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Stunde der Entscheidung

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ATLAN 100 – Die Abenteuer der SOL

Nr. 599

Stunde der Entscheidung von Peter Griese

In den mehr als 200 Jahren ihres Fluges durch das All haben die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL schon viele gefährliche Abenteuer bestanden. Doch im Ver-gleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit dem Tag ereignen, da Atlan, der Arkonide, an Bord gelangte, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt – inzwischen schreibt man nach einem zweiten Sturz in die Zukunft das Jahr 3807 Bordzeit – geht es bei den Solanern um Dinge, die die Existenz aller ernstlich in Fra-ge stellen. Immer noch ist Hidden-X, das versteckte Unbekannte, aktiv, obwohl dieser Gegner der SOL durch Atlan und seine Getreuen schon mehr als eine Schlappe erlitten hat. Gegenwärtig hat man jedoch mit der Dimensionsspindel die Möglichkeit, zum Gegner, der sich mit seinem Flekto-Yn ins Sternenuniversum zurückgezogen hat, zu gelangen und ihm den entscheidenden Schlag zu versetzen. Als dieser Schlag mißlingt und die Zerstörung der Dimensionsspindel erfolgt, scheint dies das endgültige Aus für Atlan und seine Gefährten zu bedeuten. Doch durch das Eingreifen der Dormiganer kommt es zur glücklichen Wende – und zur STUNDE DER ENTSCHEI-DUNG ...

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ATLAN 100 – Die Abenteuer der SOL

Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der entführte Arkonide findet Un-terstützung. Sanny und Chybrain – Atlans Begleiter. Hidden-X – Ein Superwesen wird in die Enge getrieben. Bjo Breiskoll – Der Katzer startet eine Rettungsaktion. Umpf, Fay und Perus – Drei Bakwer.

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ATLAN 100 – Die Abenteuer der SOL

Die Stunde der Entscheidung ist nah. Ich

spüre, daß ich alle Trümpfe in meinen Hän-den halte. Die Herausforderung, die mir ge-stellt wurde, ist die Belohnung für mein ge-duldiges Warten. Das Universum ohne nen-nenswertes Leben ist bedeutungslos gewor-den. Ich habe es hinter mir gelassen. Der heimische Raum hat mich wieder. Er liegt offen vor mir mit seiner unendlichen Weite und den zahllosen Völkern, denen ich den Segen des starken und einmaligen Herrschers bringen werde.

Dieser Herrscher bin ich. Und nicht der, aus dem ich hervorgegangen bin. In all den Äonen meines Wirkens und Schaffens habe ich nichts mehr gespürt von dir, Seth-Apophis. Ich war selbständig, und ich bin es noch. Meine Kraft ist ungebrochen. Ich werde meinen Willen durchsetzen. Niemand kann mich daran hindern.

Von dir habe ich gelernt, daß Mitleid falsch ist. Deswegen habe ich auch kein Mit-leid mit dir oder mit denen, die sich gegen mich stellen.

Leih mir dein geistiges Auge, Seth-Apophis. Du würdest erleben, daß deine Spie-gelung stärker ist als alles Dagewesene. Du wagst es nicht, denn wenn du dich mir offen-baren würdest, wäre das auch dein Unter-gang.

Pers-Mohandot liegt vor mir. Hier werde ich ein neues Reich errichten, in dem die neu-en Pers-Oggaren meine Diener sein werden. Dann werde ich den Sieger von Xiinx-Markant holen und in die Weiten schicken, nach All-Mohandot, nach Myrsantrop und all den Plätzen, wo ich meinen Willen schon un-ter Beweis gestellt habe. Eine Mächtigkeits-ballung von ungeahntem Ausmaß wird den Kosmos erfüllen. Bars-2-Bars wird mein Stützpunkt für den Vorstoß an die Grenzen dieses Raumes sein. Ich werde die Grenzen überwinden und die Quellen der Jenseitsma-terie finden. Mit ihr werde ich die Mächtigen aus der Dimension jenseits des Jenseits in meinen Bann schlagen.

Und eines Tages werde ich auch dich ver-schlingen oder zertreten, denn ich dulde nie-mand neben mir.

Die Stunde der Entscheidung ist da, denn mein ärgster Feind befindet sich in meiner

Gewalt. Atlan, der Arkonide, das Lebewesen mit der Aura des Kosmokraten, ist auf dem Weg zu mir. Es wird sein letzter Weg sein ...

1.

Die bodenlose Leere, in die ich stürzte,

wechselte periodisch mit gewaltigen Kräften, die an mir zerrten und meinen Körper zu zer-reißen drohten. Phasen der fast geradlinigen Bewegung gingen in solche von schwersten Turbulenzen über. Ich wußte nicht mehr, wo oben oder unten war, geschweige denn, ob es hier überhaupt ein Oben oder Unten gab. Einmal fühlte ich mich auf einen Punkt kon-zentriert, dann endlos in die Länge gezogen. Ich glaubte, ich sei noch auf der SOL, gleich-zeitig jedoch im freien Raum oder im Flekto-Yn des Hidden-X.

Wilde Farbmuster tanzten vor meinen Au-gen, und wenn ich diese für Sekunden schloß, sah ich noch immer die farbigen Kaskaden, die wie ein nicht enden wollender Wasserfall zu allen Seiten tobten.

Hidden-X hatte mich aus der SOL entführt. Wie es das gemacht hatte, war eigentlich un-wichtig. Daß es dies gemacht hatte, bewies seine Macht.

Ich raste durch eine bunte Röhre, die je-weils nur an der Stelle, an der ich mich gerade befand, groß genug schien, um mich aufzu-nehmen. Die verwirrenden Eindrücke drohten meinen Verstand zu sprengen. Ich wollte nach irgend etwas greifen, aber da war nichts außer den vorbeigleitenden Farbbändern, der totalen Stille und dem wechselnden Sog.

Doch! Ein kleiner Schatten wirbelte in meiner Nähe, überschlug sich, raste auf mich zu und dann wieder weg. Es mußte eine Sin-nestäuschung sein, sagte ich mir.

Du bist nicht allein, wisperte die Stimme meines Extrasinns und wies mich so auf mei-nen Irrtum hin. Ich erinnerte mich plötzlich wieder daran, daß in dem Augenblick, in dem sich der unwirkliche Schlauch aus Energie über mich gestülpt und mich fortgerissen hat-te, noch jemand in diese Öffnung gesprungen war. Dennoch konnte ich mich unter den cha-otischen Eindrücken, die pausenlos auf mich herabprasselten, nicht daran erinnern, wer dies gewesen sein könnte.

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Sanny, die Molaatin, informierte mich der

Logiksektor. Dein Verstand arbeitet bruch-stückhaft. Sieh dich vor!

»Wovor?« brüllte ich aus Leibeskräften, aber ich konnte meine eigene Stimme nicht hören.

Ein diffuses Licht drang von »draußen« in die Röhre. Die Energiewände transformierten die Strahlung in das Spektrum des Regenbo-gens, so daß mir die Quelle dieses Lichts ver-borgen bleiben mußte.

Das Licht der Sonne Deignar, meldete sich wieder mein stiller Begleiter. Bleib wachsam! Hüte dich vor falschen Eindrücken! Du wirst entführt!

Ich bin bereits entführt, folgerte ich. Plötz-lich konnte ich wieder sinnvolle Gedanken aneinanderreihen. Entführt von Hidden-X, entführt in das Flekto-Yn, die gewaltige Heimstatt dieses mächtigen und bösen We-sens.

Wieder taumelte der kleine Schatten an mir vorbei. Winzige Hände reckten sich mir ent-gegen. Sanny, meine treue Helferin. Ich ver-suchte, nach ihr zu fassen, aber sie ver-schwand zwischen den bunten Schlieren.

Jenseits der Energiewände tauchte ein an-derer Schatten auf. Er wurde rasch größer und füllte innerhalb von Sekunden mein ganzes Blickfeld aus. Bizarre und dunkle Partien wechselten mit hellen und strahlenden. Immer stärker wurden die Lichter, immer näher kam die drohende Masse.

Das Flekto-Yn! Erstmals hatte ich es auf einer Darstellung

im Zentralkegel der Landschaft im Nichts gesehen, dann später tatsächlich in der Zone-X, einem künstlichen Teilkontinuum, in das sich Hidden-X nach der Niederlage im Ysteri-oon zurückgezogen hatte. Und danach war ich in diesem Körper gewesen, der etwa die Grö-ße des Planeten Jupiter besaß.

Die Anzahl der Planeten, die Hidden-X hat-te zerstören lassen, um die gewaltigen Ni-ckelmengen für seine Heimstatt zu bekom-men, ging bestimmt in die Hunderte, viel-leicht gar in die Tausende. Das unregelmäßig geformte Flekto-Yn bestand nach meinen bisherigen Erfahrungen zu annähernd 99 Pro-zent aus reinem Nickel. Es war aber keine Kugel, sondern ein scheinbar willkürlich zu-

sammengesetzter, vielfältiger Körper. Die Einzelflächen waren unterschiedlich groß und besaßen ebenfalls keine regelmäßigen For-men.

Die Wände des Schlauches, durch den ich gerissen wurde, wurden dünner. Für wenige Sekunden erkannte ich den großen Spiegel des Flekto-Yns, die einzige Figur auf der Au-ßenhülle, die geometrisch exakt geformt war. Einmal war es bereits gelungen, diesen Spie-gel zu zerstören, doch das lag nun fast drei Jahre zurück. In meiner Erinnerung waren es nur Monate, aber ich wußte, daß Hidden-X durch die Wirkung des Zeittals ein Vielfaches meiner Zeit gewonnen hatte. Die Zyaner hat-ten das Flekto-Yn wieder in den ursprüngli-chen Zustand versetzt.

Vergiß nicht deine jüngsten Attacken, die der SOL und den Einfluß der Dormiganer! Unversehrt kann das Flekto-Yn nicht mehr sein.

Ich schwieg zu dieser Bemerkung, denn nach meinen Vorstellungen spielte es keine Rolle, ob in dem 150.000 Kilometer durch-messenden Nickelbrocken ein paar Löcher mehr oder weniger waren.

»Atlan!« Diese Stimme gehörte der Molaatin. Plötz-

lich schwebte sie ganz dicht vor mir. Ich packte zu und hielt sie fest. Im gleichen Mo-ment verschlang uns die Schwärze des Flekto-Yns. Wir fielen noch einmal, diesmal aber durch eine totale Finsternis.

Knisternde Geräusche drangen an mein Ohr. Ich konnte sie nicht identifizieren, und auch der Logiksektor schwieg. Noch immer fühlte ich mich beschleunigt.

Sanny drohte mehrmals meinem Griff zu entgleiten, aber ich schaffte es, sie zu halten. Die Klänge aus dem Flekto-Yn wurden lauter. Um uns herum vibrierte der Raum. Zumindest nahm ich an, daß in dieser Dunkelheit ir-gendwo Materie und Luft waren, denn die Geräusche klangen eindeutig in meinen Oh-ren.

»Sanny! Hörst du mich?« schrie ich. Sie antwortete zunächst nicht. »Vorsicht!« warnte die Molaatin mich

plötzlich. »Wir müssen gleich den Mittel-punkt des Flekto-Yns erreicht haben. Dann muß etwas passieren.«

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»Was soll passieren?« fragte ich zurück. Im gleichen Moment hatte ich das Gefühl,

gegen eine stählerne Mauer zu prallen. Sanny entglitt meinen Händen. Mein Kopf schlug seitlich gegen etwas Hartes, dann stürzte ich mehrere Meter in die Tiefe.

Meine letzten Wahrnehmungen waren das heftige Pochen des Zellaktivators, die zerrei-ßenden Geräusche des Flekto-Yns und Sannys spitzer Schrei.

*

Breckcrown Hayes, der High Sideryt der

SOL, stand in der Hauptzentrale im Mittelteil des Generationenschiffs. Kein Wort kam über seine Lippen, denn noch waren die jüngsten Eindrücke zu frisch. Buchstäblich vor den Augen der Führungsmannschaft war Atlan aus diesem Kreis gerissen worden.

Auf dem Hauptbildschirm war das Flekto-Yn abgebildet, eingehüllt in einen wahrhaft unüberwindbaren Schirm von leuchtend roter und grüner Farbe.

Jenseitsenergie hatte man diese Barriere genannt, die nur durch den Einsatz von im-mensen Nickelmengen vorübergehend so ge-stört werden konnte, daß ein Durchdringen möglich war. Was sich wirklich hinter dem Begriff Jenseitsenergie verbarg, war keinem der Solaner klar.

»Warum hat sie das getan?« stammelte Gallatan Herts und deutete wie in Trance auf die Stelle, an der Atlan und Sanny ver-schwunden waren. Ein Geruch, der an Ozon erinnerte, lag noch in der Luft.

»Wer?« Auch Lyta Kunduran war noch völlig verdattert.

»Sanny«, erklärte der Kommandant der Zentrale. »Der komische Schlauch wollte nicht sie. Er wollte nur Atlan, das habe ich genau gesehen.«

»Du hast recht.« Langsam kam wieder Be-wegung in Breckcrown Hayes. »Was mich verdutzt hat, war ihr letzter Satz. Nimm uns mit! Allein hast du keine Chance.«

»Uns?« Lyta kicherte vor Verlegenheit. Sie wurde mit der Situation innerlich nicht fertig. »Es ist schlimm genug, daß Atlan von Hid-den-X geholt wurde.«

»Ihr redet an den wichtigsten Tatsachen

vorbei.« Bjo Breiskoll fuhr energisch mit der Hand durch die Luft und gebot den Anwesen-den Schweigen. »Es geht schließlich um At-lans Leben. Und um Sannys. Wollt ihr taten-los hier herumstehen und ein Palaver abhal-ten?«

»Bjo hat recht«, griff der High Sideryt so-fort ein. »Der Energieschlauch muß angemes-sen worden sein. Wir müssen jeder Spur nachgehen. SENECA soll sich äußern. Er muß einen Rat wissen.«

»Es tut mir aufrichtig leid«, meldete sich sofort die Biopositronik. »Ich stehe den Tat-sachen machtlos und ratlos gegenüber. Ich vermag nicht einmal zu sagen, ob Atlan über-haupt noch lebt.«

»Aber ich.« Breiskolls Stimme klang rauh. »Ich spüre ihn noch. Ich spüre ihn sogar durch diese Wand aus Jenseitsmaterie. Ihr findet mich in SOL-City. Wenn ich Ruhe habe, kann ich am besten verfolgen, was geschieht. Laßt mich wissen, wenn ihr einen Plan für einen Stoßtrupp habt, der eine reelle Chance bein-haltet, Atlan herauszuholen. Ich melde mich, wenn er nicht mehr lebt.«

»Du willst damit doch nicht etwa sagen«, begehrte Lyta Kunduran auf. »daß er ...«

»Doch.« Der Katzer wandte sich zum Aus-gang. »Das will ich damit sagen, denn ich spüre die Mordlust von Hidden-X. Gebt euch keinen Illusionen hin, denn es will nicht nur Atlan. Es will die ganze SOL, und es will sie vernichten.«

»Wenn das stimmt«, bemerkte SENECA, »dann gibt es nur einen Entschluß. Die sofor-tige Flucht.«

Die Augen aller wandten sich Breckcrown Hayes zu, von dem man nun ein entscheiden-des Wort erwartete. Nur Bjo Breiskoll verließ wortlos die Zentrale, ohne sich noch einmal umzusehen. Der Puschyde Argan U schloß sich ihm an, blieb aber dann doch stehen, um zu hören, was der High Sideryt sagte.

»Die Entscheidung fällt mir sehr leicht«, erklärte Hayes mit klarer Stimme. »Wir blei-ben hier, und wir warten auf unsere Chance für Atlan und Sanny. Und damit erst keine falschen Gedanken aufkommen. Ich brauche jeden von euch. Nur wenn wir eisern zusam-menhalten, können wir diesem kosmischen Biest erneut eins auswischen.«

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»Nicht eins auswischen.« Argan Us Stim-

me überschlug sich fast. Er fuchtelte mit sei-nen beschuppten Armen herum. »Ganz aus-wischen, High Sideryt!«

Dann verschwand der Bärenähnliche mit trotzigen Schritten.

»Geht auf eure Plätze«, bat Hayes. »Tut, was ihr könnt. Wertet jede Einzelheit aus. Stellt zusätzliche Beobachter an alle Ortungs-geräte. Haltet die Kreuzer und Korvetten in voller Alarmbereitschaft.«

Die Männer und Frauen strömten auseinan-der.

»Und du, SENECA«, fuhr der High Sideryt eine Nuance schärfer fort. »Du strengst jetzt mal dein Plasma und deine Positronen ein bißchen an. Es muß einen Weg geben.«

»Das wüßte ich aber, High Sideryt.« Dies-mal klang dieser Satz gar nicht überheblich, sondern wirklich bedauernd. »Was meinst du, was ich pausenlos mache? Jede Überlegung und jede Berechnung führt zum gleichen Er-gebnis. Es gibt keine Chance.«

»Vielleicht im Augenblick, SENECA. Hid-den-X hat uns oft gezeigt, daß es Fehler macht. Es ist überheblich und selbstgefällig. Es wird einen Fehler machen, und den müs-sen wir schnell genug erkennen und entspre-chend reagieren.«

Die SOL begann damit, das Flekto-Yn in langsamem Flug zu umrunden. Die Paratron- und Hochenergie-Überladungsschirme stan-den unter Vollast. Die Transformzwillingsge-schütze blieben unverwandt auf ihrem Ziel. In den Hangars standen die Beiboote startbereit.

Und in SOL-City verfolgte Bjo Breiskoll mit geschlossenen Augen den letzten Lebens-hauch, der von Atlan noch zu ihm durch die Dimensionen wehte. Argan hockte ihm still gegenüber. Das Gesicht des Puschyden war verzerrt.

»Diese Bestie darf sie nicht töten«, mur-melte Argan fast unaufhörlich. »Atlan und Sanny, wir brauchen euch doch noch.«

Eine lange Zeit des Wartens begann auf dem Generationenschiff, eine Zeit der Hoff-nung und der Verzweiflung.

2.

Ich erwachte mit stechenden Schmerzen.

Mein rechtes Knie ließ sich nicht bewegen, und mein Kopf dröhnte. Meine rechte Wange war kühl und naß. Die Impulse des Zellakti-vators schlugen mit meinem Herzen um die Wette.

Vorsichtig öffnete ich die Augen. Ganz dicht vor mir sah ich Sanny. Die Kleine brachte es sogar fertig, mich anzulächeln. Ihre Händchen hielten ein nasses Tuch, aber sofort fuhren meine Hände an den schmerzenden Kopf.

Dann blickte ich mich um. Neben mir hockte die Paramathematikerin aus Oserfans Volk auf dem Boden, und dieser Boden war aus blankem Nickel. Auch die vier nahen Wände, die uns umschlossen, waren aus die-sem Metall. Die Decke war mindestens zehn Meter hoch. Dort oben gähnte ein dunkles Loch. Sanny hatte sich meine Handleuchte zwischen die Knie geklemmt. Diese war unse-re ganze Lichtquelle.

Mein Extrasinn schwieg. Wahrscheinlich konnte er diese Eindrücke auch nicht besser verwerten als ich.

»Woher hast du das nasse Tuch, Sanny?« quälte ich mir über die Lippen, nur weil ich irgend etwas sagen wollte.

»Ich habe es eben, und nur das zählt.« Die Kleine strahlte eine geradezu verblüffende Ruhe aus. »Du hast eine Menge abbekommen bei dem Sturz.« Sie deutete mit einem Dau-men in die Höhe. »Wie lange wird dein Ei brauchen, um dich wieder zu reparieren? Pa-ramathematisch kann ich das nicht berech-nen.«

Ich verstand, daß sie von meinem Zellschwingungsaktivator sprach, der noch während meiner Besinnungslosigkeit mit dem Heilvorgang begonnen haben mußte.

»Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Viel-leicht eine halbe Stunde, vielleicht eine ganze. Du bist unversehrt?«

Sie nickte stumm. »Bei dem Sturz?« Nun deutete ich mit dem

Daumen nach oben. »Kleine Leute fallen leichter«, behauptete

sie und lächelte dabei. Dann nahm sie das Tuch von meiner Schläfe. »Es sieht schon sehr viel besser aus, nicht wahr?«

Behutsam betastete ich die schmerzende Stelle. Ich war wohl irgendwo gegen eine

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Nickelwand oder gegen den Boden geprallt. Langsam kehrten meine Kräfte zurück. Ich erinnerte mich wieder genau an die sich über-stürzenden Ereignisse in der SOL.

»Sanny«, fragte ich, »warum bist du mir in diesen Höllenschlauch des Hidden-X gefolgt? Das hättest du nicht tun dürfen?«

»Ich mußte es tun, Atlan. Allein wärst du jetzt schon nicht mehr am Leben. Hidden-X hat dich geholt. Es will erst dich vernichten, weil es deine Bedeutung für die SOL und die Solaner richtig einschätzt. Dann wird es die SOL ausschalten.«

»Und warum lebe ich dann noch?« erkun-digte ich mich düster.

»Es gibt für alles einen Grund. Willst du aufgeben?«

»Ich denke nicht im Traum daran, aber ich sehe keinen vernünftigen Weg, den ich jetzt einschlagen könnte.«

Die Impulse des Aktivators klangen wieder auf das Maß ab, auf dem ich sie nicht mehr unmittelbar spürte. Das war ein Zeichen, daß meine Schmerzen auch bald verschwinden würden.

»Wir sind im Flekto-Yn«, faßte Sanny un-sere Lage zusammen. »Das bedeutet, daß Hidden-X hier auch in irgendeiner Form ist. Du hast es schon einmal hautnah erlebt, in der Statue des Ysterioons. Damals hat Chart Dec-con einen Weg gefunden, um es zumindest zu schlagen und zu vertreiben. Heute hast du keinen Chart Deccon. Aber du hast uns.«

»Uns?« Ich lachte ironisch auf. »So ist es.« Sanny richtete sich trotzig auf.

Ihre Selbstsicherheit veranlaßte mich immer-hin, nun wieder praktischer zu denken. Tau-send Fragen drängten sich in mein Bewußt-sein, aber keine Antworten.

Ich stand auf und reckte meine lädierten Glieder. Die Schmerzen im Bein waren schon vollends abgeklungen. Auch das Brummen in meinem Kopf ließ immer mehr nach. Ich un-tersuchte meine Ausrüstung und stellte fest, daß ich nichts mehr am Körper trug, was einer Waffe auch nur entfernt ähnlich war.

»Mit solchen Waffen wirst du gegen Hid-den-X auch kaum etwas erreichen können«, bemerkte die kleine Molaatin.

Ich stutzte. »Kannst du meine Gedanken lesen?«

»Natürlich nicht, Atlan«, entgegnete sie sogleich. »Die SOL ist unendlich weit weg. Der Schirm aus Jenseitsenergie ist unüber-windlich.«

»Für uns«, gab ich zu. »Nicht für Hidden-X, und das ist uns viel näher als die SOL.«

Ich nahm die Lampe und leuchtete die Wände ab. Eine andere Öffnung als die an der Decke fand ich nicht. Ich entdeckte jedoch einen tiefen Riß in einer Seitenwand. Der Spalt war so breit, daß ich meine Hand bis zum Gelenk hineinstecken konnte. Sanny kam an meine Seite und betrachtete den Riß.

»Da passe ich nicht hindurch«, meinte sie. Das Metall fühlte sich merkwürdig warm

und brüchig an. Ich packte mit beiden Händen an die Ränder und drückte mit aller Kraft zu. Ein Brocken Nickel löste sich heraus und pol-terte zu Boden. Das Zeug war morsch wie altes Holz. Als ich mit beiden Füßen gegen die beschädigte Wand sprang, fiel ein meter-hohes Stück nach außen.

»Merkwürdig«, stellte ich fest. »Ist das Flekto-Yn innerlich verfault? Oder haben unsere Angriffe und die der Dormiganer auf geistiger Ebene das bewirkt?«

Du träumst! Mein Extrasinn meldete sich endlich wieder, und darüber war ich froh, auch wenn er mir diese kleine Illusion brutal zerstörte.

»Es gibt für alles einen Grund«, meinte Sanny. Mit fiel auf, daß sie diesen Satz nun schon zum zweitenmal benutzte.

»Bist du neuerdings unter die Philosophen gegangen?« fragte ich ironisch und sprang erneut mit den Beinen voran in die dunkle Öffnung. Sanny antwortete etwas, aber es ging in dem Geräusch des zusammenstürzen-den Metalls unter.

Ich packte nun mit beiden Händen zu und zerrte teilweise zerbröckelte Nickelteile her-vor. Sanny leuchtete unterdessen mit meiner Lampe. Das gesamte Metall hier hatte einen schwammartigen Charakter. Es ließ sich ohne größere Schwierigkeiten abtragen. Da es nicht kompakt war, kam ich durch die Hohlräume schnell mehrere Meter voran. Als eine letzte Wand unter meinen Tritten zusammenbrach, öffnete sich vor uns ein erleuchteter Gang von der typischen Form, die ich aus meinem frü-heren Besuch im Flekto-Yn kannte. Eine

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mehrere Meter durchmessende Röhre führte von hier in einem Bogen fort.

