Tauler Predigt 48

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 48

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    Johannes Tauler Predigt 48

    Diese Predigt erlutert das Evangelium nach dem heiligen Lukas auf den elften Sonntag(nach Dreifaltigkeit), das die Parabel1 vom Phariser und vom Zllner enthlt. Es hlt unsunsere Schwche und unser Unvermgen vor Augen und gibt allen Ordensleuten eine guteAnweisung fr die Art, wie ein jeglicher Konvent sich verhalten soll (Straburger Hs.).

    ZWEI MENSCHEN STIEGEN zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war einPhariser, der andere ein Zllner.

    Diese zwei gingen zum Tempel hinauf. Dieser Tempel bedeutet den so liebenswerteninneren Grund der Seele, darin die heilige Dreifaltigkeit in so liebreicher Weise

    wohnt und in so erhabener Weise wirkt; in den sie all ihren Schatz so freigebighineingelegt, wo sie ihr Spiel und ihre Freude hat und worin sie ihr edles Bild undGleichnis geniet. Von der Erhabenheit und der hohen Wrde dieses Tempels genugzu sagen -das ist unmglich. Dorthin soll man zum Gebet gehen. Und es mssen zweiMenschen sein, die hinaufsteigen, da heit, die sich ber alle Dinge und ber sichselbst erheben und sich nach innen wenden. Es mssen zwei sein, der uereMensch und der innere, wenn dieses Gebet recht geschehen soll. Was (nmlich) deruere Mensch ohne den inneren betet, das taugt wenig, ja wohl gar nichts.

    Meine lieben Schwestern, um auf dem Weg zu diesem rechten und wahren Gebet voranzukommen, gibt es keine grere noch ntzlichere Hilfe als den heiligen,ehrwrdigen Leib unseres Herrn Jesus Christus; ihn soll der Mensch zuangemessener Zeit empfangen, und sich dadurch ganz erneuern und wiedergeboren werden. Meine Lieben! Ihr mt ganz besonders dankbar dafr sein, da diesegroe Gnade (des heiligen Abendmahles) euch jetzt hufiger zuteil werden kann als.frher, und ihr solltet sie euch mehr zunutze machen als alle andere Hilfe; denn die(menschliche) Natur ist heute so schwach und so geneigt, in eine Flle vonGebrechen und Snden .zu fallen, da der Mensch gar sehr groer Hilfe und festen

    Haltes bedarf , um sich wieder aufzurichten und zu sttzen, und eine solche Hilfe istdiese gttliche Nahrung vor allen Dingen.

    Einer der bei den Menschen (die zum Tempel hinaufgingen) war ein Phariser: dasEvangelium erzhlt uns, wie es mit diesem zuging; der andere war ein Zllner: derblieb von ferne stehen, wagte die Augen nicht zum Himmel zu erheben und sprach:

    1Wrtlich zu Vetter 267.6: .Dem erging es selig"; so bersetzen Lehmann, Naumann, Oehl.

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    "Herr, sei mir Snder gndig!" Dessen Gebet fand Gehrt. Ich wollte, ich knntemich in Wahrheit ebenso verhalten wie. dieser und allezeit in mein Nichts schauen:das wre der edelste und ntzlichste Weg, den man je einschlagen knnte. Dieser Weg fhrt Gott in den Menschen hinein, ohne Unterla und unmittelbar; denn

    wohin Gott mit seiner Barmherzigkeit kommt, dahin kommt er mit seinem ganzenSein und mit sich selbst.

    Nun findet sich dieses Zllners Weise in manchen Leuten: im Bewutsein ihrerSnden wollen sie Gott und dieses heilige Mahl fliehen und sagen, sie getrauten sichnicht (zum Tisch des Herrn zu gehen). Nein, liebe Schwestern, um so lieber sollt ihrdorthin gehen, damit ihr eurer Snden ledig werdet, und sprechen: "Komm, Herr,komm bald, da meine Seele in ihren Snden nicht zugrunde gehe; es ist not, da duschnell kommst, ehe sie ganz sterbe." Wisset, wahrlich: fnde ich irgendwo einen

    Menschen in der rechten Geisteshaltung jenes Zllners, der sich in Wahrheit frsndig hielte, wenn er in diesem demtigen

    Gefhl gerne gut sein wollte und Ehrfurcht (vor dem heiligen Sakrament) bese,nach. dem liebsten Willen Gottes leben und sich. von der Anhnglichkeit an dieGeschpfe, sosehr er nur knnte, freimachen wollte -so wrde ich diesem Menschenmit gutem Gewissen und ohne Zaudern den heiligen Leib unseres Herrn ein berden anderen Tag geben und wollte solch. Vorgehen aus der ganzen Heiligen Schriftrechtfertigen. Als wir zur Taufe gebracht wurden und uns Gott verbanden, da

    erwarben wir uns ein Recht auf dieses heilige Sakrament. Dieses Recht knnen unsalle Geschpfe nicht nehmen, wir tten es denn selber.

