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Hintergrund: Südkorea Nr. 24 / April 2015 | 1 Globalisierungs- und Einwanderungsdebatte LEE Hee-jun Globalisierung: Ja, Einwanderung: Naja. Wenn es um die Konsequenzen aus seinem wirtschaftlichen Erfolg geht, ist Südkorea eher inkonsequent. Die Debatte um die multikulturelle Gesellschaft, wie sie in Europa nach den Anschlägen von Paris wieder geführt wurde, hat das ostasiatische Land verunsichert. Das ist fatal, denn Südkorea braucht Zuwanderung. Und es hat längst Erfahrungen mit dem Pluralismus gemacht. Die Nachrichten, die Südkorea in den vergangenen Wochen aus Europa erreichten, haben das Land ratlos gemacht. Das Attentat auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder die Pegida-Demonstrationen in Dresden passten schlichtweg nicht zum Ruf, den Deutschland und Frank- reich bis dato in Fernost genossen haben. Lange Zeit hatten Paris und Berlin eine Vorbildfunktion: Sie standen für wirtschaftlichen Erfolg und die Hochhaltung der Grund- und Menschenrechte gleicher- maßen. Diese Balance scheint nun, so zumindest die Wahrnehmung in Seoul, bedroht zu sein. Bei aller Hochachtung vor den kulturellen und ökonomischen Errungenschaften des Westens – mit einem Begriff, der die Debatten im winterlichen Europa wieder bestimmte, konnte Südkorea von jeher wenig anfangen: mit dem der Multikulturalität. Die Gründe dafür sind vor allem historischer Natur. Wie kaum ein zweites Land der Region ist Korea von der harmonieorientierten Weltanschauungslehre des Konfuzianismus geprägt – und das bis heute. Konflikte sind nichts, an deren Lösung man wachsen kann, sondern eher etwas Problematisches. Über lange Jahre galt das noch ungeteilte Korea aufgrund seiner politischen Isoliertheit als Einsiedler-Königreich. Eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit Ethnisch gesehen ist seine Gesellschaft bis heute eine der homogensten weltweit. Nach offiziellen Angaben gab es im Jahr 2014 rund anderthalb Millionen Ausländer in Südkorea. Mit etwa 850.000 Angehörigen ist die chinesische die größte ethnische Gruppe. Das Besondere: Rund siebzig Prozent von ihnen sind koreanischer Herkunft. Ihre Vorfahren waren nach der Annexion der Halbinsel durch Japan im Jahr 1910 nach China ausgewandert. Um das Jahr 2000, als sich die koreanische Wirtschaft von der Asien-Krise der späten 1990er Jahre erholt hatte, kamen ihre Nachfahren, die Joseonjok (조선족), nach Korea zurück. Sie sind heute vorwiegend im industriellen Sektor tätig. Hintergrund: Republik Korea Nr. 24 / 20. April 2015

Südkorea: Globalisierungs- und Einwanderungsdebatte

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Globalisierung: Ja, Einwanderung: Naja. Wenn es um die Konsequenzen aus seinem wirtschaftlichen Erfolg geht, ist Südkorea eher inkonsequent. Die Debatte um die multikulturelle Gesellschaft, wie sie in Europa nach den Anschlägen von Paris wieder geführt wurde, hat das ostasiatische Land verunsichert. Das ist fatal, denn Südkorea braucht Zuwanderung. Und es hat längst Erfahrungen mit dem Pluralismus gemacht.

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Hintergrund: Südkorea Nr. 24 / April 2015 | 1

Globalisierungs- und Einwanderungsdebatte

LEE Hee-jun

Globalisierung: Ja, Einwanderung: Naja. Wenn es um die Konsequenzen aus seinem wirtschaftlichen

Erfolg geht, ist Südkorea eher inkonsequent. Die Debatte um die multikulturelle Gesellschaft, wie sie in

Europa nach den Anschlägen von Paris wieder geführt wurde, hat das ostasiatische Land verunsichert.

Das ist fatal, denn Südkorea braucht Zuwanderung. Und es hat längst Erfahrungen mit dem Pluralismus

gemacht.

Die Nachrichten, die Südkorea in den vergangenen Wochen aus Europa erreichten, haben das Land

ratlos gemacht. Das Attentat auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder die

Pegida-Demonstrationen in Dresden passten schlichtweg nicht zum Ruf, den Deutschland und Frank-

reich bis dato in Fernost genossen haben. Lange Zeit hatten Paris und Berlin eine Vorbildfunktion: Sie

standen für wirtschaftlichen Erfolg und die Hochhaltung der Grund- und Menschenrechte gleicher-

maßen. Diese Balance scheint nun, so zumindest die Wahrnehmung in Seoul, bedroht zu sein.