»Komm!« Ich winkte Sanny und schritt selbst voran.

Wohin mich dieser Weg bringen sollte, war mir völlig schleierhaft. Ich wollte nur weg von dem Ort, an den Hidden-X uns verfrachtet hatte.

Da Sanny mir mit ihren kleinen Beinchen nicht so schnell folgen konnte, hob ich sie hoch und setzte sie auf meine Schulter. Sie war ein Leichtgewicht, mit ihren 48 Zentime-tern Körpergröße. Jetzt schien es mir jedoch fast so, als wäre sie völlig gewichtslos.

Instinktiv warf ich nach wenigen Metern einen Blick zurück und zuckte zusammen.

»Das Loch hat sich wieder geschlossen«, entfuhr es mir verblüfft.

»Das ist gut«, bemerkte Sanny gelassen. »Dann weiß unser Feind nicht, welche Rich-tung wir genommen haben. Ich gehe sowieso davon aus, daß er uns für tot hält.«

»Für tot?« »Ja, Atlan.« Sanny sprach, als redete sie

vom Selbstverständlichsten der Welt. »Das Absaugen mit der Jenseitsspur verfolgte nur einen Zweck, dich zu töten. Hidden-X hat einen Weg gefunden, die ihm so unheimliche Aura der Kosmokraten, die dich umgibt, zu zerstören. Es hat keine Sekunde gezögert, um diese Waffe einzusetzen. Ich habe das schon auf der SOL berechnet und daraus gefolgert, daß ein solcher Angriff erfolgen würde.«

»Du sprichst in Rätseln, Kleines«, mußte ich zugeben. »Was du sagst, klingt so, als hättest du etwas dagegen getan, denn schließ-lich lebe ich noch.«

»Ich habe nichts getan«, antwortete sie, und dadurch wurde ich auch nicht schlauer.

Vorsicht! Der Logiksektor wirkte erregt. Mit Sanny stimmt etwas nicht. Möglicherwei-se steht sie unter dem Diktat von Hidden-X. Sie verfolgt eine undurchsichtige Absicht. Ihre Aussagen sind falsch und unlogisch.

Ich warf der Paramathematikerin einen fra-genden Blick zu. Die Aussagen meines Extra-sinns waren richtig. Sanny benahm sich nicht nur etwas eigenartig. Ihre Worte waren sehr merkwürdig, und noch merkwürdiger waren ihre Zuversicht und die Tatsache, daß sie mir gefolgt war.

Und daß sie keine Verletzungen erlitten hat, ergänzte meine innere Stimme.

»Dein Extrahirn irrt sich«, behauptete die Kleine.

Sie kann eindeutig deine Gedanken lesen, warnte mich der Logiksektor. Das hat mit Paramathematik nichts mehr zu tun. Und eine Telepathin ist sie nie gewesen, abgesehen davon, daß du deine Gedanken vollständig abschirmen kannst.

Sanny kicherte amüsant, was auch in unse-rer derzeitigen Situation absonderlich unpas-send war.

»Da!« warnte sie und deutete an meinem Kopf vorbei mit ihrer kleinen Hand nach vorn.

Der Stollen, durch den ich schritt, öffnete sich zu einer Halle, die die übliche unregel-mäßige Form der Innenräume des Flekto-Yns besaß. Ich warf einen kurzen Blick in die Runde und stellte fest, daß ich diesen Ort nicht kannte.

Kein Wunder, bemerkte der Extrasinn. Du kennst weniger als ein Millionstel des Flekto-Yns.

Ich war verwirrt, weil er so schnell von der Warnung über Sanny abließ. Drohte mir hier eine andere Gefahr?

In die vor mir liegende Halle führten meh-rere Gänge. Sie alle waren offen, und in der Halle befand sich nichts, abgesehen von einer größeren Lichtquelle hoch oben unter der De-cke.

Eine Verteilerstation für Hidden-X’ Ge-dankenbefehle, vermutete der Logiksektor. Hier wirst du nichts finden.

»Was soll ich schon finden!« antwortete ich laut und wartete gespannt auf Sannys Reakti-on. Doch die Molaatin schwieg.

Ich wählte willkürlich den nächsten Gang aus, der beleuchtet war, und setzte dort mei-nen Weg fort.

»Darf ich wissen«, fragte Sanny, »wohin du willst?«

»Eine gute Frage. Da du irgendwie meine Gedanken lesen kannst, brauche ich dir wohl nicht zu antworten.«

»Du bist nervös, weil du die Lage als hoff-nungslos einschätzt. Das ist eigentlich richtig. Dennoch kann ich deine Gedanken nicht le-sen. Ich vermute allerdings, daß du nach einer

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Möglichkeit suchst, um aus dem Flekto-Yn zu entkommen.«

»Erraten«, gab ich zu. »Dann muß ich dir sagen, daß es eine sol-

che Möglichkeit nicht gibt.« »Es ist uns schon einmal gelungen, mit ei-

gener Kraft aus dem Flekto-Yn zu entkom-men«, widersprach ich. »Und einmal dank der Hilfe Wöbbekings.«

»Wöbbeking ist nicht hier. Das ist ganz si-cher.«

»Was ist mit dir los, Sanny?« fragte ich är-gerlich. »Unsere Lage ist nicht dazu angetan, geheimnisvolle Andeutungen zu machen oder Freudengesänge anzustimmen.«

»Du hast recht, denn dort vorn kommen Bakwer.«

Ich hielt automatisch an. Etwa hundert Me-ter voraus näherten sich in dem Korridor eine Gruppe der kleinen Wesen, die entfernt Igeln glichen und die im Flekto-Yn eine Art Reini-gungskolonne darstellten. Die eigentlich intel-ligenten Bakwer standen unter dem Einfluß von Hidden-X, das sie nach Belieben steuern konnte.

Mit Hilfe von Wuschel, einem sehr jungen und noch unbeeinflußten Bakwer, war es uns einmal gelungen, einen Durchbruch bei die-sen Allesfressern zu erzeugen und viele von ihnen für unsere Sache zu gewinnen. Auch mir hatten die Bakwer schon sehr geholfen und praktisch das Leben gerettet. Das alles war jedoch nach der Zeitrechnung des Hid-den-X vor zweieinhalb Jahren gewesen. So wie inzwischen der große Parabolspiegel wie-der vollkommen repariert worden war, so mußte ich auch damit rechnen, daß keiner der Bakwer von damals noch seinen freien Willen besaß. Es war also höchste Vorsicht geboten, denn die kleinen Wesen waren ungeheuer schnell und unberechenbar.

Da ich keinen Translator mitführte, war es auch unsinnig, einen Verständigungsversuch zu probieren.

»Zurück in die Halle«, rief ich Sanny zu und machte kehrt.

Während ich losrannte, warf ich einen Blick zurück. Die Bakwer beschleunigten ebenfalls, und sie kamen mir rasch hinterher. Ich erreichte den Raum mit den vielen Ver-zweigungen jedoch noch vor ihnen und wand-

te mich hier sofort nach rechts, um in einem der anderen Gänge zu verschwinden.

»Stop, Atlan!« Wieder deutete Sanny vor-aus. Aus dem breiten Rohr, in das ich gerade einbiegen wollte, kamen drei Roboter auf Rollen angerast. Ich kannte diese Modelle nicht, aber das war nicht verwunderlich, denn wir hatten schon die unterschiedlichsten Ty-pen von Robotern im Flekto-Yn gesehen.

Ich rannte zurück in die Halle, um von de-ren Mittelpunkt aus nach einem Fluchtweg zu suchen, der noch frei war.

»Nimm den Gang ohne Licht.« Die Molaa-tin zeigte auf eine dunkle Öffnung. »Ich kann deine kleine Lampe halten.«

Da mir jeder Fluchtweg gleich gut oder schlecht erschien, befolgte ich ihren Vor-schlag und wählte diese Richtung. Als ich den Eingang erreichte und mich die Dämmerung verschlang, hörte ich an den Geräuschen hin-ter mir, daß die Roboter und die Bakwer ein-getroffen waren. Das Knarren der Metallrol-len der Maschinen vermischte sich mit den schrillen Tönen der aufgeregten Lebewesen.

»Das solltest du dir ansehen, Atlan.« Sanny drückte mir sanft in den Hals, um mir anzu-deuten, daß ich anhalten sollte. Ich verharrte in einer Ausbuchtung des Ganges, um so vor einer direkten Sicht geschützt zu sein. Dann blickte ich zurück.

Was ich sah, weckte Erstaunen in mir. Die Bakwer stürzten sich auf die Roboter. Wie Kletten hingen sie an den Maschinen, verbis-sen sich in dem Nickel und rissen Stücke her-aus, die sie anschließend verschlangen. Die Roboter schlugen mit ihren fünf Greifern um sich und versuchten auch ihre Waffen einzu-setzen, aber die Igelwesen waren in allen Be-langen überlegen. Sie waren nicht nur in der Überzahl, sie waren auch wendiger.

»Sie helfen uns«, stellte ich erstaunt fest: »Ob sie sich doch noch an mich erinnern? Ich hatte nicht damit gerechnet.«

Ich auch nicht, bemerkte mein Extrasinn. Es ist unlogisch.

»Du befindest dich in einem grundsätzli-chen Irrtum«, behauptete die Molaatin. Da sie direkt neben meinem Ohr saß, konnte sie flüs-tern. »Die Bakwer folgen in ihrem derzeitigen Zustand nur ihrem Routineauftrag, nämlich Überflüssiges aus dem Flekto-Yn zu entfer-

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nen.«

»Unsinn«, antwortete ich ärgerlich. »Die Roboter sind doch nicht überflüssig.«

»Das stimmt. Ich habe das ja auch nicht be-hauptet. Meine Absicht war nur, dich davor zu warnen die Bakwer falsch einzuschätzen. Noch hält Hidden-X uns für tot.«

»Du sprichst in Rätseln, Sanny. So kenne ich dich nicht.«

»Es gibt für alles einen Grund, Atlan. Da-für, daß ich bei dir blieb, als die Molaaten in ihre neue Heimat in Bumerang zurückkehrten, dafür, daß ich dir freiwillig gefolgt bin, als die Jenseitsspur auftauchte und dich entführte, dafür, daß die Bakwer die Roboter angreifen, obwohl sie weder Abfall noch etwas Über-flüssiges sind.«

Ich war verwirrt, denn ich erkannte den Zu-sammenhang nicht. Während ich den Kampf zwischen den Maschinen und den Allesfres-sern weiter verfolgte, richtete ich eine ge-dankliche Frage an meinen Extrasinn:

Wirst du aus diesem Durcheinander schlau?

Die Tatsache, daß ich keine Antwort er-hielt, war mir Auskunft genug. Der Logiksek-tor kapitulierte also auch.

»Hier ist es mir zu gefährlich«, wisperte ich Sanny zu. »Gleich haben die Bakwer die Ro-bots vertilgt, und dann könnte die Jagd auf uns weitergehen. Wir verschwinden.«

»Du hast recht«, räumte sie sofort ein. »Ich bin sehr einverstanden.«

Langsam zog ich mich in den dunklen Gang zurück. Ein Stück weiter wagte es San-ny, meine Handleuchte einzuschalten. Grund-sätzlich unterschied sich dieser Gang nicht von den früheren. Ich überprüfte die Festig-keit der Nickelwände und stellte fest, daß sie normal war. Mein heimlicher Wunsch, daß das Metall hier auch so morsch war wie in unserem ersten Gefängnis, erfüllte sich nicht.

Trugschluß. Der Logiksektor meldete sich wieder. Dort war es nur vorübergehend ver-ändert.

Er hatte recht, aber das erklärte nichts. »Wenn Hidden-X merkt«, rief Sanny mir

zu, »daß wir noch leben, wird die Sache etwas unangenehmer. Dann darf ich mich auch nicht mehr so deutlich ausdrücken.«

Deutlich? dachte ich. Das kann ja heiter

werden. Bis jetzt hat sie fast nur in zusam-menhanglosen Rätseln gesprochen.

»Egal«, plapperte die Kleine weiter. »Du bist ja nicht allein.«

»Du bist mir eine schöne Hilfe, Sanny«, versuchte ich es versöhnlich. »Mit deinen Warnungen hast du uns gut geholfen. Ich meine, als du die Bakwer und die Roboter so früh entdeckt hast. Aber mit deinen Bemer-kungen trägst du nicht gerade zu einer wün-schenswerten Klarheit bei.«

Ihre Antwort setzte der Sache das bewußte i-Tüpfelchen auf.

»Ich habe weder die Bakwer noch die Ro-boter bemerkt«, behauptete sie. »Aber natür-lich gibt es für alles einen vernünftigen Grund.«

Ich zog es vor, nichts zu antworten. Wenn mein Logiksektor schon nicht zu einer ver-nünftigen Schlußfolgerung kam, so würde es mir erst recht nicht gelingen, denn ich mußte mich auf die Umgebung konzentrieren.

Der Gang verbreiterte sich. Licht drang von vorn auf uns herein, und die Molaatin schalte-te die Lampe aus. Ich verbarg sie in meiner Kombination.

In der Seitentasche, in die ich das kleine Gerät steckte, spürte ich etwas Hartes. Ich faßte zu und hielt einen Kombistrahler in der Hand. Natürlich freute ich mich, denn eine Waffe war immerhin ein kleiner Lichtblick in dieser undurchdringlichen Situation. Anderer-seits begann ich ernsthaft an meinem Verstand zu zweifeln. Schließlich hatte ich genau überprüft, ob ich eine Waffe mitführte, und das Ergebnis war negativ gewesen.

Woher, bei allen Geistern des Universums, kam dieser Kombistrahler?

Zu allem Überfluß schwieg auch der Extra-sinn, obwohl er sonst in solchen Situationen mit Vorliebe über meine Fehler lästerte.

»Du bist verwirrt?« fragte Sanny scheinhei-lig. »Du weißt doch, es gibt für alles ...«

»... einen Grund«, fuhr ich dazwischen. »Das weiß ich inzwischen. Leg mal eine an-dere Platte auf!«

»Habe ich dich verärgert?« Ihr Selbstbe-wußtsein war schon fast nervtötend. »Das wäre schlecht, denn du mußt dich weiter kon-zentrieren, sonst geraten wir in Gefahr.«

»Wir sind in Gefahr.« Ich wünschte mir,

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ATLAN 100 – Die Abenteuer der SOL

daß sie endlich den Mund hielt.

»Ich weiß selbst, wann ich zu schweigen habe.« Sanny blieb ruhig. »Sag jetzt bloß nicht wieder, ich hätte deine Gedanken gele-sen.«

Ich hielt an. Die einzig vernünftige Schluß-folgerung, die mein Logiksektor gezogen hat-te, fiel mir wieder ein.

»Sanny, was willst du?« Meine Stimme hatte einen drohenden Beiklang. »Bist du mir im Auftrag von Hidden-X gefolgt, um mir den Nerv zu töten?«

»Es gibt für alles einen Grund, Atlan.« Die Kleine war ganz ernst. »Unsere Lage ist nahe-zu hoffnungslos. Du wärst längst ein Häuf-chen Staub, wenn wir dir nicht gefolgt wären. Das Nickel wäre nicht morsch geworden. Du wärst nicht entkommen, und die Bakwer hät-ten die Roboter nicht angegriffen, oder wir hätten sie zu spät entdeckt.«

Sie blickte mich aus ihren runden Augen treu und herzlich an.

»Du darfst nicht daran denken, denn jeder Verrat, auch der gedankliche, würde die Auf-merksamkeit von Hidden-X wecken. Ver-sprichst du mir das?«

Ich verstand immer noch nichts, und mein Extrasinn schwieg beharrlich.

»Ich verspreche es«, antwortete ich in der Hoffnung, daß sie mir endlich eine vernünfti-ge Erklärung geben würde.

»Hier ist die Erklärung.« Über Sannys feine Gesichtszüge huschte ein Lächeln. Dann schloß sie den Mund, und ich hörte eine leise Stimme direkt in meinem Gehirn. Chybrain! Chybrain!

3.

Meine Gedanken wollten sich überschla-

gen, aber der Logiksektor fuhr mir mit eisiger Schärfe in die Parade.

Denk an die Frauen, die du in deinem lan-gen Leben geliebt hast. Oder an die, die du noch lieben wirst. Aber denke nicht an das Gehörte! Halte dein Versprechen, auch wenn du es nur gegeben hast, um deine Neugier zu befriedigen. Meine Gedanken sind für Hid-den-X weniger zugänglich als deine. Ob es sie aber nicht doch aufschnappt und uns alle damit erkennt, ist auch nicht sicher. Aber du

darfst trotz deiner Mentalstabilität und deines eigenen Willens nicht Derartiges denken. Du würdest nicht nur dich gefährden, sondern auch Sanny und ihren Begleiter. Ich habe von Anfang an erkannt, daß uns jemand hilft. Es wäre hochgradig unlogisch von Sanny gewe-sen, dir zu folgen, als die Jenseitsspur auf-tauchte. Außerdem hat sie dir mehrfach ein-deutige Hinweise gegeben, als sie von sich in der Mehrzahl sprach. Ich schloß daraus, daß sie nicht sprechen durfte! Und deshalb mußte ich schweigen, denn die Gefahr, die uns durch einen ungewollten Verrat drohte, kann auch ich nicht beurteilen. Spätestens bei dem Auf-tauchen des Kombistrahlers hättest du merken müssen, daß etwas nicht stimmt. Chybrain weilte bereits in Sanny, als sie noch auf der SOL war. Ich hoffe, daß dir das genügt. Und jetzt werde ich schweigen, aber ich hoffe, daß du etwas gänzlich anderes denkst!

»In der neuen Kantine auf Deck 17 in der SZ-2 macht die Robotküche eine ausgezeich-nete Fischsuppe«, antwortete ich. »Es ist zwar alles synthetisch, aber dennoch ganz hervor-ragend.«

»Danke«, sagte Sanny. Ich hörte, wie sie aufatmete. »Die Robotküche wird auch nicht immer von dieser Qualität bleiben. Wenn wir uns an ein gutes Mischgemüse halten, ist die Gefahr einer Entdeckung gering. Zumindest behauptete das mein heutiger Gast.«

Ich verstand, was sie meinte. Und ich beschloß, Folgerungen dieser Art nur noch im Zusammenhang mit Banalitäten zu denken, denn das war es offensichtlich, was der Gast wollte.

Die beste Ablenkung bestand darin, mich weiter auf die Umgebung zu konzentrieren. Das hatte ich bisher getan, und das bedeutete offensichtlich nichts Falsches.

»Ich habe einmal ein Gericht gegessen«, sagte ich schnell, als ich merkte, daß mir die Kontrolle über meine Gedanken zu entgleiten drohte. »Es war ein terranisches Gericht vor vielen Jahren. Ich glaube, es handelte sich um das Gehirn eines Tieres. Die Leute dort besa-ßen eine Sprache, in der Gehirn brain hieß. Leider hatten sie keinen Begriff für das ande-re Wort dieser Speise.«

Sanny antwortete mit einem längeren Satz, der kompletter Unsinn war. Nur an einer Stel-

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le flocht sie schnell drei Worte ein:

»... Chy, child, Kind ...« Ich kapselte meine Gedanken mit aller Wil-

lenskraft ab, bevor ich diese Äußerung um-setzte.

Chybrain war also ein Kind! Immerhin er-klärte dies ein paar Merkwürdigkeiten seines Verhaltens, seine Launen, seine Verstocktheit, seinen Spieltrieb.

Wessen Kind? Auch das war mir klar. Wöbbeking oder

Nar’Bon besaß in seinem Innern einen Ort, den er die Heimstatt des Sohnes genannt hat-te. Ich erinnerte mich nur zu gut an meinen Aufenthalt in dem mächtigen Wesen, als ich der Falle in Aqua-I, dem Auge zum Jenseits, entkommen war. Durch Wöbbekings Hilfe.

»Genug«, sagte Sanny, und ich merkte, daß in Wirklichkeit Chybrain aus ihr sprach.

Das kleine Kristallei hatte ziemlich hoff-nungslos versagt, als es in das Flekto-Yn ge-raten war. Gegen Wände aus Jenseitsmaterie kam auch es nicht an. Und es hatte auf Wöb-beking gehört beziehungsweise sich vor die-sem gefürchtet ...

»... wie ein ungezogenes Kind vor seinen Eltern«, fuhr Sanny in meine Gedanken. »Und was sagen solche Eltern dann? Es ist jetzt genug.«

Ich verstand die Warnung, und nichts lag mir ferner, als uns unnötig zu gefährden.

»Es gibt wirklich noch gute Gerichte«, sag-te ich laut, während ich in die Verbreiterung des Ganges starrte. »Das Menü mit dem Ge-hirn könnte ich stundenlang verspeisen. Aber es gibt noch andere Sachen, mit denen man den Gaumen verwöhnen könnte. Es gibt da etwas, was ich noch nie richtig gegessen ha-be.«

»Handelt es sich um etwas, was du nur einmal verdauen möchtest?« fragte Sanny.

»Ja«, antwortete ich. »Aber so gründlich, daß ich für den Rest meines Lebens davon satt bin. Das Gericht heißt übrigens Das ver-steckte Unbekannte.«

»Du meinst Hidden-X«, folgerte Sanny. »Du kannst diesen Namen ohne Bedenken aussprechen, sagt mein Gast. Er meint aller-dings auch, daß es sich hierbei um eine Mahl-zeit handelt, die nicht nur giftig ist. Man kann auch leicht daran ersticken.«

Jetzt wußte ich wenigstens einigermaßen, woran ich war. Die Lage war bescheiden. Aber sie war nicht mehr hoffnungslos.

Meine alten Kräfte wurden wieder in mir wach. Die Folgen der Entführung und des Sturzes in die Nickelkammer waren abge-klungen. Mochte Hidden-X noch so unverdau-lich sein.

Ich beschloß, für ihn ein noch härterer Bro-cken zu werden. Und gemeinsam mit Sanny und Chybrain sollte mir das gelingen.

Wir werden es versuchen, Atlan. Es war das erstemal für mich, daß Chybrain direkt zu mir sprach. Ich fühlte Wärme und Zuneigung, für die es keine Erklärung gab, aber ich nahm diese Empfindungen dankbar zur Kenntnis. Der Ausgang ist ungewiß. Vielleicht wirst du sterben.

»Noch leben wir«, antwortete ich.

* Es war ein verdammt schwieriges Problem,

sich mit den lauernden Gefahren auseinander-zusetzen und gleichzeitig nicht zu stark an den zu denken, dem man sein Leben verdank-te. Ich hatte kapiert, daß Chybrain aus Tar-nungsgründen ein Versteck in Sannys Körper gewählt hatte. Das war irgendwie absurd, denn Chybrains kleinster Durchmesser war immer noch größer als der Brustumfang der Molaatin. Seine Tarnung bestand also nicht nur in einer anderen Körperhülle. Er selbst mußte sich irgendwie verkleinert haben. Es war müßig, über diese Randphänomene nach-zudenken, denn Chybrain ließ sich mit nichts vergleichen, was mir bisher in meinem langen Leben begegnet war.

Die Verdickung des Schlauches endete vor einem Absatz, hinter dem es gut fünfzig Me-ter in die Tiefe ging. Hier schien auch ir-gendwie ein Umkehrpunkt der Gravitation zu sein, denn als ich meine Hand über den Ab-grund ausstreckte, fühlte ich mich abgestoßen.

Noch während ich überlegte, was zu tun sei, meldete sich Chybrain mit seinen Gedan-ken in mir. Es war etwas verwirrend für mich, was er sagte, denn es stand in keinem Zu-sammenhang mit den augenblicklichen Prob-lemen.

Ich habe mich vor einiger Zeit Sanny an-

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vertraut, teilte mir das im Augenblick un-sichtbare Kristallei mit. Du mußt dir von ihr erklären lassen, welches meine Probleme sind.

Das Wort Probleme stach in mein Bewußt-sein wie die Spitze eines Speeres.

Ja, Probleme, fuhr Chybrain fort. Ich weiß, daß du an so etwas nie gedacht hast. Ich ver-berge mich hier nicht nur vor Hidden-X son-dern auch vor Wöbbeking.

»Vor Wöbbeking«, antwortete ich laut. »Du entstammst ihm.«

Das ist ein kleines Problem, das ich habe. Er hat mir viele Dinge verdorben, aber das ist letztlich unwichtig. Ich gehe auch davon aus, daß er an meiner Entstehung beteiligt war. Zu einer Zeugung gehören aber zwei!

»Du meinst, du suchst nach einem zweiten Superwesen, das dich gezeugt hat? Das ist lächerlich. Du setzt Maßstäbe an, die für So-laner, Terraner oder Arkoniden gelten. Aber nicht für dich.«

»Meinst du das ehrlich?« Plötzlich sprach Chybrain durch Sanny.

»Natürlich. Ich kenne dich nicht. Du hast vielleicht von Wesen, wie es die Solaner sind, vieles angenommen.«

»In einer Sprache, die ein paar Solaner kennen und du, heißt brain Gehirn. Und child heißt Kind.«

Ich konnte mit dieser Andeutung nichts an-fangen und sagte, was ich dachte:

»Das kann Zufall sein, Chybrain.« Du verunsicherst mich, teilte er mir ge-

danklich mit. Vielleicht ist es besser, wenn ich meine Probleme zurückstelle. Wenn wir Hid-den-X entkommen sollten, kann dir Sanny erzählen, was sie über mich weiß. Dann wirst du vielleicht anders über meine Probleme denken. Ich entbinde sie von dem Versprechen zu schweigen.

