Tauler Predigt 73

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 73

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 7 3

    HEUTE BEGEHT MAN den Tag der edlen Jungfrau Cordula. Sie wurde ihrereigenen Schwachheit berlassen; und sie stieg hinab, tiefer als all ihre Gefhrtinnen,auf die unterste Stufe menschlicher Furcht. Sie wre (gerne) geflohen; und doch istzu beachten, da sie eben dadurch auf die oberste Stufe ber alle anderen gelangte.Denn alle die Todesarten, das vergossene Blut, die Knttel und Keulenschlge, die Wunden, die feindseligen Gesichter der bsen Menschen, das alles ging ihr durchHerz und Einbildungskraft hindurch, und sie starb mit. jeder einzelnen ihrerGefhrtinnen in ihrem Gemt einen eigenen Tod. Sie erlitt mehrfachen Tod,whrend die anderen nur je den einen starben; danach ergab sie sich willig ganz in

    die Gewalt ihrer Feinde und empfing den Todesstreich.

    Meine gar lieben Schwestern! Hier mssen wir gar sehr die ber alle Wunderhinausgehende Treue Gottes beachten und die geheimnisvollen Wege, auf denenGott den Menschen zu sich zieht, die bewundernswerte Weise, in dem er ihn zu denhchsten Dingen gelangen lt auf unerforschbare Weise und auf geheimnisvollen Wegen. Gott berlt den Menschen oft sich selbst in groen und schrecklichenVersuchungen, in groer Not und Drangsal, in menschlicher Schwche. Wollte derMensch Gott auf diesem Weg folgen, auf ihn achten, er fhrte ihn zweifellos, wenn

    der Mensch dazu Flei und Ernst aufwenden wollte, tausend Stufen hher mittelsdes Kampfes und der Schwche. Be achtete der Mensch die gttliche Hilfe undgedchte ihrer, traute Gott und verzweifelte nicht an ihm und fiele auch nicht inunrechte Freiheit, so knnten die Anfechtungen nie so bse, so ' schwer, so gro sein- sie vermchten ihm nichts anzutun.

    Im Evangelium vom Tag liest man, wie ein Knig seinem Sohn ein Hochzeitsfestausrichtete und wie viele Leute da zu Tische geladen waren. Dieser Knig ist derhimmlische Vater, der Brutigam unser Herr Jesus Christus. Die Braut, das sind wir,

    deine und meine Seele; wir alle sind gerufen und geladen, und alle Dinge sind zumMahl bereit, zur Vereinigung Gottes mit der liebenden Seele, seiner Braut. Das ist sounaussprechlich, und die Liebe ist so nahe, so innerlich, so vertraut, so freundlichund liebreich, da das alle Verstandeskraft bertrifft. Die so sehr gelehrten Meistervon Paris knnen mit all ihrem Scharfsinn nicht zu dieser Liebe gelangen; wollten siedarber sprechen, so mten sie verstummen, und je mehr sie darber sprechenwollten, um so weniger knnten sie es und um so weniger verstnden sie diese Liebe.Nicht nur ihre natrlichen Mittel versagten hier, sondern auch aller Reichtum derGnade; auch nicht die Hilfe aller Engel und aller Heiligen knnte ihnen ermglichen,

    diese Liebe in Worte zu fassen.

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    Aber ein schlichter Mensch, der sich Gott gelassen hat in Demut, empfindet undfhlt etwas davon in seinem inneren Grunde; zu begreifen freilich vermag er es dochnicht, er kann es nicht, auf keine Weise, in Worte bringen, denn es geht ber dasBegreifen jeglichen Geschpfes hinaus.

