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Produktehaftpflicht und KMU Referat anlässlich des 7. Technikertages der SH-Holz am 15. Februar 2003 von Matthias Frey, Fürsprecher und Dozent SH-Holz. 1. Einleitung Seit dem 01. Januar 1994 ist das Bundesgesetz über die Produkthaftpflicht in Kraft. Die Schweiz hat damit eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1985 fast wortwörtlich umgesetzt. Beim Inkrafttreten wurde eine wesentliche Haftungsverschärfung erwartet oder je nachdem auch befürchtet. Teilweise wurde sogar von „amerikanischen“ Verhältnissen gewarnt. Diese Befürchtungen sind nicht eingetroffen. In Wirklichkeit hat das Gesetz aber nur ganz wenige Gerichtsfälle produziert. Alles also nur heisse Luft? - Sicher nicht, denn die fehlende Gerichtspraxis hat vor allem damit zu tun, dass Haftpflichtfälle aussergerichtlich beigelegt werden. Schon ein kurzer Blick auf ein paar aktuelle Fälle zeigt, wie virulent das Thema nach wie vor ist: Hüftgelenke von Sulzer Medica, Asbest von ABB, etc. Zudem wird allgemein erwartet, dass auch in Europa und in der Schweiz die Zahl der Haftpflichtprozesse zunehmen wird. Dies hat einerseits mit der steten Zunahme von Massengütern zu tun. In Zukunft werden auch fehlerhafte Dienstleistungen vermehrt zu Haftpflichtprozessen führen, denn auch eine fehlerhafte Software ist ein Produkt, das unter das Produkthaftpflichtgesetz fällt. Auf der andern Seite ändert sich das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger: Wer einen Schaden erlitten hat, sucht heutzutage viel schneller nach einem Haftpflichtigen als früher. Ein Unternehmen, das in der Regel über mehr Kapital verfügt als eine Privatperson, eignet sich dazu natürlich vorzüglich. Schreckgespenst aus europäischer Sicht sind hier die bekannten und oft auch sagenumwobenen US-amerikanischen Haftpflichtprozesse - die Sammelklagen oder der berühmte heisse Kaffee auf den Unterschenkeln der Konsumentin. Diesbezüglich kann ich beruhigen: Solche Urteile sind in Europa (aus verschiedenen Gründen) undenkbar. Auf der andern Seite will und darf ich aber auch nichts verharmlosen: Das Produkthaftpflicht ist ein sehr strenges Gesetz, welches an die Hersteller hohe Anforderungen bezüglich Sicherheit und Kontrolle ihrer Produkte stellt. Oft wiegen sich die Produzenten in falscher Sicherheit, weil sie die Tragweite des Gesetzes nicht erkannt haben. In diesem Referat geht es deshalb nicht zuletzt darum, diese unter Umständen verhängnisvollen Irrtümer zu korrigieren. Es soll aber auch aufgezeigt werden, wie der Produzent sich gegen Haftpflichtansprüche absichern kann.

TB Produktehaftpflicht

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Produktehaftpflicht

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Page 1: TB Produktehaftpflicht

Produktehaftpflicht und KMU

Referat anlässlich des 7. Technikertages der SH-Holz am 15. Februar 2003

von Matthias Frey, Fürsprecher und Dozent SH-Holz.

1. Einleitung

Seit dem 01. Januar 1994 ist das Bundesgesetz über die Produkthaftpflicht in Kraft. Die

Schweiz hat damit eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1985 fast wortwörtlich umgesetzt.