»Ich bin gern bereit«, antwortete ich, »mich mit dir zu befassen. Jetzt haben wir jedoch andere Probleme.«

Ich bekam keine direkte Antwort, aber ich spürte, wie ich in die Höhe gehoben wurde. Sanny lächelte mich an, und so wußte ich, daß keine Gefahr bestand. Wir wurden sanft über den Abgrund getragen und glitten dort in die Tiefe.

Erst jetzt erkannte ich, daß der Boden nicht

silbern glänzte, wie das bei den Nickelflächen üblich war. Zwischen kleinen Büschen tum-melten sich dort Dutzende von Bakwern. Ich wollte Chybrain warnen, aber in diesem Mo-ment sagte Sanny lakonisch, was das Kristal-lei dachte:

»Es hat uns erkannt, es, Hidden-X.« Keine Sekunde später setzte ein Sog ein,

eine Schwerkraft, die mich zu zerreißen droh-te. Wie ein Stein fiel ich in die Tiefe.

»Es tut mir leid«, sagte Chybrain durch Sanny, »aber das schaffe ich nicht.«

Ich wirbelte durch die Luft, überschlug mich und erwartete den tödlichen Aufprall.

*

»So dünn!« Bjo Breiskoll preßte Daumen

und Zeigefinger fest aufeinander. »So dünn ist der Faden, an dem Atlans Leben noch hängt. Hidden-X ist ihm auf den Fersen.«

»Dann müssen wir etwas unternehmen«, drängte Argan U. »Er kann es allein nicht schaffen. Hayes muß das Flekto-Yn angreifen und ihn und Sanny herausholen.«

Der Katzer stieß ein verzweifeltes Lachen aus.

»Du bist ein gutes Kerlchen, Argan. Aber du weißt auch, daß es so nicht geht. Abgese-hen davon, daß wir Atlan vielleicht nur noch mehr gefährden würden, erreichen würden wir auch nichts.«

»Wir können doch nicht tatenlos herumsit-zen.« Der Puschyde vergaß vor Aufregung sogar, an seinem geliebten Zuckerwasserdes-tilliergerät zu nuckeln. Er hüpfte aufgeregt vor dem Mutanten durch die Kabine, bis er einen Entschluß faßte und hinausrannte.

Keine Minute später war er mit den anderen Mitgliedern des Atlan-Teams zurück. Nur Joscan Hellmut fehlte, der in der Hauptzentra-le der SOL bei den Stabsspezialisten weilte, um die Geschehnisse vor Ort zu verfolgen.

»Wenn Atlan nicht da ist«, sagte Sternfeuer zu Bjo, »bist du der Boß. Was soll gesche-hen?«

»Wenn ich das wüßte!« Der Katzer schaute unglücklich auf seine Freunde und Mitstreiter. »Ich empfange nicht etwa Atlans Gedanken. Bei dem Schirm aus Jenseitsenergie ist das unmöglich. Wenn ich mich konzentriere, kann

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ich aber feststellen, ob er noch lebt. Außer-dem sind da die Ausstrahlungen von Hidden-X. Von dem erreichen mich ab und zu ein paar klare Äußerungen. Und die haben mich wachgerüttelt. Vor wenigen Minuten dachte es etwa das: Dieser Atlan lebt ja doch noch. Dann muß ich ihn endgültig beseitigen.«

Bjo atmete tief durch. »Danach empfing ich Atlans Ausstrahlung nur noch so schwach, daß ich mir nicht mehr sicher bin, ob er das überhaupt ist.«

»Und Sanny?« wollte Cpt’Carch wissen. »Von ihr habe ich keine Spur. Ich weiß

nicht, ob sie die freiwillige Entführung über-lebt hat.«

»Hat denn keiner einen vernünftigen Vor-schlag zu machen?« Nun mischte sich Hage Nockemanns Spezialroboter in die Diskussi-on. »Eigentlich müßte ich ja sofort Atlan fol-gen, denn zusammen mit Wuschel könnten wir erneut die Bakwer umkrempeln. Dann hätte Atlan wenigstens ein paar gute Helfer.«

Nockemann blickte die bewegliche Po-sitronik mißtrauisch an, aber er schwieg. Die Lage war ihm zu ernst, als daß er es gewagt hätte, sich mit Blödel in das übliche Geplän-kel einzulassen.

»Das Hindernis ist der Schirm«, erklärte In-sider. »Breckcrown Hayes hat alles versucht, um ihn zu durchdringen. Nach SENECAS Berechnungen wären Nickelmengen von der Größe eines Mondes erforderlich, und die können wir hier nicht beschaffen. Und über den Energiehaushalt des Flekto-Yns liegen uns nur Schätzungen vor. Es kann sein, daß Hidden-X diese Sperre noch jahrelang auf-rechterhalten kann.«

»Ihr diskutiert im Kreis herum«, stellte Blödel burschikos fest. »So tretet ihr nur auf der Stelle.«

»Welch eine Erkenntnis!« stöhnte Nocke-mann und schüttelte den Kopf.

Joscan Hellmut kam in den Kreis des At-lan-Teams.

»Draußen tut sich absolut nichts«, berichte-te er. »Auch gibt es keine Hinweise über die momentanen Aktivitäten von Hidden-X. SE-NECA vermutet, daß es damit beschäftigt ist, die entstandenen Schäden am Flekto-Yn zu beseitigen und daß es dann zu einem ent-scheidenden Schlag gegen die SOL ausholen

will.« »Wenn wenigstens Sanny hier wäre«, klag-

te Argan. »Sie könnte bestimmt berechnen, was wir tun sollten.«

»Ich bezweifle das«, entgegnete Hellmut. »Und außerdem befürchte ich etwas ganz an-deres. Wenn es sich in der SOL herumspricht, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Totalan-griff des Flekto-Yns so groß ist, werden die Solaner von hier verschwinden wollen, bevor es zu dieser Katastrophe kommt.«

»Richtig.« Bjo Breiskoll nickte düster. »Aber es darf nicht soweit kommen. Breck ist auf unserer Seite, aber wenn sich eine Mehr-heit gegen ihn herausschälen sollte, sieht es schlecht aus. Ich schlage vor, wir gehen alle an Bord eines Kreuzers, um gegebenenfalls sofort eingreifen zu können. Hayes soll mir die SZ-2-14, die ULTRAHEXE, noch einmal zur Verfügung stellen und dazu Vorlan als Piloten. Wenn sich wirklich eine Chance er-geben sollte, den Schutzschirm des Flekto-Yns zu überwinden, müssen wir sofort start-bereit sein. Das ist alles, was wir tun können. Wer kommt mit?«

Wie selbstverständlich flogen alle Hände in die Höhe.

»Gut«, stellte Breiskoll fest. »Dennoch möchte ich, daß einer von uns bei Hayes bleibt.«

Er blickte Joscan Hellmut an, und der nick-te.

Eine Viertelstunde später saßen sie startbe-reit in der ULTRAHEXE. Das Hangartor war geöffnet, so daß das Schiff jederzeit einen Sofortstart durchführen konnte. Die Daten der Ortungs- und Beobachtungssysteme der SOL wurden ununterbrochen in die Zentrale des Kreuzers überspielt, so daß man von hier um-fassend verfolgen konnte, was draußen ge-schah.

Bjo Breiskoll hatte im Sessel des Kom-mandanten Platz genommen. Seine Augen waren geschlossen, und er lauschte mit seinen unbegreiflichen Sinnen in die Weite des Alls.

»Was ist mit Atlan?« fragte ihn Argan U. »Ich weiß es nicht«, mußte der Mutant

zugeben.

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4.

Hidden-X hat erkannt, daß du noch lebst,

erklärte mein Extrasinn noch während des Sturzes in die Tiefe. Es hat einen Gravostoß ausgelöst, der dich zerschmettern soll.

Er mochte wohl recht haben, dachte ich, aber diese Erkenntnis nutzte mir nur wenig. Wenn schon Chybrain gegen diesen gewalti-gen Stoß nicht mehr ankam, wer sollte mir dann helfen?

Ich spürte ruckartige Bewegungen und fol-gerte daraus, daß das Kristallei zumindest versuchte, den Fall abzubremsen, dennoch kam der Boden mit unerhörter Geschwindig-keit näher. Als ich einen Blick in die Tiefe warf, traute ich meinen Augen nicht. In weni-ger als zwei Sekunden war dort ein dunkler Kegel entstanden, auf dessen Spitze ich zu-fiel. Die Zeit, in der ich dies feststellen konn-te, war zu kurz, um Einzelheiten zu erkennen.

Eine neue Teufelei von Hidden-X? Der Sturz kam mir endlos vor, obwohl nur

Sekunden vergingen. Sanny klammerte sich an mich.

»Achtung! Die Bakwer«, rief sie mir ins Ohr.

Im gleichen Moment berührte ich die Spit-ze des Kegels, den ich kurz bemerkt hatte. Ruckartig wurde der Fall abgebremst. Ich raste in eine dichte Masse aus kleinen Kör-pern, die quietschend und kreischend von der Wucht meines Aufpralls auseinanderge-schleudert wurden.

Der Turm aus Bakwern wirkte wie ein Kis-sen oder ein Berg Stroh. Der Fall wurde ver-zögert, und als ich seitlich aus dem Haufen zu Boden polterte, hatte wohl Chybrain die rest-liche Bewegungsenergie kompensiert.

»Es herrscht hier immer noch eine erhöhte Gravitation«, erklärte mir Sanny. Auch sie hatte den Sturz gut überstanden, obwohl sie im letzten Moment von mir weggerissen wor-den war. »Chybrain gleicht das aus. Hoffent-lich merkt das Hidden-X nicht sofort. Es ist ein Glück, daß es es eigentlich nur auf dich abgesehen hat.«

Ich blickte mich um. Um uns herum tum-melten sich mehrere hundert der Allesfresser, aber ihre Haltung zeigte, daß sie nicht daran dachten, uns anzugreifen.

Ein größerer Bakwer kam auf mich zuge-rast und sagte mit seiner schrillen Stimme etwas, was ich natürlich nicht verstehen konn-te. Sanny ließ sich das jedoch von Chybrain übersetzen, der offenbar keine Schwierigkei-ten hatte, die Bakwer zu verstehen.

»Das ist Umpf. Er hofft, daß wir unverletzt sind, und er möchte wissen, warum du sein leidgeprüftes Volk so endlos lang nicht wie-der besucht hast, um es von Hidden-X zu be-freien?«

»Kann Chybrain es ihm erklären?« fragte ich. »Ich meine die Geschichte mit dem Zeit-tal, das uns lang festhielt und dann noch in die Zukunft schleuderte.«

»Er ist schon dabei!« Der Bakwer Umpf gab eine längere Ant-

wort, und als Sanny mir deren Inhalt mitteilte, war ich wieder ein Stück besser informiert.

Die Bakwer standen schon seit dem Ein-greifen der Dormiganer nicht mehr ahnungs-los unter dem ständigen Einfluß von Hidden-X. Offensichtlich waren dessen Kräfte ge-schwächt worden, und andererseits benötigte es seine Aufmerksamkeit in vollem Umfang für die Aufrechterhaltung des Schutzschirms und für die Auseinandersetzung mit der SOL. Im Augenblick schwiegen zwar alle Waffen, aber die Bakwer waren auch der Ansicht, daß Hidden-X in Kürze zu einem neuen Angriff übergehen würde.

Hidden-X beherrschte die Situation also nicht mehr vollständig, folgerte ich. Das war ein positives Zeichen, das mich weiter hoffen ließ.

Sanny erklärte mir weiter, daß Chybrain es gewesen war, der die Bakwer zu der Ret-tungsaktion veranlaßt hatte, als der Gravostoß mich zu zerschmettern drohte. Durch seinen Einfluß war diese Gruppe der Allesfresser für einige Zeit mit Sicherheit vom Zugriff des Superwesens befreit.

»Wir müssen hier weg«, schloß Sanny ihre Erklärungen. »Chybrain wittert neue Angrif-fe. Er hat Umpf gebeten, uns zur Außenseite des Flekto-Yns zu bringen.«

»Das würde uns wenig nützen«, stellte ich fest.

»Eigentlich stimmt das«, gab Sanny zu. »Chybrain meint jedoch ...«

Weiter kam sie nicht. Plötzlich lag das

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Prasseln von Energien in der Luft. Die ganze Halle wurde in ein funkelndes Irrlicht ge-taucht. Etwas packte nach meinen Sinnen und legte sich wie eine dunkle Wolke darüber.

Neben mir sank Sanny aufstöhnend zu Bo-den. Ich folgte ihr wenig später. Die Bakwer rannten nach allen Seiten auseinander, nur Umpf stand unverwandt an der alten Stelle.

Der erwartete Angriff von Hidden-X, stellte mein Extrahirn fest.

Mit einem Mal schwebte Chybrain direkt vor mir in Höhe meines Kopfes. Seine Au-ßenhülle strahlte noch stärker als üblich. Die roten und grünen Sechsecke wechselten ihre Farbe in Sekundenbruchteilen. Das Ei pendel-te leicht hin und her. Dann setzte es sich in Bewegung und beschrieb einen Kreis, der Sanny, Umpf und mich einschloß. Als Chybrain wieder an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt war, entstand wie aus dem Nichts eine durchsichtige Kugelhülle, deren Äquatorlinie Chybrains Weg war.

Ein Energiefeld, folgerte ich. Dieses ragte in den Boden der Halle hinein,

so daß wir etwa eine Fläche von fünf Metern Durchmesser besaßen, in der wir uns nun wieder frei bewegen konnten. Der Druck auf meinem Gehirn ließ schlagartig nach, und die prasselnden Geräusche drangen nur noch ge-dämpft an mein Ohr.

Chybrain kam direkt auf mich zu und hielt an, während ich mich wieder aufrichtete.

»Was war das denn, zum Teufel?« wollte ich wissen. Ich rieb mir den Nacken, der noch stark schmerzte.

»Meine Maskerade ist entlarvt«, antwortete Chybrain mit einer normalen Stimme, die wie die eines jungen Solaners kurz nach dem Stimmbruch klang. »Ich verzichte darauf. Es hat sich viel geändert. Durch dich, Atlan. Du bist viele Schritte durch das All gegangen, während ich noch immer auf der gleichen Stelle stehe. Durch dich werde ich von mei-nem Ziel eigentlich nur noch abgehalten, und ich weiß nicht, warum ich euch helfe. Viel-leicht erwarte ich auch Hilfe von dir.«

»Es ist jetzt ein schlechter Zeitpunkt«, gab ich ihm zu bedenken, »über deine Probleme zu sprechen. Meine Meinung kennst du ja inzwischen. Es gibt keinen Grund anzuneh-men, daß du aus mehr als einem Wesen her-

vorgegangen bist. Du hast dir, wie die Terra-ner sagen, einen Floh ins Ohr gesetzt.«

»Du irrst dich, Atlan. Das weiß ich ganz si-cher. Aber es stimmt, daß wir dieses Gespräch an einem anderen Ort fortsetzen sollten. Ich werde nun mein Schirmfeld mehr und mehr abschwächen, so daß Hidden-X uns mit einem Schlag vernichten kann.«

»Bist du übergeschnappt?« kam es wütend über meine Lippen.

»Durchaus nicht. Was ich vorhabe, ist un-sere einzige Chance. Du darfst nicht überse-hen, daß hier im Flekto-Yn unüberschaubare Energieströmungen existieren, die mich stark beeinträchtigen. Außerdem muß ich damit rechnen, daß Hidden-X noch in der Lage ist, Wände aus Jenseitsmaterie zu erzeugen. Selbst wenn es nur Pseudo-Jenseitsmaterie ist, die es aus Nickel produziert, so wäre das für mich ein unüberwindliches Hindernis.«

»Ich verstehe kein Wort«, gab ich zu. »Das macht nichts«, antwortete Chybrain.

»Entscheidend ist, daß ich das Flekto-Yn nicht verlassen kann. Sanny hat mich hinein-geschmuggelt. Wenn der Schirm aus Jenseits-energie nicht beseitigt werden kann, sitze ich für immer hier fest. Dann würde ich nie erfah-ren, wer mein anderer Elternteil ist.«

»Warum fragst du nicht Wöbbeking-Nar’Bon?« meinte ich etwas ironisch. »Der müßte es doch wissen.«

»Es könnte sein, daß er es nicht mehr weiß«, entgegnete Chybrain ernsthaft. »Und wenn er es wüßte, würde er es mir bestimmt nicht sagen. Er verfolgt auch eigene Ziele. Nun haben wir aber genug geredet. Ich muß handeln.«

Sanny hatte unser Gespräch schweigend verfolgt. Jetzt streckte sie mir ihre Ärmchen entgegen, und ich hob sie auf meine Schulter.

»Nimm auch den Bakwer zu dir«, bat Chybrain. »Das macht die Sache für mich etwas einfacher, denn dann steht ihr alle in körperlichem Kontakt.«

Der Allesfresser kroch auf mich zu, und ich setzte ihn auf die andere Schulter. Dann wur-de das Energiefeld, das Chybrain aufgebaut hatte, immer dünner. Kurz bevor es ver-schwand, schälte sich vor meinen Augen eine Figur aus dem Nichts und nahm rasch feste Formen an.

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Ich stieß einen erstaunten Pfiff aus, als ich

erkannte, daß dort mein Ebenbild stand, auf dessen Schultern die Ebenbilder von Sanny und Umpf hockten.

Dann ging alles ganz schnell. Plötzlich war das Prasseln wieder zu hören, und der Rest des Abschirmfelds verschwand. Chybrain raste wild umher. Ein Dutzend greller Blitze zuckte von allen Seiten heran, und ich mußte geblendet die Augen schließen. In meinen Ohren dröhnten Explosionen, aber ich stand unbewegt an der gleichen Stelle.

Die Helligkeit war so groß, daß sie meine Augenlider durchdrang. Ich vermeinte, eine gewaltige Hitze zu spüren, aber das war eine Täuschung.

Plötzlich ergriff mich ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Es hielt einige Sekunden an, in denen ich keinen festen Boden mehr unter den Füßen spürte. Dann war um mich herum alles dunkel. Ich öffnete die Augen. Dicht vor mir schwebte Chybrain vor einem lichtlosen Hintergrund.

Sanny ließ sich an meinem Arm herunter und holte meine Leuchte aus dem Gürtel. Damit suchte sie die Umgebung ab. Ich sah blanke Nickelwände, also war ich nach wie vor im Flekto-Yn. Nach den Aussagen Chybrains war auch nicht damit zu rechnen gewesen, daß wir es verlassen konnten.

Chybrains Leuchten kam nur aus ihm selbst. Es erhellte nicht uns oder den Boden und die Wände. Umpf quietschte verwirrt. Jedenfalls deutete ich diese Töne so.

»Ich glaube«, sagte Chybrain, »das ist mir gut gelungen.«

»Was?« fragte die Molaatin. »Hidden-X wird ein oder zwei Stunden

brauchen, um zu merken, daß ich es hereinge-legt habe. Es glaubt jetzt, es habe uns endgül-tig vernichtet, dabei sind nur die Pseudokör-per und die Pseudogedanken draufgegangen. Wir haben etwas Zeit, um unsere weiteren Schritte zu überlegen. Ich sorge dafür, daß unsere Gedanken diesen Raum nicht so leicht verlassen können.«

»Welche Chancen haben wir, Chybrain?« wollte ich wissen.

»Das ist schwer zu beurteilen«, gab das er-leuchtete Ei zu. »Viel wichtiger ist für mich die Frage, was du willst?«

»Ich?« Auch Sanny staunte. »Wenn es nach mir ginge, würde ich diesem Hidden-X den Hals umdrehen.«

»Es hat zwar keinen Hals, aber wenn du das willst, sollten wir es zumindest versuchen. Glaube aber nicht, daß das ohne weiteres möglich ist. Zuerst müssen wir alles Wichtige über Hidden-X in Erfahrung bringen. Ich weiß da auch nicht mehr als du oder Sanny. Aber ich denke, Umpf könnte uns in dieser Ange-legenheit behilflich sein.«

Der Bakwer begann mit seiner schrillen Stimme zu zirpen, und zu meinem Erstaunen konnte ich diese Worte verstehen.

Chybrain projiziert die Übersetzung in dein Gehirn, erklärte der Logiksektor.

»Ich kenne diesen Abschnitt des Flekto-Yns«, sagte Umpf. »Mein eitler Herr hat hier in der Nähe einen Speicher angelegt, den wir das Archiv nennen. Vermutlich wollt ihr das sehen, denn hierbei handelt es sich meines Wissens um den einzigen Ort, an dem Infor-mationen über Hidden-X gesammelt wurden. Ich muß euch allerdings warnen, denn es gibt dort Sicherheitssperren, die auf alles Fremde ansprechen, sogar auf Bakwer. Ich war zwei-mal mit einem Kommando dort, um Schäden des normalen Verfalls zu beseitigen.«

Da Chybrain nicht antwortete, ergriff ich das Wort.

»Eine Dokumentation über Hidden-X’ Ver-gangenheit? Das wäre interessant. Würde das uns aber helfen?«

»Bestimmt«, behauptete Chybrain. »Natür-lich ist das Aufsuchen eines solchen Ortes ein Risiko, aber wir sollten es wagen. Nur wenn du mehr über Hidden-X weißt, hast du eine Chance, gegen es anzutreten.«

Da auch Sanny keine Einwände erhob, bra-chen wir auf. Umpf führte uns an eine glatte Wand, wo er einen für mich nicht erkennba-ren Mechanismus betätigte. Es entstand eine Öffnung, hinter der heller Lichtschein war.

Wir eilten durch mehrere Gänge mit ver-schiedenen Abzweigungen. Sanny hockte wieder auf meiner Schulter. Umpf flitzte vor-aus, und dahinter folgte das leuchtende Ei.

Der Bakwer steuerte einen Raum an, in dem ein Gerät stand, in dem ich unschwer einen Transmitter erkannte. Er programmierte – wiederum für mich nicht erkennbar – die

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Zielkoordinaten ein.

»Halt mal!« rief ich. »Ein Transmitter wäre doch die ideale Möglichkeit, uns zur SOL zu befördern.«

»Du hast die Lage noch nicht durchschaut.« Chybrain schwebte zu mir heran. »Erstens handelt es sich hier um einen Interntransmit-ter einer anderen Technik, die wohl kaum mit der SOL zusammenspielen würde. Und zwei-tens kann kein Transmitterprozeß die Barriere aus Jenseitsenergie durchdringen. Ich bin für mich allein besser als jeder Transmitter, und ich kann mich auch nicht aus dem Flekto-Yn bewegen. Du solltest ferner wissen, daß es für mich sogar ein tödliches Risiko darstellen würde, wenn ich die Nickelwände durchflie-gen wollte. Du weißt ja inzwischen, daß Jen-seitsenergie und Jenseitsmaterie zu dem Ele-ment Nickel in einer komplizierten Beziehung stehen.«

»Schon gut«, lenkte ich ein. »Wir müssen doch an jede Möglichkeit denken, um etwas zu erreichen.«

»Wenn du zur SOL zurückkehrst«, behaup-tete Chybrain, »erreichst du gegen Hidden-X absolut nichts. Du rettest nicht einmal dein Leben.«

So sah er das also, dachte ich. »So sehe ich es«, bestätigte das glitzernde

Ei, und ich erkannte, daß er trotz meiner Ab-schirmung meine Gedanken wie ein offenes Buch lesen konnte.

Das kann ich auch, mischte sich der Extra-sinn ein.

*

»Hinter der nächsten Abbiegung seht ihr

den Eingang zum Archiv.« Chybrain erzeugte wieder die Worte des Bakwers direkt in mir. »Mit den Sicherheitsvorrichtungen müßt ihr zurechtkommen. Ich kenne sie nicht. Wenn Bakwer in dieses private Heiligtum mußten, hat Hidden-X sie jeweils desaktiviert.«

Mir war nicht so recht wohl bei diesem Ge-danken, denn alles war ungewiß. Chybrains überwältigenden Fähigkeiten waren hier of-fenbar Grenzen gesetzt. Ich konnte weder diese Fähigkeiten noch die Grenzen richtig einschätzen. Und was Hidden-X für Tücken auf Lager hatte, war noch weniger zu erahnen.

Das Kristallei sagte wieder einmal nichts und vergrößerte meine Sorgen damit noch mehr. Es glitt einfach weiter und tat so, als ob es die Worte Umpfs nicht gehört hätte.

Dann standen wir vor einem großen Tor, das mit kitschigen Ornamenten verziert war.

»Da sieht man«, ließ Chybrain mich wis-sen, »wes Geistes Kind Hidden-X ist. So ein-fach ist das. Doch wes Geistes Kind ich bin, kann mir niemand sagen.«

Ich merkte, daß er sich noch mit seinem persönlichen Problem befaßte.

