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Leseprobe Hanske, Paul-Philipp / Sarreiter, Benedikt Neues von der anderen Seite Die Wiederentdeckung des Psychedelischen © Suhrkamp Verlag edition suhrkamp 978-3-518-07121-2 Suhrkamp Verlag

Suhrkamp · PDF fileWort und Tat – Ayahuasca im religiösen Kontext . . 160 »Dubist,aberwasbistdu?«–Berichteines31-jährigen Wirtschaftsingenieurs, der

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Leseprobe

Hanske, Paul-Philipp / Sarreiter, Benedikt

Neues von der anderen Seite

Die Wiederentdeckung des Psychedelischen

© Suhrkamp Verlag

edition suhrkamp

978-3-518-07121-2

Suhrkamp Verlag

SV

Sonderdruckedition suhrkamp

Ende der siebziger Jahre zeigte sich Albert Hofmann schwerenttäuscht vom Schicksal der von ihm entdeckten »Wunderdro-ge«: LSD – mein Sorgenkind lautete der Titel des damals erschie-nenen Erinnerungsbuchs. Hatte man die Substanz noch in densechziger Jahren als Königsweg zur Erkundung der Psyche ge-feiert, folgte bald der Rückschlag: Halluzinogene wurden flä-chendeckend verboten, ein Effekt des »War on Drugs«.

Heute scheint das Tabu zu bröckeln: Weltweit wird über dieLegalisierung von Marihuana diskutiert; junge Menschen pil-gern an den Amazonas, um sich mit Ayahuasca auf Jenseitsreisezu begeben; Mediziner erforschen das therapeutische Potenzialvon MDMA oder der Pilzdroge Psilocybin; selbst im Main-stream-Kino wird an den Pforten der Wahrnehmung gerüttelt.

Die Autoren beleuchten die Renaissance des Psychedelischenaus unterschiedlichen Perspektiven, sprechen mit Hirnforschern,Usern und Juristen. Sie befassen sich mit dem Menschheitsthe-ma Rausch und erklären, warum ihm kein Verbot einen Riegelvorschieben wird.

Paul-Philipp Hanske, geboren 1975, lebt als Journalist und Au-tor in München. Er schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung,Neon und Geo.

Benedikt Sarreiter, geboren 1976, lebt als Journalist und Autorin München. Er schreibt u. a. für das Magazin der SüddeutschenZeitung, Neon und Wired.

Paul-Philipp Hanske / Benedikt Sarreiter

Neues von der anderen SeiteDie Wiederentdeckung

des Psychedelischen

Suhrkamp

Erste Auflage 2015© Suhrkamp Verlag Berlin 2015

OriginalausgabeAlle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil desWerkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,

vervielfältigt oder verbreitet werden.Umschlagabbildung: Ciborium emesis, Acryl auf Leinwand,

60 cm × 80 cm, 2008, © James RoperSatz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Druck: Druckhaus Nomos, SinzheimUmschlag gestaltet nach einem Konzept

vonWilly Fleckhaus: Rolf StaudtPrinted in Germany

ISBN 978-3-518-07121-2

Inhalt

Warum wir über Drogen reden müssen . . . . . . . . . . 11

Zeit für gute Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Ein aussichtsloser Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Der reine Rausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Eine Geschichte mit Unterbrechung . . . . . . . . . . . 16

Was wirkt? Von kalten Kräutern und partiellenSerotonin-Agonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Eine stinkende Salbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Chemischer Wahnsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21Serotonin und andere Rätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . 23Schaufenster ins Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Welche Realität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

»Aus einem ontologischen Schlaf erwacht« – Eine kurzeGeschichte der Psychedelika in den 1950er und 1960erJahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Dubiose Pilze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34»Man lernt zu sterben auf LSD« – Wiedergeburt inHollywood . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Psychedelische Kriegsführung – LSD als Waffe . . . . 47Und alles wurde grün – Das Edgewood Arsenal . . . 49»Wie Menschen jederzeit verrückt gemacht werdenkönnen« – MK Ultra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53»Sie sind für die Gesellschaft und für sich verloren« –Die Gegenkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Vertrauen in Kapseln – MDMA . . . . . . . . . . . . . . . . 80