    Meine lieben Schwestern! (Um zum Tisch des Herrn zu gehen,) bedarf es keinergroen fhlbaren Andacht und keiner groen ueren Werke; es gengt, da manohne Todsnde sei, den Wunsch. habe, gut zu sein, eine demtige Ehrfurcht (vordem heiligen Sakrament) besitze, sich. dessen unwrdig bekenne und seineBedrftigkeit erkenne. Damit ist es genug; aber das ist auch. notwendig undnutzbringend. Will der Mensch daran festhalten, da er ohne schwere Snde undohne schweren Fall bleibt, so ist es fr ihn sehr notwendig, mit dieser edlen, starkenSpeise genhrt zu werden; sie zieht ihn voran bis auf den Gipfel eines gttlichenLebens. Und darum sollt ihr euch. nicht leichthin dem heiligen Mahle entziehen, weilihr wit, da ihr gesndigt habt; sondern im Gegenteile euch um so mehr befleiigen, zum Tisch des Herrn zu gehen; denn von dort kommt euch, dort istniedergelegt und verborgen alle Kraft, alle Heiligkeit, alle Hilfe, jeglicher Trost.

    Aber verurteilt nicht die, welche es nicht tun, ebenso wie die anderen euch., die ihr estut, nicht verurteilen sollen.

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    Denn der heilige Augustinus sagt: "Man soll keinen Menschen verurteilen umirgendeines Dinges willen, das er tut, es sei denn, die heilige Kirche habe ihn verurteilt, geistlich. und weltlich.." Sofern ein Mensch. in seinem inneren undueren Leben ein frevles, hoffrtiges Wesen zeigte und sich den Dingen, die ihm

    den Zugang zum Tisch des Herrn wehrten, den Geschpfen, mit vollem, freiem Willen berliee: wollen wir das Urteil dar ber, ob sie wrdig dieses heilige Mahlempfangen knnen, ihren Oberen berlassen; sie mgen zusehen, ob sie es jemalsohne Gefahr tun (knnen).

    Dies alles sollt ihr, meine Lieben, nicht beurteilen, damit ihr nicht diesem Pharisergleich werdet, der sich (selbst) erhhte und den verurteilte, der hinter ihm stand.H tet euch. davor wie vor dem ewigen Verlust eurer Seelen, und frchtet euchnicht, falls man euch. eure Gebrechen mit Strenge vorhlt; aber htet euch. vor der

    gefhrlichen Snde eines solchen Urteils.Frher, als ich. die frommen Brder betrachtete, die die Gesetze des Ordens mit(uerster) Strenge hielten, htte ich. Gerne getan wie sie. Das aber wollte unserlieber Herr nicht: ich. Musste mich. als zu schwach. bekennen; ich. frchte, ich httelange Zeit in pharisisches Wohlgefallen an mir selbst fallen knnen. Darum, meineLieben, frchtet euch. nicht; denn unser Herr meint es gut: er lt oft einemMenschen guten Willens ein sichtbares Gebrechen all seine Lebtage, damit dieserMensch dadurch. vor sich selbst gedemtigt werde und auch. in den Augen seiner

    Umgebung und so auf sein Nichts verwiesen werde.Und darum soll der Mensch. nicht (dem Tisch. des Herrn) fernbleiben, sondern mitLiebe zu dem heiligen Mahl gehen und sprechen: "Ach., Herr, ich. bin nicht wrdig,da du unter mein Dach. kommst; im Vertrauen aber auf deine unergrndlicheBarmherzigkeit und den reichen Schatz deines ehrwrdigen Verdienstes komme ich.zu dir; mir fehlt es an Reue, Liebe und Gnade; das alles finde ich bei dir; da finde ich.Tugend, Begehren und alles Gute."

