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Tania Blixen Babettes Fest und andere Erzählungen

Tania Blixen Babettes Fest und andere Erzählungen · Tania Blix en(1885–1962), eigentlich Karen Blixen-Finecke, wurde in Rung stedlund bei Kopenhagen g eboren. Sie stu-dierte Kunst

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Tania BlixenBabettes Fest

und andere Erzählungen

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Tania Blixen

Babettes Festund andere Erzählungen

Aus dem Englischen vonW. E. Süskind

Deutsche Verlags-AnstaltMünchen

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Tania Blixen(1885–1962), eigentlich Karen Blixen-Finecke,wurde in Rungstedlund bei Kopenhagen geboren. Sie stu-dierte Kunst in Paris und Rom und ging 1914 mit ihremMann, dem schwedischen Baron von Blixen-Finecke, nachKenia. Ihre Schilderungen dieser Zeit fanden unter demTitel Afrika – dunkel lockende Welt (Jenseits von Afrika)Eingang in die Weltliteratur. Darüber hinaus begründetesie ihren Ruf mit einem reichen erzählerischen Werk, dasbei DVA erscheint: u.a. Gespensterpferde (1984), Winter-geschichten (1985) und Karneval (1995).

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Der Taucher

Mira Jama hat diese Geschichte erzählt.In Schiras lebte ein junger Theologiestudent namens

Saufe, hochbegabt und reinen Herzens. Indem er unab-lässig und stets von neuem den Koran las, versenkte ersich dermaßen in Gestalt und Wesen der Engel, daß seineSeele mehr mit ihnen Umgang hatte als mit seiner Mut-ter und seinen Brüdern, mehr auch als mit seinen Leh-rern und Studiengenossen oder irgend jemandem sonstin Schiras.

Er wiederholte bei sich die Worte des heiligen Buches:»… von den Engeln, so die Menschenseele mit Gewalthervorreißen, und von jenen, so es mit Sanftmut tun; vonden Engeln, so mit Gottes Befehlen durch die Luft glei-ten, als schwämmen sie; von jenen, so dem Rechtschaffe-nen vorangehen, wenn sie ihn ins Paradies geleiten, undvon jenen, so an untergeordneter Stelle stehen und dieGeschäfte dieser Welt regieren …«

Gottes Thron, dachte er, muß notwendigerweise sohimmelhoch gelegen sein, daß das Menschenauge ihnnicht erreichen kann und daß der Menschengeist tau-melt. Die strahlenden Engel indessen schweben hin undher zwischen Gottes azurenen Hallen und unseren licht-losen Häusern und Schulstuben. Es müßte möglich sein,daß wir sie sehen und mit ihnen Umgang haben.

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Die Vögel, überlegte er weiter, sind wohl von allenGeschöpfen am meisten wie die Engel. Sagt nicht dieSchrift: »Was da immer sowohl im Himmel wie aufErden wandelt, das lobpreist Gott; so auch die Engel« –und unbestreitbar tun die Vögel das: am Himmel undauf Erden wandeln. Und sagt sie nicht weiter, von denEngeln: »Sie sind nicht erhaben wie vor Stolz, also daßsie mit Hoffart ihren Dienst tun, sondern sie singen undverrichten, was ihnen geheißen« – und unbestreitbar tundies auch die Vögel. Streben wir also in alledem mit Fleißden Vögeln nach, so werden wir den Engeln ähnlichersein, als wir es jetzt sind.

Überdies kommt hinzu, daß die Vögel Flügel haben,ganz wie die Engel. Es wäre gut, wenn sich die Menschenauch Flügel schaffen könnten, um in hohe Regionen auf-zusteigen, wo ein helles und ewiges Licht herrscht. EinVogel, der die Kräfte seiner Schwingen aufs äußersteanstrengt, mag wohl bei der einen oder anderen seinerwilden Ätherfahrten einen Engel treffen, ihm über denWeg fliegen. Vielleicht hat der Flügel der Schwalbe einenEngel am Fuß gestreift, oder der Adler hat einem Gottes-boten in die stillen Augen geblickt, gerade als seine Krafterlahmen wollte.

Ich will, beschloß er, meine Zeit und meine Gelehr-samkeit dazu verwenden, daß ich solche Flügel baue fürmeine Mitmenschen.

So ging er denn mit sich zu Rate und fand, daß er Schi-ras verlassen sollte, um die Lebensweise der geflügeltenGeschöpfe zu studieren.