Rachels Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80Aus dem Behandlungszimmer auf die Straße . . . . . . 82Gegen die Prohibition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Eine neue Epidemie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Das Hirn neu verkabeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91Der Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Jede Stunde einer – Das Veteranen-Problem . . . . . . 104»Sie lehrten uns töten, nicht leben« – Bericht eines38-jährigen Ex-Soldaten über seine Erfahrungen mitMDMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104Gefühle lesen lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110Jenseits der Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Ein anderer Übergang – Sterben mit LSD undPsilocybin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Himmel, Moksha, Nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115»Geh, geh, lass los, Liebling« . . . . . . . . . . . . . . . . . 117Urlaub von sich selbst – LSD in der Palliativmedizin 119Der hängenden Nadel einen Schubs geben . . . . . . . 123Interview mit dem Psychiater Peter Gasser . . . . . . 128

Das kosmische Bewusstsein – Die vielen Dimensionenvon Ayahuasca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Die lebensverändernde psychedelische Erfahrungals Trend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137Zwei Dimensionen, eine Welt . . . . . . . . . . . . . . . . 140Die Suche nach den Wirkstoffen . . . . . . . . . . . . . . 144»Also was machen wir mit dem jetzt, soll ich denumbringen?« – Erfahrung eines 32-jährigen Autors . 151Die kosmische Intelligenz und das alte Ägypten –Phänomene unter dem Einfluss von Ayahuasca . . . . 157

Wort und Tat – Ayahuasca im religiösen Kontext . . 160»Du bist, aber was bist du?« – Bericht eines 31-jährigenWirtschaftsingenieurs, der schon mehrere Male anSitzungen der União do Vegetal teilgenommen hat . 162Rausch gegen Sucht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171Interview mit dem Suchtmediziner Gabor Maté . . . 173Iboga – Das Gedächtnis-Theater . . . . . . . . . . . . . . 182

Auf der Suche – Psychedelika im Freizeitkonsum . . . 184

»Alle kennen sich aus« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184»Etwas tritt ein« – Erfahrungen eines 41-jährigenDozenten mit LSD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190Die psychedelischen Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . 198»Es hört nicht mehr auf« – Erfahrungeneines 35-jährigen Journalisten mit einem Bad Trip . . 205»Unterwirf dich dem Prozess!« – professionelleHilfe, wenn die Spirale abwärtsgeht . . . . . . . . . . . . 210

Light Drogen, Horrordrogen, komische Drogen – neuepsychedelische Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Ein blaues Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215Der blinde Fleck des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 216Dr. W.s Labor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221Räuchermischungen, Badesalze,»Forschungschemikalien« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223»Elektronisches Cannabis« – Erfahrungen eines25-jährigen Studenten mit Spice . . . . . . . . . . . . . . . 223LSD light? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226»Wie chemischer Kurzurlaub« – Erfahrungen eines31-jährigen Grafikers mit N-Bomb . . . . . . . . . . . . 227Die dunkle Seite der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 229Eine chemische Liebesgeschichte: AlexanderShulgin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Terra incognita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241»Die beiden Tütchen« – Erfahrungen eines 35-jährigenComputerspielentwicklers mit legal highs . . . . . . . . 241

How to put the High into High Potentials –Psychedelika im Silicon Valley . . . . . . . . . . . . . . . . 248

»Hoffentlich macht er unsere besten Leutenicht verrückt« – Problemlösung in den 60erJahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248»… keine bahnbrechenden Offenbarungen« – WarumLSD nicht zwingend zum Nobelpreis führt, manchmalaber doch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253»Wie ein Knall, Momente absoluter Klarheit« –Psychedelika und die transhumane Zukunft . . . . . . 259Die Mensch-Maschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261»Wenn es draußen nichts mehr zu entdecken gibt,geht die Forschungsreise nach innen.« – Erfahrungeines 36-jährigen psychedelisch interessiertenSilicon Valley-Bewohners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

What a long strange trip it’s been: PsychedelischeMusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Haschischschwaden in der Oper . . . . . . . . . . . . . . 270Ekstase tanzen, Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271Kosmische Kuriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275Ekstase tanzen, Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278Altes Brummen, neues Kreischen . . . . . . . . . . . . . 281Acid Rap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2831965, 1985, 2015? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Jenseits der Wellen und Schlieren: Psychedelik undKunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Schlüssel zum Unbewussten? . . . . . . . . . . . . . . . . 288Rausch vs. Genie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289Das Konzept Bewusstseinsveränderung . . . . . . . . . 291Kakteen und Schlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

Das zersplitterte Selbst – Psychedelische Filme . . . . . 298

Kaleidoskope und seltsame Zooms . . . . . . . . . . . . 298Psychedelischer Okkultismus . . . . . . . . . . . . . . . . 301Der Rausch als Bildgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303Sehnsucht nach der anderen Seite . . . . . . . . . . . . . . 305

Nach dem Tabu – die psychedelische Renaissance undwie es weitergehen könnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Ein zahmer Rausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308Die andere Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312Institutionen des Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316Eine Tür – aber für wen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Warum wir über Drogenreden müssen

You’re an antenna,sending your pattern out

across a million lives at night,and they’re your lives too.

