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This article was downloaded by: [University of Auckland Library]On: 17 December 2014, At: 17:29Publisher: RoutledgeInforma Ltd Registered in England and Wales Registered Number: 1072954 Registered office: Mortimer House,37-41 Mortimer Street, London W1T 3JH, UK
Symbolae Osloenses: Norwegian Journal of Greek andLatin StudiesPublication details, including instructions for authors and subscription information:http://www.tandfonline.com/loi/sosl20
Tempel und altar bei XenophonGunnar RudbergPublished online: 22 Jul 2008.
To cite this article: Gunnar Rudberg (1938) Tempel und altar bei Xenophon, Symbolae Osloenses: Norwegian Journal of Greekand Latin Studies, 18:1, 1-8, DOI: 10.1080/00397673808590319
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TEMPEL UND ALTAR BEI XENOPHONVON
GUNNAR RUDBERG
Dem Verfasser vonnJEttegard og Helligdom"gewidmet.
An einer wohlbekannten Stellē in Xenophons Memorabilien, IN,
8, 8—10, wird Sokrates' Meinung betreffs der zweckmSBigen
und Ssthetisch anprechenden Anordnung der Hāuser bei Behand-
lung der Schonheit und der Niitzlichkeit referiert. Und das Kapitel
wird durch ein kurzes Dictum iiber die passende Lage der
Tempel und Altāre abgeschlossen; auch eine Begriindung
ihrer Sichtbarkeit und Unzugānglichkeit wird gegeben. Die Asso-
ziation ist ziemlich lose (ναοΐς γε μήν).
Die vorhergehende Debatte ist in der wissenschaftlichen Literatur
nicht selten beachtet worden; die Worte sind z. B. als Zeugnis
kynischen Einflusses betrachtet worden.1 Weniger hat man den
abschlieBenden Gedanken behandelt; er liegt etwas abseits vom
ideengeschichtlichen Zusammenhang des Kapitels. Die Worte werden
von A. Delatte2 erwahnt, nicht aber, wenn ich recht sehe, von
Emma Edelstein.3 Es ist wohl jetzt kein Zweifel mehr, daC diese
Worte, wie das Meiste in den Memorabilien, echt sind, obgleich
die Komposition hier etwas lose ist — mehr chr iae als Dialog; 4
die Assoziation zwischen den Wohnungen der Menschen und denen
der Gotter ist ja leicht. Auch wenn man wie Edelstein a. a. O.5 an
eine durchgedachte und durchgefuhrte Komposition des ganzen
1 Joël, Der echte und xenophontische Sokrates II, 1, S. 320, 2, 529, 624, 2,741, 747, 3 usw. (vgl. auch Oikon. 9, 2 ff. fiber Häuser).
2 Le troisième livre des Souvenirs Socratiques de Xénophon (1933), S. 94 f.u. 103 ("ceite théorie rationelle").
3 Xenophont. u. sokrat. Bild des Sokrates, Diss. Heidelberg 1933, Berlin(vgl. S. 114).
4 Hirzel, Der Dialog I, S. 145 (beide hier bei Xen. "im Keime").5 S. 78 ff., 136 f. ("streng gegliedert").
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Werkes glaubt (m. E. etwas ubertrieben), kann man keineswegsdie groBe Rolle der assoziativen Verbindungen gerade in denMemorabilien leugnen. Die ganze Anordnung des zweiten unddritten Buches befreit uns von gewissen logischen Forderungen,die z. B. mit der πραγματεία-Form zusammenhāngen. Der ZusatzIII, 8, 10 steht ganz an seinem Platz.1
Eine andere Frage ist, ob Sokrates sich iiber Dinge dieser Artals Wissender wirklich geāuBert hat — und sie nicht nur alsBeispiele oder Ausgangspunkt benutzt hat. Diese Frage ist nurwenig behandelt worden; Delatte sieht wohl im ganzen Topos einexenophontisch ausgeformte Erinnerung an sokratische Gesprāche.2
Selbst verweise ich auf ein hoffentlich bald erscheinendes kleinesBuch fiber Sokrates bei Xenophon, wo ich zu zeigen versuche,daB vieles in diesem Sokrates-Typus auf volkstiimlichen Grundhindeutet, auf athenische und attische, auch gemeinhelle-nische Volksdiskussion derjenigen Probleme, welche fur dieBevSlkerung, auch die breiteren Schichten, also auf verschiedenemNiveau, von Bedeutung waren. Diesen Fragen begegnen wir oftin scherzhafter, ubertriebener oder karikierter Form in der ālterenKomSdie, auch in Platons Dialogen, vor allem in den mehralltāglichen Partien. Auch mit der Tragōdie und der attischenBeredsamkeit findeii sich Ubereinstimmungen. Wie angedeutet,hat Sokrates vermutlich diese Fragen — als Beispiele und Aus-gangspunkte des GesprSches — beruhrt, auch wenn er die fertigenResultate nicht so gern und nicht so eifrig wie Xenophon doziert hat.
