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Tamau und Verwandtes Eine Betrachtung zum japanischen Honorativ Von Bruno Lewin (Bochum) Im Kapitel Kiritsubo des Genji-monogatari wird an einer Stelle der Besuch einer Hofdame bei der Großmutter des Prinzen Genji geschildert, wo sich der Knabe nach dem Tode seiner Mutter aufhält . Die Hofdame ist vom Tenno abgesandt, der den Prinzen wiedersehen möchte und dies in einem Brief zum Ausdruck bringt. In der mündlichen Ant w ort der alten Dame, die sie an die Botin richtet, heißt es: Kashikoki osegoto-wo tabitabi uketamaw ari-nagara, mizukara-wa e-nan omoi-tamae-tatsumajiki. Wakamiya-wa, ika-ni omohoshi-shiru- ni-ka, mairi-tamawan-koto-wo-nomi-namu oboshi-isogumereba, koto- wari-ni kanashiu mi-tatematsuri-haberu-nado, uchi-uchi-ni omoi-ta- mauru-sama-wo so-shi-tamae. "Die erhabenen Worte Seiner Majestät habe ich des öfteren vernommen , jedoch kann ich mich nicht entsdllie- ßen (zurückzukehren). Der junge Prinz {hingegen) - was versteht er {von den Dingen) -trachtet nur, sich {in die Residenz) zu be geben. Das ist verständlich, doch sehe ich es voll Kummer. Diese meine Empfin- dungsweise berichtet Seiner Majestät vertraulich." Ein Blick auf die hier verwendeten Verba und ihre Formen zeigt, daß keines von ihnen auf die Bezeichnung von Vorgängen beschränkt ist: dazu hätten die entsprechenden Formen der Verba kiku, omoi-tatsu, omoi-shiru, yuku, omoi-isogu, miru, omou und so-su ausgereicht . Was hier zusätzlich lexikalisch oder grammatisch formuliert ist, in der Ubersetzung kaum zum Ausdruck kommt, doch die Redeweise des J apaners seit eh und je maß- geblich mitbestimmt, ist der Bezug zwischen den Partnern des Gesprächs und zu den personalen Gegenständen der Rede in der typischen inter- personalen Sicht japanischer Denkart. Nicht die Person ist hier Objekt sprachlicher Bestimmung, sondern das Verhältnis der am Sprechakt betei- ligten und im Redeinhalt eingeschlossenen Personen. Damit steht für den grammatisch-personalen Bezug ein soziativer, der im Japanischen vielfälti- gen Ausdruck findet. Er wird in erster Linie am Verb bezeichnet und ist beim Prädikat eines Satzes stets dann vorhanden, wenn ein faktisches oder fiktives soziales Gefälle die Personen des Sprechaktes berüh rt. Nach oben hin werden Ehrerbietung oder Bescheidenheit bezeichnet, nach unten hin Herablassung oder Geringschätzung. Grammatisdl belangvoll ist im Japa- nischen nur die erste der beiden möglichen Komponenten des soziativen Bezugs, weshalb die entsprechende Kategorie Honorativ genannt werden soll. 21

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Tamau und Verwandtes Eine Betrachtung zum japanischen Honorativ

Von Bruno Lewin

(Bochum)

Im Kapitel Kiritsubo des Genji-monogatari wird an einer Stelle der Besuch einer Hofdame bei der Großmutter des Prinzen Genji geschildert, wo sich der Knabe nach dem Tode seiner Mutter aufhält. Die Hofdame ist vom Tenno abgesandt, der den Prinzen wiedersehen möchte und dies in einem Brief zum Ausdruck bringt. In der mündlichen Antwort der alten Dame, die sie an die Botin richtet, heißt es:

Kashikoki osegoto-wo tabitabi uketamaw ari-nagara, mizukara-wa e-nan omoi-tamae-tatsumajiki. Wakamiya-wa, ika-ni omohoshi-shiru­ni-ka, mairi-tamawan-koto-wo-nomi-namu oboshi-isogumereba, koto­wari-ni kanashiu mi-tatematsuri-haberu-nado, uchi-uchi-ni omoi-ta­mauru-sama-wo so-shi-tamae. "Die erhabenen Worte Seiner Majestät habe ich des öfteren vernommen, jedoch kann ich mich nicht entsdllie­ßen (zurückzukehren). Der junge Prinz {hingegen) - was versteht er {von den Dingen) -trachtet nur, sich {in die Residenz) zu begeben. Das ist verständlich, doch sehe ich es voll Kummer. Diese meine Empfin­dungsweise berichtet Seiner Majestät vertraulich."

Ein Blick auf die hier verwendeten Verba und ihre Formen zeigt, daß keines von ihnen auf die Bezeichnung von Vorgängen beschränkt ist: dazu hätten die entsprechenden Formen der Verba kiku, omoi-tatsu, omoi-shiru, yuku, omoi-isogu, miru, omou und so-su ausgereicht. Was hier zusätzlich lexikalisch oder grammatisch formuliert ist, in der Ubersetzung kaum zum Ausdruck kommt, doch die Redeweise des J apaners seit eh und je maß­geblich mitbestimmt, ist der Bezug zwischen den Partnern des Gesprächs und zu den personalen Gegenständen der Rede in der typischen inter­personalen Sicht japanischer Denkart. Nicht die Person ist hier Objekt sprachlicher Bestimmung, sondern das Verhältnis der am Sprechakt betei­ligten und im Redeinhalt eingeschlossenen Personen. Damit steht für den grammatisch-personalen Bezug ein soziativer, der im Japanischen vielfälti­gen Ausdruck findet. Er wird in erster Linie am Verb bezeichnet und ist beim Prädikat eines Satzes stets dann vorhanden, wenn ein faktisches oder fiktives soziales Gefälle die Personen des Sprechaktes berührt. Nach oben hin werden Ehrerbietung oder Bescheidenheit bezeichnet, nach unten hin Herablassung oder Geringschätzung. Grammatisdl belangvoll ist im Japa­nischen nur die erste der beiden möglichen Komponenten des soziativen Bezugs, weshalb die entsprechende Kategorie Honorativ genannt werden soll.

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Beim Verb läßt sich der Honorativ auf dreierlei Weise realisieren (Bei-spiele aus der Sprache des Genji-monogatari):

a) durch honorative Vollverben (uketamawaru, mairu, obosu usw.); b) durch honorative Hilfsverben (-tamau, -tatematsuru, -haberi usw.); c) durch honorative Verbalsuffixe (-su, -ru usw.).

Diese Merkmale können einzeln oder kombiniert auftreten. Gramma­tische Geltung besitzen sie nur insoweit, als sie Verbalformen bilden. Der Honorativ im engeren Sinne, als verbale, grammatische Kategorie betrach­tet, ist demnach auf die unter b und c genannten Sprachmittel beschränkt, welche zum grammatischen Inventar des Japanischen gehören. Von ihnen sollen uns hier nur die Hilfsverba, und unter ihnen eine spezielle Gruppe beschäftigen.

Die Hilfsverba verfügen innerhalb der Kategorie über die weiteste Funk­tionsskala, denn sie vermögen alle soziativen Bezüge, die von der Verbal­aussage im Japanischen erfaßt werden können, zu bezeichnen:

I. Bezug zwischen Sprecher und Respektsperson

a) in der Stellung des personalen Handlungsträgers: AusdruCk der Ehrerbietung;

b) in der Stellung eines Vorgangsbeteiligten: AusdruCk der Ergebenheit oder Bescheidenheit;

II. Bezug zwischen Sprecher und Respektsperson in der Stellung des Gesprächspartners: AusdruCk der Verbindlichkeit.

Regelhafte Identifikationen mit den grammatischen Personen sind nicht möglich, zumal das Bezugsfeld Sprechinhalt (I) und Sprechsituation (li) um­schließt. Beide können in einer Verbalformerfaßt werden, wie das Prädikat mi-tatematsuri-haberu im ersten Beispielsatz beweist, wo -tatematsuru Be­scheidenheit (I b) und -haberi Verbindlichkeit (II) zum AusdruCk bringt.

In dem Zitat aus dem Genji-monogatari fällt der mehrfache Gebrauch des Hilfsverbs -tamau auf, das hier offenbar auf zweierlei Weise flektiert wird (4 und 2u) und einmal Ehrerbietung, zum anderen Bescheidenheit aus­drüCkt (4: I a, 2 u: I b). In der klassischen Sprache der Heian-Zeit ist es mit verwandten Wörtern das häufigste honorative Hilfsverb; in den frühesten Literaturdenkmälern des Altjapanischen kann es bereits belegt werden, und seine Verwendung reidlt bis ins Neujapanische. Die Bedeutung der Wortgruppe -tamau in der historischen Grammatik und für die Textanalyse ist Grund genug, hier die wesentlichsten Züge ihrer Geschichte aufzu­zeichnen.