    Meine Lieben! Die bedenkliche Lebensweise, um deretwillen der himmlische Vater

    so zornig war, da er zu Zeiten unseres heiligen Vaters Dominikus die ganze Weltvertilgen wollte und er es nur auch dessen Gebet unterlie, dieselben Unsitten undGebrechen sind jetzt wieder berall sichtbar geworden; und wir wissen nicht, wie esuns ergehen wird. Wir htten sehr ntig, etwas zu finden, wodurch. wir dieBarmherzigkeit Gottes erlangen knnten, und da gibt es nichts Besseres, als da derMensch. alle Dinge von sich. tue, hinter sich werfe und sich. durch. den heiligen Leibunseres Herrn voll Liebe mit Gott vereine.

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    Das, meine lieben, teueren Schwestern, sollt ihr immer mit allem Flei tun , sooft dasnur mglich. ist, und dies niemals mit Bedacht versumen2 , wollt ihr in euch den Wunsch fhlen3 Gott lauter zu leben; und wo ihr diesen Wunsch in euch vermit,da euch das leid und zuwider sei, und ihr alle Ursachen fliehen wollt, die euch an

    der unbeschwerten Lauterkeit (eures Strebens) hindern, soweit ihr das knnt, unddas in allen Treuen.

    Meine Lieben! Und euer heiliger Orden, dem ihr angehrt - sprche ich zu Weltleuten, so wollte ich ihnen (im Hinblick auf das heilige Mahl) keine solcheFreiheit geben (wie euch), es wren denn besondere Menschen, von denen ich daskennte und wte -, der heilige Orden, in dem ihr mit mir seid und ich mit euch bin,ist eine gar ehrwrdige Einrichtung; und wir sollten alle dankbar sein, da uns derHerr dahin eingeladen und gerufen hat aus dieser gefahrvollen welt, damit wir nur

    ihm dienen, nur ihm allein leben. Diesem Ruf sollen wir in allen Treuen und inAndacht folgen.

    Liebe Schwestern! Achtet gar oft auf diesen ehrenvollen Ruf, damit ihr selbsterkennt, wie ihr ihn befolgt, und es auch von anderen erkannt werde, und richteteuer Augenmerk auf die Frchte, die euch der Gang zum hochwrdigen Sakrament bringt (und die darin bestehen), da ihr mit all eurer Kraft nach den Vorschriftendieses heiligen Ordens lebet.

    Nun denke ich bei diesen Vorschriften nicht daran, da eine alte, schwache

    Schwester wachen oder fasten oder uere Werke tun solle, ber ihre Krfte; auchnicht an euer Stillschweigen zu all den Zeiten und an all den Orten, an welchen es derheilige Orden vorschreibt. Die Frucht und den Nutzen, der von der Befolgung dieserRegel kommt, kann niemand vollends erkennen und ergrnden. (Ich meine) etwasanderes: die Worte, die man spricht, sollen freundlich, gtig und ruhig sein. Entfhrteuch ein hartes Wort, so sollt ihr euch sogleich vor Gott und den Menschen demtigniederwerfen. Greift euch jemand mit harten, verletzenden, lauten Worten an, sosollt ihr ihm nur mit gtigem, freundlichem Gesicht in ein oder zwei Wortenantworten und nicht mehr.

    Ihr sollt euch selbst gut beobachten, da ihr an kein Ding euer Herz hngt in Besitzoder Gebrauch, da ihr kein Wohlgefallen an euch selbst oder jemand anderemhabt, nicht an Kleidern, Tchern, an Kleinodien oder im Umgang mit euresgleichen.

    2Das zustzliche uf den grunt" - Vetter 269,9 - bereitete den Herausgebern der Drucke wie den bersetzern

    Schwierigkeiten; brauchbar erscheint sein Ersatz durch .mit sinnen" in den Drucken, dem LT, AT, KT, = .mit Bedacht".

    3Die Lesarten - s. Corin, Wi 1, S. 113 zu Z. 2 - weichen stark voneinander ab; doch ergeben sie alle mehr oder weniger

    befriedigende Lesungen.

