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230 Seiten, Paperback ISBN: 978-3-406-57741-3 Unverkäufliche Leseprobe © Verlag C.H.Beck oHG, München Susanna Partsch Sternstunden der Kunst Von Nofretete bis Andy Warhol

Susanna Partsch Sternstunden der Kunst Von Nofretete bis ......ne rn. Im fol gen d en ab er geh t es um St ern stund en de r Ku nst sch lechthin. Und da stellt sich die Fr age , we

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230 Seiten, Paperback ISBN: 978-3-406-57741-3

Unverkäufliche Leseprobe

© Verlag C.H.Beck oHG, München

Susanna Partsch Sternstunden der Kunst Von Nofretete bis Andy Warhol

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Vorwort

Ein Kind muß mit seiner Mutter ins Museum gehen: durch zahl-lose Räume laufen, in denen Bilder hängen; überall knarrendeHolzfußböden, die nach Bohnerwachs riechen. «Schöne Hol-beins», hat die Mutter gesagt. Damit kann das Kind überhauptnichts anfangen.

Doch dann sieht es ein Bild, ein sehr großes Bild. Ein Mann liegtda auf der Erde. Er wird festgehalten, angekettet, dann stößt ihmein anderer auch noch einen Dolch direkt in ein Auge. Eine schöneFrau läuft davon. In der einen Hand hält sie eine Schere, in der an-deren ein Büschel Haare.

Das Kind ist fasziniert. Setzt sich auf ein Sofa, das dem Bild di-rekt gegenübersteht. Und denkt sich Geschichten aus. Stellt sichFragen. Es interessiert sich nicht für den Maler. Rembrandt heißter, hat die Mutter gesagt. Es interessiert sich auch nicht dafür, wasdas für eine Geschichte ist, die der Maler dargestellt hat, warumman diesem Mann Simson die Augen aussticht. Es sieht denSchmerz und das spritzende Blut, Gewalt und Qual. Und diePhantasie überschlägt sich.

Das Kind war ich. An die «schönen Holbeins» erinnere ich michdunkel. Ich fand sie entsetzlich langweilig. Lauter Gesichter.Nichts war los auf diesen Bildern. Vor allem aber weiß ich, wie ichdamals auf diesem Sofa saß, das vielleicht nur eine Bank war, unddas Bild ansah, das in meiner Erinnerung viel blutrünstiger war alsin Wirklichkeit. Mit der Zeit wurde der Dolch, mit dem Simsongeblendet wird, zu einem riesigen Holzpfahl, wurde der Schmerzübermächtig. Wie enttäuscht war ich Jahre später, als ich wieder insFrankfurter Städel kam und abermals vor dem Bild stand. Dochdie Erinnerung behielt ihre dramatische Wucht. Stunden hatte ichmeiner Meinung nach damals vor dem Gemälde Rembrandts zu-gebracht. Das war mein erstes Kunsterlebnis – eine persönlicheSternstunde.

Wahrscheinlich kann sich jeder, der sich auch nur ansatzweisemit Kunst beschäftigt, für ihre Geschichte interessiert, in Museenund Ausstellungen geht, an so eine persönliche Sternstunde erin-

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nern. Im folgenden aber geht es um Sternstunden der Kunstschlechthin. Und da stellt sich die Frage, welche Kriterien eineRolle spielen, um ein Kunstwerk als «Sternstunde» zu deklarieren.Eines ist sicher: Objektiv ist diese Auswahl nicht, kann sie garnicht sein, denn jeder gewichtet anders, setzt andere Schwer-punkte.

Je älter die Kunstwerke sind, desto einfacher scheint die Wahl.Oder doch nicht? Weil so wenige Stücke erhalten sind, weil sichein Kanon ausgebildet hat. Wer ist wichtiger, bedeutender? DasPorträt Tutanchamuns oder das der Nofretete? Gefunden wurdenbeide Porträtbüsten erst im 20. Jahrhundert, konnten also keinenEinfluß auf andere Kunstwerke ausüben. Zu ihrer Entstehungszeitwar die eine lediglich ein Werkstattmodell, die andere im Mu-miensarg in einem Grab verborgen. Wer außer dem Künstler hattesie je zuvor gesehen?