Unsicher ist die Etymologie von tamau (ta-ma-fu, neujap. tamo). Yamada Yoshio 1 leitet es von dem gleichbedeutenden und etymologisch zweifellos verwandten tabu ab: "Die alten Gelehrten sagten, daß dies Wort (sc. tabu) eine Kürzung aus tamau sei. Das trifft meines Erachtens bestimmt nicht zu. Im Gegenteil ist es (sc. tabu) die ursprüngliche Form des alten Wortes, und ich nehme an, daß das vierstufig flektierte Verbalsuffix der ha-Reihe ange-

1 Naracho-bumpo-shi (7. Aufl. 1961), S. 142.

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treten und so tamau entstanden ist." Die Frage der Etymologie ist damit nur verschoben, aber selbst die hier verfochtene Lösung der Prioritätsfrage ist umstritten. Das Verhältnis tabu- tamau sieht Yamada analog zu negu - negau, yamu- yamau, yobu- yobau usw. (Suffigierung von -tu an die Indefinitform des Simplex). Die Alternation b/m wäre zwar nicht unge­wöhnlich - vgl. musubul musumu, kanashibu/kanashimu, saburau!samurau usw. -, doch ist das Zwischenglied •ta-ba-tu im Altjapanischen nicht belegt. Die umgekehrte Ableitung, welche größere Anerkennung findet (so auch im Lexikon Daigenkai von Otsuki Fumihiko, III, 275,2) und neuerdings wieder von Kindaichi Kyösuke angenommen wird, bleibt ebenfalls hypothetisch (tama-fu > tam-bu > tambu > tabu) 2 ; jedoch spricht die Möglid:lkeit, die Form tambu aus - graphisch allerdings unsicheren - Belegen zu er­schließen (siehe Anm. 6), für diese Hypothese. Kindaichi hat auch versucht, eine Etymologie zu geben, indem er ta-ma-fu aus tama-furu herleitet (,Geist, Seele hervor-, anrufen'), das er mit dem altjap. mi-tama-no-fuyu {< iuri) zusammenstellt (,Hervorrufung des erlauchten Geistes', ,Teilhaftig­werden göttlicher, kaiserlicher Gnade') 3• Die Form tamafuredo [tJ im Man­yöshu XV /3767 sieht Kindaidli als Beleg an:

Tamashii-wa/ ashita yube-ni/ tamafuredo / aga mune itashi/ koi-no shigeki-ni. "(Meine) Seele rufe ich morgens und abends hervor (d. h. versuche mich zu fassen), doch es schmerzt mir das Herz aus starker Liebessehnsucht"

tamafure- wird hier als Konditionalform (Izenkei) von tamafuru (4) inter­pretiert, wogegen die traditionelle Erklärung von tamafu (tamau) (2 u) ,empfangen' ausgeht: "(Deine) Seele empfange ich morgens und abends ... u

Die vier Flexionsstufen von tamau sieht Kindaichi wie folgt entstanden:

tamafura > tamafa (tamawa) tamafuri > tamafi (tamai) tamafuru > tamafu (tamau) tamafure > tamafe (tamae)

Die von Kindaichi Kyösuke vorgeschlagene Etymologie besitzt einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit: ,geben' ist als verbale Grundbedeu­tung von tamau auf dem Wege über ,teilhaftig werden lassen' mit den ursprünglid:l Schamanistischen Vorstellungen dieses Sinnkomplexes ver­knüpfbar (den göttlichen Geist anrufen und sid:l nutzbar machen). Zudem wäre damit verständlich, warum tamau seit seinem Auftreten im Alt­japanischen ausgeprägte honorative Züge trägt.

In den ältesten Literaturdenkmälern der Na r a- Zeit tritt tamau bereits als Vollverb und als Hilfsverb auf. Das Vollverb tamau l21 steht für den Vorgang des Gebens, immer ehrerbietig auf die Handlung des Höherste­henden bezogen und abwärts gerichtet (,hinabreichen'), z. B.

Nihon no keigo, Tökyö 1959 (Kadokawa-shinsho 139), S. 72. a. a. 0., S. 79-80.

[2) Jm

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Shikashite sono ototo Ukashi-ga tatematsurishi omiae-woba kotogotoku­ni sono miikusa-ni tamaiki (Kojiki, Jimmu-tennö). "Dann gab er (sc. Jimmu-tennö) den großen Schmaus, den Ukashi, der jüngere Bruder, dargebracht hatte, ganz und gar seinen Kriegern. u

Ame-no shirakumo/ watatsumi-no/ oki-tsu miyabe-ni/ tachi-watari/ tonogumori-aite/ ame-mo Lamawane (Manyöshu XVIII/4122). "Ihr wei­ßen Wolken am Himmel, schwebt hin bis zum Seepalast der Meeres­gottheit, bedeckt alles mit Wolken und schenkt Regen. u

Daneben findet sich tamau schon in dieser Epoche als zweistufig flektier­tes Verb in der Bedeutung ,empfangen', allerdings nur in seltenen Fällen; z. B.

Suzu-ga ne-no/ hayuma umaya-no/ tsutsumii-no! mizu-wo tamae-na/ imo-ga tadate-yo (Manyöshu XIV/3439). "Wasser aus dem steinum­friedeten Brunnen am Stall für die schnellen Postpferde, deren Glöck­chen läuten, - das Wasser möchte ich empfangen aus Deinen bloßen Händen, Geliebte."

Die Postposition -na fungiert hier als desideratives Verbalsuffix im Anschluß an die Indefinitform (Mizenkei) und bezeichnet den Wunsch der sprechenden Person. Um die Form tamae als Mizenkei deuten zu können, ist das Verb zweistufig flektiert anzusehen (Alternation u - e), also mit tamau(2 u) zu identifizieren. Dies Verb unterscheidet sich morphologisch nur durch die Flexionsklasse von tamau(4), doch in Bedeutung und hono­rativer Position ist es dessen Geg-enpol. Etymologisch und semantisch ver­wandt, bilden beide eine nicht leicht zu erklärende Opposition, die aber vielleicht in der Passivform von tamau(4) ihr Zwischenglied findet: das altjap. Passivformans -yu(2 u), an die Indefinitform angeschlossen, ergibt tamawayu (tama-fa-yu) mit den Flexionsformen tamawae, tamawayuru, tamawayure, aus denen sich in Angleichung an Silbenstand und Lautstufe der Endungssilbe tamau (tama-fu) die Kontraktionen tamae, tamauru, tamaure entwickelt haben könnten 4• Dem entspräche die semantische Ent­wicklung von ,gegeben werden' zu ,entgegennehmen', ,empfangen'. Mir will scheinen, daß diese Opposition formal im Zusammenhang mit den ende­und exoaktiven Verbpaaren zu sehen ist, die sich nur durch ihre Flexions­klasse unterscheiden, z. B. aku(4/2u), tsuku(4/2u), tatsu(4/2u), yamu(4/2u), hau(4/2 u). Hier mag ein morphologischer Analogiezwang gewirkt haben. Jedoch darf nicht übersehen werden, daß bei dieser Paarigkeit stets das endeaktive Glied vierstufig flektiert wird, während es bei der in Frage stehenden Opposition das exoaktive Glied ist.

In einer weiteren Bildungsklasse solcher Verbpaare ist das endeaktive Glied mit dem Suffix -ru(4) im Anschluß an die Mizenkei von vierstufig flektierten Exoaktiva abgeleitet, z. B. sasu - sasaru, tsumu - tsumoru, fusagu - fusagaru. Diesem Typ entspricht das Paar tamau(4) - tama­waru(4). tamawaru ist gleichbedeutend mit tamau(2u), z. B.

' Vgl. Kindaichi, a. a. 0., S. 82.

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Tsune-mo tamau sakamai-no mono-wo tamawari [31-mochite makare (Semmyö Nr. 38). "Die Bankettgeschenke, welche ich (die Kaiserin) Eudl gewähre, nehmet entgegen und gehet dahin I u

Für die honorative Bezeichnung des Gebens und Nehmens findet man neben der hier gezeigten Dreiheit tamau(4) - tamawaru(4) / tamau(2 u) eine zweite, nur phonetisdl unterschiedene in der Reihe tabu(4) - tabaru (4) / tabu(2 u). Die morphologischen Zusammenhänge sind analog zu der ersten Gruppe zu sehen; Divergenzen betreffen den semantischen und stilistischen Bereidl.

tabu(4): Akanesasu/ hiru-wa ta tabite/ nubatama-no/ yoru-no itoma-ni/ tsumeru seri kore (Manyöshu :XX/4455). "Am hellen Tage vergebe ich die Felder (bei der Feldverteilung); und hier das Seri-Kraut, in den Mußestunden der dunklen Nadlt gepflückt. 11

tabu(4) bildet hier sozusagen einen Honorativ majestatis, da es auf die erste Person bezogen ist.

tabu(2 u): Sake-wo tobetel labe yote ... (Saibara Nr. 53). "Sake nehme ich zu mir, nehm ihn zu mir, bin berauscht. 11

Die Manyogana-Schreibung von tobete l41 erweist eindeutig den vokali­sdlen Charakter des u-Phonems. Es handelt sich um eine, vermutlich emphatische, Dehnung der Stammsilbe, die bei tamau nicht vorkommt. Se­mantisch ist zu beachten, daß tabu(2 u) vom ersten Auftreten in den litera­rischen Denkmälern an die Bedeutungsverengung ,entgegennehmen' > ,zu sich nehmen' aufweist. So wird es die ganze Sprachgeschichte hindurch verwendet und führt auf geradem Wege zum neujapanischen taberu(1 u) ,essen'.

