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Teil II Allgemeine Behandlungsgebiete 24. Fortschritte in der Behandlung pathologischer Frakturen . Mutschler H. Tscherne und G. Regel Problemstellung Der Knochen ist ein hochdifferenziertes Gewebe, das neben der Speicherfunktion für Kalzium und Phosphat die Stabilität des Körperbaus garantiert. Diese lebenswichtige Stützfunktion kann nur von einem intakten, qualitativ und quantitativ regelrecht aufgebautem Knochengewebe bewältigt werden. Jede Veränderung der Knochenstruktur, die über den lebenslang stattfindenden kontinuierlichen Umbau hinausgeht, führt zu einer Minderung der Knochenqualität und erhöht dessen Verletzlichkeit. Tritt eine Fraktur an dem krankhaft vorgeschädigten und mechanisch vermindert belastbaren Knochen ein, nennen wir dies eine pathologische Fraktur. Dabei genügen oft minimale Krafteinwirkungen, die weit unter der biologischen Belastbarkeit des gesunden Knochens liegen, um die Fraktur auszulösen. Als Ursachen kommt eine Fülle ganz unterschiedlicher Entitäten in Betracht, von denen die häufigeren in Tabelle 1 zusammengefaßt sind. Zweckmäßigerweise werden systemische von lokalen Ursachen unterschieden. Bei einer systemischen Qualitätsminderung des Knochengewebes führen Entwicklungsstörungen, eine globale Reduktion der Knochenmasse oder ein gestörter Regelmechanismus der Knochenspeicherfunktion für Kalzium und Phosphat zur allgemeinen Knochenbrüchigkeit, bei den lokalen Ursachen dominiert die begrenzte Knochenzerstörung unterschiedlicher Genese. Die Häufigkeitsangaben für pathologische Frakturen differieren beträchtlich, was angesichts der Vielfalt der zugrundeliegenden Erkrankungen und der Patientenselektion einzelner Studien nicht verwunderlich ist. Ohne Berücksichtigung der Osteoporose, die an anderer Stelle betrachtet wird, dürfte ihre Rate generell etwa bei 1% aller operierten Knochenbrüche liegen. Einige orientierende Häufigkeitsangaben sind in Tabelle 2 enthalten. Der Unfallchirurg wird häufiger als andere Berufsgruppen mit pathologischen Frakturen konfrontiert. Denn wie bei jeder anderen Fraktur auch, verspürt der Patient das Eintreten einer pathologischen Fraktur als ein akutes Ereignis mit schmerzhafter Funktionseinbuße und wird meist als Notfallpatient zum Arzt gebracht. Dieser wird anhand der klinischen Untersuchung und der orientierenden Röntgenuntersuchung die Diagnose einer Fraktur stellen. Die entscheidende Weichenstellung für eine adäquate Therapie der pathologischen Fraktur erfolgt jetzt: Werden die Zeichen der pathologischen Fraktur erkannt oder nicht? Wichtige anamnestische Hinweise auf eine pathologische Fraktur sind das inadäquate frakturauslösende Trauma, frühere Frakturen und frühere Knochenoperationen, vorbestehende längeranhaltende Schmerzperioden, metabolische oder tumoröse Vorerkrankungen und Knochenerkrankungen in der Familie. Ein klinisches Indiz ist die geringgradige oder fehlende Mitverletzung der umgebenden Weichteile. Die Standardröntgenaufnahmen müssen sorgfältig analysiert werden. Meist lassen sich schon auf der Übersichtsaufnahme systemische von umschriebenen Skelettveränderungen abgrenzen. Viele der in Tabelle 1 genannten Ursachen

