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By Felix Stephan
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Kultur
Inszenierung von Religion
Wir werden euch rocken!27.02.2012, 17:15
Von Felix Stephan
Religiöse Inszenierungen passen durchaus zu populärer Eventkultur. Auf der
ganzen Welt wird Religion daher als Großereignis in Szene gesetzt - nur nicht
in Deutschland. Das größte Problem bei der Inszenierung von Religion bleibt,
dass sich Glaube und Einkehr nicht kollektivieren lassen.
Wenn man sich ein wenig auf die Suche begibt, kann man in den gründlich
säkularisierten Innenstadtbezirken der Hauptstadt derzeit erleben, wie einzelne
Berliner Kirchengemeinden versuchen, sich den medialen Sehgewohnheiten der
Gegenwart anzupassen. Sie schicken ihre jüngeren Mitglieder jeden Sonntag in Bars,
Klubs oder Kinos, um dort in informeller Atmosphäre den Herren zu preisen. Die
jungen Christen singen selbstkomponierte Songs über Liebe und Gewissheit, es gibt
Erdnussflips und Cola. Meist finden diese Gottesdienste am späten Nachmittag statt,
man möchte auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen.
Massenprozession in Brasilien: Am "Cirio de Nazare" in Belem nahmen im September
vergangenen Jahres mehr als zwei Millionen Menschen teil. (© AFP)
Als die Künstlerinnen Dorothea Nold und Magdalena Kallenberger am vergangenen
Wochenende nun diese lockeren Gebetsperformances in das Haus der Kulturen der
Welt brachten für die Konferenz "Global Prayers", drängte sich die Frage auf, ob der
Ursprung des chronischen Niedergangs traditioneller Gemeindestrukturen hierzulande
vielleicht weniger in den kirchlichen Botschaften selbst, als vielmehr in der grandios
unzulänglichen Bühnenrede liegt. Zwei dieser Gemeindebands bespielten in der
Konferenz als lebende Installation die ehrwürdige Kongresshalle. Wie Nold und
Kallenberger die eifrigen Sängerknaben im Hipstergewand nebst Büfetttafeln
ausstellten, hatte etwas Herzloses. Sollte es dem religiösen Zeremoniell tatsächlich
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um die Stiftung von Gemeinschaft gehen, sind Pop-Propheten vom Range der
französischen Elektroband Justice weit enteilt. Selbst das außerkörperliche
Erlösungserlebnis bekommt man dort verlässlicher.
Dass religiöse Inszenierungen durchaus auch im Kontext populärer Eventkultur
mithalten können, führen indes jeden Tag zahllose religiöse Gemeinschaften vor, die
rund um den Globus die Sehnsüchte und Leidenschaften breiter
Bevölkerungsschichten kanalisieren. In London mieten sich etwa westafrikanische
Pfingstgemeinden in stillgelegte Gewerbehallen ein und beschwören den heiligen
Geist unter Einsatz aufwendiger Projektions- und Klangtechnik. In Lagos unterhält die
korrupte und elitäre "Redeemed Christian Church of God" den größten Saal der
Metropole und versammelt wöchentlich Hunderttausende. In Brasilien befinden sich
auf vielen evangelikalen Events mehr Menschen in Trance als auf einem Shakira-
Konzert. Und in Indonesien werden die gigantischen Großveranstaltungen der
muslimischen Habib-Brüder von Twitterbotschaften und riesigen Projektionen
begleitet.
Medialisierte Umwidmung des religiösen Erlebens
Diese medialisierte Umwidmung des religiösen Erlebens kann auch uns nicht
unberührt lassen. Im Zuge der Globalisierung hat alles, was in Lagos und Jakarta
passiert, Auswirkungen auf Berlin und Paris, wie die Oxford-Anthropologin Kristine
Krause formulierte. Jakarta ist unter uns. Dass in London am Sonntagvormittag eine
afrikanische Gemeinde ihre Gottesdienste im Dominion Theatre abhält, in dem sonst
jeden Abend das Queen-Musical läuft, könnte so eine Rückkopplung sein. Über dem
Eingang prangt dort der programmatische Titel der Revue: "We will rock you".
Papst Benedikt XVI. winkt bei seinem Besuch in Freiburg aus dem Papamobil. (© dapd)
Man sollte sich allerdings hüten, die weit verbreitete Religiosität und die leicht
ordinär-effekthascherische Bildsprache, die damit einhergeht, mit der
Rückständigkeit der Länder zu erklären, die sie hervorbringen. Nach derzeitigem
Forschungsstand scheint es im Gegenteil eher so zu sein, dass gerade vermeintliche
Modernisierungsprozesse wie Demokratisierung und wirtschaftliche Liberalisierung
die Menschen in diesen Ländern in die Freikirchen treiben.
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Die globale Ausnahme ist in diesem Zusammenhang das westliche Europa, wie die
New Yorker Kulturwissenschaftlerin Marcia Pally sagte: Seitdem hier die Aufklärung
französischer Prägung wirke, werde Religion tendenziell als historischer Irrtum
behandelt, den es zu überwinden gelte. Ob die Kirche eine gesellschaftliche
Institution sein müsse, könne man gern diskutieren - Religion als festen Bestandteil
menschlicher Weltwahrnehmung sicher nicht. Die radikale Säkularisierung der
Gesellschaft, wie sie in Westeuropa jahrhundertelang betrieben wurde, habe sich zu
keinem Zeitpunkt als umfassendes Welterklärungsmodell durchsetzen können. Die
Rede von der fortschreitenden "Re-Mythisierung der Welt" lieferte das wirkliche
Leitmotiv der "Global Prayers"-Konferenz.
Das größte Problem bei der Inszenierung von Religion bleibt, dass sich Glaube und
Einkehr, ernsthaft betrieben, einfach nicht kollektivieren lassen. Anders als sein
Vorgänger Johannes Paul II. legt deshalb Benedikt XVI. großen Wert darauf, dass
bei katholischen Großevents auf populäre Publikumsäußerungen wie Sprechchöre
oder selbstgemalte Plakate verzichtet wird. Trotzdem hat auch er keine Chance
gegen die Medialisierung der Welt. Hubert Knoblauch wies vor kurzem auf eine
vielsagende Szene hin, die sich während des jüngsten Papstbesuches im Berliner
Olympiastadion ereignete: Als Benedikt durch die Menschenmenge Richtung Bühne
fuhr, fotografierte ihn eine Ordensschwester aus einiger Distanz mit ihrem
Smartphone. In dem Moment, in dem er direkt an ihr vorbeifuhr, wandte sie ihm den
Rücken zu und zeigte ihren entzückten Freundinnen den Schnappschuss. Diese
kleine Geste ist so etwas wie der Schlüsselmoment unseres jungen Jahrhunderts.
Näher wird sie ihm nicht mehr kommen.
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(SZ vom 28.02.2012/jüsc/pak)
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