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376 WISSENSCHAFT BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang SVENJA MAYER-WRANGOWSKI, DANIEL RAUH FAKULTÄT FÜR CHEMIE, CHEMISCHE BIOLOGIE, TH DORTMUND Selective kinase inhibitors have become an important class of anti-cancer agents. However, clinical success of these agents is mostly limited to a small subset of patients, who are often defined by specific genomic lesions within their tumor cells. Recent progress in cancer genetics and medicinal chemistry allows for the first time effective personalization of tumor therapy with so far unreached benefit for some patient popula- tions. DOI: 10.1007/s12268-012-0195-7 © Springer-Verlag 2012 ó Die Phosphorylierung von Proteinen, also die Übertragung der γ-Phosphatgruppe von ATP auf die Seitenketten der Aminosäuren Serin, Threonin oder Tyrosin eines Proteins, spielt bei der Regulation einer Vielzahl zel- lulärer Schlüsselprozesse eine zentrale Rol- le. Diese posttranslationale Modifikation wird von der Familie der Proteinkinasen kataly- siert und beeinflusst wichtige Eigenschaften wie die Struktur oder die Aktivität der Sub- stratproteine [1]. Dadurch sind Proteinkina- sen z. B. in der Lage, extrazelluläre Signale an intrazelluläre Proteine weiterzuleiten und ganze Signalkaskaden, bis hin zur Trans- kription von Genen, zu kontrollieren. Ursprünglich als ein regulatorischer Mecha- nismus zur Kontrolle des Glykogenmetabo- lismus entdeckt, dauerte es jedoch Jahr- zehnte, bis die physiologische Bedeutung der Proteinphosphorylierung und die Verbindung zwischen fehlregulierter Phosphorylierung und dem Entstehen von Erkrankungen erkannt wurden. Die Entdeckung des ersten Protoonkogens src, welches für die Tyrosin- kinase Src (sarcoma) codiert, stellte einen Durchbruch in der Kinaseforschung dar [2]. Bei den Protoonkogenen handelt es sich um Gene, die durch Veränderungen (z. B. Muta- tion, Amplifikation, Translokationen oder Deletionen) zu krebserzeugenden Genen (Onkogenen) werden. Diese Entdeckung, für die die Forscher J. Michael Bishop und Harold E. Varmus 1989 mit dem Nobelpreis in Physiologie und Medizin ausgezeichnet wur- den, war ein Meilenstein für das Verständ- nis über die Entstehung von Tumorerkran- kungen. Mittlerweile wird fehlregulierte Pro- teinphosphorylierung mit der Entstehung einer Vielzahl von Erkrankungen, wie Dia- betes, Autoimmunerkrankungen, neurologi- schen Defekten und Krebs, in Verbindung gebracht [3, 4]. Proteinkinasen als Angriffspunkte in der zielgerichteten Krebstherapie Nach unserem heutigen Verständnis ist Krebs eine erworbene Erkrankung des Genoms. Die Entstehung eines Tumors basiert auf einer Anreicherung genetischer und epigenetischer Läsionen und der damit verbundenen Störung zellulärer Signalwege. Oftmals sind Krebs- zellen in ihrem unkontrollierten Wachstum oder der Vermehrung von einzelnen Onkoge- nen abhängig (oncogene addiction) [5]. Die Abhängigkeit einer Krebszelle von den Sig- nalen eines solchen Onkogens macht den Tumor jedoch auch empfindlich gegenüber zielgerichteten, therapeutischen Wirkstoffen. Molekulare Medizin Symbiose aus Chemie und Medizin – zielgerichtet gegen Krebs ˚ Abb. 1: Die Bedeutung geeigneter Biomarker für die zielgerichtete Therapie von Tumorerkran- kungen. A, Wird ein Patientenkollektiv ohne den Einsatz geeigneter Biomarker mit einem zielge- richteten Wirkstoff behandelt, profitieren nur wenige Patienten (Patienten, die eine zum Wirkstoff komplementäre genetische Läsion tragen, welche die Wirksamkeit des Wirkstoffs vermittelt). B, Durch genetische Charakterisierung können definierte Patientensubgruppen identifiziert und einer passenden zielgerichteten Therapie zugeführt werden. Dieses Vorgehen kann die Erfolgs- raten einer Therapie stark erhöhen. A B

Symbiose aus Chemie und Medizin — zielgerichtet gegen Krebs

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376 WISSENSCHAFT

BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang

SVENJA MAYER-WRANGOWSKI, DANIEL RAUH

FAKULTÄT FÜR CHEMIE, CHEMISCHE BIOLOGIE, TH DORTMUND

Selective kinase inhibitors have become an important class of anti-canceragents. However, clinical success of these agents is mostly limited to asmall subset of patients, who are often defined by specific genomiclesions within their tumor cells. Recent progress in cancer genetics andmedicinal chemistry allows for the first time effective personalization oftumor therapy with so far unreached benefit for some patient popula-tions.