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Teil II

Allgemeine Behandlungsgebiete

24. Fortschritte in der Behandlung pathologischer Frakturen . Mutschler

H. Tscherne und G. Regel Problemstellung

Der Knochen ist ein hochdifferenziertes Gewebe, das neben der Speicherfunktion für Kalzium und Phosphat die Stabilität des Körperbaus garantiert. Diese lebenswichtige Stützfunktion kann nur von einem intakten, qualitativ und quantitativ regelrecht aufgebautem Knochengewebe bewältigt werden. Jede Veränderung der Knochenstruktur, die über den lebenslang stattfindenden kontinuierlichen Umbau hinausgeht, führt zu einer Minderung der Knochenqualität und erhöht dessen Verletzlichkeit. Tritt eine Fraktur an dem krankhaft vorgeschädigten und mechanisch vermindert belastbaren Knochen ein, nennen wir dies eine pathologische Fraktur. Dabei genügen oft minimale Krafteinwirkungen, die weit unter der biologischen Belastbarkeit des gesunden Knochens liegen, um die Fraktur auszulösen.

Als Ursachen kommt eine Fülle ganz unterschiedlicher Entitäten in Betracht, von denen die häufigeren in Tabelle 1 zusammengefaßt sind. Zweckmäßigerweise werden systemische von lokalen Ursachen unterschieden. Bei einer systemischen Qualitätsminderung des Knochengewebes führen Entwicklungsstörungen, eine globale Reduktion der Knochenmasse oder ein gestörter Regelmechanismus der Knochenspeicherfunktion für Kalzium und Phosphat zur allgemeinen Knochenbrüchigkeit, bei den lokalen Ursachen dominiert die begrenzte Knochenzerstörung unterschiedlicher Genese.

Die Häufigkeitsangaben für pathologische Frakturen differieren beträchtlich, was angesichts der Vielfalt der zugrundeliegenden Erkrankungen und der Patientenselektion einzelner Studien nicht verwunderlich ist. Ohne Berücksichtigung der Osteoporose, die an anderer Stelle betrachtet wird, dürfte ihre Rate generell etwa bei 1% aller operierten Knochenbrüche liegen. Einige orientierende Häufigkeitsangaben sind in Tabelle 2 enthalten.

Der Unfallchirurg wird häufiger als andere Berufsgruppen mit pathologischen Frakturen konfrontiert. Denn wie bei jeder anderen Fraktur auch, verspürt der Patient das Eintreten einer pathologischen Fraktur als ein akutes Ereignis mit schmerzhafter Funktionseinbuße und wird meist als Notfallpatient zum Arzt gebracht. Dieser wird anhand der klinischen Untersuchung und der orientierenden Röntgenuntersuchung die Diagnose einer Fraktur stellen. Die entscheidende Weichenstellung für eine adäquate Therapie der pathologischen Fraktur erfolgt jetzt: Werden die Zeichen der pathologischen Fraktur erkannt oder nicht?

Wichtige anamnestische Hinweise auf eine pathologische Fraktur sind das inadäquate frakturauslösende Trauma, frühere Frakturen und frühere Knochenoperationen, vorbestehende längeranhaltende Schmerzperioden, metabolische oder tumoröse Vorerkrankungen und Knochenerkrankungen in der Familie. Ein klinisches Indiz ist die geringgradige oder fehlende Mitverletzung der umgebenden Weichteile. Die Standardröntgenaufnahmen müssen sorgfältig analysiert werden. Meist lassen sich schon auf der Übersichtsaufnahme systemische von umschriebenen Skelettveränderungen abgrenzen. Viele der in Tabelle 1 genannten Ursachen

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der pathologischen Fraktur weisen charakteristische Veränderungen im Röntgenbild auf, die eine "Anhiebsdiagnose" erlauben. Falls dies nicht gelingt, helfen 4 Schlüsselfragen, wenigstens die Art der zugrundeliegenden Erkrankung zu definieren. Die 4 Fragen beziehen sich auf die Lokalisation der Läsion, auf das Destruktionsmuster des Knochens, auf die knöcherne und Weichteil-Reaktion in der Umgebung und auf die charakteristische Morphologie des Gewebes in der Knochenläsion selbst. Werden diese 4 röntgenologischen Kategorien zur Anamnese und zum Alter in Bezug gesetzt und mit Hilfe der einschlägigen Literatur überprüft, ist das differentialdiagnostische Spektrum schon stark einzuengen.