Thomas Pynchon

Zeit für gute Nachrichten

Kaum jemand kennt heute noch Bill Hicks, was eine Schan-de ist. Legte dieser US-Stand-Up-Comedian doch schonvor mehr als zwanzig Jahren so kompromisslos wie kaumjemand vor oder nach ihm die Abgründe von Politik, Ge-sellschaft, Popindustrie und nicht zuletzt auch seine eige-nen frei. Sein Einfluss auf heutige Comedy-Stars wie LouisCK oder Ricky Gervais ist unübersehbar. Doch seine Schär-fe erreichen sie nicht. Hicks’ Tiraden konnten jeden ereilen,vom Schmusesänger bis zum Abtreibungsgegner. Vor allemaber zielten sie auf die Widersprüche der Drogenprohibi-tion. Einer seiner bis heute meistzitierten Jokes stammtaus dem Programm »Sane Man« (1989) und handelt vonder stereotypen Berichterstattung über LSD. Hicks wun-dert sich, wieso in den Medien immer nur die gleiche Ge-schichte erzählt wird: »Mann springt auf LSD aus demFenster und stirbt!« Hicks’ Kommentar: Was für ein Trot-tel! Würde man nicht, wenn man wirklich dächte, man kön-ne fliegen, eher vom Boden starten? Und weiter: »Wie wärees mal mit einer positiven LSD-Geschichte? Mal auf Grundvon Informationen urteilen anstatt von Angstmacherei,Aberglauben und Lügen? Wäre nicht so was mal berichtens-wert: ›Heute erkannte ein Mann auf Acid, dass MaterieEnergie ist, die zu einem langsamen Vibrieren verdichtetwurde; dass wir alle ein gemeinsames Bewusstsein haben,das sich selbst subjektiv erlebt; dass es den Tod nicht gibt

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und wir nur eine Einbildung von uns selbst sind.‹ Und jetzt:Tom mit dem Wetter…«

Hicks starb 1994 mit 32 Jahren an Bauchspeicheldrüsen-krebs. Würde er heute wieder auferstehen, er wäre über-rascht, wie nah die Wirklichkeit an seine Vision herange-rückt ist. Denn seit etwa zehn Jahren zeichnet sich immerdeutlicher eine Tendenz ab, die man als psychedelische Re-naissance bezeichnen könnte. Weltweit werden zahlreicheStudien durchgeführt, die den Nutzen psychedelischer Sub-stanzen belegen. MDMA wird gegen Posttraumatische Be-lastungsstörungen eingesetzt, die Todesangst sterbenskran-ker Patienten wird mit Psilocybin oder LSD behandelt,DMT ist ein hochwirksames Arzneimittel der Suchtthera-pie. Daneben gibt es einen regelrechten Boom spirituellerPraktiken, bei denen psychedelische Substanzen zum Ein-satz kommen. Und all das wird flankiert von einer Medien-berichterstattung, die – anders als früher – überraschendwohlwollend ist. So utopisch Hicks’ fiktiver Fernsehbeitragvor zweieinhalb Jahrzehnten schien, heute kann man ähn-liche Berichte regelmäßig auch in etablierten Medien finden.

