27
SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Oliver Thrnert Terror mit chemischen und biologischen Waffen Risikoanalyse und Schutzmglichkeiten S 14 April 2002 Berlin

Terror mit chemischen und biologischen Kampfstoffen...Chemische Kampfstoffe 11 Beispiele terroristischer Aktivitäten mit biologischen und chemischen Kampfstoffen 12 Terroristische

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

    Oliver Thränert

    Terror mit chemischenund biologischen WaffenRisikoanalyse und Schutzmöglichkeiten

    S 14April 2002Berlin

  • Nachweis in öffentlichzugänglichen Datenbankennicht gestattet.Abdruck oder vergleichbareVerwendung von Arbeitender Stiftung Wissenschaftund Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorherigerschriftlicher Genehmigunggestattet.

    © Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2002

    SWPStiftung Wissenschaft undPolitikDeutsches Institut fürInternationale Politik undSicherheit

    Ludwigkirchplatz 3−410719 BerlinTelefon +49 30 880 07-0Fax +49 30 880 [email protected]

  • Inhalt

    Problemstellung und Empfehlungen 5

    Zugang zu und Umgang mitbiologischen und chemischen Kampfstoffen 7Biologische Kampfstoffe 7Verfügbarkeit der Erreger 7Beschaffung über Staaten 8Anwendung 9Chemische Kampfstoffe 11

    Beispiele terroristischer Aktivitäten mitbiologischen und chemischen Kampfstoffen 12Terroristische B- und C-Waffen-Aktivitätenvor dem 11. September 2001 12Al Qaida 13Milzbrandbriefe 13

    Eine neue Art von Terroristen 16Sind biologische und chemische Kampfstoffefür Terroristen wirklich interessant? 16Der 11. September 2001 17

    Gegenmaßnahmen 18Vorbeugung 18Schutz 19

    Ausblick 27

    Abkürzungen 27

  • SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    5

    Problemstellung und Empfehlungen

    Terror mit chemischen und biologischen Waffen.Risikoanalyse und Schutzmöglichkeiten

    Die von der Terrororganisation Al Qaida zu verantwor-tenden Anschläge vom 11. September 2001 habeneiner breiten Öffentlichkeit die Gefahren vor Augengeführt, die vom internationalen Terrorismus aus-gehen. Unmittelbar nach diesen Anschlägen starbenin den USA fünf Menschen an Lungenmilzbrand.Zumindest drei von ihnen hatten sich durch den Kon-takt mit entsprechend präparierten Briefumschlägenmit Milzbrandsporen infiziert. Die zunächst nahe-liegende Vermutung, daß die Briefe ebenfalls auf dasKonto von Al Qaida gingen, bestätigten sich nicht.Dennoch nahm in der Folge die Frage, wie wahr-scheinlich Terroranschläge mit biologischen undchemischen Kampfstoffen sind, breiten Raum in derDebatte über den internationalen Terrorismus ein.Wie ernst das Problem in den USA eingeschätzt wird,ist daran abzulesen, daß die amerikanische Regierungfür das Haushaltsjahr 2003 eine Steigerung der Aus-gaben zum Schutz vor Bioterrorismus um mehr als300 Prozent plant.

    In dieser Studie wird die Frage behandelt, wie großdie Gefahr tatsächlich ist, daß Terroristen biologischeoder chemische Kampfstoffe effektiv und mit erheb-licher Schadenswirkung einsetzen. Wäre ihnen diestechnisch möglich? Welche Motive könnten eine Rollespielen? In welchem Umfang haben sich Terroristenbisher mit chemischen und biologischen Waffenbeschäftigt? Und schließlich: Welche Schutzmaß-nahmen können ergriffen werden?

    Aussagen über die Wahrscheinlichkeit terroristi-scher Anschläge im allgemeinen und solcher unterVerwendung biologischer oder chemischer Kampf-stoffe im besonderen sind mit sehr vielen Unsicher-heiten behaftet. Die Ereignisse des 11. September 2001haben die amerikanische Regierung und die Sicher-heitsbehörden jedenfalls völlig überrascht. Als diejapanische Aum-Sekte im März 1995 den chemischenKampfstoff Sarin in der Tokioter U-Bahn ausbrachte,der zwölf Menschen tötete, hatte auch das niemandvorausgesehen.

    Terroristen können sich biologische und chemischeKampfstoffe auf verschiedenen Wegen verschaffen. Diegrößte Hürde besteht für sie darin, diese Stoffe so auf-zubereiten, daß sie damit auch wirklich großenSchaden anrichten können. Die Gefahren des Terroris-

  • Problemstellung und Empfehlungen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    6

    mus mit chemischen und vor allem biologischenKampfstoffen dürfen ungeachtet dessen nicht vernach-lässigt werden. Wenn die Verantwortlichen gut vor-bereitet sind, kann der Schaden im Ernstfall begrenztwerden. Insofern sind auch in Deutschland verbesserteGegenstrategien erforderlich, die sowohl Vorbeugungwie Schutzmaßnahmen umfassen müssen.

    Vorbeugende Funktion hätte erstens eine gestärkteKonvention zum Verbot biologischer Waffen. Die Ver-handlungen über ein Zusatzprotokoll zum B-Waffen-Übereinkommen (BWÜ) sind vorerst gescheitert.Dennoch sollte an dem Ziel festgehalten werden, dasBWÜ so zu stärken, daß sich möglichst viele Staatenüberprüfbar an das B-Waffen-Verbot halten. Dieswürde auch Terroristen den Zugang zu B-Kampfstoffenerschweren. Hilfreich wäre zweitens eine Intensivie-rung wissenschaftlicher Austauschprojekte mit demZiel, Experten an international geförderten zivilenProjekten zu beteiligen, die ehemals in der Sowjet-union an der Erforschung biologischer Waffengearbeitet haben. Drittens sollten die bereits seitJahren durchgeführten Projekte zur Vernichtung che-mischer Waffen in Rußland vorangetrieben werden.Durch eine verbesserte Kooperation könnten dieGeheimdienste schließlich, viertens, vermehrt zurVorbeugung von Terrorangriffen mit chemischen undbiologischen Kampfstoffen beitragen.

    Vorbeugung allein reicht jedoch nicht aus. Not-wendig ist darüber hinaus ein verbesserter Schutz derZivilbevölkerung. Dazu muß in Deutschland die Bund-Länder-Ebene intensiver vernetzt werden, etwa durchvermehrte Übungen, die auch zur verbesserten Koope-ration von Bundeswehr und zivilen Organisationenbeitragen würden. Von der Gründung einer Bundes-oberbehörde sollte abgesehen werden. Im einzelnenwerden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:! Bessere Ausbildung der Ärzteschaft im Hinblick auf

    bioterroristische Gefahren;! Überprüfung der derzeitigen Konzepte zur Arznei-

    mittelbevorratung;! intensivierte Verbesserung der Ausbildung des

    Rettungs- und Notfallpersonals;! Verbesserung der Ausrüstung der Zivil- und Kata-

    strophenschutzdienste;! Fortentwicklung der Konzepte zur Gründung von

    schnell verfügbaren, hochmobilen Einsatzgruppen;! verstärkte Investitionen in Forschungen an

    neuen Detektionsverfahren; neuen Antidoten, etwa gegen Botulinustoxin; neuen Impfstoffen, etwa gegen Pocken und Milz-

    brand.

  • Biologische Kampfstoffe

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    7

    Zugang zu und Umgang mitbiologischen und chemischen Kampfstoffen

    Biologische Kampfstoffe

    Zu den Krankheitserregern, die als biologische Kampf-stoffe in Frage kommen, zählen unter anderemBacillus Anthracis (Milzbrand); Yersinia Pestis (Pest);Variola-Virus (Pocken); Francisella Tularensis (Tula-rämie oder Hasenpest); Coxiella Burnetii (Q-Fieber);Lassa-Fieber; Ebola-Virus und Marburg-Virus. Toxine,die im Zusammenhang mit biologischen Waffenimmer wieder genannt werden, sind unter anderemBotulinustoxin, Ricin, Saxitoxin und StaphylocossusEnterotoxin B.

    Verfügbarkeit der Erreger

    Der Zugang zu vielen dieser Erreger und Toxinestünde Terroristen schon deswegen prinzipiell offen,weil sie frei in der Natur vorkommen. Milzbrand etwaist als Krankheit weltweit verbreitet und tritt gehäuftin Viehzuchtgegenden und in wärmeren Klimazonenauf.1 Terroristen könnten also Krankheitskeime vonerkrankten oder toten Menschen oder Tieren isolieren,etwa über Blutproben oder die Entnahme von Gewebe.Die anschließende Kultivierung der Keime ist einegängige Methode der Diagnostik, die medizinisch-mikrobiologisch geschultes Personal vor keine beson-deren Probleme stellt.

    Die Sporen von Clostridium Botulinum, das Bakte-rium, das das Botulinustoxin produziert, lassen sichfast überall im Erdreich und im Meeresboden finden.Das Milzbrandbakterium ist ebenfalls recht häufig imErdboden verbreitet. Bei den Ermittlungen im Zusam-menhang mit den in den USA versendeten Milzbrand-briefen fanden Wissenschaftler heraus, daß der soge-nannte Ames-Stamm des Milzbrandbakteriums inTexas oft im Erdreich vorkommt. Daher wurde dieBefürchtung geäußert, Terroristen könnten ihn dortaus dem Boden isolieren.2 Dabei gibt es aber sehr viele

    1 Vgl. Vera Zylka-Menhorn, Steckbrief von unsichtbaren»Tätern«. Pathogenese, Diagnose, Therapie und Prophylaxeder Erreger, die als »B-Waffen« in Frage kommen, in: Deut-sches Ärzteblatt, 19.10.2001, S. A2692A2694.2 Vgl. William J. Broad, Geographic Gaffe Misguides AnthraxInquiry, in: New York Times, 30.1.2002, S. 12.

    Milzbrandstämme von unterschiedlicher Virulenz.Terroristen könnten die Gefährlichkeit eines Milz-brandstammes nur im Vergleich mit anderen Stäm-men oder durch Versuche bemessen.

    An Krankheitserregern und Toxinen wird auch zumedizinischen Zwecken geforscht. Dabei ist es gängigePraxis, daß Forscher Krankheitskeime oder Toxineuntereinander austauschen. Darüber hinaus hat eineReihe von Staaten Schutzprogramme gegen biologi-sche Waffen aufgelegt, in deren Rahmen gefährlicheErreger erforscht werden. Auch hier ist der Austauschvon Erregern zu Forschungszwecken unter befreun-deten Staaten üblich.

