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Die archäologische Komponente dieses Themas stellt zwar den Ausgangs- und zentralen Bezugs- punkt der nachfolgenden Überlegungen dar, wird aber nicht eigentlicher Gegenstand der Betrach- tung sein. Daher werden die archäologisch interes- santen Fakten in der Diskussion des Quellenmate- rials notwendigerweise um eine Reihe zweifellos wissenswerter Details verkürzt werden müssen, die, obwohl gewichtig, bei angemessener Würdi- gung die eigentliche Zielsetzung des Beitrags all- zusehr verschleiert hätten. 1 Die Frage nach der musikalischen Frühge- schichte Südostasiens und, davon ausgehend, die Frage nach dem Prozeß musikalischer Kontinuität und Veränderung bis in die Gegenwart hat sich in der Musikforschung bereits mehrfach an den in der Tat herausragenden Artefakten südostasiatischer Kulturen entzündet. Namentlich sind dies die aus Bronze 2 gefertigten, von der Instrumentenkunde pauschal „Gong“ genannten Musikinstrumente. So hat z.B. erst vor wenigen Jahren (1993) die schwe- dische Musikforscherin Inge Skog eine Studie unter dem Titel „North Borneo Gongs and the Javanese Gamelan: Studies in Southeast Asian Gong Traditions“ publiziert, in der sie ausführlich zu diesem Problem Stellung nimmt. 3 Wo sie jedoch resümierend in der Beurteilung der Deutungsver- suche von Jaap Kunst (Kunst 1934) und Mantle Hood (Hood 1980) meines Erachtens allzusehr eine „tabula rasa“ hinterläßt, möchte ich unter Ver- weis auf einige bislang überhaupt noch nicht oder nur ungenügend berücksichtigte Quellen zumin- dest „Durchblicke“ auf denkbare Verbindungslini- en und nicht völlig auszuschließende historische Kontinuität offenlassen. Daß diese „Durchblicke“ jedoch mehr als Fragen im Raum stehenbleiben als daß schlüssige Erklärungsmodelle oder gar bewie- sene historische Gewißheit präsentiert werden könnten, liegt zunächst an einem Mangel kontinu- ierlicher Quellenreihen, nicht zum geringsten aber auch an einer bis heute allzu weit verbreiteten Unkenntnis und einem beklagenswerten Desinter- esse seitens der allgemeinen Musikforschung. Ausgangspunkt meiner Betrachtung und Gegenstand eines „Quellenbereichs A“ sind dieje- nigen Bronzeobjekte, die bis heute von der über- wiegenden Zahl der Archäologen und Kunsthisto- riker als Kesseltrommeln, Bronzetrommeln oder gar Bronzepauken betitelt werden (Meyer/Foy 1897; Heger 1902; Bernet Kempers 1988). Daß Musikwissenschaftler in der Regel über diese im Sinne einer schlüssigen, möglichst widerspruchs- freien Instrumentenklassifikation irreführende Nomenklatur nicht glücklich sind, liegt auf der Hand. Als Aufschlaggefäße mit Schwingungsma- ximum im Zentrum bzw. Scheitelpunkt gehören diese Instrumente zweifellos zur Kategorie der „Gongs“, 4 und ihre an membranophonen Trom- meln orientierte, überwiegend zwischen Zylinder-, Vasen-, Becher- und Sanduhrform angesiedelte äußere Gestalt läßt einen anderweitig nicht präfi- gurierten oder besetzten Terminus „Trommel- gong“ oder auch „trommelförmiger Gong“ durch- aus geeignet erscheinen. Der Ursprung dieser Objektart darf nach derzeitiger Quellenlage im südlichen China, der heutigen Provinz Yunnan während der Blütezeit des Königreichs Dian ange- 1 Da ich bisher keine eigenen archäologischen Forschungen durchgeführt habe, beschränke ich mich diesbezüglich auf Hinweise zur einschlägigen Sekundärliteratur. 2 Metallurgische Untersuchungen der Legierungen zeigen ein sehr wechselhaftes Mischungsverhältnisse der Grund- metalle. Gemeinsames Merkmal scheint allein ein immer über 60% liegender Kupferanteil zu sein (Dieter Hollmann und Dirk R. Spennemann 1985). 3 Gegenstand ihrer Untersuchung sind die regionalen Gong- traditionen der kleineren, meist kulintangan genannten Ensembles in Sabah. Im Anschluß an die Analyse rezenter Phänomene fragt sie in den Kapiteln 4 und 5 nach deren Entwicklungsgeschichte, d.h. nach der von Java ausgehen- den Geschichte geschmiedeter Gongs und insbesondere nach dem in der Literatur diesbezüglich bevorzugten Objekt des gamelan munggang. 4 Nach der trotz aller Einwände und Verbesserungsversuche noch heute nicht nur im Museumsbereich allgemein gebräuchlichen Klassifikation von Erich M. von Horn- bostel und Curt Sachs, 1914. Trommelgongs und Gamelan: Archäologischer Befund versus Geschichtsbewußtsein Rüdiger Schumacher