Bei aller Hochachtung vor den kulturellen und ökonomischen Errungenschaften des Westens – mit

einem Begriff, der die Debatten im winterlichen Europa wieder bestimmte, konnte Südkorea von jeher

wenig anfangen: mit dem der Multikulturalität. Die Gründe dafür sind vor allem historischer Natur.

Wie kaum ein zweites Land der Region ist Korea von der harmonieorientierten Weltanschauungslehre

des Konfuzianismus geprägt – und das bis heute. Konflikte sind nichts, an deren Lösung man wachsen

kann, sondern eher etwas Problematisches. Über lange Jahre galt das noch ungeteilte Korea aufgrund

seiner politischen Isoliertheit als Einsiedler-Königreich.

Eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit

Ethnisch gesehen ist seine Gesellschaft bis heute eine der homogensten weltweit. Nach offiziellen

Angaben gab es im Jahr 2014 rund anderthalb Millionen Ausländer in Südkorea. Mit etwa 850.000

Angehörigen ist die chinesische die größte ethnische Gruppe. Das Besondere: Rund siebzig Prozent von

ihnen sind koreanischer Herkunft. Ihre Vorfahren waren nach der Annexion der Halbinsel durch Japan

im Jahr 1910 nach China ausgewandert. Um das Jahr 2000, als sich die koreanische Wirtschaft von

der Asien-Krise der späten 1990er Jahre erholt hatte, kamen ihre Nachfahren, die Joseonjok (조선족),

nach Korea zurück. Sie sind heute vorwiegend im industriellen Sektor tätig.

Hintergrund:

Republik Korea

Nr. 24 / 20. April 2015

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demographics of fereigners in South Korea

4 Vietnam 129,621

3 USA 137,165

2 China 299,023

1 Joseonjok 588,803

Die mit deutlichem Abstand nächstgrößeren Gruppen sind US-Amerikaner und Menschen südost- und

zentralasiatischer Herkunft. Erstere arbeiten vorwiegend im Dienstleistungssektor, vor allem im Bil-

dungs- und Erziehungsbereich, letztere sind mehrheitlich im Handwerk oder in der Landwirtschaft

tätig.1

Angesichts von insgesamt rund fünfzig Millionen Einwohnern fallen solche Zahlen natürlich kaum ins

Gewicht. Trotzdem ist Korea, seit 1996 und damit immerhin schon seit knapp zwei Jahrzehnten OECD-

Mitglied, längst in der globalisierten Welt angekommen. Das Land ist mittlerweile stark exportabhän-

gig. Gleichzeitig verzeichnet es schon seit langem eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit. Will es

seinen wirtschaftlichen Wohlstand wahren, wird es sich gegenüber der Außenwelt mitsamt ihren kul-

turell-mentalen Eigenheiten öffnen und stärker als bisher auf Zuwanderung setzen müssen.

Mehr ethnisch-kulturelle Diversität zuzulassen

Immerhin: Der Globalisierung gegenüber gibt es wenig Vorbehalte. Sie wird gemeinhin mit Prosperität

verbunden - anders als in Europa, wo sie nicht nur von den politischen Extremen sondern bisweilen

auch von Konservativen als Bedrohung der tradierten sozialen und kulturellen Standards stigmatisiert

wird. Die Konsequenz, mehr Immigration und damit auch mehr ethnisch-kulturelle Diversität zuzulas-

sen, zieht man in Fernost allerdings nicht, erst recht nicht, nachdem sich die Debatte in Europa nach

den Schüssen von Paris und den Pegida-„Spaziergängen“ von Dresden neuerlich darum drehte, ob das

Konzept der Multikulturalität gescheitert ist. Globalisierung: ja, Multikulturalität: naja – dieser Brü-

ckenschlag zwischen Pragmatismus und Pflege der nationalen Identität ist typisch für Südkorea.

1 November 2014, Source: Korean Immigration Service.

Quelle: http://jijijer.tistory.com/99

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Dafür, wie verhängnisvoll diese Identitätspflege sein kann, steht das Schlagwort Voice Fishing. Ge-

meint ist damit eine ganze Welle von telefonisch initiierten Betrugsfällen, die bereits Mitte der Nul-

lerjahren anhob und allen Aufklärungsversuchen zum Trotz bis heute nicht abgeebbt ist.