Nur bei dem Verdacht auf einen primären Knochentumor (Tabelle 3) ist trotz des Vorliegens einer pathologischen Fraktur eine sorgfältige lokale und Umfelddiagnostik z.B. mit CT und MRI und mit Biopsie notwendig, da die compartmentgerechte Entfernung solcher Tumoren und die aufwendigen Methoden der Überbrückung entstandener Knochenund Weichteildefekte eine genaue Kenntnis des Tumorstadiums und der örtlich befallenen Strukturen notwendig machen. In allen anderen Fällen reichen Untersuchungen aus, die den Patienten mit seiner noch unversorgten Fraktur nicht übermäßig belasten und zur Festlegung der definitiven Therapie notwendig erscheinen. Dies können z.B. Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen anderer Skelettregionen oder eine Beckenkammbiopsie sein, wenn eine systemische Erkrankung vermutet wird.

Auch bei pathologischen Frakturen gilt das Therapieziel jeglicher Frakturbehandlung, nämlich durch konservative oder operative Maßnahmen die Fraktur einzurichten und zu stabilisieren und die volle Funktion und Belastbarkeit des betroffenen Körperabschnittes wieder herzustellen. Dies gelingt aber nur, wenn die Natur der zugrundeliegenden Knochenaffektion zweifelsfrei erkannt und deren spezifischen Gegebenheiten Rechnung getragen wird.

Historisches

Die Behandlung pathologischer Frakturen ist eine interdisziplinäre Aufgabe. Insofern partizipierten die betroffenen Patienten an den jeweiligen Fortschritten in Diagnostik und Therapie so unterschiedlicher Disziplinen wie Pädiatrie, Innere Medizin, Chirurgie/Orthopädie, Radiologie und Pathologie.

Beispielhaft soll dies an den primären malignen Knochentumoren verdeutlicht werden. Noch in den frühen 60er Jahren kam die Diagnose eines Osteosarkoms fast einem Todesurteil gleich: Die mittlere 5-Jahresüberlebensrate betrug nur ca. 10%, als Operation kam überwiegend die verstümmelnde Amputation zum Einsatz. Heute beträgt die mittlere 5-Jahresüberlebenszeit mehr als 70%, und der Prozentsatz gliedmaßenerhaltender Operationen nähert sich 80%. Dies ist zunächst der Einführung und Weiterentwicklung der neoadjuvanten multimodalen Chemotherapie nach standardisierten und kontrollierten Therapieprotokollen seit Ende der 60er Jahre zu verdanken, die von der Errichtung nationaler und internationaler Knochentumorregister und sorgfältigen histopathologischen Studien flankiert wurden. Durch moderne bildgebende Verfahren wie 3-Phasenszintigraphie, CT und MRI gelang es seit den 70er Jahren, die Tumoren in ihrer lokalen Ausdehnung präzise zu erfassen und so eine millimetergenaue Operationsplanung zu ermöglichen. Die interventionelle Radiologie verbesserte darüberhinaus die Operabilität z.B. durch die selektive Embolisation von Tumorgefäßen.