Tambores y Gamelangs. Resultados Arqueológicos

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Die archäologische Komponente dieses Themasstellt zwar den Ausgangs- und zentralen Bezugs-punkt der nachfolgenden Überlegungen dar, wirdaber nicht eigentlicher Gegenstand der Betrach-tung sein. Daher werden die archäologisch interes-santen Fakten in der Diskussion des Quellenmate-rials notwendigerweise um eine Reihe zweifelloswissenswerter Details verkürzt werden müssen,die, obwohl gewichtig, bei angemessener Würdi-gung die eigentliche Zielsetzung des Beitrags all-zusehr verschleiert hätten.1

Die Frage nach der musikalischen Frühge-schichte Südostasiens und, davon ausgehend, dieFrage nach dem Prozeß musikalischer Kontinuitätund Veränderung bis in die Gegenwart hat sich inder Musikforschung bereits mehrfach an den in derTat herausragenden Artefakten südostasiatischerKulturen entzündet. Namentlich sind dies die ausBronze2 gefertigten, von der Instrumentenkundepauschal „Gong“ genannten Musikinstrumente. Sohat z.B. erst vor wenigen Jahren (1993) die schwe-dische Musikforscherin Inge Skog eine Studieunter dem Titel „North Borneo Gongs and theJavanese Gamelan: Studies in Southeast AsianGong Traditions“ publiziert, in der sie ausführlichzu diesem Problem Stellung nimmt.3 Wo sie jedochresümierend in der Beurteilung der Deutungsver-suche von Jaap Kunst (Kunst 1934) und MantleHood (Hood 1980) meines Erachtens allzusehreine „tabula rasa“ hinterläßt, möchte ich unter Ver-weis auf einige bislang überhaupt noch nicht odernur ungenügend berücksichtigte Quellen zumin-dest „Durchblicke“ auf denkbare Verbindungslini-en und nicht völlig auszuschließende historischeKontinuität offenlassen. Daß diese „Durchblicke“jedoch mehr als Fragen im Raum stehenbleiben alsdaß schlüssige Erklärungsmodelle oder gar bewie-sene historische Gewißheit präsentiert werdenkönnten, liegt zunächst an einem Mangel kontinu-ierlicher Quellenreihen, nicht zum geringsten aberauch an einer bis heute allzu weit verbreitetenUnkenntnis und einem beklagenswerten Desinter-esse seitens der allgemeinen Musikforschung.

Ausgangspunkt meiner Betrachtung undGegenstand eines „Quellenbereichs A“ sind dieje-nigen Bronzeobjekte, die bis heute von der über-wiegenden Zahl der Archäologen und Kunsthisto-riker als Kesseltrommeln, Bronzetrommeln odergar Bronzepauken betitelt werden (Meyer/Foy1897; Heger 1902; Bernet Kempers 1988). DaßMusikwissenschaftler in der Regel über diese imSinne einer schlüssigen, möglichst widerspruchs-freien Instrumentenklassifikation irreführendeNomenklatur nicht glücklich sind, liegt auf derHand. Als Aufschlaggefäße mit Schwingungsma-ximum im Zentrum bzw. Scheitelpunkt gehörendiese Instrumente zweifellos zur Kategorie der„Gongs“,4 und ihre an membranophonen Trom-meln orientierte, überwiegend zwischen Zylinder-,Vasen-, Becher- und Sanduhrform angesiedelteäußere Gestalt läßt einen anderweitig nicht präfi-gurierten oder besetzten Terminus „Trommel-gong“ oder auch „trommelförmiger Gong“ durch-aus geeignet erscheinen. Der Ursprung dieserObjektart darf nach derzeitiger Quellenlage imsüdlichen China, der heutigen Provinz Yunnanwährend der Blütezeit des Königreichs Dian ange-

1 Da ich bisher keine eigenen archäologischen Forschungendurchgeführt habe, beschränke ich mich diesbezüglich aufHinweise zur einschlägigen Sekundärliteratur.