tabaru(4): Konogoro-no/ waga koijikara/ tabarazu-wa/ misato-tsukasa­ni/ idete ureemu (Manyöshu XVI/3859). "Wenn ich für meine Liebes­anstrengungen dieser Tage (eine Belohnung) nicht erhalte, gehe ich zum Amt der Hauptstadt und werde mich beschweren. 11

Der hochsprachige Gebrauch von tabaru ist auf das Altjapanische be­schränkt; jedenfalls fehlen Belege von der klassischen Literatur an. Es kommt nur noch als Dialektwort im Neujapanischen mit der Bedeutung ,Opfer darbringen' vor 5•

Das Paar tabu(4) - tabaru(4) zeigt keine semantische Differenzierung zu tamau(4) - tamawaru(4). Allerdings scheint ein stilistischer Unterschied vorhanden gewesen zu sein, da die tabu Gruppe in den volkstümlichen Liedern vor allem zu finden ist, kaum aber in der sakralen und offiziellen Prosa des Hofes. So geht man wohl nidlt fehl mit der Annahme, daß tamau der altjapanisdlen Hochsprache, tabu hingegen der Umgangssprache zuzu­ordnen ist. Daraus ließe sich au<h erklären, warum in der altjapanisdlen Literatur, die zum überwiegenden Teil auf der Hochsprache basiert, mehr

6 Vgl. Töjö Misao: Zenkoku-hogen-jiten, Tökyö 1951. Belegt für Osaka-fu, Nara- und Wakayam.a-ken.

[3J M1JftJ

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Belegstellen für die tamau- als für die tabu-Gruppe zu finden sind. tamau(4) zeigt die größte Häufigkeit; am seltensten treten tamau(2 u) und tabu(2 u) in Erscheinung.

Das System der honorativen Verbgruppe tamau ist bereits im Altjapani­smen voll ausgeformt:

geben

entgegen­nehmen

(I a) tamau(4)

I \ (Ib) tamau(2u) tamawaru(4)

(I a) tabu( 4)

I \ (Ib) tabu(2 u) tabaru(4)

Zum Teil sind diese Verben seit der frühesten Zeit grammatisch relevant, soweit siezeitIhres Auftretens auch als Hilfsverbader Aktionsaussage nach Tätigkeitsverba fungierten. In dieser Funktion ist das Paar tamau(4) I tabu(4) bereits im Altjapanischen häufiger denn als Vollverb anzutreffen, so daß diese Entwicklung weit in die vorliterarische Zeit zurückreichen muß. Dabei streifen beide ihre verbale Bedeutung ab und behalten lediglich den ihnen innewohnenden honorativen Richtungscharakter (Personalbezug) bei. -tamau(4) und -tabu(4) bezeichnen also die Ehrerbietung des Sprechers gegenüber der handelnden Person (I a). Sie werden wie alle übrigen Hilfs­verba dieser Gruppe an die Konjunktionalform (Renyökei) des Hauptverbs angeschlossen.

Tadashi matsurigoto-wa tsune-no matsuri isasakeki koto-wa ima-no mikado okonai-tamae (Semmyö Nr. 27). "Was nun die Regierungs­geschäfte anlangt, so soll der jetzige Kaiser die üblichen Geschäfte und die kleinen Angelegenheiten zur Ausführung bringen. •J

In einer Imperativform wie okonai-tamae ist die Grundbedeutung des Hilfsverbs nod1 relativ durchsichtig, wird doch der Befehl dadurch gemil­dert, daß die auszulösende Tätigkeit als eine Huld, ein ,Hinabreichen' hin­gestellt wird, dem neujapanischen -kudasai entsprechend. Daher liegt die Annahme nahe, daß die Grammatikalisierung von tamau über den Impe­rativ erfolgt ist. In den folgenden Beispielen sind diese Zusammenhänge weitgehend verblaßt

Yorozu-yo-nil imashi-tamaitel ame-no-shital moshi-tamawanel mikado sarazute (Manyöshü Vl879). "Zehntausend Generationen (lang) mögest Du residieren und das Land regieren, ohne die Hauptstadt zu ver­lassen." Waga kikishil mimi-ni yoku nirul ashi-no ure-nol ashi hiku waga sei tsutome-tabubeshi (Manyöshü III128). "Dem Gerücht, das ich gehört habe, ähnelt es sehr: wie Schilfblätter schwankend, mein fußkranker Herr, Ihr solltet Euch in adlt nehmen." Shiba-shiba inabi-moshi-tabu-ni yorite uke-tamawari-tabazu narinishi koto (Semmyo Nr. 26). "Daß es dazu kam, daß er (das Amt) immer wieder ablehnte und es daher nicht entgegennahm."

In der Verbform uke-tamawari-tabazu bezeichnet -tamawaru(4) die Rela­tion zwisdlen Tenno und Untergebenem (Ergebenheit dem Tenno gegen­über), -tabu(4) hingegen die Relation zwischen handelnder Person und Sprecher, hier Untertan und Tenno, wobei das honorative Hilfsverb nur

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Höflichkeitsbezeidmung ist. Die in dem Semmyö getroffene Abgrenzung zwischen -tamau und -tabu macht deutlich, daß letzteres schwächer hono­rativ wirkt.

-tamau(4) konnte übrigens auch bei Identität von Handlungsträger und Sprecher in einer Art von Honorativ majestatis mit Bezug auf Gottheiten und Kaiser zur Anwendung kommen {vgl. oben, S. 25):

Kono osu-kuni ame-no-shita-wo totonoe-tamai tairage-tamai ame-no­shita-no 6mitakara-wo megumi-tamai nade-tamawamu-to-namo kamu­nagara omohoshimesaku (Semmyö Nr. 1). "Dies unser Eigenland, das Reich, wollen Wir in Ordnung und Frieden halten; dem Volk des ReiChes wollen Wir Gunst und Freundlidlkeit erweisen. So, wahrlich, denken Wir in Göttlidlkeit. u

Manche Verbindungen mit den Hilfsverben -tamau(4) und tamawaru(4) tendierten schon im AltjapanisChen zur Lexikalisierung, so das bereits genannte uke-tamawaru(4) ,entgegennehmen' (auf sich nehmen, verneh­men) (Ib) und das in den Semmyö und Norito verbreitete nori-tamau(4) ,verkünden' (I a). Dem ehrerbietigen nori-tamau gegenüber dient m6shi­tamau(4) trotz der eindeutigen Funktion des honorativen Hilfsverbs als Ausdruck der Ergebenheit im Sinne von ,(nach oben) berichten' (Ib):

Inishie-yu! nakarishi shirushi/ tabi-maneku/ moshi-tamainu {Manyöshu XIX/4254). "Uber glücklime Zeidlen, die es seit alters nicht gab, hat man des öfteren (dem Thron) berichtet."

Hier mag das stets honorativ-besmeidene m6su{4) die funktionelle Um­kehrung von -tamau(4) bewirkt haben. Denn eigentliCh ist mit dem Auf­treten von -tamau(2 u) oder -tabu(2 u) zu redmen, wenn Ergebenheit oder BesCheidenheit gegenüber der an der Handlung beteiligten Respektsperson zum Ausdruck gebracht werden soll. Als Vollverb war das Paar schon selten im Altjapanismen anzutreffen; in der Stellung als Hilfsverb ist es aber überhaupt nicht nachweisbar. In der genannten Funktion tritt dafür in der Nara-Literatur -matsuru{4) auf:

Kono kurai-wo sazuke-matsuramu-to mosaba, kanarazu aeji ina-to nori-tabamu-to omohoshite {Semmyö Nr. 36). "Wenn ich sagen würde, daß idl {ihm) diese Würde übergeben mömte, würde er bestimmt ,nein, wie könnte im' sagen, so meine idJ.. IJ

Das Beispiel zeigt übrigens, daß der Honorativ majestatis wie so man­ches in der japanischen Sprache nur fakultativ zur Anwendung kommt: hier äußert sich die Kaiserin Shötoku ihrem Favoriten Dökyö gegenüber mit Worten der Bescheidenheit (-matsuru, mosu}; andererseits wird ihm nur -tabu statt -tamau zugebilligt.

Das mit -tamau(2 u) in der Bedeutung identisdJ.e -tamawaru(4) erscheint als Hilfsverb gar erst im Mitteljapanismen, und das entsprechende -tabaru (4) ist als Hilfsverb überhaupt nicht nachweisbar. Mithin ist die honorative Hilfstunktion der tamau-Gruppe im Altjapanismen auf das Paar -tamau{4) - -tabu(4) beschränkt, das die Ehrerbietung gegenüber dem Handlungs­träger zum Ausdruck bringt (I a).

Im klassismen Japanisch der Heian-Zeit gewinnt -tamau(4) weiteste Verbreitung als Hilfsverb der honorativ-ehrerbietigen Aktionsaussage und

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beherrscht diesen Aussagewert gänzlich. Als Vollverb ist es weiterhin lebendig, hier aber nicht in derselben Häufigkeit wie in seiner grammati­kalisierten Funktion.

Sono watari-no yamagatsu-made sarubeki monodomo tamai, gozukyo­nado-shile ide-tamau (Genji, Wakamurasaki). "Selbst den Bergbewoh­nern dieser Gegend übergab er angemessene Dinge; während man aus den Sutren rezitierte, begab er sich fort.''

In der Verbform ide-tamau und der Unzahl von Parallelbeispielen ist das Bedeutungselement des Gebens oder Hinabreichens kaum mehr isolier­bar. Anders verhält es sich mit zusammengesetzten Prädikaten, in denen tamau nach einer Suspensivform steht und dann als Vollverb aufzufassen ist. z. B.