DOI: 10.1007/s12268-012-0195-7© Springer-Verlag 2012

ó Die Phosphorylierung von Proteinen, alsodie Übertragung der γ-Phosphatgruppe vonATP auf die Seitenketten der AminosäurenSerin, Threonin oder Tyrosin eines Proteins,spielt bei der Regulation einer Vielzahl zel-

lulärer Schlüsselprozesse eine zentrale Rol-le. Diese posttranslationale Modifikation wirdvon der Familie der Proteinkinasen kataly-siert und beeinflusst wichtige Eigenschaftenwie die Struktur oder die Aktivität der Sub-

stratproteine [1]. Dadurch sind Proteinkina-sen z. B. in der Lage, extrazelluläre Signalean intrazelluläre Proteine weiterzuleiten undganze Signalkaskaden, bis hin zur Trans-kription von Genen, zu kontrollieren.Ursprünglich als ein regulatorischer Mecha-nismus zur Kontrolle des Glykogenmetabo-lismus entdeckt, dauerte es jedoch Jahr-zehnte, bis die physiologische Bedeutung derProteinphosphorylierung und die Verbindungzwischen fehlregulierter Phosphorylierungund dem Entstehen von Erkrankungenerkannt wurden. Die Entdeckung des erstenProtoonkogens src, welches für die Tyrosin-kinase Src (sarcoma) codiert, stellte einenDurchbruch in der Kinaseforschung dar [2].Bei den Protoonkogenen handelt es sich umGene, die durch Veränderungen (z. B. Muta-tion, Amplifikation, Translokationen oderDeletionen) zu krebserzeugenden Genen(Onkogenen) werden. Diese Entdeckung, fürdie die Forscher J. Michael Bishop und HaroldE. Varmus 1989 mit dem Nobelpreis inPhysiologie und Medizin ausgezeichnet wur-den, war ein Meilenstein für das Verständ-nis über die Entstehung von Tumorerkran-kungen. Mittlerweile wird fehlregulierte Pro-teinphosphorylierung mit der Entstehungeiner Vielzahl von Erkrankungen, wie Dia-betes, Autoimmunerkrankungen, neurologi-schen Defekten und Krebs, in Verbindunggebracht [3, 4].

Proteinkinasen als Angriffspunktein der zielgerichteten KrebstherapieNach unserem heutigen Verständnis ist Krebseine erworbene Erkrankung des Genoms. DieEntstehung eines Tumors basiert auf einerAnreicherung genetischer und epigenetischerLäsionen und der damit verbundenen Störungzellulärer Signalwege. Oftmals sind Krebs-zellen in ihrem unkontrollierten Wachstumoder der Vermehrung von einzelnen Onkoge-nen abhängig (oncogene addiction) [5]. DieAbhängigkeit einer Krebszelle von den Sig-nalen eines solchen Onkogens macht denTumor jedoch auch empfindlich gegenüberzielgerichteten, therapeutischen Wirkstoffen.

Molekulare Medizin

Symbiose aus Chemie und Medizin –zielgerichtet gegen Krebs

˚ Abb. 1: Die Bedeutung geeigneter Biomarker für die zielgerichtete Therapie von Tumorerkran-kungen. A, Wird ein Patientenkollektiv ohne den Einsatz geeigneter Biomarker mit einem zielge-richteten Wirkstoff behandelt, profitieren nur wenige Patienten (Patienten, die eine zum Wirkstoffkomplementäre genetische Läsion tragen, welche die Wirksamkeit des Wirkstoffs vermittelt). B,Durch genetische Charakterisierung können definierte Patientensubgruppen identifiziert undeiner passenden zielgerichteten Therapie zugeführt werden. Dieses Vorgehen kann die Erfolgs -raten einer Therapie stark erhöhen.

A B

BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang

Durch die therapeutische Inaktivierungdes Onkogens verschiebt sich dasGleichgewicht aus pro-Überlebens- undpro-apoptotischen Signalen zugunstenapoptotischer Signale und treibt so dieTumorzelle in den kontrollierten Zelltod(Apoptose).