Und soll man aus der griechischen Kunst eher eine erhalteneSkulptur auswählen, eine der wenigen Bronzen, die es noch gibt,oder eine, die schon lange zerstört ist, von der wir aber aus begei-sterten Berichten wissen? Oder besser eines der sieben Weltwun-der, von denen aber keines erhalten ist?

Wieder anders stellt sich die Frage bei der ‹Laokoon-Gruppe›,einer Skulptur des Hellenismus, deren Auffindung Anfang des16. Jahrhunderts als Sternstunde galt und die bis ins beginnende19. Jahrhundert die Kunsttheorie beeinflußt hat. Doch war der‹Laokoon› in seiner Entstehungszeit auch schon eine Sternstunde?Diese Frage läßt sich schon deshalb nicht beantworten, weil wir garnicht wissen, wann genau die Gruppe entstanden ist.

Und so kann man bei jedem der hier vorgestellten Werke – vonden Ägyptern bis zur Pop-art, von der ersten eisernen Brücke biszum Wolkenkratzer, von der Buchmalerei bis zum ersten gegen-standslosen Bild – erneut fragen, warum seine Schöpfung eineSternstunde ist, aber auch, wann es eine wurde, oder vielleicht auch,ob es eine werden könnte. Diese letzte Möglichkeit trifft sicher zuauf den hier unternommenen Versuch, zwei Malerinnen – GabrieleMünter und Marianne von Werefkin – ihren nicht zu unterschät-zenden Anteil an der Entwicklung der abstrakten Kunst zurück-zugeben, die Kreativität und Innovationslust von Frauen als Mög-lichkeit in ihr Recht einzusetzen.

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Kein Buch schreibt sich von alleine. Ob ich mich an das Thema ge-wagt hätte, wenn ich mir nicht vor einigen Jahren mit dem ‹Hausder Kunst› einen Überblick über die Kunstentwicklung von denAnfängen bis heute erarbeitet hätte, weiß ich nicht. Und hier ge-bührt auch Karin Beth der Dank für ihre Unterstützung und fürdas Vertrauen, das sie mir entgegengebracht hat, gerade weil meineAuswahl an «Sternstunden» sicher nicht in allen Fällen den her-kömmlichen Erwartungen entspricht.

Die Auswahl habe ich auch mit einigen Freunden durchgespro-chen, ich erhielt Ratschläge zur Themenwahl, aber auch Tips zueinzelnen Kunstwerken. Meine Kinder mußten sich Geschichtenüber die «Sternstunde» anhören, die mich gerade beschäftigte. Siehaben nicht immer geduldig zugehört, mich aber mit Fassungertragen.

München, im September 2002 Susanna Partsch

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Die Schönste im ganzen Land

Die Berliner Büste der Nofretete

Schneewittchen war «weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz-[haarig] wie Ebenholz». Heute hingegen haben «als schön geltendeFrauen . . . eine braunere Haut, ein schmales Gesicht und vollereLippen, einen weiteren Augenabstand, dünnere Augenlider, langedunkle Wimpern und schmale dunkle Augenbrauen, höhere Wan-genknochen und eine schmale Nase», befand die ‹Süddeutsche Zei-tung› am 14. November 2001.

Die Aufzählung liest sich wie eine Beschreibung der Büste derägyptischen Pharaonin Nofretete, faßt aber in Wirklichkeit diestatistischen Erkenntnisse von Regensburger Psychologiestuden-ten zusammen. Sie hatten zahlreiche Frauengesichter, darunterauch die einiger berühmter Models, fotografiert, die Fotos an-schließend manipuliert (gemorpht) und dann mit einer Fragebo-genaktion nach deren Attraktivität gefragt.

Als «Schönste im Land» wurde keine Blondine vom Typ einerClaudia Schiffer gewählt, sondern – wie bereits erwähnt – eineeher brünette Schönheit, die sich durchaus historischen Schönhei-ten wie Kleopatra an die Seite stellen läßt oder eben einer nochälteren Ägypterin, die gleichfalls zu den schönsten Frauen derWelt gezählt wird: Nofretete. Eine Kalksteinbüste hat uns ihr Bildüberliefert.