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Moderne Anästhesieverfahren, potente Antibiotika, die ständige Verfügbarkeit von Blutkonserven und die Etablierung der Intensivmedizin schufen die Bedingungen dafür, daß langwierige Tumorresektionen möglich wurden und so die Weiterentwicklungen in Chirurgie und Orthopädie auch für die Tumorpatienten zum Tragen kamen. Hier ist in erster Linie vom künstlichen Gelenkersatz zu sprechen. Bereits in den 50er Jahren wurden die damals zur Verfügung stehenden Hemialloarthroplastiken von Hüftgelenk und Schultergelenk vereinzelt nach Tumorresektionen implantiert. Die weltweite Verbreitung der Hüftgelenkstotalendoprothese nach den bahnbrechenden Arbeiten von Charnley (seit 1959) führte zur Konstruktion von Tumorprothesen für Hüft-, Knie- und Schultergelenk bis hin zum (seit den 70er Jahren verfügbaren) totalen Femur-, Humerus- und Beckenersatz. Der erste internationale Workshop über Tumorprothesen fand 1983 statt; seither werden zweijährlich von der ISOLS (International Society on limb salvage) bewährte Implantate und Innovationen wie z.B. die sog. Wachstumsprothesen im Kindesalter sorgfältig bewertet.

Die Entwicklung, Verbreitung und Dokumentation der Osteosyntheseverfahren durch die AO seit 1958 machte den Einsatz von Platten und Nägeln in ihren vielfältigen Modifikationen in der Tumorchirurgie möglich vor allem nach der Propagierung der Verbundosteosynthese, der Kombination von Knochenzement und Metallimplantat, durch Müller im Jahre 1962. Ursprünglich für die Frakturversorgung konzipierte Wirbelsäulenplatten (Roy-Camille 1963), der Fixateur interne (Magerl/Dick 1982) und die Implantate zum Ersatz von Wirbelkörpern erlauben heute weiträumige Tumorausräumungen und langstreckige bewegungsstabile Spondylodesen, wo in der Aera zuvor lediglich die Tumorreduktion und die Entlastung des Rückenmarks durch die Laminektomie und wenig stabile dorsale Verankerungssysteme zur Verfügung standen. Gliedmaßenerhaltung wäre ohne die Fortschritte in der Plastischen und Mikrochirurgie nicht denkbar. Zum Rüstzeug des onkologisch tätigen Chirurgen gehören heute Verfahren wie die Wiederherstellung peripherer Nerven, der Ersatz großer Arterien und Venen und die mikrovaskuläre Chirurgie als Grundlage zur freien Übertragung von komplexen Geweben bis hin zum osteo-musculo-cutanen Transplantat. Die Grundlagen für diese Verfahren, ohne die die Überbrückung langstreckiger Weichteil- und Knochendefekte und die Bedeckung großer Tumorprothesen nicht möglich wäre, wurden in den 70er Jahren gelegt (erste klinische Replantation 1967 Kumatsu und Tamai; 1973 O'Brien freie mikrovaskuläre Lappenplastiken, 1974 Taylor freie gefäßgestielte Knochentransplantate).

Heutiger Stand

Die heutigen Möglichkeiten der ursachenspezifischen Therapie pathologischer Frakturen sollen an den häufigsten Formen, den pathologischen Frakturen lokaler Ursache, dargestellt werden. Aus den allgemeinen Parametern, die die Therapie beeinflussen müssen (Tabelle 4), leiten sich die Therapiekonzepte ab, wie sie in Tabelle 5 zusammengefaßt sind. Es handelt sich dabei um globale Therapieempfehlungen, die nur als allgemeine Richtlinien aufgefaßt und im Einzelfall entsprechend modifiziert werden müssen. Unter konservativer Behandlung sind hier alle Formen der äußeren Ruhigstellung mit Gips, Schienen, Verbänden, Orthesen und die funktionelle Behandlung subsumiert. Die operative Therapie umfaßt die gängigen Formen der intra- und extramedullären Osteosynthesen und Gelenkprothesen, gegebenenfalls kombiniert mit den verschiedenen Arten der Knochentransplantation.