Diese Worte konnen vielleicht auch unter diesem Gesichtspunktbetrachtet werden. Da sie innerhalb der xenophontischen und sokra-tischen Schriften recht vereinzelt stehen, kann eine nāhere Be-handlung, eine Art Kommentar der kurzen Darstellung, wohl ihreBerechtigung haben.
Die Stellē lautet: ναοΤς γε μήν και βωμοΤς χώραν εφη είναι πρε-πωδεστάτην ήτις εμφανέστατη οδσα άστιβεστάτη εΐη· ηδύ μεν γαρίδόντας προσεύξασθαι, ήδύ δε άγνώς έχοντας προσιέναι.
Also zwei Forderungen betreffs der Lage: χώρα πρεπωδεστάτηist die, welche sowohl εμφανέστατη als άστιβεστάτη ist — weit
1 Delatte a. a. O. S. 103.2 a. a. O. S. 101 ff., 106 f.
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sichtbar und unzugānglich. Sie bekommen eine zweigliedrige,
rhetorisch-anaphorische, religiose Motivierung: ίδόντας προσεύξασθαι
und άγνως έχοντας προσιέναι.
Ohne Ubertreibung kann man behaupten, daB der Gedanke an
die Lage der Tempel und Altāre n i c h t zu dem fūr Sokrates, wie
wir ihn kennen, am meisten Bezeichnenden gehō'rt, sollte er auch
in seinen Gesprāchen ab und zu āhnliche Fragen beriihrt haben.
Der sichere Ton, die allumfassende Einsicht, das groBe Wissen in
alien Dingen, auch in denen, die der BPhilosophie" recht fremd
sind, geben einen anderen Sokrates alš den platonischen an und
atich als den frei prufenden, unwissenden Sokrates, der auch sonst,
auch z. T. bei Xenophon; bežeugt ist. Sein in Platons Phaidroā
230 lebendig erzāhltes Fremdsein in der Natur auBerhalb der
Stadt, sein im allgemeinen mangelndes Interesse fur die Scho'n-
heit der Landschaft deutet nicht auf Lust, die miihevollen Pilger-
fahrten nach hochgelegenen Kultplātzen mitzumachen. Ob der wirkliche
Sokrates so groBes Interesse fūr Fragen der positiven Gottešver-
ehrung wie der xenophontische oder Xenophon selbst gehegt hat,
kann jedenfalls bezweifelt werden.
Dāgegen scheint mir diese Stellē ein typisches Beispiel des
attischen, z. T. allgemein hellenischen Einschlages in der allum-
fassenden Weisheit, die der xenophontische Sokrates bietet, zu seini
Zugleich erinnern die Worte an Xenophons eigenen frommen,
humanen und oft feinfuhligen Sinn. Ein paar Worte daruber.
Also zwei Forderungen, wenn die Lage πρεπωδεστάτη sein soil.
E r s t e n s : sie soil εμφανέστατη sein — im hfichstenGrade sichtbar,
weithin sichtbar. Diese Regel gilt ja im allgemeinen von den grofien
griechischen Tempeln, mit davon liegenden Altāren oder ohne sie, nicht
nur und nicht zuerst von den Heiligtumern in den groBen Stādten,
sondern vor allem von denen auf den alten heiligen Plātzen, auf Ge-
birgen, in Bergsatteln, an Abhāngen usw. Die Meinung des Sokrates
ist nach dem Kiihnerschen Kommentar von der gewohnlichen Meinung
abweichend: er will Tempel und Altar ganz offen liegend haben,
nicht von Mauer und Hain umgeben. Dies trifft nicht zu; die
Worte geben vielmehr eine sehr gewohnliche Ordnung wieder. Die
Stadt hat ja, wenn mōglich, ihren Tempel und Hauptaltar auf der
Akropolis, der Burgklippe; diese kann aber im Lauf der Zeit von
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anderen heiligen und offentlichen Bauten uberfullt, dazu mit Mauern
umgeben werden.