    Um Wissenschaftlern den Zugang zu Krankheits-erregern und Toxinen zu erleichtern, werden ent-sprechende Sammlungen unterhalten. Auf qualifi-zierte Anforderung werden Mikroorganismen ver-sandt. Da in der Vergangenheit Terroristen mehrfachversucht haben, sich unter Vorspiegelung falscherTatsachen bei der weltweit größten Sammlung, derAmerican Type Culture Collection, zum Beispiel Milzbrand-oder Pestbakterien zu verschaffen, ist in den USA seitMitte der neunziger Jahre für nicht autorisierte Per-sonen der Zugang zu solchen Sammlungen erschwertworden. In Deutschland benötigt man für besondersgefährliche Erreger schon seit langem eine soge-nannte Umgangsgenehmigung.

    Das Botulinustoxin, die giftigste bekannte Substanzüberhaupt, hat in verschiedenen B-Waffen-Projektenimmer wieder eine Rolle gespielt. So hatte der Irak vordem Golfkrieg 1991 große Mengen Botulinustoxin pro-duziert. Auch die japanische Aum-Sekte stellte das Gifther und versuchte, es auszubreiten, richtete damitaber keinerlei Schaden an.

    Botulinustoxin wurde vor wenigen Jahren als erstesnatürliches Gift auch als allgemein anerkanntes Arz-neimittel zugelassen. In kleinsten Mengen verab-reicht, dient es zur Bekämpfung bestimmter Muskel-erkrankungen. Der Einsatz von Botulinustoxin beiweiteren Erkrankungen und Beschwerden wird der-zeit geprüft. Auch für kosmetische Gesichtskorrek-turen wird das Gift bereits verwendet.

    Nur sehr wenige Firmen stellen Botulinustoxin her,und das auch nur in sehr kleinen Mengen. In den USAarbeiten die entsprechenden Unternehmen mit dem

  • Zugang zu und Umgang mit biologischen und chemischen Kampfstoffen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    8

    Verteidigungsministerium zusammen, um sicherzu-stellen, daß das von ihnen hergestellte Botulinustoxinnicht in falsche Hände gerät und nicht für terroristi-sche Zwecke mißbraucht werden kann. Die Substanzwird in extrem verdünnter Form produziert, in der siesich so heißt es nicht als biologische Waffen ein-setzen läßt.3 Nicht auszuschließen ist aber, daß Botu-linustoxin im Zuge der vermehrten kommerziellenVerwendung auch für Terroristen zugänglich wird.

    Einen Sonderfall stellt das Pockenvirus dar. ImUnterschied zu anderen Erregern, die auch in Tier-beständen verbreitet sind, kommt für das Pockenvirusals einziger Wirt nur der Mensch in Frage. Mit einerbreit angelegten Impfkampagne der Weltgesundheits-organisation konnten die Pocken derart wirksambekämpft werden, daß sie im Dezember 1979 für aus-gerottet erklärt wurden. Damit gelang der Medizin eineinmaliger Sieg über eine Seuche, die in der Geschich-te der Menschheit zahlreiche Opfer gefordert undimmer wieder Angst und Schrecken verbreitet hat.4

    Da es praktisch nun nicht mehr möglich ist, daß sichMenschen mit Pocken infizieren, und da dieserErreger weder in der Tierwelt vorkommt noch imBoden verbreitet ist, besteht für Terroristen auchkeine Möglichkeit, ihn aus der Natur zu isolieren.

    Nachdem die Pocken für ausgerottet erklärt wordenwaren, forderte die Weltgesundheitsorganisationsämtliche Forschungslaboratorien auf, ihre Variola-Bestände zu melden und zu zerstören. Die Zerstörungwurde jedoch vor Ort nicht kontrolliert. Lediglich dasZentrum für Seuchenkontrolle in Atlanta/USA sowiedas Staatliche Institut für Virologie und Biotechnolo-gie (VECTOR) in Koltsowo/Rußland verfügen legitimer-weise noch über Variola-Referenzstämme. Die Vor-stellung, einzig diese beiden Laboratorien besäßenheute noch Pockenerreger, bezeichnete der Direktordes National Institute of Allergy and Infectious Diseases,Anthony Fauci, erst kürzlich als Unsinn.5

    Die ehemalige Sowjetunion hatte im Rahmen ihresoffensiv ausgerichteten B-Waffen-Programms ingroßem Stil Pockenviren produziert. Ken Alibek, deran führender Stelle an diesem Projekt mitwirkte undAnfang der 90er Jahre in die USA emigrierte, berich-tet: »In den siebziger Jahren war das Pockenvirus so

    3 Vgl. Kurt Langbein/Christian Skalnik/Inge Smolek, Bioterror.Die gefährlichsten Waffen der Welt, Stuttgart/München 2002,S. 175f.4 Vgl. Jonathan Tucker, Scourge. The Once and Future Threatof Smallpox, New York 2001.5 Vgl. Ronald D. Gerste, Terror mit Pocken?, in: FrankfurterAllgemeine Sonntagszeitung, 10.2.2002, S. 65.

    wichtig für unser Arsenal biologischer Kampfstoffe,daß das militärische Oberkommando befahl, 20Tonnen pro Jahr vorrätig zu halten. Die Kampfstoffewurden auf Armeeanlagen in Sagorsk [in der NäheMoskaus, OT] gelagert und mußten entsprechend derVerfallsquote jährlich ergänzt werden. Eine Knappheitan Vorräten wollten wir uns nicht leisten.«6

    Auch während der Gorbatschow-Ära, zu einer Zeitalso, als die Pocken bereits für ausgerottet erklärtworden waren, wurden die Arbeiten an diesem Pro-gramm fortgesetzt. Bis in die Endphase der Sowjet-union hinein war geplant, in Koltsowo jährlich 80 bis100 Tonnen Pockenviren herzustellen. Offenbarspornte die Tatsache, daß nicht mehr gegen Pockengeimpft wurde, die Verantwortlichen in der Sowjet-union sogar noch an.7

    Aufgrund dieser umfassenden Produktion vonPockenviren in der Sowjetunion ist es daher möglich,daß auch heute noch in Rußland Pockenviren existie-ren, die über das Volumen der an die Weltgesundheits-organisation gemeldeten Variola-Bestände hinaus-gehen. Nicht auszuschließen ist, daß diese Erreger anstaatlichen Aufsichtsbehörden vorbei Terroristenbereits in die Hände gefallen sind oder daß Terroristenin Zukunft versuchen werden, sich Zugang zu ihnenzu verschaffen. Dies wäre gerade deswegen so besorg-niserregend, weil seit 1980 nicht mehr gegen Pockengeimpft wird und weite Teile der Weltbevölkerungdaher über keinen wirksamen Schutz mehr verfügen.

    Beschaffung über Staaten

    Terroristen könnten aber auch mit Staaten kooperie-ren, in denen trotz internationalen Verbots nochimmer offensive B-Waffen-Programme durchgeführtwerden. US-Geheimdienste gehen derzeit von etwaeinem Dutzend Staaten aus, die bereits B-Waffenbesitzen oder entsprechende Projekte unterhalten.8

    Die Sowjetunion unterhielt bis 1992 ein sehr breitangelegtes offensives B-Waffen-Programm. Etwa 9000Wissenschaftler waren in einem über das ganze Landverteilten Netz von ungefähr 47 Einrichtungen be-schäftigt. Der volle Umfang ihrer Arbeiten konnte bis

    6 Ken Alibek mit Stephen Handelman, Direktorium 15 Ruß-lands Geheimpläne für den biologischen Krieg, München/Düsseldorf 1999, S. 143.7 Vgl. ebd, S. 154.8 Vgl. John Lauder, Special Assistant to the Director of CentralIntelligence for Nonproliferation, Public Diplomacy Query,4.3.1999, http://www.pdq2.usia.gov/scripts/cqcgi.exe.

  • Biologische Kampfstoffe

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    9

    heute nicht aufgeklärt werden. Nach Einschätzungamerikanischer Geheimdienstquellen ist zumindestunsicher, ob dieses Programm, wie vom damaligenrussischen Präsidenten Jelzin 1992 versprochen, wirk-lich vollkommen eingestellt wurde. Ebenso offen ist,ob biologische Kampfstoffe aus dem sowjetischenProgramm in die Hände von Terroristen gefallen sind.

    Besonders problematisch ist in diesem Zusammen-hang das ehemalige B-Waffen-Übungsgelände auf der»Insel der Wiedergeburt« im Aral-See. Auf dieser Insel,die heute teils zu Kasachstan, teils zu Usbekistangehört, wurden zu Sowjetzeiten Feldversuche unteranderem mit Milzbrand, Pest, Pocken und Tularämiedurchgeführt. Noch vor dem Ende der Sowjetunionwurden dort Milzbrandsporen in größeren Mengenvergraben. Die entsprechenden Container sind mittler-weile undicht geworden. Amerikanische Wissenschaft-ler, die seit 1997 auf Einladung der usbekischen undder kasachischen Regierung Zugang zu dem Geländehaben, wiesen an verschiedenen Stellen gefährlicheMilzbrandsporen nach. Da das ehemalige, zudemkaum gegen unautorisierten Zugang gesicherte Test-gelände wegen der Austrocknung des Aral-Seesinzwischen keine Insel mehr ist, besteht die Gefahr,daß sich gefährliche Krankheitserreger ausbreiten. ImHerbst 2001 vereinbarten das amerikanische Verteidi-gungsministerium und die Regierungen Usbekistansund Kasachstans, das ehemalige Testgelände gründ-lich zu reinigen. Dafür will Washington bis zu 6 Mil-lionen US-Dollar aufwenden.9

    Ob sich Terroristen aus der ehemaligen Sowjet-union biologische Kampfstoffe besorgt haben, ist nichtnachweisbar. Denkbar ist, daß terroristische Gruppie-rungen versucht haben, ehemalige Wissenschaftlerdes sowjetischen B-Waffen-Programms anzuwerben.Während diese Wissenschaftler zu Zeiten der Sowjet-union einen privilegierten Status hatten, sind sie nunhäufig arbeits- und mittellos.10

