einen Bildschirm schauen. Fakt ist, der Mensch wird immer ein Zugehörig-keitsbedürfnis haben. Immer mehr verla-gert sich das «Zusammensein» auf die vir-tuelle Welt und in die sozialen Netzwerke. Dabei wird dort nur versucht das zu imitie-ren, was man im realen sozialen Kontakt erlebt. Der Daseinszweck von einem Smi-ley ist die Imitation der Mimik eines Men-schen. Diese soll unterstreichen, wie etwas gemeint ist. Die Online-Welt kann nicht wirklich ersetzen, was wir real zusammen erleben. Werden wir je über gemeinsame Online-Erlebnisse reden? Kann es sein, dass Socializing und gemeinsame Erinnerungen auf das Web ausgelagert werden?

Kontakt haben zu jemandem über tech-nische Hilfsmittel kann das Gefühl der Nähe vermitteln, auch wenn man die Person im realen Leben schon tagelang nicht mehr ge-sehen hat… rText Raffaela angstmann,bild TunedIn

SEcoND ScREEN FUTURE?In der Schweiz besteht diese Two-screen-welt bereits in einer anderen Form: «Joiz», ein kanal für die «Digital Natives», die 15- bis 29-Jährigen, welche mit dem Internet aufgewachsen sind. «Joiz» verbindet Fernsehen mit Internet, Mobiltelefon und sozialen Netzwerken. Und für die ganz kleinen gibt es auf SF das trimediale pro-gramm «zambo», das Fernseh- und Radioinhalte anbietet und gleichzeitig interaktive Elemente auf der website zur Verfügung stellt. Schon Sechsjährige tauschen sich da aus und bewegen sich mit ihrem avatar auf dem zambo-planeten.

SURFENwww.tunedin.de

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13 STUDIVERSUM | 2011.05   —   Lösung «Eingebrochenes Mosaik»: Bitte zwei Seiten zurückblättern

DENkSpIEl | KartengeheimnisDa liegen sie vor uns auf dem Tisch: die Kreuz-Acht, aber auch das Herz-Ass, die Karo-Da-me und der Schaufel-Bube, alle Farben und alle Bilder. Aus wie vielen Karten ein Set be-steht, ist schnell ermittelt: Jede der vier Farben besteht aus 13 Karten, vom Ass (1) über die Zehn, bis hin zum Buben, der Dame und dem König. Da die Zahl 13 per se merkwürdig und somit denkwürdig ist, wirft ein gewöhnliches Kartenspiel Fragen auf, selbst wenn keine Karte ausgespielt wird. Ein Netz mit höchst interessanten Zusammenhängen knüpft der norwegische Philosoph Jostein Gaarder in seinem verspielten Roman «Kartengeheimnis» (dtv, 1998), wobei er bewusst nicht auf den Joker verzichten will.

Unabhängig davon, was sich im Buch auf dieser Insel abspielt, lohnt es sich einmal gründlich zu überlegen, welche zwei bemerkenswerte Brücken sich zwischen einem Kar-tenspiel mit 13 Karten pro Farbe und unserem Kalender schlagen lassen. Und vergessen wir nicht, bei der einen zeitlichen Brücke den Joker geschickt einzusetzen!

lösung der letzten ausgabe (Signiertes loch):Gestartet wird mit dem kompakten Münzen-Parallelogramm. Nun wird zuerst die Münze A, danach die Münze B gemäss der Skizze in die Lücke verschoben. Durch die jeweilige Berührung mit zwei weiteren Münzen werden die Münzen präzis positioniert.

Bei der «Blume» wird mit einem kompakten Sextett (Parallelogramm) gestartet und prak-tisch analog wie zuvor verfahren. Stets kommt die zu verschiebende Münze mit zwei wei-teren Münzen in Berührung. rText p.h.