2 Metallurgische Untersuchungen der Legierungen zeigenein sehr wechselhaftes Mischungsverhältnisse der Grund-metalle. Gemeinsames Merkmal scheint allein ein immerüber 60% liegender Kupferanteil zu sein (Dieter Hollmannund Dirk R. Spennemann 1985).

3 Gegenstand ihrer Untersuchung sind die regionalen Gong-traditionen der kleineren, meist kulintangan genanntenEnsembles in Sabah. Im Anschluß an die Analyse rezenterPhänomene fragt sie in den Kapiteln 4 und 5 nach derenEntwicklungsgeschichte, d.h. nach der von Java ausgehen-den Geschichte geschmiedeter Gongs und insbesonderenach dem in der Literatur diesbezüglich bevorzugtenObjekt des gamelan munggang.

4 Nach der trotz aller Einwände und Verbesserungsversuchenoch heute nicht nur im Museumsbereich allgemeingebräuchlichen Klassifikation von Erich M. von Horn-bostel und Curt Sachs, 1914.

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nommen werden.5 Der vermutlich älteste bislanggefundene Trommelgong, 1975 in Wanjiaba beiChuxiong ausgegraben, wird von chinesischenArchäologen auf die Mittlere Chunqiu-Periode(nach der C-14-Bestimmung des gesamten Fund-komplexes um 690 ± 90 v. Chr. datiert, Lutz 1986,60, Abb. 7). Er besitzt bereits die charakteristischeäußere Form der Trommelgongs „mit einer bau-chig nach unten und oben ausschwingenden Fuß-und Schulterzone sowie mit einer eingezogenenWandung“ (Lutz 1986, 58) und den charakteristi-schen, im Chinesischen als taiyangwen („Sonnen-ornament“) bezeichneten Mittelstern im Zentrumder Aufschlagplatte, zeigt ansonsten aber eine mitBlick auf die weitere Entwicklungsgeschichte desTypus noch sehr schlichte und wenig ausgeprägteOrnamentik. Berühmter, weil durchgehend sehrviel reicher verziert und zudem in größerer Zahlerhalten geblieben, sind jedoch die nach dembedeutendsten Fundort in der nordvietnamesi-schen Provinz Thanh Hóa fälschlich pauschalunter dem Stichwort „Dông So’n“ subsumiertenTrommelgongs. Von hier, dem Norden Vietnamsaus, haben sich Instrumente dieses Typus über fastdas gesamte Südostasien bis in den Westen derInsel Neuguinea ausgebreitet, genauer gesagt,Instrumente dieses Typs sind beinahe über ganzSüdostasien verstreut aufgefunden worden. Derstatische Aspekt der Verbreitung ist durch eineKarte der über ganz Festland-Südostasien und densüdlichen (!) Teil Insel-Südostasiens verstreutenFundorte von Bernet Kempers (1988, 218) geklärt.Eine Massierung der Fundorte findet man in Viet-nam einerseits und auf der Insel Java andererseits,wohingegen das nördliche Insel-Südostasien, ins-besondere die Inseln Borneo (Kalimantan), Cele-bes (Sulawesi) und die Philippinen keine Fundstät-ten aufweisen. Demgegenüber ist die Frage nachdem dynamischen Aspekt der Ausbreitung derTrommelgongs jedoch bis heute Anlaß zu Diskus-sion und Zweifeln: Oft genannte Faktoren sindWanderung von ethnischen Gruppen oder Metall-handwerkern, Flucht oder Handel. Daß der Fak-tor Handel nicht allein für die Ausbreitung diesesObjekttypus von einer einzigen Ursprungsregionausgehend verantwortlich gewesen sein kann, son-dern daß es auch lokale Produktion außerhalbeines solchen Herkunftgebietes gegeben hat, istdurch den Fund des Bruchstücks einer steinernenPrägeform bei Manuaba auf der indonesischenInsel Bali hinlänglich bewiesen (vgl. Bernet Kem-pers 1988, 327, 497).