Beim Inkrafttreten wurde eine wesentliche Haftungsverschärfung erwartet oder je

nachdem auch befürchtet. Teilweise wurde sogar von „amerikanischen“ Verhältnissen

gewarnt. Diese Befürchtungen sind nicht eingetroffen. In Wirklichkeit hat das Gesetz

aber nur ganz wenige Gerichtsfälle produziert. Alles also nur heisse Luft? - Sicher nicht,

denn die fehlende Gerichtspraxis hat vor allem damit zu tun, dass Haftpflichtfälle

aussergerichtlich beigelegt werden. Schon ein kurzer Blick auf ein paar aktuelle Fälle

zeigt, wie virulent das Thema nach wie vor ist: Hüftgelenke von Sulzer Medica, Asbest

von ABB, etc. Zudem wird allgemein erwartet, dass auch in Europa und in der Schweiz

die Zahl der Haftpflichtprozesse zunehmen wird. Dies hat einerseits mit der steten

Zunahme von Massengütern zu tun. In Zukunft werden auch fehlerhafte

Dienstleistungen vermehrt zu Haftpflichtprozessen führen, denn auch eine fehlerhafte

Software ist ein Produkt, das unter das Produkthaftpflichtgesetz fällt. Auf der andern

Seite ändert sich das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger: Wer einen

Schaden erlitten hat, sucht heutzutage viel schneller nach einem Haftpflichtigen als

früher. Ein Unternehmen, das in der Regel über mehr Kapital verfügt als eine

Privatperson, eignet sich dazu natürlich vorzüglich. Schreckgespenst aus europäischer

Sicht sind hier die bekannten und oft auch sagenumwobenen US-amerikanischen

Haftpflichtprozesse - die Sammelklagen oder der berühmte heisse Kaffee auf den

Unterschenkeln der Konsumentin. Diesbezüglich kann ich beruhigen: Solche Urteile sind

in Europa (aus verschiedenen Gründen) undenkbar.

Auf der andern Seite will und darf ich aber auch nichts verharmlosen: Das

Produkthaftpflicht ist ein sehr strenges Gesetz, welches an die Hersteller hohe

Anforderungen bezüglich Sicherheit und Kontrolle ihrer Produkte stellt. Oft wiegen sich

die Produzenten in falscher Sicherheit, weil sie die Tragweite des Gesetzes nicht

erkannt haben. In diesem Referat geht es deshalb nicht zuletzt darum, diese unter

Umständen verhängnisvollen Irrtümer zu korrigieren. Es soll aber auch aufgezeigt

werden, wie der Produzent sich gegen Haftpflichtansprüche absichern kann.

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Naturgemäss erfolgen die nachfolgenden Äusserungen aus streng juristischem

Blickwinkel. Sie stützen sich zu einem wesentlichen Teil auf das Buch „Management der

Produkthaftpflicht, ein Leitfaden für KMU, Grossunternehmen und die Advokatur“ von

Eugénie Holliger-Hagmann, welches an dieser Stelle auch Nicht-Juristen ausdrücklich

zur Lektüre empfohlen sei.

2. Grundzüge der gesetzlichen Regelung

Ich möchte im Folgenden in der gebotenen Kürze die wichtigsten Begriffe des

Produkthaftpflichtgesetzes (kurz PrHG) erläutern. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf

Vollständigkeit, sondern konzentriere mich auf gewisse Aspekte, welche mir für das

anwesende Publikum von besonderem Interesse zu sein scheinen.

2.1 Grundsatz

Das Produkthaftepflichtgesetz ist im Wesentlichen ein Konsumentenschutzgesetz.

Diese Tatsache muss bei den nachfolgenden Ausführungen stets im Auge behalten

werden.

2.2 Hersteller

Das PrHG definiert den Herstellerkreis in Art. 2 und zieht ihn sehr weit. Hersteller ist

nicht nur, wer das Produkt von Grund auf (selber) herstellt, sondern jedermann, dessen

Tätigkeit am Ende dazu führt, dass ein Produkt vorhanden ist, das vorher nicht in

dieser Form existierte.

Hersteller ist also auch der Montagebetrieb (“Assembler“) oder wer das Produkt mit

Zubehör versieht, unter Umständen sogar, wer es verpackt, sofern das Produkt durch

die Verpackung beeinflusst wird. Keine Herstellertätigkeit ist dagegen der blosse „Make-

Ready“-Service, also z.B. das Einlegen von Batterien in ein Handy. Aber sobald der

Verkäufer z.B. bei einer Kreissäge den Handschutz entfernt, wird er zum „Hersteller“ im

Sinne des PrHG, da er das Produkt verändert, d.h. gefährlicher macht.