Bisher hatte er, indem er Söhne aus reichen Häusernunterrichtete und alte Handschriften kopierte, seine

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Mutter und seine kleinen Brüder ernährt, und sie klag-ten, ohne seine Unterstützung würden sie Not leiden. Erwandte ein, früher oder später werde sein Werk sie viel-fältig für die gegenwärtigen Entbehrungen entschädigen.Seine Lehrer, die sich eine schöne Laufbahn für ihn ver-sprochen hatten, stellten sich bei ihm ein und redeten ihmins Gewissen, die Welt sei so lang ohne einen näherenUmgang mit den Engeln ausgekommen, daß es wohl sovorbestimmt sei und auch in Zukunft so bleiben könne.

Aber der junge Gottesgelehrte widersprach ihnen inaller Ehrerbietung. »Bis zu diesem Tage«, sagte er, »hatnoch niemand gesehen, daß die Zugvögel ihren Weg neh-men nach wärmeren Gegenden, die es gar nicht gibt, oderdaß sich die Flüsse ihren Lauf durch Felsen und Ebe-nen brechen und einem Meer entgegenströmen, welchesnirgends vorhanden ist. Gott hat gewiß keine Sehnsuchtoder Hoffnung erschaffen, ohne auch die Wirklichkeitzur Hand zu haben, die als Erfüllung dazugehört. Aberunsere Sehnsucht ist unser Pfand, und selig sind, dieda Heimweh haben, denn sie sollen nach Hause kom-men. Wieviel besser doch«, rief er aus, denn sein eigenerGedankengang riß ihn hin, »stünde es um unsere Erden-welt, wenn der Mensch bei den Engeln Rat einholen undsich von ihnen sagen lassen könnte, wie das Muster derSchöpfung zu verstehen ist – sie können es ja mit Leich-tigkeit lesen, denn sie schauen’s von oben.«

So stark war sein Glauben an seinen Vorsatz, daß dieLehrer ihm schließlich nicht länger widersprachen; sieüberlegten, daß der Ruhm ihres Schülers sie dereinst,in künftiger Zeit, mit ihm zugleich berühmt machenkönnte.

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Der junge Softa nahm nun, ein ganzes Jahr hindurch,seinen Aufenthalt bei den Vögeln. Er machte sich seinLager im hohen Gras der Felder, wo die Wachtel ruft; erkletterte auf die alten Bäume, wo die Ringeltaube und dieDrossel nisten, suchte sich einen Sitz im Laub und ver-harrte dort so still, daß sie nicht von ihm gestört wurden.Er stieg in die hohen Berge und hielt sich, dicht unter-halb der Schneegrenze, in der Nähe eines Adlerpärchensauf, beobachtete, wie sie ausflogen und wiederkehrten.

Reich an Erkenntnis und Wissen kehrte er alsdannnach Schiras zurück und nahm die Arbeit an den Flü-geln auf.

Im Koran las er: »Lob sei Gott, der die Engel erschafft,ausgerüstet mit zwei, mit drei, mit vier Schwingenpaa-ren«, und er beschloß, daß er für sich drei Paar Flügelanfertigen wollte, eins für die Schultern, eins für denGürtel und eins für die Füße. Während seiner Wanderun-gen hatte er viele hundert Schwungfedern von Adlern,Schwänen und Bussarden gesammelt; mit denen schloßer sich nun ein und arbeitete mit solchem Eifer, daß erlange Zeit keinen Menschen sah oder sprach. Doch sanger bei der Arbeit, und die Vorübergehenden blieben ste-hen, lauschten und sprachen: »Dieser junge Softa preistGott und führt aus, was befohlen ist.«

Als er aber sein erstes Paar Flügel fertig hatte, sie aus-probiert und ihre Tragkraft verspürt hatte, konnte erseine Freude nicht für sich behalten, sondern vertrautesie den Freunden an.

Anfangs lächelten die Großen in Schiras, die Gottes-gelehrten und hohen Beamten, bei dem Gerücht von sei-ner Tat. Als sich das Gerücht aber ausbreitete und von

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vielen jungen Leuten bestätigt wurde, fühlten sie sichbeunruhigt.

»Wenn dieser fliegende Junge da«, sagten sie unterein-ander, »tatsächlich Engeln begegnet und mit ihnen Ver-bindung aufnimmt, dann wird es den Leuten von Schiraswieder so ergehen wie immer, wenn etwas Ungewöhn-liches sich ereignet: Sie werden vor lauter Staunen undFreude den Verstand verlieren. Und wer weiß, was ihmdie Engel nicht für neues und umstürzlerisches Zeugerzählen mögen. Denn schließlich«, fügten sie hinzu,»ist die Möglichkeit ja nicht in Abrede zu stellen, daß esEngel im Himmel gibt.«