Sore hito-eda orite tamawaran (Taketori, Tsumadoi). "Einen Zweig desselben solltet Ihr brechen und (mir) bringen."

Erkennbar ist die semantische Herkunft des Hilfsverbs -tamau(4) weiter­hin nur in den Imperativformen, wo mit der Vorstellung des abwärts ge­richteten Gebens der aufgeforderten Person eine deutlich honorative Milde­rung des Befehls verbunden ist: ·

Hito-ni keshiki misede, kono onfumi tatematsuru waza shi-tamae (Ocbikubo, 1. Maki). "Tut bitte das Werk, diesen Brief (dem Fräulein) zu überreichen, ohne jemanden etwas merken zu lassen."

Der häufige Gebrauch des imperativischen -tamae in der Heian-Zeit er­hellt aus dem Entstehen elliptischer Formen, bei denen das Hauptverb un­genannt bleibt. Hierbei handelt es sich um idiomatisierte Wendungen wie z. B. anakama-tamae, wo das Hilfsverb einem adverbial gebrauchten Qualitativstamm angehängt wird (anakama = ana, kama-shi):

Anakama-tamae, itaku na-notamai-so (Konjaku, Maki 20,2). "Seid still, redet nicht so viel!"

Ubrigens ist notamau(4) (auch notabu, notobu) in der Heian-Zeit aus dem schon in der Nara-Zeit weitverbreiteten nori-tamau kontrahiert und lexi­kalisiert worden und entspricht dem neujapanischen ossharu (honorativ für iu). Ebenso elliptisch ist iza-tamae, wo ein Verb der gerichteten Bewegung ausgefallen ist, z. B.

Hoka-ni iza-tamae (Utsubo, Toshikage). "Wohlan, kommt anders­wohin!" Iza-sase-tamae, onore-ga uchi-e (Konjaku, Maki 26,5). "So kommt denn in mein Haus I"

Im letzten Beispiel ist der Imperativform eine Faktitivform des Hilfs­verbs -su(3 sa) vorangestellt. Sie kennzeichnet den höchsten Grad ehrerbie­tiger Aussageweise. In der Heian-Zeit entwickelte sich nämlich eine Zwei­stufung der honorativen Aktionsaussage: neben die Verbindung des Hilfs­verbs -tamau(4) mit der Konjunktionaltarm des merkmallosen Aktiv trat die Verbindung mit den konjunktionalen Faktitivformen in honorativer Funktion: -se-tamau, -sase-tamau, -shime-tamau. Oberwiegend nur gegen­über den Gottheiten, dem Tennö und den Angehörigen d~s Kaiserhauses und des Hochadels gebraucht, bezeichneten diese Formen eine sehr ehr-

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erbietige Charakterisierung des Vorganges und standen in ihrem honorati­ven Wert über denen der einfadlen tamau-Formen.

Einfacher Honorativ: Kono miko-no oyozuke-moteowasuru onkatachi kokorobae, arigataku mezurashiki-made mie-tamau-wo, e-sonemi-ae­tamawazu. Mono-no kokoro shiri-tamau hito-wa ,kakaru hito mo, yo-ni ide-owasuru mono-narikeri' -to, asamashiki-made, me-wo odorokashi­tamau (Genji, Kiritsubo). "Gestalt und Gemütsart dieses Prinzen, wie sie sich bei seinem Heranwachsen entwickelten, waren selten, ja gera­dezu verwunderlich anzuschauen, doch man wagte nicht, ihn zu be­neiden. Die Leute, welche sich im Wesen der Dinge auskannten, sagten: ,Solch ein Mensch macht seinen Weg in der Welt', und geradezu über­rascht blickten sie voll Verwunderung.'' Gesteigerter Honorativ: Hirogete goran-jite, ito itaku awaregarase­tamaite, mono-mo kikoshimesazu, oasobi-nado-mo nakarikeri. Otodo kandachibe-wo meshite, ,izure-no yama-ka, ame-ni chikaki?' -to towase­tamau-ni, aru hito so-su: ,Suruga-no kuni-ni aru-naru yama-namu, kono miyako-mo chikaku, ame-mo chikaku-haberu',-to so-su. Kore-wo kikase­tamaite, Kaguyahime-uta-no kaeshi kakase-tamau (Taketori, Ame-no­hagoromo). "Er (der Kaiser) öffnete (den Brief), las ihn und empfand schreckliche Sehnsucht; er nahm nichts mehr zu sich und hielt sich auch von Vergnügungen fern. Er rief die Höflinge und Großwürdenträger herbei und fragte: ,Welcher Berg ist dem Himmel nahe?'- Da berichtete ihm jemand: ,Der Berg, der sich in der Provinz Suruga befindet, ist dieser Hauptstadt und auch dem Himmel nahe. Als er das hörte, schrieb er eine Antwort auf das Gedicht der Kaguyahime. '~

Ahnlieh entwickelte gleichzeitig audl das Vollverb tamau(4) eine hono­rativ gesteigerte Nebenform tamawasu(2 u), formal dem Faktitiv entspre­chend, aber in honorativer Funktion gebraudlt, z. B.

Okashi-to oboshite, sonokoto tori-kaete tamawasetari (Genji, Akashi). "Ihm (dem Prinzen Genji) schien es nett, und so vertauschte er d1e Laute und übergab sie ihm."

Daneben steht die entspredlende Ableitung von tabu(4) - tabasu(2 u), die wohl eine mehr volkstümliche Spredlweise wiedergibt:

Kono onna moshi tatematsuritaru mono-naraba, okina-ni koburi-wo nado-ka tabasezaran (Taketori, Mikado-no-kyukon). "Wenn er mir dies Mäddlen zugeführt hat, warum sollte ich dem Alten nicht einen Amts­rang ver leihen?"

In der Heian-Zeit tritt ebenso wie in der vergangenen Epoche -tabu(4} als honoratives Hilfsverb in Ersdleinung, jetzt aber eindeutig stilistisdl differenziert. Im Altjapanischen hatte es wahrscheinlich eine geringere Ehr­erbietung als -tamau(4) ausgedrückt (vgl. oben, S. 25). Jetzt kommt diese Funktion deutlich zutage, da die Verwendung von -tabu(4) eine volks­tümliche oder leimt herablassende Spredlweise dlarakterisiert. So wird verständlidl, daß es nie in Verbindung mit Faktitivformen auftritt.

Ima, kane goju-ryo tamawarubeshi. Fune-no kaeramu-ni-tsukete tabi­okure. Moshi kane tamawanu-naraba, kano karomo-no shichi kaeshi­tabe (Taketori, Hinezumi-no-kawaginu}. "Jetzt möchte ich nodl fünfzig

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Dukaten (von Eudl) haben. Schickt sie mir bei der Rückkehr des Schiffes zu. Falls Ihr kein Geld (mehr) gebt, schickt mir das anvertraute Kleid zurück." Nusa-ni-wa mikokoro-no ikaneba, miiune-mo yukanu-nari. Nao ureshi­to omoi-tabubeki mono taimatsuri-tabe (Tosa, II.S.). "Da die Gottheit mit Gebetspapier nidlt befriedigt ist, bewegt sich das schöne Schiff nidlt. Bringt etwas dar, was auch (die Gottheit) für erfreulich halten muß."

-tabu(4) ist in der Literatur weit seltener belegt als -tamau(4}. Dasselbe gilt auch für die Nebenform tabu (ta-u-Ju), die von japanischen Gramma­tikern gern als Dehnungsform erklärt wird. Der ursprünglich vokalisdle Charakter des Graphems Iu! scheint durch alte Manyogana-Schreibungen gesichert zu sein (vgl. oben, S. 25). Allerdings muß die Möglidlkeit offen­gelassen werden, in diesem Graphem das Zeichen für einen Silbenschluß­nasal zu sehen, da dieser Laut bei seinem Aufkommen in der frühen Heian-Zeit noch kein graphisches Äquivalent besaß und ersatzweise fixiert werden mußte. Demnadl könnte ta-u-Ju gleich tambu gesetzt und als Uber­gangsform zwischen tamau und tabu gedeutet werden (vgl. oben, S. 23) 6•

Mitachi-yori ide-tObishi hi-yori koko kashiko-ni oi-kuru (Tosa, !.9.). "Seit dem Tage, da er den Amtssitz verlassen hatte, waren die Leute allerorten gekommen, (ihm) das Geleit zu geben." Ippon-no miya-mo naka-ni tatematsuritarikeru-ni-ya, onzodomo-wa, nanigashi-no nushi-no mochi-tobi, onkuruma-no shiri-ni-zo sabura­wareshi (Okagami, Michinaga). "Die Prinzessin der ersten Rangklasse fuhr wohl auch da rinnen, (denn) irgendeine Person trug ihre Gewänder und folgte dem fürstlichen Wagen nach."