Aber die Lage soil auch άστιβεστάτη sein (vgl. unten). Dies
zeigt, daB es hier nicht in erster Linie den Tempeln in der Stadt
gilt. Und da bemerken wir, wie gut diese Worte mit einer in
Hellas gewo'hnlichen und beliebten fempellage ubereinstimmen.
Xenophons Sokrates spricht, wie oft, hellenisch oder attisch gemein-
gultig. Ičh will hier nur an ein paar bekannte Tempel erinnern:
den bewahrten auf Sunion, άκρον Άθηνέων, γ 278, und den aigine-
tischen Aphaia-Tempel;1 beide weithin sichtbar und, wenigstens der
letztere, nicht gerade leicht erreichbar. Dies gilt ζ. Τ. auch von
den Tempeln der groBen heiligen Plātze, wie Olympia und Delphi .
Vom Siiden aus, gegen den Kronoshfigel gesehen, haben die Tempel
in Olympia eine sehr markierte Lage, auch wenn das Ganze, aus
der Nāhe betrachtet, etwas chaotisch wirkt; man muB es aus einer
grōBeren Entfernung schauen, wahrend man sich der Altis nahert.
Dies ist in Delphi an seinem steilen Abhang noch mehr hervor-
tretend, wenn man von unten, vom Pleistos-Tal, gegen dasTemenos,
das wie am Berge hāngt, hinaufsteigt. — Auch auf anderen heiligen
Plātzen kann man eben diese χώρα ήτις εμφανέστατη bemerken.
So kann man Gegenstiicke in Korinth, in Magna Graecia und
sonst finden. Natiirlich kann man auch an die Burgh6hen von Athen
und anderer Stādte und ihre groBen Tempel denken. — Und zuletzt
ein gutes, aber nur hypothetiscb.es Beispiel: Wenn Apollon unten
in Asine in Argolis, wo die schwedischen Archāologen gegraben
haben, seinen Tempel auf der Barbuna-Hfihe gehabt hat,2 so erfiillt
die Lage in ganz besonderem Sinn die hier gestelltenForderungen.—
Sokrates spricht in den Worten bei Xenophon im Namen des ganzen
Volkes,- der ganzen Hellas. Ob er sonst so zu sprechen liebte, ist
zweifelhaft.
Und dazu noch eins. Die Betrachtung, welche die Worte fārbt,
erinnert gewissermaBen an Xenophons Betrachtung, wo er im eigenen
Namen spricht. Ich denke an die episodenartige Schilderung seiner
spāteren Heimat in Skillus (ΣκΛλοϋς) siidlich von Olympia und
des von ihm gegriindeten Tempels, die er uns Anab. V, 3, 7 ff. — in
1 Dieser Tempel ist ja auch auf die wunderbarste Weise in die Landschafthineingelegt, mit wohl berechnetem Blick nach Osten und Westen.
2 O. Frödin, Utställning av fynd och bilder från Asine (1925), S. 15 f.
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Erinnerung an den Artemis-Tempel in Ephesos — gibt. Im Ein-
zelnen ist die Ubereinstimmung nicht groB — ganz natiirlich, da
es im letzteren Falle einer exakten Beschreibung gilt, im fruheren
einer allgemeinen Regel oder Forderung. Aber das Interesse furdie richtige Lage und Anordnung scheint in beiden Fallen dasselbe
zu sein. Das Topographische hat immer Xenophon (nicht Sokrates)
in hohem Grad interessiert. Er behandelt Σκιλλοϋς mit dem FluC
Σελινοϋς 3, 7, Σελινοϋς und den Tempel in Ephesos 8, auch Uber-
einstimmung des Tierlebens in den Fliissen; der ναός und der
βωμός begegnen 9 (vgl. die Worte in den Memorabil.), dazu Zehnten,
Produkte im Tempelbezirke usw.; Jagd (vor allem die der Kinder
Xenophons und anderer), verschiedene Tiere 10; Entfernung von
Olympia, auf dem Gebiete λειμών und όρη δένδρων μεστά — beachte
die Tempellage — mit Nahrung ffir die σύες, αΐγες, βόες und ίπποι
(Zugtiere fiir das Fest) 11; άλσος ήμερων δένδρων um den Tempel,
mit δσα έστι τρωκτά ώραΐα — άλσος gehōrt ja zu einem richtigen,
freiliegenden Tempel mit (vgl. im Folgenden zu άστιβεστάτη) 12;
dazu noch ein Vergleich mit dem Tempel in Ephesos; zuletzt in
13 Beschreibung der στήλη, die am Tempel steht, und ihrer
Inschrift.1
Wie gesagt, Ubereinstimmungen in Einzelheiten betreffs der
Tempellage finden wir nicht hier, auch nicht wichtigere Wortahn-
lichkeiten, aber das rege Interesse fiir richtige Lage des Tempels
und des Altars ist den beiden Stellen gemeinsam; in der Anabasis
geht Xenophon ins Einzelne, weit mehr als der Vergleich mit dem
Tempel in Ephesos es verlangt. Dies Interesse, verschieden aus-
gedrūckt, paBt sehr gut fur Xenophon, aber kaum fur Sokrates —
auch wenn er den Stoff in dem einen oder anderen Gesprāch
beriihrt hat.