Sie beratschlagten die Sache, und der älteste unterihnen, ein königlicher Minister namens Mirzah Aghai,sagte: »Dieser junge Mann ist gefährlich, weil er großeDinge träumt. Gleichzeitig aber ist er harmlos, und eswird leicht mit ihm fertigzuwerden sein, weil er das Stu-dium unserer wirklichen Welt verabsäumt hat, in wel-cher Träume auf den Prüfstand müssen. Wir werden ihm,und dazu braucht’s nur einer einzigen Lektion, die Exi-stenz der Engel zugleich beweisen und widerlegen. Esgibt doch wohl noch junge Frauen in Schiras?«

Den folgenden Tag schickte er nach einer von desKönigs Tänzerinnen; ihr Name war Thusmu. Er setzteihr den Fall so weit auseinander, wie er dachte, sie müssedarüber Bescheid wissen, und versprach ihr eine Beloh-nung, wenn sie ihm gehorchte. Ließe sie ihn aber imStich, so würde ein anderes junges Tanzmädchen, eineFreundin von ihr, in der königlichen Tanzgruppe an ihreStelle vorrücken, wenn das Fest der Rosenernte und desRosenöls gefeiert würde.

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So kam es, daß der junge Softa, als er eines Nachtsauf das Dach seines Hauses gestiegen war, um nach denSternen zu schauen und sich auszurechnen, wie schneller vom einen zum andern würde reisen können, hin-ter sich leise seinen Namen rufen hörte und, als er sichumwandte, eine schmale, strahlende Gestalt gewahrte,in einem Gewand aus Gold und Silber, die hochaufge-richtet, die Füße eng beisammen, am äußersten Rand desDaches stand.

Der junge Mann war ganz erfüllt von der Vorstel-lung der Engel, er zweifelte keinen Augenblick an derWesensechtheit seines Besuches und empfand nicht ein-mal besonderes Erstaunen, nur eine überwältigendeFreude. Er sah einen Moment zum Himmel empor, obder Engelsflug dort nicht eine schimmernde Spur hinter-lassen habe, und unterdessen zogen die Leute unten dieLeiter weg, auf der die Tänzerin das Dach erstiegen hatte.Im nächsten Augenblick fiel er vor ihr auf die Knie.

Sie neigte ihm freundlich den Kopf zu und blickte ihnan mit dunklen, dichtbewimperten Augen. »Du hast michlange in deinem Herzen getragen, Saufe, mein Knecht«,flüsterte sie, »nun bin ich gekommen und will mir diesemeine kleine Heimstatt beschauen. Wie lange ich bei dirin deinem Hause bleibe, das hängt von deiner Demut abund davon, ob du bereit bist, meinen Willen zu tun.«

Sie ließ sich mit gekreuzten Beinen auf dem Dach nie-der, während er weiter vor ihr kniete, und sie sprachenmiteinander.

»Wir Engel«, sagte sie, »brauchen in Wahrheit garkeine Flügel, um uns zwischen Himmel und Erde zubewegen; unsere Glieder genügen dazu. Wenn du und

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ich wirklich Freunde werden, wird es sich mit dir ebensobegeben, und du kannst die Flügel vernichten, an denendu arbeitest.«

Zitternd vor Inbrunst fragte er sie, wie denn ein sol-ches Fliegen wider alle Gesetze der Naturwissenschaftmöglich sei. Da lachte sie ihn aus; ihr Lachen klang wieeine helle kleine Glocke.

»Ihr Männer«, sagte sie, »seid immer so versessen aufGesetze und Meinungsstreit und habt einen ungeheurenGlauben an die Worte, die ihr aus euren Bärten heraus-laßt. Ich aber will dich davon überzeugen, daß wir einenMund für süßeres Gespräch haben, und einen süßerenMund für das Gespräch. Ich will dich lehren, wie Engelund Menschen ohne Meinungsstreit zu voller Verstän-digung gelangen, auf die himmlische Art.« Dies also tatsie.

Einen Monat lang war des Softas Glück so groß, daßsein Herz es nicht zu fassen vermochte. Er hatte kei-nen Gedanken mehr für seine Arbeit, indes er sich einübers andere Mal der himmlischen Verständigung über-ließ. Er sagte zu Thusmu: »Ich sehe jetzt, wie recht derEngel Eblis hatte, als er zu Gott sprach: ›Ich bin bessergeschaffen als Adam. Ihn hast du nur aus Erde gemacht,mich aber aus Feuer.‹« Und auch dies zitierte er ihr ausder Heiligen Schrift, und seufzte dazu: »›Wer aber denEngeln feind ist, der ist Gott selber feind.‹«

Er behielt den Engel bei sich im Hause, denn siehatte ihm gesagt, der Anblick ihrer Lieblichkeit würdedie Uneingeweihten, die Leute von Schiras, erblindenmachen. Nur bei Nacht stieg sie mit ihm aufs Hausdach,und sie schauten zusammen in den jungen Mond.