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    Das aber, was ihr verstndiger- und ordentlicherweise braucht und soviel ihr davon braucht, es seien Kleider oder Pelze: das erlauben euch Gott und der Orden wohlIhr sollt wie leibliche Schwestern in groer Liebe miteinander verkehren und euchwechselseitig in Liebe und Gte einander unterwerfen, niemals eine die andere mit

    Hrte oder Unfreundlichkeit behandeln, um keiner Sache willen, die zwischen euchkommen mag. Ihr sollt euch in den Werken der Tugend ben, in wechselseitigem,Erweis, ja im Wettstreit der Liebe, darin, euch, eine der anderen, Dienste zu leisten;nicht (nur) unter Freundinnen, sondern jeder alten, schwachen Schwester; ihr solltihr, freudig und gtig, ihre Arbeit oder ihre Last aus den Hnden nehmen und sie frsie tun oder tragen. Wenn ihr das (nur denen) tut, denen ihr zugetan seid, waskmmert Gott sich darum? Das tun ja auch die Heiden, wie unser Herr imEvangelium sagt.

    Wenn man euch nun um einer guten Tat willen angreift, euch verspottet, euchschmht, darauf sollt ihr nicht antworten noch euch rechtfertigen, noch euch beklagen. Im Chor sollt ihr um euer Stillschweigen eifrig besorgt sein, wie an allenOrten, wo Reden nicht gestattet ist, so im Schlafsaal und an vielen anderen Orten.Auch sollt ihr im Chor euch sehr ehrerbietig benehmen, denn unseres Herren Leibist da in Wahrheit gegenwrtig; schlagt die Augen nieder; euer Herz sei gesammeltund geeint in des ewigen Knigs Gegenwart und unter seinem Blick.

    Stnde ein junges Mdchen vor einem Knig und wte sie, dass er sie mit

    besonderer Aufmerksamkeit betrachtete, sie betrge sich, wre sie klug, mitbesonderer Bescheidenheit und zeigte ihm besondere Achtung, gute Sitte und feinesVerhalten. Wie sollte nicht jeder Mensch (um so mehr) nach all seinen Krften sichgut halten, innerlich und uerlich, vor seinem Herrn und Gott und ihr vor euremerwhlten Brutigam, der in euer Innere blickt und euch von auen anschaut!

    Auch sollt ihr, meine lieben Schwestern, euer Stundengebet mit groer Andachtsingen oder lesen und, soweit ihr vermgt, gesammelten Sinnes. Aber um der Ruheeures Gewissens willen gengt ihr dem Gebot, wenn ihr die Worte gnzlichaussprecht. und ist euer Gedanke nicht bei euren Worten, so braucht ihr das Gebetnicht zu wiederholen; so erfllt ihr die Vorschrift mit dem Aussprechen der Worte,sofern man nicht mit Willen etwas tue oder denke, was dem Gebet zuwider sei.

    Nun lesen wir im Evangelium: "An ihren Frchten sollt ihr sie erkennen." Euer Verhalten, das sind die ueren Frchte an denen ihr euch selber erkennen underkannt werden sollt; und da man Liebe und Treue untereinander habe undGeduld und Sanftmut; zu solchem Verhalten insgesamt ist niemand zu alt oder zuschwach; das knnte ein Mensch auf seinem Lager bezeigen, so krank wie er immerauch wre. Was die Frchte eures inneren Lebens betrifft, so erkennt ihr sie, wenn

    ihr euch von all dem frei haltet, dessen wahre Ursache nicht Gott ist.

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    Zeit zu vergeuden soll euch wie ein gefhrliches Gift sein. Gerne sollt ihr euch anabgelegene Pltze oder in Einden zurckziehen und indem ihr euch Gott berlat,euch ,mit ihm vereinen, den blhenden, liebreichen Baum des wrdigen Lebens undLeidens unseres Herrn Jesus Christus ersteigen, eingehen in seine Ruhm vollen

    Wunden und euch von da hher erheben bis zur Hhe seiner anbetungsw rdigenGottheit; dort werdet ihr ein- und ausgehen und volle Weide finden. Und bei denFrchten eines solchen Lebens werdet ihr euch der beraus edlen Gnade des hohenSakramentes mit groem Nutzen und Fortschritt bedienen.