Ein aussichtsloser Krieg

Bei all den freundlichen Stimmen über den Nutzen psyche-delischer Substanzen darf man freilich nicht vergessen, dassLSD, Psilocybin, DMTund MDMAweiterhin verboten sindund ihr Verkauf und Gebrauch außerhalb streng reglemen-tierter klinischer Versuchsreihen drakonisch bestraft wird.Dabei ist offensichtlich, dass der War On Drugs, den Ri-chard Nixon Anfang der 1970er Jahre ausrief und den dieUSA mit Hilfe der Vereinten Nationen über die ganze Weltverbreiteten, verloren ist. Das sehen nicht nur liberale Dro-genexperten so, auch 82 Prozent der US-amerikanischenBevölkerung und sogar hohe US-Generäle sind inzwischenüberzeugt, dass Drogenkonsum und -handel nicht mit Ge-walt zu stoppen sind. Selbst in der Exekutive denkt man

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um. In einem Interview äußert sich André Schulz, der Vor-sitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, jüngstkritisch über die unsinnige Praxis, User zu kriminalisierenund damit ein Leben lang zu stigmatisieren. Und dannspricht er, der Polizist, sich dafür aus, auch in Deutschlandendlich eine Debatte über eine Entkriminalisierung desKonsums weicher Drogen zu führen.

Seit jeher ist derRauscheinMenschheitsthema:Wirmöch-ten mit verschiedenen Bewusstseinszuständen spielen, un-sere Wahrnehmung manipulieren, für einige Momente ent-hemmter, offener, mutiger, inspirierter, lustiger, stärker,sensibler, erleuchteter oder einfach nur irrationaler sein.Diesen Drang hemmt kein Verbot. Und trotzdem wieder-holt sich seit etwa einem Jahrhundert ein Muster, dessen fa-tale Dynamik schon bei der Prohibition von Alkohol in denUSA zu beobachten war – und das im Zuge des Kampfesgegen Heroin, Kokain, Marihuana und Psychedelika globalausgeweitet wurde. Der War On Drugs fördert die Etablie-rung krimineller Strukturen und eröffnet der Mafia lukra-tive Geschäftsfelder. Der Substanzgebrauch geht dabei inkeiner Weise zurück, er wird bloß »schmuddeliger« undobjektiv gefährlicher. Der gepanschte Alkohol von einst istdas mit Bleipulver beschwerte Marihuana von heute. Oderes sind brandneue, im Zweifelsfall noch unverbotene psy-choaktive Substanzen, von denen aktuell sicher das größteRisiko für User ausgeht.

Die Wurzeln des Anti-Drogen-Krieges und der damiteinhergehenden Hysterisierung des Mainstream-Diskursesreichen bis weit vor Nixons Phantasma einer drogenfreien,nüchternen Welt zurück. In den 1930er Jahren startete Har-ry Anslinger – der Leiter des amerikanischen »Federal Bu-reau of Narcotics«, Vorläufer der »Drug Enforcement Ad-ministration« (DEA) – eine Kampagne gegen Marihuana.Das Kraut, das vor allem von der afroamerikanischen undmexikanischen Minderheit konsumiert wurde und heutein den USA, Uruguay, Portugal und etlichen anderen Län-dern schrittweise legalisiert oder zumindest entkriminali-

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siert wird, wurde als Killerdroge verunglimpft, die Leutein den Wahnsinn triebe. Mit Erfolg. Der Besitz von Mari-huana wurde landesweit verboten und sehr hart bestraft,obwohl es schon damals von den meisten Ärzten und For-schern als relativ harmlos eingestuft wurde. Doch Anslin-gers Behörde brauchte nach der Aufhebung des Alkohol-verbots dringend eine neue Aufgabe, drohten doch sonstKürzungen. Und war der Kampf für eine nüchterne Weltnicht auch ein hehres Unterfangen? Anslingers Paranoiavor einer Gesellschaft der Süchtigen, die in den von purita-nischen Werten geprägten USA begierig aufgegriffen wur-de, bildete die Keimzelle der Drogenpolitik, wie wir sieheute kennen.

Vor diesem Feldzug hatte es einmal einen anderen, weit-aus vernünftigeren Umgang mit Drogen gegeben. Morphinwar Bestandteil vieler Hustensäfte und Stimmungsaufhel-ler, die in Apotheken frei verkauft wurden, Kokain wurdein Softdrinks gemischt. Es gab sogar einen mit Koka ver-setzten Wein, den Vin Mariani, dem die Päpste Leo XIII.und Pius X. ebenso frönten wie die gestrenge Queen Victo-ria. Gleich den meisten ihrer Zeitgenossen konnten sie denGebrauch von derartigen Medikamenten und Genussmit-teln in unbedenklichem Rahmen halten, als unschuldige Be-reicherung eines Lebensvollzugs, der sonst in keiner Weisevom Substanzgebrauch geprägt oder gar definiert war. Na-türlich wurden auch damals schon manche Menschen vonden Wässerchen, Sirups und Tränken abhängig, so wievon Alkohol bis heute. Die Ärzte behandelten sie als Kran-ke. Mit der Politik Anslingers änderte sich das jedoch. DenÄrzten wurde nun verboten, ihren Suchtpatienten die Sub-stanzenweiter kontrolliert zu verabreichen. Für die Abhän-gigen war das eine Katastrophe. Konnten sie zuvor mitärztlicher Hilfe weiter ihren Beruf ausüben und einen nor-malen Alltag bestreiten, mussten sie nun zu dubiosen Dea-lern und bezahlten horrende Preise für gestreckte und nichtselten toxische Ware. Unversehens waren aus Zu-Behan-delnden Zu-Bestrafende geworden.