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Nun begab es sich aber, daß die Tänzerin den Theo-logen sehr lieb gewann; denn er war hübsch anzusehen,und seine unverbrauchte Kraft machte ihn zu einem gro-ßen Liebhaber. Ihm ist alles zuzutrauen, sagte sie sich all-mählich. Aus ihrer Unterhaltung mit dem alten Ministerhatte sie schon den Eindruck gewonnen, daß er den jun-gen Mann und seine Flügel als eine Gefahr empfand, alsverderblich für sich selbst, seine Standesgenossen undden Staat, und nun festigte sich in ihr der Gedanke, daßsie recht gern den alten Minister, seine Amtsgenossenund den Staat wollte zugrundegehen sehen. Ihre Liebezu ihrem jungen Freund ließ ihr Herz beinahe ebensoweich werden, wie das seine war.

Als der Mond voll wurde und die ganze Stadt in seinLicht tauchte, saßen die beiden zusammen auf demDach. Der junge Mann ließ seine Hände über sie hin-wandern und sprach: »Seit ich dich getroffen habe, sindmeine Hände auf eine eigene Weise lebendig geworden.Ich merke jetzt, als Gott den Menschen Hände gab, dahat er ihnen ein ebenso großes Liebeszeichen erwiesen,als hätte er ihnen Flügel geschenkt.« Bei diesen Wortenhob er seine Hände in die Höhe und schaute sie an.

»Lästere du nicht«, sagte sie und seufzte leise. »Nichtich, sondern du bist ein Engel, und du hast in der Tatin deinen Händen wunderbare Kraft und Lebendigkeit.Laß es mich noch einmal spüren, und dann, morgen, zeigmir die großen Dinge, die du mit deinen Händen ange-fertigt hast.«

Um ihr eine Freude zu machen, brachte er sie am näch-sten Tag, tief verschleiert, in seine Werkstatt. Da sah er,daß die Ratten seine Adlerschwungfedern zernagt hatten

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und daß das Fluggestell zerbrochen und durcheinander-geworfen auf der Erde lag. Er schaute die Trümmer anund gedachte der Zeit, da er daran gearbeitet hatte. DieTänzerin aber weinte.

»Daß er das tun wollte, hab ich nicht gewußt«, rief sie.»Ist er nicht ein böser Mann, dieser Mirzah Aghai!«

Erstaunt fragte sie der Softa, was das heißen sollte, undin ihrer Not und Empörung sagte sie ihm alles.

»Und außerdem, Liebster«, sagte sie, »ich kann garnicht fliegen, wenn man auch behauptet, ich hätte beimTanzen eine besondere Leichtigkeit. Sei mir nicht bös– du mußt dir überlegen, der Mirzah Aghai und seineFreunde sind große Leute, gegen die ein armes Mädchennichts ausrichten kann. Sie sind reich und haben herrli-chen Besitz. Von einer kleinen Tänzerin kannst du nichterwarten, daß sie ein Engel ist.«

Bei diesen Worten fiel er auf sein Angesicht und bliebstumm. Thusmu setzte sich neben ihn, ihre Tränen tropf-ten auf sein Haar, das sie sich um die Finger wand.

»Du bist so wunderbar, du«, sagte sie. »Bei dir ist allesgroß und süß und wirklich himmlisch, und ich hab dichlieb. Also sei nicht traurig, Liebster.«

Er hob den Kopf, blickte sie an und sprach: »Gott hatnur Engel, niemand sonst, dazu bestimmt, daß sie überdem Höllenfeuer wachen.«

»Niemand«, sagte sie, »niemand kann so schön aus derHeiligen Schrift vortragen wie du.«

Wieder schaute er sie an. »Und so hast du vielleichtdoch gesehen«, sagte er, »wie die Engel es machen, wennsie den Ungläubigen den Tod geben. Sie schlagen sie insGesicht und sprechen zu ihnen: ›Da schmeck, wie Feuer

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brennt; dieses sollst du erdulden zur Strafe für das, wasdeine Hand getan hat.‹«

Nach einer Weile sagte sie: »Vielleicht kannst du dieFlügel wieder ausbessern, vielleicht werden sie wiederwie neu.«

»Ich kann sie nicht ausbessern«, sagte er, »und wo dujetzt dein Werk vollbracht hast, mußt du gehen; es istgefährlich für dich, wenn du bei mir bleibst. Denn Mir-zah Aghai und seine Freunde sind große Leute. Und dusollst ja tanzen auf dem Fest der Rosenernte und desRosenöls.«

»Vergißt du Thusmu?« fragte sie.»Nein«, sagte er.»Kommst du, wenn ich tanze?«»Ja, wenn ich kann«, erwiderte er.Sie erhob sich und sagte ernst: »Ich werde immer hof-

fen, daß du kommst. Denn ohne Hoffnung kann mannicht tanzen.«

Damit ging sie traurig fort.Saufe hielt es nicht länger in seinem Haus; er ließ die

Tür seiner Werkstatt offenstehen und wanderte durchdie Stadt. Aber auch da hielt es ihn nicht; er lief weiter,hinaus in Wald und Feld. Doch er konnte es nicht ertra-gen, Vögel zu sehen, sie singen zu hören, und er kehrtebald um, zurück ins Straßengewühl. Ab und zu hielt erinne, blieb vor dem Laden eines Vogelhändlers stehenund schaute lange den Vögeln in ihren Käfigen zu.