Die berühmte Büste der Nofretete, die sich heute in Berlin be-findet, entstand vor etwa 3350 Jahren. Ihr Gesicht ähnelt in vielenDetails jenem, das am Computer aus vielen Gesichtern kompo-niert worden war und bei der Regensburger Fragebogenaktion alsdas schönste ausgesucht wurde. Mit einem Unterschied: DerKünstler der Nofretete-Büste besaß die Fähigkeit, das Gesichtlebendig und gleichzeitig geheimnisvoll wirken zu lassen. Manwill die Frau kennenlernen, die sich hinter einem Lächeln verbirgt,das ihre Lippen umspielt. Das Computerbild hingegen ist klar, ein-deutig und – langweilig. Vielleicht auch deshalb wird die Compu-

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Nofretete, Bemalte Kalksteinbüste, um 1350 v.Chr.,Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ägyptisches Museum

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ter-Dame nie den Erfolg der Nofretete haben – als eine der be-rühmtesten Frauen der Weltgeschichte zu gelten, dazu noch alseine der schönsten und geheimnisvollsten.

Die Büste der ägyptischen Königin aus bemaltem Kalkstein be-sitzt einen hellbraunen Teint und ebenmäßige Gesichtszüge. Un-ter der hohen Stirn wölben sich elegant geschwungene Brauen. DieAugen wirken durch den feinen, schwarzen Lidstrich mandelför-mig, obwohl sie es gar nicht sind. Die Iris des Auges ist genausoschwarz wie die Pupille. Die gerade, schmale Nase wird von hohenWangenknochen gerahmt, die vollen Lippen umspielt ein leichtesLächeln. Das markante Kinn springt nur wenig vor. Der schlanke,lange Hals sitzt auf schmalen Schultern. Der eben noch sichtbareHalsansatz ist mit (gemalten) goldenen Ketten geschmückt, diemit (ebenfalls gemalten) Edelsteinen besetzt sind. Nofretete trägteine im Verhältnis zu Kopf und Hals riesige blaue Krone, die eben-falls mit Gold und Edelsteinen verziert ist, darunter ein goldenesStirnband. Einziger Makel dieses wohlproportionierten Gesichtsist das fehlende Auge.

Jeder kennt diese Büste, die sich seit knapp einem Jahrhundertim Ägyptischen Museum in Berlin befindet. Mehrere tausendJahre hatte sie wohl kopfüber im Sand gesteckt, bis sie am 6. De-zember 1912 gefunden wurde. Dieser Fund war eine Sternstundeder Archäologie und der Kunstgeschichte – und im Leben desdeutschen Archäologen Ludwig Borchardt.

Im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft hatte am 25. No-vember 1912 eine neue Grabungskampagne im östlichen Niltal inder Nähe des heutigen Tell el-Amarna begonnen, dort, wo derägyptische König Echnaton (und Gemahl der Nofretete) im vier-ten Jahr seiner Regierung (um 1350 v. Chr.) die neue Hauptstadtdes Reiches – Achetaton – gegründet hatte. Gleich zu Beginn derGrabungen fand Borchardt eine unvollendete Figurengruppe ausKalkstein, die den Titel ‹Küssender König› erhielt. Unter denÄgyptologen bestand nie Zweifel daran, daß es sich bei der Figurdes küssenden Königs um Echnaton handeln müsse. Doch wenküßt er?

Die naheliegende, von heutigen Vorstellungen ausgehende Ver-mutung, bei der Skulpturengruppe handele es sich um Vater undTochter, wird inzwischen abgelehnt. Sowohl die Größe der weib-lichen Figur als auch ihre Haartracht sprechen dafür, daß es sich

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um eine Königin handelt, also entweder um Nofretete oder Ech-natons Zweitfrau Kaja. Die Gruppe folgt dem altehrwürdigenägyptischen Darstellungsschema einer Göttin, die den König aufihrem Schoß hält. Und so geht man heute davon aus, daß statt derGöttin Echnaton dargestellt ist, der wahrscheinlich seine auf demSchoß sitzende Zweitfrau Kaja küßt.