    Irak ist das zweite Land, von dem definitiv bekanntist, daß es ein offensives B-Waffen-Programm unter-hielt. Vor dem Golfkrieg 1991 stellte der Irak großeMengen Milzbrand, Botulinustoxin, Gasbrand undAflatoxin her. Bagdad behauptete, die Kampfstoffe vorder Ankunft internationaler Inspekteure der UN-Kom-mission (UNSCOM) vernichtet zu haben, was jedochnie glaubwürdig nachgewiesen werden konnte. Inter-

    9 Vgl. Judith Miller, U.S. Agrees to Clean Up Anthrax Site inUzbekistan, in: New York Times, 23.10.2001, S. 16.10 Vgl. Judith Miller/Stephen Engelberg/William Broad, Germs.Biological Weapons and Americas Secret War, New York2001.

    nationale Expertengremien kamen in Berichten fürden UN-Sicherheitsrat zu dem Schluß, daß das Aus-maß des irakischen B-Waffen-Programms nicht genaubeurteilt werden könne.11 Seit 1998 haben in Irakkeine internationalen Inspektionen mehr stattgefun-den. So wird befürchtet, daß die Arbeiten an biologi-schen Kampfstoffen in dieser Zeit wieder intensiviertwurden.12 Ob Kampfstoffe oder Know-how aus demIrak an Terroristen transferiert wurde, ist nichtbekannt.13

    Anwendung

    Würden Terroristen selber ein B-Waffen-Programmauflegen wollen, bräuchten sie neben den Krankheits-erregern oder Toxinen auch technische Einrichtungen(z.B. Fermenter, Nährlösungen sowie Sicherheits-einrichtungen). Diese zivil verwendbaren Produktesind ohne weiteres auf dem freien Markt erhältlich.

    Das amerikanische Verteidigungsministeriumstartete einen breit angelegten Versuch, um heraus-zufinden, ob es Terroristen möglich wäre, die für dieHerstellung von B-Waffen notwendigen Ausrüstungs-gegenstände zu beschaffen. Verdeckt operierendenMitarbeitern gelang es, eine kleine Fabrik zusam-menzukaufen, deren Kernstück ein 50-Liter-Fermenterbildete. Mittels ungefährlicher Mikroorganismenkonnte nachgewiesen werden, daß auch gefährlichereErreger gezüchtet werden könnten. Die in der Wüstevon Nevada errichtete Anlage kostete nach Angabendes US-Verteidigungsministeriums weniger als eineMillion US-Dollar eine Summe, die für gut aus-gestattete Terrorgruppen keine ernsthafte Hürde dar-stellen sollte.14

    11 Vgl. Gabriele Kraatz-Wadsack, Biologiewaffen Abrüstungund Langzeitüberwachung durch die Vereinten Nationen imIrak: Ein Erfahrungsbericht, in: Vierteljahresschrift Sicher-heit und Frieden, (2000) 3, S. 269272.12 Vgl. Judith Miller, An Iraqi Defector Tells of Work onat Least 20 Hidden Weapons Sites, in: New York Times,20.12.2001, S. 6.13 Trotz intensiver Untersuchungen konnten amerikanischeErmittlungsbehörden jedenfalls nicht nachweisen, daß eseinen Zusammenhang zwischen irakischen B-Waffen-Forschungen und den in den USA aufgetauchten Milzbrand-Briefen gab. Vgl. William Broad/David Johnston, U.S. InquiryTried, but Failed, to Link Iraq to Anthrax Attack, in: New YorkTimes, 22.12.2001, S. 8.14 Vgl. Judith Miller/Stephen Engelberg/William J. Broad, U.S.Germ Warfare Research Pushes Treaty Limits, in: New YorkTimes, 4.9.2001, S. 5; Sidney E. Dean, Biologische Waffen-

  • Zugang zu und Umgang mit biologischen und chemischen Kampfstoffen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    10

    Allerdings würde der Umgang mit Mikroorganis-men und ihre Züchtung für Terroristen eine erheb-liche Herausforderung darstellen. Besonders bei hoch-infektiösen Erregern wie Pocken- oder Ebola-Virenliefen sie Gefahr, sich selbst zu infizieren, bevor siedazu kämen, einen Anschlag auszuführen. Angesichtsder Selbstmordattentate jedenfalls islamistisch-extremistischer Täter ist zumindest nicht völlig aus-zuschließen, daß sie sich wissentlich etwa mit hoch-infektiösen Pockenviren infizieren, um dann zumBeispiel in großen Menschenansammlungen weitereAnsteckungen zu verursachen.

    Vermehrung und Lagerung von Mikroorganismensind ebenfalls keineswegs trivial. Grundsätzlich sinddie meisten Bakterien und Viren sehr instabil. Bak-terien sind Einzeller, die in geeigneten Nährlösungeneinfacher reproduziert werden können als Viren, fürderen Kultivierung man Tierzellen benötigt. Dasmacht das gesamte Verfahren wesentlich aufwendigerund komplizierter. Für Terroristen läge es nahe, Milz-brand herzustellen. Denn dieser bakterielle Erreger isteinfach anzuzüchten und leicht zu vermehren. Einzweiter Vorteil ist, daß die Milzbrandsporen sehrstabil sind und sich damit gut lagern lassen.15

    Könnten Terroristen aber und das ist letztlich dieentscheidende Frage und die für Terroristen wohl amschwersten zu überwindende Hürde biologischeKampfstoffe auch so ausbringen, daß sie einen wirk-lich großen Schaden anrichten?

    Erste Voraussetzung wäre die Produktion von bio-logischen Kampfstoffen in größeren Mengen. Dazuwürden Produktionsanlagen benötigt, die im Zeitaltermoderner Satellitentechnik unter Umständen nichtunentdeckt blieben. Allerdings gelang es einem CIA-Suchteam nicht, mittels Satellitenüberwachung dievom US-Verteidigungsministerium in der Wüste vonNevada errichtete kleine Fabrik aufzuspüren und zuidentifizieren, in der Terroristen virtuell B-Kampf-stoffe hätten herstellen können.16

    Die gängigste Methode, biologische Kampfstoffeeinzusetzen, dürfte darin bestehen, sie als Aerosole,als Nebelwolken abzuregnen. Doch die meisten Krank-heitserreger oder Toxine sind zu flüchtig oder instabil,um in dieser Form wirkungsvoll ausgebracht zuwerden. Sie sind zudem in den meisten Fällen anfällig

    forschung der USA: Abwehr der unsichtbaren Bedrohung, in:Informationen für die Truppe, (2001) 4, S. 3338.15 Vgl. Kathryn Nixdorff, Gefährdungen durch biologischeAgenzien, in: Vierteljahresschrift Sicherheit und Frieden,(1997) 4, S. 233240.16 Vgl. Dean, Biologische Waffenforschung (wie Anm. 14).

    gegenüber Sonnenstrahlung. In der Regel wäre esdarüber hinaus erforderlich, Krankheitserreger vorder Ausbringung mittels aufwendiger Verfahren zutrocknen. Anschließend müßten Partikelgrößenhergestellt werden, die sich von der angegriffenenBevölkerung einatmen lassen. Mitglieder der Bin-Laden-Gruppe sollen sich für in der Landwirtschaftgenutzte Flugzeuge interessiert haben, mit denenSchädlingsbekämpfer ausgebracht werden. Doch dieSprühvorrichtungen solcher Flugzeuge sind so aus-gelegt, daß große Teilchen ausgebracht werden, dieschnell zu Boden sinken. Solche relativ großen Par-tikel könnten aber von den angegriffenen Personennicht über die Lungen aufgenommen werden.17

    Für Terroristen dürfte es naheliegen, biologischeKampfstoffe in weitgehend geschlossenen Räumen zuversprühen, also beispielsweise in U-Bahn-Schächten.Zum einen würden dafür nur kleinere Mengen anKampfstoff benötigt, zum anderen wäre der nurschwer exakt vorauszuberechnende Einfluß vonWetterbedingungen wie Wind und Sonnenlicht aufdas Verhalten des Aerosols begrenzt.

    Eine weitere Option für den Einsatz biologischerKampfstoffe ist die Verseuchung des Trinkwassers.Doch dürfte sie ebenfalls nur schwer zu realisierensein. In den Industriestaaten unterliegt das Trink-wasser strengen Routinekontrollen. Das Wasser wirdregelmäßig durch größere Aquarien geleitet; wäre esmit Kampfstoffen verseucht, würden die ausgesetztenFische sterben. Die Trinkwasserversorgung könnte indiesem Fall unterbrochen werden. Außerdem wird dasTrinkwasser mit Chlor versetzt, das die meistenErreger neutralisiert. Schließlich enthalten die Reser-voirs derart umfangreiche Trinkwasservorräte, daßschon sehr große Mengen biologischer Kampfstoffebenötigt würden, wenn sie Wirkung zeigen sollen.

    Terroristen könnten aber auch völlig unkonventio-nelle Mittel und Wege finden, um biologische Kampf-stoffe einzusetzen. Doch dürfte das Schadensausmaßdabei wie die Vorfälle um die Milzbrandbriefe in denVereinigten Staaten im Herbst 2001 gezeigt haben inaller Regel gering sein.

    Der Einsatz biologischer Kampfstoffe mittels Rake-tensprengköpfen, Artilleriegranaten oder Kampfflug-zeugen dürfte bis auf weiteres einzig Staaten vorbe-halten bleiben. Zwar lehrt das Beispiel Afghanistan,daß eine Kooperation von Terrorgruppen mit Staatenoder quasi-staatlichen Gebilden möglich ist. Staaten,

    17 Vgl. Amy Smithson, Doomsday Talk, in: Washington Post,5.10.2001, S. A14.

  • Chemische Kampfstoffe

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    11

    die Terrorgruppen unterstützen, liefen aber Gefahr,von den USA mit militärischen Mitteln zur Rechen-schaft gezogen zu werden.

    Chemische Kampfstoffe

    Auch dem Zugang zu chemischen Kampfstoffendürften keine unüberwindlichen Hürden entgegen-stehen. Zum Teil handelt es sich um chemischeVerbindungen, die wie etwa Senfgas schon zur Zeitdes Ersten Weltkrieges bekannt waren, zum Teilwurden entsprechende Substanzen während desZweiten Weltkriegs oder kurz danach entwickelt. Dasgilt etwa für die verschiedenen Nervenkampfstoffe wieSarin, Soman, Tabun und VX. Die einschlägigen che-mischen Formeln sind allgemein bekannt, die notwen-digen Vorprodukte im Prinzip beschaffbar, und auchdas erforderliche Know-how bewegt sich nicht aufhohem Niveau. Die japanische Aum-Sekte hat dasNervengas Sarin bereits Mitte der neunziger Jahre her-gestellt, wenn auch offenbar in einem so unreinenZustand, daß die Einsatzwirkung begrenzt blieb.