Eine Beschreibung von Skillus gibt auch Pausanias V, 6,4 ff.,
aber etwas Neues fiir die Beleuchtung unserer Frage gewinnen
wir nicht durch einen Vergleich mit Xenophon. Wir hōren in 6,5
von Xenophons Flucht und dem Bau in Skillus: κατοικήσας . . . εν
ΣκΛλοϋντι τέμενος τε καΐ ίερόν καΐ ναόν Άρτέμιδι ωκοδομήσατο
Έφεσία; in 6 spricht der Autor von der Jagd, vom Flusse Selinus
1 Ober den Tempel vgl. L. Weniger, Neue Jahrb. f. klass. Alt. 19 (1907),S. 96 ff. (vor allem 101 f., mit dem antiken Stoff), 'Der Artemisdienst inOlympia und Umgegend'.
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und von einem ρήμα, das άπωτέρω τοϋ ίεροϋ liegt; die Einwohner
sagen, daB es τοϋ Ξενοφώντος ist. Die Skillus-Tradition war also
lebendig.1
Unmittelbar hat der Tempel in Skillus nicht die Worte in den
Memorabilien inspiriert oder beeinfluCt, ihre Abfassung mag friiber
oder spāter fallen. —
Ich komme jetzt zur zwei ten F o r d e r u n g : Die Lage soil άστι-
βεστάτη sein. Es gilt nicht nur ίδόντας προσευξασθαι (beachte die
hellenische Betonung des S e h e n s , der B e t r a c h t u n g , in der
Natur und der Religion), sondern auch άγνως έχοντας προσιέναι:
man soil schon von der Betrachtung ergriffen sein, wenn man sich
dem Tempel oder dem Altar nāhert, und die Wanderung durch
den heiligen Bezirk soil eine Reinigung sein oder bei der Reini-
gung Hilfe leisten. Dies wird durch das rhetorische, anaphorisch
gestellte ήδύ μ£ν . . . ήδί> δε ausgedrtickt. Das Wort άσεβης, ηοη
calcatus, non tritus (Stephanus), unbetreten, daher einsam, wird
gerade von heiligen Plātzen und Tempelbezirken benutzt; es ist
fur sie eine notwendige Forderung, daB sie von Menschen, vom
menschlichen Lārm und Treiben frei sein sollen. So gerade vom
heiligen άλσος Soph. Oed. Col. 126 άστιβές άλσος Ις τανδ' άμαιμακεταν
κοραν (άβατον, άπροσπέλαστον Schol.; hier, wie oft άβατος, 'nicht
(zu) betreten'); Aias 657 χώρον . . . άστιβη; auch von έδός usw.
Schon hier bemerken wir einen gemeinhellenišchen Zug. Der
Eindruck wird verstārkt nicht nur durch Studium der Verwendung
des Wortes άστιβής, sondern auch durch Vergleich mit verwandten
Gedanken in anderem Zusammenhang. Sie geben der Ehrfurcht vor
der Heiligkeit des stillen Platzes, dem Gefiihl des Unberiihrten, des
von menschlicher Eile und Unruhe Freien, des Go'ttlichen Ausdruck;
die Stille in der Umgebung des Tempels oder des Altars vermittelt
diesen Eindruck. Es liegt etwas davon auch in der beinahe selbst-
verstāndlichen Erwahnung des άλσος in der Skillus-Schilderung
in Anabasis. Ein Platz dieser Art ist naturlich sehr wohl ohne
ErwShnung von Tempel und Altar denkbar; die Unberiihrtheit, die
deutliche Gegenwart der Gottheit usw. kann auch das Gefiihl und
das Wort hervorrufen.
1 Ober das jetzige Skillus s. J. Partsch, Olympia, Textband I, Topographieund Geschichte, S. 10 f. (sumpfiger Talboden, Hügel mit Spuren alterBebauung).