Abgesehen von einer meist reichhaltigen undvielgestaltigen Dekoration mit typischen oderauch individuell-einzigartigen Mustern oder geo-metrischen Figuren weisen zahlreiche Trommel-gongs auf ihrer Wandung und/oder der Schlagplat-te Reihen von figuralen Darstellungen auf, die bei

richtiger Deutung wertvolle Rückschlüsse auf dieKultur ihrer Schöpfer zulassen. Ein – mehr oderweniger beliebig herausgegriffenes – Beispiel istdie Nachzeichnung eines Ausschnitts der Schlag-platte des gemeinhin „Hoàng Ha“ genanntenTrommelgongs (Abb. 1). Benannt ist diesesObjekt nach dem gleichnamigen Dorf in der nord-vietnamesischen Provinz Hà Dông, wo es 1937 beiGrabungsarbeiten an einem Kanal gefunden wor-den ist (Bernet Kempers 1988, 416). Auf demzweiten Ring (ausgehend vom zentralen „Sonne-nornament“) erkennt man deutlich eine Folge vonfür die Musikkultur der Zeit relevanten figuralenDarstellungen: am rechten oberen Bildrand siehtman vier auf einer Plattform über vier Trommel-gongs sitzende, jeweils mit einem Stößel hantie-rende menschliche Gestalten. Diese sehr vorsich-tig formulierte Beschreibung scheint notwendig,da es sich möglichweise nicht um Musiker, son-dern – nach anderer Interpretation – um vier Per-sonen handeln könnte, die über Körben sitzendReis stampfen. In der Bildmitte erkennt man einestehende Figur in einer hausähnlichen Konstrukti-on. Zu beiden Seiten der Figur sind jeweils sechs,im Zentrum mit einem Punkt versehene Kreise zusehen. Die Interpretation dieser Szene ist ebenfallsnoch umstritten: Handelt es sich bei den jeweilszwei Reihen mit zentralen Punkten versehenenKreisen, die rechts und links der mit erhobenenArmen (und vermutlich in Händen gehaltenenSchlagstöcken) stehenden Figur zu erkennen sind,vielleicht um Gongs? Spielt diese Figur vielleichtzur Begleitung eines weiter links abgebildeten Waf-fen- oder Kriegertanzes, bei dem u.a. auch eineMundorgel erklingt (zweite Figur von links) – oderschlägt sie nur auf gepunktete Kreisornamente?

Daß die bronzezeitliche Kultur dieses geogra-phischen Raumes das Spiel mehrerer, vermutlichklanglich differenter oder kontrastierender Trom-melgongs gekannt haben muß, legt Abb. 2 nahe,die Nachzeichnung einer mit nicht weniger als 127menschlichen Figurinen dichtbesetzten Szene aufdem Deckel eines Kaurieschneckenbehälters inTrommelgong-Form, gefunden in Yunnan(Südchina).6 Entlang der schmalen Vorderfrontund den beiden längeren Seiten eines Satteldach-Pavillons sind auf einer brettartigen Unterlage 16bis 18 Trommelgongs aufgereiht. Hinzu kommenzwei überdimensional große Trommelgongsrechts und links vor der Gebäudefront. Aus dieserSzene erhebt sich die Frage: Rechtfertigt dieser

5 Die mit der Dian-Kultur in Verbindung gebrachten Arte-fakte stammen aus der Zeit zwischen dem 7. und 1. Jahr-hundert v. Chr., vgl. Albert Lutz (Hrsg.) 1986.

6 Die Shizhaishan-Gräber westlich des Dian-Sees, in denendieses und ähnliche Objekte gefunden worden sind, wer-den auf die Zeit zwischen 150 und 80 v. Chr. datiert (Ber-net Kempers 1988, 314).

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Nachweis den zweifellos spekulativen Schluß aufein Ensemblespiel, liefert er vielleicht gar ein Indizfür ein „gamelan-ähnliches“ Spiel von Melodieplus Interpunktion?

