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V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums 1. Die Benediktregel; Smaragd von Saint-Mihiel Benedikt von Nursia hatte um 530-560 seine Regula abgefasst, die für das europäische Mönchtum bestimmend wurde 1 . Ihre Weisungen prägten das Leben auch in der Abtei Saint-Denis; Aufgabe dieses Kapitels ist es, ihre Spuren in Sugers Schriften darzustel- len. Ferner soll das so genannte Diadema monachorum kurz betrachtet werden, eine Tugendlehre für Mönche, die der Abt Smaragdus von St-Mihiel um 816/817 verfasste und die bis in das späte Mittelalter hinein Geltung hatte. Die Ordinatio steht in engster Verbindung mit Sugers Handeln als Abt und dokumen- tiert unmittelbar verschiedene Maßnahmen aus seiner Amtszeit 2 . Im Inhalt dieser Maßnahmen zeigt sich Sugers Bezug zur Benediktregel ebenso wie in einzelnen For- mulierungen. Bereits in der Einleitung greift Suger ein Bild auf, das der Prolog der Benediktregel vermittelt. Dort wird die Mühe des Gehorsams als Weg begriffen, um zu Gott, von dem der Mensch sich im Ungehorsam entfernte, zurückzugelangen 3 ; Su- ger sagt über sich selbst, er "eile, mit Gottes Erbarmen zu seinem Herzen zurückzu- kehren", dessen Gebote er zuvor ständig übertreten habe 4 . Wenig später spricht er von der "Befolgung der heiligen Regel" 5 und macht Angaben über die Speiseration der Brüder sowie die Zukost, die er gemäß der Regel wiederherstellt 6 . "Sorge um die Schwachen und das Interesse an der spirituellen Entfaltung des Menschen auf Erden" 7 sind wesentliche Merkmale der Benediktregel und prägen daher auch die Ausführun- gen über die Eigenschaften, die der Abt haben soll 8 . Der Abt soll sich der Verantwor- tung für die ihm anvertrauten Seelen bewusst sein, da er für ihre Fehler beim Jüngsten Gericht zur Rechenschaft gezogen wird 9 . Die Benediktregel verwendet für die Bezie- hung des Abtes zu seinen als discipuli bezeichneten Mönchen das Bild des Hirten und seiner Herde. Im Zusammenhang mit Fehlern, die die Mönche sich etwa zuschulden kommen lassen, erscheint hier die Wendung morbidis actibus; an dieser Stelle lässt die Verbindung mit ungehorsamen Schafen ( inoboedientes oves) erkennen, dass hier mora- lische Schwäche, nicht leibliche Krankheit gemeint ist. Dass Brüder, die sich verfehlt haben, ganz besonders der Sorge des Abtes anvertraut sind, führt die Regel im 27. Ka- pitel aus: Omni sollicitudine curam gerat abbas circa delinquentes fratres 10 . Die Begrün- 1 A.de Vogué, Art. Regula S.Benedicti, in: LexMA VII (1995), 603-605 2 cf. Α. Speer, Abt Sugers Schriften zur fränkischen Königsabtei Saint-Denis, in: Speer/Binding (2000), p.20-22 3 Regula Benedicti (RB) (=Die Benediktus-Regel, lateinisch und deutsch, hg. ν. B. Steidle OSB, Beuron 1978.) Prol.2 p.52 ut ad eum per oboedientiae laborem redeas, a quo per inoboedi- entiae desidiam recesseras. 4 ord 4,13ss Eapropter ego Suggerius Dei paciencia ter beati Dyonisii vocatus abbas, mandatorum Dei prevaricator ad cor Dei miseratione redire festinans... 5 ord 6,36 ob amorem Dei et sánete regule observationem 6 ord 5-12 7 A. de Vogué, loc.cit.,col.603 8 RB, cap.2 ' RB, cap.2,37s 10 RB, cap.27,1 Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 93.180.53.211 Download Date | 12/16/13 12:23 AM

Suger von Saint-Denis (Untersuchungen zu seinen Schriften Ordinatio - De consecratione - De administratione) || V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

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V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

1. Die Benediktregel; Smaragd von Saint-Mihiel

Benedikt von Nursia hatte um 530-560 seine Regula abgefasst, die für das europäische Mönchtum bestimmend wurde1. Ihre Weisungen prägten das Leben auch in der Abtei Saint-Denis; Aufgabe dieses Kapitels ist es, ihre Spuren in Sugers Schriften darzustel-len. Ferner soll das so genannte Diadema monachorum kurz betrachtet werden, eine Tugendlehre für Mönche, die der Abt Smaragdus von St-Mihiel um 816/817 verfasste und die bis in das späte Mittelalter hinein Geltung hatte. Die Ordinatio steht in engster Verbindung mit Sugers Handeln als Abt und dokumen-tiert unmittelbar verschiedene Maßnahmen aus seiner Amtszeit2. Im Inhalt dieser Maßnahmen zeigt sich Sugers Bezug zur Benediktregel ebenso wie in einzelnen For-mulierungen. Bereits in der Einleitung greift Suger ein Bild auf, das der Prolog der Benediktregel vermittelt. Dort wird die Mühe des Gehorsams als Weg begriffen, um zu Gott, von dem der Mensch sich im Ungehorsam entfernte, zurückzugelangen3; Su-ger sagt über sich selbst, er "eile, mit Gottes Erbarmen zu seinem Herzen zurückzu-kehren", dessen Gebote er zuvor ständig übertreten habe4. Wenig später spricht er von der "Befolgung der heiligen Regel"5 und macht Angaben über die Speiseration der Brüder sowie die Zukost, die er gemäß der Regel wiederherstellt6. "Sorge um die Schwachen und das Interesse an der spirituellen Entfaltung des Menschen auf Erden"7

sind wesentliche Merkmale der Benediktregel und prägen daher auch die Ausführun-gen über die Eigenschaften, die der Abt haben soll8. Der Abt soll sich der Verantwor-tung für die ihm anvertrauten Seelen bewusst sein, da er für ihre Fehler beim Jüngsten Gericht zur Rechenschaft gezogen wird9. Die Benediktregel verwendet für die Bezie-hung des Abtes zu seinen als discipuli bezeichneten Mönchen das Bild des Hirten und seiner Herde. Im Zusammenhang mit Fehlern, die die Mönche sich etwa zuschulden kommen lassen, erscheint hier die Wendung morbidis actibus; an dieser Stelle lässt die Verbindung mit ungehorsamen Schafen (inoboedientes oves) erkennen, dass hier mora-lische Schwäche, nicht leibliche Krankheit gemeint ist. Dass Brüder, die sich verfehlt haben, ganz besonders der Sorge des Abtes anvertraut sind, führt die Regel im 27. Ka-pitel aus: Omni sollicitudine curam gerat abbas circa delinquentes fratres10. Die Begrün-

1 A.de Vogué, Art. Regula S.Benedicti, in: LexMA VII (1995), 603-605 2 cf. Α. Speer, Abt Sugers Schriften zur fränkischen Königsabtei Saint-Denis, in: Speer/Binding (2000), p.20-22 3 Regula Benedicti (RB) (=Die Benediktus-Regel, lateinisch und deutsch, hg. ν. B. Steidle OSB, Beuron 1978.) Prol.2 p.52 ut ad eum per oboedientiae laborem redeas, a quo per inoboedi-entiae desidiam recesseras. 4 ord 4,13ss Eapropter ego Suggerius Dei paciencia ter beati Dyonisii vocatus abbas, mandatorum Dei prevaricator ad cor Dei miseratione redire festinans... 5 ord 6,36 ob amorem Dei et sánete regule observationem 6 ord 5-12 7 A. de Vogué, loc.cit.,col.603 8 RB, cap.2 ' RB, cap.2,37s 10 RB, cap.27,1

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1. Die Benediktregel; Smaragd von Saint-Mihiel 129

dung liefert ein Bibelwort: non est opus sanis medicus, sed male habentibusDie Meta-phorik von Krankheit und Arzt wird beibehalten und mit dem zuvor gebrauchten Bild von Herde und Hirt verbunden: Der Abt soll darauf achten, keines der ihm an-vertrauten Schafe zu verlieren, denn er soll über die kranken Seelen seine Sorge walten lassen12. Die Weisung der Benediktregel, der Abt solle dem Beispiel des Guten Hirten folgen, das verirrte Schaf suchen und es zur Herde zurückbringen, weist dem Abt die Aufgabe zu, als Stellvertreter Christi zu handeln und sich der Schwäche zu erbar-men13. Die in ihrer übertragenen Bedeutung weiter gefasste Aussage der Benediktregel wen-det Suger verengend auf die Sorge für die Kranken (infirmorum curam gerere) an. Auch er setzt das Handeln in Beziehung zur Rechenschaft am Jüngsten Tag, wenn er das Christus-Wort "Ich war krank, und ihr habt mich besucht" zitiert14, lässt jedoch darin die spezifizierende Anwendung auf leibliche Erkrankungen erkennen. Ehe Suger weitere programmatische Aussagen über die Sorge für die Kranken folgen lässt, ver-wendet auch er das Bild des Hirten, der das Schaf auf den Schultern zurückträgt, wo-bei jedoch das biblische Bild entscheidend abgewandelt wird - das Schaf ist krank, nicht verirrt. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, dass Suger damit auf eine kon-krete Situation anspielt15; Suger leitet damit über zu grundsätzlichen Erklärungen über das Verhalten gegenüber kranken Brüdern. Es folgen Angaben zu besonderen Zuwen-dungen für die Mahlzeiten der Kranken16. Suger erwähnt mehrfach, dass er seine Entscheidungen in Absprache mit den Brüdern getroffen habe, so auch in der Ordinatio17; er befolgt darin die Weisung, die das 3. Ka-pitel der Benediktregel formuliert18. Der Hinweis auf die Einhaltung dieser Forderung findet sich auch in De consecratione, z.B. im Zusammenhang mit Überlegungen zum Bau sowie mit den dafür festgelegten Abgaben19. Ebenso trägt Suger das Angebot der

11 Mt 9,12 12 RB cap.27,5s.: Magnopere enim debet sollicitudinem gerere abbas et omni sagacitate et industria currere, ne aliquam de ovibus sibi creditis perdat. Novent enim se infirmarum curam suscepisse animarum.. 13 RB cap 27,8s. Pastoris boni imitetur exemplum qui relictis nonaginta novem ovibus in monti-bus abiit unam ovem quae erraverat quaerere. Cuius infirmitati in tantum compassus est, ut earn in sacris humeris suis dignaretur inponere et sic reportare ad gregem. 14 ord 15,65ss Preterea operibus pietatis insistere, infirmorum curam gerere quanti constet ore sacratissimo ipsius audivimus, qui dicturus est in illa universali et admirabili auditione: infirmus fui et visitastis me, et contraria contrariis. 15 Gilos Vita Hugonis, die in Kap.V.3 näher zu betrachten sein wird, berichtet über das barm-herzige Verhalten des Abtes Hugo von Cluny gegenüber einem an Lepra erkrankten Bruder; dort heißt es: Hanc ovem lassabundam pastor egregius humeris suis reportavit ad gregem. 16 ord 18-19 17 ord 31,160 His ergo et buiuscemodi bene devoti in capitulo nostro convenientes...·, 31,163 con-cordi capituli nostri confirmatione 18 RB cap.3 De adhibendis ad concilium fratribus " cons 47,280s Communicato siquidem cum fratribus nostris bene devotis Consilio; auch der Hinweis auf die "gebilligte" Erweiterung könnte möglicherweise so verstanden werden (cons 49 ilio urbano et approbate in circuitu oratonorum incremento)·, zu den Abgaben s. cons 54, 327s communi fratrum Consilio assistentium persuasione domini regis assensu annalem redditum bis ex-plendis constituimus

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130 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

fratres albi, die ihm eine Schafherde zur Verfügung stellen wollen, zunächst den Brü-dern vor20. In De administratione führt er aus, dass der Entschluss zur Abfassung der Schrift aus einer Beratung mit den Brüdern hervorgegangen sei21. Bereits im Prolog der Benediktregel findet sich die Weisung, für jedes gute Vorhaben Gott um Vollendung zu bitten: In primis, ut quidquid agendum incboas bonum, ab eo perfici instantissima oratione deposcas11. Daran hält sich auch Suger; bei der Grundstein-legung im Osten erwähnt er ein entsprechendes Gebet23.

Der Benediktiner Smaragdus war spätestens seit 809 Abt der in Lothringen gelegenen Abtei St-Mihiel. Er stand in enger Verbindung mit Theodulf von Orléans und Bene-dikt von Aniane; seine Werke - darunter ein Psalmenkommentar, der Liber in partibus Donati, der als Via regia wohl für Ludwig den Frommen konzipierte Fürstenspiegel, ein Kommentar zur Benediktregel und das Diadema monachorum - weisen den Hofge-lehrten Karls des Großen als einen Autor aus, der das geistige Leben seiner Zeit mitge-staltete24. Die Abtei St-Mihiel25 war durch Saint-Denis errichtet worden, nachdem bereits Pippin III. eine Kirche am Ort "Chatillon" und die dortigen Religiösen der Abtei Saint-Denis übertragen hatte. Smaragdus ließ das Michaelskloster, nachdem Karl der Große es ihm als Abt übergeben hatte, unmittelbar ans Ufer der Maas verlegen. Dort verfasste er das Diadema monachorum, dessen geistliche Betrachtungen sich gut zur Lesung und Medi-tation im Kloster eigneten. Auch in Saint-Denis wurde seine Lektüre empfohlen26; de-ren Spuren bei Suger sollen nun kurz beleuchtet werden. Betrachtungen über die Abkehr von der Welt zugunsten der Gottesschau, wie Suger sie im Prolog zu De consecratione entfaltet27, finden sich in mehreren Kapiteln des Diadema28; Smaragdus spricht von einer interna mentis acies, die dem Menschen bereits in seinem zeitlichen Leben die Gegenwart Gottes erschließt29, während bei Suger der Blick stärker auf die Erfüllung im Ewigen Leben gerichtet ist30.