    Diese Braut soll man vorbereiten, wie man es bei einer irdischen1 Braut tut. Man sollsie waschen, ihr neue Kleider anlegen, sie mit jeglichem Schmuck zieren und diealten Kleider wegwerfen, selbst wenn sie noch gut sind; versteht, was "waschen" hier bedeutet: die Reinigung von Snden und Fehlern; das Entkleiden bezieht sich, ineinem grberen Sinn, auf den alten Menschen, alle Untugenden, seine alten Sittenund Gewohnheiten; die neuen Kleider, das sind neue Tugenden, ein himmlisches,gttliches Leben, der neue Mensch, der nach Christus gebildet ist. Nun zurBedeutung in einem feineren Sinn: wenn man die guten Kleider, weil sie alt sind, der

    Braut auszieht, wenn man der gttlichen Braut diese alten Kleider, die geringerenTugenden und Verhaltensweisen, weil sie alt sind~ ausziehen soll und ihr andere vonhherer Art anziehen und wenn man sprche - ich tue das nicht -, man solle derTugenden entkleidet werden und ber die Tugenden hinauskommen, knnte manda irgendwie verhten, da dieses "ber die Tugenden hinauskommen" zu Unrechtgesagt wrde? Ja und auch nein! Niemand soll noch kann (in dem Sinn) ber dieTugenden hinauskommen, da er sie nicht lieben noch ben oder haben solle.

    Doch ist auch folgendes richtig: ein Mensch, der von Gott entrckt wird, bt sich

    whrenddessen nicht in den Werken der Tugend, nicht in Geduld noch inBarmherzigkeit und dergleichen mehr. Kommt er aber wieder zu sich selbst, so muer alle Tugenden ben, so wie die Umstnde es verlangen. Aber noch in einemanderen Sinn kann man der Tugenden entkleidet werden. Ein Mensch mchte diesoder das von Gott haben. Er wollte gerne so arm sein, da er nicht zwei Nchte amgleichen Ort zubringen knnte; er wollte gerne alles erkennen und groen Trost vonGott empfangen und empfinden und vertrauten Umgang mit Gott haben, und daihm geschhe wie diesem oder jenem. Von dem allem soll man ,entkleidet werden,sich dem wohlgeflligsten, liebsten Willen Gottes in rechter Gelassenheit

    anheimgeben, wie Gott es will. So soll man sich ihm berlassen und entkleiden vonallem, wie gut es dir scheine oder sei, und in den gttlichen Willen einsinken. Wie gutdies auch sei, der Mensch hat eine verborgene Unart in sich, die alles Gute in ihmverdirbt und vernichtet, ganz so, wie wenn einer eine ausgesuchte gute Speise in eineunsaubere Schssel tte oder guten Wein in ein unsauberes Fa.

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    Da die Lesung bei Vetter 432,11 keinen befriedigenden Sinn gibt, ist die Verbesserung Corins, SermonsHI, 196, Anm.2 benutzt worden.

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    Der getreue, liebreiche Gott erkennt das und lt Ereignisse ber den Menschenkommen, die dieser weder anstrebte noch herbeifhren will, damit er lerne, sich zulassen, und die bse Unart berwinde; da ist ihm die Entkleidung oft ungleich besser,als wenn er reich gekleidet wre.

    Ach, ihr Lieben, wer seines Grundes wahrnhme was in ihm ist, und seiner. Unart,wer sich liee und Gott folgte, wie und In welcher Weise und auf welchen Wegen derihn ziehen wollte, der kme bald durch alle Prfungen durch und nhme alles vonGott, was von auen oder innen auf ihn fiele, und nhme das verborgene UrteilGottes und seine Verhngnisse mit Dankbarkeit an. So fremdartig und widerwrtigdies auch schiene so wirst du doch auf diesem Weg besser gekleidet als mit den'erhabensten bungen, mit deren Hilfe du groe Dinge zu schaffen whntest. Sosprechen manche: "Ach, Herr, ich htte mich gerne selbst In der Gewalt und htte

    gerne inneren Frieden und mchte, da mir so wre wie diesem oder jenem." Nein,es soll anders sein. Du mut entkleidet, du mut auf dein Nichts gewiesen werdenund sehen, was in dir verborgen und verdeckt liegt. Bleib bei dir selber!