»Du solltest mir lieber sagen«, verlangte ich, »wo hier die Sicherheitssperren sind.«

»Ich habe sie bereits abgeschaltet«, behaup-tete Chybrain. »Allerdings kann es sein, daß ich etwas übersehen habe oder daß Hidden-X mein Eingreifen bemerkt hat.«

»Schöne Aussichten«, meinte Sanny. »Hier versagt sogar die beste Paramathematik.«

Während ihrer letzten Worte glitt das Tor in die Höhe. Chybrain bewegte sich sofort voran und glitt durch die Öffnung. Umpf schloß sich ihm nach kurzem Zögern an, und als nichts geschah, folgte ich den beiden.

Der kurze Gang, durch den ich schritt, lag in einem trüben Licht, das aus winzigen Ge-fäßen kam, die zu beiden Seiten standen. Zwi-schen diesen Lichtquellen befanden sich Bil-der an den Wänden, auf denen Figuren abge-bildet waren, mit denen ich zunächst nichts anfangen konnte. Zweifellos handelte es sich um Lebewesen. Hatte sich Hidden-X hier eine Trophäensammlung angelegt?

So schien es zu sein, denn nach einigen Metern entdeckte ich das Bild von Oggars ehemaligem Kunstkörper, der dem Androiden Waggaldan gehört hatte. Weiterhin konnte ich auf einem anderen Bild einen Roxharen ent-decken, dann einen Molaaten, den Sanny kopfschüttelnd fixierte, und schließlich auch einen Pers-Oggaren, wie Oggar mir seinen früheren Körper beschrieben hatte. Die meis-ten Wesen waren jedoch völlig unbekannt für mich.

Am Ende des Ganges fand ich mein eigenes Ebenbild. Es war etwas verschwommen pro-duziert. Darunter befanden sich fremde Schriftzeichen.

»Ich möchte wissen, was das heißt«, sagte ich und deutete auf die Symbole.

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»Unwichtig«, behauptete Chybrain, aber

Sanny gab mir durch einen kleinen Stoß an den Kopf zu verstehen, daß ich anhalten soll-te.

»Ich müßte es parainstinktiv lesen können«, vermutete sie. Ich ließ ihr Zeit, die Schriftzei-chen auf sie wirken zu lassen.

Unvermutet lachte die Molaatin auf. »Weißt du, was das heißt, Atlan«, erklärte

sie dann. »Dort steht: Der mit der Aura aus dem Jenseits. Ein wichtiger Sieg auf meinem Weg.«

Ich fand das gar nicht lächerlich. Hidden-X nimmt also tatsächlich an, fol-

gerte der Extrasinn genau, daß du bereits tot bist. Es kann dieses Bild erst kürzlich erzeugt haben.

»Ein Irrtum«, mischte sich Chybrain ein und zeigte damit, daß er auch die Äußerungen meines Logiksektors verstehen konnte. »Hid-den-X hat dieses Bild vor vielen Jahren er-zeugt.«

Dann lebt es an der Wirklichkeit vorbei, stellte das Extrahirn fest. Es ist überheblich und selbstgefällig. Es baut sich eine Wirklich-keit auf, die nicht stimmt. Das ist eine Schwä-che, die schon zum Sturz vieler Mächtiger geführt hat.

»Ich kann nicht widersprechen«, entgegnete ich laut und setzte den Weg fort.

»Umpf sagt«, teilte mir Chybrain mit, »daß sich seit seinem letzten Aufenthalt hier, der immerhin schon ein paar Jahre zurückliegt, nichts verändert hat. Auch hat Hidden-X seit-dem keine neuen Bilder erzeugt.«

Der Gang endete in einem runden Raum, in dem die gleiche merkwürdige Beleuchtung herrschte. Die Wände waren leer, aber an fast allen Stellen von einer samtartigen Substanz überzogen. Zwischen den grünen Flächen leuchtete das blanke Nickel.

»Ich kann nichts erkennen«, sagte ich, »was auch nur entfernt einem Wissensspeicher oder einem Archiv ähnelt.«

»Warte«, bat Chybrain. »Ich fühle, daß hier etwas ist, aber es ist nicht körperlich in dei-nem Sinn. Es gibt eine Art Gedankensteue-rung, die in den Wänden verborgen ist.«

Ich faßte mich in Geduld. Chybrain schwebte in der Mitte der Halle, während Umpf sich scheu am Eingang niedergekauert

hatte. Zunächst geschah nichts, aber dann begann Sanny zu zittern.

»Was hast du, Kleines?« erkundigte ich mich besorgt.

»Ich verstehe etwas nicht«, klagte Sanny. »Etwas ist da. Es ist leicht zu berechnen, und es muß etwas mit dem zu tun haben, was Chybrain gerade macht. Aber es ist unvor-stellbar.«

»Drück dich genauer aus.« »Er holt etwas aus der fernen Vergangen-

heit.« Ich sah, daß Sanny die Augen geschlos-sen hielt. »Es wimmelt hier von ... von Ereig-nissen, die einmal welche waren.«

Ich wollte weitere Fragen stellen, aber ich kam nicht mehr dazu. Ein lang anhaltender Gong dröhnte in meinen Ohren, und danach entstanden Schleier und Schlieren in der Luft, die allmählich Formen annahmen.

5.

Glorreicher, die Stunde deiner Entstehung.

Ich will es so, denn in der Zukunft werde ich dich brauchen. Du sollst als mein Ableger dafür sorgen, daß es eine Zone in diesem Weltall gibt, die ich einmal brauchen werde, wenn es zu einer entscheidenden Auseinan-dersetzung kommt. Ich spiegelte dich aus vie-len Teilen von mir. Ich wählte die Teile, die die notwendige Kraft besitzen. Erfülle deinen Auftrag! Du kannst selbständig handeln, und ich werde dich nur rufen, wenn ich dich wirk-lich brauche: Hüte dich vor den anderen Mächten! Bleibe stark! Und wachsam! Hüte dich vor der Selbstüberschätzung und halte mir die Treue!

Eine andere Stimme: Der letzte Satz ist lä-cherlich. Ich belasse ihn, weil er mir zeigt, wie stark ich wirklich bin.

Die erste Stimme: Du hast alle Möglichkei-ten, dich zu entfalten. Du kennst keine Gren-zen, selbst die zum Jenseits wirst du entde-cken. Hüte dich jedoch davor, nach dem zu streben, was dort ist. Einmal wirst du davon erfahren, daß es irgendwo die Quelle der Jen-seitsmaterie gibt, die dir alle Macht geben könnte. Taste sie nicht an, trachte nicht da-nach, denn das wäre dein Untergang. Mehr gebe ich dir nicht. Du wirst deinen Weg fin-den. Und vergesse nie, wer du bist, eine Spie-

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gelung meiner Bewußtseinsinhalte, eine Spie-gelung von Seth-Apophis.

Die andere Stimme: Du hast mir keinen Namen gegeben, und das werde ich dir nie verzeihen. Aber ich werde Namen finden, schöne und starke Namen!

*

Eigene Gedanken: Dieses Universum hat

einen großen Nachteil. Es ist zu klein und zu schwach. Wo sind die Grenzen? Ich sehe kei-ne, aber ich habe eine Reihe von interessan-ten Namen gefunden oder bekommen: ALL-MACHT, HERR, (WALDGEIST – mußte ich später streichen), HERRLICHKEIT, ARCHI-TEKT, GEISTIGER FAKTOR ...

Gedanke 39147: Seth-Apophis, ich hasse dich mit deinem Haß. Ich werde dich auch besiegen!

Gedanke 212, Fortsetzung: Endlich ein starker Name und ein starker Gegner, Chart Deccon. So werde ich mich nennen.

(Muß gestrichen werden, denn er wurde auf einer Ebene besiegt, die alle Schwächen bein-haltet. Er wurde überzeugt von einem, dem die Aura der Kosmokraten anhaftet. Dieser heißt Atlan. Das ist kein Name. Das ist ein Gegner!)

Gedanke oder Nummer (später einordnen, wenn das Buch der glorreichen Taten verfaßt wird): Ich gebe die Statue im Ysterioon auf. Mein Hiersein ist langweilig geworden. Die Statue ist zerbröckelt.

Einwurf von Chybrain: »Diese Aussage ist offensichtlich zu einem späteren Zeitpunkt eingefügt worden. Hidden-X sagt hier die Unwahrheit. Es hat sich eine falsche Vergan-genheit aufgebaut, weil jegliches Versagen seine innere Moral schädigt.«

Zusatz von Chybrain: »Ich suche weiter nach interessanten Passagen. Ihr müßt euch mit einer Auswahl begnügen, denn der ganze Wust an Selbstverherrlichung würde über hundert Jahre beanspruchen, wenn ich ihn aus den Speichern holen würde.«

*

Endlich ein richtiger Name: Hidden-X! In

den Gedanken der Kreaturen, die mir diesen

Namen gaben, heißt das der VERBORGENE der UNBEKANNTE.

Ihr sollt mich kennenlernen! Besonders du, Atlan!

Anmerkung: Ich neige dazu, Dinge zu übersehen. Das darf jedoch niemand wissen. Selbst ich nicht! Also denke daran. Oder bes-ser nicht.

Gedanke: Man müßte eine Galaxis verdop-peln. Eine davon müßte in sich selbst leben. Die habe ich gefunden, Bars. Ich werde Bars-2-Bars daraus machen, damit in diesem Zent-rum der Weg zur Quelle der Jenseitsmaterie entsteht. Diesen Weg werde ich gehen, und dann habe ich alle Macht.

Auch über dich, Seth-Apophis! Neue Numerierung (muß aber auch überar-

beitet werden): Das Flekto-Yn ist fertig. Sie haben gute Arbeit geleistet. Warum ist Bars-2-Bars noch nicht fertig? Was macht mein Ableger in Xiinx-Markant? Der Innere Gürtel steht vor der Vollendung. Ein Auslesevolk ist noch nicht gefunden. Mein namenloser Able-ger wird dieses Volk finden.

(Anmerkung 1: Ich habe bei der neuen Nu-merierung die Zahl vergessen.)

(Anmerkung 2: Es wäre besser gewesen, die Solaner zu meinen Knechten zu machen. Der Schalter hat jedoch versagt. Welch ein Segen für dieses Universum, daß ich nie ver-sage!)

(Anmerkung – die Zahl setze ich später ein: Die Zeithüter müßten erneuert werden. Ich weiß nicht, ob sie noch richtig funktionieren).

Gedanke 13248: Meine Macht besteht. All-Mohandot steht unter meiner Kontrolle. Die Macht der Pers-Oggaren in Pers-Mohandot ist zerstört. In wenigen Äonen ist Bars-2-Bars fertig. In Xiinx-Markant verläuft alles nach meinem Plan, auch wenn die Auslese etwas länger dauert. Die Zone-X ist für alle uner-reichbar. Das Universum ohne nennenswertes Leben ist vorbereitet. Die Planeten dort sind abgezogen und von mir getarnt worden.

Gedanke 12577: Meine Maßnahmen auf der SOL haben keinen Erfolg gehabt. (Das ist aber nicht meine Schuld!) Irgendwie hat es der Zufall gewollt, daß die beiden Teile der Quasi-Antimaterie sich nicht vereinigen konn-ten. Die Solaner werden vielleicht darüber lachen, aber Romeo und Julia haben nicht zur

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rechten Zeit zueinander gefunden. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten. (Zwischenge-danke: Die Formulierung stammt von der Solanerin Valara Brackfaust).

Noch Gedanke 12577: Der Bio-Trick mit Alpha und den Ebenbildern war ein voller Erfolg. Die SOL wurde vernichtet. Sie haben sich selbst zerstört, diese Narren. (Anmer-kung dazu: Muß noch überprüft werden).

Zusatz zu 12577: (muß später für das Buch der glorreichen Taten gestrichen werden) Durch das Wirken ... Rauschen ... wurde der Gesamterfolg des Bio-Tricks leicht abge-schwächt. Der Versuch, die Biopositronik SENECA zu spiegeln, ist gescheitert.

Anmerkung ohne Bezug: Wo ist das Son-nensystem der Roxharen? Sollte ich tatsäch-lich etwas vergessen haben? Es ist ein Segen für dieses Universum, daß es mich gibt. Und daß ich nie etwas vergesse.

Fluchtgedanke: (muß im Buch der glorrei-chen Taten anders geschildert werden, da sonst Prestigeverlust) Der geistige Zwang ist auf ein Hindernis gestoßen. Dieses heißt Chybrain.

Konstruktiver Gedanke: Das Flekto-Yn ge-hört an den sichersten Ort. Also in das Uni-versum ohne nennenswertes Leben. (Es ist herrlich, daß ich pausenlos konsequent, rich-tig und vernünftig handle. Es ist bedauerlich, daß ich das einzige Existierende bin, das dies kann. Nicht einmal dieser Atlan kann das. Oder?)

Zusatz: Alle »Oder« müssen gestrichen werden.

Gedanke 344 neuer Zählung: Es wird Zeit, daß ich mein Archiv überarbeite.

Erlebnis: (habe ich schon eine Numerie-rung dafür? Unbekannt): Ein Wesen aus Jen-seitsmaterie ist im Flekto-Yn aufgetaucht. Es nennt sich Chybrain. Das ist vielleicht sein Name, denn es weiß auch nicht, wie es wirk-lich heißt oder woher es stammt. Da mich dieses Problem nicht betrifft und ich dieses Ei isolieren, schwächen und damit ausschalten konnte, ist es unbedeutend, daß ich auch nur weiß, daß Chybrain aus dem Jenseits kommt. Ich wollte ihn fragen, ob er weiß, wo die Quelle der Jenseitsmaterie ist, aber ich kann ihn nicht antasten. Ich beneide dich ein we-nig, Chybrain, aber ich kenne deinen Erzeu-

ger nicht. Ist er einer von denen, die ich be-siegen werde, wenn Seth-Apophis mein Sklave ist? Wo ist die Quelle der Jenseitsmaterie? Bars-2-Bars wird mir die Antwort geben.

Chybrain: »Atlan, Sanny, Umpf. Meine Su-che war sinnlos. Hidden-X hat viel gesehen, hat viel erreicht, aber er kennt meine Eltern nicht.«

Die Bilder und Stimmen erloschen.

* Dieses Teufelsei hat also weiterhin seine

eigenen Absichten verfolgt, bemerkte der Lo-giksektor. Seine lautlose Stimme klang so empört, wie ich es noch nie gehört hatte. Soll er ruhig meine Gedanken verfolgen! Soll er wissen, wie aufgebracht ich bin. Wir stecken bis über beide Ohren im tiefsten Schlamassel, und dieses Osterei durchforscht ein Archiv aus einem persönlichen Egoismus, der abso-lut hirnrissig ist. Wöbbeking hat ihn erzeugt. Die Heimstatt des Sohnes besagt alles.

Ich war noch nicht am Ende meiner Über-legungen, denn das, was sich vor meinen Au-gen und Ohren abgespielt hatte, war zu viel-fältig, zeitlich zu ungeordnet und damit zu verwirrend, als daß ich sogleich alles in den richtigen Zusammenhang hätte bringen kön-nen. Was der Extrasinn dazu sagte, weckte meine Verwunderung in einer anderen Rich-tung.

»Du bist ein Logiksektor?« klagte ich ihn an. »Was du eben gesagt hast, ist tiefstes Ge-fühl. Das sind Emotionen! Warum?«

Warum? kam das Echo. Warum? Ich weiß es nicht. Ich will es auch gar nicht wissen. Vielleicht liegt es an Chybrain.

Das Kristallei schwebte noch immer in der Mitte der Halle. Sanny hockte auf meiner Schulter und schwieg nachdenklich. Für einen Sekundenbruchteil dachte ich daran, was jetzt wohl in ihrem paramathematischen Köpfchen vorgehen mochte. Umpf pfiff vor sich hin, aber das war wohl auch ein Zeichen seiner Verwirrung.

Bars-2-Bars und Xiinx-Markant. Diese bei-den Namen aus dem Wissens- und Erinne-rungsspeicher von Hidden-X konnten nur die Namen von Galaxien sein. Also reichte der Einflußbereich dieses Negativwesens weiter,

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als ich vermutet hatte. Und folglich war Hid-den-X noch einflußreicher, als es SENECA einmal gesagt hatte.

Das glitzernde Ei, dem ich erstmals in dem Quader kurz vor Osath begegnet war, schwankte wenige Schritte von mir entfernt leicht hin und her.

»Chybrain?« fragte ich ruhig und freund-lich.

Ich bekam keine Antwort, auch nicht, als ich ihn noch einmal rief.

Sanny zwickte mich ins Ohr. »Laß ihn in Ruhe. Er hat eine neuerliche Enttäuschung erlebt.«

»Du hast wohl recht, Sanny. Aber wenn ich daran denke, was mich im Augenblick be-lastet, wenn ich überlege, wie wir je aus die-ser Situation kommen könnten, was Hidden-X macht, wenn es uns wieder entdeckt, dann ...«

Ich beendete den Satz nicht, weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Aber Sanny folg-te meinen Gedanken genau.

»Dann hast du panische Angst«, sagte sie. »Ich auch.«

*

Das Geschrei des Bakwers riß mich aus

meinen Gedanken. Ich witterte eine Gefahr, denn bislang war eigentlich alles zu glatt ge-gangen. Chybrain übersetzte diesmal nicht, was Umpf sagte, so daß meine Ungewißheit wuchs. Er schwebte an der gleichen Stelle und ließ nichts verlauten. Das Leuchten seiner Sechsecke war etwas blasser geworden.

»Er ist bedrückt«, vermutete Sanny. Ich hielt den Kombistrahler, den ich auf

unerklärliche Weise gefunden hatte, in der Hand, aber alles blieb ruhig. Umpf rannte zu Chybrain und sprang dort in die Höhe, aber das Kristallei reagierte immer noch nicht.

»Was ist los?« fragte die Molaatin schließ-lich.

»Nichts Besonderes.« Chybrains Stimme klang leise und etwas verstört. »Umpf beklagt sich, weil ich ihm nichts über sein Volk mit-geteilt habe.«

»Und warum hast du das nicht getan?« Ein deutlicher Vorwurf schwang in der Stimme der Paramathematikerin mit. »Es ist doch klar, daß er gewisse Hoffnungen auf dich ge-

setzt hat. Und außerdem hat er uns auch ge-holfen, indem er uns den Weg zu diesem Ar-chiv zeigte.«

Chybrain schwieg. »Er hat wohl wieder seine bockige Phase«,

vermutete Sanny. »Ich finde das unfair.« »Es ist wohl eher Niedergeschlagenheit«,

vermutete ich. Das Leuchten des Kristalleis ließ immer

mehr nach und verschwand dann ganz. Eine stumpfe und graue Hülle, auf der die kleinen Sechsecke kaum noch erkennbar waren, blieb zurück. Chybrain sank auf den Boden und rollte dort auf die Seite.

»Ist er ...«, stammelte Sanny. »Ist er tot?« »Ich brauche Ruhe, um nachzudenken«,

meldete sich Chybrain. »Ich kann in den nächsten Stunden nichts für euch tun, denn eine innere Lähmung hat mich befallen. Sie hat nichts mit Hidden-X zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Schockwirkung, die ihr vielleicht nicht verstehen könnt. Handelt also nach eurem Ermessen.«

»Schöne Aussichten!« Sanny blickte mich wenig erfreut an. Dann wandte ich mich an das graue Ei.

»Kannst du wenigstens noch übersetzen, damit ich mich mit Umpf verständigen kann?« Ich hob das achtzehn mal elf Zentime-ter große Ei auf und hielt es mit der linken Hand fest. Wie ich schon erwartet hatte, ließ sich Chybrain nun tragen. Bei allen früheren Begegnungen hatte er sich ja als praktisch immateriell erwiesen. Die Oberfläche fühlte sich warm an, und sein Gewicht war nicht feststellbar.

»Ich werde übersetzen«, erklärte er kaum hörbar. »Aber jetzt laßt mich in Ruhe.«

Als dann Umpf etwas sagte, konnte ich dessen Worte verstehen.

»Ohne Chybrain haben wir keine Chance gegen Hidden-X«, behauptete der Bakwer. »Was sollen wir jetzt tun?«

»Kommt mit«, bat ich meine Begleiter. »Ich habe mich lange genug passiv verhalten. Jetzt werden wir etwas unternehmen. Wie viele Bakwer gibt es im Flekto-Yn?«

»Etwa 20 000«, antwortete Umpf. »Früher waren es mehr, aber viele sind umgekommen. Was hast du vor?«

»Immer schön der Reihe nach«, erklärte

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ich, während ich durch den Gang zurück in die normalen Bereiche des Flekto-Yns eilte. Hinter mir schloß sich das Tor, und wir stan-den wieder in einem der röhrenförmigen Gän-ge.

»Umpf«, wandte ich mich an den Allesfres-ser. »Du hast recht. Wir können ohne Chybrain gegen Hidden-X wenig ausrichten. Wir können ihm aber dennoch schaden, und wir können versuchen, aus dem Flekto-Yn auszubrechen. Dazu brauche ich aber die Hil-fe deines Volkes. Wie schnell kannst du deine Leute alarmieren und an einem bestimmten Punkt der Außenhülle zusammenziehen?«

»Viele stehen unter der Kontrolle von Hid-den-X. Sie werden den Nichtkontrollierten kaum freiwillig folgen. Ich müßte es versu-chen. Wir haben ein gut funktionierendes Kommunikationssystem und beherrschen auch die Interntransmitterstrecken. In ein oder zwei Stunden könnte ich alle Bakwer an ei-nem Ort versammeln.«

»Gut. Ich nehme einmal zu unseren Guns-ten an, daß Hidden-X uns zunächst noch nicht bemerkt. Einiges deutete ja darauf hin, daß es uns für vernichtet hält. Die Zeit könnte also ausreichen. Kannst du uns auch an diesen Ort bringen?«

»Wenn Hidden-X nicht dazwischenfunkt, bestimmt.«

»Dann werden wir es so machen. Benach-richtige deine Leute. Sag ihnen, wir wollen uns einen Weg in die Freiheit erkämpfen.«

Ich schritt den Gang entlang zu der Trans-mitterstation. Umpf eilte voraus, während ich Sanny und Chybrain trug. Das Kristallei ver-hielt sich völlig passiv.

»Ich versuche herauszubekommen«, sagte Sanny zu mir, »was du beabsichtigst. Es ge-lingt mir nicht.«

»Wir brauchen Hilfe von draußen«, erklärte ich ihr. »Also von der SOL. Nur dann können wir uns befreien, und nur dann können wir die Bakwer aus dem Flekto-Yn schaffen. Das entscheidende Hindernis ist der Schirm aus Jenseitsenergie. Selbst wenn Hidden-X sich seinen selbstsüchtigen Träumen hingibt und uns nicht bemerkt, dieses Hindernis können wir nicht überwinden. Umpf weiß nicht, wie dieser Schirm gesteuert wird. Die Suche nach der Schaltmimik wäre im Flekto-Yn also

ziemlich sinnlos und vor allem zu zeitauf-wendig. Mit jeder Minute, die nutzlos ver-streicht, werden unsere Chancen geringer.«

»Ich bin mit dir einer Meinung«, gab die Molaatin zu. »Aber der Energieschirm ist ...«

»Der Energieschirm«, unterbrach ich sie, »wurde von uns schon überwunden. Für die SOL ist das augenblicklich unmöglich, denn sie kann die erforderliche Nickelmenge nicht beschaffen. Wir jedoch haben diese. Das gan-ze Flekto-Yn besteht aus Nickel. Wir müssen nur einen großen Brocken abtrennen und ge-gen den Schirm lenken.«

»Gut.« Sanny pfiff durch die Zähne. »Du nimmst also dein Taschenmesser und schnei-dest ein paar Kilometer vom Flekto-Yn ab, oder?«

Ich lachte. »Mein Taschenmesser sind die Bakwer. Sie können auch das Nickel fressen. Ich habe es selbst erlebt.«

*

In einer Etappe von fast einer Stunde er-

reichten wir die Außenzone des Flekto-Yns. Umpf benutzte mehrmals Transmitterstre-cken. Bei jeder Entfernungsüberbrückung war mir verdammt unwohl, denn ich konnte mir leicht ausrechnen, daß Hidden-X in irgendei-ner Form auch diese Einrichtungen überwa-chen konnte. Es wäre ihm ein leichtes gewe-sen, uns bei einer solchen Gelegenheit auszu-schalten.

Der Bakwer verschwand mehrmals zwi-schendurch für einige Minuten, um Angehö-rige seines Volkes zu informieren.

»Es verläuft alles planmäßig«, berichtete er vor dem letzten Transmittersprung. Chybrain, der sich weiterhin völlig passiv verhielt, kam seiner Aufgabe als Translator immer noch nach. Sonst hörte ich jedoch nichts von ihm. »In etwa einer halben Stunde werden alle Bakwer an der Stelle versammelt sein, zu der wir jetzt auch gehen.«

Ich beobachtete ständig genau unsere Um-gebung, aber ich konnte nichts Auffälliges oder Verdächtiges feststellen. Allerdings fiel mir auf, daß die Zerstörungen im Flekto-Yn immer größer geworden waren, je näher wir an die Peripherie gelangten. Das erfüllte mich mit Zufriedenheit, denn es zeigte, daß zumin-

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dest in diesem Sektor der Angriff der SOL nicht erfolglos gewesen war. Sicher gingen viele der eingestürzten Wände aber auch auf das Wirken der Dormiganer zurück, über das ich keine präzise Vorstellung haben konnte.