Tumorähnliche oder tumorsimulierende Knochenveränderungen sind Läsionen, die durch ein reizunabhängiges überschießendes Gewebewachstum charakterisiert sind und die durch ihr Wachstum eine beträchtliche Knochenzerstörung hervorrufen können. Die Hauptvertreter

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dieser Gruppe sind die juvenile und aneurysmale Knochenzyste, das nicht ossifizierende Fibrom, das intraossäre Ganglion, das solitäre eosinophile Granulom und die lokalisierte fibröse Dysplasie. Bei pathologischen Frakturen an der unteren Extremität wird man aus Gründen der Diagnosesicherung, vor allem aber wegen der Möglichkeit der sofortigen Bewegungs- und frühen Belastungsstabilität zur Ausräumung des Prozesses und zur Osteosynthese in Kombination mit einer autogenen oder allogenen Spongiosatransplantation raten (Abb. 1). An der oberen Extremität konkurriert bei der juvenilen Knochenzyste die bloße Ruhigstellung mit der Schraubendekompression oder der en bloc-Resektion mit Überbrückung durch Knochen und Metallimplantat im Falle des mehrfachen Rezidivs. Die aneurysmale Knochenzyste soll stets en bloc reseziert und der Knochendefekt stabil überbrückt werden.

Benigne Knochentumoren (z.B. der Riesenzelltumor, das Chondroblastom und das Chondromyxoidfibrom) wachsen lokal destruierend und müssen daher auch im Falle einer pathologischen Fraktur vollständig entfernt werden. Ob dazu eine marginale oder weite Resektion notwendig wird, richtet sich nach dem Aktivitätsgrad des Tumors. Da häufig die Dignität präoperativ nicht abzuschätzen ist, empfiehlt sich hier die Probebiopsie, danach die externe Ruhigstellung der gebrochenen Extremität und die geplante sekundäre, tumoradäquate Resektion und Defektüberbrückung. Dabei ist es oberstes Gebot, alle befallenen Knochenareale mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand und ohne Rücksicht auf entstehende Knochen- und Weichteildefekte zu entfernen und danach die Defektüberbrückung mit Knochentransplantaten, langstreckigen Osteosynthesen, mit Endoprothesen oder selbst unter Inkaufnahme einer Arthrodese vorzunehmen (Abb. 2).

Dies gilt auch für die primär malignen Knochentumoren (z.B. das Osteosarkom, das Ewing-Sarkom, das Chondrosarkom), bei denen die Operation in ein multimodales Therapiekonzept mit Chemotherapie und/oder Strahlentherapie eingepaßt werden muß. Ein "Anoperieren" eines primären Knochenmalignoms mit einer ungenügenden Tumorentfernung verschlechtert durch lokale Tumoraussaat die Prognose und zwingt häufig zur sekundären Amputation. Wird aber zunächst durch die Biopsie der maligne Charakter der pathologischen Fraktur gesichert und nach der Erfassung der Tumorausdehnung eine compartmentgerechte Tumorresektion unter Einschluß der Frakturzone, des Frakturhaematoms und der angrenzenden Weichteile durchgeführt, verschlechtert sich die Prognose gegenüber Patienten ohne pathologische Frakturen nicht. Beispiele für ausgedehnte Resektionen und die Erhaltung von Gelenken durch Implantation von sog. Megaprothesen zeigen die Abb. 3 und 4.

Die Therapie von Skelettmetastasen ist praktisch immer eine palliative Therapie. Es soll daher mit den am wenigsten eingreifenden Maßnahmen der größtmögliche Effekt erzielt werden. Das vorrangige Ziel der Therapie ist nicht die radikale Tumorentfernung, sondern die Schmerzlinderung, die Erhaltung oder die Wiederherstellung der Stabilität des betroffenen Skelettabschnittes und damit die Erhaltung seiner Funktion, eine Verbesserung der Lebensqualität oder wenigstens eine Erleichterung der Pflege. Bei pathologischen Frakturen der langen Röhrenknochen, des Beckens und der Wirbelsäule sehen wir eine absolute Operationsindikation, denn pathologische Frakturen heilen wegen des Weiterwachsens des Tumors unter konservativer Therapie mit Gips oder Korsett nicht aus und werden in Abhängigkeit von der Zeit weitere Schmerzen, Immobilität und sekundäre Komplikationen verursachen.