    Auch bei den chemischen Kampfstoffen ist es vor-stellbar, daß Terroristen sie sich über Staaten beschaf-fen, die entsprechende Waffen besitzen. So ist bei-spielsweise der Irak nach wie vor in der Lage,chemische Kampfstoffe herzustellen. Besondersbesorgniserregend ist wiederum die Situation in Ruß-land, wo ca. 40 000 Tonnen chemischer Kampfstofflagern. Berichten zufolge sind nicht alle sieben russi-schen C-Waffen-Lager in einer Weise gesichert, daß einZugang für unautorisierte Personen ausgeschlossenwerden kann.18

    Um eine größere Schadenswirkung zu erzielen,müßten chemische Waffen zunächst in größeremUmfang hergestellt werden. Denn ihr Wirkungsgradist weit geringer als jener der meisten biologischenKampfstoffe. Dies bedeutet, daß chemische Kampf-stoffe sicher zwischengelagert werden müßten, bis diegeplante Gesamtmenge produziert worden ist.

    Wie biologische könnten auch chemische Kampf-stoffe als Aerosole ausgebracht, könnten auch sieeingesetzt werden, um das Trinkwasser zu vergiften.Dabei würden Terroristen jedoch auf dieselben Pro-bleme und Schwierigkeiten stoßen, die einem Einsatzvon biologischen Kampfstoffen im Wege stehen (s.o.).

    18 Vgl. Oliver Thränert, Chemical and Biological Weaponsin the Former Soviet Union: Potential Risks and PossibleResponses, in: Marco Polo Magazine, (2000) 1, S. 59.

  • Beispiele terroristischer Aktivitäten mit biologischen und chemischen Kampfstoffen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    12

    Beispiele terroristischer Aktivitäten mitbiologischen und chemischen Kampfstoffen

    Terroristische B- und C-Waffen-Aktivitätenvor dem 11. September 2001

    In den letzten Jahrzehnten haben Terroristen immerwieder und zum Teil mit Erfolg versucht, sich che-mische oder biologische Kampfstoffe zu beschaffen. InEinzelfällen kam es auch zu deren Einsatz. Hier einekleine Auswahl:! 1975 sind Zeitungsberichten zufolge 53 Kanister

    Senfgas aus einer amerikanischen Kaserne inDeutschland gestohlen worden. Die Rote ArmeeFraktion (RAF) wurde mit der Tat in Verbindunggebracht, ihre Täterschaft konnte aber nicht zwei-felsfrei nachgewiesen werden.

    ! Im Oktober 1980 wurde in Paris eine Gruppe derRAF entdeckt, die angeblich Botulinustoxin kulti-viert hatte.

    ! 1984 verseuchten zwei Mitglieder der Baghwan-Sekte im US-Staat Oregon die Salatbars einigerRestaurants mit Salmonellen, um den Ausgangeiner lokalen Wahl zu beeinflussen. 750 Personenerkrankten, 45 mußten ins Krankenhaus eingelie-fert werden.

    ! Beim ersten Anschlag auf das World Trade Centerim Februar 1993 soll dem von islamistischen Extre-misten benutzten Sprengstoff Natriumzyanid bei-gemischt worden sein. Durch die bei der Explosionentstehende Hitze sollte Blausäure freigesetztwerden. Da die Attentäter die chemischen Reaktio-nen aber falsch eingeschätzt hätten, sei dies nichtgelungen. Es ist unklar, ob diese Vorwürfe, die ame-rikanische Richter gegenüber den Attentäternerhoben, wirklich den Tatsachen entsprechen.

    ! Am bekanntesten ist der Fall der japanischen Aum-Sekte. Schon 1994 hatte sie in der japanischen StadtMatsumoto den chemischen NervenkampfstoffSarin freigesetzt, wodurch sieben Menschen zuTode kamen. Internationale Aufmerksamkeit fanddie Aum-Sekte jedoch erst, als sie im März 1995 inder Tokioter U-Bahn Sarin ausbrachte: Zwölf Per-sonen wurden getötet, über hundert verletzt. NebenChemiewaffen beschäftigte sich die Gruppe auchmit biologischen Kampfstoffen. Während einerEbola-Epidemie in Zaire im Jahre 1992 sollen Sek-tenmitglieder versucht haben, sich den Erreger vor

    Ort zu verschaffen. Aum-Mitglieder hatten darüberhinaus bereits an Vorrichtungen zur Verbreitungvon Milzbrand und Botulinustoxin gearbeitet. ZuBeginn der 90er Jahre versuchte die Sekte mehr-fach, in Tokio Milzbranderreger zu versprühen(unter anderem von einem Lastwagen aus), aller-dings ohne Schaden zu verursachen. Die Gruppehatte unwissentlich einen nicht virulenten Milz-brandstamm eingesetzt, der zur Impfstoffproduk-tion benutzt wird.

    ! Im März 1995 wurden zwei Mitglieder einer rechts-radikalen Organisation in Minnesota für schuldigbefunden, Morde an US-Beamten geplant zu haben,die mit dem Toxin Ricin vergiftet werden sollten.

    ! Wiederum in den USA wurde im Mai 1995 derRechtsradikale Larry Wayne Harris verhaftet, derversucht hatte, unter Vorspiegelung falscher Tat-sachen bei der American Type Cultur Collection Pest-bakterien zu bestellen.

    ! Im Dezember 1995 wurde ein US-Bürger beschul-digt, versucht zu haben, 130 g Ricin von Alaska ausnach Kanada einzuschmuggeln, um dieses Toxindort als Waffe einzusetzen.

    ! Larry Wayne Harris, dessen Strafe zur Bewährungausgesetzt worden war, wurde im Februar 1998erneut verhaftet. Diesmal wurde ihm der Besitz vonMilzbrandbakterien angelastet. Laboruntersuchun-gen ergaben jedoch, daß es sich um einen nicht-pathogenen Stamm handelte.19

    Darüber hinaus ist bekannt, daß es in den USA einerechtsradikale Szene gibt, die sich stark für chemi-sche, vor allem aber biologische Kampfstoffe interes-siert. So verbreitete ein gewisser Alex Curtis per Inter-net detaillierte Anweisungen zur Herstellung undzum Einsatz von Milzbranderregern und Typhus-kulturen. Der Rechtsradikale Timothy W. Tobiasonverkaufte auf amerikanischen Waffenmärkten einBuch mit Anleitungen zur Herstellung biologischerKampfstoffe und behauptete darüber hinaus, Milz-branderreger in kleinen Mengen gezüchtet zu haben.20

    19 Vgl. Jonathan B. Tucker (Hg.), Toxic Terror. AssessingTerrorist Use of Chemical and Biological Weapons, Cam-bridge, MA: Belfer Center for Science and InternationalAffairs, Harvard University, 2000.20 Vgl. Paul Zielbauer/William J. Broad, In Utah, a Government

  • Terroristische B- und C-Waffen-Aktivitäten vor dem 11. September 2001

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    13

    Nicht in allen Fällen waren Terroristen darauf aus,mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen eineMassenvernichtungswirkung zu erzielen. Die Mit-glieder der Baghwan-Sekte zum Beispiel hatten nichtdie Absicht zu töten, sondern durch Vergiftungeneinen taktischen Vorteil zu gewinnen.

    Keine der Terrorgruppen und keiner der Einzeltäterwar in der Lage, chemische oder biologische Kampf-stoffe mit militärisch effektiven Einsatzmitteln zuverbreiten. Sie verwendeten allesamt sehr einfacheMittel. In keinem der Fälle konnten Terroristen wirk-lich massiven Schaden im Sinne von Massenvernich-tung verursachen. Festzuhalten bleibt aber, daß es bei-spielsweise der Baghwan- und der Aum-Sekte gelungenist, chemische oder biologische Kampfstoffe herzustel-len und auszubringen, wodurch auch Menschen zuTode kamen.

    Al Qaida

    Nach den Anschlägen auf das World Trade Center inNew York und das Pentagon in Washington am11. September 2001 fragte sich die besorgte Öffent-lichkeit, ob die verantwortliche TerrororganisationAl Qaida im Besitz chemischer und biologischerWaffen sei. CIA-Direktor George J. Tenet hatte schonseit einiger Zeit darauf hingewiesen, daß Osama BinLaden, der Kopf von Al Qaida, den Besitz atomarer,biologischer und chemischer Waffen als religiösePflicht seiner Organisation ansehe. Übungen mitgiftigen biologischen und chemischen Substanzenseien bereits durchgeführt worden.21

    Darüber hinaus wurde bekannt, daß sich Mitgliederder Al Qaida mehrfach in der ehemaligen Sowjetuniondarum bemüht hatten, biologische Kampfstoffe zuerwerben. Eine mit Al Qaida kooperierende ägyptischeTerrororganisation hatte 1999 vergeblich versucht,sich Milzbranderreger zu verschaffen. Der ägyptischeGeheimdienst konnte den Handel vereiteln.22

    Dennoch ging man in westlichen Geheimdienst-kreisen vor dem Krieg gegen Al Qaida und die Talibanin Afghanistan davon aus, daß Al Qaida chemischeund biologische Kampfstoffe herstellte, sogar Tier-

    Hater Sells a Germ-Warfare Book, in: New York Times,21.11.2001, S. 12.21 Vgl. Vernon Loeb/John Ward Anderson, Al Qaeda May HaveCrude Chemical, Germ Capabilities, in: Washington Post,26.9.2001, S. A32.22 Vgl. Udo Ulfkotte, Dämon aus dem Labor, in: FrankfurterAllgemeine Zeitung, 26.9.2001, S. 3.

    versuche durchführte und seine Kader für den Einsatzchemischer und biologischer Kampfstoffe trainierte.