HERAUSGEBERIN:

Campus Lab AGEschenring 26300 Zug

CHEFREDAKTORIN:

Raffaela Angstmann

REDAKTOREN DIESER AUSGABE:

Silja Aebersold, Raffaela Angstmann André Bähler, Filip Dingerkus Jonas Frehner, Sarah Frehner Sarah Huber, P.H. Dominic Illi, , Melanie Keim Uli Hahn, Claudia Piwecki Nora Lipp, Martina Zimmermann

LAyOUT:

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DESIGN:

Céline Beyeler, Maike Hamacher

BILDREDAKTION:

Selin Bourquin

ILLUSTRATION:

Melanie Imfeld

FOTOGRAFIE:

Selin Bourquin, DurchzweiLaura Ferrara

LEKTORAT:

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StudiVersum erscheint sechs Mal jährlich in einer Auflage von 25 000 Exemplaren an allen Universitäten und Fachhochschulen der Deutschschweiz. Alle Rechte vorbehal-ten; Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste und Internet und Vervielfältigung auf Datenträgern wie CD-Roms etc. nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung der Herausgeberin.

IMpRESSUM | 2011.05

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Page 33: StudiVersum #39

Durch das Zugfenster bewundert Beat die vorbeizie-hende Landschaft. Er mag den Frühling sehr: die Blu-men, die frisch gepflügten Felder, das zarte Hellgrün der spriessenden Blätter – und natürlich die Frauen, die endlich ihre Wintermäntel abgelegt haben und erfreu-lich knapp geschnittene Kleider tragen. Wie zum Bei-spiel die junge Dame gegenüber von Beat, bei der er na-türlich rein zufällig im Abteil gelandet ist. Sie hat dunk-le, gewellte Haare – ein wunderbarer Kontrast zu ihren leuchtendblauen Augen – und kombiniert eine weisse Bluse mit einem leichten Sommerröckchen, das ihre wohlgeformten Beine vorteilhaft zur Geltung bringt.

Frauen wie sie werden oft angestarrt und entwickeln einen sechsten Sinn dafür. Beat nimmt diese Herausfor-derung an. Die Frau (Beat tauft sie auf den Namen «So-phie») blättert in einer Illustrierten. Scheinbar eine ide-ale Konstellation, um sorglos zu gaffen. Doch der Routi-nier Beat weiss es besser: Auch wenn wir uns auf etwas in der Nähe konzentrieren, registrieren wir Bewegun-gen, die weiter entfernt sind. Wer daraus schliesst, dass man sich beim Gaffen möglichst regungslos verhalten muss, hat nichts verstanden; denn niemand verharrt ei-ne halbe Stunde steif in seinem Sessel! Alle Menschen blicken deshalb automatisch auf, wenn sich das Gegen-über längere Zeit nicht bewegt. Dies ist der sogenannte Kontrollblick. Beat kennt dieses Phänomen und macht es sich zunutze. Er schaut «Sophie» regungslos an, ist aber auf der Hut. Deshalb erkennt er ihren Kontroll-blick schon im Ansatz. Als sie aufschaut, hat er den Blick längst abgewandt und starrt scheinbar gedanken-verloren über ihre linke Schulter ins Leere. Noch bevor «Sophie» ihren Blick wieder senken kann, guckt Beat sie an und «erwischt» sie dabei, wie sie ihn anschaut. 1:0! Sie lächelt verlegen. Beat lächelt auch und gibt ihr damit zu verstehen: «Das muss dir doch nicht peinlich sein. Es passiert mir öfters, dass mich Frauen angucken.»

Beat ändert nun die Taktik. Er tut so, als würde er

die vorbeiflitzende Frühlingslandschaft geniessen. In Wahrheit studiert er natürlich «Sophie», deren Reize auch im spiegelnden Fensterglas sehr gut erkennbar sind. Der «Fensterblick» hat den Vorteil, dass man ge-nau sieht, was jemand macht, ohne dass man in seine Richtung schauen muss. Als Beat merkt, dass «Sophie» ihn verstohlen mustert, schaut er sie an. 2:0. Diesmal ist Beats Gesichtsausdruck immer noch freundlich, aber einen Zug reservierter, so à la «dieses Mal lasse ich es dir noch durchgehen, aber bitte hör auf, mich dauernd anzustarren».