Wie eine eigentümliche Bestätigung diffusioni-stischer Theorie mutet das Faktum an – und damitsollen die hier vorgelegten Überlegungen zu denbronzezeitlichen Trommelgongs ihren Abschlußfinden –, daß späte Abkömmlinge dieses Instru-mententyps noch heute bei Ethnien an der Peri-pherie des ursprünglichen Verbreitungsgebietes imGebrauch stehen und auch noch hergestellt wer-den: unter der Bezeichnung klo’ bei den Karen imGrenzgebiet zwischen Thailand und Myanmar (imWesten) (Cooler 1995) sowie unter der Bezeich-nung moko auf der ostindonesischen Insel Alor(Bernet Kempers 1988, 361 ff.). Einer wirklichzutreffenden und endgültigen Antwort auf dieFrage nach Ursache, örtlichen und zeitlichen Rah-menbedingungen und Verlauf eines Ablösungs-oder Verdrängungsprozesses steht insbesondereder diesbezüglich überaus gravierende Mangel anzuverlässig datierbarem Quellenmaterial entgegen.Tatsache ist, daß dieser Wechsel bzw. Übergangweg von den Trommelgongs hin zu den heute inganz Südostasien vorherrschenden kesselförmigenbis flachen Gongtypen mit oder ohne zentralenSchlagbuckel eng mit einer technologischen Revo-lution verbunden gewesen ist: Das Gießen desMetalls in eine dann in der Regel nicht weiter bear-beitete Form wird abgelöst bzw. verdrängt von derhochentwickelten Kunst des Schmiedens dieserInstrumente.

Mit Blick auf den „Quellenbereich B“, das sinddie aus verschiedenen Gongtypen zusammenge-setzten Ensembleformationen zahlreicher heutigerMusikkulturen Südostasiens, sollen nunmehr ausder Fülle verfügbarer rezenter Informationenpunktuell nur solche genauer in den Blick genom-men werden, welche uns vielleicht einen Zugang indie fernere Vergangenheit bis in die Nähe diesesepochalen Technologiewechsels gestatten. Ichkonzentriere meine Ausführungen dabei auf denzentraljavanischen gamelan monggang odermunggang, weil dieses überwiegend aus großendreitönigen Kesselgongspielen bestehende Ensem-ble nach einmütiger Auffassung javanischer Musi-ker und Musikgelehrter zu den ältesten und ehr-würdigsten gamelan überhaupt zu zählen ist. Umeiner ausgewogenen Beurteilung des tatsächlichenAlters dieses Ensembletyps näherzukommen, giltes, die diesbezüglichen Aussagen unterschiedlicherQuellentypen zu Rate zu ziehen und kritisch zubefragen.

Leider muß man zunächst konstatieren, daß esdiesbezüglich keine Instrumente gibt, die alsObjekte unmittelbar archäologisch fundierterAltersbestimmung zugänglich sind. Nach wie vor

bilden die existenten gamelan monggang einenbedeutenden musikalischen Bestandteil zentralerhöfischer Zeremonien der Herrscheresidenzen(kraton) von Yogyakarta und Surakarta in Mittel-java. 1755, bei der Teilung des Reiches von Mata-ram, wurde dieses – bereits seinerzeit aufgrund sei-nes hohen Alters mit Ehrfurcht behandelte –Ensemble als klingender Ausdruck herrschaftli-cher Legitimation auf die beiden wichtigsten Höfe– den Kasunanan in Surakarta und den Kasultananin Yogyakarta – aufgeteilt und von den jeweiligenFürsten das durch die Teilung fehlende Instrumen-tarium umgehend durch Nachbauten ersetzt. Ver-gleichbares gilt für einige wohl auf dem Terrain desMangkunagaran in Surakarta ausgegrabene Ein-zelgongs, auf die Jaap Kunst (1934, 343, afb. 55)eher beiläufig hinweist. Weder sind m.W. dieFundkontexte näher dokumentiert oder unter-sucht worden, noch ist es bislang gelungen, dasgenaue Alter dieser Objekte zu bestimmen; dennsie gelten pauschal als pusaka, d.h. als „heilige undmachtvolle Erbstücke“. Sie dürfen daher nur zubestimmten Gelegenheiten von bestimmten, vor-her einem spirituellen Läuterungsprozeß unter-worfenen Individuen berührt bzw. zum Erklingengebracht werden. Jedenfalls bleiben sie für Außen-stehende prinzipiell unzugänglich. Ähnliches giltfür dreidimensionale Steinobjekte in Gestalt vonKesselgongs des Typus bonang, die in der Nähevon Klatèn in Zentraljava ausgegraben wordensind:7 Eine Spezifizierung des Fundkontextes, einegenaue Altersbestimmung und vor allem eine Ant-wort auf die Frage nach der Funktion dieserObjekte sind bislang nicht erfolgt, ja in der ein-schlägigen Literatur m.W. nicht einmal diskutiertworden. Sowohl der Unterbringungskontext imMuseum zusammen mit anderen Steinartefaktender hindujavanischen Zeit als auch die Fundregionlassen die Vermutung einer relativ frühen Datie-rung auf dem Höhepunkt hinduistisch-buddhisti-scher Bau- und Steinmetzkunst Zentraljavas, alsoim Zeitrahmen zwischen dem 8. und 10. Jahrhun-dert n. Chr. keinesfalls abwegig erscheinen. AufReliefdarstellungen sind vergleichbare Gongin-strumente, wie z.B. das auf einer großen Hantelmontierte Gong-Paar reyong, erst später, seit dem13. Jahrhundert bezeugt (Kunst 21968, 59 u. Fig47).8 Ältere Reliefs zeigen mit wenigen Ausnah-men nur Musikinstrumente indischer Provenienz,die im heutigen Musikleben Javas keine Rolle spie-len. Es ist keineswegs sicher, ob sie jemals größere