Die Angerufenen werden dabei von vorgeblichen Polizisten oder Kranken-

hausmitarbeiter um die sofortige Überweisung eines bestimmten Geldbe-

trags gebeten, um einem Angehörigen aus einer akuten Notsituation zu

helfen. Das Detailwissen über die Opfer und ihre Familienverhältnisse ver-

danken die Anrufer dem Datenarsenal des Internets. In der Mehrzahl sind

die Betrüger Joseonjok, Chinesen koreanischer Herkunft. Sie sprechen flie-

ßend Koreanisch, was ihre telefonischen Beutezüge wegen des großen Ver-

trauens in eigene Behörden und Landsleute entsprechend erfolgreich mach-

te, denn Zweifel an der Identität der Anrufer verbieten sich deshalb quasi

von selbst.

Spannungsfreies Nebeneinander zweier Weltregionen

Das ganze mag anmuten wie eine Posse. Leider ist es mehr: Es hat die Position derer, die der Idee der

Multikulturalität schon zuvor weniger abgewinnen konnten, gestärkt.2 Der finanzielle Schaden des

Voice Fishing war in der Tat beträchtlich. Auf umgerechnet rund 65 Millionen belief er sich allein im

Jahr 2013. Plötzlich waren nicht mal mehr die Joseonjoks Koreaner, sondern Ausländer. Mit der Fähig-

keit abstrakten Denkens und differenzierten Urteilens haben solche Schlussfolgerungen wenig zu tun.

Diese Fähigkeit muss immer wieder neu trainiert werden, in Korea, bisweilen sicher aber auch noch im

aufgeklärten Europa.3

Was Südkorea von Europa allerdings unterscheidet: das vergleichsweise spannungsfreie Nebeneinan-

der zweier Weltregionen, von Christentum und Buddhismus, sowie verschiedener christlicher Denomi-

nationen. Verlässliche Statistiken gibt es zwar nicht. Die Zahl der Buddhisten dürfte knapp zwanzig

Prozent der Bevölkerung ausmachen, katholisch sind rund 14 Prozent, 22 Prozent gehören – infolge

intensiver US-amerikanischer Missionierung – verschiedenen protestantischen Kirchen an.4 Eine wirk-

lich dominante Religion gibt es folglich nicht. Man begeht Buddhas Geburtstag genauso wie das

christliche Weihnachtsfest und Chuseok, eine auf konfuzianische Ursprünge zurückgehende Kombina-

tion von Erntedank und Totengedenken. Mag die koreanische Geschichte auch nicht frei von religiösen

Konflikten sein, verglichen mit der Situation in Europa, wo der islamistische Terror mittlerweile auch

seine Blutspur hinterlassen hat, ist die Gegenwart das reinste Idyll.

Kein Generalangriff auf die Harmonie

In Religionsfragen also hat Südkorea längst positive Erfahrungen mit dem Pluralismus gemacht. Das

Land sollte sie nutzen. Keinesfalls darf es sich von der europäischen Negativkritik an der Globalisie-

rung oder den – einstweilen wieder verstummten – xenophoben Parolen aus Dresden irritieren lassen.

2 http://www.koreatimes.co.kr/www/news/biz/2009/04/123_43084.html

3 http://arthistoryresources.net/modernism/roots.html

4 http://blog.naver.com/acoloje/220057514543

Quelle:

http://www.koreatimes.co.kr/w

ww/news/biz/2009/04/123_43

084.html

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Es sollte von den Versäumnissen anderer, aber auch von eigenen Fehlern lernen. Einer dieser Fehler

liegt darin, Globalisierung und Multikuralität als zwei voneinander unabhängige Phänomene zu be-

trachten. Globalisierung zahlt sich nie nur wirtschaftlich, sondern immer auch sozial und kulturell aus.

Gleichzeitig bedeutet Multikulturalität nicht per se einen Generalangriff auf das Prinzip der gesell-

schaftlichen Harmonie.

Südkorea wird mehr Einwanderung brauchen. Es wird dabei – eben das scheint in Europa nicht überall

der Fall gewesen zu sein – das Geben-und-Nehmen politisch und rechtlich klar und unzweideutig de-

finieren müssen. Früher oder später wird auf Korea im Übrigen noch eine Integrationsaufgabe ganz

eigener Art zukommen, dann nämlich, wenn eines Tages die Grenze zwischen Nord und Süd fällt.

LEE Hee-jun, studiert Germanistik an der Sungkyunkwan-Universität. Im Januar und Februar 2015

absolvierte er ein Praktikum bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Büro Korea, Seoul.

Impressum

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF)

Bereich Internationale Politik

Referat für Querschnittsaufgaben

Karl-Marx-Straße 2

D-14482 Potsdam

Ausländische Einwohner Südkoreas derzeit 1.570.000 Menschen Mai 2014 / Quelle:

http://kin.naver.com/qna/detail.nhn?d1id=6&dirId=60501&docId=209367586&qb=7Jm46rWt7J24IOyImA==&enc=utf8&section

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