Der Zug fährt in Kehrenbach ein, bald muss er aus-steigen. Höchste Zeit für den Beat-Super-Spezial, den er einmal per Zufall entdeckt hat. Beat öffnet den klei-nen Abfallbehälter unter dem Tischchen. Dabei ertönt das typische metallische Quietschen, das jeder kennt, der regelmässig Zug fährt, und deshalb kaum beachtet wird. Da die Passagiere dieses Geräusch so oft gehört haben, wissen sie auch, was gleich darauf kommt: ein leicht dumpferes Quietschen, wenn der Behälter wieder geschlossen wird. Beat schliesst aber den Behälter so sachte, dass dieses Geräusch ausbleibt. Das wiederum läuft der Erwartungshaltung der Fahrgäste zuwider, wo-bei dieser Prozess praktisch immer unbewusst abläuft – so auch bei «Sophie»: Ohne recht zu wissen weshalb, schaut sie leicht irritiert auf. Genau darauf hat Beat ge-wartet. 3:0. Ein lupenreiner Hattrick! Beat wirft ihr nun den «Ja, ich weiss, dass ich verdammt gut aussehe, aber lass mich jetzt endlich in Ruhe»-Blick zu. Dann lehnt er sich ins Polster zurück und geniesst es, dass er eine so schöne Frau wie «Sophie» drei Mal dabei erwischt hat, wie sie ihn angeschaut hat – ein wirklich prickelndes Er-lebnis für einen wie ihn, der seit über drei Jahren kei-nen Sex mehr hatte.

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8 STUDIVERSUM | 2011.05

Text: André Bähler

FRAUEN BEGAFFEN WILL GELERNT SEIN

DIE FLOTTE 3ER-WG

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19 STUDIVERSUM | 2011.05

aRbEITSTIppKein «Puff» mehr

Angefangen hat es mit einer Referatsvorbe-reitung. Sebastian hat vorgeschlagen, dass wir uns bei ihm zuhause treffen und in Ru-he an seinem Schreibtisch das Konzept aus-arbeiten. Doch als ich diesen Schreibtisch sah, hat es mich fast aus den Socken gehau-en: «Sebastian», sagte ich, «in diesem ‹Puff› können wir doch nicht arbeiten. Du musst zuerst einmal aufräumen.» «Ach Horst», sagte der Jungspund, «wie oft habe ich das schon versucht. Aber es nützt nichts.» «Aber, aber», entgegnete ich, und führte Se-bastian ein in die Kunst des Ordnungschaf-fens:

Als Erstes braucht man etwas Zeit. Die sollte man sich getrost nehmen und sich hin und wieder eine Pause gönnen. Auch emp-fehle ich, eine lüpfige Schallplatte aufzule-gen, um die Stimmung zu heben. Jetzt müs-sen alle Papiere, Notizen und Fresszettel, die auf dem Tisch rumliegen, einzeln durch-gesehen werden. Was brauche ich noch? Dabei grosszügig entscheiden: Unwichti-ges stante pede in den Kübel.

Nun kommt das Sortieren. Je nach Un-terlagen kann man ganz verschiedene Ab-lagesysteme erfinden. Ich freue mich stets, meine Mäppchen mit ausgefallenen Namen zu bezeichnen – das bringt Spass in die An-gelegenheit. Aber Obacht: Die Beschriftun-gen sollten nicht zu vage sein: In einem mit «wichtig» bezeichneten Mäppchen weiss man bald nicht mehr, was drin steckt.

Jetzt müssen die Mäppchen nur noch gut versorgt werden. Oft lohnt sich die An-schaffung eines neuen Schubladenmöbels oder einiger Ordner. Damit wäre fürs Erste Ordnung geschafft.

Doch das eigentlich Schwierige kommt erst jetzt: die Ordnung behalten. Dabei ist es nötig, mit etwas Selbstdisziplin aktuelle Unterlagen so rasch als möglich abzulegen. Ich habe für mich einmal in der Woche, am Sonntagabend, die Ordnungsstunde erfun-den. Da gehe ich in mein Arbeitszimmer, le-ge eine gute Platte auf, stopfe eine Tabak-pfeife und sortiere die aktuellen Zettel. So staut sich nie was an und ich fühle mich am Schreibtisch pudelwohl.Horst

horst, 75, ist allzeit bereit: ob im haushalt oder in der garage, beim Einkaufen oder an der Uni, horst hilft! als hörer besucht er regelmässig Vorlesungen und weiss daher bestens bescheid, was den Jungen von heute unter den Nägeln brennt. Seine Tipps sind längst schon keine geheimtipps mehr. Deshalb: horst ausschnei- den, an den kühlschrank oder die pinnwand heften, dann kann nichts mehr schiefgehen!

WIE ANNO DAZUMAL

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