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Südosteuropa und/oder Balkan(halbinsel): Definitionen und Raumbilder Das Balkan(raum)bild der (west)europäischen Politik

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Südosteuropa und/oder Balkan(halbinsel): Definitionen und

Raumbilder

Das Balkan(raum)bild der (west)europäischen Politik

Balkan-Stereotype: Textbeispiele

Die slawische Gefahr

Zwanzig Jahre Balkan-Erinnerungen von Dr. Edith Durham

Deutsch herausgegeben von Hermann LutzStuttgart 1920*

*das englische Original: „Twenty Years of Balkan Tangle“/Zwanzig Jahre des Balkangewirrs (1920)

Zur Person der Verfasserin

Mary Edith Durham (1863-1944) britische Schriftstellerin und Publizistin Balkankennerin (Reiseberichte) Werke: The burden of the Balkans (1905), The

struggle for Scutari (1914), Twenty Years of Balkan Tangle (1920), Some Tribal Origins, Lawsand Customs of the Balkans (1928)

Aus der Einleitung (Hermann Lutz)

„[…] Und so kam es, daß der Balkan der Anlaß und eine der Hauptursachen des Weltkrieges wurde.

Das vorliegende Buch von Fräulein M. Edith Durham schildert diesen Weg zum Kriege. Das Buch ist um so wertvoller, als es uns mit einem Winkel Europas vertraut macht, um den wir uns viel zu wenig gekümmert hatten. Der Leser betritt fast unbekanntes Neuland, das oft wie ein Überbleibsel aus dem Mittelalter anmutet, von leidenschaftsblinden und gewalttätigen Menschen bewohnt, wie man sie sich etwa zur Zeit der italienischen Renaissance vorzustellen pflegt: Beschwörungen, Fanatismus, machtlüsterne Ränke, und vor allem Blut…

Aus dem Vorwort der Verfasserin

„Die Erzählung meiner Erlebnisse besteht nur aus kleinen Strohhalmen, aber ich habe sie sorgfältig gesammelt. Und kleine Strohhalme zeigen an, woher der Wind weht. Es gibt Luftströmungen und Gegenströmungen, aus denen sich ein Wirbelsturm bilden kann. Aus diesem Grunde scheint mir die Geschichte der Intrigen und Gegenintrigen, die ich den vielen Jahren meiner Balkanfahrten erlebt habe, des Erzählens wert zu sein.“

Für die deutsche Ausgabe besorgter Nachtrag der Verfasserin vom September 1922

„Die nach dem Weltkrieg auf dem Balkan gezogenen Grenzen werden wohl kaum von Dauer sein. Das von den Serben annektierte Montenegro ist in übler Verfassung. Nur durch ein starkes Truppenaufgebot gelingt es den Serben, die Montenegriner unterdrückt zu halten. Auch in Bosnien, Mazedonien und Kroatien sind die Verhältnisse sehr schlecht. Und es ist gut möglich, daß das heutige Groß-Serbien (Jugoslawien) nicht länger bestehen wird, als das mittelalterliche Reich Stefan Duschans. Groß-Griechenland verkrümelt sich eben jetzt in ein Klein-Griechenland. Der Verlust Thraziens droht. Und der „Balkan-Wirrwarr“ verschlingt sich zu einem gordischen Knoten.“

A. Kutschbach*

Der Brandherd Europas50 Jahre Balkan-Erinnerungen,

Leipzig 1929

* Albin Kutschbach (1853-1936), Schriftsteller, Journalist und Politiker, Abgeordneter zum Deutschen Reichstag

Auf dem Weg zum Balkan

„Am 26. Juli 1870 stand das Kgl. Sächs. 8. Infanterie-Regiment Prinz Johann Georg Nr. 107 feldmarschmäßig auf der Promenade vor der Halleschen Straße in Leipzig, um von dort aus auf dem damaligen Thüringer Bahnhof nach dem Kriegsschauplatz einwaggoniert zu werden. Unter den zahlreichen Verwandten und Freunden der Regimentsangehörigen, die sich hierbei mit eingefunden hatten, um einen letzten Händedruck mit den in den Krieg Ziehenden auszutauschen, befand auch ich mich. Klopfenden Herzens sah ich dem Regiment nach. Wie brennend gern wäre ich mit in seinen Reihen gewesen!