    Und falls den Schwestern, die aus Furcht nicht so oft wie ihr zum Tisch des Herrngehen - was auch gut ist -, eure Art nicht gefllt und wenn euch daraus Leidenentstnde, man euch harte Worte sagte, durch (lstiges) Verhalten Schmerz zufgtees gibt ja kein gutes Werk, an das sich nicht irgendein Leid heftete -, so sollt ihr das

    demtig und sanftmtig ertragen. Und wenn es auch gut ist, sich vom heiligen Mahlfernzuhalten aus tiefer, versinkender Demut, so ist es dies doch unzhlige Male undunbegreiflich viel mehr und bei weitem besser, wenn man zum Tisch des Herrn ausLiebe geht.

    Der Kranke bedarf des Arztes und vor allem eines solchen, dessen GegenwartGesundheit bringt. Demtige Furcht soll euch nicht fernhalten; wenn euch (euerGewissen) eure Fehler nachdrcklich vorhlt, so ist das ein sicheres Zeichen, da dasheilige Sakrament in euch Wirkung getan hat. Wenn die Arznei die Krankheit nach

    auen treibt, da sie nach auswrts schlgt, so sieht es aus, da der Mensch genesenund seine Krankheit vergehen soll. Ebenso wenn ein Mensch seine Gebrechen vorseiner Einsicht gro und schwer erscheinen sieht und sie ihm sehr zuwider sind, soist das ein groes und sicheres Zeichen, da der Mensch durchaus gesund werdensolle. Wenn er in sich fhlte, da er gerne nach dem liebsten Willen Gottes lebte undrecht und gut lebte, sosehr er es kann, und er (zum Tisch des Herrn geht), nicht austrichter Khnheit oder blinder Vermessenheit oder Eigendnkel oder aus (eitler)Prahlerei: wenn er von diesen giftigen Dingen nichts in sich findet, so darf er frei undsicher den Leib des Herrn empfangen, wenn er das Bse, das er getan, bereut; und je

    fter er das tut, um so besser und ntzlicher und fruchtbarer ist es (fr ihn).Und wenn nun unsere lieben Schwestern nicht gleich (nach dem Empfang) desMorgens ihre Aufmerksamkeit der Frucht und dem groen Gut, das in ihnen dasheilige Mahl gewirkt hat, schenken knnen, vielleicht weil sie zum Chorgesang oder gebet gehen oder mit der Gemeinschaft all das tun mssen - etwa im Speisesaal -,was Regel und Gewohnheit vorschreibt, so hat das alles keine Bedeutung: so wartensie eben damit bis nach der Mahlzeit ~der bis zur Vesper oder bis nach der Komplet.Unser Herr wird auch dann (in euch) sein Werk tun. Wartet nur immer! Das heilige

    Sakrament wirkt stets da, wo man ihm einen Platz einrumt.

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    Nun, liebe Schwestern, was die all tglichen (leichteren) Fehler und Snden betrifft,von denen sich der Mensch in diesem Leben nicht wohl (ganz) zu befreien vermag,so drft ihr euch nicht beunruhigen, wenn sie nicht alle gebeichtet werden ; bekennetsie demtig und ernst Gott, und gebt euch vor ihm schuldig in Reue, Aufrichtigkeit

    und Andacht. Man soll auch den Beichtigern nicht soviel von ihrer Zeit nehmen;Snden dieser Art gehren vor das Schuldkapitel4 ; notwendigerweise gehren in dieBeichte nur die Todsnden. Die geringen Snden werden getilgt durch (innere)Reue, das Vaterunser, durch Kniebeugungen und dergleichen mehr. Und hat einMensch keine Reue, so bereue er diesen Mangel. Darin (schon) besteht Reue, daman Reue um (des Fehlens) der Reue willen habe. Und hat man kein Verlangen, sobegehre man (von Gott) dieses Verlangen und hebe die Liebe zur Liebe.

    Vor allem aber soll man sich in der ttigen Liebe ben; das ist ber alle Maen

    ntzlich und fruchtbar. Das bedeutet, da der Mensch dankbar sei fr dasmannigfache Gute, das Gott ihm und allen Menschen und Engeln erwiesen hat; daer sich mit allen Krften in die groen Liebeserweise versenke, die Gott ihm gegebenhat in jeglicher Art und in jedem seiner Werke gemeinhin und ihm besonders, undzwar durch sich selbst in all seinem Leben und Leiden. Dem stelle der Mensch seineKleinheit und Unwrdigkeit und sein Nichts gegenber; er fordere Himmel undErde und alle Geschpfe auf, ihm danken zu helfen, denn das kann er (allein) nicht(in angemessener Weise).