20 cons 73,455 quod offerebat eo presente finita missa nostris retulimus 21 adm l,lss cum in capitulo generali quadam die conferendo cum fratribus nostris tarn de homi-nibus quam deprivatis negociis consederemus, idem carissimi fratres et filii obnixe in caritate supp-licare ceperunt...·, 2,15s Nos igitur tarn devote quam devotis et rationabilibus eorum petitionibus assensum exhibentes; darin kommt das respektvolle Bedenken der Meinungen, die die Brüder vortragen, ebenso zum Ausdruck wie die Autorität des Abtes, wie in der Regel gefordert: cap.3,3 Ideo autem omnes ad consilium vocari diximus, quia saepe iuniori Dominus revelat quod melius est. Sic autem dent fratres consilium cum omni bumilitatis subiectione - entsprechend er-wägt Suger in Demut die demütig vorgetragenen Bitten der Brüder. 22 RB, prol.4, loc.cit.,p.54 23 cons 52,313ss Paracliti Spiritus sancii consolatione invocata, ut bonum domus Dei principium bono fine concluderei.. 24 F. Rädle, Art. Smaragdus von St-Mihiel LexMA VII (1995) 2011s. 25 M. Parisse, Art. Saint-Mihiel LexMA VII (1995) 1184s.. 26 D. Ph. Schmitz, Les lectures du soir à l'abbaye de Saint-Denis, R.B.44 (1932) p. 149 27 cons 2,5-3,24 28 Smaragdus, Diadema monachorum, PL 102, 593-690 29 cap.14,PL 102, 611 B: Sancii viri funditus saeculo renuntiantes, ita buie mundo moriuntur, ut soli Deo vivere delectentur, quantumque ab buius saeculi conversatione se subtrahunt, tantum in-

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1. Die Benediktregel; Smaragd von Saint-Mihiel 131

Das Ewige Leben bleibt dabei auch für Smaragdus das eigentliche Ziel. Den Ausblick auf die künftige Herrlichkeit und das Streben danach versteht er als den Auftrag des Menschen. Dieser Auftrag wird gespiegelt in der Rüge für die, die ihn verfehlen; so er-läutert Smaragdus ein Zitat aus dem l.Thessalonicher-Brief - Non dormiamus sicut cae-teri, sed vigilemus -, indem er die im Schlaf geschlossenen Augen als Bild der schuldhaf-ten Unfähigkeit, das Künftige zu schauen, deutet: Paulus apostolus nos admonet dicens: Non dormiamus sicut caeteri, sed vigilemus (1 Thess.5,6). Id est, non dormiamus sicut cae-teri infideles, iniusti, iniqui, qui ignorantiae et corporis somno depressi, et peccatorum suorum mole gravati, quid illis in futuro eveniat praevidere non valent. Qui tarn graviter turpiterque dormiunt, ut ad sui custodiam cordis oculos non aperiant; qui nihil de futura gloria, sed semper de praesenti cogitant vita. Non de iis quae non videntur et aeterna sunt, sed semper de iis cogitant quae videntur, et caduca et temporalia sunt31. Suger verwendet im Prolog zu De consecratione ähnliche Formulierungen; das Ideal des mönchischen Lebens im Streben nach der ewigen Glückseligkeit entwirft er in Wendungen, die das Gegenbild der von Smaragdus warnend gezeichneten Schlafenden vermitteln: der Zustand des Niedergedrückt-Seins und die mangelnde Ausrichtung auf das Künftige werden überwunden, indem Ewiges dem Vergänglichen vorgezogen wird32. In dieser Spiegelung werden wichtige Ubereinstimmungen mit dem Diadema monachorum erkennbar: der tadelnden Wendung bei Smaragdus (semper de iis cogitant quae videntur, et caduca et temporalia sunt) stellt Suger gegenüber: eterna deficientibus preponentes; dem negativen Bild bei Smaragdus (infideles, iniusti, iniqui, qui ignoran-tiae et corporis somno depressi, et peccatorum suorum mole gravati) kontrastiert Su-gers Kennzeichnung exteriorum sensuum molestias et gravissimas angarias postponunt; ab earum oppressione seipsos sublevantes. Diese Haltung wäre dem Menschen jedoch ohne Gottes Hilfe nicht möglich; die Verfasstheit der menschlichen Natur, die auf Gottes Erbarmen angewiesen ist, zeichnet Suger mit Wendungen, die wieder auf Smaragdus zurückverweisen: der Charakterisierung der iniqui entspricht bei Suger die conditionis prime corruptione depressa et graviter sauciata humanitas, die der Gegenwart verhaftet bleibt, statt auf das Künftige auszublicken: presentía potius amplectens quam futura ex-spectans. Bereits im Blick auf die Conlationes des Cassian war deutlich geworden, dass das Stre-ben des Mönchs nach der Gemeinschaft mit Gott immer wieder Störungen verschie-dener Art ausgesetzt ist33. Das Problem ist auch Smaragdus bewusst; er wählt dafür das

ternae mentis acie praesentiam Dei, et Angelicae societatis frequentiam contemplantur; cap. 20,PL 102, 616 C: quantumque ab huius saeculi conversatione se subtrahunt, tantum interna mentis acie praesentiam Dei et Angelorum frequentiam contemplantur: quantoque magis se exte-rius despiciendo deiiciunt, tanto amplius interius revelationum contemplationepascuntur. 30 cons 2,14 solidissimam mentis aciem in spem eterne infìgentes remunerationis eternitati tantum studiose obsecuntur. Die Wendung camalia desideria in admirationem et spectaculum aliorum obliviscuntur (ibid.) zeigt dabei, dass auch Suger eine Erfahrung kennt, die schon auf Erden den Lohn der Weltverachtung gewährt. 31 cap.75, PL 102,670 C 32 cons 2,5-3,24 33 s.Kap. 1.1 im Zusammenhang mit dem Begriff der Meditation

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132 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Bild des tumultui, das Suger gleichfalls verwendet34. Diesen tumultus gilt es entweder zu beruhigen oder zu meiden, um Gott dienen zu können. Bei allem Bemühen darum wissen Smaragdus und Suger doch, dass die Verbindung zu Gott häufig durch die Sünde gefährdet wird. Die Sünde erscheint ihnen gewaltig groß; Smaragdus spricht von der immanitas sceleris, Suger von der enormitas scelerum me-orum. Daher ist eine schnelle Umkehr nötig, wie Smaragdus ausführt: Ergo studeamus aut non cadere, aut cito conversi a lapsu consurgere. Mora peccandi immanitatem facit sceleris35. Dass der Zeitpunkt der Reue entscheidend ist, bedenkt auch Suger und sieht sich daher angewiesen auf die Fürbitte der gesamten Kirche36. An anderer Stelle spre-chen beide Autoren von einer eiligen Rückkehr zu Gott37. A m Ende der Schrift De consecratione schildert Suger die liturgischen Feiern in der Kirche als ein Fest, das in seiner Harmonie eher an Engel als an Menschen denken lässt. Der Gesang spielt dabei eine wichtige Rolle38. Das Schlussgebet preist die in der Weihe vollzogene Vereinigung Gottes und der Menschen3'. Dabei könnten einige Pas-sagen aus dem Diadema monachorum Suger als Vorbild gedient haben. In seinen Aus-führungen über den Gesang fordert Smaragdus die innere Beteiligung des Menschen. Die Ausrichtung des Herzens ist unverzichtbar40, die Einmütigkeit im Gesang ist ein Abbild der Liebe, darin verbindet sich der Gesang der Menschen mit dem der Engel41.

34 cap.26, PL 102, 622 B: Pravae monachorum mentes temporalium rerum tumultus intra se-metipsos versare non cessant, etiam cum vacant·, cap.36,PL 102, 632 Β: Plerumque aurem cordis terrenarum cogitationum turba dum perstrepit, claudit; atque intra secretarium mentis quanto minus curarum tumultuantium sonus compescitur, tanto amplius vox praesidentis iudicis non auditur. Suger sieht das Beilegen des Aufruhrs daher als Voraussetzung für die Unterwerfung unter Gottes Willen: cons 5,35s. sopita carnalitatis grauissima molestia tumultuque viciorum sedato ... 35 cap.34, PL 102, 630 Β 36 adm 288,1273 Nec enim pro tot et tantis commissis uel enormitate scelerum meorum tarn sera quam rara satisfacerepenitentia sufficit, nisi universalis ecclesie suffragiis innitamur. 37 Diadema monachorum, cap.15, PL 102, 612 C: Festinare debet ad Deum poenitendo unus-quisque dum potest·, cap.16,PL 102,613 C: Audito bono Domino, [..] remedii causam dicit, ut ad confessionem celerem Domini debeat muñere festinare; cf. ord 4,15 (ego) mandatorum Dei praeuaricator ad cor Dei miseratione redire festinans... 38 cons 97 39 cons 98 40 cap.2, PL 102, 596 D: nihil est sola voce canere, sine cordis intentione. Sed sicut ait Apostolus: Commonentes vosmetipsos, psalmis, hymnis, et canticis spiritualibus, in gratta cantantes in cordi-bus vestris Deo (Coloss.i). Hoc est, non solum voce, sed corde psallentes; cap.54, PL 102, 651 B: Sine intermissione orare duobus modis mihi videtur fieri posse; sive cordis intentione, seu opere misericordiae; cf. cons 80,501s. inferiorem mentis et cordis intentionem cultus et habitus exterior designavit. 41 cap.27, PL 102, 623 C: In tympano etenim corium siccum resonat, in choro autem voces con-corditer cantant. Quid enim per tympanum, nisi abstinentia, et quid per chorum, nisi charitatis concordia designaturf cap.2, PL 102, 597 B: Psalmodiae hie virtus ostenditur, ut qui puro corde inter homines psallit, etiam sursum cum Angelis canere videatur. cons 97, 605ss. Qui omnes tam festiui tam sollempniter, tam diuersi tam concorditer, tam propinqui tam hilariter ipsam al-tarium consecrationem missarum sollempnem celebrationem superius inferiusque peragebant, ut ex

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Was Smaragdus schließlich über die Altarweihe sagt, scheint unmittelbar in Sugers Schlußgebet eingeflossen zu sein: Duo sunt in nobis altaría constituía, corporis videli-cet et cordis nostri. [..] Ergo in exteriore, id est corpore nostro, offerantur opera bona; in corde, odores suavitatis reddat cogitatio sancta.[..] Tunc enim ordine legitimo consecra-tionem altaris cum gaudio celebramus, quando altaría cordis et corporis nostri mun-da et pura in conspectu divinae maiestatis offerimus. [..] Nos vero, fratres charissimi, ita agere studeamus, ut semper festivitatem duplicem celebrare mereamur. Et quomodo vi-sibiliter de templi altaris consecratione gaudemus, sic invisibiliter de corporis castita-te vel animi puritate spirituale gaudium habere mereamur42. Es zeigte sich an vielen Stellen, dass Sugers Handeln von der Regula Benedicti be-stimmt ist. Auch Berührungspunkte mit dem Diadema monacborum43 belegen exem-plarisch die monastische Prägung seiner Schriften; diese weist auf den Lebensbereich, für den sie abgefasst sind und in dem traditionelle benediktinische Frömmigkeit Vor-rang hat vor schwer verständlicher mystisch-philosophischer Theologie.

2. Suger und Montecassino

A. Speer und M. Pickavé haben auf die Narratio de consecratione et dedicatione ecclesiae Casinensis44 und die Chronica Monasterii Casinensis45 als Quellen für Sugers Darstellung in De consecratione hingewiesen46; die Autoren gelangen zu dem Befund, dass "das Mutterkloster des Ordens" Vorbild sei für Saint-Denis47. Um Sugers Verhältnis zu den genannten Texten richtig zu beurteilen, müssen jedoch auch spezifische Unterschiede hervorgehoben werden. Daraus lassen sich Sugers Intentionen ablesen. Die Narratio berichtet wie die Chronica zunächst über die Erneuerung der Klosterbau-ten48 (die Chronica ferner über die Verbesserung der Einkünfte durch Gebietsübertra-

ipsa sui consonantia et coherentia armonie grata melodia potins angelicus quam humanus concentus estimaretur.. 42 cap. 100, PL 102,689 A - 690 A ; cf. cons 98, 616ss corporalia spiritualibus, humana diuinis uniformiter concopulas, sacramentaliter reformas ad. suum puriores principium, his et huiusmo-di benedictionibus uisibilibus inuisibiliter restauras ecclesiam presentem... 43 Zusätzlich wäre hinzuweisen auf sentenziös anmutende Wendungen wie Charitas enim vir-tutum omnium obtinet principatum (cap.4, PL 102, 598 D), cf. ord 17,76s. quoniam caritas est summa monastice religionis, und Probatio ergo dilectionis, exhibitio est operis (cap.5, PL 102, 602 A), cf. adm 187,847s. Preteritorum enim recordatio futurorum est exhibitio. 44 PL 173,997 B-1002 C 45 Chronica Monasterii Casinensis, III,ed. H. Hoffmann MGH SS XXXIV,364ss. 46 A. Speer/M. Pickavé, Abt Sugers Schrift De consecratione. Uberlieferung - Rezeption - In-terpretation, in: Filologia mediolatina 3 (1996),p.207-242. Die Schriften aus Montecassino werden in der folgenden Untersuchung mit Narratio und Chronica bezeichnet. 47 loc.cit. p.229s. 48 Narr.997 D post nonnullas huius sancii coenobii a se nobiliter aedificatas officinas atque con-structas tandem aliquando ad renovandum a fundamentis ecclesiam [..] animum adiecit; Chron.III 10 S.372 Igitur abbatia suscepta Desiderius cepit modis omnibus studere atque satagere, ut, quod dicebatur, dici veraciter posset. Cernens itaque totius monasterii officinas et angustas am-bita et forma deformes et cum vetustate tum inertia ruinosas adeo, [..] incitabatur quidem animo illas aggredì ad renovandum·, erst in cap.25 stellt Leo den Bericht über die Arbeiten an der

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134 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

gungen4' und den Erwerb von ornamenta ecclesiastica50), ehe der Neubau der Kirche behandelt wird. Suger hingegen widmet in seinen Schriften den Gebäuden der Abtei keine Aufmerksamkeit; die Ordinatio verzeichnet Regelungen für die Mahlzeiten der Brüder sowie für die Kranken- und Armenfürsorge, De administratione nennt zusam-men mit der Verbesserung der Einkünfte Maßnahmen zugunsten der Brüder, doch nach dem Ausblick auf die Errichtung von Gebäuden51 behandelt Suger ausschließlich Arbeiten an der Kirche sowie Leistungen zu deren Ausstattung.. Speer und Pickavé haben den "auf den ersten Blick seltsam privat anmutenden" Ab-schnitt, in dem Suger über seinen Bauentschluss spricht52, in Beziehung zu einer Be-merkung in der Narratio gedeutet, nach der Desiderius dem hl. Benedikt die Verbesse-rung des Klosters gelobt habe53: Die zutreffende Beobachtung, dass beide Autoren auf einen weit zurückliegenden persönlichen Entschluss des jeweils handelndes Abtes hinweisen, muß jedoch ergänzt werden durch eine genaue Betrachtung der Aussage in der Narratio. Das Versprechen des Abtes Desiderius erstreckt sich nämlich nicht allein auf die Kirche, sondern auf das gesamte Kloster: [..] Desiderius [..] omnipotenti Deo adeo charus exstitit ac devotus, ut quod sub fideli famulo Benedicto olim promiserat, vide-licet quod locus hic, quem tunc gentibus vastandum diripiendumque tradere censuerat, in maiorem quam tunc erat statum, famam et gloriam venturus esset. Vor diesem Hinter-grund wird das große Gewicht, das die Beschreibung der Arbeiten an den Klosterbau-ten in Montecassino hat, verständlich, während Sugers Wunsch auf die Kirche als den Sitz des Klosterpatrons zentriert ist54. Vorausgegangen ist eine Schilderung des gewal-tigen Andrangs an Festtagen. In unmittelbarem Anschluss kennzeichnet Suger seine Stellung, die es ihm ermöglicht, diesen Wunsch zu verwirklichen: cum. autem placuit Uli [..] parvitatem meam huius sánete ecclesie tante preficere administrationζ'55 - in der Umschreibung seiner Amtsgewalt akzentuiert er die leitende Sorge für die Kirche. Dem entsprechen seine Aussagen in De administratione in der ersten Weiheinschrift56

sowie bei der Schilderung der Bauarbeiten57.