»Etwa ein Fünftel der Bakwer werden nicht freiwillig kommen«, ließ Umpf mich wissen. »Sie stehen so sehr unter dem steuernden Einfluß von Hidden-X, daß sie dem Aufruf nicht gefolgt sind. Wir haben aber Trupps unterwegs, die diese gewaltsam herbeischaf-fen.«

»Das kann Ärger geben«, meinte Sanny. »Aber ohne den werden wir wohl sowieso nichts erreichen.«

Wir verließen die letzte Transmitterstation und gingen hinaus auf eine Plattform, die nach einigen hundert Metern endete. Dahinter war das leere Weltall. Kleine Energieschirme hielten die Atmosphäre fest, so daß man sich hier ohne Raumanzug bewegen konnte. Hin-ter diesem Energieschirm schimmerte in grö-ßerer Entfernung das Rot und Grün der Jen-seitsenergie.

Mein Plan war noch unvollständig, aber ich hoffte darauf, daß Chybrain uns im entschei-denden Moment helfen würde. Die halbe Plattform und die angrenzenden Stollen und Räume zum Innern des Flekto-Yns waren bereits mit Bakwern überfüllt. Eigentlich mußte Hidden-X diese Ansammlung doch bemerken, sagte ich mir. Es war ein ver-dammt riskantes Spiel, das ich trieb.

Umpf erklärte seinen Leuten, worin meine Absicht bestand. Sie sollten möglichst große Stücke Nickel aus dem Material des Flekto-Yns trennen, die dann auf einem Punkt des Schirmes aus Jenseitsenergie gelenkt werden sollten. Für das letzte Manöver hatten die Bakwer auch keine Lösung parat. So bat ich Sanny, Chybrain zu überreden, hier behilflich zu sein.

Die Molaatin machte sich an diese Aufga-be, während die Massen der Allesfresser mit ihrem Werk begannen. Umpf blieb bei mir, um weitere Einzelheiten abzusprechen.

Er sorgte sich vor allem um die Hilfe von draußen, also von der SOL, denn an die konn-te er nicht so recht glauben. Das lag mit Si-cherheit daran, daß er sich die SOL gar nicht vorstellen konnte.

Sanny kam zu mir. Chybrain lag bewe-gungslos auf einem Sims in unserer Nähe. Seine Außenfarbe war noch immer stumpf und grau.

»Er reagiert nicht auf meine Worte«, be-richtete Sanny bedauernd. »Hast du etwas dagegen, wenn ich rauher mit ihm umgehe?«

»Wie bitte?« Ich zog die Stirn kraus, denn ich wußte nicht, was sie damit meinte.

»Ich könnte ihn gegen eine Wand werfen«, meinte die Molaatin. »Nach meinen Berech-nungen könnte das helfen, denn vor der Nähe von Nickel fürchtet er sich ja.«

»Ich kann dir keinen Rat geben. Versuch es aber ruhig.«

Während Sanny sich wieder zu Chybrain begab, ging ein Stoß durch den Nickelboden. In wenigen hundert Metern Entfernung löste sich oberhalb von mir eine Platte aus dem Flekto-Yn und donnerte herab. Das Stück war über zehn Kilometer lang und gut einen Ki-lometer dick. Die Bakwer hatten schnell und gründlich gearbeitet. Es war wirklich erstaun-lich, mit welcher Geschwindigkeit diese Al-lesfresser den Brocken abgetrennt hatten. Al-lerdings begünstigte die wirre äußere Fläche des Flekto-Yns dieses Vorhaben, denn es gab hervorspringende Teile, so weit ich auch se-hen konnte. Die Nickelplatte prallte von der Plattform ab, auf der ich stand, stieß mühelos durch das Energiefeld, das die Atmosphäre hielt und blieb dann in wenigen hundert Me-tern Entfernung frei im Raum schwebend lie-gen. Dort rührte sie sich nicht mehr. Der Schirm aus Jenseitsenergie jedoch war etwa fünfzig Kilometer entfernt. Hier galt es also das Problem noch zu lösen, und es war klar, daß ich ohne Chybrain nichts erreichen wür-de.

In der folgenden halben Stunde trennten die fleißigen Bakwer immer neue Teile aus dem Flekto-Yn ab und sammelten sie zu einem stattlichen Haufen zusammen. Umpf kam mehrmals zu mir und erkundigte sich, ob ich mit der Arbeit seiner Leute zufrieden sei. Das konnte ich zwar bestätigen, aber seine Frage, wie es nun weitergehen würde, mußte ich offenlassen.

Als Sanny wieder zu mir kam, trug sie Chybrain in ihren Händen.

»Er hat mir nur einmal gesagt«, berichtete

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sie, »ich soll ihn in Ruhe lassen. Er sei auf der richtigen Spur.«

Also ist er doch nicht so passiv, wie es scheint, folgerte mein Logiksektor. Allerdings mußt du damit rechnen, daß er sich wieder nur mit seinem Problem befaßt.

»So ist es.« Chybrain glühte plötzlich wie-der auf. Er schwebte aus Sannys Händen in die Höhe und hielt direkt vor meinem Kopf an. »Die Zusammensetzung eines logischen Puzzles erfordert viel Konzentration, Atlan. Das verstehst du vielleicht. Immerhin ist es mir gelungen, zwei Steine zusammenzufü-gen.«

»Du meinst«, fragte ich neugierig, »du weißt, wer dein anderer Elternteil ist?«

»Nein. Bis zu diesem Schritt ist ein noch weiter Weg. Es spricht einiges dafür, daß ich ihn nicht gehen kann. Aber ich habe etwas anderes erkannt. Dazu möchte ich dich etwas fragen. Weißt du, was die Quelle der Jen-seitsmaterie ist? Nein. Ich sehe deine Ant-wort. Es kann sich also um nichts handeln, was in deinem Raum zu finden ist. Damit hatte ich gerechnet. Es ist nicht weiter schlimm. Wenn es dir je gelingen sollte, die Quelle der Jenseitsmaterie zu finden, Atlan, dann weißt du, wo ich geboren wurde. Dann müßte es wohl möglich sein, meinen zweiten Elternteil zu bestimmen. Willst du mir ver-sprechen, mir zu sagen, wo diese geheimnis-volle Quelle ist? Und was sie ist? Natürlich erst dann, wenn du es weißt. Es spricht viel dafür, daß du sie eines Tages sehen wirst.«

»Ich will dir dieses Versprechen gern ge-ben, Chybrain«, antwortete ich. »Allerdings muß ich dir sagen, daß ich mir unter allem, was du soeben gesagt hast, nichts Konkretes vorstellen kann.«

»Das macht nichts. Dein Versprechen ge-nügt mir. Ich sehe, du hast mit Hilfe der Bak-wer ein paar hübsche Vorbereitungen getrof-fen. Das gefällt mir. Nun kannst du nicht wei-ter.«

»Ich dachte«, begann ich vorsichtig, »du könntest uns vielleicht ...«

»Hör auf zu denken.« Plötzlich war Chybrain wieder ganz das verspielte Kind. »Viel Zeit haben wir nicht, aber ich will mal sehen, wie es sich mit diesen Nickelmurmeln spielen läßt.«

6. Noch Sekunden bevor das Signal aus der

Hauptzentrale der SOL zur ULTRAHEXE übertragen wurde, sprang Bjo Breiskoll auf. Für einen Moment blickte er sich in der Zent-rale des Kreuzers um.

»Es geht los«, erklärte er dann. Vorlan Brick unterbrach sein Spiel, das er

auf einem Nebendisplay mit der Bordpositro-nik ausgetragen hatte und schwenkte den Pi-lotensessel in die Arbeitsposition.

»Ausschleusen«, ordnete der Katzer an. Während die ULTRAHEXE aus dem Han-

gar der SZ-2 glitt, flammte ein Bildschirm auf. Das ernste Gesicht von Joscan Hellmut wurde sichtbar.

»Wir haben eine Stelle im Schirm des Flek-to-Yns entdeckt«, berichtete er, »an der die Energiewand beginnt, sich zu verfärben. Es könnte sein, daß sich dort eine Strukturlücke öffnet. Hier sind die Koordinaten.«

»Ich bin schon unterwegs«, antwortete Breiskoll.

Die Bordpositronik hatte aus den Ortsanga-ben bereits ein Bild gemacht. Noch war es ein winziges Pünktchen bei der großen Entfer-nung, aber es zeichnete sich deutlich ab, daß hier etwas geschah.

»Sind die Kampfroboter fertig?« fragte der Mutant. »Sind die Transmitter vorbereitet? Ihr wißt, es kann auf Sekunden ankommen, und schließlich geht es um Atlans Leben.«

»Um Sannys auch«, sagte Argan U. »Die anderen Sachen sind alle vorbereitet.«

Die ULTRAHEXE jagte auf den schwarzen Fleck zu. Vorlan Brick wählte den direkten Kurs.

»Wir sind kampfbereit«, meldete sich Breckcrown Hayes von der SOL. »Ich hoffe, ihr könnt mit diesem Wahnsinnskommando etwas erreichen.«

Niemand des Atlan-Teams gab ihm eine Antwort, denn die Augen aller lagen auf den Bildschirmen und Ortungsanzeigen. Der schwarze Fleck entpuppte sich bei der Annä-herung als ein unregelmäßiges Gebilde von knapp zweihundert Metern Durchmesser. Auch stellte sich jetzt heraus, daß es sich nicht um ein Loch im eigentlichen Sinn han-delte, denn auch hier waberten Energien, die

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nur eine andere Farbe, ein stumpfes Grau, besaßen.

Vorlan Brick warf Bjo Breiskoll einen fra-genden Blick zu.

»Langsam.« Der Mutant sah die Sorgen des Piloten und hob beschwichtigend seine Hän-de. »Wir wollen kein unsinniges Risiko ein-gehen. Erst wird dieser Fleck genau unter-sucht.«

»Ich bin schon dabei.« Hage Nockemann stand mit einem Hyperphysiker vor den Aus-wertungsanzeigen der Ortungssysteme. »Eine energetisch negative Wirkung scheint außen nicht vorzuliegen, aber unter der grauen Schicht toben noch die unbekannten Jenseits-energien. Deren Intensität wird jedoch ständig schwächer.«

»Jemand bohrt ein Loch in die Hülle«, kommentierte Blödel auf seine Art die Ener-giemessungen, während die ULTRAHEXE in wenigen hundert Metern vor dem dunklen Fleck vorläufig stoppte. »Er scheint aber Schwierigkeiten zu haben.«

»Das kann doch nur Atlan sein«, freute sich Argan U.

»Da er keinen so großen Bohrer besitzt«, antwortete Nockemanns Roboter, »ist das ziemlich unwahrscheinlich. Ich tippe eher darauf, daß Hidden-X uns in eine Falle locken will.«

Der schwarze Fleck fächerte weiter auf. »Da!« Hage Nockemann deutete auf ein

Echo, das in der dunklen Fläche entstand. Ein Körper bewegte sich aus dem Energieschirm auf die ULTRAHEXE zu.

»Wir haben alle Vorsichtsmaßnahmen ge-troffen«, bestätigte Vorlan Brick ungefragt. »Die Schutzschirme stehen, und bei der lang-samen Geschwindigkeit dieses Körpers kann ich auch noch ein Ausweichmanöver fliegen.«

»Ist das ein Raumschiff?« fragte Feder-spiel. »Ich spüre kein Leben an Bord.«

»Es ist kein Raumschiff.« Nockemann überspielte eine Vergrößerung des Ortungs-echos auf einen Bildschirm, so daß alle die Oberflächenstruktur des unbekannten Körpers sehen konnten. »Es ist ein unregelmäßiger Brocken Nickel, der arg angegriffen aussieht. Vielleicht handelt es sich um den Rest eines Nickelkörpers, den jemand von innen gegen den Jenseitsenergieschirm gesteuert hat.«

»Atlan«, vermutete wieder Argan U. Sein Glaube an den Arkoniden war unerschütter-lich.

Minuten später besaß man ein recht genau-es Bild von dem geheimnisvollen Fleck. Tat-sächlich wurden hier laufend Löcher in der Jenseitsenergie erzeugt, die aber nach kurzer Zeit wieder verschwanden. An mehreren Stel-len wurden Bruchstücke von Nickel festge-stellt, die sich unter dem Einfluß der wogen-den Energien meist schnell auflösten. Die ganze Struktur war mehrere Kilometer dick und glich so einem ständig wechselnden La-byrinth aus passierbaren und unpassierbaren Teilstücken.

»Wir müssen da durch.« Bjo Breiskoll knirschte mit den Zähnen. »Ich spüre Atlan zwar nicht, aber das ist bei diesem energeti-schen Chaos auch kein Wunder. Dennoch nehme ich an, daß er hinter dieser Aktion steckt. Das aber wiederum bedeutet, daß er wohl kaum das Nickelbombardement endlos fortsetzen kann.«

»Die freien Strecken haben nun Durchmes-ser von fast einem Kilometer«, erklärte No-ckemann. »Wir sollten es wagen.«

»Wenn Vorlan zu feig ist«, nörgelte der Roboter Blödel, »dann soll er mich ans Ruder lassen.«

»Das käme einer freiwilligen Selbstzerstö-rung gleich«, schimpfte der Galakto-Genetiker, der sich immer mehr zu einem Allround-Wissenschaftler entwickelte. »Also halt deine Klappe, Blödel.«

»Ich habe ein paar Klappen«, konterte der Roboter, »und in einer davon sitzt Wuschel. Der sollte mal ein Stück aus deinem Gesäß beißen, damit du etwas freundlicher zu mir wirst.«

Vorlan Brick startete die ULTRAHEXE. Bjo Breiskoll hatte den Platz des Kopiloten eingenommen. Seinem Gesicht war jedoch anzumerken, daß er sich mehr auf die Emp-findungen seiner Psi-Sinne konzentrierte als auf die Unterstützung des Solaners.

Vorbei an einem Trümmerbrocken, dessen Ränder noch glühten, steuerte der Kreuzer in einen ersten Schlauch. Brick regelte die Be-schleunigung hoch, um diesen passierbaren Abschnitt schnell zu bewältigen.

»Und wenn wir keine Fortsetzung des We-

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ges finden?« fragte Argan U sorgenvoll.

»Unwahrscheinlich«, antwortete Nocke-mann. »Der Energieschirm ist löchrig wie ein alter Käse.«

»Ein hübscher Vergleich«, bemerkte Blödel respektlos, während Vorlan Brick blitzschnell in einen anderen Kanal überwechselte, der sich seitlich zur Flugrichtung öffnete. Ein Schwarm winziger Nickelbrocken kam dem Kreuzer entgegen und erzeugte in den Schutz-schirmen ein harmloses, aber beeindrucken-des Feuerwerk. »Besser wäre es jedoch gewe-sen, wenn du als Vergleich dein Gehirn ge-wählt hättest. Nach meinen bisherigen Erfah-rungen weist es ähnlich viele Leerstellen und freie Kanäle auf, wie dieses Energiegewirr.«

Statt einer Antwort tippte Nockemann nur kurz an die Stirn, denn er war zu sehr in sei-ner Arbeit vertieft.

»Nicht doch«, sagte Blödel. »Immer auf die weiche Stelle.«

»Die Hauptsache ist«, mischte sich Argan U ein, »daß wir Atlan finden.«

»Du hast schon recht«, entgegnete der Ro-boter gönnerhaft. »Aber du darfst mir ruhig glauben, daß Nockemanns Birne auch ein grundsätzliches Problem ist.«

»Still!« rief Bjo Breiskoll scharf. Sternfeuer trat zu ihm. Die beiden Telepathen berührten sich.

»Ich spüre die Gedanken von Lebewesen«, hauchte die Solanerin.

Breiskoll nickte. »Es sind Bakwer.« An Blödels Rumpf öffnete sich eine Klap-

pe, und Wuschel streckte seinen Vorderleib heraus. Der junge Bakwer beherrschte die Sprache der Solaner längst perfekt.

»Meine Brüder und Schwestern«, rief er schrill. »Ihr müßt sie von dem geistigen Joch befreien und aus dem Flekto-Yn schaffen.«

Wieder wechselte Vorlan Brick mit lang-samem Flug in eine andere Richtung, in der sich nur graue Schwaden abzeichneten. No-ckemann und die Bordpositronik lieferten pausenlos Ortungsbilder der näheren Umge-bung, die dem Piloten die Arbeit erleichtern sollten.

Blödel trat an die Seite Breiskolls. »Wuschel meint, daß noch etwa 25.000

Bakwer im Flekto-Yn sind«, sagte er. »Wie viele kannst du denn hier in der Nähe orten?«

»Eine genaue Zahl kann ich unmöglich nennen, aber es könnten über 20.000 sein.« Der Katzer zuckte verlegen mit den Schultern.

Die ULTRAHEXE wurde heftig geschüt-telt, als sie in die Nähe einer unvermutet auf-tauchenden Wand aus Jenseitsenergie geriet. Brick wich so rasch zur Seite, daß die An-druckabsorber für einen Moment überlastet waren. Dann hatte er das Schiff wieder unter seiner vollen Kontrolle.

»Wenn wir eine Transmitterstrecke aufbau-en könnten«, überlegte Federspiel, »könnten wir versuchen, die Bakwer aus dem Flekto-Yn zu schaffen. Die Frage ist jedoch, wie Hidden-X darauf reagiert.«

»Hidden-X kontrolliert diese Bakwer nicht«, behauptete Bjo Breiskoll. »Das erklärt auch, warum sie sich hier versammelt haben. Möglicherweise sind sie allein die Verursa-cher des Spektakels, das dieses brüchige Loch in den Schirm gerissen hat.«

»Das ist unmöglich«, teilte Wuschel mit. »Wie sollten sie das machen?«

»Aufgepaßt!« Nockemanns Stimme über-tönte die Diskussion. »Wir sind in wenigen Sekunden durch. Dann sind es noch ein paar Kilometer bis zur Außenfläche des Flekto-Yns.«

»Wir werden für die Bakwer tun, was wir können«, versprach Breiskoll Wuschel. »Un-ser erstes Ziel ist es jedoch, Atlan und Sanny zu finden. Nun wollen wir aber ...«

Er brach plötzlich ab. Auch die anderen schwiegen.

Ein mentaler Ton lag in der Luft, der von Breiskoll, Sternfeuer und Federspiel zuerst wahrgenommen wurde. Dann wurde er jedoch so stark, daß er auch die anderen erreichte.

»Hidden-X!« stieß Argan U hervor. »Nein!« Der Katzer sprang aus dem Pilo-

tensessel auf. »Seid still!« Chybrain. Hier spricht Chybrain, hörten sie

nun leise. Ich bin mit Atlan und Sanny auf der Außenfläche des Flekto-Yns. Auch die Bakwer sind vollständig hier. Der Nickelbeschuß des Jenseitsenergieschirms dauert etwa noch fünfzehn Minuten an. Dann schließt sich die Lücke, denn auch meinen Kräften sind Gren-zen gesetzt. Baut eine Transmitterstrecke zur SOL auf. Setzt den Transmitter ab. Nehmt die Bakwer an Bord. Bringt sie aus dem Flekto-

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Yn. Macht schnell!

Vorlan Brick jagte die ULTRAHEXE los, als sich die Energieschleier öffneten. Er brauchte nur Sekunden, um den Rand des Flekto-Yns zu erreichen. Breiskolls Anwei-sungen kamen schnell und genau. Jeder an Bord wußte, was er zu tun hatte.

Es war noch keine Minute seit Chybrains Mitteilung vergangen, da wurden die ersten Transmitter abgesetzt. Von Bord aus wurden die Schaltungen zur SOL vorgenommen. Ers-te Tests verliefen positiv. Die Bordpositronik übermittelte selbständig den Stand der Stoß-truppexpedition an SENECA. Breiskoll sprach nur Sekunden mit Breckcrown Hayes, der ihn wissen ließ, daß man die Bakwer di-rekt nach den Planeten Stützpunkt I und Stützpunkt II befördern würde, wo sie in Freiheit mit den dortigen Bewohnern leben könnten.

»Ich muß Schluß machen, Breck«, unter-brach der Mutant den High Sideryt. »Ich habe nämlich noch keine Spur von Atlan, Sanny und Chybrain. Sie müssen hier irgendwo sein.«

Die nächsten Minuten bestanden in einem unbeschreiblichen Getümmel. Die Allesfres-ser verhielten sich insgesamt gesehen jedoch sehr vernünftig. In Gruppen zu jeweils eini-gen hundert betraten sie die ausgeschleusten Transmitter und wurden abgestrahlt.

»Wo stecken Atlan und Sanny?« Breiskoll blickte Sternfeuer und Federspiel an, aber die Zwillinge machten nur ausdruckslose Gesich-ter.

Auch das Kristallei meldete sich nicht mehr. Die Beobachtungsstationen der ULT-RAHEXE arbeiteten auf vollen Touren, aber die Zeit verstrich, und man fand keine Spur von den Entführten. Schließlich machte die Positronik darauf aufmerksam, daß nur noch drei Minuten blieben, und daß man diese für den Rückflug benötigen würde.

»Ich bleibe hier«, erklärte Bjo Breiskoll hartnäckig. »Die Bakwer sind alle über die Transmitter weggebracht worden. Die letzte Gruppe nehmen wir an Bord. Wo steckt At-lan?«

Darauf wußte keiner eine Antwort, auch nicht die inzwischen an Bord gekommenen Bakwer, mit denen man sich problemlos über

Translatoren verständigen konnte. »Die ULTRAHEXE muß starten«, warnte

erneut die Positronik, die die gesamten Zeit-abläufe kontrollierte.

Fast hätte Breiskoll die nun noch leisere Stimme Chybrains in dem allgemeinen Trubel überhört.

Chybrain spricht hier. Es ist etwas Unvor-hergesehenes geschehen. Bringt euch in Si-cherheit. Die Lücke im Jenseitsenergieschirm bricht in Kürze zusammen. Versucht es später wieder! Aber jetzt haut ab, sonst ist alles ver-loren!

Bjo Breiskoll knirschte mit den Zähnen. Sein Gewissen sagte ihm, daß er jetzt Atlan im Stich lassen würde. Sein Verstand jedoch meinte, daß die Warnung und Forderung Chybrains nicht zu Unrecht erfolgt sein konn-te.

Noch während der Katzer zögerte, heulten die Alarmsirenen los.

An mehreren Stellen veränderte sich die Oberflächenstruktur des Flekto-Yns. Nickel-platten glitten zur Seite, und Geschütztürme wurden sichtbar. Vorlan Brick fuhr sofort die gedrosselten Schutzschirme hoch. So konnte er den ersten Feuerüberfall noch abwehren.

Das Kraftwerk des Kreuzers heulte unter der Überbelastung auf. Mehrere Stöße gingen durch das Schiff. Die Mannschaften an den eigenen Geschützen erwiderten das Feuer, aber die Wirkung war unbedeutend.

»Nun laß endlich starten, Bjo!« drängte Sternfeuer. »Wenn Chybrain bei den beiden ist, haben sie noch eine Chance.«

»Sofort. Aber erst gehen sämtliche Kampf-roboter von Bord. Sie sollen im Flekto-Yn Atlan unterstützen, wo immer es geht.«

»Programmübermittlung durchgeführt. Ro-boter ausgeschleust«, meldete die Bordpo-sitronik Sekunden später. Ein Schwarm von winzigen Körpern regnete auf die von den Bakwern verlassene Plattform nieder.

Vorlan Brick handelte selbständig. Er jagte die ULTRAHEXE los, direkt auf den dunklen Fleck in dem Energieschirm zu.

»Funkkontakt zur SOL unterbrochen«, meldete Insider. »Es wird kritisch.«

Das Feuer des Flekto-Yns verfing sich in den Schutzschirmen. Brick mußte ein Aus-weichmanöver fliegen, um einem konzentrier-

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ten Punktfeuer zu entgehen.

Ein letzter großer Nickelbrocken glitt, wie von unsichtbarer Hand gelenkt, auf den dunk-len Fleck zu. Die ULTRAHEXE heftete sich dahinter. Dann herrschte ringsum ein toben-des Inferno aus überlasteten Schutzschirmen, flackernden Lichtern und jaulenden Kraftwer-ken. Vorlan Brick verließ sich ganz auf seinen Instinkt, und er brachte das Kunststück fertig.

Plötzlich lag die leuchtende Wand aus Jen-seitsenergie hinter dem Schiff. Ein Schwarm von kleinen Nickeltrümmern, die Reste des großen Brockens, der den Fluchtweg herge-stellt hatte, trommelte in wildem Stakkato auf die Außenhülle der ULTRAHEXE, denn alle Schutzschirme waren unter der Belastung zusammengebrochen.

Ein Dutzend roter Warnlampen brannte über dem Kommandostand Breiskolls.

»Keine Panik«, rief Vorlan Brick. »Die zwei Meter bis zur SOL schaffe ich auch noch.«

Das Feuer des Flekto-Yns schwieg. Hinter ihnen war der dunkelgraue Fleck verschwun-den. Die Energiewand leuchtete wieder in gleichmäßigem Rot und Grün.