Es ist demjenigen Operationsverfahren der Vorzug zu geben, das "schnell, sicher, simpel" ist und das eine rasche Mobilisation unter voller Belastung erlaubt. Das Operationsrisiko und die postoperative Morbidität müssen bei Carcinomträgern mit meist fortgeschrittener Erkrankung

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besonders sorgfältig bedacht werden. Von den gebräuchlichen Osteosyntheseverfahren kommt zur Stabilisierung ohne Tumorentfernung nur eine intramedulläre Schienung mit Marknägeln in Frage. Indiziert sind die intramedullären Kraftträger bei Metastasen mit Sitz in den Diaphysen von Humerus, Femur und Tibia und nur dann, wenn dem Patienten kein größerer Eingriff zur Tumorreduzierung zuzumuten ist und genügend Stabilität erreicht werden kann (Abb. 5).

Die Verbundosteosynthese ist die häufigste Methode, pathologische Schaftfrakturen zu stabilisieren. Als Knochenzement werden Polymethylmetacrylate verwendet, die nach Inkorporation durch Polymerisation aushärten und als Füll-, Abstütz- und stabiles Verankerungsmaterial für Metallimplantate dienen. Polymethylmetacrylat hat eine der Knochenkortikalis vergleichbare Druckfestigkeit und nimmt überwiegend die Druckkräfte bei Belastung auf. Der Knochenzement wird meist mit Platten kombiniert, die die Kompensation von Zug- und Biegekräften leisten bzw. den Knochen schienen (Abb. 6).

Metastasen, die im Bereich von Gelenken oder gelenknah lokalisiert sind, werden am günstigsten mit Endoprothesen behandelt (Abb. 7). Die Resektion muß so angelegt werden, daß der oft vorhandene große Weichteilanteil der Metastase mitentfernt wird und daß eine Verankerung der Prothese in gesundem Knochen ermöglicht wird. Im Unterschied zur radikalen Tumorentfernung bei primären Knochentumoren versuchen wir dabei Hauptnerven, Hauptgefäße, Muskeln und Muskelansätze zu erhalten. Je nach Ausdehnung der Tumorresektion werden zum Gelenkaufbau die entsprechenden Standardprothesen verwendet oder spezielle Tumorprothesen eingesetzt. Meist wird die Prothese mit Knochenzement implantiert, um eine Sofortbelastung möglich zu machen.

Wirbelsäulenmetastasen sind überwiegend im Wirbelkörper und in den Bogenwurzeln lokalisiert. Durch die Operation an der Wirbelsäule sollen 2 Probleme gelöst werden: Der Spinalkanal und die Nervenwurzeln sind von der Tumorkompression zu befreien und die tumorbedingte Instabilität durch Tumorresektion und Stabilisation zu beseitigen. Eine Dekompression wird von dorsal durch eine Laminektomie über mehrere Segmente oder von ventral durch die vollständige Wirbelkörperententfernung mit Einschluß der benachbarten Bandscheiben erreicht. Als Stabilisierungsverfahren wird heute die kurzstreckige, belastungsstabile Spondylodese angestrebt. Diese kann von ventral mit Wirbelkörperersatz, Knochenzement und Platte (Abb. 8), von dorsal mit Platten (Abb. 9), dem Fixateur interne oder kombiniert ventro-dorsal vorgenommen werden.

Pathologische Frakturen bei der posttraumatischen Osteitis werden nach den Grundsätzen der Osteitistherapie (Herdausräumung, Stabilisierung, lokale Infektbehandlung, Weichteildeckung und sekundäre Knochentransplantation) behandelt. Bei Strahlenschäden ist die Regenerationskraft von Knochen- und Weichteilgewebe so herabgesetzt, daß neben der Osteosynthese eine autologe Spongiosaplastik zur Osteoinduktion hinzukommen muß. Refrakturen verlangen in der Regel eine Reosteosynthese, wobei meist ein Wechsel auf ein intramedulläres Implantat sinnvoll ist und dieses je nach Knochenqualität und Knochendefekt mit einer Spongiosaplastik kombiniert wird.