In der Heian-Zeit findet -tobu(4) eine ~igentümliche Verwendung als Komposition mit dem Hilfsverb -haberi(4 ra) in der Form -haberi-t6bu(4). Hierbei tritt der Aussagewert des honorativen haberi, das die Verbindlich­keit des Sprechers dem Gesprächspartner gegenüber bezeidlnet (II), mit dem handlungsbezogenen tObu zusammen, das auf eine (mit-)agierende Respektsperson verweist (I a, I b). Damit bringt diese Verbindung einen hohen Grad von Ehrerbietung des Sprechers zum Ausdruck:

Osanaku-haberishi toki-dani, kohaha-no, tsune-ni1

kurushigari oshie­haberishi. Myokoji-no beto-daitoko-no, ubuya-ni haberikeru, aemono­ni-namu, nageki-haberi-tobishi (Genji, Tokonatsu). "Selbst als ich klein war, hat meine verstorbene Mutter sich immer gegrämt und mich belehrt: der hochwürdige Tempelvorsteher des Myököji sei (zur Zeit meiner Geburt) in der Gebärhütte gewesen und ihm sei ich nach­geraten, so pflegte sie zu klagen."

Katsuragawa-watari-ni kyo aru tokoro-wo mochite-haberi-tobu. Soko­ni-nan, hana mi-tamaen-tote, higoro haberi-tobu-nari (Utsubo, Urne-

6 Der Silbenschlußnasal wurde in der Heian-Zeit ersatzweise meist dur<h das Kanazeichen mu wiedergegeben; es kamen aber auch die Schreibungen u und i vor. Mitunter fehlte sogar jegliche Bezeichnung. Vgl. Artikel haneru-on im Koku­gogaku-jiten (1955}.

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no-hanagasa). "Nahe dem Katsura-Fluß besitze ich ein reizvolles Plätzchen. Um dort die Blüten zu betrachten, ist (jetzt) die rechte Zeit." (dem Tenno gegenüber geäußerte Worte).

Im Zusammenhang mit tabu sei angemerkt, daß in der Heian-Zeit auch ein Vollverb t6baru(4) ,entgegennehmen' belegt ist, das dem altjapanischen tabaru(4) entspricht, z. B.

Okaeri-wa kanarazu aramu. Tobarite mode-komu (Utsubo, Fujiwara­no-kimi). "Eine Antwort wird notwendig erfolgen. (Sie) entgegenzu­nehmen will ich kommen."

Ein Rückblick auf die honorativ-ehrerbietige Bezeichnungsweise der Aktionsaussage (Ia) zeigt in der klassischen Sprachstufe eine reich nuan­cierte Skala von Ausdruckswerten (siehe Tabelle S. 40). Die japanische Sprache hat auch in diesem Bereich zur Heian-Zeit ihre größte Differenzie­rung gefunden. Demgegenüber ist die honorativ-bescheidene Funktions­skala von tamau begrenzt und seltener genutzt. Hier entwickelte sich aus dem in der Nara-Zeit bereits belegbaren Vollverb tamau(2u), ,nehmen' das morphologisch identische Hilfsverb, welches die Bescheidenheit gegenüber einer am Vorgang beteiligten Respektsperson zum Ausdruck bringt(Ib), dabei wie -tamau(4) die Grundbedeutung abstreifend. Die semantische Kom­ponente schwingt allerdings noch insofern mit, als der Vorgang ursprüng­lich von der Respektsperson ausgelöst oder im Schatten ihrer Huld ab­laufend vorgestellt wird. In der Literatur der frühen Heian-Zeit ist -tamau(2u) noch nicht belegbar; so erscheint es weder im Taketori- noch im Ise-monogatari. Erst vom späteren 10. Jh. an tritt es in den Monogatari und den Nikki in Erscheinung.

Tsurezure-to mach.i-tamauran-to, kanashiu-habereba, chikaku-to omou­tamaete mi-haberitsurunari (Utsubo, Toshikage). "Bei dem Gedanken, daß sie untätig warten wird, war mir traurig zumute; so dachte ich, daß wir in der Nähe (wohnen müßten), und da sah ich sie (die Höhle).'1

Migi-no uta-no 'hana-no kokoro-wo' -to yomaritaru-wa, hana-wa ko­koro-ya-wa haberan-to omou-tamaureba, hidari-wa nao masaritari-to­ya haberan (Kayanoin-shichishu-utaawase). "Wenn im rechten Gedicht ,das Herz der Blüten' gedichtet steht, überlege ich, ob denn die Blüten (überhaupt) ein Herz haben; und so meine ich eigentlich, daß das linke besser ist." Karanishiki-wo hikkaketaru-yo-ni sakitarishi-nado-wo mi-tamaeshi-wa, ika-ni medetaku-haberishi-ka-wa (Okagami, Koretada). "Ich sah, wie sie blühten, als hätte man chinesischen Brokat aufgehängt, und das war lieblich fürwahr." Kano dainagon-no mimusume mono-shi-tamau-to kiki-tamaeshi (Genji, Wakamurasaki). "Ich hörte, daß die Tochter jenes Oberkabinettsrates anwesend sei." Kore-namu Nakatada-ga mi-tamaenu koto-ni haberu-nari (Utsubo, Fu­kiage II). "Dies nun ist eine Koto, welche Nakatada nicht sieht. JJ

Von den möglichen Flexionsformen kommt die Finalform (Shushikei) höchst selten vor (z. B. omoi-lamau im Konjaku XIX, 4); allenfalls noch in der Verbindung mit -beshi (-tamaubeshi). Die Meidung dieser Form rührt

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von der morphologischen Koinzidenz mit -tamau(4) her. Das Fehlen der Imperativform (-tamae) ist hingegen semantisch zu erklären: -tamau(2u) ist in der Regel auf eine Handlung der ersten Person, seltener der dritten Person bezogen und daher nicht auf einen Befehl anwendbar.

Der Gebrauch des Hilfsverbs -tamau(2u) ist mit geringen späteren Aus­nahmen auf die Heian-Zeit beschränkt. Es scheint erst im 10. Jh. aufgekom­men zu sein, im 11. und 12. Jh. eine relative Häufigkeit erlangt zu haben und danach geschwunden zu sein. Auffallend ist die Ers<heinung, daß es fast nur nach Verben des Denkens, Hörens und Sehens gebraucht wird (omou, oboyu, shiru, kiku, miru) 1• Dies hängt vermutlich mit der Grund­bedeutung des Verbs zusammen, da hier ein sinnliches oder geistiges ,Auf­nehmen' gemeint ist und der Vorgang mehr passiv als aktiv angesehen wird 8• Auch nach Komposita dieser Wortgruppe wie omoi-shiru, omoi-yoru, omoi-waku, omoi-tatsu (vgl. Beispielsatz S. 21), mi-waku u. a. kommt es vor. In solchen Fällen tritt -tamau(2u) in den Denkmälern des 10. und 11. Jh. regelmäßig zwischen die Kompositionsglieder, z. B.

,Mairite-wa, itodo kokorogurushi, kokoro kimo-mo tsukuru-yo-ni-nan' -to naishi-no-suke-no soshi-tamaishi-wo, mono omoi-tamae-shiranu kokochi-ni-mo, ge-ni-koso, ito shinobigatau haberikere (Genji, Kiri­tsubo). "Als sie zu Ihnen kam, sei sie ers<hüttert gewesen und habe geradezu die Fassung verloren, so berichtete die stellvertretende Lei­terin des Palastdienstes Seiner Majestät, und au<h ich, die ich keine Einsicht in die Dinge habe, habe es wahrhaftig als sehr schwer zu er­tragen empfunden 9 • u

Ame-no-shita-wo, sakasama-ni nashite-mo omoi-tamae-yorazarishi on· arisama-wo mi-tamaureba, yorozu, ito, ajiki-naku-nan (Genji., Suma). "Wenn ich Euren Zustand betrachte, der mir unvorstellbar gewesen wäre, selbst wenn man die Welt umgestülpt hätte, ist mir alles sehr verdrießlidl. u

Erst gegen Ende der Heian-Zeit, mit dem Beginn des 12. Jh., gerät -tamau(2u) audl bei Verbalkomposita in suffigierende Stellung, z. B.

Tada mi-kiki-tamaeshi koto-wo, kokoro-ni omoi-okite (Okagami, Michi­naga). "Nur was wir gesehen und gehört haben, bewahren wir im Gedächtnis . . . "

• 7 Ina Köichi führt in einer speziellen Untersuchung auch Beispiele für die Ver­

bmdung der Verba kokochi-su, noru (notamau 2u), ka.shikomaru, kokoromiru, monosu, sumu, yorokobu, mosu, kei-su, mairu, mözu und tatematsuru mit -tamau (2u) an. Solche Verbindungen sind aber äußerst selten. Vgl. Heianchö-jidai no shimonidan-doshi ,tamau' ni tsuite. In: Kokugo to kokubungaku Bd. 15 3 (1938), s. 77 ff. ' '

8 Tokie~a b:zieht -tamau(4) auf eine hochstehende Person als Subjekt und d~utet. es 1m Smne von atae-kudas~ ,hinabreichen·; -tamau(2u) hingegen sei auf eme tiefer stehende Person als SubJekt bezogen und einem ue-yori itadaku ,von oben en.tge~en~ehmen' gleichzustellen. Das Standortgefälle zwischen den beiden Honorahva 1st Jedenfalls deutlich ausgeprägt. Siehe Tokieda Motoki: Nihon-bumpo, bungo-hen (Iwanami-zensho 183), S. 82.