Ein Wendepunkt in der rationalenWirkstoffentwicklung und der Beginnder zielgerichteten Tumortherapie stell-te 2001 die Markteinführung des Tyro-sinkinaseinhibitors Imatinib zurBehandlung der chronischen myeloi-schen Leukämie (CML) dar, das ersteniedermolekulare Krebsmedikament(Glivec®), das spezifisch eine fehlregu-lierte Proteinkinase adressiert. Imati-nib inhibiert eine Mutationsvarianteder Tyrosinkinase Abl (BCR-Abl), diedurch Genfusion nach einer Chromo-somentranslokation (Philadelphia-Chromosom) konstitutiv aktiv ist undbei fast allen Patienten mit CML auf-tritt. Die Behandlung mit Imatiniberhöht die Überlebenswahrscheinlich-keit von CML-Patienten über einen Zei-traum von fünf Jahren auf 89 Prozent[6]. Der große Erfolg von Imatinib zer-streute die bis dahin verbreiteten Zwei-fel an einem erfolgreichen Einsatz vonKinaseinhibitoren als Therapeutika undbewies, dass Proteinkinasen trotz ihrerweiten Verbreitung in gesundem Gewe-be eine geeignete Klasse an Zielmole-külen darstellen und Kinaseinhibito-ren im Allgemeinen gut toleriert wer-den. Diese grundlegenden Erkennt-nisse führten zu einer regelrechtenGoldgräberstimmung und immensenForschungsanstrengungen auf demGebiet der Kinaseforschung. Derzeitsind über zehn Kinaseinhibitoren fürdie Krebstherapie zugelassen und meh-rere Hundert befinden sich in der Ent-wicklung.

Personalisierte KrebstherapieSelektive Kinaseinhibitoren haben sichaufgrund günstiger Eigenschaften, wieeiner geringeren Toxizität im Vergleichzur klassischen Chemotherapie mitZytostatika, zu einem wichtigen Werk-zeug in der Tumortherapie entwickelt.Trotz der hohen Erwartungen an diezielgerichtete Tumortherapie undimmensen Anstrengungen bei der Ent-wicklung selektiver Therapeutika bliebder erhoffte Durchbruch im Kampf

gegen Krebs bisher jedoch aus. DieErfolge der letzten Jahre bei derBehandlung von Tumorerkrankungen,die zumindest zu einer geringenAbnahme der Sterblichkeit geführthaben, sind weniger auf moderne medi-kamentöse Therapien zurückzuführenals vielmehr auf eine verbesserte Frü-herkennung sowie Präventionsmaß-nahmen. Eine Erklärung für diesegeringen Erfolge ist die oft mangelndeWirksamkeit der Therapeutika amPatienten. Über die Jahre hat sichgezeigt, dass der klinische Nutzen ziel-gerichteter Therapien häufig auf einekleine Gruppe, der mit einem selekti-ven Kinaseinhibitor behandeltenPatienten beschränkt ist. Erklärungs-ansätze für dieses klinisch relevantePhänomen lieferten erst moderneTumor-Genomsequenzierungen: Auchwenn Tumoren einer Entität von demgleichen Gewebetyp abgeleitet sind,unterliegen sie doch in verschiedenenPatienten einer hohen genetischenDiversität, wie unterschiedlichen Muta-tionsmustern, Translokationen undDeletionen oder epigenetischen Verän-derungen. Ob ein Patient von einer ziel-gerichteten Behandlung mit Kinasein-hibitoren profitiert, wird daher vomVorhandensein bestimmter genetischerLäsionen in seinen Krebszellenbestimmt [7, 8]. Oft handelt es sichdabei, wie bei dem oben besprochenenBeispiel des BCR-Abl in CML, um aktivierende Mutationen in den Genender in der Therapie adressierten Ziel-kinase.

In der klassischen Tumortherapiewerden Patientengruppen nicht gene-tisch charakterisiert, sondern allein auf-grund histopathologischer Untersu-chungen des Tumorgewebes mit ver-schiedenen Wirkstoffen wie z. B. denZytostatika behandelt. Dieses Vorgehenunterscheidet sich damit maßgeblichvon zielgerichteten Therapieansätzen.Für eine erfolgreiche Behandlung ist eshier notwendig, durch den Einsatzgeeigneter Biomarker, die z. B. durchdie Sequenzierung des Tumorgenomsidentifiziert werden, im Vorfeld dieje-nigen Patienten auszuwählen, die miteiner sehr hohen Wahrscheinlichkeittatsächlich von den vorhandenen, neu-artigen Therapeutika profitieren wer-den. Ein prominentes Beispiel für die