    Diese Annahmen konnten jedoch im Zuge vonErmittlungen der in Afghanistan eingesetzten US-Streitkräfte nur teilweise bestätigt werden. Auf offen-bar von Al-Qaida-Kämpfern in Kabul zurückgelassenenComputern wurden Pläne zur Entwicklung che-mischer und biologischer Waffen gefunden.23 In derNähe von Kandahar entdeckten amerikanische Streit-kräfte ein im Bau befindliches Labor, in dem dieTerrororganisation möglicherweise Milzbrandsporenvermehren wollte.24

    Diese Erkenntnisse scheinen jedenfalls das regeInteresse der Al-Qaida-Kämpfer an chemischen undbiologischen Kampfstoffen zu bestätigen. Nach vor-läufigen Ergebnissen von Untersuchungen amerika-nischer Regierungsstellen in Afghanistan kann jedochdavon ausgegangen werden, daß Al Qaida nicht überchemische oder biologische Kampfstoffe verfügte.25

    Milzbrandbriefe

    Die Furcht vor Terroranschlägen mit chemischen oderbiologischen Kampfstoffen wurde nach dem 11. Sep-tember durch Todesfälle in den USA genährt, die vonMilzbrandinfektionen verursacht worden waren. Am5. Oktober 2001 starb der Fotoreporter RobertStevenson in Boca Raton/Florida an Lungenmilzbrand.Vermutlich hatte er einen mit Milzbrandsporen gefüll-ten Brief erhalten, der jedoch nie aufgefunden wurde.Kurze Zeit später tauchten in der Redaktion der NewYork Post, beim Fernsehsender NBC, im Büro des Sena-tors Tom Daschle und mit zeitlicher Verzögerungwegen der zunächst unterbrochenen Postzustellung im Büro von Senator Patrick Leahy Briefe auf, die Milz-brandsporen enthielten. Weitere vier Personen starbenin der Folge an Lungenmilzbrand. Insgesamt hattensich achtzehn Personen mit Milzbrand infiziert elfüber die Lunge und sieben über die Haut. Unklarblieb, ob sich alle Todesfälle auf die verschicktenBriefe zurückführen lassen.

    23 Vgl. Konzept: Napalm, in: Süddeutsche Zeitung, 2.1.2002,S. 6.24 Vgl. Michael R. Gordon, U.S. Says It Found Qaeda Lab BeingBuilt to Produce Anthrax, in: New York Times, 23.3.2002,S. 12.25 Vgl. David Johnston/James Risen, U.S. Concludes Al QaedaLacked a Chemical or Biological Stockpile, in: New YorkTimes, 20.3.2002, S. 6.

  • Beispiele terroristischer Aktivitäten mit biologischen und chemischen Kampfstoffen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    14

    Aufgrund der zeitlichen Nähe zum 11. Septemberlag es zunächst nahe, Al Qaida als Drahtzieher hinterdiesen Anschlägen zu vermuten, doch wurde dieseVermutung von den ermittelnden Behörden schnellwieder fallengelassen. Statt dessen richtete sich dieAufmerksamkeit auf rechtsgerichtete Gruppen in denUSA.26

    Im Laufe der Ermittlungen deutete manches daraufhin, daß die in den Briefen versendeten Milzbrand-sporen des sogenannten Ames-Stammes aus amerika-nischen Militärlabors stammten. Der genetische Codedieser Sporen stimmte mit jenem von Stämmen über-ein, die auch im U.S. Army Medical Research Institute ofInfectious Diseases (USAMRIID) in Fort Detrick (Maryland)bearbeitet worden waren. Von dort waren die Sporenim Rahmen des wissenschaftlichen Austauschs an fünfLaboratorien verschickt worden: an ein Laboratoriumdes US-Heeres auf dem ehemaligen B-Waffen-Test-gelände Dugway Proving Ground in Utah; das BattelleMemorial Institute in Columbus, Ohio, einen privatenAuftragnehmer des Pentagon; die Universität von Neu-Mexiko in Albuquerque; ein Laboratorium der kana-dischen Streitkräfte in Suffield und schließlich diebritische Einrichtung Porton Down, an der B-Schutz-Forschungen durchgeführt werden. Über diese Ein-richtungen waren die Milzbrandbakterien zusätzlichin die Hände einer unbekannten Anzahl weitererWissenschaftler gelangt. Aus der Analyse öffentlichzugänglicher Quellen ergab sich, daß der Ames-Milzbrandstamm mindestens zehn weiteren Institutenzugegangen ist. Im Zuge der Ermittlungen wurdeauch bekannt, daß die CIA ebenfalls mit kleinenMengen des Ames-Milzbrandstammes gearbeitet hatte,um Forschungen zum Schutz gegen einen in derehemaligen Sowjetunion hergestellten, impfstoff-resistenten Milzbrandstamm zu betreiben.27

    Die in den Briefen an die Senatoren Daschle undLeahy versendeten Milzbrandbakterien waren sehrfein aufgearbeitet und hoch konzentriert worden. InDugway Proving Ground waren die Bakterien ähnlichaufgearbeitet worden, so daß die Vermutung nahelag,die Täter hätten sie von dort gestohlen. Währendeinige Beobachter dies durchaus für möglich hielten,sahen das andere in Anbetracht der enormen Sicher-heitsvorkehrungen als extrem unwahrscheinlich an.

    26 Vgl. Bob Woodward/Dan Eggen, FBI and CIA Suspect Domes-tic Extremists, in: Washington Post, 27.10.2001, S. A01.27 Vgl. Susan Schmidt/Joby Warrick, FBI Investigates PossibleFinancial Motive in Anthrax Attacks, in: Washington Post,20.12.2001, S. A9.

    Strittig war unter Experten auch, ob Terroristen inder Lage wären, Milzbrandbakterien so fein aufzu-arbeiten, wie dies bei den Briefen an die beiden Sena-toren Daschle und Leahy der Fall gewesen war. Dafürkönnte sprechen, daß die zuerst an die New York Postverschickten Milzbrandsporen von minderer Qualitätgewesen waren. Daraus schlossen einige Beobachter,der oder die Täter hätten im Zuge ihrer Arbeiten anMilzbrand dazugelernt und die späteren Briefe an dieSenatoren besser präpariert.28

    Rätselhaft blieb nicht zuletzt das Motiv, das denoder die Täter dazu bewogen haben mochte, mit Milz-brand verseuchte Briefe zu versenden. Denn offenbarhatten sie gar nicht die Absicht zu töten. Sie hattendie Briefempfänger sogar gewarnt, daß sich in denBriefen Milzbrandsporen befinden, und ihnen emp-fohlen, Antibiotika einzunehmen. Außerdem warendie Umschläge mit Klebeband besonders sorgfältiggesichert worden. Die Täter hatten aber wohl nichtdamit gerechnet, daß die Milzbrandsporen aufgrundder mechanischen Einwirkungen der Postsortier-maschinen aus den Umschlägen rieseln und dadurchPostmitarbeiter in Mitleidenschaft gezogen würden.

    Der oder die Täter wollten möglicherweise nur aufdie Verwundbarkeit der amerikanischen Bevölkerunggegenüber Terroranschlägen mit biologischen Kampf-stoffen aufmerksam machen. Offenbar sollte dasThema der Biowaffen-Bedrohung auf die politischeTagesordnung in den USA gebracht werden, um sowurde von einigen Experten vermutet die Regierungzu veranlassen, die Schutzmaßnahmen gegen bio-logische Kampfstoffe zu verbessern. Für diese Thesesprach auch, daß es sich bei den Briefempfängern umSenatoren und Medienvertreter handelte.29

    Einige Beobachter waren der Auffassung, der Tätersei selbst in einem der B-Schutz-Laboratorien desUS-Militärs beschäftigt, in denen auch an Milzbrand ingetrockneter Form gearbeitet wird. Die dort vorhan-denen Sicherheitsvorrichtungen hätten es dem Täterermöglicht, sich selbst optimal zu schützen. Und da indiesen Laboren ohnehin mit entsprechenden Milz-brandstämmen gearbeitet wird, lasse sich der Täterzudem nur sehr schwer überführen.30

    Tatsächlich kam im Laufe der weiteren Ermittlun-gen heraus, daß in dem Militärlabor in Fort Detrick,

    28 Vgl. Rick Weiss, Perpetrator, Motive Remain Elusive inAnthrax Case, in: Washington Post, 22.12.2001, S. A17.29 Vgl. Nicholas D. Kristof, Profile of a Killer, in: WashingtonPost, 4.1.2002, S. 4A.30 Vgl. Meryl Nass, In Search of the Anthrax Atacker, http://www.redflagsweekly.com/nassanthrax3.html.

  • Terroristische B- und C-Waffen-Aktivitäten vor dem 11. September 2001

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    15

    Maryland, Anfang der neunziger Jahre nach Dienst-schluß oder an Wochenenden unautorisierte For-schungsarbeiten stattfanden. Insgesamt scheinen dieSicherheitsvorkehrungen sehr lückenhaft gewesen zusein. Nach Aussagen von Wissenschaftlern, die bis vorkurzem in Fort Detrick gearbeitet haben, wäre esihnen aufgrund mangelhafter Inventarkontrollenjederzeit möglich gewesen, gefährliche Krankheits-erreger aus der Einrichtung herauszuschaffen.31

    Eine Reihe von Fragen werden im Zusammenhangmit diesen Vorfällen wer immer letztlich die Milz-brandbriefe versendet hat noch zu klären sein. Dazugehört zuallererst, wie sich der oder die Täter Zugangzu so gefährlichen Milzbrandsporen verschaffenkonnten. Diese bedenkliche Tatsache bedarf dringendder Aufklärung, und die dabei aufgedeckten Schlupf-löcher müssen so schnell wie möglich geschlossenwerden.32

    31 Vgl. Rick Weiss/Joby Warrick, Army Lost Track of AnthraxBacteria, in: Washington Post, 21.1.2002, S. A01; Joby Warrick,No One Asked Questions, in: Washington Post, 18.2.2002,S. A30.32 Vgl. Barbara Hatch Rosenberg, Analysis of the AnthraxAttacks, 5.2.2002, Federation of American Scientists, http://www.fas.org/bwc/news/anthraxreport.htm.

  • Eine neue Art von Terroristen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    16

    Eine neue Art von Terroristen

    Noch vor wenigen Jahren waren die meisten inter-national anerkannten Terrorismus-Experten der Auf-fassung, es sei selten das Ziel von Terroristen, massen-haft Menschen zu töten. Sie würden zwar das LebenUnschuldiger nicht schonen, Massentötungen aberwürden ihren politischen Zielsetzungen nicht ent-sprechen.