»Ein Bakwer möchte dich sprechen, Bjo.« Sternfeuer trug das igelähnliche Wesen auf beiden Händen in die Zentrale und legte es gemeinsam mit einem Translator vor Breiskoll ab.

»Mein Name ist Umpf«, erklärte der Alles-fresser. »Atlan hat mich gebeten, dir zu be-richten, was geschehen ist.«

»Danke, Umpf«, antwortete der Mutant. »Das hat Zeit, bis wir auf der SOL sind. Mich interessiert jetzt nur, wo Atlan steckt und wa-rum er nicht mitgekommen ist.«

»Diese Frage kann ich dir nicht beantwor-ten«, bedauerte Umpf. »Atlan und seine bei-den Begleiter Sanny und Chybrain ver-schwanden vor meinen Augen, kurz bevor du mit deinem Schiff an der großen Platte ange-legt hast.«

Breiskoll reagierte mit einem Fluch, den der Translator nicht übersetzte.

Der mächtige Leib der SOL nahm den an-geschlagenen Kreuzer in sich auf. Die Bakwer waren gerettet worden, aber Bjo Breiskoll fragte sich, ob er damit Atlan überhaupt einen Gefallen getan hatte.

Ungewißheit lag über der Zukunft. Sie schimmerte in den Farben des Energieschirms des Flekto-Yns, der sich rundum geschlossen hatte.

7.

Etwas Ungeheuerliches ist geschehen! Ir-

gend jemand war in meiner Dokumentation und hat von dort Informationen abgerufen.

Daß ich diese Freveltat nicht bemerkt habe, liegt allein daran, daß ich mit den Vorberei-tungen für den endgültigen Sieg über die SOL zu sehr beschäftigt bin. Die Bakwer sind mei-ner Kontrolle entglitten. Sie bedeuten jedoch keine Gefahr. Die wenigen von ihnen, die ich noch brauche, arbeiten zusammen mit den Robotern und sind zuverlässig. Die Reserve-stationen müssen angeschlossen werden, und dafür brauche ich neue Wege für meine steu-ernden Gedanken.

Warum hat die Alarmierung der Dokumen-tation versagt? Das Archiv war der am besten gesicherte Ort der ganzen Heimstatt.

Die Zeit hat keine Spuren des Eindringlings hinterlassen. Es gibt nur wenige Möglichkei-ten, wer dies gewesen sein könnte. Seth-Apophis hätte das gekonnt, aber sie ist sehr weit weg. Sie hätte ich bemerkt, aber sie hat mich vergessen, weil sie vergessen hat, mir einen Namen zu geben.

Also kann es nur der lächerlich kleine Be-gleiter Atlans gewesen sein, den ich bereits auf meiner Liste als »beseitigt« führe. Dieses hinterhältige Biest hat mich hintergangen. Es hat sein wirkliches Können und seine Macht geschickt verborgen. Rätselhaft ist auch, wo-her es den Psi-Schirm nahm, der sein unbe-merktes Eindringen in das Flekto-Yn ermög-lichte.

Dieses Ei aus Jenseitsmaterie ist nur schwer zu finden. Seine Jenseitsmaterie ist echt, und fast glaube ich, er hat sie aus der Quelle der Jenseitsmaterie gewonnen. Das wäre noch ungeheuerlicher. Da ich aber mit dieser Möglichkeit rechnen muß, muß ich meine Pläne ändern.

Chybrain muß die Quelle der Jenseitsmate-rie kennen. Er muß mir ihren Ort verraten, und danach werde ich ihn töten, denn ich dul-de keine anderen Mächtigen neben mir.

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Die dummen Bakwer haben mir verraten,

wo diese kleine Bestie steckt. Auch Atlan und Sanny, die kleine Baumeisterin, stecken dort. Chybrain hat sie alle mit einem neutralisie-renden Schirm umgeben, der eine Entdeckung so sehr erschwerte.

Diese Narren! Sie glauben doch nicht im Ernst, daß sie mich täuschen können.

Meine Anweisungen strahlen durch die Ge-dankenleiter des Flekto-Yns. Die letzten Stü-cke meiner Jenseitsmaterie müssen in die Verwandlung gehen, damit ich sie diesmal endgültig in meine Gewalt bringe: Die Bak-wer sind unwichtig geworden. Sie brauche ich nicht, wenn ich die Quelle der Macht, die Quelle der Jenseitsmaterie, besitze. Auch At-lan und Sanny haben an Bedeutung verloren. Ich werde mich nur noch um den kümmern, der mich an das Ziel meiner Wünsche bringen soll.

Schlagartig hebe ich die Neutralisation Chybrains auf. Er merkt nicht einmal etwas davon! Ich lache. Er, Atlan und Sanny sehen ihre Umgebung noch, aber diese sieht sie nicht mehr. Nur einer sieht euch noch, ich, Hidden-X.

*

Mir war plötzlich, als ob ich automatisch

im Kreis liefe, selbst wenn ich geradeaus ging.

Chybrain lenkte in wundervoller Weise immer neue Nickelbrocken gegen den Ener-gieschirm, und der Kreuzer nahm die Bakwer auf oder beförderte sie über die ausgeladenen Transmitter hinfort.

Warum kam niemand zu uns? Sie mußten uns doch sehen. Gut, ich stand etwas abseits des eigentlichen Geschehens, aber mit den technischen Mitteln eines solanischen Kreu-zers war eine Ameise in einer Lichtstunde Entfernung noch zu orten.

»Chybrain!« rief ich. Der schwebte neben mir, strahlend wie zu-

vor, aber er reagierte nicht. Auch Sanny war von der Verwirrung befal-

len, die mir so sehr zu schaffen machte. Sie murmelte unverständliches Zeug vor sich hin.

Hidden-X hat euch entdeckt, belehrte mich mein Extrahirn. Und es setzt diesmal eine

Waffe ein, die auch ich nicht verstehe. Die Umgebung nimmt uns nicht mehr wahr, und du selbst bist von einer Verwirrung befallen, die auch Sanny und Chybrain in Bann hält.

Ich versuchte, zu Chybrain zu gelangen, und nach mehreren Versuchen gelang mir dies auch. Als ich nach ihm faßte, glitt meine Hand jedoch ins Leere. Sie fuhr durch das leuchtende Ei hindurch, als sei da nichts.

Kam das von der Attacke des Hidden-X oder aus Chybrain selbst? Auch der Logiksek-tor fand keine Antwort.

Sanny hatte es endlich so weit gebracht, daß sie neben mir stand.

»Es stimmt nichts mehr«, murmelte sie benommen. »Dort steht der Kreuzer, und wir kommen nicht aus diesem Teufelskreis. Es sieht so aus, als würden wir nicht mehr exis-tieren. Selbst für Chybrain scheinen wir nicht mehr vorhanden zu sein.«

Meine Beobachtungen und mein Verdacht wurden so bestätigt. Hidden-X wollte uns nicht abziehen lassen. Das stand fest. Eigent-lich war das logisch, denn es hatte mich ja mit einem nicht unerheblichen Aufwand aus der SOL entführt.

Die letzten Bakwer verschwanden in den Transmittern und auf dem Kreuzer. Dann wurden die Geräte an Bord geholt. Wenig später startete das Schiff, ohne sich in irgend-einer Weise noch mit uns zu befassen.

»Eine undurchschaubare Teufelei«, schimpfte ich wütend.

»Zum Teil hast du recht, Arkonide.« Plötz-lich sprach Chybrain wieder in der gewohnten Weise mit mir. »Immerhin ist es Bjo Breiskoll gelungen, nahezu alle Bakwer aus dem Flek-to-Yn zu holen. Uns konnte er nicht finden, weil Hidden-X uns von allem anderen isolier-te. Es hat einen neuen Plan entwickelt, den ich aber noch nicht durchschauen kann.«

»Warum hast du nichts getan«, begehrte Sanny auf, »um uns auf den Kreuzer zu schaf-fen. Das müßte dir doch möglich gewesen sein.«

»Vielleicht hätte ich es geschafft«, gab Chybrain offen zu. »Ich hätte mich dann aber zu sehr verausgabt. Außerdem war der Erfolg sehr fraglich, denn Hidden-X setzt transfor-mierte Jenseitsmaterie auf geistiger Ebene gegen uns an. Aber selbst wenn die Flucht

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Erfolg versprochen hätte, hätte ich euch nicht dabei geholfen.«

»Warum, Chybrain? Warum?« Sanny schüttelte wütend ihre Händchen zu Fäusten geballt.

»Atlan hat doch selbst gesagt, er wolle Hidden-X den Hals umdrehen. Ich habe genau verstanden, wie er das gemeint hat. Und ich habe erkannt und gefühlt, daß dies sein eiser-ner Wille ist. Deshalb durfte ich ihn nicht gehen lassen, denn außerhalb des Flekto-Yns hätte der gar keine Chance gehabt. Die Stunde der Entscheidung kann er nur hier einläuten.«

»Ich verstehe dich nicht«, stöhnte die Mo-laatin. »Du bringst uns nur in Gefahr.«

»So sehe ich es nicht«, widersprach Chybrain, und während er seine letzten Worte formulierte, verschwand für mich die Umge-bung in einem undurchdringlichen Nebel. »Der einzige, der wirklich in Gefahr ist, bin ich. Das lenkt Hidden-X von Atlan ab, und das wiederum ist eure Chance. Ich hoffe sehr, daß ihr sie nutzt.«

Chybrain glitt in die Höhe und verschwand irgendwo in dem sich ausbreitenden Dunkel.

»Glaubt nicht, daß ich freiwillig gehe«, rief er uns noch zu, als ich seinen Schein nicht mehr wahrnehmen konnte.

Jetzt wird er entführt, stellte mein Extrasinn fest. Du mußt damit rechnen, daß Hidden-X ihn in seine Macht bekommen will.

Ich war sprachlos. Der einzige Halt, den ich noch hatte, war der feste Boden unter den Füßen und Sanny, die sich an meinen Unter-schenkel klammerte. Von irgendwoher dran-gen dumpfe Klänge an meine Ohren. Ge-schützfeuer aus dem Flekto-Yn. Ich war froh, daß der Logiksektor mir die Denkarbeit ab-nahm.

*

Das Feuer verebbte wenig später, und auch

der künstliche Nebel lichtete sich wieder. Die alte Umgebung entstand wieder, aber von den Bakwern und dem solanischen Kreuzer fand ich keine Spur mehr.

»Wieviel Zeit mag seit Chybrains Ver-schwinden vergangen sein?« fragte ich Sanny.

»Nur wenige Minuten, wenn meine Sinnes-eindrücke richtig waren.«

Ich war unsicher, denn meine innere Uhr schien zu versagen, und der Extrasinn schwieg. Nun war ich also endgültig allein mit der zierlichen Molaatin, deren para-mathematische Fähigkeiten längst auf eine Grenze gestoßen waren. Es schien zwar so, daß Hidden-X zumindest im Augenblick das Interesse an ihr und mir verloren hatte, aber das besagte eigentlich nichts. Unsere Lage war alles andere als hoffnungsvoll, insbeson-dere, weil Chybrain uns verlassen hatte. Un-freiwillig, wenn ich ihn richtig interpretierte.

Daß es gelungen war, die Bakwer aus dem Flekto-Yn zu schleusen, war für mich nur ein unbedeutendes Ereignis, denn dadurch hatte sich meine Situation höchstens verschlechtert. Chybrain würde mir für immer ein Rätsel bleiben, denn seine Logik ließ sich mit nichts vergleichen, allenfalls mit den manchmal merkwürdigen Aussagen meines Extrasinns.

»Atlan«, sagte Sanny leise. »Ich sehe kein Ende und keinen Erfolg für uns. Was bisher geschah, war wohl eher ein zufälliges Überle-ben, wobei Chybrain seine Finger im Spiel hatte. Was soll jetzt geschehen?«

Da ich zwar voller Entschlossenheit war, jedoch keine passende Antwort wußte, schwieg ich. Meine Resignation kämpfte mit dem Überlebenswillen, aber es fehlte der be-rühmte Silberstreifen am Horizont, der neue Kräfte freimachen würde.

»Ich verstehe.« Die Paramathematikerin lachte verzweifelt. »Dein Taschenmesser na-mens Bakwer hat funktioniert. Sonst aber nichts. Auf mich kannst du noch zählen, nicht jedoch auf irgendwelche Berechnungen, denn hier gibt es nichts mehr zu berechnen.«

Ich nahm sie auf den Arm und bewegte mich langsam auf das schwach erleuchtete Loch zu, das in das Innere des Flekto-Yns führte. Trotz der gewaltigen Masse Metall, die vor mir lag, fühlte ich eine grenzenlose Leere ringsum. Die SOL schien so weit weg wie die heimatliche Milchstraße oder jene Zeit jenseits der Materiequelle, an die ich kei-ne Erinnerung besaß.

Wie hatte alles begonnen? Ich war aufge-wacht und von Buhrlos an Bord der SOL ge-bracht worden. Die Zustände dort, die Dikta-tur der SOLAG, der harte High Sideryt Chart Deccon, der unaufhaltsame Sog in das Mause-

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falle-System, die Begegnung mit dem Chaili-den Akitar, mit dem Roboter Y’Man, das Entdecken des geistigen Faktors und das Ver-folgen dieser Spur, die mich zu Hidden-X geführt hatte, die unsäglichen Anstrengungen, die SOL zu normalisieren, die ständigen Atta-cken und Fallen von Hidden-X, die Befreiung der Roxharen vom Zwang dieser üblen Macht, das Eingreifen Oggars, der die Be-wußtseinsinhalte von zwei meiner Freunde entführte, die Zone-X, das Zeittal und die Rückkehr in das Sternenuniversum – das alles waren ein paar Stationen meines langen Le-bens. Ich hatte sie überstanden, weil ich einen Auftrag besaß, zu dem ich freiwillig stand, den Auftrag der Kosmokraten. Er hatte mich beseelt, konsequent meinen Weg zu gehen, Freunde, Helfer und Mitstreiter zu finden, der SOL und ihren Menschen einen neuen Le-bensinhalt zu geben.

Sollte das alles ein sinnloses Ende haben? Hier auf diesem Brocken Nickel, den die Ysterionen im Auftrag von Hidden-X unter unsäglichen Leiden für andere Völker zu-sammengestohlen hatten? Den wieder andere Völker unter vielleicht noch größeren Schmerzen zu der Heimstatt eines schizo-phrenen Wesens zusammengebaut hatten, das in dem Wahn lebte, nicht nur unser Univer-sum einmal zu beherrschen, sondern auch die unfaßbaren Regionen und Dimensionen, die an dieses angrenzten.

Der schwach erleuchtete Gang nahm uns auf. Sanny schwieg eisern, und ich konnte mir ausmalen, daß sie mit sich selbst kämpfte. Schließlich war sie mir freiwillig gefolgt, si-cher aus der Überlegung heraus, daß Chybrain und sie mir eine Hilfe sein könnten.

Die künstliche Gravitation des Flekto-Yns hatte noch Bestand. Sie war an die Hilfsvöl-ker angepaßt, die früher für Hidden-X hier gearbeitet hatten.

»Hast du dir eigentlich einmal überlegt«, fragte mich die zierliche Molaatin unvermu-tet, »warum ich nicht mit meinem Volk heim-gekehrt bin? Warum bin ich bei dir und dei-nen Freunden geblieben? Dein Extrasinn müßte dir doch gesagt haben, daß das unlo-gisch war.«

Ich wußte nicht, was sie mir wirklich sagen wollte, und so antwortete ich:

»Der Extrasinn sagt durchaus nicht zu allen Dingen etwas.«

»In meinen Adern fließt nicht das Feuer des Auftrags der Kosmokraten«, antwortete sie. »Und dennoch muß es einen Grund geben für meine damalige Entscheidung. Ich kenne den Grund nicht, aber ich dachte, du wüßtest ihn vielleicht.«

»Ich habe oft in meinem Leben Dinge ge-tan, für die es eigentlich keinen richtigen Grund gab. Diese Gründe spielen oft keine Rolle, wenn einem das Gefühl sagt, daß man an einem bestimmten Platz des gesamten Ge-schehens eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hat.«

»Und wenn du in deiner Aufgabe schei-terst?« Ich hörte ihre Sorge deutlich heraus.

»Dann«, antwortete ich hart, »haben die Kosmokraten auf das falsche Pferd gesetzt.«

In diesem Augenblick schlug Hidden-X wieder zu, und ich erkannte, daß es trotz sei-nes Bemühens um Chybrain uns nicht verges-sen hatte. Falsch! Die Worte des Extrasinns waren eine Tortur in diesem Moment. Hid-den-X versucht, sich Chybrain gefügig zu machen. Es droht ihm mit deinem Tod.

Der Boden unter meinen Füßen war ver-schwunden. Ich fiel in eine endlose Tiefe. Sanny klammerte sich an mich. Lichter huschten in unserer Nähe vorbei. Ich prallte gegen eine Wand und spürte einen heftigen Schmerz in der Hüfte. Danach flog ich in ei-ner anderen Richtung weiter, bis ein glühen-der Fleck auftauchte. Schlagartig wurde es siedendheiß um uns herum.

Die Molaatin stieß ängstliche Schreie aus. Sie rief nach Chybrain, aber das kleine Ei meldete sich nicht.

Genug? War das die Stimme von Hidden-X? Sie

klang verzerrt und wütend. Mein Logiksektor schien richtig vermutet zu haben. Hidden-X benutzte uns, um Chybrain unter Druck zu setzen. Was aber wollte es von ihm?

Auskunft über die Quelle der Jenseitsmate-rie, belehrte mich der Extrasinn.

So plötzlich, wie der Sturz begonnen hatte, endete er wieder. Ich fiel auf einem Boden nieder, konnte den Sturz aber abfangen und blieb so auf beiden Beinen stehen.

Die Orientierung hatte ich durch diese Er-

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eignisse verloren. Auch erschien es mir sinn-los, meinen Weg noch in irgendeiner Rich-tung fortzusetzen. Ich teilte Sanny meine Meinung mit.

»Es ist egal«, antwortete sie. Ihr Arm flog hoch und zeigte zurück.

Langsam drehte ich mich um. Hinter uns standen ein Dutzend Roboter, wie ich sie in ähnlicher Form schon im Flekto-Yn gesehen hatte. Die Waffenarme zeigten auf mich. Ins-tinktiv wollte ich nach dem Kombistrahler greifen, meiner einzigen Waffe, aber die war verschwunden. Es war unwahrscheinlich, daß sie mir bei dem taumelnden Sturz entglitten war. Vielmehr mußte ich annehmen, daß sie sich mit Chybrains Entführung einfach aufge-löst hatte.

»Wir bringen euch an einen sicheren Ort«, erklärte die nächste Maschine mit näselnder Stimme. »Jeder Widerstand ist zwecklos. Das habt ihr sicher gemerkt. Wenn ihr euer Leben retten wollt, dann laßt Chybrain wissen, daß er nicht so verstockt sein soll. Ein Wort von ihm, und ihr seid alle frei.«

»Der Roboter lügt«, flüsterte mir Sanny ins Ohr. »Durch ihn spricht indirekt Hidden-X, das etwas Bestimmtes, vermutlich über die Quelle der Jenseitsmaterie, von Chybrain er-fahren will. Das ändert aber nichts daran, daß wir keine Chance haben.«

So sah ich es auch. »Wir leisten keinen Widerstand«, rief ich

den waffenstrotzenden Maschinen zu. »Und was Chybrain betrifft, so brauche ich etwas Zeit zum Nachdenken.«

»Gut«, lobte mich die Molaatin. »Jetzt wird Hidden-X uns erst einmal nichts antun.«

Die Roboter nahmen uns in die Mitte und führten uns in einen Seitengang. Nach einer guten Strecke erreichten wir eine mehrfache Abzweigung. Verschiedene unbekannte Gerä-te und Maschinen standen hier herum. Die Roboter wußten genau, welchen Weg sie zu nehmen hatten, während ich nur vermuten konnte, daß wir noch irgendwo in der Rand-zone des Flekto-Yns waren.

Plötzlich peitschten Strahlschüsse auf. Die ersten Flammenbahnen rasten in die

Deckenbeleuchtung, und der folgende Feuer-überfall galt unseren Bewachern. Da ich die Angreifer nicht erkennen konnte, war es mir

unmöglich, mir ein Bild von dem Geschehen zu machen. Bei der ersten besten Gelegenheit entwischte ich aber mit Sanny aus dem Kreis der Roboter und suchte Deckung zwischen Nischen und Maschinenteilen.

Eine Waffe, um in den ausbrechenden Kampf einzugreifen, besaß ich nicht mehr. So beschränkte ich mich auf die Beobachtung. Die Roboter von Hidden-X wehrten sich ge-schickt, aber die Gegenseite besaß den Vor-teil, aus Verstecken kämpfen zu können, was die zahlenmäßige Unterlegenheit ausglich. Ich nahm jedenfalls an, daß diese Unterlegenheit bestand, denn das Feuer kam immer nur in geschlossenen Überfällen auf ein einzelnes Objekt. Diese Taktik dezimierte die Roboter schnell. Deren Reaktionen schienen mir auch langsamer zu sein, während der Angreifer mit der von ihm erzeugten Dunkelheit kaum Schwierigkeiten hatte.

Im Licht der Flammenstrahlen brachen immer weitere Roboter zusammen.

»Wer mag uns da so unvermutet helfen?« rief mir Sanny ins Ohr. Im gleichen Moment spürte ich auf der anderen Schulter eine stäh-lerne Hand.

»Keine Panik, Atlan«, sagte eine wohlmo-dulierte Stimme in einwandfreiem Interkos-mo. »Wir wollen dir helfen.«

Ich fuhr herum, aber der typische Klang dieser Stimme hatte mir längst verraten, daß ein Kampfroboter der SOL vor mir stand.

»Zimi-Eins«, erklärte der Roboter mit ge-dämpfter Stimme. »Ich führe dieses Kom-mando. Es ist eins von den Kampfteams, die Bjo Breiskoll auf dem Flekto-Yn abgesetzt hat.«

Ich verstand. Nach den merkwürdigen Er-eignissen in der Schlußphase der Rettungsak-tion der Bakwer hatte Bjo erkannt, daß er ver-schwinden mußte. Unbemerkt von Sanny und mir hatte er jedoch alle verfügbaren Kampf-roboter ausgeschleust und zu unserer Hilfe losgeschickt. Das Kräfteverhältnis hatte sich dadurch wieder etwas mehr zu meinen Guns-ten verschoben.

»Wie viele unserer Kampfmaschinen sind im Flekto-Yn, Zimi?«

»Achtundzwanzig wurden in Marsch ge-setzt. Zwölf davon sind jedoch von Sicher-heitssperren und Gegnern ausgeschaltet wor-

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den. Ich muß mich jetzt hier um eine Ent-scheidung bemühen, denn meine drei Beglei-ter drohen zu verlieren.«

»In Ordnung. Hast du eine Waffe für mich?«

Zimi-Eins schnallte mir ein ganzes Kampf-paket um. Ich besaß nun wieder zwei Kombi-strahler, mehrere kleinere Sprengsätze und einen Translator. Dann verschwand der Robo-ter mit dem Hinweis, wir sollten uns nicht zu weit entfernen, damit er uns wiederfinden könnte.

Ich überprüfte die Magazine der beiden Waffen. Mit den Kombistrahlern fühlte ich mich wieder sicherer, obwohl ich wußte, daß sie gegen die Macht des Hidden-X nur ein Tropfen auf den heißen Stein waren.

»Warte hier«, rief ich Sanny zu und setzte sie mit einem Griff auf dem Boden ab. Die Deckung erschien mir sicher, so daß ich sie allein lassen konnte.

Dann pirschte ich mich zwischen zwei Blö-cken hindurch. Wenige Meter vor mir sah ich den Schatten, den Zimi gegen die Seitenwand warf, weil das Feuer mehr von rechts kam. Dorthin bewegte ich mich jetzt. Beinahe wäre ich über einen auf dem Boden liegenden Ro-boter gestolpert, denn in meinem wiederge-wonnenen Gefühl der Sicherheit arbeitete ich mich zu hastig voran.

Vor mir tauchte ein freies Stück in der Ver-zweigung auf. An einer Seitenwand standen drei Roboter und feuerten ohne Unterlaß auf den gegenüberliegenden Maschinenblock. Ich stellte meine Kombistrahler auf Impulsbe-schuß und mittelbreite Fächerung und drückte beide Abzüge gleichzeitig ab. Die drei Robo-ter explodierten schlagartig und mit solcher Wucht, daß mir die Fetzen um die Ohren flo-gen. Rasch ging ich in Deckung.

Der Kampflärm wurde noch lauter, denn jetzt gingen die SOL-Roboter zum Angriff über. Zimi-Eins hatte wohl erkannt, daß ich zufällig in eine günstige Position geraten war. Eine Minute später schwiegen die Waffen. Zimi-Eins und zwei weitere Roboter tauchten bei mir auf. Einer davon trug Sanny auf dem Arm.

»Gute Arbeit«, stellte ich fest. »Nun müs-sen wir aber schnell von hier verschwinden. Auch wenn Hidden-X mit Chybrain beschäf-

tigt ist, müssen wir damit rechnen, daß er auch uns zeitweise überwacht.«

»Du wirst das Kommando übernehmen?« fragte Zimi. Ich nickte.