Borchardt und seine Mitarbeiter aber hielten sich damals nichtlange mit Interpretationen auf. Sie hofften auf weitere Funde. Undda die Statue unvollendet war, vermuteten sie, auf eine Bildhauerei-werkstatt gestoßen zu sein, und gruben weiter. Sie sollten recht be-halten. Der spektakulärste Fund war die Berliner Büste der Nofre-tete. Doch damit nicht genug. Zahlreiche unvollendete Skulpturenkamen ans Licht. Einige stellen Nofretete dar, andere Echnaton.Mehrere gipserne Masken hatten wohl ebenso Modellcharakterwie die Büste der Nofretete. Außerdem fand sich noch ein kleinesStückchen Elfenbein, das sich als die Hälfte eines Deckels inter-pretieren ließ. Dieses Elfenbeinfragment verdient deshalb erwähntzu werden, weil auf ihm eine wenn auch nur zum Teil erhalteneInschrift erscheint. Sie lautet: «Gelobter des Vollendeten Gottes,Aufseher der Arbeit, Bildhauer Thutmose . . .»

Damit kennt man den Namen des Werkstattleiters: Thutmose(oder Thoutmosis*). Ob er allerdings der Schöpfer der Nofretete-Büste war, wird sich kaum mehr klären lassen. Doch aufgrund vonIndizien gelang es, einiges über Thutmose selbst herauszufinden.

Der für ihn in der Inschrift verwendete Titel weist darauf hin,daß diese vor dem 12. Regierungsjahr Echnatons entstanden seinmuß, dessen gebräuchlicher Ehrentitel seitdem «Gelobter desHerrn der beiden Länder» lautete. Außerdem muß der Bildhauerrelativ wohlhabend gewesen sein. Darauf lassen die Größe derWerkstatt schließen und die Tatsache, daß Thutmose mindestensein Pferd besessen haben muß. Denn das elfenbeinerne Fragmentist nicht Teil eines Deckels, sondern die Hälfte einer Scheu-klappe.

Der «Aufseher der Arbeit» hat wohl in dem Haupthaus des An-wesens gewohnt, dessen Grundmauern bei der Grabung zutagekamen. Das Areal hat eine Größe von 75 Metern Länge und 45 Me-

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* Über die Transkribierungen der Namen sind die Ägyptologen ebensouneins wie über deren Übersetzungen. Wir folgen Christian Jacq.

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tern Breite und bestand aus jenem Haupthaus sowie zahlreichenWerkstätten und Gesellenunterkünften, die wohl in mehrerenEtappen gebaut worden waren. Zum Haupthaus gehörte ein Stall,in dem zwei Pferde gut Platz hatten. Die brauchte Thutmose auch,denn beritten waren in Ägypten nur Kundschafter und Boten.Wer es sich leisten konnte, fuhr im Zweispänner.

Ob Thutmose nach Echnatons Tod mit dessen Nachfolger Tut-anchamun nach Theben zurückkehrte, ob er in Achetaton blieb, ober in der Zeit nach dem Thronwechsel überhaupt noch lebte, alldies wissen wir nicht. Wir wissen nur, daß er in Achetaton einegroße Werkstatt geführt hat, in der einige Porträtköpfe der Nofre-tete und des Echnaton gefunden wurden, und daß die Büste, derunsere heutige Bewunderung gilt, wohl lediglich ein Werkstattmu-ster war. Deshalb hatte man auch nur ein Auge ausgeführt.

Die Gestalt der Nofretete ist durch die Büste, von der wir nochnicht einmal mit Sicherheit sagen können, ob sie von Thutmoseselbst stammt, berühmt geworden. Aber war die Königin wirklichso schön? Und was wissen wir tatsächlich über sie?

Kurzgefaßt kann man sagen, daß Nofretete die «Große König-liche Gemahlin» Echnatons war und in seinem vierten Regie-rungsjahr zum erstenmal erwähnt wird. Ihr Name bedeutet «DieSchöne ist gekommen». Über den Zeitpunkt ihres Todes bestehtUneinigkeit.