Erfasst sind zudem auch Personen, die sich als Herstellerin ausgeben, indem sie ihren

Namen oder ihr Warenzeichen auf dem Produkt anbringen (sog. Quasi-Hersteller) und

schliesslich sogar, wer ein Produkt im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit zum Vertrieb

einführt.

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Die Idee hinter diesem weiten Herstellerbegriff ist, die ganze Produktions- und

Vertriebskette vom Zulieferer über den Hersteller des Endprodukts, den Importeur bis

zum Lieferanten, d.h. dem Detaillisten, zu erfassen. Weil es für den Konsumenten vor

allem im grenzüberschreitenden Verkehr mit Massengütern schwierig sein kann, den

ursprünglichen Hersteller ausfindig zu machen, darf sich der Konsument an irgendein

Glied der Produktions- und Vertriebskette halten. Deshalb besteht auch unter allen

Personen, die den Herstellerbegriff des PrHG erfüllen, eine solidarische Haftung.

2.3 Produkt

Produkte sind grundsätzlich alle beweglichen, körperlichen Sachen, die zum

Zwecke der kommerziellen Nutzung hergestellt werden. Es spielt keine Rolle, ob sie

in handwerklicher oder industrieller Produktion hergestellt wurden. Unwesentlich ist

auch, ob sie für private oder für geschäftliche Zwecke verwendet werden. Auch wenn

das Produkt zur Nutzung im eigenen Betrieb hergestellt wird, untersteht es dem

Produkthaftpflichtgesetz.

Keine Rolle spielt, wenn nur ein Teil des Produkts fehlerhaft ist: Ein fehlerhaftes

Teilprodukt z.B. ein undichter Hydraulikschlauch macht unter Umständen das ganze

Endprodukt (die ganze Maschine) fehlerhaft. Auch die Verpackung zählt zum Produkt!

Ebenso die Gebrauchsanleitung. Eine fehlerhafte Gebrauchsanleitung kann ein an sich

fehlerfreies Produkt zu einem gefährlichen Ungetüm machen, etwa wenn sie denn

Kunden dazu bringt, ein Büchergestell falsch zusammenzusetzen.

Als Besonderheit gilt, dass eine bewegliche Sache immer beweglich bleibt, dies im

Unterschied zum ZGB. Somit bleibt auch nach dem Einbau in das Bauwerk alles

Baumaterial und Bauzubehör wie Leitungen. Stecker, Schalter, Bodenbeläge, Farben,

Lacke, Armaturen, Geländer, Treppenstufen, Fenster, Einbauschränke, Boiler, Lifte etc.

eine bewegliche Sache und somit dem PrHG unterstellt.

Der Produkthaftpflicht unterstehen nicht nur fabrikneue, sondern auch ältere, gebrauchte

Produkte, im Extremfall sogar Abfälle. Je älter das Produkt ist, desto weniger streng wird

jedoch die Haftpflicht des Herstellers zu beurteilen sein, da der Kunde an ein solches

nicht dieselben Anforderungen stellen kann, wie an ein neues.

Fazit: Auch beim Produktbegriff geht das PrHG also von einem sehr weiten Begriff aus.

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2.4 Schaden, Verschulden Kausalität

Das PrHG lässt den Hersteller ohne Verschulden, d.h. kausal. für Personenschäden

und Schäden an privat genutzten Sachen haften, die durch ein von ihnen in Verkehr

gebrachtes fehlerhaftes Produkt verursacht wurden.

Anders als nach OR kann sich der Hersteller hier also nicht damit entschuldigen, dass

ihn an der Fehlerhaftigkeit des Produkts keine Schuld treffe. Dies ist vor allem eine

Beweiserleichterung für den Konsumenten, denn das Verschulden des Herstellers ist oft

schwer zu beweisen, da es oft um innerbetriebliche Abläufe geht, welche für

Aussenstehende schwer durchschaubar sind.