personalisierte Therapie solider Tumoren istdie zielgerichtete Krebstherapie von Patientenmit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom(NSCLC, non-small-cell lung cancer). Für die-se Erkrankung ist eine Reihe genetischerLäsionen bekannt, die die Tumorentstehungmaßgeblich fördern. Dies sind z. B. Verände-rungen in den Kinasegenen EGFR oder ALK,die jeweils bei einem kleinen Anteil derNSCLC-Patienten auftreten und zur Abhän-gigkeit der betreffenden Tumoren von dergenetisch aktivierten Kinase führen. DieseAbhängigkeit macht die Krebszellen gleich-zeitig empfindlich gegenüber den spezifi-schen Kinaseinhibitoren. Eine onkogeneEML4-ALK-Genfusion tritt bei bis zu siebenProzent der NSCLC-Patienten auf. EML4-ALKcodiert für ein konstitutiv aktives Fusions-protein der anaplastischen Lymphomkinase(ALK). Aktivierende Mutationen oder Trans-lokationen in diesem Gen wurden auch inanderen Krebsarten, wie Neuroblastomen undanaplastischen großzelligen Lymphomengefunden. In einer klinischen Studie wurdenaus einer Gruppe von 1.500 NSCLC-Patien-ten mithilfe eines Biomarkers 82 Patientenausgewählt, die eine EML4-ALK-Transloka-tion in ihren Tumorzellen aufwiesen. In die-ser wegweisenden Studie profitierten 90 Pro-zent der ausgewählten Patienten von der ziel-gerichteten Behandlung mit dem selektivenALK-Inhibitor Crizotinib [9]. Die personali-sierte Therapie von NSCLC-Patienten führtezu einem bisher unerreicht hohen Anspre-chen auf die Tumorbehandlung mit Kinas-einhibitoren und markiert einen Paradig-

menwechsel in der klinischen Forschung: dieAbkehr von dem Konzept, einen Wirkstoff füreine Tumorart einzusetzen, hin zum Einsatzvon Wirkstoffen gegen spezifische Läsionen ingenetisch genau charakterisierten Patienten-gruppen (Abb. 1, [7]). Von den bisher bekann-ten zielgerichteten Ansätzen profitieren leidernur etwa zehn Prozent der NSCLC-Patienten– meist weibliche Nichtraucher mit Adeno-karzinomen. Dies liegt zum einen daran, dassnoch längst nicht alle klinisch relevantenLäsionen gefunden wurden und die entspre-chenden Wirkstoffe zur Verfügung stehen,sowie an dem noch stark limitierten Ver-ständnis der biologischen Konsequenz deraufgefundenen Läsionen.

Problem WirkstoffresistenzenEin weiterer, klinisch relevanter Aspekt ist,dass die Wirksamkeit von Kinaseinhibitorenin der Tumortherapie durch das Auftretenvon Wirkstoffresistenzen meist nur vonbegrenzter Dauer ist. Dies ist nicht weiter ver-wunderlich, üben Kinaseinhibitoren docheinen starken Selektionsdruck auf Resis-tenzmutationen oder das Ausweichen aufalternative Signalwege aus, die die Wirk-stoffeffekte umgehen. Bei den Resistenzmu-tationen, die bei der Therapie mit Kinasein-hibitoren beobachtet werden, handelt es sichhäufig um Punktmutationen, die in der kata-lytischen sowie in regulatorischen Domänender Kinasen auftreten können. Ein bedeu-tender Anteil dieser Mutationen betrifft densogenannten Türsteherrest im aktiven Zen-trum der Kinasen, welcher oft gegen eine

Aminosäure mit größerer Seitenkette ausge-tauscht wird. Diese Mutation kann nebeneiner sterischen Behinderung der Inhibitor-bindung auch zu Veränderungen in der kon-formationellen Dynamik der Kinase führen,wodurch deren enzymatische Aktivität gestei-gert wird (Abb. 2, [10]). Das Zusammenspielaus verminderter Affinität des Inhibitors undgesteigerter Enzymaktivität der wirkstoffre-sistenten Kinase hebt die Wirkung des Inhi-bitors auf oder verlangt derart hohe Wirk-stoffkonzentrationen, die klinisch im Patien-ten nicht erreicht werden können. Eine zen-trale Aufgabe in der modernen Kinasefor-schung ist daher die Untersuchung spezifi-scher Resistenzmechanismen sowie die Ent-wicklung neuer Wirkstoffe der zweiten unddritten Generation, welche die verschiedenenResistenzen gezielt umgehen können. Um die-se Herausforderungen bewältigen zu können,hat die medizinische Chemie in den letztenJahren eine Vielzahl neuer Strategien für dieEntwicklung selektiver und hochwirksamerInhibitoren vorangetrieben [11, 12]. Nebenfragmentbasierten Ansätzen, bei denenzunächst kleine Moleküle mit geringer Affi-nität zum Zielprotein identifiziert undanschließend chemisch optimiert werden,sind die Strukturbiologie und das rationaleWirkstoffdesign in enger Abstimmung mitklinischen Forschern, die solche Resistenz-mutationen entdecken und beschreiben, wich-tige Ansätze in der modernen Wirkstofffor-schung [13].