Kirche in Aussicht: quemadmodum novum, beati Benedicti basilicam vel edificaverit vel dedica-verit vel adornaverit prout ipsi presentes inspeximus fideliter describere properemus. Im folgenden Kapitel wird dann über den Baubeginn im März 1066 berichtet, dem wiederum die Errichtung einer kleineren Kirche vorgeschaltet wird: constructa prius iuxta infirmantium domum non sa-tis maffia beati Petri basilica, in qua videlicet fratres ad divinas interim o f f i c i a convenirent, su-pradictam beati Benedicti ecclesiam [..] evertere a fundamentis aggressus est. 49 Chronlll 17 p.380ff. 50 Cbron.Wl 18 p.384f. 51 adm 160,698s ad edificiorum institutionem memorandam manum reduximus 52 Speer /Pickavé S. 229; cons 14,104s. 53 wie vor; Narr. 997 C 54 Seinen bereits auf die Schulzeit zurückgehenden Wunsch, die Kirche instandsetzen zu kön-nen, erwähnt Suger auch in adm 163,710s. 55 cons 15,105/107s. 56 adm 173,769s. Ad decus ecclesie, que fovit et extulit ilium, /Suggerius studuit ad decus ecclesie 57 adm 182,822ss. Promptus igitur urgere successus meos, cum nichil mallem sub celo, quam prose-qui matris ecclesie honorem...·, vgl. adm 2,22ss.

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2. Suger und Montecassino 135

Die stärkere Konzentration auf den Klosterpatron bei Suger wird weiterhin erkennbar, wenn man beobachtet, wie der Bauentschluss des Abtes Desiderius motiviert wird. In der Narrado führt der Autor, Leo Marsicanus, zwei Gründe für den Neubau an, die wir hier als (a) und (b) bezeichnen: ad renovandum a fundamentis ecclesiam, quae (a) revera et crescenti in dies fratrum numero parva et (b) pretiosissimo beati Patris Benedicti corporis thesauro indecens erat56 -die ständig zunehmende Zahl der Brüder und der Rang des Benedikt-Grabes sind Anlass für den Neubau. Ahnlich heißt es in der Chronica57: supradictam beati Benedicti ecclesiam tarn parvitate quam deformitate thesauro tanto tanteque fratrum congregationi prorsus incongruam evertere a fundamentis aggressus est. Gegenüber der Narrado ist hier zusätzlich das Argument der deformitas der ursprünglichen Kirche hinzugetreten. Leo Marsicanus berichtet weiter in der Chronica, wie im Zuge der Bauarbeiten das Grab des heiligen Benedikt entdeckt wird58.Suger hingegen begründet in De consecratione seinen zur Schulzeit entstandenen Wunsch, der Enge in der Kirche abzuhelfen, mit dem Andrang an einem Ort , der zu dieser Zeit bereits einen außerordentlichen Rang als Wallfahrtsstätte hat. Dagobert errichtet seine Kirche zum Dank für den Schutz, den er an der Ruhestätte der Märtyrer erfahren hat59: die Kirche ist damit von ihrem Anbeginn Sitz des hl. Dionysius und seiner Gefährten und damit ein Or t ihrer besonderen Verehrung. Während Suger so die Kontinuität des Dionysiuskultes in seiner Kirche unterstreicht, wird die Kirche, die Abt Desiderius baut, als einer von mehreren Bauten innerhalb des Klosterkomplexes ausgewiesen; vor dem Abbruch des Vorgängerbaus sorgt Desiderius für eine Zwischenlösung und errichtet neben der Infirmerie eine kleinere Kirche, die während der Bauarbeiten den Brüdern zum Gottesdienst zur Verfügung steht60.Suger geht ferner ausführlich auf die kostbare Ausstattung und die Schönheit der von Dagobert gestifteten Kirche ein61 und bespricht sodann ihre Kleinheit, für die er aber sogleich Entschuldigungen vorträgt62. Die durch die geringe Größe (brevitas egregia) verursachte Enge führt er nun in signifikanter Weise nicht - wie in Montecassino - auf die zunehmende Größe des Konvents zurück, sondern auf die Scharen der Pilger. Suger übernimmt in De consecratione die Schilderung des Gedränges aus der entsprechenden Passage der Ordinatio. Hier zeigt sich zugleich in der Abfolge von Sugers Schriften eine Veränderung, die die Intention, Saint-Denis als Wallfahrtskirche der Märtyrer zu kennzeichnen, unterstreicht. Bereits in der Ordinatio treten Pilger in den

56 Narr. 997 D / 998 Β 57 Chron.III 26 p.394 58 Chron.III 26 p. 395: Aditum interea cum planitiei basilice, que cubitorum ferme sex putabatur, consequenter disponeret coequare, tres non integras ulnas fodiens subito venerabilem patris Benedicti tumulum repperit. 59 cons 8, 63ss [cum ..] sanctorum martimm ibidem quiescentium effigies venerandas [..] suum servitium requirere et auxilium promittere incunctanter voce et opere comperisset, basilicam sanctorum regia munificentia fabricatum iri affectu mirabili imperavit. 60 Chron. Ill 26 p.394, cf. nt.4 61 cons 9,67-74 - Diese Schilderung steht in deutlichem Gegensatz zu Leos Argument der deformitas. 62 cons 9,76ss

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136 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Blick - hier belästigen sie die Brüder bei der Eucharistie65; in De consecratione geraten die Brüder bei der Darbietung der Passionsreliquien in Bedrängnis66, in De administra-tione schließlich übernimmt Suger das eindrucksvollste Detail - Frauen drängen über die Köpfe der Männer wie über einen Fußboden - in die Beschreibung der importuni-tas an Festtagen, die zur Vergrößerung der Kirche Anlass gibt67; und unter den ge-nannten Festtagen steht derjenige des hl. Dionysius an erster Stelle. Mit zunehmender Deutlichkeit stellt Suger also seine Maßnahmen als Dienst am Klosterpatron dar, dem er wiederum für die Gelegenheit zu diesem Tun dankbar ist. So flicht er in den eben besprochenen Kontext in De consecratione sogleich einen Hinweis auf die Hilfe der Heiligen ein68 und deutet kurz darauf das wunderbare Auf-finden des Säulenmaterials in diesem Sinne69. Gerade dieser überraschende Fund stellt für Suger einen Beweis göttlicher Gunst dar, der den mühsamen Spolienerwerb, wie er in Montecassino beschrieben wird, überflüssig macht. Die Chronica geht recht aus-führlich auf die zur Beschaffung der Säulen unternommenen Anstrengungen ein70, und auch Suger hatte mit erheblichen Mühen zum Erwerb von Marmorsäulen gerechnet und sich darum gesorgt71. Seine besorgten Überlegungen machen deutlich, dass er eine Beschaffung aus Rom nur als letzten Ausweg bewertet, um nicht auf Säulen verzichten zu müssen, dass aber durchaus nicht die Absicht einer Rom-Imitatio bestand72. Es ge-nügt indessen auch nicht, von einer Montecassino-Imitatio zu sprechen73; Suger hat

65 ord 36,200ss ut nec hora sancii sacrificii in solemnitatihus fratres sacratissime eucharistie com-municantes ibidem demorari possent nec adventantium peregrinorum molestam frequentiam mul-tociens sine magno periculo sustinere valerent. 66 cons 13,100ss. Fratres etiam insignia dominicae passionis adventantihus exponentes, eorum an-garili et contentionibus succumbentes, nullo divertere habentesper fenestras cum reliquiis multocies effugerunt. 67 adm 164,713ss 68 cons 15,108ss sola Dei omnipotentis ineffabili misericordia prefate molestie correctioni sancto-rum martirum dominorum nostrorum suffragio raptus ad augmentacionem prefati loci [..] acce-lerare proposuimus 69 cons 20, 147ss cum subito larga omnipotentis munificentia [.Recentes et peroptimas [sc.: co-lumnas] in admiratione omnium, sanctorum martirum merito revelavit-, vgl. cons 22, 158s [locus .. quadrane] exordium tante utilitatis [..] quasi primicias Deo sanctisque martiribus ut arbitramur reservabat. 70 Chron. Ill 26 p. 394 .. ipse interea Romam profectus est et quosque amicissimos alloquens simul-que larga manu pecunias oportune dispensans columnas, bases ac lilia nec non et diversorum co-lorum marmora abundanter coemit iliaque omnia ab urbe adportum, a portu autem Romano per mare usque ad turrem de Gariliano indeque ad Suium navigiis conductis ingenti fiducia detulit. A binde vero usque in hunc locum plaustrorum vehiculis non sine labore máximo comportavit; cf. Binding/Linscheid-Burdich, p.253s.; cf. Narr.998 Β: Cuius quidem columnas universosque pa-vimenti lapides ab urbe Roma magno labore et non parvo pretio convexit. 71 cons 20, 140ss, 146s. 72 so deutet Β. Brenk, Suger's Spolia, in: Arte medioevale 1 (1983), p. 101-107, die Stelle; kri-tisch dazu Speer/Binding (2000) p.36 75 In Kap.VIII. 1 wird gezeigt, welches argumentative Gewicht der Materialfund bei Pontoise hat.

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2. Suger und Montecassino 137

den Bericht der Chronica wahrscheinlich gekannt, will ihn aber weniger imitieren als vielmehr überbieten. Anstelle der ausführlich beschriebenen Mühen in Montecassino ist in Sugers Darstellung göttliche Freigebigkeit die Voraussetzung für die Ausstattung der Kirche mit den gewünschten Säulen. Die Absicht der Überbietung zeigt sich so-dann in Sugers mirakulöser Erzählung über das Herausziehen des Säulenschaftes: wäh-rend die Chronica anerkennend berichtet, wie das Volk die erste Säule mit eigener Kraft auf den Klosterberg schleppt, und diesen Vorgang als Beweis des Glaubenseifers lobt74, überhöht Suger eine zunächst auch sprachlich ähnlich gestaltete Szene durch das Eintreten des Wunders, als eine kleine Gruppe mit Hilfe des Heiligen einen schweren Säulenschaft aus dem Steinbruch zieht75. Suger bezeichnet die beabsichtigte Baumaßnahme übereinstimmend in De consecratio-ne wie in De administratione als Erweiterung (ad augmentacionem prefati loci76 bzw. ad augmentandum et amplificandum nobile manuque divina consecratum monasterium77). Darin besteht ein gewichtiger Unterschied zu der Baumaßnahme des Desiderius; Leo Marsicanus unterstreicht sowohl in der Narrado als auch in der Chronica, dass die neue Kirche die alte ersetzt und der Vorgängerbau abgerissen wird78. Suger hingegen lobt nicht nur die Schönheit des alten Baus; er verweist auch auf die Tradition der Weihe durch Christus selbst (¡manuque divina consecratum monasterium) und legt Wert darauf, möglichst viel vom alten Bau zu erhalten sowie eine harmonische Ver-bindung des alten und des neuen Baus zu erreichen79. Speer und Pickavé haben nachgewiesen, dass Suger insbesondere die ausführliche Mit-teilung der einzelnen Bischöfe in Form einer Liste aus der Darstellung bei Leo Marsi-canus übernommen hat; darüber hinaus stellen sie mehrere wörtliche Parallelen fest. In den eben gezeigten Abweichungen (Konzentration auf die Kirche, Kirchenbau als persönlicher Dienst am Ortsheiligen; Wahrung der Kontinuität im Bau) wird gerade vor dem Hintergrund der von Speer und Pickavé gezeigten Ubereinstimmungen Su-gers spezielle Intention der Uberbietung erkennbar. Ergänzend lohnt ein Blick auf eine weitere Schrift des Leo Marsicanus, die vielleicht 1094 entstandene Translatio s. Mennatis80. Hier zeigen sich Übereinstimmungen mit

74 Chron.lll 26, p.394 Et ut magis fervorem fidelium obsequentium admireris, primam hic colum-nam ab ipso montis exordio sola civium numerositas colli brachiique proprii virtute imposuit. 75 cons 23,160-31,190 76 cons 15,110s. 77 adm 164,718s. 78 Narr. 997 D ad renovandum a fundamentis ecclesiam; Chron. III 26 S.394 ad veterem diruen-dam ecclesiam et novam pulchrius atque augustius edificandam [..] animum appulit; supradictam beati Benedicti ecclesiam tamparvitate quam deformitate [..] incongruam evertere a fundamento aggressus est. 79 adm 183,833ss ut mediam ecclesie testudinem quam dicunt navim innovare et utrique innovato operi conformare et coequare aggrederemur, reservata tarnen quantacumque porcione de parietibus antiquis, quibus summus pontifex dominus Iesus Christus testimonio antiquorum scriptorum ma-num apposuerat, ut et antique consecrationis reverentia et moderno operi iuxta tenorem ceptum congrua coherentia servaretur. 80 vgl. die Ausführungen von H. Hoffmann in der Einleitung seiner Edition (Chronica Mona-steri Casinensis, MGH SS XXXIV (ed. H. Hoffmann) Hannover 1980, S.IX

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138 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Sugers Schriften in einigen Formulierungen sowie in deren Position innerhalb des Textes81. So verwendet Leo Marsicanus gleich zu Beginn der Schrift Wendungen, die bei Suger im Prolog zu De consecratione sowie zu De administratione nachklingen - ei-ne Handlung hat zwei gute Ergebnisse82; - die Abwendung von irdischen Dingen er-folgt zugunsten des Strebens nach der ewigen Seligkeit83. Kurz nach dem Beginn der eigentlichen Erzählung charakterisiert Suger in De consecratione den König Dagobert mit Wendungen, die an den Passus über den Grafen Robert in der Translatio s. Menna-tis erinnern84. Ähnlichkeiten weisen auch die Schilderungen der dürftigen Kirchlein auf dem Möns sancti Mennatis bzw. in Champs auf85. Die Schilderung der Translati-on, die den eigentlichen Gegenstand des Berichts von Leo Marsicanus bildet, enthält einige Details, die sich auch in De consecratione finden, z.B. zunächst den Hinweis auf die mit liturgischen Feiern ausgefüllte Nacht vor der Translation86, ferner auf den Be-ginn der Feierlichkeiten am frühen Morgen des nächsten Tages87 und die Beschreibung des gewaltigen Andrangs88.