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Tempel und Altar bei Xenophon 7
Als ein typisches, obgleich stark poetisch ausgeformtes Beispiel
kann man Eurip. Hipp. Vv. 73 ff. betrachten — Hippolytos' Worte
im letzteren Teil des Prologes, als er den frischen Kranz an den
Altar der Artemis niederlegt. Auch hier kommt die Vorstellung
vom άστιβές mit. Der Kranz stammt von einem ακήρατος λειμών,
der von Hirten, Vieh und Schnittern unberiihrt ist; nur die μέλισσα
ήρινή bewegt sich hier, und — vor allem — Αίδώς δε ποταμίαισι
κηπεύει δρόσοι?. Das Recht, Blumen hier zu pflucken, kommt nur
denen zu, welche von der Natur, nach dem frommen Glauben des
Hippolytos, το σωφρονεΐν besitzen. — Trotz der sehr verschiedenen
Worte und des verschiedenen Zusammenhangs findet sich hier eine
nicht geringe innere Verwandtschaft mit den sokratischen Worten
bei dem — natiirlich — mehr prosaischen und niichternen Xeno-
phon. Auch ein Schwarmer wie Hippolytos konnte wohl, von seinem
ganz anderen religiōsen Standpunkt aus, bei seiner frommen Wan-
derung nach der unberflhrten, blfihenden Wiese die Worte ge-
brauchen: ήδύ άγνώς έχοντας xpoatlvat; die verschiedenen Typen
begegnen sich hier in demselben oder im verwandten Gefuhl.
Dieses Gefuhl und diese Stimmung sind echt hellenisch, aber kaum
rein sokratisch, was immer er in seinen Gesprāchen gesagt hat, und
was immer man mystisch bei ihm nennen mag.1
Der Stil dieser lyrisch gefārbten Verse — vgl. das gut bezeugte
σίδαρος V. 76 — ist auch keine isolierte Erscheinung. Das Wort
ακήρατος und verwandte Worte hSngen mit diesem Vorstellungs-
kreis nahe zusammen (vgl. Steph. Thes. I, Sp. 1198); vgl. ζ. Β.
άτομος (άτομον . . . λειμώνα Soph. Trach. 200). Stilistisch ist auch
Ovidius' Schilderung der Quelle, wo Narcissus gefesselt wird, zu
vergleichen (Metam. Ill, 407 ff.),2 obgleich das religiose Gefuhl hier
ganz naturlich wenig ausgeprāgt ist; hier finden wir die — spāter
sehr sentimentale — Schwarmerei fiir einsame Natur stark her-
vortretend. Diese wachsende Gruppe von poetischen Ausdriicken
hat man meines Wissens mit den Tempelforderungen des xeno-
phontischen Sokrates nicht zusammengestellt; es gibt jedoch hier
einen Zusammenhang, wie zwischen dem hellenischen Naturgefuhl
und den verschiedenen Religionsformen.
1 Vgl. jetzt Robin, La morale antique (1938), S. 31 u. 36.2 Vgl. die Kommentare zu Eur. Hipp. a. a. O.
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8 Rudberg: Tempel und Altar bei Xenophon
Jedenfalls ist die Ehrfurcht vor der unberiihrten Natur, die eine
Grenze zwischen dem gewohnlichen Leben und dem heiligen Platz
bilden soil, keiner der grofien religiōsen Strōmungen oder den
entsprechenden Typen in Hellas fremd — man mag sie vorhelle-
nisch und hellenisch, dionysisch-mystisch und apollinisch oder mit
anderen Bezeichnungen nennen. Nur ist sie mit verschiedener
Deutlichkeit in verschiedenen Texten und Zusammenhāngen an-
gedeutet. So wird hier bei Xenophon die Betonung des Wortes
άσ-ηβεστάτη durch das folgende άγνώς έχοντας verstārkt (vgl. die
Behandlung oben). —
Xenophon hat hier, wie so oft sonst, einer verbreiteten attischen
und hellenischen Meinung oder Stimmung Ausdruck gegeben und
seine . Worte in Sokrates' Mund gelegt — den Gedanken mit
sokratischer Verkiindigung und Theorie verbunden (die Theorie
kann ja auch halbsokratisch sein1). Sokrates selbst war gewiB der
gew6hnlichen Stimmung mehr fremd. Davon mehr in anderem
Zusammenhange.
1 Delatte a. a. O. S. 103, 107.
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