7 Kunst (1934, 368, afb. 140) vermerkt hierzu lakonisch:„Bonangvormige steenen, in den bodem van Midden- enOost-Java aangetroffen.“

8 Eine frühere Abbildung eines kleinen Kesselgongs auf denReliefs (IBb 89) des Borobudur (spätes 8. Jh. n. Chr.) istumstritten (vgl. Kunst 1968, 62 und Fig. 21).

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Bedeutung im höfischen Musikleben der hinduja-vanischen Periode (zwischen dem 5. und 15. Jh.)gehabt haben. Es stellt sich nämlich die Frage, obsie nicht vielmehr als ikonographische Konventio-nen ohne Widerspiegelung der historischen Rea-lität der Zeit für die Darstellung von Musikszenenim besonderen bzw. höfischen Lebensstils im all-gemeinen zu deuten sind.

Mit ähnlichen Problemen wird man grundsätz-lich auch bei der angemessenen Interpretation derbezüglich des Musikinstrumentariums durchausergiebigen literarischen Quellen des alten Javakonfrontiert. So bin ich im Rahmen meiner Versu-che einer etymologischen Deutung des gamelan-Namens monggang oder munggang auf eine inter-essante Passage gestoßen, die ich, derzeit noch auflexikographisches Material angewiesen, wegen desfehlenden literarischen Kontextes noch nicht mitletzter Sicherheit zu deuten vermag. „Monggang“könnte die transitive Verbbildung eines Wortstam-mes „ponggang“ sein, dessen Bedeutung unklarist. Die nach Zoetmulder (1982, 1375a) offensicht-lich einzige Belegstelle im kakawin Ghaţotka-caśraya, einem vermutlich im späten 12. Jh. ver-faßten Versepos, legt in der Sentenz „penggangponggang“ die Deutung als onomatopoetischerReflex eines aus drei unterschiedlichen Klängenbestehenden instrumentalen Spielmusters nahe.Interpretiert man diese Silbenfolge „peng gangpong gang“ als Klangpattern „mittel-hoch-tief-hoch“, so erhält man unmittelbar einen sprachli-chen Reflex der für die Musik des gamelan mong-gang noch heute konstitutiven „Melodieperiode“.9

Der letzte diesbezüglich zu nennende Quel-lentypus ist derjenige, der für den gamelan mon-ggang das höchste Alter nennt. Zugleich ist dieserQuellentypus, weil er der rezenteste ist, jedochauch der problematischste. Er repräsentiert diehistorische Tradition Javas und gründet mithin imwesentlichen auf einem Großteil mündlich über-lieferter Erinnerung, die dann – in Java vergleichs-weise spät, nämlich vielfach erst im 18. oder 19.Jh. – schriftlich fixiert worden ist: Nach demkitab Jitapsara10 soll Baţara Guru (d.i. Śiwa) dasBedürfnis nach einem Klanginstrumentarium ver-spürt haben, mit dessen Hilfe er die Götter zuKonsultationen zusammenrufen konnte. Kunstschreibt dazu näherhin: „Met één slagbekkenbegonnen, voegde hij daar achtereenvolgens nogtwee van anderen en ook onderling verschillendenklank aan toe en liet dit drietal bekkens vervol-gens o. m. ook bespelen, wanneer hij de raadzaalbinnenschred. Zoo ontstond de drietonigeMoenggang en zijn speciaal gebruik. Deze eerste

van zijn soort werde Lokånontå geheeten en zouin Çaka 269 = AD 347 in gebruik genomen zijn“(Kunst 1934, 199).