Man kann allerdings auch ausführlicher über sie berichten, Fak-ten, Indizien und Vermutungen kriminalistisch zu einer Lebens-beschreibung zusammenfügen, in der dann auch Echnaton nichtfehlt. Genaue Lebensdaten gibt es jedoch nicht, denn die Ägypterkannten keine allgemeine Zeitrechnung. Ihre Historiographenzählten zwar die Herrscherjahre der Pharaonen, begannen aberbei jedem Thronwechsel immer wieder bei Jahr eins. So wissen wirzwar, daß Echnaton 17 Jahre lang regierte, aber wir wissen weder,welches das erste Regierungsjahr war, noch, ob er als Mitregentdes Vaters amtierte.

Und so werden uns von den Forschern für Echnatons AmtszeitDaten angeboten, die von 1377 bis 1336 v.Chr. reichen, also eineSpanne von vierzig Jahren umfassen, in welche die 17 Jahre seinerRegierungszeit fallen könnten. Es ist einfacher, von dem Ansatzum 1350 auszugehen und – ebenso wie die alten Ägypter – dieRegierungsjahre des Pharaos zu zählen.

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Echnaton übernahm die Regierung noch unter dem NamenAmenophis (oder Amenhotep*), das heißt soviel wie «Amun istzufrieden». Amun, der «schöpferische Gott», war der wichtigsteGott im ägyptischen Pantheon. Amenophis IV. hat sich an dieseOrdnung nicht gehalten. Sein größtes Ziel war es, die Sonnen-scheibe Aton als neuen, obersten Gott verehren zu lassen. Er ließdiesem Gott vier neue Tempel in Karnak errichten, an ebendemOrt, an dem der große Amun-Tempel stand. Dann benannte ersich in Echnaton um und gründete nilabwärts die Stadt Achetatonals neue Hauptstadt seines Reiches.

Zu dieser Zeit war er mit Nofretete bereits verheiratet. Sie wirdim vierten Regierungsjahr Echnatons zum ersten Mal als seine«Große Königliche Gemahlin» erwähnt. Doch ihre Abstammungbleibt im dunklen. Ihr Name «Die Schöne ist gekommen» hat vieleForscher dazu ‹verführt›, in ihr eine fremdländische Prinzessin zusehen. Und ihre Beweisführungen schienen gar nicht so abwegig,entsprächen sie nicht abendländischen Vorstellungen.

Echnatons Vater, Amenophis III., war bestrebt, die Verbindun-gen zwischen dem Königreich der Mitanni (im heutigen Nord-syrien) und den Ägyptern zu festigen. Deshalb hielt er bei demMitanni-König Tuschratta um die Hand einer seiner Töchter an.Die erwählte Prinzessin Taduchepa kam dann zwar auch wohlbe-halten in Ägypten an, doch fortan schweigen die Quellen. Ob sieeinen ägyptischen Namen erhielt, ob sie Amenophis III. oderEchnaton heiratete, ist nicht überliefert. Der Schluß, in ihr Nofre-tete zu sehen, die Schöne, die endlich gekommen ist, liegt nahe, istaber ebenso hypothetisch wie die Behauptung, der von Echnatoneingeführte Aton-Kult stamme aus Asien und es sei eigentlichNofretete, die Mitanni-Prinzessin, gewesen, mit der sich der Aton-Kult in Ägypten verbreitete.

Dagegen läßt sich anführen: Ansätze, die Sonnenscheibe Atonzu verehren (und nicht nur den Sonnengott Re) und sie zu einemeigenständigen Gott zu erheben, hatte es schon unter AmenophisIII. gegeben. Und der Name Nofretete – «Die Schöne ist gekom-men» – hat eine klare theologische Bedeutung.