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Der reine Rausch

Wir wollen jedoch im Folgenden nicht über Kokain undHeroin berichten, auch nicht über der Medien liebste »Hor-rordroge« Methamphetamin,und selbst über Cannabis, dasdie aktuellen Legalisierungsdebatten dominiert, bloß amRande. Was uns interessiert, ist speziell der psychedelischeRausch. Der Ausdruck »Psychedelik« geht zurück auf denbritischen Psychiater Humphry Osmund. Dieser prägteihn in einem Briefwechsel mit dem Schriftsteller und Phi-losophen Aldous Huxley, von dem wir ebenfalls noch ei-niges hören werden. Wörtlich übersetzt heißt »psychede-lisch« soviel wie »die Psyche offenbarend«. Die klassischenpsychedelischen Substanzen sind das 1943 von Albert Hof-mann entdeckte LSD, ferner die Pilzdroge Psilocybin oderMeskalin, das etwa im Peyote-Kaktus vorkommt. Auch dasals Hauptwirkstoff von Ecstasy bekannte MDMA ist einepsychedelische Substanz, ebenso das Narkotikum Keta-min oder Alkaloide aus Nachtschattengewächsen. Darüberhinaus aber gibt es seit einigen Jahren eine wahre Flut anganz unklassischen, teils im Wochenrhythmus evolvieren-den psychedelischen Substanzen, die so kryptische Namentragen wie 25I-NBOMe.

Alle Räusche eröffnen eine Gegenwelt zum Alltag mitseinen festen Regeln, gewähren Urlaub vom starren und de-terminierten Ich. In diesem Sinne kann man die psychede-lische Erfahrung als reinste Form des Rausches begreifen,konfrontiert sie einen doch entschiedener als jede anderemit einer fremden Realität. Das kann bis zur vollständigenAuflösung des Ich-Gefühls gehen, was dann entweder alsbeglückendes Aufgehen im All-Einen oder als Absturz inden Wahn erlebt werden kann. So oder so jedoch ist derpsychedelische Rausch kulturbildend. Er steht am Beginnzahlreicher Gründungsmythen indigener Gesellschaftenund hat – auch im Abendland und in der westlichen Mo-derne – ästhetische und philosophische Eigenwelten ausge-bildet. Über den Kokain- und Amphetaminrausch, der ein-

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fach eine Steigerung bekannter Vitalfunktionen und Poten-zen bewirkt, lässt sich wenig Bemerkenswertes berichten(eher von den Folgen). Ebenso auch über Opiate, sofernsie einen bloß einlullen und mit der Welt versöhnen. Derpsychedelische Rausch dagegen ist grell und dunkel, erha-ben und unheimlich, er ist von Mal zu Mal anders, anstren-gend und erhellend. Kurz: Er war und bleibt ein Abenteuer.Und er lässt sich nutzbar machen.