81 Zitate (gekennzeichnet mit Transi.) nach der Edition von B. de Gaiffier, Translations et Mi-racles de s. Mennas par Léon d'Ostie et Pierre du Mont Cassin, in: Analecta Bollandiana 62 (1944) p.5-32. 82 Transi, cap. l , p.15 ut uno eodemque opere et magis magisque animet electos ad premium etpec-catores incitet ad sperandum - vgl. adm 1,12s ex hoc uno duo nobis repromittentes: [..] orationum [..] mereri instantiam et [..] excitare bene zelantem sollicitudinem. 83 Transi, cap. l , p.16 mentes nostras a terrenis actibus et desideriis ad celestia acperpetua transfe-ramus·, cf.cons 2,11 spiritualia corporalibus eterna deficientibus preponentes corporee sensualitatis, exteriorum sensuum molestias et gravtssimas angarias postponunt, ab earum oppressione seipsos sublevantes solidissimam mentis aciem in spem eterne infigentes remunerationis [..] carnalia desi-deria in admirationem et spectaculum aliorum obliviscuntur [..] 84 Transi, cap.3, p. 16s. Robertus egregius comes [..] vir plane et in secularibus strenuus et in divinis devotus admodum - cf. cons 8,59ss Gloriosus et famosus rex Francorum Dagobertus, vir etsi in regni administratione magnanimitate regia conspicuus, nicbilominus tarnen ecclesie Dei devotus 85 Transi, cap.4, p. 19 parva admodum super eius memoriam ecclesiola fabricata, que hactenus, licet semiruta, durât; cf. adm l l l , 510ss Supererai et quedam capella in honore ut ferebatur beate Marie, qua nullam conspicatus sum minorem, semiruta in loco qui dicitur Campis. 86 Transi, cap.8, p.25 to tarn ex integro noctem illam in omnipotentis Dei eiusque sancti confessoris laudationibus exegerunt - cf. cons 83,514ss Pernoctantes itaque tota nocte vespertina matutinarum sinaxi in laudem divinitatis Iesum Christm dominum nostrum [..] 87 Transi, cap.8, p.25 facto itaque mano [..] cum universa illa populorum frequentia lipsanum sancti corporis comes assumens [..]- cf. cons 84,519s. Igitur summo mane archiepiscopi, episcopi [..] cum archidiaconis et abbatibus et aliis bonestis personis ad ecclesiam accedentes - hier fällt die un-gleich ausführlichere und mehr auf den Rang der Beteiligten bedachte Schilderung Sugers auf. 88 Transi, cap.8, p.25s. Posito vero super altare loculo, quoniam infinita valde populositas que un-dique confluxerat eos uspiam egredi non sinebat - cf. cons 86,532ss Populus enim pro intolerabili magnitudinis sue Ímpetu foris agebatur et, dum chorus prefatus aquam benedictam [..] aspergendo proiciebat, rex ipse eiusque decuriones tumultuosum impetum arcebant et virgis et baculis regre-dientes ad portas protegebant-, dergleichen Ubereinstimmungen sind jedoch auch in anderen Texten ähnlicher Thematik zu beobachten, wie z.B. im Bericht Anselms über die Weihe in Saint-Remi, cf. Kap.III.2

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3. Cluny als Bezugsgröße 139

Gegenüber dem sehr kurzen Bericht der Translatio s. Mennatis nehmen sich Sugers Schilderungen erheblich pompöser aus. Für die Narratio de consecratione und die Chronica monasterii Casinensis kann als gesichert angenommen werden, dass Suger die Texte kannte und sich in jeweils spezifischer Weise auf sie bezog: zum einen in der Übernahme von Gestaltungselementen, wie Speer und Pickavé sie nachgewiesen ha-ben, zum anderen in den gezeigten Abweichungen und in der Absicht der Überhö-hung.

3. Cluny als Bezugsgröße

Über seine Maßnahmen zur Verbesserung der Klosterzucht gibt Suger keine Aus-kunft; es gibt keine inhaltlichen Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage, ob er sich hierin etwa am Vorbild der Abtei Cluny orientierte, von der wichtige Impulse zur Reform des Mönchlebens ausgingen. Dennoch lassen sich Spuren des Schrifttums aus Cluny in Sugers Schriften nachweisen, die in diesem Kapitel aufgezeigt werden sollen. Die im 10. Jahrhundert durch Wilhelm III. von Aquitanien gegründete Abtei Cluny hatte sich bald schon zu einer Gemeinschaft von einzigartiger Ausstrahlung entwik-kelt, die den Anspruch erhob, christliches Leben insgesamt zu erneuern und dem Mönchtum die richtige Richtung zu weisen8'. Bereits unter seinem zweiten Abt wurde Cluny unmittelbar dem Papst unterstellt, erhielt die Freiheit der Abtswahl sowie die Erlaubnis, Mönche aufzunehmen, die aus Eifer für ein besseres Leben danach verlang-ten; den Äbten von Cluny wurde gestattet, Klöster zur Besserung anzunehmen90. Fer-ner entstanden zahlreiche Niederlassungen, deren Haupt die Abtei in Burgund war"; Odilo, dem fünften Abt, gelang die rechtliche Durchformung der Beziehungen zwi-schen Cluny und seinen Klöstern92, die sein Nachfolger Hugo I. von Semur noch aus-gestaltete, so dass ein Klosterverband "mit gegliederten Zuständigkeiten und entspre-chend hierarchischer Ordnung"93 entstand. Die Geschichtsschreibung Clunys war, wie J.Wollasch festgestellt hat, in besonderem Maße auf die Darstellung heiligmäßiger Abte ausgerichtet94; Lebensbeschreibungen großer cluniacensischer Äbte bilden daher neben der Aufzeichnung der Consuetudines von Cluny das Material für die Beschäftigung mit der Frage, in welcher Weise Suger auf die große, vorbildhafte Abtei Bezug nimmt.

Der erste in der Reihe der heiligmäßigen Äbte war Maiolus, dessen Nachfolger Odilo ihn mit der Abfassung einer Vita ehrte. Odilo selbst zählte zu den bedeutendsten Per-sönlichkeiten Clunys; darauf werden wir noch zurückkommen. In seiner Vita beati

89 J. Wollasch, Cluny - Licht der Welt. Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemein-schaft, Düsseldorf - Zürich 1996, ppb-Ausg. Düsseldorf - Zürich 2001, schildert die Entwick-lung der Abtei und bietet eine sorgfältige Darstellung ihrer Geschichte. 90 D. W. Poeck, Cluniacensis Ecclesia. Der cluniacensische Klosterverband (10.-12.Jahrhundert), München 1998 (Münstersche Mittelalter-Schriften, 71), p.20 91 Poeck, p.22s. 92 Poeck, p.61 95 Poeck, p.71 94 J.Wollasch, loc.cit., p. 157

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140 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Maioli abbatis berichtet er kurz über die Anfangszeit der Abtei und ihre ersten drei Abte, ehe er sich der Person des Maiolus zuwendet95. 927 war Odo Nachfolger Bernos, des ersten Abtes von Cluny, geworden. Die Grün-dung der Abtei war mit dem Anspruch verbunden, dem Heil aller lebenden und ver-storbenen Christen zu dienen96. Unter Odos Abbatiat wuchs der Konvent erheblich; seine Reformarbeit in vielen Klöstern hatte großen Erfolg. Uber Aimard, den dritten Abt, sagt Odilo, er sei in augmentacione praediorum et acquisitione temporalis commodi [..] studiosus et in observatione satis devotus gewesen, und erwähnt lobend die demütige Geduld, mit der er seine Erblindung ertragen habe97. Maiolus aber bezeichnet er rüh-mend als auctorem nostrae salutis; nach knappen Bemerkungen über seine Abstam-mung würdigt er seine Tugenden und insbesondere sein vorbildliches Wirken als Abt, dessen Ausstrahlung Anlass zur Gründung weiterer Klöster bzw. Reformierung durch seine Schüler wurde98. Als Zeichen für die besondere Gunst, in der Maiolus bei Gott stand, erzählt Odilo verschiedene Wundergeschichten, darunter auch die oben bereits erwähnte Episode, die sich in Saint-Denis zugetragen haben soll: Maiolus liest nachts, wie es seiner Gewohnheit entspricht, bei Kerzenlicht. Als der Schlaf ihn übermannt, tropft Wachs auf das aufgeschlagene Buch - es handelt sich um das Werk De principatu caelesti des "Märtyrers und Philosophen" -, ohne dass die sich darauf ausbreitende Flamme das Buch beschädigt. Dass Suger auf die (hier) zweifache Identifizierung des hl. Dionysius nicht weiter eingeht, hatten wir oben gesehen99. Offenbar sollte Maiolus Saint-Denis reformieren: Odilo führt aus, dass König Hugo den Abt Maiolus zu sich gerufen habe, ea intentione ut monasterium sancii Dionysii eius Consilio et adiutorio me-lius quam tunc erat ordinari posset10°; Maiolus habe den Auftrag freudig angenommen, sei jedoch durch seinen plötzlichen T o d an der Ausführung gehindert worden. Erst Odilo führte die Anweisung des Königs aus101. Suger erwähnt diesen Reformauftrag mit keinem Wort - die Geschichte seiner Abtei behandelt er nur im Blick auf sein ei-genes Wirken.

Unter Abt Maiolus wurde die neue Klosterkirche, Cluny II, erbaut und 981 ge-weiht102. Die rege Bautätigkeit, die damit in Cluny begann, führte Odilo weiter bis zu einem gewissen Höhepunkt103 ; gerade angesichts seiner eigenen Rolle als Bauherr fällt es auf, dass er Maiolus' Beitrag in seiner Vita übergeht. Einige Informationen über die Kirche sind dem Liber tramitis aevi Odilonis abbatis zu entnehmen, der die Abtei Farfa mit den Bräuchen der Abtei Cluny vertraut machen sollte und auch einen Einblick in Odilos Baumaßnahmen gibt.

95 Odilo von Cluny, Vita beati Maioli abbatis, PL 142, 943 B-962 B, hier 946 B-C 96 Wollasch, .p.37 97 PL 142,946 C 98 PL 142,955 A Quam perspicue beatissimi Maioli eiusque discipulorum in benedictione existât memoria, respondeant monasteria ab ipsis alia a fundamentis constructa, alia de corruptione cum incremento virtutum ad meliorem statum reducta. 99 Kap.II.2 100 PL 142,958 A , 0 ' cf. M.Bur, Art. Saint-Denis, Lex MA VII (1995)1145-1148 102 G. Binding, Art . Cluny,Cluniacenser. E. Baukunst, LexMA II (1983)2192 103 P. Dinter (ed.), Liber tramitis aevi Odilonis abbatis, Siegburg 1980, C C M 10, Einleitung, p.XLVII

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3. Cluny als Bezugsgröße 141

Die in den Sabinerbergen nördlich von Rom gelegene Marienabtei Farfa war im 7. Jahrhundert gegründet worden; seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts erlangte dort nach und nach die Regula Benedicti Geltung. Der Versuch der Cluniacenser, ihre Re-form in italienischen Klöstern durchzusetzen, war zunächst gescheitert; Dagibert, den Abt Odo von Cluny nach Farfa gesandt hatte, wurde nach fünfjähriger Amtszeit vom Konvent vergiftet104. Abt Hugo hatte sein Amt in Farfa durch Bestechung erhalten, bereute dies jedoch und zeigte sich aufrichtig um eine Reform nach Maßgabe Clunys bemüht. Daher beschaffte er, als der Mönch Johannes aus dem Kloster Möns Opuli im Auftrag seines Abtes Joseph eine Abschrift der Cluniacenser Bräuche erstellt hatte, von dort um das Jahr 1000 die schriftlich fixierte Grundlage für die Einführung der Consuetudines von Cluny, deren Text unter Abt Beraldus (1048-1089) seine endgültige Form erhielt. Diese liegt uns heute vor im Liber tramitis. P.Dinter hat darauf hinge-wiesen, dass man die im zweiten Buch überlieferte Beschreibung der Kirche für die der Basilika zu Farfa gehalten habe, doch erweise sich bei näherem Hinsehen, dass alle Angaben sich auf Cluny statt auf Farfa beziehen105. Als Zeugnis der Lebensgewohnhei-ten und des Bauzustandes in Cluny zur Zeit Odilos soll der Text hier kurz betrachtet werden. Der Anspruch Clunys, mit der Aufzeichnung der Consuetudines eine auch für andere Klostergemeinschaften vorbildliche Leitlinien bereitzustellen, geht bereits aus den Formulierungen des Incipit für den Liber tramitis hervor, wie Wollasch hervorhebt106; Abt Odilo selbst wird im Prolog als strahlendes Licht gewürdigt107. Zu Beginn des zweiten Buches des Liber tramitis ermutigt ein 38 Hexameter umfas-sender Cento aus Versen des Smaragdus, in einem Leben nach der Regel Benedikts nach dem Himmelreich zu streben. Diese Lebensweise wird als "das Leben für die Gu-ten" bezeichnet - die inhaltlich unspezifische, aber plakativ unfassende Bezeichnung "die Guten" verwendet Suger in einem Distichon über die Taufe108 -; sie züchtige ihre Söhne mit mütterlicher Liebe. Mütterliche Liebe ist in Sugers Darstellung ein wesent-liches Merkmal seiner Kirche Saint-Denis, über die er sagt, sie habe ihn genährt, "als Jüngling, auch wenn er Fehler machte, gestützt", ihn "im Mannesalter mit ihrer Macht gestärkt" und ihm "ehrenvoll zwischen den Fürsten der Kirche und des Reiches einen Platz angewiesen"109. Lässt sich auch nicht mit Sicherheit beweisen, dass Suger die Verse kannte, fällt doch in ihrer unmittelbaren Nähe (v.18) die Verwendung des Verbs moderare /moderari auf, das Suger bevorzugt zur Kennzeichnung des ausglei-