«Die Schöne» war Hathor, die Göttin des Himmels und derSterne, Herrscherin über Liebe und Frohsinn. Sie suchte wohlimmer wieder in fernen Regionen Zuflucht und mußte zur Rück-kehr bewogen werden, damit in Ägypten erneut Liebe und Har-

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monie herrschten. Diese Rückkehr ereignete sich auch beim Sed-fest, das Echnaton am Übergang vom Jahr 3 zum Jahr 4 seinerHerrschaft feierte und das der magischen Regeneration des Kö-nigsprinzips diente. Zu diesem Fest wurde die Gemeinschaft derGötter nach Theben geladen, um dem Pharao neue oder mehr Le-benskraft zu verleihen. Ein solches Sedfest wurde meistens danngefeiert, wenn ein Pharao schon besonders alt war oder bereits vieleJahre regiert hatte. Beides traf auf Amenophis IV./Echnaton nichtzu. Er benutzte das Sedfest, um den Aton-Kult durchzusetzen.

Bei diesem Sedfest trat Nofretete erstmals in Erscheinung. Wieihr Name zeigt, wurde in ihr die Wiederkehr Hathors greifbar.Vermutlich war dieses Sedfest gleichzeitig auch ihr Hochzeitsfest,denn von jetzt an war Nofretete bei allen offiziellen Anlässen ander Seite Echnatons. Das war ebenso ungewöhnlich für die Fraueines Pharaos wie ihre Rolle im Rahmen des Aton-Kults. In einemseiner Tempel diente sie sogar als Hohepriesterin.

Das Sedfest am Ende des vierten Regierungsjahrs hatte in demTempel «Aton ist gefunden» im Osten von Karnak stattgefunden,den Amenophis IV./Echnaton in den ersten Jahren seiner Regie-rung hatte errichten lassen. Dieser Tempel wurde später abge-rissen, seine maßgerecht zerlegten Steinblöcke (die sogenanntenTalatat-Steine) als Füllmaterial für die Pylonen, die Torbauten,eines neuen Tempels benutzt. Durch diese Blöcke, von denen bis-lang 45000 gefunden, aber noch nicht vollständig ausgewertetworden sind, weiß man, daß Nofretete selbst Opferriten vollzogenhat. Sie zeigen auch Szenen des Sedfestes, und eine Inschrift preistNofretete:

«Die mit den reinen Händen, die große Gemahlin des Königs,die ihn liebt, Herrin des Doppelten Landes, Nofretete, sie lebe!Geliebt von der großen und lebendigen Sonnenscheibe, die inFreude ist, sie, die im Tempel der Sonnenscheibe im Heliopolis desSüdens wohnt.»

Doch die Herkunft der Pharaonin ist damit noch immer nichtgeklärt. Vermutlich war sie die Tochter eines Vertrauten des Pha-raos. In Betracht kommt Aja (Eje), später selbst Pharao, der häufigals «Gottvater» bezeichnet wird. Seine Frau Tuju wird wiederholtdie Erzieherin (Amme) Nofretetes genannt, nie aber ihre Mutter.Möglich auch, daß Nofretete die Tochter einer ersten Frau Ajas,die im Kindbett starb, gewesen ist.

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All das sind Spekulationen, zu denen die Lebensnähe der Büsteverleitet. Sicher ist, daß Nofretete mit Echnaton sechs Töchter(und vielleicht den Sohn Tutanchaton, den späteren Tutanchamun)hatte. Als sich der Pharao in seinem sechsten Regierungsjahr Ech-naton (das heißt «Wirkender Geist des Aton»*) benannte und sieum das Jahr 7 gemeinsam nach Achetaton («Lichtort des Aton»),der neuen Hauptstadt, zogen, hatten sie bereits drei Töchter, die mitihrem Namen alle dem Gott Aton huldigten: Meritaton («Geliebtedes Aton»), Maketaton («Schützling des Aton») und Anchesen-paaton («Die durch Aton Lebende»). In Achetaton wurden dreiweitere Töchter geboren.

Viele Geschichten um diese Stadt sind durch jene vierzehnbeschrifteten Grenzstelen überliefert, mit denen Echnaton bei derGründung die Abmessungen Achetatons abstecken ließ. Dennochbleiben grundsätzliche Fragen unbeantwortet. War Echnaton derBegründer der ersten monotheistischen Religion? Und wollte er,daß Achetaton nur während seiner eigenen Regierungszeit be-wohnt und dann wieder verlassen würde, wie Christian Jacqbehauptet? Wir wissen es nicht, genauso wie es nach wie vorschwerfällt, die Bildwerke der als Amarna-Zeit bezeichneten Epo-che zu deuten.