8 -tamau(4) steht dagegen hinter dem Kompositum: mono omoi-shiri-tamau­~a ..... ima-zo oboshi-izur':l (a. a. 0.) ... Diejenigen (Herrschaften), welche Einsicht m die Dmge hatten . . . ermnerten sich jetzt."

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Das honorativ-bescheidene -tamau(2u) kann in der Heian-Zeit auch mit dem Hilfsverb -haberi(4ra) der Verbindlichkeit(II) ein Kompositum bilden: das so entstehende honorative -tamae-haberi(4ra) behält beide Funktions­elemente bei, d.h. Höflichkeit gegenüber der am Vorgang beteiligten Respektsperson und gegenüber dem Gesprächspartner (deren Identität mög­lich und nicht selten ist). Der Gebrauch beider Hilfsverba nebeneinander darf als Indiz für die Verschiedenartigkeit der Funktionen beider Hilfsverba im klassischenJapanisch gewertet werden. Dies sei ausdrücklidl festgestellt, da japanischerseits beide Hilfsverba häufig unterschiedslos als Wörter der Höflichkeit oder Bescheidenheit gegenüber dem Gesprächspartner definiert und beide dem neujapanischen -shimasu gleichgesetzt werden 10• Das zuvor behandelte -haberi-t6bu(4) und obiges -tamae-haberi(4ra) implizieren also gleichermaßen Ausdrucksweisen der Verbindlichkeit gegenüber dem Ge­sprächspartner. Ein Beispiel aus dem Genji-monogatari:

Mashite, hito-no kokoro-no, toki-ni atarite, keshikibameran, mirume-no nasake-woba, e-tanomumajiku omou (=omoi)-tamaete-haberu (Genji, Hahakigi). "In weit höherem Maße muß man, wie ich meine, beim menschlidlen Herzen einer äußerlidl (gespielten) Neigung mißtrauen, welche (nur) auf die Gelegenheit abzielend sidl den Anschein gibt."

Das Hilfsverb -tamau(2u) ist auf eine eng begrenzte Verbgruppe be­schränkt, von der die Verbindung mit omou und dessen Komposita weit voransteht 11 • Bei allen sonstigen Verben wird in derselben Funktion -tate­matsuru (-taimatsuru)(4) verwendet, das dem altjapanisdlen -matsuru(4) (vgl. oben, S. 27) entspricht. Im Gegensatz zu -tamau(2u) tendiert dies Hilfs­verb nicht zur Verknüpfung mit der ersten Person; es wird häufiger auf Tätigkeiten der dritten Person bezogen, ohne daß daraus eine regelhafte Differenzierung von -tamau(2u) und -tatematsuru(4) ableitbar wäre.

Miyazukasa, saburau hitobito, mina te-wo wakachite motome-tatema­tsuredomo, mi-shini-mo-ya shi-tamaiken, e-mitsuke-tatematsurazu-na­rinu (Taketori, Hörai-no-tama-no-eda). "Die Haushofmeister und die Bediensteten, sie alle teilten sich und sudlten ihn, jedoch - er modlte wohl gestörben sein - sie konnten ihn wirklich nidlt finden.'' Chichi-ga nama-gakush6-ni tsukaware-taimatsurite (Okagami, Jo) . "(Mein) Vater tat als junger Zögling im Hochschulamt Dienst."

10 Vgl. Nihon-bumpo-jiten. In: Nihon-bumpö-köza, Bd. 6 (Meiji-shoin 1958), S. 210u, 285u.

11 Yamada Iwao gibt folgende Tabelle über die Häufigkeit von -tamau(2u), die auf Untersudlungen der Texte Köi-Genji-monogatari, Konjaku-monogatari-shu und Sankambon-Okagami basiert:

Genji Konjaku Okagami

tamau insgesamt 522 98 40 nach omou 435 79 18 nach miru 80 16 21 nach kiku 6 1 nach shiru 1 3

Siehe I. Yamada: ,tamau' oyobi sono rulgo no hassei to tenkai. In: Kokugogaku V, 2 (1959), S. 172.

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Ja selbst die mit -tamau(2u) verknüpfungsfähige Verbgruppe kann mit -tatematsuru(4) verbunden werden. Man vergleiche kanashiu mi-tatema­tsuri-haberu-nado (Genji, Kiritsubo; vgl. oben, S. 21) "im sehe es voll Kummer", und sakitarishi-nado-wo mi-tamaeshi-wa (Okagami, Koretada; vgl. oben, S. 31) "im sah, wie sie blühten". Es steht zu vermuten, daß -tatematsuru(4) eine stärkere Aktivität des Subjekts bei der Ausübung der Handlung impliziert, während -tamau(2u) auf ein eher passives Verhalten abzielt (vgl. oben, S. 32).

tabu(2u) wird neben -tamau(2u) nicht als honoratives Hilfsverb verwen­det. In solmer Funktion ist es nie in der japanischen Sprachgeschichte ver­wendet worden (anders als tabu4). Dies mag damit zusammenhängen, daß die bekannte Bedeutungsverengung (,zu sich nehmen', vgl. oben, S. 25) bereits in der frühen Heian-Zeit, als tamau(2u) seine honorative Hilfstunk­tion annahm, volle Gültigkeit besaß. Somit bleibt die honorativ-beschei­dene Funktionskomponente der tamau-Gruppe auch im klassisd:l.en Japa­nisch der Heian-Zeit stark hinter der honorativ-respektvoUen zurück und ist nur mit dem in seinem Anwendungsbereich stark eingeengten -tamau(2u) besetzt.

Das klassische Japanisch repräsentiert den am stärksten differenzierten Zustand dieses honorativen Teilsystems. Schon zur Neige der Heian-Zeit {der sog. Insei-jidai) beginnt es in Breite und Gebrauch zu schrumpfen; ein Prozeß, der im Verlauf der Kam a k ur a- Zeit weiter fortschreitet. Wie zu erwarten, erweist sich dabei das gebräuchlidle -tamau(4) am widerstands­fähigsten:

Ima-wa mukashi, Sesonji-to-iu tokoro-wa, Momozono-no dainagon sumi-tamaikeru-ga, taisho-ni naru senji koburi-tamainikereba, taikyo­wa aruji-no ryo-ni shuri-shi, mazuwa, iwai-shi-tamaishi-hodo-ni, asate­tote, niwaka-ni use-tamainu (Ujishui, I, 12). "Vor Zeiten wohnte am Orte des Tempels Sesonji der Oberkabinettsrat vom Pfirsichgarten, und als er ein kaiserliches Dekret über seine Ernennung zum General entgegennahm, rimtete er ein Bankett zur Bewirtung aus; und wäh­rend er eben beim Feiern war, verstarb er plötzlich am dritten Tag." Kono yama-ni komori-ite-nochi, yangotonaki hito-no ka/{ure-tamaeru­mo amata kikoyu (Höjöki). "Seitdem ich hier in den Bergen zurück­gezogen lebte, erfuhr ich oft, daß vornehme Leute dahingeschieden waren." Shin'in tozai-wo ushinawase-tamai, Safu-mo zengo-ni madoi-tamau (Högen, 2. Maki). "Der neue Exkaiser verlor die Orientierung, und aum der Kanzler zur Linken wußte nicht ein noch aus."

Im letzten Beispiel findet die Stufung des ehrerbietigen Ausdrucks weiter­hin Anwendung.

Im späteren Mitteljapanischen der Muromachi-Zeit (15.-16. Jh.) ist das nun schon antiquierte -tamau(4) noch immer zu finden, z. B.

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Nanshi-nite mashimasaba, Daiguji-dono-ni-koso tsukawaresase-tama­wan-ni, onkatachi suguretaru himetachi-nite soraeba, kuniguni-no daimy6, izure-ka muko-ni narase-tamawazarubeki {Bunshö-söshi). "Wenn es ein Knabe wäre, würde er als Großschreinamtmann dienen;

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da es aber Mädchen von unvergleichlicher Gestalt sind, wer von den Feudalherren in den Landen sollte nicht Euer Schwiegersohn werden?"

Der Stil dieses Satzes wie überhaupt der Otogi-zöshi steht der Sd:uift­sprache so nahe, daß die Verwendung von -tamau(4) keine Folgerungen auf die derzeitige Umgangssprache erlaubt.

Neben -tamau(4) taudlt in der Kamakura-Zeit mitunter ein Hilfsverb -t6(4) auf (-ta-u), das nur bei Wiedergabe der direkten Rede gebraucht wird und offenbar der Umgangssprache angehörte:

Juzen-no teii-ni hokotto-tomo, kosen-no tabi-ni idenan-nochi-wa, Gozu Mezu-no seme-woba manukare-tamawaji-mono-wo (Heike V, Mongaku­nagasare). "Mag er sidl auch des Ranges des untadligen Kaisers rüh­men; wenn er die Reise in die Unterwelt angetreten hat, wird er der Züchtigung durch die Schergen der Unterwelt nicht entgehen können." Somosomo wadono-wo Tsuzumi-h6gan-to iu-wa, yorozu-no hito-ni utareto-ka, hararet6-ka (Heike VIII, Tsuzumi-högan). "Daß man Euch Trommelamtmann nennt, bedeutet das, daß Ihr von Tausenden geschla­gen und gewalkt werdet?"

Eine etymologische Gleichsetzung dieses -to mit tamau(4) erscheint frag­würdig; vielmehr liegt es nahe, hier eine volkssprachige Entwicklung aus -tabu(4) anzunehmen. Die Form -tabu(4) selbst erscheint wohl nur noch als Vollverb, z. B.