Konnte es denn für einen Jüngling etwas Schöneres geben als einen frischen fröhlichen Krieg, in dem man sich, den antiken Helden gleich, von denen man auf der Schulbank so viel gehört, durch Tapferkeit auszeichnen, Ruhm erwerben konnte? Indessen, ich war noch zu jung, man hatte meine Körperkonstitution als noch „zu sehr Kalbfleisch“ befunden, und so war mir die Teilnahme an diesem Kriege versagt. Aber ich schwor mir zu, den ersten Krieg mitzumachen, der sich mir später bieten würde. Als ich dann 1872 mich abermals zur militärischen Untersuchung einfand, stand ich in einer ganz anderen körperlichen Verfassung vor der ärztlichen Untersuchungskommission wie vordem […], es ging somit mein sehnlichster Wunsch, zunächst einmal Soldat zu werden, in Erfüllung […]

Vergeblich aber schaute ich mich nach meinem Freiwilligen-Jahr nach einem Kriege um. Europa hatte wieder Ruhe. Nur südlich der Pyrenäen balgten sich die Karlisten mit den Alfonsisten um den spanischen Thron, aber das reizte mich nicht. Da kam im Sommer 1875 die Kunde nach Deutschland, daß in der Herzegowina eine Insurrektion gegen die Türken ausgebrochen sei. Sofort kamen mir die Freiheitskämpfe der Griechen in den Sinn, die selbst einen Lord Byron begeistert hatten. Sollte es nicht auch jetzt eine schöne Aufgabe sein, für die Befreiung der christlichen Balkanvölker von dem türkischen Joche zu kämpfen? So war mein Entschluß rasch gefaßt.“

Balkan aus nationalsozialistischer Sicht

Egon Heymann, Balkan. Kriege, Bündnisse, Revolutionen. 150 Jahre Politik und

Schicksal, Berlin 1938

Der Balkan und die Balkanvölker. Einige Grundbegriffe

„Die politische Geschichte des Balkans, die durch die Vielzahl der an ihr beteiligten Völker und Stämme verwirrender, undurchsichtiger und verwickelter ist als die irgendeines anderen Teiles von Europa, weist jedoch einen bestimmten Grundzug auf. Nur ein einziges Mal und auch da nur auf kurze Zeit hat dieses Gebiet aus sich selbst heraus eine Einheit gebildet – unter Philipp und Alexander von Mazedonien – um dann wieder in den Partikularismus zurückzufallen, der schon die erste historische Zeit der Halbinsel charakterisiert. […] Ein Blick auf die Karte erleichtert das Verständnis für diese seltsame Erscheinung. Die Balkanhalbinsel, deren Nordwest- und Nordgrenze Isonzo, Save und Donau bilden, ist nicht nur, wie schon der türkische Name ‚Balkan‘ (Gebirge) besagt, ein Gebirgsland, sondern die vielfach die Richtung wechselnden Gebirge teilen den ganzen Raum in zahlreiche kleine und in sich abgeschlossenen Räume.“

Balkan und Südosteuropa im wissenschaftlichen und politischen

Diskurs

Meinungsunterschiede und Kontroversen in Bezug auf die räumliche Eingrenzung der (beiden) Region(en) in Geschichte und Gegenwart

im Laufe der Geschichte politisch und ideologisch bedingte „Grenzverschiebungen“ bzw. Raumbildkorrekturen

umstritten vor allem die (fließenden) Grenzen zu (Ost)mitteleuropa – im Norden und Westen (Siehe Mitteleuropa!)

Drei Konzeptionen (gedankliche Konstruktionen): 1. weitgehende Deckungsgleichheit der beiden

Begriffe 2. teilweise Überlappung – je nach Definition 3. Balkan als eine Teilregion Südosteuropas (ohne

klare Abgrenzung)

Definition Balkan - nach Holm Sundhaussen(Lexikon zur Geschichte Südosteuropas): „…Subregion Südosteuropas…, umfasst zumeist die Gebiete südlich der Donau-Save-Linie bzw. manchmal auch die Gebiete der ehemaligen rumänischen Fürstentümer Moldau und Walachei.“

Definition Südosteuropa (ebd.): „Südosteuropa meint den Balkanraum zuzüglich des Karpatenbeckens und des transkarpatischen Raumes. Manchmal werden auch Teile der Türkei und Zypern dazugezählt“.

Die Linie Triest-Odessa

Die Grenzflüsse Drau (im Norden) Sutla bzw. Kupa/Kolpa (im Westen) : die slowenisch-kroatische Grenze

Die Grenzflüsse Save (im Norden) und Kupa (im Westen)Balkan und Südosteuropa

Die Grenzflüsse Save (im Norden) und Una im Westen:die kroatisch-bosnische Grenze

Begriff Balkan(halbinsel) sprachlich:Balkan (türk.) = Gebirge; Rumelien (türk.