104 Dinter, op.cit., p.XXIII; nach Dinter auch die übrigen Informationen dieses Abschnitts. 105 Dinter, op.cit.,p.XXXVIII, ausführliche Argumentation p. XXXVIII-XXXIX 106 Wollasch, loc.cit.,p,127; Liber tramitis, ed. Dinter, loc.cit.,p.3: Incipit perfectus usus sive ordo ad ornandam ecclesiam catholicam necnon ad conservandam regularis tramitis normam in coeno-bio beatae Mariae semper virginis in Agro Acutiano comptam. 107 Liber tramitis, Prot (loc.cit., p.4): ubi venerabilispater Odilo velut lucerna radians adhuc ful-get 108 Liber tramitis, II, In primis metrice dictus, p.202,v.l5 Haec est vita bonis necnon et norma sa-lutis; cf. adm 271,1200 s. Quod baptisma bonis, hoc milicie Pharaonis / Forma facit similis eau-saque dissimilis. 109 adm 182, 823ss [mater ecclesia] que puerum materno affectu lactaverat, iuvenem offendentem sustinuerat, etate integrum potenter roboraverat, inter ecclesie et regni principes sollempniter loca-verat; cf. Liber tramitis, loc.cit.,v. 16 haec bene materno natos castigai amore

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142 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

chenden Mäßigens wählt110. Will man Sugers Kenntnis der Verse annehmen, dann kann die Anwendung der mütterlichen Eigenschaften nicht auf die klösterliche Le-bensweise, sondern auf eine einzelne Abtei ebenso wie die differenziertere Ausgestal-tung für drei Lebensalter als Akzentverschiebung zugunsten der Dionysiusabtei ver-standen werden: was in Cluny für das klösterliche Leben insgesamt gilt, dessen vor-bildliche Ausprägung freilich die Abtei selbst mit ihren Bräuchen darstellt, das sagt Suger ausführlicher und persönlicher über seine Abtei Saint-Denis. Die Prosa-Ausführungen des zweiten Buches im Liber tramitis beginnen mit dem Ka-pitel De positione seu mensuratione officinarum. Der Begriff officinae meint an dieser Stelle alle Räume bzw. Gebäude innerhalb der Klausur eines Klosters, zu denen hier auch die Kirche gezählt wird111. Der Gebrauch des Wortes in diesem Sinne geht auf die Regula Benedirti zurück, wo unter officina in übertragenem Sinne die Werkstatt zur Verrichtung guter Werke verstanden wird112. Die Beschreibung, die im Liber tramitis geboten wird, erfasst als erstes der Gebäude die Kirche, jedoch ausschließlich in ihren Maßen und der Anzahl der Fenster. Angaben zur Lokalisierung von Lichtern inner-halb der Kirche sind einem eigenen Kapitel mit liturgischen Bräuchen vorbehalten; die Lokalisierung erfolgt in der Regel durch Nennung des betreffenden Altars. Eine Aus-nahme bildet die Wendung in brachio partis aquilonari^. Auf die knappe Erwähnung der Maße der Kirche folgen Angaben zu Klostergebäuden - die bei Suger nicht genannt werden114 -, auch diese versehen mit Maßangaben; der Leser erhält einen Eindruck von der unter Maiolus gleich nach 954 begonnenen Bautätigkeit in Cluny, die später Odi-lo zu einem gewissen Höhepunkt führte115. Verglichen mit Sugers Aussagen über die Lage der Krypta, den Kapellenkranz oder die Säulen116 nimmt sich die eher sachliche Beschreibung der Kirche in Cluny jedoch dürftig aus. Die Aufgabe des Liber tramitis besteht indessen nicht in der Schilderung von Bauten, sondern in der Übermittlung von Klosterbräuchen, die die Liturgie, aber auch andere

110 cons 1,4 unius superius moderate armonie conveniencia; cons 41,230 divina largitio,que in pondere et mensura omnia moderari, omnia dare constituit 111 Suger verwendet den Begriff officina nur einmal in adm, als er über die Gesamtheit der der Regel entsprechenden Klosterräume spricht, die Kirche aber davon unterscheidet: adm 132,583ss claustrum, refectorium, dormitorium ceterasque ofßcinas regulares extruximus. 112 Hildemar von Corbie deutet in seinem Kommentar zur Benediktregel das Wort officina grammatisch als Neutrum im Plural und gibt ausführliche Erläuterungen, s. hierzu Bin-ding/Linscheid-Burdich, p.444 , p.460s. 113 Kap. De celebratione missarum, loc.cit., p.235 114 Dinter, op.cit., p.XLVII, hat darauf hingewiesen, dass die sprachliche Gestaltung des Kapi-tels aufschlussreich für die zeitliche Einordnung des Bauzustandes in Cluny sei: während reine Lage- und Maßangaben zunächst knapp mitgeteilt und gelegentlich durch sunt, est, habent auf-gelockert werden, wechsele der Autor plötzlich zum Konjunktiv, der als Ausdruck der Pla-nung durchgehalten werde. Dinter äußert die Annahme, dass diese Planung schon bis zur Per-fektion festgelegt gewesen sei und ein großer Teil der Gebäude bereits als Rohbau dagestanden habe; die Vermittlung eines Baukonzepts durch Vermessung und Erstellen der Grundmauern wird mit vielen Beispielen von Binding/Linscheid-Burdich, Kapitel IV, bes. p.97s. behandelt. 115 Dinter, op.cit. p.XLVII. Da der Kreuzgang, den Odilo mit hohem Aufwand baute, nicht erwähnt wird, nimmt Dinter an, dass er zur Abfassungszeit des Liber tramitis noch nicht an-gelegt war. 116 cons 48,289-49,302; 58,349ss.

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3. Cluny als Bezugsgröße 143

Bereiche wie z.B. die Sorge für die Kranken betreffen. Den hohen Stellenwert der Zuwendung zu den Kranken in Cluny belegen die Kapitel De infirmis, die den Eintritt in die Infirmerie, die Teilnahme am Chorgebet, die Mahlzeiten, die Besuche und den Sakramentenempfang der Kranken behandeln117. Dabei erfahren die Kranken eine be-sondere Aufmerksamkeit, die mit den Geboten der Regel begründet wird118. Ahnlich widmet Suger in der Ordinatio einen langen Abschnitt der Fürsorge für die Kranken und unterstreicht seine Forderung, den Kranken, Alten und Gebrechlichen "zu dienen wie den Engeln Gottes" mit der Feststellung, die Liebe sei das Höchste der klösterli-chen Frömmigkeit . In De administratione berichtet er über Maßnahmen, die der Ver-sorgung der Kranken einen höheren Geldbetrag als zuvor sichern119, und über die Re-servierung von Wildbret, wie er auch bereits in der Ordinatio die Mahlzeiten der Kranken zu verbessern anordnet120. Insgesamt sind die Vergleichspunkte zwischen Sugers Ausführungen und dem Liber tramitis jedoch wenig aussagekräftig. Es scheint, dass weniger die Consuetudines aus Cluny, wie sie zur Zeit Odilos fixiert wurden, als vielmehr die Gestalt des Abtes Odi-lo selbst bzw. seine Lebensbeschreibung, die der Mönch Jotsald verfasste, Suger faszi-niert hat. J . Staub stellt in seiner Untersuchung dieser Vita121 Odilo als einen der großen Abte Clunys vor: zu seinen Leistungen zählt er die Umformung Clunys von einer Reform-gemeinschaft zu einem zentralistisch ausgerichteten Klosterverband; Odilo erneuerte die Klostergebäude mit Ausnahme der Kirche, er führte das heute noch bekannte Al-lerseelenfest (2.November) als Ausdruck eines intensiven liturgischen Gebetsgeden-kens ein und zählte zu den führenden Persönlichkeiten der Gottesfriedensbewegung. Der Mönch Iotsald würdigt seinen Lehrer und Gönner Odilo in einer drei Bücher umfassenden Vita122, deren subtile Gliederung Staub analysiert123. Das erste Buch ver-mittelt zunächst biographische Einzelheiten über Odilos Kindheit, seinen Eintritt in Cluny, schließlich den Amtsantritt, beschreibt seine äußere Erscheinung und sein Auftreten und lobt dann seine Tugenden, gegliedert nach den vier Kardinaltugenden, die durch Beispiele illustriert werden. Dem Lob der temperantia schließt Iotsald eine Würdigung der Bautätigkeit Odilos an, die er als umfassende Erneuerung aller Gebäu-de mit Ausnahme der Kirche beschreibt: Et praeter haec interiora, fuerunt in eo extrinsecus gloriosa studia in aedificiis sanctorum locorum construendis, renovandis, et ornamentis undecunque acquirendis. Demonstrat hoc Cluniacus suus principalis locus, in cunctis aedificiis interius et exterius, praeter parietes ec-clesiae, ab ipso studiose renovatus, et ornamentis multipliciter adornatus124.

117 Liber tramitis, XXXII (191-194) p.264ss. 118 Liber tramitis, XXXII,191.3 Quicquit infirmi petierint eis dandum est, etiam si emere opus sit. Regula namque praecipit ante omnia et super omnia adbibendam infirmis esse curam ac sollicitu-dinem. madm 6,43ss.; 49,213s 120 adm 55,238ss; cf. ord 18,79s. 121J. Staub, Studien zu Iotsalds Vita des Abtes Odilo von Cluny,Hannover 1999, hier bes. p.l 122 Iotsald, Vita s. Odilonis Cluniacensis abbatis, PL 142; neue Edition: J. Staub, Iotsald von Saint-Claude, Vita des Abtes Odilo von Cluny, Hannover 1999 125 J.Staub, op. cit., p.l7ss. 124 Iotsald, Vita s. Odilonis Cluniacensis abbatis, PL 142, 908 A, Staub p.170

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144 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Bau und Erneuerung von Gebäuden und der umfangreiche Erwerb von ornamenta werden hier hervorgehoben - eben diejenigen Maßnahmen, die Suger auch in Saint-Denis vorgenommen hat. Unter den von Odilo errichteten Bauten in Cluny hat der marmorne Kreuzgang einen besonderen Rang, den Iotsald durch die Position am Ende seiner Aufzählung unterstreicht125. Die kostbare Ausstattung mit Marmorsäulen begründet diesen Rang ebenso wie die mit ihrer Beschaffung verbundenen Schwierigkeiten126; beides hebt Iotsald als Leistung des verehrten Abtes hervor. Hinter dem damit repräsentierten Anspruch will auch Suger nicht zurückbleiben. Marmorne oder marmornen gleichwertige Säulen sollen seine Kirche zieren, und in die Vorüberlegungen zu ihrer Beschaffung bezieht er auch die Möglichkeit mit ein, sie unter großem Aufwand und erheblicher Gefahr aus Rom zu holen127. Iotsald lobt weiterhin Odilos Leistung zum Schmuck der Kirche und erwähnt einen kostbaren Baldachin über dem Altar des hl. Petrus; damit schließt die Perikope über Cluny als principalis locus des Abtes Odilo, und es folgt die Würdigung seines Wirkens "in allen seinen Klöstern" (de omnibus monasteriis suis) - es wird deutlich, dass Abt Odilo zugleich auch die Leitung und Obhut zahlreicher weiterer Klöster innehat. Vergleichbares kann Suger nicht berichten, wir werden jedoch sehen, daß er sein Wirken in Notre-Dame-des-Champs im Blick auf Cluny beschreibt. In den Büchern II und III schildert Iotsald zahlreiche Wunder, die teils durch Odilo zu seinen Lebzeiten geschehen (Buch II), teils nach seinem Tode an seinem Grab sich ereignen. In der Anlage des II. Buches hat Staub die paarweise Anordnung von inhaltlich verwandten Wundererzählungen als Gliederungsprinzip beobachtet und darauf hingewiesen, dass "von den so berichteten zehn Wundern der Gruppe [..] die mittleren beiden noch durch den gleichen Ort (Saint-Denis) verknüpft" sind128. Diese beiden Erzählungen sollen kurz betrachtet werden.