Chikara oyobazu waga rodo Kyo-no Takiguchi-wo meshite, kore-wo tabu. Tamawate (< tamawatte) sutetekeri (Heike IV, Kyö). "Nolens volens rief er seinen Knappen Kyö-no Takiguchi und gab (ihm) diese (Schlange). Der nahm sie und ließ sie fallen."

Die im letzten Satz zu verzeichnende Bedeutung von tamawaru(4) = nehmen (itadaku) ist durchaus nicht mehr die Regel. Vielmehr trat im Mitteljapanischen tamawaru(4) an die Stelle von tamau(4) . Offenbar unter dem Einfluß der Honorativformen (-ru/-raru) bekam das Verb die Geltung einer honorativen Erweiterung von tamau(4), z. B.

Haya-haya itoma Lamawatte idasase-owash1mase (Heike I, Giö). "Geben Sie mich rasch frei und lassen Sie mich gehen!"

So nimmt es als Hilfsverb genau die Stelle von -tamau(4) ein und steht nach der Konjunktional- oder Suspensivform (-te) eines Hauptverbs.

Utsushigokoro-naku eitaru mono-ni-soro. Magete yurushi-tamawaran (Tsurezure 87). "Es ist ein Mann, von Sinnen und betrunken. Wider besseres Recht solltet Ihr ihm verzeihen." Tatoi hitohi katatoki-nite-saburau-tomo, arigato-koso saburaubeki-ni, mashite mitose-ga inochi-wo nobete-tamawaramu-koto, shikarubyo­saburau (Heike I, Gandate). "Wo selbst ein Tag oder eine einzige Stunde dankenswert wären, um wieviel eher ist dies der Fall, da Sie das Leben um drei Jahre verlängern wollen."

In der Verbindung mit der Suspensivform figuriert es dann auch in den Shömono der Muromachi-Zeit (homete-tamaware, oserarete-tamawari-sorae usw.), so daß diese Form sich im späteren Mitteljapanischen durchgesetzt zu haben scheint. Damals entwickelte sich tamawaru lautlich zu tamoru (tamauru). Zur gleichen Zeit und in gleicher Funktion wie die Verbindung

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-te-tamawaru trat in der Muromachi-Zeit als neuer honorativ-ehrerbietiger Ausdruck -te-tabashimu(2u) auf 12, eine Faktitivform von tabu(4):

Sono shiba-no ue-nite issuimin-sasete-tabashime (Sandaishizekk.u-shö). "Machen Sie ein Schläfchen auf diesem Rasen. u

Katari -itte na-tabashimu-so (a. a. 0.). "Erzählen Sie nichtlu

Dies tabashimu wird jedoch ausschließlich als honoratives Hilfsverb der Aktionsaussage verwendet; als Vollverb ist es nicht belegbar.

Das honorativ-bescheidene Gegenstück -tamau(2 u) tritt seit Ende der Heian-Zeit zusehends in den Hintergrund. Es erscheint immer ausschließ­licher in Verbindung mit omou, und man darf annehmen, daß seine eigent­liche grammatische Funktion im Sprachbewußtsein nicht mehr lebendig war. Schon seit dem 12., spätestens aber im 13. Jh. mag die Verbindung omoi­tamau(2 u) als lexikalische Einheit aufgefaßt worden sein, ähnlich den vor­her lexikalisierten uketamawaru(4) und notamau(4). So beweist denn das Auftreten einer mitteljapanischen Verbindlichkeitsform wie omoi-tamae­soro nicht etwa eine bewußte Funktionsabgrenzung beider Honorativverba zur fraglichen Zeit. Vielmehr scheint es wahrscheinlich, daß -tamau(2 u) damals als Höflichkeitsausdruck (II) und nicht mehr als Bescheidenheits­ausdruck (I b) angesehen, d. h. vom mittelalterlichen Sprecher mit soro identifiziert wurde. Morphologisch beachtenswert ist das Antreten des Aspektsuffixes -ri an die e-Stufe von tamau(2u) 13, wodurch die formalen Unterschiede zwischen -tamau(4) und -tamau(2 u) verwischt wurden. So heißt es in einem Text des Konjaku-monogatari (I ,29): Ware omoi-tamaeru­tokoro-wa "Was ich gemeint habe" .

Für das Mitteljapanische gilt generell, daß -tamau(2 u) dem honorativen Inventar nur noch als Relikt der klassischen Periode angehörte. Als Stil­element einer klassizistischen Sprachgebung (sog. gikobun) konnte es natür­lich weiterhin wie das gesamte Honorativsystem der Heian-Epoche An­wendung finden, doch eben nur als antiquierende Eigentümlichkeit der Schriftsprache und nicht als Ausdruck lebendigen Sprechens.

Im Sinnbezirk von -tamau(2 u) steht auch im Mitteljapanischen noch häu­fig -tatematsuru (-taimatsuru)(4), obgleich dies honorative Hilfsverb eben­falls nicht mehr der Umgangssprache angehörte:

Ayashi-no shimo-onna-no mi-tatematsuri-mo, ito hazukashiku kokoro­zukai-seraruru (Tsurezure 107). "Selbst wenn ein niederes Dienst­mädchen (mich, einen Minister) ansieht, fühle ich mich verlegen und ängstlich. n

Da die handelnde Person sozial weit unter dem Sprecher steht, belegt dieser ihre Tätigkeit mit der honorativ-bescheidenen Form.

Als spradllebendiges Äquivalent ist das schon seit der Heian-Zeit be­kannte mairasu(2u) in den Aussagebereich von -tamau(2u) und tatenzatsuru

12 Siehe Yuzawa Kökidlirö: Muromachi-jidai-gengo no kenkyu. Tökyö 1958, s. 112-113.

13 Ursprünglich nur an die Izenkei von vierstufig flektierten und dreistufigen der sa-Reihe suffigierbar, trat -ri im Mitteljapanischen auch an zweistufig flektierte Verba.

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(4) eingerückt und beherrscht ihn durch das ganze Mitteljapanische hin. Es entspricht der Faktitivform des exoaktiven mairu(4) ,geben' und ist als Vollverb mit diesem sinnidentisch. Auch als Hilfsverb -mairasu(2 u) liegt ihm die Bedeutung des Gebens zugrunde, indem es die Tätigkeit des Uberreichens an eine Respektsperson involviert (sashiageru). Insofern ist es gegenüber dem ursprünglich passivisch orientierten -tamau(2 u) (,entge­gennehmen') mehr aktiv gerichtet (,hinaufreidlen'), wenn auch diese Vor­stellung sdlon in der Kamakura-Zeit völlig verblaßt zu sein scheint:

Ikade-ka shiri-mairase-sorobeki. Yume-yume shiri-mairasezu-s6ro (Heike VI, Kogö). "Wie sollte im es wissen? Idl weiß es ganz und gar nicht."

Jodoji-no-Kampaku-dono-wa, osanakute Ankimon'in-no yoku oshie­mairasesase-tamaikeru-yue-ni, onkotoba-nado-no yoki-zo (Tsurezure 107). "Seine Exzellenz, der Jödoji-Regent, war in seinen Worten (den Frauen gegenüber) gewandt, da ihn in seiner Jugend die (kaiserliche Gemahlin) Ankimon'in tümtig unterwiesen hatte." (-mairase- kenn­zeidmet die Handlung honorativ-bescheiden gegenüber dem Kampaku, während -sase-tamau die Ehrerbietung des Sprechers gegenüber der hohen Frau zum Ausdruck bringt).

Tatoi Honen-shonin-ni sukasare-mairasete, nembutsu-shite jigoku-ni ochitaritomo, sara-ni kokai-subekarazu-soro (Tannnishö 2). "Selbst wenn ich vom heiligen Honen betrogen worden wäre und dureil die Anrufung des Amitabha in die Hölle fallen würde, könnte ich keine Zerknirschung empfinden. u

An derselben Stelle heißt es einige Zeilen weiter sukasare-tatematsurite­to iu kokai "die Zerknirschung darüber, betrogen worden zu sein", was die Vertauschbarkeit beider honorativen Hilfsverba aufzeigt. -mairasu ist auf dem Wege über -mairasuru, -marasuru, -maisuru, -massu zum neujapani­schen Verbalsuffix -masu der höflichen Sprechweise geworden. Dies -masu ist Ausdruck der Verbindlichkeit (II), dommuß betont werden, daß -mairasu ursprünglich honorativ-bescheiden (I b) fungierte, da die verbindliche Sprech­weise im Mitteljapanischen durch -soro bezeichnet wird. Das Beispiel aus dem Heike-monogatari (shiri-mairasezu-soro) verdeutlicht diesen Unter­schied: -mairase- ist handlungsbezogen, -soro dialogbezogen.

Mit Beginn des Neujapanischen der E d o- Zeit ändert sich die Situation des tamau-Gebraudles im Zentraljapanischen des Kamigata-Gebietes nicht wesentlich, wenn auch die Tendenz zum Schwinden, zumindest zur stilisti­smen Gebrauchseinengung, bestehen bleibt. Das honorativ-bescheidene -tamau(2 u) ist seit dieser Sprachepoche völlig verschwunden; auch das im Mitteljapanischen an dessen Stelle getretene -mairasu fungiert in seiner Entwicklungsform -masu (vgl. oben) nur noch als Hilfsverb der Ver­bindlichkeit (II). Als honorativ-bescheidenes Äquivalent tritt jetzt das schon seit der klassischen Epoche bekannte Hilfsverb -mosu(4) in den Vor­dergrund, das neben der Bedeutung des Sprechens die des Tuns angenom­men hatte, z. B.