Freunde, die ihn ansprachen, erkannte er nicht. Aberwenn Straßenbuben ihn auslachten und schrien: »Da sehtden Softa, der geglaubt hat, die Thusmu ist ein Engel!«blieb er stehen, blickte sie an und sagte: »Das glaube ich

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noch. Nicht meinen Glauben an die Tänzerin habe ichverloren, sondern meinen Glauben an die Engel. Ichkann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich mir, alsich jung war, die Engel vorgestellt habe. Ich glaube, siesind entsetzlich anzuschauen. Wer den Engeln feind ist,der ist auch Gott feind, und wer Gott feind ist, der hatkeine Hoffnung mehr. Ich habe keine Hoffnung, undohne Hoffnung kann man nicht fliegen. Das ist’s, wasmich ruhelos macht.«

Auf solche Weise wanderte der unglückliche Softa einJahr lang umher. Ich selber bin ihm als kleiner Junge inden Straßen begegnet, er war eingehüllt in seinen schä-bigen schwarzen Umhang und einen noch schwärzerenaus unendlicher Einsamkeit.

Als das Jahr vorüber war, verschwand er und ward inSchiras nicht mehr gesehen.

»Und dies«, sprach Mira Jama, »ist der erste Teil mei-ner Geschichte.«

Nun traf es sich aber viele Jahre später – als ich michals junger Mensch darauf verlegt hatte, Geschichten zuerzählen zum Vergnügen der Welt und um sie ein wenigweiser zu machen –, daß ich an die sandige Meereskü-ste reiste, zu den Dörfern der Perlenfischer, um mir vondiesen Leuten ihre Abenteuer erzählen zu lassen und inmich aufzunehmen.

Denn es ist ja vielerlei, was so einem Menschen zu-stößt, der auf den Meeresgrund taucht. Perlen, von allemandern abgesehen, sind geheimnisvolle, abenteuerlicheGebilde – du brauchst nur den Werdegang einer einzigenvon ihnen zu verfolgen, und du hast Stoff für hundert

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Geschichten. Perlen sind wie Dichtermärchen: Krank-heit wird zur Köstlichkeit, durchscheinend und doch un-durchsichtig; Geheimnisse der Tiefe kommen ans Lichtzum Schmuck für junge Frauen, und sie erkennen darindie tieferen Geheimnisse ihrer eigenen Brust.

Im späteren Leben habe ich vor Königen nacherzählt,und viel Erfolg damit gehabt, was diese sanften, einfälti-gen Fischersleute mir zuerst berichtet hatten.

Nun kehrte in ihren Erzählungen immer ein bestimm-ter Name wieder, so daß ich neugierig wurde und sie bat,mir mehr von der betreffenden Person zu erzählen. Daerfuhr ich denn, es handle sich um einen Mann, der unterihnen berühmt geworden war wegen seiner Kühnheitund seines ganz außergewöhnlichen und unerklärlichenGlücks. In der Tat bedeutete auch der Name, den sieihm gegeben hatten, Elnazred, in ihrer Mundart sovielwie »der Erfolgreiche« oder »der Glückliche und Zufrie-dene«. Er pflege tiefer hinabzutauchen und länger zuverweilen als irgendein anderer Fischer, und unfehlbarbringe er Muscheln nach oben, die die schönsten Per-len enthielten. In den Dörfern der Perlenfischer heißees, er müsse in der Tiefe der See einen Freund besit-zen – eine schöne Meerjungfer vielleicht oder auch einenDämonen –, der ihm den rechten Weg weise. Währenddie anderen Fischer von den Handelskompanien ausge-beutet wurden und ihr Leben lang arme Leute blieben,hatte sich dieser Glückliche ein nettes Vermögen beisei-tegelegt, im Binnenland Haus und Garten gekauft, sei-ner Mutter dort Obdach geboten und seine Brüder gutverheiratet. Doch wohnte er selbst noch in einer klei-nen Hütte am Strand. Trotz seines Rufs als Dämonen-

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beschwörer, schien er auf trockenem Boden und im täg-lichen Leben ein ganz friedfertiger Mensch zu sein.