AusblickDie vielversprechenden ersten Ergebnissezielgerichteter Therapien zeigen, dass die Ärader personalisierten Medizin längst begon-nen hat. Leitungsfähige Analysetechnikenund stetig fallende Kosten für die Sequenzie-rung ganzer Genome ermöglichen es, Krebs-genome nach klinisch relevanten, wieder-kehrenden Mutationsmustern zu durchsu-chen und mit dem individuellen, genetischenTumorprofil eines Patienten abzugleichen.Die meisten der so ermittelten Läsionen tre-ten jedoch nur mit geringer Häufigkeit auf,sodass genaue molekularbiologische Unter-suchungen notwendig sind, um aus der Viel-zahl an Daten auf die biologische und letz-tendlich klinische Relevanz zu schließen. DesWeiteren werden effektive Strategien benö-tigt, um diese Erkenntnisse in die Entwick-lung selektiver und wirksamer Therapeutikazu übersetzen. Essenziell für einen solchenEntwicklungszyklus ist die enge Verzahnungvon Tumorbiologie und sensitiver Diagnostik

˚ Abb. 2: A, Kristallstruktur der Kinasedomäne der Tyrosinkinase ABL. B, ABL im Komplex mitdem Kinaseinhibitor Imatinib (vereinfacht und vergrößerter Ausschnitt). C, WirkstoffresistenteABL-Mutante: Durch Austausch der Aminosäure Threonin (Thr) in der Türsteherposition gegeneinen sterisch anspruchsvolleren Isoleucinrest (Ile) kommt es zum Verlust einer Wasserstoffbrü-ckenbindung und zur Behinderung der Inhibitorbindung. Schwarze Punkte: Wasserstoffbrücken-bindungen.

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zur Identifizierung und Validierung vonBiomarken. Anhand geeigneter Bio-marker lassen sich Patientengruppengenetisch charakterisieren und ent-sprechend gruppieren. So lässt sichnicht nur das Ansprechen auf eineBehandlung abschätzen – auch dieErkennung von Resistenzmechanismenund die Entwicklung von Inhibitorender nächsten Generation werden gezieltvorangetrieben. Dies gelingt nur durcheine intensive Zusammenarbeit vonMedizin, Chemie, Chemischer Biologie,Strukturbiologie und Zellbiologie.

Von personalisierten Therapien pro-fitieren einerseits die Patienten, da nurdiejenigen ein zielgerichtetes Thera-peutikum erhalten, die auch daraufansprechen können. Andererseits las-sen sich so die Kosten durch das Ver-meiden von Fehlbehandlungen senken.Es besteht die Hoffnung, durch ein bes-seres Verständnis des Wechselspielsaus aktivierenden und wirkstoffresis-tenen Onkogenen zukünftig zumindesteinige Tumorerkrankungen wie chro-nische Erkrankungen behandeln zukönnen. Das Ziel ist die jeweils opti-male Therapie, um Gesamtüberlebens-zeit, Symptomkontrolle und Lebens-qualität von Krebspatienten zu ver-bessern. ó

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Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Daniel RauhTechnische Universität DortmundFB Chemie – Chemische BiologieOtto-Hahn-Straße 6D-44227 DortmundTel.: 0231-755-7056Fax: 0231-755-5159daniel.rauh@tu-dortmund.dewww.chemie.uni-dortmund.de/rauh

BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang

AUTORENSvenja Mayer- WrangowskiJahrgang 1985. 2005–2010 Studium der Chemischen Biologie an derTU Dortmund. 2009–2010 Masterarbeit am Chemical Genomics Cen-tre, Dortmund. Seit 2010 Promotion an der TU Dortmund.

Daniel RauhJahrgang 1972. Studium der Pharmazie an der Universität Greifswald.2003 Promotion an der Universität Marburg in der Arbeitsgruppe vonProf. Dr. G. Klebe; Postdoc bei Prof. Dr. M. T. Stubbs an der UniversitätHalle. 2004–2006 Postdoc an die University of California, San Francis-co, USA. 2006 Gründung einer unabhängigen Arbeitsgruppe am Chemi-cal Genomics Centre der Max-Planck-Gesellschaft, Dortmund. Seit 2010Professor für Chemische Biologie und Biochemie an der TU Dortmund.