    Die Mitglieder der Rote Armee Fraktion etwa tötetenin den siebziger Jahren gezielt einzelne Personen, diesie nach eigenem Gutdünken als Feinde der Gesell-schaft identifiziert hatten. Dabei nahmen sie auch denTod von Menschen in Kauf, die sich zum Zeitpunkt desAttentats in der Nähe der Zielperson befanden, wiezum Beispiel deren Fahrer. Es hätte aber nicht derIdeologie und dem Handlungsmuster der Rote ArmeeFraktion entsprochen, mittels chemischer oder bio-logischer Kampfstoffe wahllos und ungezielt so vieleMenschen wie möglich zu töten. Das hätte sie auch inden Augen ihrer eigenen Sympathisanten als faschi-stoid erscheinen lassen.

    Inzwischen hat sich das Phänomen des internatio-nalen Terrorismus jedoch gewandelt. Terroristen sindheute gefährlicher als je zuvor. Häufiger als früherversuchen sie, möglichst viele Menschen zu töten.Dabei kommt ihnen die zunehmende Verwundbarkeitmoderner Industriegesellschaften ebenso entgegenwie die Tatsache, daß sie über die weltweit zugäng-lichen modernen Kommunikationssysteme Zugang zuwichtigen Informationen finden, die sie für den Baugefährlicher Waffen benötigen, darunter auch bio-logische und chemische Kampfstoffe.33

    Die politischen Ziele der modernen Terroristen sindoft noch weniger konkret, als dies etwa bei der RoteArmee Fraktion der Fall war. Die japanische Aum-Sekteist ein herausragendes Beispiel dafür, daß Terrorgrup-pen häufig nicht politisch, sondern pseudo-religiösmotiviert sind. Damit geht eine extremistische Orien-tierung einher, die kaum noch moralische Barrierenkennt. Rücksichten auf Sympathisanten-Gruppenspielen für »Auserwählte«, als die sich die Mitgliederder Aum-Sekte ansehen, keine Rolle mehr. Schließlicherscheint ihnen nicht einmal das eigene Leben als

    33 Vgl. Walter Laqueur, Das neue Gesicht des Terrors, in:Europäische Rundschau, (2002) 1, S. 311.

    schützenswert. Häufig geht es ihnen wie islami-stisch-extremistischen Organisationen vom Schlageder Al Qaida nur noch darum, blinden Haß aus-zuleben und so viel Angst und Schrecken wie möglichzu verbreiten. Die Ereignisse des 11. September 2001haben dies in aller Deutlichkeit gezeigt.

    Sind biologische und chemische Kampfstoffefür Terroristen wirklich interessant?

    Warum haben Terrorgruppen in der Vergangenheit soselten auf biologische oder chemische Kampfstoffezurückgegriffen und statt dessen in der Regel konven-tioneller Munition oder Sprengstoff den Vorzuggegeben? Die einfachste Erklärung ist, daß sie keinebiologischen oder chemischen Kampfstoffe benötig-ten, um großen Schaden anzurichten.34 Dazu reichte wie nicht zuletzt der Anschlag in Oklahoma City imApril 1995 zeigte konventioneller Sprengstoff aus.

    Verglichen mit solchem Sprengstoff ist die Beschaf-fung von und der Umgang mit chemischen und bio-logischen Kampfstoffen relativ kompliziert und auf-wendig. Außerdem sind die tatsächlichen Auswirkun-gen eines Einsatzes dieser Kampfstoffe viel wenigerverläßlich vorhersehbar. Ein ausgebrachter Krank-heitserreger richtet unter Umständen überhauptkeinen Schaden an, wie im Falle der Milzbrandver-suche der Aum-Sekte, oder er breitet sich in nichtbeabsichtigte Dimensionen aus. Dies gilt insbesonderefür so hochinfektiöse Erreger wie Pocken, Ebola- oderMarburg-Virus. Vieles hängt auch von den Wetter-bedingungen ab. Regen läßt ein Aerosol schneller zuBoden sinken; Wind kann eine Giftwolke in eine nichtgewünschte Richtung, zum Beispiel aufs Meer,treiben; und Sonneneinstrahlung kann in der Luftbefindliche Mikroorganismen töten. Terroristenkönnten diese wetterbedingten Unwägbarkeiten mini-mieren, indem sie Krankheitserreger in geschlossenenRäumen wie etwa U-Bahnhöfen ausbringen. Doch

    34 Vgl. Ron Purver, Understanding Past Non-Use of CBWby Terrorists, in: Brad Roberts (Hg.), Terrorism with Chemicaland Biological Weapons. Calibrating Risks and Responses,Alexandria, VA: Chemical and Biological Arms ControlInstitute, 1997, S. 6573.

  • Der 11. September 2001

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    17

    selbst in diesem Falle blieben die Wirkungen nichtgenau kalkulierbar, da staatliche Behörden zumindestin begrenztem Umfang Schutzvorkehrungen treffenkönnen, etwa in Form von verbesserten Frühwarn-einrichtungen oder gut ausgebildeten und ausgerüste-ten Rettungsmannschaften.

    Einerseits würde also auch aus der Sicht von Terro-risten einiges dafür sprechen, Anschläge mit konven-tionellen Mitteln durchzuführen. Andererseits hatschon das Aum-Beispiel gezeigt, daß es Terrorgruppengibt, die es nicht nur auf das wahllose Töten ansehen,sondern auch darauf, maximale Aufmerksamkeit zuerregen. Genau dies hat Aum durch den Einsatz deschemischen Kampfstoffs Sarin erreicht.

    Es ist der Schrecken, den chemische und besondersbiologische Kampfstoffe verbreiten, der diese Stoffefür Terrorgruppen interessant machen kann. DieseSubstanzen kommen lautlos und unsichtbar daherund töten zumeist auf schreckliche und qualvolleWeise. Durch Krankheitserreger können Seuchen ver-ursacht werden, die spätestens seit den großen Pest-epidemien des Mittelalters im kollektiven Gedächtnisder Menschheit als besonders grauenhaft verankertsind. Leicht ansteckende Krankheiten wie insbeson-dere die Pocken könnten das öffentliche Leben inmodernen Industriegesellschaften in sehr kurzer Zeitnachhaltig beeinträchtigen, wenn nicht sogar völliglahmlegen. Insofern können chemische oder biologi-sche Kampfstoffe das Mittel der Wahl sowohl für psy-chisch abnorme Einzeltäter als auch für religiös oderanderweitig extrem fanatisierte Terrorgruppen sein.

    Der 11. September 2001

    Wie sind nun die Ereignisse des 11. September 2001vor diesem Hintergrund zu bewerten? Denjenigen Ter-roristen, die die Verkehrsflugzeuge in das World TradeCenter und das Pentagon steuerten, ging es umSchockwirkung durch Massentötungen, um einenFrontalangriff auf die westliche Zivilisation. Chemi-sche oder biologische Kampfstoffe haben sie für diesenZweck nicht benutzt.

    Folgende Gründe mögen dafür ausschlaggebendgewesen sein. Das Beispiel der Aum-Sekte hattegezeigt, daß der von ihr verübte Sarin-Anschlag trotzjahrelanger Vorbereitungen nur begrenzte Schadens-wirkungen hatte. Die viel erheblicheren Auswirkun-gen der Flugzeugattacken in New York und Washing-ton waren im Vergleich dazu aus Sicht der Attentätervorab viel besser einzuschätzen. Außerdem kam es

    den Al-Qaida-Terroristen offenbar besonders auf denEreignischarakter an. Deshalb wurde das symbolträch-tige World Trade Center als Angriffsziel ausgewählt,dessen Zusammensturz via CNN live in alle Welt über-tragen wurde. Mit biologischen Kampfstoffen ließensich solche Effekte kaum erzielen, da die Krankheits-erreger je nach Inkubationszeit zum Teil erst nachTagen sichtbar zu wirken beginnen.

    Bedeutet dies, daß Terrorismus mit chemischenoder biologischen Kampfstoffen auch künftig unwahr-scheinlich und zu vernachlässigen ist? Nicht unbe-dingt. Da es offenbar das Ziel von Al Qaida oder ähn-lichen Terrorgruppen ist, die westlichen Gesellschaf-ten in ihrem Kern zu treffen und zu verunsichern,sind Anschläge mit solchen Stoffen nicht von vorn-herein auszuschließen. Künftige Attentäter dürftennach Szenarien Ausschau halten, die den 11. Septem-ber 2001 in seiner öffentlichen Wirkung noch über-treffen. Auch dies könnte ein Motiv sein, zu chemi-schen oder biologischen Kampfstoffen zu greifen.

    Darüber hinaus dürfte der Besitz von chemischenoder biologischen Kampfstoffen und erst recht derBesitz einer Atomwaffe in den Augen von Terrororga-nisationen einen wichtigen Machtfaktor darstellen.Atomwaffen sind für Terroristen jedoch eine bis aufweiteres nicht zu verwirklichende Option sieht maneinmal von dem denkbaren Szenario einer »schmutzi-gen Bombe« ab, bei der verstrahltes Material zumEinsatz kommt. Chemische und biologische Kampf-stoffe hingegen sind eher zugänglich, und es istbekannt, daß sich Al Qaida stark dafür interessierthat. Einmal in den Besitz solcher Kampfstoffe gelangt,könnten Terrororganisationen sie zu erpresserischenZwecken nutzen oder um militärische, gegen ihreOrganisation gerichtete Aktionen abzuschrecken.

    Letztlich bleiben Aussagen darüber, ob Terroristensich Zugang zu biologischen oder chemischen Kampf-stoffen verschaffen können und diese auch einsetzenwürden, mit sehr vielen Unsicherheiten behaftet. Eswäre aber nicht ratsam, sich darauf zu verlassen, daßdieser Fall nicht eintritt. Immerhin ist mit den Giftgas-anschlägen der Aum-Sekte und den in den USA ver-schickten Milzbrandbriefen ein Tabu gebrochenworden. Eine entschlossene und effektive Gegen-strategie erscheint daher erforderlich.

  • Gegenmaßnahmen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    18

    Gegenmaßnahmen

    Welche Vorkehrungen sollten getroffen werden,um bestmöglichen Schutz vor dem Einsatz chemi-scher oder biologischer Kampfstoffe durch Terro-risten zu gewährleisten? Zwei Elemente könnengrob unterschieden werden: Vorbeugung undSchutzmaßnahmen.