Eine Geschichte mit Unterbrechung

Bis in die 1960er Jahre wurde LSD in der Psychotherapieoder zur Minderung des Suchtdrucks bei Alkoholabhän-gigkeit eingesetzt. Dann verließ die Substanz die Therapie-zimmer undbefeuerte diePartys wie die innerenForschungs-reisen der Hippies. Der psychedelische Hedonismus derGegenkultur verstörte das Establishment. Das reagierteauf das Unbekannte mit Verbot und Bestrafung. Seit 1966ist LSD in den USA illegal, seit 1971 auch in Deutschlandund dem Rest der Welt. Und mit LSD wanderten viele an-dere psychotrope Stoffe auf die schwarze Liste. Herstel-lung, Vertrieb und Gebrauch werden mit ähnlicher Härtebestraft wie bei Heroin oder Kokain. Und das, obwohl eszu diesen Stoffen in jeder Hinsicht substantielle Unter-schiede gibt – nicht bloß in der Wirkung. In den letzten Jah-ren wurden immer wieder Studien veröffentlicht, die dieSchädlichkeit der gängigen Rauschsubstanzen untersuch-ten. Auf den ersten Plätzen landeten immer Heroin, Alko-hol, Kokain und Nikotin, auf den hinteren MDMA, Psilo-cybin und LSD. Psychedelische Substanzen machen nichtsüchtig, sie prägen höchstens Toleranzen aus, ernsthaftekörperliche Schäden sind nicht bekannt. Auch eignen sie sichnicht zur touristischen oder habituellen Realitätsflucht –was nicht heißt, dass sie deshalb immer ungefährlich wären.Doch scheint es überfällig, diese Gefahren auf der Basisneuerer Erkenntnisse realistisch einzugrenzen und so eine

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sachliche Diskussion über den potentiellen Nutzen und diepotentiellen Schäden psychedelischer Erfahrungen zu er-möglichen. Nicht zuletzt dies soll Gegenstand und Ziel un-seres Buches sein.

Seit ein paar Jahren versuchen Wissenschaftler, Aktivistenund Künstler den Schleier aus Fehlinformationen und Res-sentiments zu lüften, der die realen Charakteristika undPotentiale von Psychedelika verdeckt. Sie greifen auf dieGrundlagen zurück, die in den 1950er und -60er Jahren ge-schaffen wurden, und setzen die Arbeit fort, die durch dieProhibition unterbrochen wurde. Genauso halten Psyche-delika wieder Einzug in Musik, Kunst und Film. Zwar wa-ren sie in diesen Feldern nie völlig verschwunden, doch soexplizit wie heute wurde die psychedelische Kultur seitihren Anfängen vor 50 Jahren nicht mehr gefeiert. Im Sili-con Valley nehmen Tech-Nerds LSD und DMT, Europäerfliegen nach Peru,um in Ayahuasca-Zeremonien die Selbst-transzendenz zu erfahren, und die Psychonauten der Ge-genwart bestellen sich im Internet neu entworfene Substan-zen. Dies alles sind Anzeichen für eine Wiederentdeckungdes Psychedelischen. Es wird Zeit, einen anderen Blick aufdiese Substanzen zu etablieren, einen vorurteilsfreien, ohneAngstmacherei und die alten Mechanismen der Dämonisie-rung, kurzum: einen Blick,wie schon Bill Hicks ihn damalsforderte.

Für dieses Buch haben wir Therapeuten, Psychologen undHirnforscher besucht, die mit psychedelischen Substanzenarbeiten, und lassen sie ausführlich zu Wort kommen. Wiruntersuchen die Mechanismen des Rausches, berichten überdie Geschichte und die neuesten Entwicklungen der psy-chedelischen Forschung. Wir erkunden die unübersicht-liche Schattenwelt der neuen psychedelischen Substanzen,führen in die spirituell-psychedelische Bewegung ein undbeschreiben den Zusammenhang von Psychedelika und In-formationstechnologie. Wir begegnen Psychedelia in Kunst,

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Pop und Kino und fragen, wieso es eigentlich gerade jetztzur psychedelischen Renaissance kommt. Vor allem aberversuchen wir den psychedelischen Rausch von innen zuzeigen, indem wir User sprechen lassen: Trauma-Opfer,die mit MDMA geheilt wurden, LSD-Konsumenten, diekünstliche Paradiese durchwanderten, und solche, die sichzitternd vor Angst in der Ecke zusammenrollten; spirituellerleuchtete Ayahuasca-Trinker und Neuro-Hipster aus demSilicon Valley, die die psychedelische Erfahrung nutzen,um Neuland zu betreten. Bis auf wenige Ausnahmen blei-ben die User anonym. Das geschieht nicht aus Scham, dennalle, die wir trafen, stehen zu ihrem Konsum. Aber noch istviel, von dem wir hier berichten, illegal. Und wer will schoneine Exekutive wecken, die teils umso unverhältnismäßigeragiert, je stärker sie im Stillen an ihrem Auftrag zweifelt?