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Omi wasure-m6shi-inshite-gozarimasu (Yushi-högen). "Ich erinnere mich Ihrer nichtu (inshite = mashite).

Kik6-e o-watashi-moshi-kure-yo (Kanadehon Chushingura). "Uberreiche es dem hohen Herrn!u

Daneben figuriert moshiageru(l u), das noch heute im formellen Briefstil fortlebt (-moshiagemasu). Ebenso werden -itasu(4) und -tsukamatsuru(4) im honorativ-bescheidenen Sinne verwendet.

-tamau(4) scheint als honoratives Hilfsverb in der gehobenen Verkehrs-sprache noch mitunter verwendet worden zu sein, z. B.

Yabu-ni-mo ko-no-mono-to iu koto-mo areba misesase-tamae (Chiku­sai). "Da es unter den Quacksalbern auch tüchtige Männer geben soll, zeigen Sie (es) ihmlu

Washi-wo ukedashi-tamau daijin-sama-wa donata-zo (Chikamatsu: Butsumo-mayasan-kaichö). "Wer ist der Herr, der mich loskauft?u

Der bürgerlichen Umgangssprache dieser Epoche hat das Hilfsverb sicher nicht mehr angehört. Hier ist es durch Formen neujapanischer Wendungen wie o-... nasaru/ o-... ni naru oder kudasaru verdrängt worden. In der Spradle der Frauen und der Samurai scheint es aber noch vorgekommen zu sein 14•

Die häufigste Form war der Imperativ (-tamae}, zu der sich eine von tabu(4) abgeleitete Nebenform -labe im Anschluß an die Suspensivform gesellte, z. B.

Kono koto-wo Benkei-ni tsutaete-tabe (Chikamatsu: Onzöshi-hatsutora­möde). "Teile diese Sache dem Benkei mit!u

In seltenen Fällen tritt -tamawaru(4) an die Stelle von -tamau(4), das ja in dieser Funktion schon seit dem Mitteljapanischen bekannt war. Es muß aber als veraltet gelten, zumal es durch die umgangssprachliche Weiterent­wicklung -tamoru > -tamoru ersetzt wurde. Letzteres scheint als honora­tives Hilfsverb der Aktionsaussage mit dem Ausdruckswert der Ehrerbie­tung eine gewisse Verbreitung gefunden zu haben. Als Vollverb (,geben') ist es nur selten belegt. Es gehörte nicht der Sprache von Edo an, sondern war ein Wort des Kamigata-Gebietes:

Kanarazu omoi mono-wo ousete-tamoru-na (Kyögenki, Jimba). "Tragt auf keinen Fall das schwere Ding Iu Sonata-ga so iute-tamoreba ando-shita (Köshoku-denju). "Da Sie (mir) dies sagen, bin ich beruhigt. u

Anstelle der Imperativform -tamore wurde vorzugsweise eine Kurzform -tamo gebraucht, die in der Sprache aller Schichten Verbreitung fand 15, z. B.

Sore-wa do kaku mono-zo, oshiete-tamo (Tamba-no-yosaku-tazuna­obi). "Wie ist das zu schreiben? Lehrt es michlu

In der Sprache des neuen Kulturzentrums Edo, die sich seit dem 19. Jhd. als Verkehrssprache durchsetzte, sind Reste der honorativen tamau-Gruppe

14 Siehe Yuzawa Kökichirö: Tokugawa-jidai-gengo no kenkyu. Tökyö 1936, s. 179.

15 Vgl. Yuzuwa, a . a. 0 ., S. 181.

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kaum mehr aufzuspüren. Hier stehen für die ehrerbietige Aktionsaussage (I a) hauptsächlich (o-)-nasaimasu, -te-kudasaimasu, (o-)-asobashimasu (Frau­enspradle); für die bescheidene Aktionsaussage (I b) (o- )-itashimasu, -te­itadakimasu, -m6shimasu. Diese Verba bzw. Hilfsverba gehören auch der Gegenwartssprache an, die als standardisierte Hodlsprache auf dem Idiom von Edo beruht.

In der modernen Sprache J a p ans sind noch einige wenige Spuren des alten tamau und seiner Ableitungen zu finden. tamau(4) (> tam6 5) kann in altertümlicher, ehrerbietiger Ausdrucksweise, z. B. gegenüber Angehörigen des Kaiserhauses, nodl vereinzelt auftreten. Es gehört jedoch dann eindeutig der nach dem Kriege obsoleten Standardschriftspradle an und ist veraltet. So war es möglich, das Reisen des Kaisers als Satzprädi­kat mit gy6k6-shi-tamau zu bezeidlnen, oder über einen Prinzen zu schrei­ben: Shinno-wa izuku-ni-mo mie-tamawazu "Der kaiserlid1e Prinz ist nir­gends zu sehen." In ähnlichen Fällen tritt auch tamawaru auf, allerdings nur als Vollverb, wobei es eher dem ,nehmen· als dem ,geben' entspricht. Es wird auch heutigentags mitunter gebraudlt, z. B. goeshaku-wo tama­waru "von Seiner Majestät begrüßt werden" 16, oder kyo-wa omoi-kakenaku gososoku tamawari ureshiku haiken-tsukamatsuri-soro (formeller Briefstil). "Heute erhalte ich unversehens Ihre Nachricht und lese sie erfreut." Ver­gleiche audl tamawarimono "Gabe", "Geschenk". Zum Wortsmatz der Standardspradle gehören nodl ukelamawaru(5) ,hören', ,vernehmen' (hono­rativ-bescheiden) und taberu(l u) ,essen', ,zu sich nehmen' (< tabu 2 u). Nur diese beiden letzten sind zur modernen Umgangssprache zu rechnen. Hinzu kommt schließlich die in allen Entwicklungsstadien des Japanischen benutzte Imperativform -tamae, durch die allein -tamau(4) in die moderne Umgangs­sprache Eingang fand. Jedoch entgegen dem honorativen Charakter dieser Form in der älteren Sprache gehört es heute zu einer burschikosen, männ­lichen Ausdrucksweise mit kaum mehr feststellbarem Höflichkeitswert17

,

z.B. ki-tamae "komm!" kimi shikkari-shi-tamae "fasse Mut!" Darüber hinaus sind Reste der tamau-Gruppe nur noch im Dialektvokabular zu finden, z. B. tamo, tabo, tabau, tabaeru ,aufbewahren', tamorau, tamoru ,essen', ,zu sich nehmen' (= taberu); tabaru ,Opfer darbringen' 18 •

Ein bedeutungsvolles Kapitel des japanischen Honorativs, das tiefe Ein­blicke in Struktur und Funktion dieser verbalen Kategorie zu vermitteln vermag, findet damit seinen Abschluß. Um die Ergebnisse der hier gege­benen historischen Skizze zusammenzufassen, sei die Entwicklung der tamau-Gruppe in ihrer honorativen Hilfsverbfunktion zum Abschluß noch einmal tabellarisch aufgeführt.

16 Siehe NHK (Hrsg.): Koshitsu-kankei k6sh6-y6goshri. Tökyö 1954. 17 Yamada Yoshio: Keigoho no kenkyu, Tökyö 1942 (2. verb. A~fl.) verme_rkt

in dieser grundlegenden Studie das stilistische Absinken der ImJ?.eratl':.form -tamae nicht speziell. Hingegen wird die Form in modernen Taschenworterbu~~rn (Mei­kai-kokugo-jiten u. a.) gesondert aufgeführt A und stilistisch. charakter_1s1e~t. Vgl. auch Kieda Masuich.i: K6t6-kokubump6-shinko, russ. Obers.: Grammatlka Japons· kogo jazyka I (Moskau 1958}, S. 447.

18 Siehe Töjö Misao: Zenkoku-hogen-jiten (Tökyö 1951).

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Nara (jödai)

Heian (chuko)

Kamakura

(chusei)

Muromachi

Edo {kinsei}

Tökyö (kindai)

Ehrerbietung (I a)

-tamau(4) -tabu(4)

-sei sase/ shi me- tamau ( 4) -tamau(4) -tabu(4) -t6bu(4)

-haberi-t6bu(4)

-to -tamau(4) -tamawaru(4) -tam6ru(4) -tabashimu(2 u)

/-tamau(4) i / -tamawaru(4)/

-tamae! -labe!

-tamoru(4) -tamo!

[ -kudasaru(2 u)] [-nasaru(2 u)]

[o- ... -ni-naru(5)/-nasanz(5)] -tamae!

[ ] = Ersatzverba I I veraltet

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Bescheidenheit (I b)

[-matsuru(4)]

-tamau(2u) -tamae-haberi(4 ra)

[ -tatematsuru(4}]

/-tamau(2 u)/ [ -mairasu(2 u)] [ -tatematsuru(4)]

[-m6su(4)] [-moshiageru(l u)] [-tsukamatsuru(4)] [-itasu(4)]

[-itasu(S)] [-itadaku(S)] [ -m6shiageru( 1 u)]