    Vorbeugung

    BWÜ. Zu den vorbeugenden Maßnahmen gehört anerster Stelle eine möglichst effektive Stärkung desinternationalen Verbots biologischer Waffen. Sosollte das B-Waffen-Übereinkommen (BWÜ) drin-gend verbessert und effektiv überprüfbar gemachtwerden. Denn je zuverlässiger sichergestellt werdenkann, daß Staaten nicht über biologische Waffenverfügen, desto geringer ist auch die Gefahr, daßsich Terroristen über staatliche Akteure Zugang zubiologischen Waffen verschaffen.

    Leider sind jedoch die Bemühungen um einZusatzprotokoll zum BWÜ vorerst gescheitert. Eswaren gerade die USA, die von einem solchenProtokoll mehr Nachteile als Vorteile erwarteten.Staaten, die sich nicht an das Verbot biologischerWaffen halten, so wurde von seiten der US-Regie-rung argumentiert, könnten auch im Zuge derUmsetzung eines Zusatzprotokolls nicht überführtwerden. Umgekehrt wären die USA im Rahmen vonVor-Ort-Besuchen möglicherweise gezwungen, mili-tärische Geheimnisse preiszugeben, so daß derSchutz amerikanischer Soldaten und der Zivil-bevölkerung in Frage gestellt wäre. Dagegen warden europäischen sowie einer Reihe weiterer west-licher Staaten daran gelegen, durch eine Verbesse-rung der Transparenz und der Überprüfbarkeit dasB-Waffen-Verbot zu stärken. Trotz der amerikani-schen Ablehnung sollten diese Staaten an demBestreben festhalten, das B-Waffen-Verbot durchMaßnahmen zu verbessern, an denen sich alleVertragsstaaten beteiligen können.35

    35 Vgl. Oliver Thränert, Multilaterale Rüstungskontrolle inder Sackgasse? Vor der 5. Überprüfungskonferenz zumVerbot Biologischer Waffen, Berlin: Stiftung Wissenschaft

    Austausch und Kooperation von Wissen-schaftlern. Angesichts der latenten Gefahr, daßehemalige Wissenschaftler des sowjetischenB-Waffen-Programms ihr Wissen anderen Ländernoder auch terroristischen Gruppierungen zurVerfügung stellen könnten, ist schon Anfang derneunziger Jahre in Moskau ein internationalesZentrum eingerichtet worden, an dem entspre-chende Forscher Anträge zur Förderung zivil aus-gelegter Projekte stellen können. Das MoskauerZentrum wird von verschiedenen Partnerländernfinanziert, darunter die USA, die EU und Japan.Lange Zeit wurde in den Geberländern befürchtet,durch das Zentrum könnten Projekte gefördertwerden, die indirekt wiederum zur Fortentwick-lung biologischer Kampfstoffe beitragen würden.

    Dieser Gefahr läßt sich durch verstärkte wissen-schaftliche Kooperation und einen verbessertenAustausch von Wissenschaftlern vorbeugen. VonJuni bis Oktober 2001 konnte der Deutsche JensKuhn als erster ausländischer Wissenschaftler ineiner ehemaligen sowjetischen B-Waffen-Einrich-tung arbeiten, dem Staatlichen Institut für Viro-logie und Biotechnologie (VECTOR) in Koltsowo.Zusammen mit russischen Wissenschaftlernforschte er im Auftrag der Defense Threat ReductionAgency, einer Organisation des amerikanischenVerteidigungsministeriums, im Rahmen eineszivilen Projektes und erhielt so einen kleinen Ein-blick in die derzeitigen Aktivitäten des Instituts.

    Nach Kuhns Eindruck wird in Koltsowo nur anzivilen Projekten wie der Entwicklung neuerImpfstoffe gearbeitet. Allerdings hatte er nur zueinem Teil der riesigen Anlage Zugang (die Klein-stadt Koltsowo wurde während der Sowjetzeiteigens für die Angestellten errichtet). Hochsicher-heitslabors, in denen an so gefährlichen Erregernwie Lassa- oder Ebola-Viren geforscht wird, durfteKuhn nicht betreten.36

    und Politik, Oktober 2001 (SWP-Aktuell 18/01); ders.,5. Überprüfungskonferenz zum B-Waffen-Überein-kommen, http://www.swp-berlin.org/produkte/brennpunkte/usalehntzuab1.htm.36 Vgl. Christian Schwägerl, Mentale Abrüstung. Wie eindeutscher Forscher russischen Biowaffenexperten eine

  • Schutz

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    19

    Der wissenschaftliche Austausch sollte unbe-dingt intensiviert werden, um russischen Wissen-schaftlern weiterhin die Gelegenheit zu geben,ihren Lebensunterhalt über zivile Projekte zubestreiten. Durch die mit dem internationalen Aus-tausch sichergestellte Transparenz wird der Gefahrbegegnet, daß nicht erwünschte Forschungenfinanziert werden, die der Entwicklung von Fähig-keiten zur biologischen Kriegführung dienen.Vernichtung chemischer Waffen. Darüber hinausmuß das Chemiewaffen-Übereinkommen, dasbereits 1997 in Kraft trat und ein Regime von Vor-Ort-Kontrollen beinhaltet, effektiv implementiertwerden. Ein wesentliches Ziel ist in diesem Zusam-menhang die baldige Vernichtung chemischerWaffen in Rußland. Mit insgesamt 40 000 Tonnenverfügt Rußland über die weltweit größtenBestände an chemischen Kampfstoffen, mit derenVernichtung noch immer nicht begonnen wurde.Die USA, Deutschland und eine Reihe weitererStaaten haben sich in der Vergangenheit an Pro-jekten beteiligt, die Rußland bei der Vernichtungchemischer Waffen unterstützen. DeutschlandsUnterstützung konzentrierte sich vor allem auf dieErrichtung einer Pilotanlage zur C-Waffen-Vernich-tung in Gorny, Region Saratow, wofür es seit 1993insgesamt rund 40 Millionen Euro ausgab.37

    Erschwerung des Zugangs. Außerdem sind verbes-serte nationale Gesetze vonnöten, um strafbareHandlungen im Zusammenhang mit chemischenund biologischen Kampfstoffen effizienter erfassenund verfolgen zu können. Ein wesentliches Zieldabei muß sein, den Zugang zu Pathogenen undToxinen über öffentliche Einrichtungen wie Samm-lungen für Mikroorganismen soweit wie möglichzu erschweren. Wer in Deutschland mit besondersgefährlichen Keimen arbeiten will, braucht schonseit langem eine Umgangsgenehmigung. DieDeutsche Sammlung für Mikroorganismen und Zellkul-turen in Braunschweig gibt hochpathogene Keimewie Bacillus Anthracis nur über Speziallabors anBefugte persönlich ab.38

    Die USA haben inzwischen die entsprechendenGesetze verschärft, um den Zugang zu besondersgefährlichen Mikroorganismen einzuschränken.

    neue Perspektive gibt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,9.11.2001, S. 58; Eva von Schaper, Ein Paradies voller Viren,in: Süddeutsche Zeitung, 19.3.2002, S. V2/15.37 Quelle Auswärtiges Amt.38 Vgl. Nicola Siegmund-Schultze, Wenn die Bazille zurWaffe wird, in: Süddeutsche Zeitung, 23.6.1998, S. V2.

    Wissenschaftler, die an ihnen arbeiten, werdenzuvor gründlich überprüft. Staatsbürgern ausLändern, die nach amerikanischer Einschätzungden internationalen Terrorismus unterstützen, wieLibyen, Iran, Irak, Kuba, Nordkorea, Syrien undSudan, soll der Zugang völlig verwehrt werden.Ausgeschlossen sind zudem Vorbestrafte, Personen,die unehrenhaft aus den US-Streitkräften entlassenwurden, illegale Einwanderer und Drogenabhän-gige. Vorgesehen ist darüber hinaus, nicht-ameri-kanischen Staatsbürgern generell den Umgang mitbesonders gefährlichen Erregern zu untersagen.39

    Diese Maßnahmen wirken jedoch diskriminie-rend gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen,und dies um so mehr, als eine Einzelfallprüfungoffenbar nicht vorgesehen ist. So wichtig die prä-ventive Verhinderung terroristischer Aktivitätensein mag sie sollte nicht dazu führen, daß wesent-liche Bestandteile des demokratischen Rechts-staates zur Disposition gestellt werden. PauschaleAusgrenzungen bestimmter Personenkreise vomProzeß der wissenschaftlichen Fortentwicklung,wie sie in den USA angestrebt werden, dürften fürDeutschland daher auch nicht in Frage kommen.Geheimdienste. Nicht zuletzt sind die Geheimdien-ste gefordert. Die Infiltration von pseudo-religiösenGruppen oder Terrornetzwerken vom Schlage derAl Qaida durch Geheimdienstagenten dürfte sehrschwierig sein. Um so mehr müssen die Geheim-dienste internationale Terrornetze verschärft unterBeobachtung stellen und dabei auch besser koope-rieren, als dies in der Vergangenheit der Fall war.Internationale Kooperation widerspricht indessenvielfach den Prinzipien geheimdienstlicher Tätig-keit, deren Erfolg maßgeblich davon abhängt, daßsie nicht öffentlich bekannt wird.

    Schutz

    Vorbeugende Maßnahmen sind zwar wichtig, siebieten aber keinen umfassenden Schutz vor mög-lichen Terroranschlägen mit chemischen oder bio-logischen Kampfstoffen. Weitreichende Initiativenzum Schutz der Zivilbevölkerung sind daher eben-falls erforderlich.

    39 Vgl. Jörg Albrecht, Codename Jefferson, in: FrankfurterAllgemeine Sonntagszeitung, 16.12.2001, S. 71; Diana JeanSchemo, Bill Would Require Laboratories to Adopt StrictSecurity, in: New York Times, 25.1.2002, S. 10.

  • Gegenmaßnahmen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    20

    Beispiel USA. Die USA haben bereits die Giftgasan-schläge der Aum-Sekte von 1995 zum Anlaß genom-men und wichtige Verbesserungen beim Zivil-schutz seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahreeingeleitet. Im Oktober 1998 war ein speziellesnationales Büro eröffnet worden, das als zentraleAnlaufstelle für staatliche und lokale Behörden imFalle terroristischer Anschläge dienen soll. Dortsollen die finanziellen Ressourcen für die Anschaf-fung spezieller Ausrüstungen zum Schutz gegenTerroristen bereitgestellt werden, die chemischeoder biologische Kampfstoffe einsetzen. Auch ent-sprechende Schulungskurse für Rettungspersonalkönnen über das Büro finanziert werden.