Rumili = das Land der Rhomäer) = der osmanische Balkan

geographisch: Balkangebirge (Stara planina, Haemos / Haemus) – Balkanhalbinsel

politisch: ein (überwiegend) pejorativer Begriff - bis heute (Stichworte: „Kleinstaaterei“, „Pulverfass“, politische Unstabilität, „Chaos“, wirtschaftliche und kulturelle Rückständigkeit …)

eingeführt von Johann Alexander Zeune (1778-1853) der österreichischer Balkan-Begriff: Balkan außerhalb

der HM

Begriff Südosteuropa geprägt von Johann Georg von Hahn (1811-69),

etabliert in der 2. H. d. 19. Jh. - als Alternativbegriff zum „Balkan“

frühere Bezeichnungen: Illyrische Halbinsel, Hellenische bzw. Griechische Halbinsel, Europäische Türkei

in der NS-Forschung Südosteuropa als „natürlicher Expansionsraum“ Deutschlands „positiv“konnotiert

„Südostforschung“ im Dienst der „Gewinnung des Lebensraumes“ und der Erforschung der „deutschen Geschichte im Osten“

im englischen Sprachraum Begriffe: The Balkans, Southeastern Europe, Eastern Europe sowie East-Central Europe (ebenfalls Überschneidung)

Balkanologie (Balkankunde): Geschichte, Sprachwissenschaft, Ethnologie, Anthropologie

Gegensatz zwischen Nationalstaatlichkeit und (Südost)europa der Regionen in Politik und Geschichtsforschung

unterschiedliche kulturgeographische Zonen einzelne Zonen als Bereiche „fremder“ (äußerer)

Kultureinflüsse – aus Ost, West, Nord und Süd Überlagerung bestehender (national)staatlicher

Grenzen durch äußere Kultureinflüsse ideologisch und politisch bedingte bipolare

Raumteilung (Dichotomie): Wurzeln in der Antike? (Vgl. Östliches Europa)

Das Alternativmodell: Das Nebeneinander und Ineinandergreifen von unterschiedlichen Kulturlandschaften: balkanisch-byzantinisch, mitteleuropäisch und mediterran (Untergliederung in mehrere „Kulturprovinzen“)

Balkan und Südosteuropa historisch –kulturräumlich-politisch - ethnisch

um 550

7.7.--8. Jh.8. Jh.

9. Jh.9. Jh.

um 1050

Die Konfes-sionsgrenze

um 1450

14.-15. Jh.

um 1650

1815

Die Nationalstaaten 1878-1914

Zwischenkriegszeit

Charakteristische Merkmale Südosteuropas und Kriterien der Abgrenzung zu (Ost)mitteleuropa

*eine klare Abgrenzung von Ostmitteleuropa weder möglich noch sinnvoll: fließende Grenzen

ethnische, konfessionelle und kulturelle Heterogenität durch Migrationen, Kriege u. (Besatzungs)politik der Großmächte

Prägung durch Orthodoxie (die griechisch-byzantinische Kultur) und Islam (die 400-500 jährige Osmanenherrschaft)

das Phänomen der autokephalen, de facto Nationalkirchen, enge Bindung der Kirche an die Nation

geringer Einfluss des Humanismus, der Renaissance und der Aufklärung

(stark) verzögerte Modernisierung der Gesellschaft

Territorialer Umfang Südosteuropas: heutige Staaten und (historische) Regionen

Bulgarien Serbien Kosova/Kosovo Montenegro (Vardar)-Makedonien Bosnien-Herzegowina Albanien Griechenland Türkei (europäischer Teil) „Altrumänien“(Moldau u. Walachei) Dobrudscha Republik Moldova Budschak (Ukraine)

manchmal auch Zypern und die gesamte Türkei Südosteuropa zugezählt

(traditionell) häufig auch Kroatien – teilweise oder zur Gänze – dazu gezählt (Stichwort „Westbalkan“ oder ehemaliges Jugoslawien)

(immer) seltener Slowenien (als Teil der „jugoslawischen Gemeinschaft“)

in der deutschen (Süd)osteuropa-Forschung auch Ungarn und die Slowakei einbezogen -aus „historischen Gründen“

Literatur Edgar Hösch/ Karl Nehring/Holm Sundhaussen

(Hrsg.); Lexikon zur Geschichte Südosteuropas (Wien –Köln – Weimar 2004).

Barbara Jelavich, History of the Balkans, Vol 1-2 (repr. Cambridge 1985 u. 1999)

Marija Todorova, Imagining the Balkans (New York u.a1997)

Jürgen Elvert (Hg.), Der Balkan. Eine europäische Region in Geschichte und Gegenwart (Stuttagrt 1997)

Dennis P. Hupchick, The Balkans from Constantinopleto communism (New York u.a. 2002)