Ich bin Dichter, und etwas in diesen Berichten rief mirlangvergessene Geschichten ins Gedächtnis zurück. Ichbeschloß, den Erfolgreichen aufzusuchen und mir seineGeschichte erzählen zu lassen. Zuerst versuchte ich esvergebens in seinem schönen, gartenumgebenen Haus.Dann, eines Abends, ging ich hinaus zum Strand, nachseiner Hütte.

Der Mond stand voll am Himmel, die langen grauenWellen fluteten unablässig heran, alles ringsum schien einGeheimnis zu bewahren. Ich schaute alles an und fühlte,daß ich eine schöne Geschichte hören und nacherzäh-len sollte.

Der Mann, nach dem ich suchte, war nicht in seinerHütte; er saß im Sand, starrte aufs Meer hinaus und warfab und zu einen Kieselstein hinein. Der Mond beschienihn, und ich sah, er war ein hübscher, wohlgenährterMann, dessen ruhiges Antlitz tatsächlich Glück undHarmonie ausdrückte.

Ich grüßte ihn mit Ehrerbietung, nannte ihm meinenNamen und erklärte ihm, ich hätte mich in der hellen,warmen Nacht auf einen Spaziergang begeben. Er erwi-derte höflich meinen Gruß, zeigte sich überhaupt sehraufgeschlossen und bemerkte, ich sei ihm dem Verneh-men nach bereits bekannt als ein Jüngling, der sich in derKunst des Geschichtenerzählens zu vervollkommnenstrebe. Er lud mich ein, mich im Sand neben ihm nie-derzulassen, und plauderte eine Zeitlang über den Mondund das Meer. Nach einer Gesprächspause sagte er, es seilange her, seit er eine Geschichte habe erzählen hören –

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ob ich ihm nicht, da wir so nett in der hellen, warmenNacht beisammensäßen, eine erzählen wollte.

Ich war begierig darauf, meine Kunst zu zeigen;außerdem überlegte ich mir, daß ich mir bei ihm für spä-ter einen Stein im Brett verschaffen würde, und so suchteich in meinem Gedächtnis nach einer guten Geschichte.Irgendwie, ich weiß nicht warum, war mir die Geschichtevom Softa Saufe in den Sinn gekommen. So fing ich also,recht leise und mit einer sanften Stimme, wie es zumMond und zu den Wellen paßte, zu erzählen an: »InSchiras lebte ein junger Theologiestudent…«

Der glückliche Mann lauschte still und aufmerksam.Als ich aber zu der Stelle kam, wo die Liebenden auf demHausdach sitzen, und den Namen der Tänzerin Thusmunannte, hob der Mann seine Hand und schaute sie an. Ichhatte mir viel Mühe mit der Erfindung dieser hübschenMondschein-Szene gegeben, und sie war meinem Dicht-erherzen teuer; so erkannte ich denn sofort die Gebärdeund rief voller Überraschung und Bestürzung: »Du bistder Softa Saufe aus Schiras!«

»Ja«, sagte der glückliche Mann.Für einen Dichter ist es eine unheimliche Sache, wenn

er entdeckt, daß seine Geschichte wahr ist. Ich war nochsehr jung und ein Anfänger in meiner Kunst – die Haaresträubten sich mir, und ich wäre am liebsten aufgesprun-gen und davongelaufen. Aber etwas in der Stimme desGlücklichen hielt mich fest.

»Früher einmal«, sagte er, »hat mir das Wohlergehendes Softa Saufe, von dem du mir eben erzählt hast, sehram Herzen gelegen. Inzwischen aber hatte ich ihn schonbeinahe vergessen. Es freut mich aber zu erfahren, daß er

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in eine Geschichte eingegangen ist, denn das war wahr-scheinlich seine Bestimmung, und ich will ihn in Zukunftvon Herzen gern drinlassen. Fahr fort mit deiner Erzäh-lung, Mira Jama, Geschichtenerzähler, und laß mich dasEnde hören.«

Ich zitterte bei diesem Ansinnen, aber wieder faszi-nierte mich seine Art, und erlaubte mir, den Faden mei-ner Geschichte wieder aufzunehmen. Als erstes empfandich, daß er mir Ehre antat, und bald, indem ich fortfuhr,daß ich ihm Ehre erwies. Das Siegesgefühl des Geschich-tenerzählers erfüllte mein Herz. Ich erzählte sehr bewe-gend, und als ich am Ende war, auf dem dürren Mee-ressand, nur er und ich unterm Vollmond, da war meinGesicht in Tränen gebadet.