Dagegen muss der Geschädigte die Kausalität des Produktfehlers für den Schaden, den

er erlitten hat, beweisen. Der Kausalzusammenhang wird unterbrochen durch höhere

Gewalt, Drittverschulden, oder was in der Praxis am wichtigsten ist, durch grobes

Selbstverschulden. Mit dieser Begründung hat das Bundesgericht z.B. die Klage einer

Frau abgewiesen, die sich beim Duschen verbrannt hatte, ohne dass der Mischregler

einen Fehler aufwies.

Gehaftet wird einerseits für Personenschäden, d.h. körperliche Schädigungen welche

eine Person erleidet, andererseits für Sachschäden. Letztere werden aber nur gedeckt,

sofern eine Sache beschädigt wird, die dem Kunden zum privaten Gebrauch dient. Bei

Sachschäden muss der Geschädigte zudem einen Selbstbehalt von Fr. 900.--

übernehmen. Er kann jedoch diesen Betrag gestützt auf das OR einklagen.

2.5 Produktfehler

Ein Fehler ist ein Sicherheitsmanko. Ein Produkt hat diejenige Sicherheit zu

bieten, die von der Allgemeinheit berechtigterweise erwartet wird. Es gilt ein

absolutes Nullfehler-Prinzip!

Es spielt keine Rolle, wie oder in welchem Stadium der Fehler entstanden ist. Ein Fehler

in der Entwicklungsphase wird genauso erfasst wie der unerklärliche Maschinenfehler

oder ein Ausreisser. Die einzige Ausnahme ist der sog. Entwicklungsfehler, d.h. ein

Fehler, der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik im Moment des Inverkehr-

Bringens nicht erkannt werden konnte. Nur bei derartigen Fehler (also nicht bei jedem

Fehler, der bei der Entwicklung entsteht) ist die Haftung des Herstellers ausgeschlossen.

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Massgebend für die Anforderungen an die Sicherheit eines Produkts ist die „berechtigte

Erwartung der Allgemeinheit“. Der Hersteller kann sich also nicht auf das Verlassen, was

er selber für „Produktsicherheit“ hält. Auch die Einhaltung bestimmter Richtlinien und

Normen garantiert keineswegs, dass die Produkte als sicher im Sinne des PrHG

eingestuft werden können. Z.B: unterscheiden die EN ISO 9000er Normen zwischen

Fehler (nonconformity, non conformité) und Mangel, d.h. zwischen Nichterfüllung einer

Anforderung und Nichterfüllung einer Anforderung in Bezug auf einen beabsichtigten

oder festgelegten Gebrauch. Dieser Unterschied ist für die Produkthaftpflicht belanglos.

Ein Produkt kann die Anforderungen in Bezug auf den beabsichtigten oder festgelegten

Gebrauch erfüllen, aber unsicher sein, es kann aber auch sicher sein, obwohl es den EN

ISO-Normen nicht entspricht. Es muss an dieser Stelle vor gefährlicher

Normengläubigkeit gewarnt werden. Diese Normen genügen für den Bereich der

Verschuldenshaftung, indem einen Hersteller, der sich daran hält, sicher kein

Verschulden trifft. Das Problem an den Normen ist, dass es sich dabei teilweise um nicht

rechtsverbindliche Regeln handelt (vgl. Art. 3 des Bundesgesetzes über die technischen

Handelshemmnisse [THG], aber auch die Produktsicherheitsrichtlinien der EU). Dies

entspricht dem Konzept der EU (das die Schweiz übernommen hat), Sicherheitsziele zu

definieren und es dem Hersteller zu überlassen, wie er sie erreicht. Kommt dazu, dass

gewisse schweizerische Gesetze, z.B. das Bundesgesetz über die Sicherheit von

technischen Einrichtungen und Geräten (STEG) noch nicht dem EU-Standard und damit

nicht dem PrHG-Standard entsprechen. In diesem Fall darf man sich nicht einmal auf

das Gesetz verlassen!