Die Wunder, die sich in Saint-Denis bzw. in der Nähe (Saint-Denis de l'Estrée) zugetragen haben, werden im achten Kapitel des II. Buches vorgestellt. Die Uberschrift (De paucis pisculis plurimis refectis) gibt das Thema an, das sie inhaltlich verknüpft: eine unerwartete Menge Fisch steht zur Verfügung, wo vorher Mangel drohte. Uber Saint-Denis heißt es in der ersten Erzählung, die Abtei sei Odilo durch König Hugo und König Robert zur Reformierung übertragen worden129. Odilo hält sich dort

125 PL 142, 908 A (Staub p.171): ubi etiam in novissimis suis claustrum construxit, columnis marmoreis ex ultimis partibus illius provinciae, ac per rapidissimos Durentiae Rhodanique cursus, non sine magno labore advectis mirabiliter decoratum: de quo solitus erat gloriari, ut iucundi erat habitus, invenisse se ligneum et relinquere marmoreum, ad exempli Octaviani Caesaris, quem describunt historiae Romam invenisse lateritiam et reliquisse marmoream; cf. Dinter, op.cit., p.XLVIIs. 126 Zum Problem der Materialbeschaffung s.Kap.VIII.l; zahlreiche Beispiele in Binding / Linscheid-Burdich, Kap.VII.3, p.245-259 127 cons 20,138-146; dass dieses gefahrvolle Unternehmen nicht notwendig wird, begreift Suger als Zeichen göttlicher Unterstützung, s.auch Kap. VIII. 1 128 Staub,op.cit.,p.20 129 PL 142, 921 C (Staub p.206) Lutetiae Parisiorum proximum est monasterium sancti Dionysii martyris gloriosi corporis honore praeclarum, qui locus a Francorum regibus Hugone et Rotberto

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3. Cluny als Bezugsgröße 145

als Gast auf; er hat die Fastenzeit in Saint-Denis verbracht und beabsichtigt, über Ostern zu bleiben. Der Text schildert nun die Verlegenheit des Abtes Ivo, der furchtet, nicht genügend Fisch zum Fest anbieten zu können130. Die Tatsache, dass schließlich doch eine ausreichende Menge Fisch vorhanden ist, wird der göttlichen Vorsehung zugeschrieben: Divina enim Providentia id agebatur, ut in nova festivitate noves hospes gurgitis novo etiam homini, secundum Apostolum mentis suae de die in diem renovato, Dei muñere mittereturm. Ganz ähnlich bewertet Suger in De consecratione das Geschehen, als er überraschend eine hinreichende Menge Schaffleisch für die Gäste bei den Weihefeierlichkeiten bekommt: sed divina largitione, que in se sperantibus magnis et parvis in omnibus providet affluenter et que novit profutura, administrât"2. Iotsald berichtet nun, wie Ivo nach der Matutin zu den Unterkünften der Dienstleute geht und ihnen aufträgt, sich um Fisch für Odilo, den hohen Gast, zu bemühen133. Ahnlich erzählt Suger an anderer Stelle in De consecratione, wie er, als sich die Beschaffung großer Balken als schwierig erweist, nach der Matutin die Suche nach geeignetem Holz selbst in die Hand nimmt - die energische Initiative wird alsbald belohnt134. Auch Ivo hat Erfolg, als er sich voll Gottvertrauen if,idem possidens in Deo) an die Fischer wendet: Uberraschend wird daraufhin ein riesiger Fisch einer in diesem Gebiet ganz ungewohnten Sorte gefangen; erneut wird dieses Vorkommnis auf göttliche Güte zurückgeführt135. Auch die erwähnte thematisch ähnliche Perikope über das Schaffleisch-Mirakel, das Suger die Bewirtung der Gäste erleichtert, schließt mit dem dankbaren Hinweis auf die Hilfe Gottes136. Ein ähnliches Wunder beschreibt Jotsald gleich im Anschluss an das eben berichtete; auch dieses trägt sich im Umkreis von Saint-Denis zu137. Odilo ist müde in Saint-Denis de l'Estrée angekommen und wird mit einer kleinen Menge Fisch bewirtet. Als ihn plötzlich zwei Abte und mehrere Mönche dort besuchen, droht der Fisch nicht für

viro Dei Odiloni fuerat commissus, ut monachali ordine et doctrina regularis vitae proveheretur in melius. 130 PL 142,921 C (Staub p.207) quique valde moestum gestiens animum quod sterilitas aquarum sibi non praeberet affluentiam piscium: actitabat enim ut undecunque acquireret eiusmodi edulium, sed quaecunque agitabantur minime adprofectum proficiebant. 131 PL 142,921 D (Staub p.207) 132 cons 70,434s 133 PL 142,921 D (Staub p.207) Sub ipso itaque magnae diei crépuscule, completo a fratribus matutinali officio, praedictus Ivo ßdem possidens in Deo, de meritis Patris praesumens, movit gressum ab ecclesia, et ad famulomm tendit habitacula. Piscandi gnaros vocat, multa cum eis conquaeritat, super capiendis piscibus multa inculcai, nunc pium Odilonem venisse, nunc Diem Dominicae resurrectionis adesse, nunc fratres melodiarum cantu fatigatos fore. Imperai demum in Christi virtute, ut Sequanam fluvium retibus expetant. 134 cons 35,203ss 135 PL 142,922 Β (Staub p.208) Praesentatur novus piscis, quem non praedictus fluvius dare solebat, sed Christi largiflua manus suo servo direxerat; quod videlicet inopinatum miraculum in tanta admiratione est a sancto Patre habitum.. Die Tatsache, dass "der besagte Fluss üblicherweise solchen Fisch nicht hervorbrachte", vertieft den Charakter des Mirakulösen. 136 cons 73,455ss qui hoc ipsum divine ascribebant largitioni, eo quod hoc solum, quod deerat, quod querendo fatigaremur, inopinate religiosorum fratrum deportatione delegasset. 137 PL 142,922 B-923 Β (Staub p.209)

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146 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

alle auszureichen. Als Odilo empfiehlt, die Sorge darum "dem anzuvertrauen, der mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Menschen zu sättigen vermochte" (illi vestram super hoc sollicitudinem committe, qui de quinqué panibus et duobus piscibus quinqué milia hominum valuit satiare), reicht die vorhandene Menge nicht nur aus, sondern bietet noch reichlich Nahrung für die Diener. Staub weist darauf hin, "daß Iotsald die Ähnlichkeit der von Odilo vollbrachten Wunder mit Wundern Christi hervorhebt"138; dieser Aspekt ist in Sugers Wundererzählungen nicht anzutreffen: ihm geht es ja auch nicht um die Heiligkeit des Abtes, sondern um die göttliche Gunst für Bau und Weihe seiner Kirche. Das Prinzip der Doppelung hingegen scheint ihn sehr angesprochen zu haben: bei den Mirakeln, die er in De consecratione schildert, fällt auf, dass in ähnlicher Weise je zwei unmittelbar nacheinander mitgeteilt werden, wobei die beiden ersten deutlicher erkennbar durch das gemeinsame Motiv (Materialfund als Kristallisationspunkt göttlicher Hilfe) zusammengehören, während das Gewölbebogen-Mirakel und das Schaffleisch-Mirakel auf den ersten Blick lediglich additiv aneinandergereiht scheinen, möglicherweise um einem Doppelungsprinzip zu folgen; hierbei steht das Gewölbebogen-Mirakel gleichzeitig in lockerer motivischer Verbindung mit der zuvor erwähnten Gelegenheit, eine unerwartet große Menge an Gold und Edelsteinen zum Schmuck der Kirche zu erhalten139: Suger trifft hier die sentenziose Feststellung, wenn ein Werk im Wollen gut sei, werde es mit Gottes Hilfe ebenso gut in seiner Vollendung sein (Hic et alibi experiri potuimus, sit bonum opus in volúntate, ex Dei adiutorio erit in perfectionefm - diese Aussage lässt sich auch auf die wundersame Bewahrung der Gewölbebogen während des Sturmes anwenden.

Dank der überraschend überbrachten Schafherde ist Suger eines Problems bei der Bewirtung der Gäste enthoben; hier wird sein Bemühen um einen würdigen äußeren Rahmen der Weihefeierlichkeiten durch göttliche Hilfe unterstützt, und der Charakter des Wunderbaren ordnet die Erzählung der zuvor geschilderten Episode gleich. Die Vermutung liegt nahe, dass Suger das Prinzip der Wunder-Doppelung aus der Vita des bedeutenden Abtes Odilo von Cluny übernommen hat. Im III. Buch beschreibt Jotsald eine Reihe von Heilungswundern, in deren Entfaltung Staub eine inhaltliche Gliederung in zwei Gruppen beobachtet: zunächst geht es um Taubstumme, Stumme und Blinde, damit um Einschränkung der Kommunikations-und Wahrnehmungsfähigkeit, danach um die Heilung von Krankheiten, die die Bewegungsfähigkeit beeinträchtigen141. Unter den Kranken, deren Leiden der zweiten genannten Gruppe angehören, erscheinen auch zwei Wassersüchtige. Es ist sicher kein Zufall, dass Suger in seiner Erzählung über die Wunder in der Kirche Notre-Dame-des-Champs142 gerade von der Heilung einer Stummen und einer Wassersüchtigen berichtet: die beiden von Staub unterschiedenen Krankheitstypen aus der Odilo-Vita

138 Staub, op.cit.,p.23 139 cons 62, 386ss tantam auri, tantam gemmarum preciosissimarum inopinatam et vix ipsis regibus existentem copiam ipsi sancti mártires nobis propinaverunt. 140 cons 65,403s 141 Staub, loc.cit., p.24ss 142 adm 118,532-131,578

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3. Cluny als Bezugsgröße 147

kehren hier wieder in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Episoden, die je einem der Wunder in der Odilo-Vita nachempfunden sind. Im ersten Kapitel des III. Buchs stellt Iotsald eine Mutter mit einer dreifach behinderten Tochter vor {quae filiam habebat tribus passionibus obnoxiam, insanam videlicet, surdam et mutam)U3, die in nächtlichen Visionen a quadam satis formosa et iucunda persona aufgefordert wird, sich mit ihrem Kind zum Grab Odilos zu begeben. Als die Mutter dieser Weisung folgt, ist das Mädchen plötzlich gesund. Sugers Miraculum de muta144 weist einige Ubereinstimmungen mit dieser Erzählung auf; so erscheint dem Mädchen in der Nacht eine weibliche Person145, deren liebreiche Anrede {que cum eam nomine proprio .. pie satis advocasset) möglicherweise ein Reflex des Attributs iucunda bei Iotsald ist. In beiden Erzählungen wird das Wunder der eingetretenen Heilung durch den Hinweis auf die vorangegangene lange Zeit der Sprachlosigkeit akzentuiert146. Bei Iotsald folgen noch einige weitere Heilungen stummer Personen, ohne dass deren Schilderung so ausführlich gestaltet wird wie im Fall der ersten. Der Heilung von der Wassersucht geht bei Iotsald (im 11. Kapitel) wie bei Suger die Schilderung der quälenden Symptome und der Hinweis darauf, dass der Patient nicht ohne fremde Hilfe zur Stätte der erhofften Heilung gelangt, voraus147. Die Genesung erfolgt durch plötzliches Absondern großer Flüssigkeitsmengen, das von Augenzeugen beobachtet wird; während Iotsald berichtet, der Kranke habe einen Strom geronnenen Blutes ausgespien {rivum concreti sanguinis ibidem ab interioribus per os, videntibus cunctis, evomuit, 938 C), spricht Suger von humor refluus und flegma, wobei beide Flüssigkeiten auf nicht näher bezeichnetem Weg den Körper verlassen: Suger legt Wert auf die Feststellung, dass die Jungfrau Maria diese Heilung in einer nicht zu beobachtenden Weise (invisibilitér) wirkt, und schildert nur das Resultat, den Abfluss der schädlichen Körperflüssigkeit. Die tatsächliche Herkunft und Beschaffenheit der Sekrete kann nicht erschlossen werden, und ob in beiden Fällen die gleiche Erkrankung vorlag, ist letztlich unbedeutend; beiden Autoren geht es jedoch um eine spektakuläre Heilung, die sie mit drastischen Details beschreiben: der junge Mann in der Odilo-Vita zeigt den Umstehenden seine faltige Haut, die vorher durch die Körperschwellung gefährlich straff gespannt war148, und Suger malt den gewaltigen

145 PL 142,935 C (ed. Staub p.243) 144 adm 118,532 ss. 145 adm 119, 537-543 Nocte vero sabbati... visum est.. quod quedam gloriosa regina, pulchra ut luna, electa ut sol, cicladibus regiis vestita, auro gemmisque preciosis coronata a sinistro cornu altaris ad dextrum contendens ante eam transibat; in Sugers Darstellung wird durch die Kennzeichnung regina ebenso wie durch das Hohelied-Zitat angedeutet, dass es sich um Maria handelt, nach der die Kirche benannt wird, cf. Speer/Binding 2000,p. 305,307 146 Iotsald, PL 142,935 D (Staub p.244) filia ex multis annis surda et muta-, Suger, adm 118,536s cum qttadam puella iam duodenne que numquam fuerat locuta illuc devenit; adm 123,550s. Qui vero prius eam per quinquennium mutam et post per quinquennium loquacem cognovimus.. 147 Iotsald,PL 142,938 B/C (Staub p.250); adm 125,555ss; 127,560-562 14! PL 142,938 Β (Staub p.250) ita venter intumerat ut cutis supra modum extensa pene rumpi videretur; 938 C (Staub p.250) Ostendebat autem vestimento sursum collecto rugas cutis prius extense, nunc vero inflatione recedente vacuas remansisse

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148 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Flüssigkeitsabgang durch den Hinweis auf die Gefäße aus, mit denen das Abgeflossene fortgebracht wird149. Iotsald lässt der relativ umfangreichen Darstellung im 11. Kapitel einen knappen Hinweis auf eine weitere Begebenheit gleicher Art folgen, ehe er über andere Heilungswunder berichtet. Suger hat offenbar aus den verschiedenen Gruppen mirakulöser Heilungen in der Odilo-Vita je eine typische und innerhalb der Gruppe besonders ausführlich ausgestaltete Episode als Vorbild für die beiden miracula gewählt150, die er aus einer angeblich unzählbaren Menge herausgreift, um das Wirken der Gottesmutter in der Kirche Notre-Dame-des-Champs zu illustrieren. Die Ehre der Gottesmutter nennt er als Motiv, hier ein Priorat zu errichten.

Den Gründungsvorgang und die Vorgeschichte beschreibt er unter Verwendung einer Terminologie, die dem Sprachgebrauch Clunys folgt: Suger spricht zunächst von einer cella151. Dieser Begriff wird für kleinere mönchische Gemeinschaften, die als Nebenniederlassungen eines Hauptklosters durch dessen Abt gegründet werden, verwendet. Poeck analysiert die Bestätigung Papst Gregors V. von geistlichen Institutionen für Cluny und beobachtet dabei die Zuordnung zu drei Kategorien -Kirchen, Zellen und Klöstern152. Der Begriff cella für Notre-Dame-des-Champs signalisiert die Abhängigkeit von Saint-Denis; wie für die Errichtung einer cluniacensischen cella eine Kirche und zusätzlicher Landbesitz zum Unterhalt der Mönche erforderlich waren, so gibt auch Suger seine Maßnahmen zum Ausbau der Einrichtung an: er entsendet die erforderliche Gruppe aus zwölf Brüdern und einem Prior, errichtet Klostergebäude, stattet die Kirche angemessen aus und richtet Pflugländereien für die Brüder ein153.