Der Glückliche sprach mir Trost zu und ermahntemich, ich sollte mir so eine Geschichte nicht allzu-sehr zu Herzen nehmen. Als ich wieder Herr meinerStimme war, ersuchte ich ihn nun meinerseits, er mögemir berichten, was ihm alles zugestoßen sei, seitdem erSchiras verlassen hatte. Seine Erlebnisse in der Mee-restiefe, sagte ich, und das Glück, das ihm Reichtum undRuhm unter den Menschen eingebracht, würden sichereine ebenso köstliche Geschichte ergeben wie die vonmir erzählte, und eine vergnüglichere. Fürsten, großeDamen und Tänzerinnen, erklärte ich ihm, mögen trau-rige Geschichten, ebenso auch die Bettler an der Stadt-mauer. Ich aber hätte vor, ein Geschichtenerzähler fürdie ganze Welt zu werden, und die Geschäftsleute, sagteich, und ihre Gattinnen verlangten Geschichten, die gutausgehen.

Der Glückliche schwieg eine Weile.

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»Was mir begegnet ist, nachdem ich Schiras verließ«,sagte er, »gibt überhaupt keine Geschichte ab.«

»Ich bin berühmt unter den Menschen«, fuhr er fort,»weil ich die Fähigkeit habe, länger auf dem Meeres-boden zu bleiben als sie. Diese Fähigkeit, wenn du sowillst, ist ein kleines Erbteil von dem Softa, von dem dumir erzählt hast. Aber das ergibt keine Geschichte. DieFische sind immer gut zu mir gewesen; die verraten nie-mand. Das gibt auch keine Geschichte.«

»Dennoch«, sagte er schließlich nach einer längerenPause, »zum Entgelt für deine Geschichte und weil icheinen jungen Dichter nicht entmutigen möchte, will ichdir, obwohl es keine Geschichte abgibt, erzählen, wasmir begegnet ist, nachdem ich Schiras verließ.« Daraufbegann er seinen Bericht, und ich hörte ihm zu.

»Ich werde nicht erst näher erklären, wie ich aus Schirasfortging und hierher kam, sondern meinen Bericht gleichda beginnen lassen, wo er bei den Geschäftsleuten undihren Gattinnen Gefallen findet.

Als ich nämlich das erste Mal auf den Meeresgrundniederstieg, um eine bestimmte seltene Perle zu suchen,die mir damals viel im Kopf herumging, nahm sich einalter Korallenfisch mit einer Hornbrille meiner an. Als ernoch sehr klein war, hatten ihn zwei alte Fischer in ihremNetz eingefangen, und er hatte da eine ganze Nacht zuge-bracht, im Bilgewasser ihres Bootes, und den Reden derbeiden Alten zugehört, die offenbar fromme und nach-denkliche Leute waren. Am Morgen aber, als das Netz anLand gezogen wurde, ging er ihnen durch die Maschenund schwamm davon. Seitdem lacht er nur noch dar-über, daß die anderen Fische so mißtrauisch gegen die

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Menschen sind. Wahr ist, pflegt er zu sagen, wenn einFisch weiß, wie er sich zu benehmen hat, kommt er mitden Menschen bequem zurecht. Er hat sogar angefangen,sich ernsthaft mit der Natur und den Gewohnheiten desMenschen zu beschäftigen, und hält öfters vor einemFisch-Auditorium Vorträge zu diesem Thema. Auch mitmir unterhält er sich gern darüber.

Ich habe diesem Korallenfisch viel zu verdanken, denner erfreut sich eines bedeutenden Ansehens im Meere,und ich bin als sein Schützling überall gut aufgenommenworden. Ich verdanke ihm auch viel von dem Wohlstandund Ruhm, der mich, wie man dir gesagt hat, zu einemglücklichen Menschen hat werden lassen. Aber nochviel mehr verdanke ich ihm, denn bei den langen Unter-haltungen, die wir gehabt haben, vermittelte er mir dieLebensweisheit, die mir Ruhe geschenkt hat.

Folgendes ist seine Auffassung. Der Fisch, sagt er, istvon allen Geschöpfen am sorgfältigsten und genauestennach Gottes Ebenbild geschaffen. Alles wirkt zu seinemBesten zusammen, und daraus können wir den Schlußziehen, daß der Fisch völlig nach Gottes Absicht insLeben gerufen ist.

Der Mensch vermag sich nur in einer Ebene zu bewe-gen und ist an die Erde gefesselt. Und die Erde stützt ihnnur durch den schmalen Raum unter seinen beiden Fuß-sohlen, und er muß sein Gewicht mit sich herumschlep-pen unter bitterem Seufzen. Er muß, wie ich den Redenmeiner alten Fischersleute entnommen habe, mühseligdie Berge erklimmen; dabei kann es ihm passieren, daßer herunterfällt, und dann empfängt ihn die Erde äußerstunsanft. Sogar den Vögeln geht es so, sie haben zwar

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Schwingen, aber wenn sie ihre Flügel nicht anstrengen,verrät sie die Luft, in die sie doch hineingeboren sind,und läßt sie fallen.