Was ist „die Allgemeinheit“? Massstab ist der durchschnittlich verständige und

gelegentlich auch leichtsinnige Konsument, den es in jedem Schadenfall zu definieren

gilt. Es ist hier also letztlich von den Richterinnen und Richtern ein gewisser gesunder

Menschenverstand gefragt, der in Europa in der Regel gegeben ist.

Der Fehler des Produkts kann auch erst durch eine falsche Werbung oder Präsentation

entstehen. Wer z.B. mit einer Sicherheit wirbt, welche das Produkt gar nicht bietet, haftet

dafür. Auch wenn in der Werbung ein falscher Gebrauch der Sache suggeriert wird

(etwa das Benutzen eines Solariums ohne UV-Schutz für die Augen), haftet der

Hersteller. Angaben des Herstellers über Belastbarkeit, Materialstärke, Tragkraft,

Füllkapazität etc. schaffen ein „blindes“ Vertrauen der Allgemeinheit, d.h. die Gerichte

gehen - zu Recht - davon aus, dass der Konsument sich auf diese Angaben verlassen

können muss.

Ein weiteres Kriterium für die Produktsicherheit ist der Gebrauch, mit dem

vernünftigerweise gerechnet werden kann. Wenn das Produkt vom Konsumenten zu

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einem völlig abwegigen Zweck gebraucht wird, haftet der Hersteller nicht. Versucht also

ein Konsument z.B., mit einem elektrischen Rasenmäher eine Hecke zu schneiden (!),

durchtrennt dabei das Kabel und erleidet einen Stromschlag, ist die Haftung des

Herstellers sicher ausgeschlossen (N.B. anders in den USA: Dort hat ein Gericht in

diesem absurden Fall die Haftung des Herstellers bejaht!). Ausgeschlossen ist die

Haftung aber erst dann, wenn das Produkt völlig ausserhalb seiner

Zweckbestimmung benutzt wird. Jeder Hersteller muss also in gewissem Mass damit

rechnen, dass seine Produkte falsch gebraucht werden. Der deutsche

Bundesgerichtshof verurteilte z.B. Hersteller eines Metallreinigers, weil ein Lehrling

starb, nachdem er am Produkt gesnifft hatte, weil die Packung keine entsprechende

Warnung enthielt. Der Fehlgebrauch wurde also in diesem Fall nicht als „völlig abwegig“

beurteilt.

Wichtig ist auch, dass der Hersteller auf veränderte Sicherheitserwartungen des

Publikums reagiert. Es ist nicht gesagt, dass ein Produkt, das heute als sicher gilt, auch

morgen noch als sicher beurteilt wird. Massgeblich für die Beurteilung ist immer der

Zeitpunkt des Inverkehr-Bringens. Deshalb sagt das Gesetz auch ausdrücklich, dass ein

Produkt nicht allein deshalb fehlerhaft ist, weil später ein verbessertes Produkt in

Verkehr gebracht wurde.

Schliesslich gilt: Gewiss sind bei einem billigeren Produkt die berechtigten

Sicherheitserwartungen der Allgemeinheit tiefer, doch auch das billigste Produkt muss

eine gewisse Basissicherheit bieten. Die Tatsache, dass ein sicheres Produkt

unermesslich teuer würde, kann den Hersteller aber nicht entlasten. Wenn die Sicherheit

nicht gewährleistet ist, darf das Produkt eben gar nicht auf den Markt gelangen.

2.6 Entlastungsgründe des Herstellers

Es gibt sieben Entlastungsgründe des Herstellers:

- Keine Inverkehr-Setzung: Für Produkte, die gar nicht (oder nicht von diesem

Hersteller) in Verkehr gebracht wurden, besteht keine Haftung. Es gilt das sog.

„Werktorprinzip“ d.h. ein Produkt gilt als in Verkehr gesetzt, sobald es das Werktor

passiert hat. Zu beachten ist jedoch, dass für jeden Hersteller innerhalb der

Produktions- und Vertriebskette ein anderer Zeitpunkt massgebend sein kann. Auch

die Präsentation an Messen und Ausstellungen oder ein Muster sind „Inverkehr-

Setzungen“. Heikel ist die Sache bei Prototypen.