Viele Darstellungen dieser Periode faszinieren uns, weil sie unslebensnah erscheinen. So neigt man dazu, der Schönheit der Nofre-tete entsprechend die Häßlichkeit, mit der Echnaton häufig dar-gestellt ist, als real gegeben anzusehen. Das geht so weit, darinbestimmte Krankheiten zu erkennen (und damit den «Größen-wahn» des Pharaos zu erklären). Doch mit dieser «Häßlichkeit»wurden sehr wahrscheinlich bestimmte Vorstellungen ins Bildumgesetzt wie zum Beispiel der Gedanke, daß der Pharao dasweibliche und das männliche Prinzip gleichermaßen verkörpere.Ebenso sind die Lebendigkeit, mit der das Herrscherpaar undseine Töchter auf Reliefs erscheinen, der liebevolle Umgang mit-einander und mit ihren Kindern Symbole, die Allgemeingültigkeitbesitzen. Diese Bilder erlauben es nicht, auf das Verhältnis der dar-gestellten Personen untereinander zu schließen.

Heutige Lebensvorstellungen haben auch bei der Theorie Pategestanden, Nofretete habe sich von Echnaton getrennt, als sie ineinen eigenen Palast zog. Dort soll sie sich vom Aton-Kult losge-sagt und Tutanchaton/Tutanchamun aufgezogen haben, den Ech-

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naton nachfolgenden Pharao, der vor allem deshalb noch heute soberühmt ist, weil sein Grab und seine in goldene Särge gebetteteMumie völlig unberührt aufgefunden wurden, und der vielleichtder Sohn von Echnaton und Nofretete gewesen ist.

Durch die angebliche Trennung erklärt man auch, warum dieQuellen über Nofretete plötzlich verstummen, kurz nachdem ihreTochter Maketaton im 14. Regierungsjahr gestorben war. Maketa-tons Grab hat man wohl in Achetaton gefunden und dort auch dasRelief, das die Trauer von Echnaton und Nofretete zeigt. Dannaber brechen die Nachrichten über Nofretete ab. Wahrscheinlichist sie allen Spekulationen zum Trotz kurz nach ihrer Tochter, viel-leicht aber auch erst im letzten Regierungsjahr Echnatons gestor-ben. Ihr Grab wurde bislang weder in Tell el-Amarna noch im Talder Könige von Theben gefunden. Es gibt jedoch ein Uschebti,einen «Antwortstein», den jeder Tote dringend benötigt, mitihrem Namen, auf dem man lesen kann, daß sie als «Große König-liche Gemahlin» starb und damit vor Echnaton.

Nofretete, die Schöne, spätestens seit Auffindung ihrer Büsteeine der berühmtesten Frauen der Weltgeschichte, bot zu unend-lich vielen Spekulationen Anlaß. Auch wenn die heutige For-schung darum bemüht ist, den Spekulationen soweit wie möglichTatsachen entgegenzusetzen, bleibt sie «die Schönste im ganzenLand», wie schon auf einer der Grenzstelen von Achetaton zulesen ist:

«Das Antlitz klar,Fröhlich geziert durch die Doppelfeder,Gebieterin des Glücks,Eignerin aller Tugenden,Mit einer Stimme, an der man sich erfreut,Herrin der Anmut, reich an Liebe,Deren Gefühle den Gebieter der Zwei Länder beglücken . . .Die Erbprinzessin,Groß an Gunst,Herrin des Glücks,Strahlend mit ihren zwei Federn,Die mit ihrer Stimme alle erfreut, die sie hören,Die das Herz des Königs bezaubert,Zufrieden mit allem, was man sagt,

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Die Große und vielgeliebte Gemahlin des Königs,Herrin der Zwei Länder,‹Schön-sind-die-Schönheiten-des-Aton›,‹Die Schöne ist gekommen›.Sie lebe ewiglich.»

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