Zur Vorgeschichte gehören komplizierte Übertragungsvorgänge bezüglich der Pfarrkirche von Corbeil, auf deren Gebiet die kleine Marienkapelle steht. Wenn Suger erklärt, die Pfarrkirche von Corbeil sei "Cluny und den Gliedern von Cluny" übergeben worden, bedient er sich der Haupt-und-Glieder-Metapher, die seit der Zeit Abt Hugos I. auf Cluny und die ihm übertragenen Abteien und Priorate angewandt wurde154, und greift damit den cluniacensischen Sprachgebrauch auf. Das Priorat Saint-Martin-des-Champs, dem die Kirche übertragen worden war, gehörte neben La-Charité-sur-Loire, Souvigny, Sauxillanges und dem englischen Lewes zu den unmittelbar dem Mutterkloster unterstellten Großprioraten, die eine Sonderstellung im Klosterverband einnahmen155; Petrus Venerabiiis hob in der Lebensbeschreibung des Matheus von Albano diese "Tochter" Clunys hervor und lobte sie wegen ihrer völligen Ubereinstimmung mit Cluny im Blick auf ordo, religio und Regelbefolgung156. Das Priorat Gournay war 1122 den Mönchen von Saint-Martin-des-Champs

149 adm 130,572s ut cum scutellis et situlis et ollis illa asportare statim oporteret 150 - womit er die Übernahme der Struktur (Doppelung als Anordnungsprinzip), die er bei den Wundern des II. Buchs beobachtete, mit der Übernahme zweier typischer Motive verknüpft -151 adm 109,499 152 Poeck, op.cit., hier p.22ss 153 adm 132,579-139,598 154 Poeck, op.cit., p.71; Wollasch, op.cit.,p.l46 155 cf. Speer/Binding (2000),p.299,nt.59 mit weiterführender Literatur 156 Poeck, op.cit.,p.239

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3. Cluny als Bezugsgröße 149

übergeben worden. Offensichtlich hatte das Gebiet unter der Unterdrückung durch die Herren der Burg Corbeil zu leiden, wovon auch die übertragenen Kirchen betroffen waren155. Die kleine Marienkapelle, in der sich die erwähnten Heilungsmirakel zutragen, befindet sich in einem verwahrlosten Zustand; Suger beschreibt ihn in einer Weise, die der Schilderung in einem Brief des Sidonius Apollinaris an Papst Basilius nachempfunden scheint. Sidonius Apollinaris beklagt darin, wie Diözesen und Pfarren ohne die schützende Obhut von Bischöfen dem Verfall ausgesetzt sind, und illustriert dies mit dem Bild von Kirchen, in denen das Unkraut wächst und in denen das Vieh die Seiten der Altäre abweidet156. Möglicherweise übernimmt Suger aus dem Klagebrief des Sidonius nicht nur das Bild, sondern will damit zugleich auf das Versagen der Bischöfe aufmerksam machen, die auch in der von ihm beschriebenen Situation für den desolaten Zustand verantwortlich sind, insofern sie die Pfarrkirche von Corbeil Saint-Denis entzogen haben. Wie die Beschreibung des Sidonius Apollinaris den Leser an die Klagelieder Jeremiae denken lässt157, so evoziert auch Sugers Beschreibung die Vorstellung einer geradezu gottverlassenen Situation, aus der nun das Kirchlein befreit wird. Hervaeus, langjähriger Prior von Saint-Denis und Vertrauter Sugers, und der Subprior von Saint-Martin-des-Champs, Odo von Tourcy158, gehen daran, die Stätte zum Gottesdienst tauglich zu machen. Das von Suger gewählte Wort locellus deutet bereits auf ein Klösterchen, und die Wundererzählungen erwähnen Brüder, die in der Kapelle ihren Dienst versehen159; den eigentlichen Ausbau zu einem Konvent erfährt Notre-Dame-des-Champs jedoch durch Suger, der auch für eine angemessene Ausstattung sorgt160. Suger richtet damit eine Nebenniederlassung ein, die von Saint-Denis abhängig ist; die Gründe für diese Institution verbindet er mit Wundererzählungen, die in Struktur und Inhalt mit der Vita eines bedeutenden Cluniacenser Abtes verwandt sind. Nachfolger des Abtes Odilo wurde im Jahre 1049 Hugo I.161 von Semur. Odilo hatte Hugo schon als jungen Mann, nicht einmal zehn Jahre nach dessen Eintritt ins Kloster, zum Großprior berufen und ihm damit die nach dem Amt des Abtes bedeutendste Aufgabe im Kloster übertragen162. Als Abt entfaltete Hugo Qualitäten, die ihm die Achtung seines Konvents eintrugen und viele Menschen zum Eintritt in

155 adm 110,506-510 156 Sidonius Apollinaris, Epistulae, Ep. VI, PL 58,571 B: Nulla in desolatis cura dioecesibus parochisque. Videas in Ecclesiis aut putres culminum lapsus, aut valvarum cardinibus avulsis, basilicarum aditus hispidomm veprium fruticibus obstructos. Ipsa, prob dolor! videas aumenta, non modo semipatentibus iacere vestibulis, sed etiam herbosa viridantium altarium latera depasci. 157 Lam 1,4 Viae Sion lugent eo quod non sint qui veniant ad sollemnitatem: omnes portae eius destructae; 2,7 Repulit Dominus altare suum, maledixit sanctificationi suae 158 cf. Speer/ Binding (2000), p.301, nt.61.62 159 adm 119,539 ubi fratres inceperunt Te Deum laudamus·, 128,564ss Verum fratres nostri venerandi viri maluerunt sustinere miséricordes eius ingratam presentiam quam immisericordes absentiam 160 adm 132,579-139,598 161 Uber Hugos Familie, seine Jugend und seinen Eintritt in Cluny s. A. Kohnle, Abt Hugo von Cluny (1049-1109). (Beihefte der Francia,32) Sigmaringen 1993, 162 Kohnle, op.cit., hier p.26

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150 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Cluny bewogen. Die "Tendenz zu Größe, Pracht und Feierlichkeit in der Liturgie und im äußeren Rahmen des mönchischen Lebens", die Kohnle in der gesamten Amtszeit Hugos feststellt, forderte von den Mönchen viel Kraft; den damit verbundenen Belastungen stehen jedoch seine persönliche Bescheidenheit, seine Eigenschaften als pater discretus und seine liebevolle Fürsorge für Kranke gegenüber. Bereits elf Jahre nach seinem Tod wurde er heiliggesprochen; in seiner Amtszeit erreichte der Konvent eine Stärke von mehr als 300 Mönchen165, und es entstand Cluny III, die dritte Klosterkirche, "damals die größte Kirche des Abendlandes, größer als Alt-St.Peter in Rom"166. Vier Autoren würdigten Hugo jeweils in einer Vita167; die älteste dieser Lebensbeschreibungen, verfasst von Gilo von Toucy, soll hier kurz betrachtet werden168.

Gilo schickt der Praefatio zur Hugo-Vita noch einen Brief voraus, in dem er die Taten des heiligen Abtes mit dem strahlenden Sonnenlicht vergleicht, das die Blicke an sich zieht: ebenso vertreibe der Glanz der Taten des erhabenen Vaters die Stumpfheit des Herzens169. Sich selbst kennzeichnet Gilo als krankes Schaf, das weitab vom Stall in die Irre geht, wenn nicht der treue Hirt es zurückbringt170 - das Bild eines kranken Schafes verwendet Suger in der Ordinatio in Abwandlung des biblischen Bildes vom verlorenen Schaf171. Dieses Motiv erscheint in der Vita erneut, als Gilo das besondere Erbarmen Hugos mit einem kranken Mönch preist: der Mönch Robert, dessen guter Charakter gelobt wird, ist an Lepra erkrankt; da er mit dieser gefährlichen Erkrankung nicht bei den Brüdern in der Infirmerie liegen darf, richtet ihm Hugo im äußersten Winkel des Krankenreviers ein kleines abgetrenntes Gemach ein, wo Robert in Frieden sterben kann, ohne jedoch völlig ausgegrenzt zu sein. Für dieses barmherzige Verhalten verwendet Gilo nun wieder das Bild des Hirten, der das ermattete Schaf zur Herde zurückbringt - diesmal trägt er es auf den Schultern172. Hier

165 Wollasch, p.149 166 Wollasch, p.168 167 Gilo von Toucy, Hildebert von Lavardin, Hugo von Gournay und Raynald von Vézelay; s. dazu Kohnle, op. cit., p.253-265 168 Gilo, Vita sancii Hugonis Cluniacensis abbatis, ed. A. L'Huillier, Vie de Saint Hugues, abbé de Cluny, 1024-1109, Solesmes 1888; H. E. J. Cowdrey, Two Studies in Cluniac History (1049-1126), in: Studi Gregoriani 11 (1978),p.43-109 169 Epistola Gilonis de vita sancii Hugonis Cluniacensis abbatis, ed L'Huillier, p.574/ Cowdrey p.45: utque trahunt oculos radiantia lumina solis, ita nimio sui splendore nostre mentis hebetudinem tanti patris gesta reverberant. - Dass der Mensch die Stumpfheit des Herzens beim Anblick des wahren Lichtes ablegt, sagt Suger in den Versen für die vergoldeten Türflügel, adm 174,782s. 170 Epistola Gilonis, L'Huillier p.575/ Cowdrey p.46: Ego morbida ovis procul a stabulis aberrans, nisi me piuspastor reducat, cito deficiam. 171 ord 16,69s 172 Gilo, Vita Hugonis, L'Huillier p.604/Cowdrey p.89 Licet superius satis dictum sit de immensa benignitate patris nostri, parum tamen adbuc addamus, ut pareat quod totum se impendebat misericordiis indigentium. Rotberto cuidam honesto fratri et erudito, ac piis commendato moribus, medicus Vitalis Deus lepre morbum immitti consenserat. Hanc ovem lassabundam pastor egregius humeris suis reportavit ad gregem; quoniam ei quem tenere in conventu infirmorum non potuit propter scandalum, fecit propriam domunculam extremo in

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3. Cluny als Bezugsgröße 151

ist genau die Vorstellung entfaltet, mit der Suger in der Ordinatio das Verhalten gegenüber Kranken und Schwachen verbildlicht. Es scheint, dass dort ein unmittelbarer Bezug auf Gilos Hugo-Vita vorliegt: Suger zitiert zunächst die Christus-Worte "Ich war krank, und ihr habt mich besucht", um damit den Rahmen der Werke der Gottgefälligkeit und der Sorge für die Kranken abzustecken. Die besondere Verantwortung der prelati wird unterstrichen mit dem Hinweis auf einen beispielhaften Vertreter, "der das kranke Schaf auf seinen Schultern zur Herde zurückgetragen hat" und dessen Verhalten gründlicher über die Aufgabe derer, die ein Amt bekleiden, belehrt habe173. Die spezielle Anwendung auf die Inhaber von Amtern und das gewählte Tempus machen es wahrscheinlich, dass Suger auf ein konkretes historisches Beispiel, nämlich das des Abtes Hugo von Cluny, das er in Gilos Vita kennengelernt hat, hinweisen will174. Wenn Suger offensichtlich von der Vita des Abtes Hugo beeindruckt war, stellt sich die Frage, ob seinen Schriften Hinweise zu entnehmen sind, wie er eine der berühmtesten Leistungen Hugos, den Bau der dritten Klosterkirche, Cluny III, bewertet. Welche Bedeutung hatte diese riesige Kirche für die Klostergemeinschaft? Während Kohnle175 darin das Selbstbewußtsein des Cluniazensertums unter Abt Hugo symbolisiert sieht, lässt Wollasch diese Einschätzung für Abt Hugo und seinen Biographen nicht gelten: er argumentiert zunächst mit dem Fehlen von Verfügungen über den gewünschten Ort seines Begräbnisses - hätte Hugo den Bau der Kirche für das wichtigste Resultat seiner Amtszeit gehalten, so hätte er sich dort bestatten lassen. In den detailierten Anweisungen zum Jahrgedächtnistag seines Todes findet sich jedoch kein entsprechender Hinweis; statt dessen stiftete er eine Gedächtnismahlzeit für den Tag seines Totengedenkens und ordnete an, dass die Mittel dafür aus Berzé-la-

angulo infirmarle. Ibi frater locatus ex debilitate fortior a Deo vocatus spiritum in pace reddidit, sociandum electorum consortio. 173 ord 16,69s Quodautem adprelatos potissimum spectet enucleatius edocuit, qui ovem morbidam adgregem in humeris reportavit. 174 Dafür spricht auch die Wendung sollicitudo votiva, die er im nächsten Satz gebraucht; "frommer Eifer" kennzeichnet das Handeln des Cluniacenser Abtes Hugo, das Suger als beispielgebend behandelt. Hier ist die in der Ausgabe von Speer/Binding gewählte Ubersetzung von Satz 16 in folgender Weise abzuändern: ".. das hat noch gründlicher derjenige gelehrt, der [einst] ein krankes Schaf auf seinen Schultern zur Herde zurückgetragen hat"- die bisherige Ubersetzung "insofern er ..." erweckte den Eindruck, als wäre das Tragen des kranken Schafes eine weitere Handlung Christi, dessen Wort zuvor zitiert worden war. -Das Erbarmen Hugos zeigt sich besonders darin, dass der Kranke den Konvent nicht verlassen muss; ein schwacher Reflex dieser Haltung mag in Sugers Beschreibung des Wunders an der Wassersüchtigen vorliegen, wenn er betont, dass die Brüder "lieber barmherzig ihre unerwünschte Gegenwart als unbarmherzig ihre Abwesenheit auf sich nehmen" wollten {adm 128,564ss.) - Dass Suger sich speziell an Gilos Vita Hugonis orientiert hat, ist auch deshalb wahrscheinlich, weil Hildebert, der unter den genannten anderen Autoren der Lebensbeschreibungen Hugos wohl der prominenteste ist, die Geschichte des an Lepra erkrankten Robert nicht erwähnt; cf. Hildebert von Lavardin, Vita ¡.Hugonis abbatis Cluniacensis, PL 159,857 D- 894 A; Hildebert akzentuiert stärker die Heiligkeit Hugos, die u.a. aus verschiedenen Heilungswundern deutlich wird (cap.IV, PL 159,873 C-878 A). 175 op.cit.,p.63