Soziale Folgen

Pathologische Frakturen sind insgesamt so selten, daß es nicht sinnvoll ist, globale ökonomische und soziale Überlegungen anzustellen. Für das betroffene Individuum ist es aber

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von erheblicher, im Falle des malignen Tumors von lebenswichtiger Bedeutung, ob eine adäquate Therapie der pathologischen Fraktur durchgeführt wird und die Körperfunktion und das Überleben gesichert werden können. Sieht man von den Metastasenträgern ab, so handelt es sich durchweg um jüngere Menschen, denen die Stabilisierung frakturierter Knochen und die Rekonstruktion von Gelenken, Knochendefekten und Weichteilen Lebensqualität zurückgibt und die berufliche, soziale und psychische Eingliederung in unsere Gesellschaft ermöglicht. Dem alten Menschen lindert die Stabilisierung pathologischer Frakturen unerträgliche Schmerzen, sie verhindert langdauernde Immobilität und trägt zu einem würdigen, altersgerechten Leben bei.

Zukünftige Entwicklungen

Patienten mit pathologischen Frakturen waren, wie oben gezeigt, nicht nur Nutznießer des medizinischen Fortschritts, sondern stets auch Motivation für die Chirurgen, die Grenzen der jeweils verfügbaren Verfahren auszuloten. Die langstreckige Knochen- und Weichteilresektion und/oder der Ersatz ganzer Skelettabschnitte einschließlich benachbarter Gelenke durch Endoprothesen war gerechtfertigt, weil die Alternative die verstümmelnde Amputation darstellt. Die Erfahrungen, die dann bezüglich Langzeitstabilität, Funktion und Früh- und Spätkomplikationen gewonnen wurden und werden, gingen und gehen als Grenzerfahrungen wieder in die beteiligten Fachrichtungen mit ein. Stichworte, die die Entwicklung in der Zukunft charakterisieren könnten, sind auf diagnostischem Gebiet die molekularbiologische Aufklärung hereditärer Ursachen pathologischer Frakturen, die verbesserte Früherkennung von Knochentumoren und insgesamt die präzisere Vorhersage des Risikos, eine pathologische Fraktur zu erleiden. Chirurgisch suchen wir vor allem nach Verfahren, die die Verankerung von Implantaten und Prothesen im Knochen dauerhaft gewährleisten und die Bewegungsfunktion über Weichteilverankerungen und Weichteilersatz verbessern. Schließlich stellt sich die Aufgabe, im Zeichen des zunehmenden Kostendrucks und im Interesse der Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung Patienten mit primären Knochentumoren und mit ausgedehnten Resektionen an ausgewiesenen Zentren zu behandeln und die Dokumentation der Behandlungsrisiken und -erfolge fortzuschreiben.

Zusammenfassung

Frakturen treten an krankhaft vorgeschädigten und mechanisch vermindert belastbaren Knochen ein. Wichtigste diagnostische Aufgabe ist das Erkennen der pathologischen Fraktur und die Einleitung einer (interdiszipliären) ursachenspezifischen Therapie. Die heutigen Operationskonzepte umfassen alle modernen Verfahren zur Knochen- und Weichteilüberbrückung wie (Verbund-) Osteosynthesen, Knochentransplantationen und Tumorprothesen. Dies wird bei Patienten mit tumorähnlichen Läsionen, benignen und malignen Knochentumoren sowie Metastasen demonstriert.

Literatur

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3. Chao E, Ivins IC (eds) (1983) Tumor prothesis for bone and joint reconstruction. Thieme-Stratton, New York

4. Enneking WF (1987) Musculoskeletal tumor surgery. Churchill Livingstone, New York

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9. Weller S, Hierholzer G (Hrsg) (1991): Pathologische Frakturen OP J 7/3