»Einer von euch soll hier zurückbleiben, um unseren Abzug zu decken«, entschied ich. »Das macht Zimi-Zwölf. Nummer drei soll Sanny tragen, dann kann ich schneller reagie-ren.«

Ich schwang mich auf die Rückenhalterung von Zimi-Eins und wies ihm eine willkürlich gewählte Richtung zu. Der Roboter hob mit seinem Antigrav ab und beschleunigte rasch. Zimi-Drei mit Sanny folgte uns. Ein normal beleuchteter Korridor nahm uns auf.

»Hast du noch Verbindung zu den anderen Trupps?« wollte ich von Zimi wissen. Der verneinte und erklärte, daß mehrere davon in Kämpfe verwickelt worden seien, als sie inte-ressant wirkende Objekte des Flekto-Yns an-gegriffen hätten. Die meisten seien wahr-scheinlich umgekommen.

»Wir riskieren keine Angriffe irgendwel-cher Art«, ordnete ich an. »Die beste Tarnung gegenüber Hidden-X ist nach meinem bisheri-gen Erfahrungen passives Verhalten.«

Als wir eine gute Strecke zurückgelegt hat-ten, ließ ich anhalten. Ich mußte mich orien-tieren. Mit Hilfe der Roboter stellte ich fest, daß wir uns bereits mehrere Kilometer von der Außenhülle in Richtung Zentrum des Flekto-Yns entfernt hatten, was bei dem riesi-gen Durchmesser von Hidden-X’ Heimstatt aber kaum ins Gewicht fiel.

Wohin sollte ich mich nun wenden? Hid-den-X war ungreifbar, und ob es mir noch einmal gelingen würde, ein Loch in dem Schirm aus Jenseitsenergie zu erzeugen, war sehr zweifelhaft. Ich beriet mich mit Sanny, aber die Paramathematikerin wußte auch kei-nen Rat.

Von den wenigen vielleicht zurückgeblie-benen Bakwern konnte ich keine Unterstüt-zung erwarten, und von Chybrain fehlte jedes Lebenszeichen.

Irrtum, wisperte eine Stimme in mir. Zuerst dachte ich, es sei mein Extrasinn. Ich bin ge-fangen. Aber es gibt noch eine Chance. All-mählich durchschaue ich Hidden-X. Wenn ich es noch etwas zappeln lassen kann, wachsen deine Möglichkeiten. Richtet euer ganzes

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Streben danach, das Flekto zu finden. Es ist der Schlüssel zu ...

Die restlichen Gedanken gingen in einem lautlosen Schrei unter. Ich sah, daß Sanny zusammenzuckte. Also hatte auch sie diese Botschaft vernommen.

Was, so überlegte ich, ist das Flekto? Die Antwort gab mir der Logiksektor. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit

nach um den Ort, von dem aus Hidden-X Vorgänge gesteuert hat, wie die Geister-SOL, die Landschaft im Nichts, die vielen Spiegel in seinem Machtbereich und vielleicht auch alle Vorgänge in und um das Flekto-Yn. Du kennst diesen Ort, und Sanny kennt ihn auch.

Die Symboltafel, mit der ich damals aus dem Flekto-Yn in der Zone-X entkommen konnte, da uns mit Sannys Hilfe die Erzeu-gung eines Transmitters und einer Rettungs-kugel gelungen war. Die meinte der Extra-sinn. Ich fragte Sanny, was sie davon hielt.

»Das ist ganz sicher das Flekto«, behaupte-te die Molaatin. »Nur weiß ich nicht, wo es ist.«

Trotz meines fotografischen Gedächtnisses war auch mir eine Orientierung aus der Erin-nerung unmöglich. Das Innere des Flekto-Yns war zu vielfältig und zu unsystematisch auf-gebaut. Die Logik des Hidden-X, die dahin-tersteckte, war auch für die Paramathematike-rin unbegreiflich.

»Wir haben eine Reihe von Problemen«, stellte ich fest, »die wir sorgfältig hinterein-ander lösen müssen. Zunächst müssen wir uns orientieren. Dazu gehört auch, daß wir einen Bakwer finden, der uns – freiwillig oder nicht – verrät, wo das Flekto zu finden ist. Dann müssen wir den Weg dorthin bewältigen. Bei allem müssen wir mit neuen Attacken von Hidden-X rechnen. Und wenn wir schließlich das Flekto finden sollten, beginnt das eigent-liche Problem, denn Chybrain hatte keine Gelegenheit mehr, uns zu sagen, was wir dort tun sollen.«

»Darüber kann ich schon einmal nachden-ken«, antwortete Sanny. »Sorge du dafür, daß wir einen Bakwer finden. Das Flekto ist der Schlüssel ...«

Ihre letzten Worte waren nur noch Gemur-mel. Ich hob sie von Zimi-Drei herab und instruierte den Roboter für die Suche nach

einem Bakwer. Von der Gefährlichkeit dieser Alleszerstörer und Allesfresser wußte die Ma-schine. Sie sollte es dennoch mit einem fried-lichen Kontaktversuch probieren.

Als Zimi-Drei verschwunden war, begann wieder eine Phase des ungewissen Wartens. Aber ich nutzte sie, um neue Pläne zu schmieden.

8.

Eine Stunde später war noch immer nichts

geschehen. Sanny verhielt sich schweigsam, und Zimi-Eins sicherte die Umgebung ab. Aus der Ferne waren gelegentlich merkwür-dige Geräusche zu hören, die ich jedoch nicht identifizieren konnte. Weder Hidden-X noch Chybrain meldeten sich noch einmal.

Endlich kehrte Zimi-Drei zurück. Er hatte einen Bakwer im Schlepp, der sich heftig ge-gen das Fesselfeld des Roboters wehrte, je-doch nichts ausrichten konnte. Der Bakwer wurde vor mir auf dem Boden abgelegt. Das Energiefeld ließ ihm nur wenige Zentimeter Spielraum.

»Auf einen friedlichen Kontaktversuch ließ er sich nicht ein«, erklärte Zimi-Drei. »Ich habe nur herausgefunden, daß er Fay heißt und daß er sehr wütend ist.«

Ich nahm den Translator und begann auf das kleine Wesen einzureden. Erst als ich ihm erklärte, daß praktisch alle Angehörigen sei-nes Volkes durch die Hilfe Umpfs und durch meine von dem Flekto-Yn entkommen konn-ten, brach bei ihm das Eis. Er beruhigte sich und hörte mir nun genau zu. Auch erwähnte ich Wuschel, der bei uns lebte, sowie die Vermutung, daß die entkommenen Bakwer einer friedlichen und freien Zukunft entge-gensahen. Mit meinem eigentlichen Anliegen wollte ich noch nicht herausrücken, da ich mir kein Bild von der Gemütsverfassung des Bakwers machen konnte. Auch wollte ich ihm nichts von meinem Plan verraten, denn es konnte durchaus sein, daß Hidden-X ihn kon-trollierte. So schloß ich meine lange Rede mit den Worten: »Nun suchen wir nach weiteren Bakwern, denn Umpf hat uns wissen lassen, daß noch ein paar hier sein müssen. Leider stellen sich diese so störrisch an wie du.«

Dann schwieg ich und hoffte auf eine Ant-

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wort.

»Hidden-X wird dich bestrafen«, quietschte der Bakwer schließlich. »Und wenn ich dir folgen würde, würde er mich auch töten.«

Sanny schaltete schnell den Translator aus und sagte: »Ein überängstlicher Kerl. Aber er steht nicht unter der Kontrolle von Hidden-X.«

»Bist du sicher?« Die Kleine nickte, aber ich beschloß, vor-

sichtig zu bleiben. »Wenn du uns nicht in die Freiheit folgen

willst, Fay, so ist das deine Entscheidung. Ich werde sie respektieren. Von Umpf weiß ich jedoch, daß noch Bakwer, die anders denken als du, in der Nähe des Flektos auf uns war-ten. Und diese möchte ich finden.«

»In der Nähe des Flektos?« staunte Fay. »Was sollten sie dort denn zu tun haben?«

»Sie haben diesen Punkt als Sammelort gewählt, sagte mir Umpf. Da Umpf schon das Flekto-Yn verlassen hat, stehe ich nun vor dem Problem, seine restlichen Leute zu fin-den, denn ich weiß nicht, wo das Flekto ist und wie man die Interntransmitter bedient.«

»Wenn ich dir nur glauben könnte, Frem-der.« Fay war noch immer übervorsichtig und mißtrauisch.

»Welche Garantie verlangst du?« Ich streckte auffordernd meine Arme aus, so daß sie fast das Fesselfeld berührten.

»Ich könnte dir leicht den Weg zum Flekto zeigen«, meinte der Bakwer. »Aber ich will das Flekto-Yn nicht verlassen. Ich will näm-lich nicht sterben, und jeder, der sich gegen den Herrn auflehnt, wird sterben. Vielen ist es so ergangen.« Er machte eine Pause. »Schalte dieses Energiefeld ab, und ich werde dir glau-ben und euch zum Flekto führen.«

Sanny nickte mir zu, so daß ich das Risiko eingehen konnte. Ich gab Zimi-Drei ein Zei-chen. Das Flimmern des Fesselfelds ver-schwand.

»Ich könnte dich jetzt anspringen und mit einem Biß töten«, behauptete Fay. »Ich neh-me an, du weißt das.«

»Ich weiß es, aber ohne gegenseitiges Ver-trauen werden wir uns nie einig, oder?«

Der Bakwer drehte sich um und rief mir zu: »Folgt mir.« »Geschafft«, stellte Sanny aufatmend fest.

»Allerdings glaube ich, daß wir schon zuviel Zeit verloren haben. Chybrain meldet sich nicht mehr.«

»Er kann es vielleicht nicht.« Ich schwang mich wieder auf Zimi-Eins. »Und er wartet vielleicht auf unsere Hilfe.«

Fay flitzte los, aber die beiden Roboter konnten ihm leicht folgen. Nach mehreren Kilometern Weg durch Hallen und Gänge hielt er vor einem Interntransmitter an, wie ich sie schon kannte. Er nahm die Program-mierung vor. Als er damit fertig war, kam er auf mich zugekrochen.

»Ich nehme an«, stieß er aus, »daß du mei-ne Begleitung wünschst. Ich könnte euch ja auch ins Verderben jagen.«

Dumm war der Allesfresser nicht. Das mußte ich zugeben.

»Allerdings möchte ich am Zielort, der in unmittelbarer Nähe des Flektos liegt, meine eigenen Wege gehen«, fuhr Fay fort.

Ich war damit einverstanden, denn um das Schicksal eines einzelnen starrköpfigen und überängstlichen Wesens konnte ich mich in dieser Lage nicht kümmern.

Gemeinsam betraten wir den Transmitter. Wir materialisierten in einer kleinen Halle, die der ersten nicht unähnlich war.

»Lebt wohl«, rief der Bakwer. Er polte den Transmitter schnell um und verschwand mit unbekanntem Ziel.

»Doch eine Falle?« fragte ich Sanny, aber ich bekam keine Antwort.

Auf der gegenüberliegenden Seite waren zwei Ausgänge, die durch dicke Schotte ver-riegelt waren. Eine andere Möglichkeit, um von hier wegzukommen, entdeckte ich nicht.

Sanny kletterte von ihrem Roboter und be-gann damit, die beiden Tore zu untersuchen. Sie ließ sich dann wieder von Zimi-Drei in die Höhe heben. Nach einigen Minuten wink-te sie mich heran.

»Ein komplizierter Mechanismus«, erklärte sie. »Er läßt sich öffnen, aber das ist nicht das Problem. Als wir damals im Flekto waren, immer angenommen, es handelt sich um die Symboltafel, von der aus man Dinge steuern kann, gab es solche Absicherungen nicht. Das heißt, daß Hidden-X aus den früheren Vorfäl-len gelernt und entsprechende Vorsichtsmaß-nahmen getroffen hat. Wir müssen gut auf-

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passen.«

»Was haben wir zu verlieren, Sanny? Wie geht das Ding auf?«

»Ich bin schon dabei. Es wird einen Au-genblick dauern.«

Während sie sich an der Verkleidung des Schottes zu schaffen machte und verborgene Sensoren aufspürte, was mit Hilfe ihrer Para-mathematik für sie leichter war als für mich, wartete ich. Eine plötzliche Kälte beschlich mich, und als ich mich umsah, bemerkte ich, wie sich die Wände mit einer Eisschicht über-zogen.

Ich wollte die Molaatin nicht stören, weil das nur unsere Zeit gekostet hätte, aber sie bemerkte die Falle selbst.

»Ich habe die Vereisung ausgelöst«, rief sie mir zu und arbeitete noch hastiger weiter. »Das ließ sich nicht verhindern. Können die Roboter nicht etwas dagegen tun?«

Zimi-Eins schwenkte seine Waffenarme herum und begann, seine Thermostrahler breitgefächert abzufeuern. Sofort wurde die Kälte zurückgedrängt. Ich merkte aber sogleich, daß der Wärmeentzug drastisch ver-stärkt wurde. Der Roboter konnte der zuneh-menden Vereisung schon bald nicht mehr schnell genug folgen.

»Beeilung, Sanny«, drängte ich. »Sonst landen wir in Hidden-X’ Tiefkühltruhe.«

Nun unterstützte auch Zimi-Drei die dro-hende Absenkung der Temperaturen. Der rückwärtige Teil der Halle, wo die Transmit-teröffnung gewesen war, war aber bereits völ-lig vereist. Irgendwo mußte es winzige Öff-nungen geben, durch die tiefgekühlte Flüssig-keiten oder Gase in den Raum gesprüht wur-den.

Als fast nichts mehr half, bauten die beiden Zimis mit ihren Aggregaten Energiefelder auf, aber selbst das nutzte nicht viel. Ich merkte, daß es sich hier um eine Art Kälteausbreitung handelte, die nichts mehr mit den normalen physikalischen Gesetzen zu tun haben konnte.

Sanny arbeitete fieberhaft, aber ihre Bewe-gungen wurden dennoch immer langsamer. Dann gab es endlich ein knirschendes Ge-räusch, und das Schott glitt langsam in die Höhe. In dem breiten quadratischen Gang, der sichtbar wurde, lagen mehrere Bakwer flach auf dem Boden, ein sicheres Zeichen, daß sie

nicht mehr lebten. Ich wußte nicht genau, was das bedeutete, aber es wies doch darauf hin, daß Hidden-X hier drastische Sicherheitsmaß-nahmen getroffen hatte, bei denen einzelne Lebewesen keine Rolle spielten.

Zimi-Drei packte nach Sanny und betrat den Gang. Ich eilte hinterher und nahm mit wohligem Gefühl die normale Wärme wahr, die hier herrschte. Den Schluß bildete Zimi-Eins.

»Ich hoffe«, rief ich Sanny zu, die schnell voran drängte, »daß das Thermofeuer der Ro-boter nicht bemerkt worden ist.«

»Ich hoffe es auch«, entgegnete Sanny. Sie blickte sich aufmerksam um. »Erkennst du hier etwas wieder?«

»Nein.« Ich konnte mich auf mein fotogra-fisches Gedächtnis verlassen. »Entweder nä-hern wir uns aus einer anderen Richtung dem Flekto, oder Hidden-X hat hier umbauen las-sen. Du darfst nicht vergessen, daß wir vor fast drei Jahren hier waren. Es hatte genügend Zeit, und von den Zyanern wissen wir, daß sie lange im Flekto-Yn arbeiten mußten. Freilich war die Haupttätigkeit der Neuaufbau des Großen Spiegels.«

Der Gang verbreiterte sich gleichmäßig in einen riesigen Raum. Von der Größe her war es jener Nickelsaal, in dem ich damals gewe-sen war. Aber seinerzeit hatte es hier anders ausgesehen. Damit waren vor allem die Ma-schinenblöcke und Aggregate gemeint, die hier standen.

Hidden-X mußte neu aufbauen, erinnerte mich mein Logiksektor. Damals wurde sehr viel zerstört.

»Wir müssen auf die Suche gehen«, erklär-te die Paramathematikerin. »Die Halle ist mindestens zwei Kilometer lang. Irgendwo müßte die Schalttafel mit den Symbolen doch sein.«

»Wenn Fay uns nicht hereingelegt hat«, warf ich ein.

»Ich bin mir sicher, daß er die Wahrheit sagte«, behauptete Sanny. »Sollen wir zu-sammen bleiben?«

»Das ist besser und sicherer. Wer weiß, welche Gefahren hier noch auf uns warten.« Ich schwang mich auf den Rücken von Zimi-Eins und wies ihm einen Weg an. Zunächst wollte ich die Mitte der Halle absuchen und

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dann von dort größere Kreise ziehen. Sanny und Zimi-Drei blieben dicht hinter mir.

Plötzlich erkannte ich ein fremdartiges Ag-gregat wieder. Mein fotografisches Gedächt-nis signalisierte Alarm. Hier war ich schon einmal gewesen. Nun konnte ich auch den Ort grob bestimmen, wo damals die Symboltafel gewesen war.

»Dort entlang!« Ich deutete zur Seite. Wir rannten unter einem Rohrsystem hin-

durch, das bis an die fast einhundert Meter hohe Decke ragte. Auch hier lagen vereinzelt tote Bakwer herum. An anderen Stellen hatte ich den Eindruck, daß begonnene Arbeiten nicht abgeschlossen worden waren, denn an einigen Maschinenblöcken waren die Ver-kleidungen entfernt. Sie lagen auf dem blan-ken Boden herum.

Wir bogen um einen konischen Körper, und dann sah ich die vielfarbige und mit Symbo-len überdeckte Wand, die zwanzig Meter vom Boden in die Höhe ragte. Zimi-Eins hielt auf mein Kommando an. Ich sprang herunter und starrte in die Höhe. Einige der unverständli-chen Symbole, die Sanny seinerzeit mit ihrer Paramathematik entschlüsselt hatte, erkannte ich wieder. Aber sie waren nun anders ange-ordnet und auch in der Gesamtzahl größer.

»Es ist das Flekto«, erklärte die Molaatin überzeugt. »Aber Hidden-X hat es erweitert. Du weißt, was das bedeutet?«

Ich ahnte es, aber ich schwieg. »Ich muß mit der gesamten Berechnung

von vorn beginnen. Außerdem erkenne ich schon jetzt, daß die Speicher von den Auslö-sern der Funktion getrennt wurden. Es ist al-les viel schwieriger. Was soll ich tun?«

»Was erwartet Chybrain von uns?« stellte ich die Gegenfrage.

Als Sanny schwieg, ging ich zu ihr hinüber. Fast wäre ich dabei über einen kleinen Bak-wer gestolpert, der platt auf dem Boden lag. Als ich ihn mit meiner Stiefelspitze verse-hentlich berührte, zuckte der Allesfresser zu-sammen.

»Er lebt noch.« Ich bückte mich und hob ihn hoch. Der Körper war schlaff und weich.

»Was soll ich tun?« fragte Sanny noch einmal. »Ich kapiere die ganze Wand noch nicht.«

Der dem Tode nahe Bakwer lenkte meine

Aufmerksamkeit ab, so daß ich das Knistern eines sich aufbauenden Energiefelds zu spät bemerkte. Auch Sanny und die Roboter rea-gierten zu spät.

Wir waren im Nu in eine hellblau schim-mernde Röhre gehüllt, die bis zur Decke reichte. Zimi-Eins versuchte, sie zu durch-streifen, aber er prallte wie von einer steinhar-ten Wand zurück.

Jetzt brauchst du Sannys Frage nicht mehr zu beantworten, spottete mein Extrasinn, denn jetzt kannst du gar nichts mehr tun. Deine Unaufmerksamkeit hat euch um den Erfolg gebracht.

Ich schüttelte die aufkeimende Verzweif-lung schnell ab. Wir hatten schon viel Zeit verloren. Jetzt mußte ich handeln.

»Sanny!« Ich legte allen Nachdruck in meine Stimme. »Konzentriere dich auf eine einzige Aufgabe. Wie kann dieses Energiefeld abgeschaltet werden? Ich vermute zu unseren Gunsten, daß es sich um eine automatische Anlage handelt und daß Hidden-X noch nichts von unserem Hiersein bemerkt hat.«

»Ich will versuchen, es herauszufinden.« Dann wandte ich mich an die beiden Robo-

ter. »Wer von euch besitzt einen Medo-Notsatz?«

»Ich.« Zimi-Eins klappte an seinem Körper ein Fach auf.

Ich trat heran und untersuchte die Medika-mente, die er mitführte. Von Hage Nocke-mann und Blödel wußte ich einiges über den Metabolismus der Bakwer. Umfassend waren die Kenntnisse nicht, denn dem Wissenschaft-ler war es noch nicht gelungen, alle Geheim-nisse dieser merkwürdigen Wesen zu ent-schleiern. Immerhin fand ich zwei Präparate, auf die der Bakwer ansprechen müßte. Diese spritzte ich dem schlaffen Körper ein.

Sanny rief mich. Sie stand dicht vor dem Energieschirm.

»Siehst du in der obersten Reihe das dritte Symbol von rechts? Es sieht so ähnlich aus wie ein Gesicht ohne Nase. Die beiden Augen müssen gleichzeitig berührt werden, dann schaltet sich der Energieschirm ab. Hidden-X macht das normalerweise durch einen Gedan-kenbefehl, der über ein anderes System von hinten an diese Schalteinheit führen muß. Es war einfach, diese Kontaktfläche zu bestim-

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men, denn es ist die einzige, die einen inter-nen Speicher über die auszuführende Informa-tion besitzt.«

Ich verstand nicht genau, was die kleine Molaatin damit meinte. Auch grübelte ich nicht darüber nach. Jetzt galt nur eins, und das war schnelles Handeln.

Ein pfeifendes Geräusch ließ mich herum-fahren. Der Bakwer hatte wieder seine Kugel-gestalt angenommen. Allerdings sah er arg zerzaust aus.

»Noch so ein Problem wie Fay«, meinte Sanny, »und dann haben wir die letzte Frist vertan.«

Ich trat auf den Bakwer zu und schaltete den Translator ein.

»Hörst du mich?« fragte ich ihn behutsam. »Atlan!« Es war mehr ein Stöhnen. »Du

wirst mich nicht wiedererkennen. Es ist wun-derbar, dich noch zu sehen, obwohl wir ge-scheitert sind.«

Ich ließ ihn reden, obwohl mir die Zeit un-ter den Nägeln brannte. So erfuhr ich, daß eine kleine Gruppe von jungen Bakwern den Versuch gestartet hatte, das Flekto in Besitz zu nehmen. Sie waren gescheitert und fast alle von Hidden-X getötet worden. Perus, so hieß der Bakwer, erinnerte sich gut an mich, wäh-rend ich ihn nicht identifizieren konnte, denn für mich sah ein Bakwer so aus wie der ande-re.

Ich teilte ihm mit, daß es gelungen war, die große Masse seines Volkes aus dem Flekto-Yn zu befreien.

»Das ist wunderbar«, freute sich Perus. »Sicher hat unsere Mission auch dazu beige-tragen, denn wir haben Hidden-X nicht nur beschäftigt, wir haben auch wichtige Zellen des Flekto-Yns zerstört. Leider kamen alle ums Leben. Nun kann ich beruhigt sterben, denn unser Aufstand war doch nicht ganz sinnlos.«

»Hidden-X existiert noch«, antwortete ich ihm. »Du merkst sicher selbst, daß ich dich mit speziellen Präparaten noch einmal aufge-richtet habe. Leider kann ich dir nicht weiter helfen.«

»Ich bin zufrieden. Daß mein Tod nah ist, bedrückt mich nicht. Irgendwann wird auch Hidden-X seine gerechte Strafe finden.«

»Fühlst du dich stark genug, Perus, um uns

bei einem letzten Schlag gegen Hidden-X zu helfen?«

Der Bakwer stieß so etwas wie ein Lachen aus. »Ich würde sogar nach meinem Tod noch gegen diesen Unhold antreten.«

Ich erklärte ihm das, was er auf der Sym-bolwand zu tun hatte. Perus verstand schnell.

»Der Energieschirm ragt nicht weit in den Boden«, fuhr ich dann fort. »Du müßtest dich hindurchfressen. Den Einsatz unserer Waffen wage ich noch nicht, denn dann würde uns Hidden-X sofort bemerken. Wir haben aber guten Grund zu der Annahme, daß es im Au-genblick so beschäftigt ist, daß es ein ruhiges Verhalten noch übersieht.«

»Lebe wohl, Atlan«, sagte Perus statt einer direkten Zustimmung. »Ich werde es versu-chen. Verzeih mir, wenn ich versage. Und wenn du Umpf und Wuschel noch einmal triffst, dann grüße sie von mir.«

Dann wieselte der Bakwer los. In Sekun-denschnelle fraß er sich in den Nickelboden, und keine Minute später war er auf der ande-ren Seite wieder aufgetaucht. Schon merklich langsamer kroch er auf die riesige Symbol-wand zu.