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Was wirkt? Von kalten Kräuternund partiellen Serotonin-Agonisten

Eine stinkende Salbe

Im Jahr 1545 erhielt Andrés Laguna, Leibarzt des PapstesJulius III., Kunde von einem Ehepaar, das der Hexerei be-schuldigt wurde. Der frühneuzeitliche Hexenwahn, demunzählige Frauen und Männer zum Opfer fallen sollten,griff gerade um sich, doch der von den Ideen des Humanis-mus beeinflusste Laguna stand den Schreckensberichtenvon nächtlichen Hexenritten und Teufelsorgien skeptischgegenüber. Er interessierte sich für den Fall und kam in Be-sitz einer grünen Salbe, die man bei dem verdächtigen Ehe-paar gefunden hatte. Als vorsichtiger Wissenschaftler pro-bierte er das »übelriechende Gemisch« nicht selbst aus,sondern rieb stattdessen lieber erst einmal die Frau desHenkers von Metz damit ein (die näheren Umstände desVersuchs sind leider nicht bekannt). Diese fiel schnell inein Delirium, und als sie nach 36 Stunden wieder zu sichkam, berichtete sie die vertraute Geschichte vom Stelldich-ein mit dem Teufel – obwohl sie nachweislich das Bett nichtverlassen hatte. Der Gedanke, dass die Erlebnisse der Hen-kersgattin nicht real, sondern Halluzinationen waren, dievon einer Substanz in der Salbe ausgelöst wurden, war nochnicht konsensfähig. Zwar wurden Nachtschattengewächsewie Stechapfel und Tollkirsche von den Inquisitionsbehör-den immer wieder mit der Hexerei in Verbindung gebracht,jedoch nicht aufgrund von Inhaltsstoffen, sondern weil die-se giftigen Pflanzen, wie der schwarze Hahn, als Insigniendes Teufels galten. Laguna berief sich bei seiner Einschät-zung des Falls auf den spätantiken Arzt Dioskurides. Derbeschrieb in seiner materia medica die Wirkung verschie-dener psychotroper Pflanzen. Die bewusstseinsverändern-den Eigenschaften dieser Drogen lägen, so Dioskurides, in

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der »Kälte«, die sie hervorriefen. Die sinnliche Wahrneh-mung, also die sichere Verbindung zur Welt, würde dadurchgedämpft, was zunächst zu angenehmen Effekten, in höhe-ren Dosierungen aber zum Tode führe. Mehr als mit Dios-kures zu vermuten, dass »kalte Kräuter«, vermutlich Bilsen-kraut, Stechapfel oder Tollkirsche, in Verbindung mit einervulgären Phantasie für die Zustände der Henkersgattin ver-antwortlich seien, konnte de Laguna freilich nicht. Sein ex-perimentelles Vorgehen jedoch, vor allem aber sein Drang,nach dem Substrat der Sinnestäuschung zu suchen, weisenschon eindeutig in Richtung eines modernen Umgangs mitdem Rausch.

Die Erkundung des Rausches, vor allem die Erforschungvon veränderten Bewusstseinszuständen und Halluzina-tionen, ist eng verbunden mit der Entwicklung der moder-nen Humanwissenschaften. Seit Psychologen, Medizinerund Neurowissenschaftler sich über das Bewusstsein, überdie Funktionsweise der Nerven und des Gehirns Gedan-ken machen, interessieren sie sich auch für den Rausch alsAbweichung von der Normalität. Lange Zeit konnten siedabei nur rein deskriptiv vorgehen und die verschiedenenRauscharten in ihren emotionalen und kognitiven Aspek-ten vergleichen. Die erste wissenschaftliche Monographieüber Rauschzustände erschien 1762 unter dem Titel Inebri-antia. Autor war der schwedische Universalgelehrte Carlvon Linné, der sich vor allem als Botaniker einen Namenmachte und dessen binäres System die Grundlage der mo-dernen botanischen und zoologischen Taxinomie ist. Linnémerkte an, dass es »keine Nation ohne Rauschmittel« gebe,systematisierte alle ihm bekannten Drogenpflanzen (nebenden Nachtschattengewächsen, Hanf und Schlafmohn auchso exotische wie die syrische Steppenraute, deren Alkaloi-de dieselben sind wie ein Bestandteil des amazonischenAyahuasca), bemerkte, dass die meisten Drogen einen bitte-ren Geschmack hätten, und gab überdies freimütig zu, dassauch er für die Wirkmechanismen der psychotropen Sub-stanzen keine befriedigende Erklärung habe.

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