    Ich fragte einen hohen, edlen, ganz heiligen Menschen, was der hchste Gegenstandseiner Betrachtung sei. Er antwortete: "Die Snde, und so komme ich zu meinemGott"; er hatte durchaus recht. So la Gott und alle Geschpfe dich auf deine Sndeverweisen, und verurteile dich selbst; so wirst du, nach Sankt Paulus' Wort, nicht vonGott verurteilt. Das soll in der Wahrheit geschehen, ohne alle Verstellung, nicht mit

    gemachter Demut, denn diese ist eine Schwester der Hoffart. Das soll in demGrunde geschehen, und zwar ohne Erregung, als ob man sich den Kopf zerbrechensollte, sondern mit stiller, besonnener, gelassener Unterworfenheit in demtigerFurcht Gottes leg ihm deinen bsen, (von deinem Selbst) besetzten Grund vor, inherzlichem Gebet, das im Geist geschieht: so suche ihn; gehst du andere Wege, eshilft dir nichts. Richte dich nicht nach diesem oder jenem; das wre vllige Blindheit.

    So verschieden die Menschen sind, so verschieden sind auch ihre Wege zu Gott: wasdem einen Menschen Leben bedeutet, ist fr den anderen Tod. Und nach dem, wasBeschaffenheit und Natur eines Menschen ist, richtet sich oft die Gnade, die sieempfangen; darum blicke nicht auf das Verhalten der Leute auf ihre Tugendenmagst du wohl schauen, die sie besitzen: es sei Demut, Sanftmut und dergleichen.Was2 dein eigenes Verhalten betrifft, so richte dich nach deiner Berufung; darummut du vor allen Dingen darauf sehen, wozu Gott dich berufen hat, und demfolgen. Nhmest du Gottes Ruf mit Eifer wahr, so wre er dir bald so klar und lge sooffen vor dir wie deine Hand.

    2Eine Vernderung der Zeichensetzung bei Vetter 433,33 ergibt die von Corin, Sermons III, 199 gebotene

    Lesart.

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    Nun aber bleibt ihr nicht bei euch selber und suchet eure Berufung nicht getreulich von innen her bei Gott; ihr seht alles von auen; und so bleibt euch Gott und ihreuch selbst in Wahrheit unbekannt und ihr lauft auf die gleiche Weise durch zwanzig,dreiig und mehr Jahre, die ganze Zeit, whrend welcher ihr ein geistliches Leben

    gefhrt zu haben scheint. Und eurem Ziele seid ihr nicht nher oder ferner als amersten Tag. Das ist doch wahrlich ein Jammer!

    Also beachtet das Unkraut in euch, und das vernichtet, nicht aber eure Natur. Weilihr das nicht tut geschieht es, da ihr in einer Stunde verliert, was ihr in einer Jahres Arbeit gesammelt habt, durch Worte und Werke, die aus dem bsem Unkrauthervorwachsen, das im Grunde geblieben ist. Solange als euch die mannigfachen Vorhaben und Arten (eures geistlichen Lebens) nach eurem eigenen Willen beherrschen und ihr darin gekleidet seid, kann der Brutigam euch nicht nach

    seinem Willen kleiden. Achtet auf keine Art, auf kein Tun als nur auf seinengttlichen Willen. Wre ich den anderen gefolgt, ich lebte schon lange nicht mehr.Verlangt nach Gott, und liebt ihn von Grund auf und seine Ehre und nicht die eurein keinen Dingen, auch nicht Lust oder Nutzen. Gebt euch gefangen der gttlichenFinsternis, der Unerkenntlichkeit des verborgenen Abgrundes, lat euch auf dieWeise fhren, die ihm gefllt: so wird er euch kstlicher mit sich selbst bekleiden inwunderbarer3 . Weise, so wie kein Auge es je gesehen, kein Ohr gehrt, in keinesMenschen Herz je gedrungen ist.

    Da dies uns allen zuteil werde, dazu helfe uns der liebreiche Gott durch sich selbst.AMEN.

    3Nach dem KT, vgl. Corin, Sermons III, 200, Anm. 4. Doch scheint auch Vetters Lesung, 439,15

    .wunnenklicher" denkbar.