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152 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Ville zu nehmen seien, wohin er sich auch häufig zurückgezogen hatte176. Zudem weist Wollasch darauf hin, dass die Kirche vor Hugos Tod noch nicht vollendet und für die Mönche noch lange eine belastende Großbaustelle gewesen sei; auch seien aus dem 12. Jahrhundert, nach Vollendung des Baus, keine lobenden Äußerungen über Größe und Schönheit der Kirche überliefert177. Wichtigstes Argument ist für Wollasch jedoch die Bewertung des Baus, wie sie der schon genannten Vita des Gilo zu entnehmen ist178. Die entsprechende Perikope soll daher hier betrachtet werden. Die Erzählung Gilos weist mehrfach auf das hohe und von Beschwerden gezeichnete Alter des Abtes hin, das er erreicht hat, als er den Neubau der Kirche beginnt179. Gleichzeitig werden die Größe, der imposante Eindruck und der erhabene Rang betont180. Wollasch gelangt so zu der widersprüchlich wirkenden Einschätzung, Gilo lobe eher die erstaunliche Leistung des hochbetagten Abtes als die Schönheit oder Größe der Kirche, dennoch werde der nicht mehr zu steigernde Rang des Bauwerks hervorgehoben181. Wollasch begründet seine Ansicht mit der Schilderung der Vision, in der ein gewisser Gunzo vom hl. Petrus selbst die Weisung erhält, Hugo zum Bau der Kirche anzuspornen und ihm genaue Angaben zum Bau zu übermitteln. Diese Textstelle ist nun zu analysieren. Der erwähnte Gunzo182 ist schwer erkrankt, als ihm der hl. Petrus erscheint und sagt, er solle seinem Herrn Hugo mitteilen, er möge, da er den Konvent vergrößert und Gott eine Kirche dem Geiste nach errichtet habe, nunmehr mit dem Bau einer materiellen Kirche beginnen; er, Petrus, leide darunter, dass seine Herde in einem so engen Schafstall eingezwängt sei. Der Heilige verspricht Gunzo für die Übermittlung dieses Auftrags seine Genesung und sieben weitere Lebensjahre; sollte der Auftrag jedoch nicht ausgeführt werden, werde der Abt dieselbe Krankheit erleiden wie Gunzo. Es folgt die bekannte Textstelle183, die beschreibt, wie Petrus selbst die Vermessung des neuen Kirchengebäudes vornimmt, Maße und Grundriss festlegt und Gunzo auffordert, sich die gezeigten Einzelheiten genau zu merken und sie weiterzugeben184. Als der Eintritt der Genesung die Wahrheit der Vision bestätigt, ist

176 Wollasch, op.cit., p.170 177 Wollasch, p.174 178 Wollasch p,171ss. 17' Gilo, Vita Hugonis, L'Huillier, p.605s./Cowdrey p.90s.: Iam decurso feliciter iuventutis stadio pater sanctissimus sexaginta quinqué annos a nativitate gerens, a susceptione regiminis quadraginta numerabat; atque, ut assolet, gelida senectus labomm immensitate adducta ferventioris robur etatis sensim subtrahebat; ferner heben Wendungen wie consuetas nature leges viritim transgrediens...; cumque propinquaret occasui..; de vita exiturus.. den Kontrast zwischen Hugos Alter und seiner entschlossenen Initiative hervor. 180 Gilo, Vita Hugonis, loc.cit.: ampliora templi fundamenta quam fuerant in Cluniaco tunc locare disposuit; aulam imperialem ... inchoavit; hospitium preparavit ad apostolici culminis dignitatem 181 Wollasch, op.cit., p.171 182 zur Person Gunzos cf. Kohnle, op.cit.,62 183 s. dazu Binding/Linscheid-Burdich, Kap.V: Vermessung, p.112 184 Gilo, Vita Hugonis, L'Huillier p.605s./ Cowdrey p.90s.: Vocabatur ille Gunzo, de abbate factus claustralis & psalmista precipuus, si non infirmitas eum dissolvisset ad extrema pene perductum. Huic apparens superni claviger regni curam legationis iniunxit, ut domino diceret

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3. Cluny als Bezugsgröße 153

Hugo überzeugt und errichtet innerhalb von 20 Jahren eine Kirche, deren kurze Bauzeit selbst bei einem kaiserlichen Bauherrn erstaunlich gewesen wäre. Wie bewertet Gilo, was er hier über Abt Hugo und seinen Bau berichtet? Gilo macht deutlich, dass Hugo dem Druck des hl. Petrus nachgibt und selbst wohl gezögert hätte (Affuit tarnen stimulus, qui eum fortiter pupugit, & assurgere compulit architectum nostrum timide commorantem.); die Vermittlung des Auftrags durch die Vision schmälert Hugos Leistung jedoch nicht185, sondern adelt sie durch den heiligen Auftraggeber186. Der Differenzierung zwischen ecclesia spiritalis und ecclesia materialis entnimmt Wollasch eine Höherbewertung des geistlichen Abbilds der Kirche, zumal Gilo nach dem Bericht über die kurze Bauzeit den Glanz der Bewohner über den der Kirche stellt187: Der Bau der dritten Klosterkirche werde ausschließlich mit deren Aufgabe für die Gemeinschaft begründet188. Dazu ist folgendes kritisch anzumerken: Zwar stellt Gilo den Abt Hugo nicht als ehrgeizigen Bauherrn dar, getrieben von der Absicht, ein möglichst großes Bauwerk zu errichten, sondern würdigt die Entstehung der großen Kirche vor dem Hintergrund der altersbedingten Anstrengung und bindet das Resultat an den Nutzen für den Konvent, wie Wollasch zutreffend aus Gilos weiteren Ausführungen entnimmt189, doch bleibt der Bau eine Tatsache, die Gilo dem heiligmäßigen Abt als in höchsten Maße gottgefällige Handlung anrechnet. Der Begriff der Leistung, den Wollasch in diesem Zusammenhang problematisiert, darf nicht zu sehr in neuzeitlicher Perspektive gefasst werden, insofern der Entschluss zum

Hugoni, quatinus basilicam inciperet, qui congregationem auxerat in numero, & spiritalem Deo ecclesiam dedicaverat, materialem erigerei congregatis. Cumque rei novitate stupidus eger hesitaret, preceptor, cuius latus multitude infulatorum obibat, Petrum se asseruit, qui tarn potenter dictabat agenda; addiditque graviter se ferre pressurant ovium suarum in angusto ilio ovili antiquo; infìrmum vero nuntium prelegisse, ut eo sanato probabile fieret quod referret. Deinde illum in spiritu traducens, ipsemet visus est funículos tenere ac tendere & términos ponere circumscribende quantitati mensurasque comprehendere. Adiecit preterea Septem annos addendos illi seni, si obedientiam impositam fideliter adimpleret; sanctum vero Hugonem, qui non facile movebatur, si dissimularet eandem plagam quam relator evaserat excipere. Monet demum ut attentius redderet quali schemate fabricanda basilica monstraretur. 185 - wie Wollasch es offensichtlich deutet, wenn er argumentiert: "Keineswegs hat Gilo den Bau von "Cluny III" als größte Leistung des Abtes dargestellt. Statt dessen hat er mit einem Traumgesicht [..] den Patron Clunys befehlen lassen.." -186 P. Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers, Darmstadt 1998, p.95, sieht die Mitteilung der Legende motiviert durch die Absicht, möglichen Vorwürfen zuvorzukommen: "hatte man nicht das warnende Beispiel eines besonders bauwütigen Benediktinerabtes vor Augen? Artaud von Vézélay hatte 1106 oder 1107 einen Aufstand provoziert, bei dem er ums Leben kam, als er aus diesem Grund seinen Hörigen überhöhte Abgaben auferlegte." 187 Gilo, Vita Hugonis, L'Huillier, p.606/ Cowdrey, p.91 De qua multum erat quod diceremus, sed magis habitantium nitorem quam habitaculi predicamus. 188 Wollasch, p.172 189 Gilo, Vita Hugonis, L'Huillier, p.606/ Cowdrey p.91: Verumtamen hec fabrica, millenis

fratribus capiendis idonea, milites Christi de quodam carcere educios sui latitudine reficit, & patente chori planicie stationes ordinatas seriatim nova liberiate letificai; quique prius absque remedio, loci strictioris conditione, multis modis sibi importuni videbantur, nunc transpositi ad spatiosa, omni die quasi Pascha celebrantes in Galileam quamdam transierunt.

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154 V. Suger im Verhältnis zu Schriften des Mönchtums

Bau, seine Größe und die Geschwindigkeit seiner Ausführung die Leistung bestimmen und den Ruhm eines Bauherrn bewirken, sondern muss bezogen werden auf das Bemühen, dem Willen des Heiligen zu gehorchen und der Gemeinschaft zu dienen. Unter diesem Aspekt hat Hugo mit dem Bau in der Tat eine höchst bemerkenswerte Leistung vollbracht, die der Biograph oder Hagiograph auch nur deshalb erwähnt. Die Größe des Baus betrachtet Gilo im Hinblick auf das Fassungsvermögen (millenis fratribus capiendis idonea), vor allem aber im Blick auf die verbesserte Möglichkeit, die Liturgie zu entfalten190; diese empfindet er so stark, dass er das Bild der Befreiung aus dem Kerker dafür wählt, um es sogleich durch die Vorstellung der immerwährenden Osterfeier zu überbieten. Die Wendungen aulam imperialem und hospitium.. ad apostolici culminis dignitatem unterstreichen die positive Bewertung der Größe. Vergleicht man die Perikope aus der Vita Hugonis nun mit Aussagen Sugers über seinen Bau, ist als Gemeinsamkeit eben diese positive Bewertung der Größe festzuhalten. Suger spricht ausdrücklich von seiner Absicht, die Kirche durch Schönheit der Länge und Breite zu adeln"1, den Kapellenkranz bezeichnet er als urbanum et approbatum incrementum192, und in der Weiheinschrift von 1144 betont er, dass das opus nobile unter seiner Leitung vergrößert worden sei193. Zugleich fällt auf, dass Suger keinen völligen Neubau vornehmen will, sondern eine Vergrößerung zu schaffen beabsichtigt, bei der alte und neue Teile in harmonischer Verbindung stehen sollen; Hugo dagegen soll neu beginnen (,incipere), die in der Vision geschilderte Vermessung markiert einen Neueinsatz.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass es bei Suger zwei Bedürfnisse gibt, die die Erweiterung notwendig machen: die drangvolle Enge, namentlich an Feiertagen194, und der Wunsch, die Schreine der Heiligen besser zu präsentieren195; in der Vita Hugonis hingegen ist das starke Anwachsen des Konvents der wichtigste Grund für den Bau der größeren Kirche196. Gilo schließt seinen Bericht über den Bau der Kirche mit der zusammenfassenden Feststellung, so habe Hugo durch äußere Mauern wie durch inneren Aufbau Cluny in einen besseren Zustand versetzt (Sic Cluniacum renovavit in omnibus pastor inclytus tarn muris exterioribus quam structuris interioribus, ofßcinas adiacentes melioravit) -damit begreift er den Bau als eine Seite der Verbesserung; auf diese Weise sei aus der Herde diejenige geworden, die der Herr anspreche mit den Worten: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde.." (Lc 12,32). Dieses Bibelzitat lässt Suger anklingen, als er die kleine Schar am Steinbruch bei Pontoise als grexpusillus bezeichnet197.

1,0 & patente chori planicie stationes ordinatas seriatim nova liberiate letificai; ähnlich äußert sich Hildebert über die Kirche, die er als quoddam deambulatorium .. angelorum bezeichnet (PL 159,885 A): In hac velut educios de carcere monachos, refovet libera quaedam planities.. 191 cons 47,287s longitudinis et latitudims pulcritudine [..] nobilitare 192 cons 49,300 195 adm 181,819ss claret opus / nobile, quod constat auctum sub tempore nostro, / qui Sugerus eram, me duce dum fieret. 194 cons 10-13 195 cons 48 1% cf. Kohnle, op. cit., p.61 197 cons 27,180

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3. Cluny als Bezugsgröße 155

Die Differenzierung zwischen geistlichem und materiellem Bauen, die Gilo vornimmt196, findet sich auch bei Suger, zuerst in De consecratione beim Baubeginn im Westen. Suger spricht über die materielle wie geistliche Qualität des Fundaments; die geistliche Qualität besteht in seinem Vertrauen auf Gottes Ratschluss"7, dem festen Material, das ebenso benötigt wird, wendet er sich gleich darauf zu: es handelt sich um den Steinbruch bei Pontoise, in dem die "kleine Herde" später beherzt den schweren Säulenschaft bergen wird198. Ein zweites Mal erwähnt Suger die Differenzierung zwischen geistlichem und materiellem Bauen, als er über die Symbolbedeutung der Säulen spricht. Die Perikope aus dem Epheserbrief, die die Apostel und Propheten als Fundament, Christus aber als den Eckstein deutet199, zitiert er zur Erläuterung200; dabei spiritualisiert er den Bauvorgang, indem er die biblische Wendung omnis edificado mit dem kommentierenden Zusatz sive spiritualis sive materialis versieht und sodann ausführt: in quo [sc. Christo lesti] et nos quanto altius, quanto aptius materialiter edificare instamus, tanto per nos ipsos spiritualiter coedificari in habitaculum dei in Spiritu sancto edocemur. Der Umgang mit der Differenzierung zwischen materialis und spiritualis edificado erscheint hier gegenüber der Vita Hugonis vollkommen anders: In der dort geschilderten Vision lässt Gilo den hl. Petrus sagen, Hugo habe ja bereits durch das Versammeln der großen Mönchschar eine geistliche Kirche errichtet, nun solle er für die Versammelten auch eine materielle bauen. Der Bau wird materiell aufgefasst, er ist notwendig geworden, weil das Errichten der ecclesia spiritualis so viele Menschen nach Cluny geführt hat. Der Bau von Cluny III, der den Konvent über zwei Jahrzehnte hohen Belastungen aussetzte, wird auf diese Weise gerechtfertigt durch die dank der geistlichen Anziehungskraft gestiegene Zahl der Mönche. In Sugers Deutung dagegen wird der materielle Bauvorgang, wenn er in der rechten Absicht und im Vertrauen auf Gott geschieht, zu einem geistlichen.

196 L'Huillier, p.605/ Cowdrey p.90 qui congregationem auxerat in numero & spiritalem Deo ecclesiam dedicaverat, materialem erigerei congregatis 197 cons 16,118 rubusto valde fundamento materiali, robustissimo autem spirituali [..] Deo cooperante incepimus, cuius inestimabili freti Consilio et irrefragabili auxilio usque adeo in tanto tamque sumptuoso opere profecimus.. 198 cons 28 199 Eph 2,19-22; cf. G . Binding, Sapiens architectus,p.315 ss. 200 cons 58,353 iuxta apostolum spiritualiter edificantem

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