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- Späteres Hinzutreten des Fehlers: Der Hersteller kann beweisen, dass das

Produkt zum Zeitpunkt, als es das Werktor verliess, noch fehlerfrei war. Dazu ist eine

lückenlose QM-Dokumentation, aus der sich die grundsätzliche Fehlerfreiheit jedes

einzelnen Exemplars der Produkte schlüssig ableiten lässt, notwendig. Ein

übermässiger Verschleiss kann aber trotzdem als Indiz für die Fehlerhaftigkeit des

Produkts gewertet werden.

- Fehlende Gewinnabsicht: Das Produkt darf nicht für einen wirtschaftlichen Zweck

hergestellt worden sein und gleichzeitig dürfen Herstellung und Vertrieb nicht im

Rahmen der beruflichen Tätigkeit erfolgt sein. Diese beiden Voraussetzungen

werden praktisch nie gegeben sein.

- Staatlich erzwungener Fehler: Dieser Entlastungsgrund wird oft missverstanden,

er besagt nicht, dass ein normenkonformes Produkt fehlerfrei ist. Die Ausnahme

setzt nämlich voraus, dass der Hersteller vom Staat gewissermassen gezwungen

wird, dieses Produkt so zu produzieren und dass überdies die staatliche Vorschrift

die einzige Fehlerquelle ist.

- Entwicklungsfehler: Damit ist nicht jeder Fehler bei der Entwicklung gemeint,

sondern nur einer, der sich nach Stand der Wissenschaft und Technik unmöglich hat

erkannt werden können. Massgebend ist der weltweite Stand, und zwar

branchenübergreifend!

- Entlastung für den Zulieferer: Der Zulieferer kann beweisen, dass der Fehler

durch die Konstruktion des Produkts, in das der Grundstoff oder das Teilprodukt

eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitung der Herstellerin dieses Produkts

verursacht worden ist. Der Zulieferer haftet also nicht für Konstruktionsfehler des

Hauptproduzenten und nicht für dessen fehlerhafte Anweisungen.

- Entlastung für den Lieferanten: Der Lieferant kann den Kopf aus der Schlinge

ziehen, indem er den Hersteller bzw. Vorlieferanten bekanntgibt oder bei einem

ausländischen Erzeugnis den Importeur.

- Verjährung und Verwirkung: Die Ansprüche des Geschädigten verjähren drei

Jahre nach Kenntnis bzw. Kennen-Müssen des Schadens. Nach 10 Jahren seit

Inverkehr-Bringung ist die Forderungen verwirkt. Das Datum der Inverkehr-Bringung

muss durch Auslieferungsbelege oder anhand der QM-Dokumentation bewiesen

werden. Das OR kennt kürzere Fristen, d.h. wenn ein Anspruch nach PrHG verjährt

ist, ist er es auch nach OR.

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2.7 Besonderheiten des PrHG

- Ein Auschluss der Haftung des Herstellers ist gemäss Art. 8 PrHG nichtig!

- Subsidiär haftet der Hersteller immer auch nach OR.

3. Strategien zur Gewährleistung der Produktsicherheit

3.1 Ausgangslage: Mögliche Fehlerquellen

Um sinnvolle Strategien zu entwickeln, muss man sich zuerst bewusst machen, wo am

ehesten Fehler passieren können. Grundsätzlich gilt: Überall, von der Marktforschung,

Produktdesign und Entwicklung bis zur Prozessplanung und -entwicklung, Beschaffung

Produktion und Erbringung von Dienstleistungen, von Verpackung, Lagerung, Verkauf

und Verteilung, Montage und Inbetriebnahme, von technischer Unterstützung bis zur

Beseitigung und Wiederverwertung des Produkts kann etwas schiefgehen.

Bedenkenswürdig sind v.a. die folgenden Probleme:

- Schnittstellen zwischen den einzelnen Prozessen sind immer neuralgische Punkte

- dezentralisierte Herstellung (Outsourcing)

- Stetig verkürzte Durchlaufzeiten der Produkte

- Übernahme eines Unternehmens durch ein anderes

- Sparvorgaben

- eine häufige Ursache sind aber auch simple Berechnungs- oder Denkfehler.