Zimi-Eins steckte eine Sonde in den klei-nen Kanal, den Perus gefressen hatte. »Das Energiefeld hat reagiert«, berichtete er, »aber zu langsam. Jetzt reicht es auch in die Tiefe.«

»Eine Kleinigkeit, ein lächerlicher Fehler, hat uns geholfen«, stellte Sanny fest. »Das ist typisch für diesen Großkotz und Mörder. Hof-fentlich schafft es Perus.«

Der Bakwer kletterte noch langsamer an der farbigen Wand mit den zahlreichen Fel-dern empor. Mehrmals legte er Pausen ein, und einmal geriet er sogar in Straucheln und rutschte ein Stück zurück. Sanny unterdrückte einen Wutschrei.

»Meine Berechnung besagt«, behauptete sie, »daß er es gerade noch schaffen kann.«

»Womit nichts gesagt ist«, stellte ich fest. »Die Roboter sollen ihre Waffen vorbereiten. Als letztes Mittel versuchen wir es mit Ge-walt.«

Die beiden Kampfmaschinen bauten sich neben mir auf. Aber noch hingen meine Au-gen an dem pelzigen Punkt, der sich Stück für Stück in die Höhe schob.

»Ich habe ein Speicherfeld und ein Steuer-

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feld entdeckt«, behauptete die Molaatin, »mit denen man eine Strukturlücke in den Schirm aus Jenseitsenergie erzeugen könnte. Wenn ich an die Tafelwand käme.«

Perus hielt unter dem entscheidenden Sym-bol an. An seiner Körperunterseite erschien ein winziges Beinchen. Er winkte uns zu. Dann warf er sich mit einem letzten Ruck auf die bezeichneten Stellen.

Er konnte sich keine Sekunde halten, dann fiel er von der Wand ab und stürzte in die Tiefe. Bevor sein Körper auf dem harten Ni-ckelboden aufschlug, erlosch das Energiefeld.

»Komm, Sanny!« Ich rannte los.

9. »Ich spüre Atlans Lebensimpulse wieder«,

behauptete Bjo Breiskoll. »Es muß etwas ge-schehen sein.«

Seine Stimme war voller Freude, aber auch voller Verwunderung, denn insgeheim hatte er mit einer solchen Wende nicht mehr ge-rechnet. Sofort kam Leben in die Zentrale der ULTRAHEXE.

Bevor jemand die Hauptzentrale der SOL benachrichtigen konnte, meldete sich von dort Gallatan Herts.

»Wir haben etwas entdeckt, was eindeutig eine Strukturlücke in dem rotgrünen Schirm ist«, berichtete der Stabsspezialist hastig. Gleichzeitig wurden die Koordinaten auf ei-nem zweiten Kanal überspielt. »SENECA ist der Ansicht, daß jemand einen Ausbruchsver-such startet und daß wir nichts unternehmen sollten. Abwarten, heißt sein Vorschlag.«

»SENECA kann mir den Buckel runterrut-schen, Herzblättchen.« Breiskoll hieb mit der Faust auf die Konsole des Telekoms. »Ich starte!«

Vorlan Brick wartete keine weiteren Befeh-le ab. Der Kreuzer schoß mit den höchstmög-lichen Werten aus dem Hangar.

»Hoffentlich funktionieren die neuen Schutzschirme auch«, jammerte Argan. Erst als ihm Federspiel die Grünwerte der Kontrol-len zeigte, beruhigte sich der Puschyde.

Die ULTRAHEXE mußte einen Bogen fliegen, um zu der georteten Strukturlücke zu gelangen, denn diese lag nicht auf der zuge-wandten Seite des Flekto-Yns. Gebannt hin-

gen die Augen aller auf den Anzeigen, den Bildern und den Ortungsergebnissen.

Es ging um Atlan! Dieser Gedanke beseelte alle und ließ sie einen Teil der Gefahr verges-sen, die vor ihnen lag.

»Ich hole ihn da heraus«, erdreistete sich Blödel zu bemerken. »Und dieses Hidden-X soll es wagen, in die Nähe meiner Tentakel zu kommen! Ich quetsche ihm ...«

»Halt den Mund«, donnerte Nockemann los. »Oder ich schalte dich ab!«

Tatsächlich schwieg die Positronik. Nun kam die Strukturlücke in direkte Sicht. Sie wirkte glatt und sehr stabil. Brick schwenkte in einen senkrechten Kurs auf den Schirm aus Jenseitsenergie, so daß man direkt in das ent-standene Loch sehen konnte. Weit dahinter schimmerte unheildrohend das Flekto-Yn.

»Der Weg ist frei«, stellte der Katzer fest. »Hinein! Koste es, was es wolle.«

Die Öffnung durchmaß etwa 400 Meter. Platz genug für die ULTRAHEXE bestand somit. Niemand dachte daran, daß es sich um eine Falle handeln könnte, denn wenn wäh-rend der Passage durch den Energieschirm die Strukturlücke erlosch, war der Kreuzer verlo-ren.

Vorlan Brick steuerte in geradem Kurs auf das Flekto-Yn zu. Nichts geschah, bis der rotgrüne Schirm hinter ihnen lag. Doch dann brandete ein vielstimmiger Schrei durch das Schiff.

Alle Anzeigen über das Flekto-Yn fielen auf Null, und die Bildschirme zeigten nur die gähnende Leere des Weltalls. Weit hinter ih-nen verzeichneten die Orter das vertraute Echo der SOL. Aber von dem Flekto-Yn fehl-te jede Spur.

»Hidden-X ist mit dem Flekto-Yn und mit Atlan abgehauen«, jammerte Argan U, als Ruhe nach der ersten Aufregung eingekehrt war.

»Nein!« erklärte Bjo Breiskoll hart. Er hatte beide Hände an die Schläfen seines Kopfes gelegt. »Atlan ist noch da. Ich spüre ihn. Ich empfange sogar die Gedanken von Sanny. Und die Gedanken von ...«

Er brach ab und starrte auf den Hauptbild-schirm, wo die Schwärze des Alls sich aufzu-lösen begann.

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*

»Das dort sind Speicherzellen.« Sanny deu-

tete auf einen Abschnitt des Flektos, derrechts unten angeordnet war. »Hier liegen zum Beispiel die Ausgangsinformationen, um Planetenbahnen zu verändern oder um eine Sonne aufzuheizen.«

»Damit kann ich im Augenblick nichts an-fangen«, entgegnete ich. »Wo läßt sich die Strukturlücke steuern, die du erwähnt hast?«

Die Molaatin zeigte auf zwei weit ausein-ander liegende Symbole. »Das ist der Info-Speicher, und das ist der Auslöser.«

Ich verstand. »Zimi-Eins und Drei! Berührt die Symbolflächen, die euch Sanny gezeigt hat.«

Die Roboter schwebten in die Höhe. Auf mein Zeichen preßten sie ihre stählernenHände auf die Flächen des Flektos. In mei-nem Rücken, also der Flektowand gegenüber,

verwandelte sich die glatte Wand eines Ma-schinenblocks in einen überdimensionalen Bildschirm. Ein Teil des Flekto-Yns und des Jenseitsenergieschirms wurde sichtbar. In der rotgrünen Fläche entstand ein dunkles Loch. Am Unterrand des Bildes wurden andere Symbole eingeblendet, die ich nicht verstand. Sanny benötigte nur Sekunden, um diese auf sich wirken zu lassen, und sie hatte den Sinn paramathematisch entschlüsselt.

»Es handelt sich ausschließlich um Entfer-nungs- und Größenangaben«, erklärte sie.

»Bleibt die Strukturlücke stabil?« wollte ich wissen. Aber die Molaatin vermochte nicht zu sagen, wie und wann Hidden-X in dieses Geschehen eingreifen würde.

»Ich rechne damit«, meinte sie, »daß Chybrain unseren Feind bindet und beschäf-tigt. Was soll ich weiter machen? Oder willst du warten, bis man auf der SOL die Struktur-lücke entdeckt und herkommt?«

»Nein, Kleines. Ich habe ein paar Ideen, aber ich müßte erst genauer wissen, welche Möglichkeiten das Flekto bietet. Hidden-X hat uns in der Vergangenheit zwar einiges von seiner Palette vorgeführt, aber was genau geht, kannst höchstens du beurteilen.«

Ich hob Sanny auf meine Schulter. Ihre Augen strichen über die verwirrenden und leuchtenden Symbole.

»Das ist eine Speichereinheit für Spiege-lungen.« Ihr Händchen wies auf ein Symbol, das für mich soviel bedeutete, wie jedes ande-re. »Man muß sie füllen. Dazu gibt es Basis-informationen. So etwa hat Hidden-X seiner-zeit die Geister-SOL erzeugt. Allerdings muß man die Information erst gewinnen. Das ge-schieht mit einem anderen System, das ich noch nicht entdeckt habe.«

»Was geschieht«, fragte ich, »wenn man etwas spiegelt, und es ist keine Basisinforma-tion vorhanden?«

Sanny blickte mich verdutzt an. »Eine Ne-gativspiegelung in das Nichts«, überlegte sie laut. »Das Original würde für bestimmte Fak-toren verschwinden. Ich glaube nicht, daß Hidden-X diese Möglichkeit in Betracht ge-zogen hat.«

»Ich ziehe sie in Betracht, Sanny. Wir müs-sen irgend etwas Verrücktes versuchen, um dieses Wesen aus den Angeln zu heben.«

Zimi-Drei machte mich darauf aufmerk-sam, daß ein Kreuzer der SOL die immer noch stabile Strukturlücke passierte.

»Sie sollen ruhig kommen«, sagte ich über-legt. »Sie werden das gleiche Wunder erleben wie Hidden-X. Sanny, wir schlagen es mit seinen eigenen Waffen. Erzeuge eine Nega-tivspiegelung, wie du es genannt hast. Sie soll räumlich das ganze Flekto-Yn umfassen und alle betreffen, ausgenommen uns hier.«

Die Paramathematikerin ging an die Arbeit. Ihre mechanischen Helfer waren die beiden Roboter. Mehrere Symbolfelder wurden aus-gelöst. Dann mußte auch ich zugreifen und ein Steuerfeld, das in Reichweite meiner Ar-me war, berühren.

»Die Endauslösung, Atlan«, erläuterte San-ny. »Nun muß es klappen.«

Meine Hand berührte das warme Metall, und ich hatte das Gefühl eines leichten elekt-rischen Stromstoßes. Die Folge war sogleich sichtbar. Auf dem großen Bildschirm ver-schwanden das Flekto-Yn und der Schirm aus Jenseitsenergie. Nur der solanische Kreuzer war jetzt noch sichtbar.

Aber auch in unserer unmittelbaren Umge-bung wurden die Auswirkungen deutlich. Die gesamte Masse der uns umgebenden Halle wurde halbtransparent und dunkel. Ich befühl-te vorsichtshalber den Boden, und der war

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unverändert.

»Wie wird das auf Hidden-X wirken?« fragte ich laut. Der Kreuzer ging in einen an-deren Kurs, so daß ich annehmen konnte, daß dort auch Überraschung herrschte. Das Flek-to-Yn war für alle nicht mehr vorhanden.

Ich vernahm einen panikartigen Schrei. Hidden-X! behauptete mein Logiksektor. Auf dem Bildschirm erkannte ich eine

schleierhafte Bewegung. Etwas begann im Raum zu materialisieren. Der Kreuzer schien dies auch zu bemerken, denn er ging rasch auf Distanz zu dem Gebilde.

»Es muß ein ungeheurer Schock für Hid-den-X sein«, vermutete die Paramathematike-rin, »sich seiner Heimstatt beraubt zu sehen. Allerdings weiß ich nicht, was es nun tun wird. Es hat nun nichts mehr außer seiner geistigen Macht.«

Eine Bewegung, die ich aus den Augen-winkeln heraus erfaßte, ließ mich herumfah-ren. Neben mir tauchte aus dem Boden Chybrain auf. Er leuchtete nur schwach, aber er schien unversehrt zu sein.

Du bist ein Teufelskerl, Atlan, teilte er mir telepathisch mit. Durch diesen Trick hast du mich befreit und Hidden-X zur Verzweiflung getrieben.

Ich war froh, das Kristallei wieder in mei-ner Nähe zu haben, aber ich antwortete nicht, denn schon arbeiteten meine Gedanken einen neuen Plan aus.

Zunächst konzentrierte ich mich auf das, was auf der Bildwand dargestellt wurde. Es war ein phantastischer Anblick. Die SOL und der einzelne Kreuzer waren als winzige Punk-te deutlich zu erkennen. Und daneben verän-derte sich der Raum.

Erst waren es ein paar hundert goldene Punkte, dann wurden es Tausende, Millionen, Milliarden. Zwischen den strahlenden Flecken entstanden silberne Fäden, die in Form eines Gespinstes das ganze Gebilde zusammen hiel-ten.

Hidden-X zeigte sein wahres Aussehen, und ich mußte einräumen, daß es ein herrlicher und beeindruckender Anblick war. Die vielen goldenen Punkte mußten jeder für sich ein gespiegeltes Teilbewußtsein sein, dessen Ori-ginal in der Superintelligenz Seth-Apophis noch einmal vorhanden war. Die silbernen

Fäden waren der »Körper« des Hidden-X. Die leuchtende Traube war zwanzig oder

dreißig Kilometer hoch und etwa halb so breit. Sie schwankte leicht hin und her, viel-leicht ein gemeinschaftlicher Ausdruck der Verwirrung.

Doch dann faßte Hidden-X offenbar einen Entschluß. Die Traube aus Silber und Gold setzte sich in Bewegung. Ihr Ziel war eindeu-tig die SOL. Von dort rasten die ersten Flam-menstrahlen der Geschütze auf Hidden-X zu, aber das Wesen war in dieser Form unver-wundbar.

Die SOL ist in Gefahr, warnte Chybrain. »Was sollen wir tun?« fragte ich. Ich weiß es nicht, Atlan, gestand das leuch-

tende Ei neben mir. Ich bin auch zu ge-schwächt.

»Sanny«, sagte ich, »lade den Basisspeicher mit den Daten von Hidden-X. Wenn es ir-gendwie geht, füge aber eine positivere Men-talität hinzu. Nimm meinetwegen deine oder meine Psyche. Und dann erzeuge eine Spiege-lung von Hidden-X, das ist dann mein Hid-den-X.«

Du bist verrückt, teilte mir Chybrain mit. Das geht nie und nimmer. Und wenn es klap-pen sollte, kann es deinen Untergang bedeu-ten.

»Das Flekto ist in unserer Hand«, erklärte ich. »Ich wäre dumm, es nicht voll auszunut-zen.«

Auch Sanny meldete Bedenken an. »Eine solche Spiegelung benötigt unvorstellbare Energie. Das Flekto würde das Flekto-Yn in seiner Substanz angreifen.«

»Das ist mir egal, Sanny. Tu bitte, was ich sage. Ich kann diese verflixten Symbole nicht entziffern. Es geht um die SOL, nicht um uns!«

Die Paramathematikerin gab ihre Anwei-sungen an die Roboter. Draußen tobte die einseitige Schlacht weiter. Die SOL war auf einen Fluchtkurs gegangen, und Hidden-X setzte nach. Die beiden kamen sich immer näher.

»Schneller, Sanny!« drängte ich. Die SOL raste plötzlich auf uns zu. Ich

wußte nicht, was geschehen würde, wenn sie mit dem negativgespiegelten Flekto-Yn zu-sammenprallen würde. Chybrain schien den

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Vorgang verfolgt zu haben, denn plötzlich stach sein Gedankenimpuls durch den Raum.

Uster Brick! Weiche zur Seite aus! Sofort! Das Hindernis ist unsichtbar.

Tatsächlich änderte die SOL ihren Kurs im letzten Moment. Dann brauste die goldene Traube des Hidden-X heran, und im gleichen Moment sagte Sanny:

»Fertig!« Sekunden später stand dort draußen ein

zweites Gebilde der Form von Hidden-X, un-ser Hidden-X.

Hidden-X stutzte und stürzte sich dann auf Hidden-X. Ein unwirkliches Ringen zweier geistiger Wesen begann, ein Kampf der in irgendeiner Form tödlich enden mußte.

Farben und Gedanken wogten durcheinan-der. Die Formen der Kämpfer veränderten sich ständig. Teile von ihnen wollten sich umschlingen, andere schlugen mit gewaltigen Bruchstücken aufeinander ein. Spuren der geistigen Auseinandersetzung wehten zu mir herüber. Auf der SOL würde es sicher viele Besinnungslose unter denen geben, die nicht mentalstabilisiert waren.

»Der Schirm aus Jenseitsenergie bricht zu-sammen«, warnte Sanny. »Dein Hidden-X braucht zuviel Energie und Substanz.«

»Schalte die Negativspiegelung des Flekto-Yns wieder ab«, bat ich sie. »Man soll ruhig sehen, wo das Flekto ist.«

Nun sah ich, daß die Warnung über den Energiebedarf meines Hidden-X zu Recht bestand. Über die Hälfte der Materie des Flek-to-Yns war bereits verschwunden, und bei dem Kampf der Giganten zeichnete sich noch kein Ende ab. Ich konnte mir vorstellen, was geschehen würde, wenn der Energievorrat verzehrt war. Hidden-X wäre der Sieger. San-ny und ich würden im Vakuum des Welt-raums vergehen. Mein Hidden-X würde sich auflösen.

Ich muß etwas tun, Atlan, ließ Chybrain mich wissen. Da ich mein Ziel sowieso nie erreichen werde, werde ich etwas für dich unternehmen. Lebe wohl, und grüße Wöbbe-king!

Das Kristallei schwebte sehr schnell davon. Auf dem Bildschirm entstand ein Echoreflex von ihm, der auf die ringenden Hidden-X und Hidden-X zusteuerte.

Meine Jenseitsenergie wird diesen Kampf entscheiden! Das war der letzte Gedanke, den ich von Chybrain hörte.

Draußen entstand eine neue Sonne. Ein To-desschrei drang in mich herein und raubte mir fast die Besinnung. Mein Extrahirn schrie mir eine Warnung zu, aber ich war zu keiner Handlung mehr fähig.

Irgendwo in meinem Kopf entstand eine grausame Leere. Ich fühlte Hidden-X in der Stunde seines Todes in mir, und ich fühlte, wie es mir etwas entriß.

Die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst! Dann war die Existenz dieses Wesens be-

endet. Die Roboter stützten mich, als ich auf Sanny zutaumelte. Ich nahm kaum noch wahr, wie das Flekto zusammenstürzte, wie seine Materie verwehte.

Zimi-Eins und Zimi-Drei bauten ein kleines Energiefeld auf, in dem Sanny und ich uns verbargen, bis Bjo Breiskoll uns an Bord der ULTRAHEXE holte. Mein letzter Blick zu-rück galt den Trümmerstücken des Flekto-Yns, die sich nun auch noch auflösten. Ir-gendwie war der Prozeß, den Sanny und ich in Gang gesetzt hatten, erst dann beendet, als das letzte Stück Nickel verschwunden war.

Während wir zur SOL zurückkehrten, ver-suchte ich meine Gedanken zu ordnen. Chybrain hatte sich geopfert, um den Kampf Hidden-X contra Hidden-X zu entscheiden. Armer Chybrain! dachte ich. Er hatte es nur getan, weil er zu verzweifelt war, weil er sei-nen vermeintlichen zweiten Elternteil nicht finden konnte.

Hidden-X und das Flekto-Yn existierten nicht mehr. Dieser Abschnitt des Universums war von Seth-Apophis’ grausamem Produkt befreit worden.

Aber ich hatte in der Stunde der Entschei-dung die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst verloren! Wie sollte ich nun den Auftrag der Kosmokraten erfüllen?

*

Zwei Stunden später schreckte mich ein

Alarm aus der Hauptzentrale der SOL hoch. Ich kam gerade aus der Hygienekabine, wo ich eine ausgiebige Dusche genommen hatte. Schnell streifte ich eine frische Kombination

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über. Dann eilte ich mit Bjo Breiskoll und Sanny zu Breckcrown Hayes.

»Ortung«, erklärte der High Sideryt und deutete auf die Anzeigen.

Wöbbeking! signalisierte mein Extrasinn. Das riesige Ei, nach meinen Vorstellungen

der Schöpfer Chybrains, hatte sich in seine Gaswolke gehüllt und raste mit halber Licht-geschwindigkeit in das Deignar-System.

»Er hält genau auf die SOL zu«, berichtete Lyta Kunduran. »Was mag er wollen?«

»Wir werden es erfahren«, behauptete ich, und eine gewisse Unsicherheit befiel mich, die ich vor Bjo Breiskoll nicht verbergen konnte.

Auf der SOL herrschte eine gute Stim-mung, denn Hidden-X war besiegt worden. Ich jedoch konnte mich diesem Freudentau-mel nicht so recht anschließen.

Wöbbeking-Nar’Bon verlangsamte seinen Flug. Schließlich kam er wenige Kilometer von der SOL entfernt zum Stillstand.

»Irgendwelche Gedanken, Bjo?« fragte ich. Der Katzer schüttelte den Kopf.

»Ihr seht mich«, brandete die Stimme Wöbbekings auf. Sie erklang telepathisch in allen Köpfen und technisch als akustische Schwingungen bis in die letzten Winkel des Generationenschiffs. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, denn eine tiefe Trauer hat mich ergriffen. Chybrain lebt nicht mehr.«

Ich wagte es nicht, eine Antwort zu denken, denn ich fühlte mich irgendwie mitschuldig.

»Ihr habt Hidden-X vernichtet«, fuhr Wöb-beking fort. »Aber um welchen Preis? War Chybrain es wert? Waren es die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst wert, die Atlan ver-loren hat? Habt ihr den Impuls angemessen, den Hidden-X in der Stunde seines Todes ab-gestrahlt hat? Wißt ihr, daß dieser seinen na-menlosen Diener in Xiinx-Markant erreicht hat? Wißt ihr, daß dieser längst einen Namen besitzt, weil er in die Kontrolle einer anderen Macht geraten ist? Weißt du Atlan, daß dies eine Macht ist, die du nie besiegen kannst?«

Eine Pause entstand. Nun wußten alle Sola-ner, was Hidden-X vor seinem Tod mir ge-raubt hatte. Breckcrown Hayes starrte mich zweifelnd an.

Wöbbeking verfolgt auch ein eigenes Ziel, folgerte mein Extrasinn unhörbar für die an-

deren. Sei wachsam! Und die Stimme sprach weiter: »Weißt du, Atlan, daß Hidden-X seinem

ehemaligen Diener in Xiinx-Markant den Auftrag gegeben hat, seinen Tod zu rächen? Weißt du, daß diese Rache dir gilt und der SOL? Daran ändert sich auch dadurch nichts, daß der ehemals Namenlose nun der Helfer einer anderen Macht ist?«

»Welcher Macht?« schrie ich heraus, denn plötzlich konnte ich meine Gefühle nicht mehr zügeln.

»Eine gute Frage, Atlan«, entgegnete Wöb-beking-Nar’Bon. »Du kennst diese Macht bereits, und sie allein besitzt jetzt die Koordi-naten von Varnhagher-Ghynnst.«

»Nenne mir ihren Namen!« »Alles zu seiner Zeit, du Ungeduldiger. Du

mußt deinen Weg allein gehen. Die Solaner werden dir folgen, denn du hast ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben. Aber du mußt wis-sen, daß du gegen diese Macht nicht allein bestehen kannst, denn die Ziele, die sie ver-folgt, haben nichts mit deinem Auftrag der Kosmokraten zu tun. Und die Kosmokraten werden dir nicht helfen.«

»Du kennst die Kosmokraten?« »Nein.« Wöbbeking lachte. »Niemand

kennt sie.« »Das ist alles schockierend und verwirrend

für mich«, gestand ich ein. Die anderen in der Zentrale folgten schweigend dem Gespräch.

»Schockierend, Atlan?« Diesmal klang das mächtige Wesen sehr ernst. »Ich muß dir noch etwas mitteilen, und das wird schockie-rend sein. Willst du es hören?«

»Nur heraus damit«, antwortete ich spon-tan, aber ein Zittern in meiner Stimme ließ sich nicht vermeiden.

»Durch den Sieg über Hidden-X hast du nicht nur die Koordinaten deines Zieles verlo-ren, sondern auch deinen Sohn.«

Ich war nicht in der Lage, auf diese Unge-heuerlichkeit zu antworten. Es dauerte Minu-ten, bis wieder Worte über meine Lippen ka-men.

»Wöbbeking! Sprich nicht länger in Rät-seln! Wer soll dieser Sohn sein? Und wer ist die Macht, die die gestohlenen Koordinaten besitzt?«

»Der Sohn ist Chybrain, dein Sohn, mein

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Sohn. Die Macht kennst du aus der Vergan-genheit der terranischen Geschichte, denn dort hast du ihr Wirken schon einmal zu spüren bekommen. Du kennst sie auch aus der Zeit, an die du dich durch den Willen der Kos-mokraten nicht mehr erinnern kannst. Die Macht heißt Anti-ES.«

Chybrain, Anti-ES, Wöbbeking, Varnhag-

her-Ghynnst, die SOL, ich. Meine Gedanken drehten sich im Kreis.

»Ich werde dir sagen, Atlan, wer Chybrain ist. Ich werde den Schleier deiner Vergangen-heit lüften, wenn du es möchtest.«

»Ich höre«, antwortete ich.

ENDE

Weiter geht es in Band 101 der Abenteuer der SOL mit:

Anti-ES von Peter Griese

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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