    Und (in diesen Dank) beziehe

    5

    er mit ein mit einem reinen Blick die ganzeChristenheit, Lebende und Tote und besonders die, fr welche er beten will. Und imNamen all dieser erhebe er (seinen Sinn) in innerem liebevollem Verlangen (zuGott), sie alle mit einem reinen Blick umfassend, und (bringe vor Gott) seinebesondere Liebe zu dem Leben und Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Dies allesgeschehe mit einem einzigen Blick, wie wenn man tausend Menschen mit einemBlick bersieht. Und dieses Hinkehren des Geistes zu Gott soll man oft und oft wiederholen, (nur) einen Augenblick lang, immer wieder, und mit all dem in Gottzurckflieen, mit seiner Wirksamkeit, seiner Vernunft und ttigen Liebe.

    Alles aber, was man jemals (an Gutem) von Gott empfing, soll man sich nicht alssein eigen zuschreiben; sondern ihr sollt es ihm wieder darbieten, nichts davonhalten, nur an euer lauteres Nichts und an eure Armut denken; und lat euer Fragenund Disputieren, ob es Gott sei, der sich euch innerlich zeigt und darbietet;

    4Nur bei Corin, Sermons 11, 310 findet sich der Hinweis auf das, was Tauler offenbar hier im Sinn hat: das sog.

    Schuldkapitel.

    5Vetter 273,10 und der LT: "ziehe denne", der AT, KT: "zieche": diese Lesarten drften vor der von Wi 1 - vgl. Corin, Wi

    1, S. 125, 1, dazu Lesarten und Erluterung - den Vorzug verdienen.

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    haltet euch allein an eure Kleinheit, eure Armut, euer Nichts, wie es ja der Wahrheitentspricht.

    Lasset Gott, was Gottes ist; bemht euch, in euren Ursprung zurckzukehren, wie esunser Herr Jesus Christus tat; der strebte mit all seinen Krften, den oberen und denniederen, allezeit zur Hhe. Wer ihm am allergenauesten nachfolgt, ist der Beste.Denn der Mensch kann nicht so leicht und schnell niederwrts sinken, ohne etwasvon seiner bereinstimmung mit Gott zu verlieren und an seiner Lauterkeit Schadenzu leiden.

    Dann (aber) soll der Mensch in unergrndlicher Demut wieder (von neuem)beginnen und nach innen blicken und sich von neuem in seinen Ursprung versenken.Und dies alles durch das Leben und Leiden unseres Herrn Jesus Christus hindurch:je getreuer er ihm nachfolgt, um so hher wird er sich erheben, um so wesenhafter,

    gttlicher und wahrer wird (seine Nachfolge) sein; und das alles mitSelbsterniedrigung und Vernichtung seines eigenen Selbst. Er soll tun und denken wie die kranke Frau (im Evangelium), die sprach: "Wenn ich nur den Saum seinesKleides berhrte, so wrde ich gewi gesund werden." Der "Saum" oder "Rand"seines Kleides: 'das bedeutet das Geringste von allem, was je, von seiner heiligenMenschheit ausging. "Kleid" versinnbildet die heilige Menschheit; "Saum" kann einenTropfen seines heiligen Blutes bedeuten. Nun mu der Mensch wohl erkennen, daer seiner rmlichkeit wegen nicht auch nur das Allergeringste von all diesem

    berhren kann; knnte er das in seiner Schwachheit tun, er wrde ohne Zweifel vonall seinen Krankheiten geheilt.

    So mu sich denn der Mensch vor allem in sein Nichts hineinversetzen. Kommt derMensch auf den Gipfel aller Vollkommenheit, so hat er es ntiger denn je,niederzusinken in den allertiefsten Grund und bis zu den Wurzeln der Demut. Dennwie die Hhe eines Baumes von der Tiefe der Wurzeln herrhrt so die Erhhung des(menschlichen) Lebens von der Tiefe der Demut.

    Und darum ward der Zllner, der seine gar tiefe Niedrigkeit erkannte, so da er die

    Augen nicht zum Himmel zu heben wagte, in die Hhe erhoben: er ginggerechtfertigt nach Hause. Mchten wir uns doch alle mit diesem Zllner inWahrheit so demtigen, da wir gerechtfertigt werden knnen!

    Dazu helfe uns der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

    AMEN.

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