Wir Fische hingegen werden von allen Seiten gestütztund getragen. Wir lehnen uns vertrauensvoll und in Ein-tracht gegen unser Element. Wir bewegen uns in jederRichtung, und welchen Kurs wir auch nehmen, dasgewaltige Wasser hat so viel Ehrfurcht vor unserer Wohl-beschaffenheit, daß es gehorsam seine Gestalt verändert.

Wir haben keine Hände, können also niemals etwasbauen und basteln und lassen uns nicht von eitlem Ehr-geiz verleiten, daß wir auch nur im geringsten etwas ver-ändern wollten an der Schöpfung des Herrn. Wir säennicht und werkeln nicht, daher schlägt auch keine unse-rer Erwartungen fehl, und nichts schätzen wir verkehrtein. Die größten unter uns haben unten in der Tiefe dievöllige Dunkelheit erreicht. Und das Muster der Schöp-fung können wir mit Leichtigkeit lesen, wir schauen’s javon unten.

Indem wir so durchs Gewässer kreuzen, tragen wireinen Schöpfungsbericht mit uns, der uns unsere bevor-zugte Stellung aufs nachdrücklichste beweist und unserKameradschaftsgefühl festigt. Dem Menschen ist die-ser Bericht ebenfalls bekannt, er nimmt sogar in seinerGeschichte einen bedeutenden Platz ein, aber entspre-chend seiner allgemeinen unterentwickelten Vorstellungvon den Dingen bleibt sein Verständnis in diesem Punktverworren. Ich will dir alles auseinandersetzen.

Als Gott Himmel und Erde geschaffen hatte, verur-sachte ihm die Erde bittere Enttäuschung. Der Mensch,zum Fallen geneigt, fiel denn auch beinahe auf der Stelle,

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und mit ihm fiel, was auf dem Trockenen war. Da gereutees den Herrn, daß er den Menschen geschaffen hatte unddie Tiere auf der Erde und die Vögel in der Luft.

Nur die Fische sind nicht gefallen und werden nie fal-len, denn wieso und wohin sollten wir fallen? Darumblickte der Herr gütig auf uns, seine Fische, und wargetröstet bei ihrem Anblick, da unter aller Schöpfung sieallein ihn nicht enttäuscht hatten.

Er beschloß daher, die Fische nach Verdienst zu beloh-nen. Da wurden alle Quellen der Tiefe aufgebrochenund die Fenster des Himmels aufgetan, und die Wasserder großen Flut kamen über die Erde. Und die Wasserschwollen über und nahmen zu, und alle hohen Berge, sowie sie unterm Himmel waren, wurden bedeckt. Und dieWasser schwollen über alle Grenzen, und alles Fleisch,das auf Erden wandelte, mußte sterben, die Vögel unddas Vieh, die wilden Tiere und der Mensch. Alles, wasauf dem Trockenen wohnte, mußte sterben.

Ich will in meinem Bericht nicht lange bei der Annehm-lichkeit dieser Zeit und dieses Zustandes verweilen. Ichhabe Mitgefühl mit dem Menschen, ich besitze Takt.Auch du, bevor du den Weg zu uns fandest, hattest viel-leicht Rinder in dein Herz geschlossen oder Kamele undPferde, oder du hast Tauben gehalten oder Pfauen. Dubist noch jung und hast dich vielleicht unlängst erst hin-gezogen gefühlt zu so einem Geschöpf, einem von dei-ner eigenen Art und doch ein wenig einem Vogel ähnlich,junge Frau sagt ihr wohl zu ihnen. Obgleich, nebenbeigesagt, günstiger wäre für dich, es wäre nicht an dem,denn ich erinnere mich an die Worte meiner Fischer, daßeine junge Frau ihren Liebsten die Qual des Verbrennens

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Tania Blixen

Babettes Festund andere Erzählungen

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 272 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-421-04223-1

DVA Belletristik

Erscheinungstermin: August 2006

Die Schicksalsanekdoten in Neuausstattung - zum 125. Geburtstag der Autorin Jahrelang hat Babette in der Lotterie gespielt, bis ihr eines Tages das Glück hold ist. Mit demGewinn richtet die Meisterköchin in dem abgelegenen norwegischen Dorf ein Festmahl aus,dessen lukullische Verführungskunst die Gäste für ein paar Stunden in den Himmel erhebt. Mitder anrührenden Erzählung Babettes Fest ist Tania Blixen ein literarisches Glanzstück gelungen,das ihren Ruf als große Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts mitbegründet. In diesem Band, dernun in neuer Ausstattung wieder vorliegt, sind alle fünf „Schicksalsanekdoten“, wie die Autorindiese Sammlung selbst nannte, versammelt.