3.2 Strategien zur Gewährleistung der Produktsicherheit

Das oberste Ziel ist schnell gesagt, oft aber gar nicht so leicht zu erreichen. Das

Zauberwort heisst Nullfehlerprinzip. Produktsicherheit beginnt bei einem fehlerlosen

Produkt, d.h. einem Produkt, das den berechtigten Sicherheitserwartungen der

Allgemeinheit genügt.

Um dies zu erreichen ist ein angemessenes Risk Management notwendig:

a) Risk Management

Das Risk Management ist in jedem Qualitätsmanagement zentral. Schon genannt

worden ist die Notwendigkeit, über eine lückenlose QM-Dokumentation zu verfügen.

Das fehlerloseste Produkt nützt nichts, wenn nicht bewiesen werden kann, dass der

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vom Geschädigten behauptete Fehler erst nach Inverkehr-Bringen entstanden ist.

Mit der Dokumentationspflicht einher geht auch die Aufbewahrungspflicht, da auch

etliche Jahre nach Inverkehr-Bringen die ursprüngliche Fehlerlosigkeit des Produkts

noch bewiesen können werden muss. Natürlich sind hier die QM-Normen eine

wichtige Stütze, auch wenn man sich wie erwähnt nicht blind auf sie verlassen darf.

Das Risk Management muss den ganzen Entwicklungs-, Produktions-, und

Vertriebsprozess und auch die Zeit danach überwachen. Besonderes Augenmerk

verdienen dabei wie erwähnt sicher die Schnittstellen. Es muss gewährleistet

werden, dass veränderte Sicherheitserwartungen der Allgemeinheit erkannt werden,

dass die Unternehmung stets auf dem neusten Stand von Wissenschaft und Technik

ist, dass Änderungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung erkannt werden etc..

Exportierende Firmen müssen unbedingt die rechtlichen Gegebenheiten in ihren

Zielländern kennen. Kurzum: Das Risk Management soll die Nullfehlerstrategie

verfolgen und gewährleisten. Grössere Unternehmen verfügen mit Vorteil über eine

eigene Risk Management Abteilung, welche alle Prozesse überwacht. Es gilt auch

hier: Vier Augen sehen mehr als zwei.

Wichtig ist auch die Ausarbeitung von juristisch einwandfreien Verträgen. Es ist

ratsam, dafür stets erfahrene Juristen beizuziehen.

b) Stetige Überwachung des Produkts

Wie erwähnt beginnt Produktsicherheit beginnt nicht erst mit dem

Produktionsprozess, sondern schon viel früher. Sie hört auch nicht einfach auf, wenn

das Produkt den Herstellerbetrieb verlässt, sondern geht weiter, oft bis zur

Entsorgung. Von zentraler Bedeutung ist hier eine umfassende

Produktbeobachtung. Der Hersteller muss über den Stand von Wissenschaft und

Technik informiert sein und die Änderungen der Sicherheitserwartungen der

Allgemeinheit berücksichtigen. Beides kann sich während des

Produktentwicklungsprozesses ändern. Massgebend für die Produktsicherheit ist

dann aber der Zeitpunkt des Inverkehr-Bringens. N.B: Der Stand von Wissenschaft

und Technik wird nicht branchenspezifisch beurteilt. Auch Kenntnisse aus andern

Branchen sind zu berücksichtigen, und dies weltweit!