Nach einer anderen Quelle, dem Wédha Pra-dangga, 1946 in sechs Bänden von dem bedeu-tendsten Hofmusiker seiner Zeit, K.R.T. Warsadi-ningrat, vollendet, bezieht sich der Name„Lokananta“ jedoch nicht auf den gamelan mong-gang, sondern auf einen Ensemble-Typus, dessenNachkomme heute als instrumentales „Gerüst“der einstimmigen Chorgesänge sakraler Hoftänze(bedhaya und srimpi) erklingt. Mit 167 Śaka (=245 AD) nennt Warsadiningrat jedoch für dengamelan lokananta ein ähnlich frühes Entste-hungs- bzw. Erfindungsdatum (Warsadiningrat1987, 34). Für die Entwicklung des gamelan mon-ggang nennt er das Jahr 1223 (= Śaka 1154) und alsSchöpfer den König Surya Wisésa (Warsadiningrat1987, 52).

Können nun diese meist sehr konkreten, in denverschiedenen Quellentexten aber erheblich von-einander abweichenden Datierungen als Ausdruckhistorischer Faktizität ernstgenommen werden?Wollen sie überhaupt unter dieser Perspektiveernstgenommen werden, oder will die früheDatierung nur Ausdruck höchster Reverenz sein?Wurde gar Geschichte unter dem Einfluß kolonia-ler Denkwelten (des 18. und 19. Jahrhunderts) alsAusweis kultureller Respektabilität schlichtwegerfunden? – Wie immer man diese Fragen beant-worten mag: Nach immerhin einer Quelle diesesTypus wurde der gamelan munggang sehr früh als„himmlische Musik“ erfunden. Bedauerlicherwei-se ist dies der einzige konkrete Anhaltspunkt, derhalbwegs eine Brücke zwischen Trommelgongsund Gamelan zu schlagen vermag.

Geschichte ist der Blick in die Vergangenheit,und ungeachtet aller historischen Faktizität vonEreignissen und Zuverlässigkeit von Dokumentenhaftet diesem Blick ganz unausweichlich immerein nicht geringes Maß an zeitgenössischer Verfär-bung oder auch Blindheit an. Es besteht also keinAnlaß, über diesen letztgenannten Quellentypuskopfschüttelnd oder milde lächelnd zur Tagesord-nung überzugehen.

9 Nur am Rande sei bemerkt, daß ponggang auch der Nameeines altertümlichen, nur noch in wenigen gong gedé-Ensembles auf der Insel Bali anzutreffenden Gongpaares ist.

10 Nach Nancy K. Florida (1992, 160) soll serat Jitabsara dietextliche Grundlage für eine in der Mitte des 19. Jahrhun-dert von R. Ng. Ronggawarsita (1802–1873) in Prosa ver-faßte Kosmogonie und genealogische Geschichte der hin-dujavanischen Gottheiten bis zur frühen menschlichenBevölkerung auf Java bilden.

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Der Abdruck der Abbildungen 1 und 2 erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags A. A. Balkema, P.O.Box1675, Rotterdam, Niederlande, aus dem Buch von A. J. Bernet Kempers, The Kettledrums of Southeast Asia: A BronzeAge World and its Aftermath (= Modern Quaterny Research in Southeasst Asia, vol. 10), Rotterdam: A. A. Balkema1988. 505 pp.

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Abb. 1 Ausschnitt der Schlagplatte des „Hoàng Ha“-Trommelgongs (aus: Bernet Kempers 1988, 537, Plate 11.20b9.

Abb. 2 Nachzeichnung eines Kaurieschneckenbehälters in Trommelgong-Form, Yunnan, Südchina (aus: Bernet Kempers 1988, 317, Figure 16).