Der Hersteller muss sich durch ein Reporting-System vergewissern, dass

sicherheitsrelevante Informationen zu ihm gelangen. Kundenbeschwerden müssen

erfasst werden, Fragebögen erstellt und ausgewertet, Umfragen, Medienberichte etc.

berücksichtigt werden. Besteht der ernsthafte Verdacht, ein Produkt könnte

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fehlerhaft sein, hat eine Warnung oder gar ein Rückruf zu erfolgen. Ein Rückruf ist

sicher eine teure Angelegenheit, aber immer noch billiger als der möglicherweise zu

begleichende Schaden. Bei einem Rückruf zu sparen, lohnt sich nicht, denn er hat

nur einen Sinn, wenn wirklich alle gefährlichen Produkte aus dem Verkehr gezogen

werden. Jeder Betrieb sollte ein funktionierende Rückrufkonzept haben.

c) Instruktion

Teil eines umfassenden Risk Managements ist auch eine gute Instruktion des

Kunden. Eine gute Anleitung vermittelt dem Konsumenten den gefahrlosen Umgang

mit dem Produkt. Voraussetzung ist und bleibt aber, dass das Produkt selber schon

sicher ist. Man kann nicht ein gefährliches Produkt dadurch PrHG-tauglich machen,

indem man in einer Gebrauchsanweisung darauf hinweist, dass es eigentlich nichts

taugt... Gewarnt werden muss auch vor einem allfälligen Fehlgebrauch. Die

Gesundheitsrisiken müssen konkret genannt werden. Die Instruktion soll alle

Lebensphasen des Produkts erfassen - auch die sichere Entsorgung!

Selbstverständlich sind gesetzliche Vorschriften einzuhalten, wie etwa die

Gefahrenwarnung gemäss Spielzeugverordnung. Die Instruktion muss klar und in

allgemein verständlicher Sprache abgefasst sein. Es lohnt sich nicht, bei der

Erstellung einer Gebrauchsanweisung zu sparen.

d) Versicherung

Für den Fall, dass doch einmal etwas schief gehen sollte, muss eine Versicherung

mit genügender Deckungssumme abgeschlossen werden. Deren Höhe variiert je

nach Betriebsrisiko, Umsatzhöhe etc..

4. Schlussbetrachtung und Ausblick

Vielleicht haben Sie sich nun die ganze Zeit gefragt, wie ein unter Umständen kleines

Unternehmen in wirtschaftlicher und personeller Hinsicht die hohen Anforderungen des

PrHG erfüllen soll. In der Tat dürften sich hier Probleme ergeben. Das PrHG definiert

Standards unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten eines einzelnen Betriebes

oder einer Branche. Es ist eben von der Konzeption her ein Konsumentenschutzgesetz.

Heutige Konsumenten haben hohe Sicherheitserwartungen und neigen dazu, für jeden

Schaden, den sie erleiden, den Hersteller verantwortlich zu machen. Diese Haltung ist

im Grunde genommen schizophren. Unter Umständen sind die Verbraucher bereit,

grosse Risiken einzugehen. Sie fahren schnell Auto, springen am Gummiseil von

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Staumauern, lassen sich durch Wildbäche hinuntertreiben, aber wenn sie sich am

Klappstuhl den Finger einklemmen, klagen sie den Hersteller ein.

Dieser Trend wird sich in der Zukunft sicher noch verstärken, ohne dass gleich

amerikanische Verhältnisse befürchtet werden müssen. Jedenfalls ist es unbedingt

notwendig, die Produktionsprozesse ständig zu überprüfen und den gesellschaftlichen

Entwicklungen anzupassen, damit auch in Zukunft Produkte hergestellt werden, die den

Sicherheitsvorstellungen der Allgemeinheit entsprechen.

Es versteht sich von selbst, dass das nicht gratis ist: Eine verbesserte Produktsicherheit

ist fast immer mit zusätzlichem Aufwand und zusätzlichen Kosten verbunden. Dieser

Aufwand wird sich aber letztlich lohnen. Schliesslich geht es für das Unternehmen nicht

nur um Geld, sondern auch darum, einen gravierenden Imageschaden zu verhindern.

Dazu reicht es nicht, einen Haftpflichtprozess mit Hängen und Würgen zu verhindern

oder eine gute Versicherung zu haben. Bestes Gegenmittel gegen Imageschäden sind

eindeutig seriös produzierte, fehlerfreie Produkte. In diesem Sinn kann das

Produkthaftpflichtgesetz - gerade weil es so streng ist - also auch eine Chance sein, da

es die Produzenten zu maximaler Produktsicherheit zwingt.