    Darüber hinaus wurde ein »Schnelles Reaktions-team« aufgebaut, das bei terroristischen Anschlä-gen mit Bio- oder Chemie-Kampfstoffen zum Ein-satz kommen soll. Für lokales Rettungspersonalwird in 120 amerikanischen Großstädten einspezielles Trainingsprogramm durchgeführt. Ärzteund Feuerwehrleute sollen Symptome, die durchbestimmte chemische oder biologische Kampfstoffeverursacht werden, rasch erkennen können. Medi-kamente, Impfstoffe und Antibiotika sollen ingrößeren Mengen gelagert werden, um Opferneines Terroranschlages schnell und effektiv helfenzu können. Neue Medikamente und Diagnose-verfahren sollen zum Teil unter Einbeziehungbiotechnologischer Verfahren entwickeltwerden.40

    Nach dem 11. September 2001 hat für die USAder Schutz vor Terrorangriffen insbesondere mitbiologischen Kampfstoffen dramatisch an Bedeu-tung gewonnen. Dies machte Präsident Bush inseiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002deutlich. Den Schutz vor Bioterrorismus bezeichne-te er darin als den ersten von insgesamt fünf zen-tralen Bereichen des Zivil- und Bevölkerungs-schutzes. Im einzelnen setzte Bush folgendeSchwerpunkte:41

    ! Verbesserung der föderalen und regionalenInfrastruktur durch neue Kommunikations-systeme und Fähigkeiten zur Überwachung vonKrankheiten und Seuchen.

    ! Verbesserte Ausbildung und Ausrüstung desRettungspersonals und Aufstockung des natio-

    40 Vgl. On Many Fronts, Experts Plan for the Unthinkable:Biowarfare, in: New York Times, 23.10.2001, S. 78.41 Vgl. President Bushs State of the Union Address,Washington File, 29.1.2002, http://usinfo.state.gov/cgi-bin/washfi...lt&t=/products/washfile/newsitem.shtml.

    nalen Arzneimittelvorrats. So sollen ein Vorratan Pockenimpfstoff angelegt und Antibiotikabeschafft werden, um bis zu 20 Millionen Men-schen gegen Milzbrand, Pest oder Tularämiebehandeln zu können.

    ! Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffeund Diagnosemittel im Kampf gegen den Bio-terrorismus.42

    Im Haushaltsjahr 2002 gibt das amerikanischeGesundheitsministerium drei Milliarden US-Dollarfür Schutzmaßnahmen gegen Bioterrorismus aus,wobei der Haushaltsansatz nach dem 11. Septem-ber 2001 bedeutend erhöht worden war.43 Für dasHaushaltsjahr 2003, das am 1. Oktober 2002beginnt, sieht die Bush-Administration eine weiteredrastische Erhöhung von 319 Prozent44 vor, so daßdie Ausgaben zum Schutz vor Bioterrorismus annä-hernd sechs Milliarden US-Dollar betragen würden.

    Bush legitimierte die vorgesehenen zusätzlichenAusgaben unter anderem damit, daß auch die all-gemeine Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung vonihnen profitiere. So könnten durch bessere Impf-stoffe und Medikamente beispielsweise natürlichauftretende Krankheiten wirksamer bekämpftwerden.

    Die Erhöhungen so manche Kritiker seien zudeutlich, so daß es fraglich sei, ob die Mittel effek-tiv eingesetzt würden. Noch kritischer wurde dieAbsicht der Bush-Administration beurteilt, zugun-sten der erhöhten Ausgaben zum Schutz vor Bio-terrorismus Ausgaben in anderen wichtigenBereichen des Gesundheitswesens zu kürzen, etwaMittel für den Kampf gegen chronische Erkran-kungen.45

    Kompetenzvielfalt in Deutschland. Mögen Kritikerder amerikanischen Politik deren Bemühungen umeinen Schutz vor terroristischen Anschlägen mitchemischen und biologischen Kampfstoffen fürübertrieben und unverhältnismäßig halten, sindim Vergleich dazu die entsprechenden Maßnahmen

    42 Vgl. President George W. Bush, Defending againstBiological Terrorism, http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/02/20020205-1.html.43 Vgl. Sheryl Gay Stolberg, U.S. Will Give States $1 Billionto Improve Bioterrorism Defense, in: New York Times,25.1.2002, S. 12.44 Vgl. President Increases Funding for Bioterrorism by319 Percent, http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/02/20020205-4.html.45 Vgl. Sheryl Gay Stolberg, Buckets for Bioterrorism, butLess for Catalog of Ills, in: New York Times, 5.2.2002, S. 8.

  • Schutz

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    21

    in Deutschland als unzureichend und lückenhaftzu bezeichnen. Hierzulande sind viele verschiedeneMinisterien und Dienststellen für den Schutz vorbiologischen und chemischen Terroranschlägenzuständig. So koordiniert das Bundeskanzleramtdie Arbeit der Geheimdienste, das Auswärtige Amtist für internationale Verträge wie das B-Waffen-Übereinkommen zuständig, das Bundesmini-sterium der Verteidigung für den B- und C-Schutzder Truppe, das Bundesministerium des Innernzeichnet für den Zivilschutz verantwortlich, dasBundesministerium für Gesundheit für denSeuchenschutz und die Erfassung von Infektions-krankheiten (Robert Koch-Institut), das Bundes-ministerium für Arbeit und Sozialordnung fürSchutzrichtlinien am Arbeitsplatz (die etwa imZusammenhang mit dem Auftreten von angeblichmit Milzbrand verseuchten Briefen in Deutschlandbedeutsam wurden) und das Bundesministeriumfür Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft für die Bekämpfung von Tierseuchen und dieSicherheit von Lebensmitteln. Für Katastrophen-schutz und Rettungsdienste in Friedenszeiten sinddie Länder und Gemeinden verantwortlich, wäh-rend der Bund eigentlich nur im Verteidigungsfalloder im Sinne der Amtshilfe gefragt ist.Robert Koch-Institut. Ungeachtet dieser Kompe-tenzvielfalt kommt dem Bundesgesundheitsmini-sterium eine herausgehobene Bedeutung zu.Unmittelbar nach dem 11. September 2001 wurdendort vorhandene Krisenpläne überprüft undaktualisiert. Das dem Geschäftsbereich des Bundes-gesundheitsministeriums zugeordnete Robert Koch-Institut hat den Auftrag, das Auftreten von Krank-heiten, insbesondere Infektionskrankheiten, zubeobachten und Empfehlungen für Maßnahmenzum Schutz der Bevölkerung zu geben. Es dient alsMeldestelle für natürlich auftretende Infektions-krankheiten und hält Epidemiologen für eineneventuellen Einsatz vor Ort bereit. Gefahren durchBioterrorismus spielten bei der Arbeit des Institutsbis zum 11. September 2001 eigentlich keine Rolle.

    Nach dem 11. September 2001 wurde beimRobert Koch-Institut eine Zentrale Informationsstelledes Bundes zur Seuchenabwehr (zunächst als Informa-tionsstelle für biologische Kampfstoffe bezeichnet) ein-gerichtet. Über ein Bürgertelefon, die Pressestelleund die Webseite des Instituts können Informatio-nen über biologische Kampfstoffe und die vonihnen ausgehenden Gefahren sowie über ersteSchutzvorkehrungen eingeholt werden. Darüber

    hinaus hält das Robert Koch-Institut über ein Kom-munikationsnetzwerk Kontakte zu Ansprechpart-nern in den Ländern und in beteiligten Ressorts aufBundesebene. Es erstellt Merkblätter über bioterro-ristische Gefahren für Ärzte und erarbeitet Kon-zepte zur Ausbildung von Rettungskräften fürentsprechende Gefahrenlagen. Außerdem zeichnetdas Robert Koch-Institut für die Analyse von Krank-heitskeimen verantwortlich. Für diesen Zweck wirdes demnächst mit einem Labor der höchsten Sicher-heitsstufe BL 4 ausgestattet.

    Letztlich kommt dem Robert Koch-Institut keinedirekte operative Verantwortung zu, die allein denLändern und Kommunen vorbehalten ist. Ob undwelche Katastrophenschutzmaßnahmen in einemSchadensfall ergriffen werden, entscheidetzunächst der jeweilige Hauptverwaltungsbeamte,also ein Bürgermeister oder Landrat. Das RobertKoch-Institut stellt lediglich Expertenwissen zurVerfügung und kann koordinierende Aufgabenübernehmen.46

    Bereits 1998 ist unter Federführung des RobertKoch-Instituts die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Seuchen-schutz gegründet worden. Sie stellte im November2000 ein überarbeitetes Konzept zum Managementund zur Kontrolle gefährlicher, durch Reisendeimportierter Infektionskrankheiten vor. DieGefahren des Bioterrorismus wurden implizitmitbedacht, standen aber nicht im Vordergrund.Das Konzept beschreibt unter anderem die Infra-struktur, die derzeit zur Isolierung und Behand-lung von Patienten mit hochinfektiösen Krank-heiten sowie zur mikrobiologischen Diagnostikvorhanden ist. In fünf Kompetenzzentren, die fürbestimmte Regionen zuständig sind, soll in festetablierten Arbeitsteams besonderes Fachwissenbereitgehalten werden. Im großen und ganzen istdas Konzept für den Umgang einzeln auftretenderFälle von Infektionskrankheiten vorgesehen, kaumaber für die Abwehr eines größer angelegten bio-terroristischen Anschlags.Kooperation von Bund und Ländern. Mit Ausnah-me des Verteidigungsfalles fällt der Schutz derZivilbevölkerung in Gefahrenlagen in die Kom-petenz der Bundesländer. Doch deren Bereitschaft,

    46 Vgl. Vorsorge vor eventuellen bioterroristischenAnschlägen, in: Robert Koch-Institut, EpidemiologischesBulletin, (16.11.2001) 46, S. 349351; R. Fock/M. Peters/A. Wirtz/D. Scholz/G. Fell/H. Bußmann, Rahmenkonzeptzur Gefahrenabwehr bei außergewöhnlichen Seuchen-geschehen, in: Gesundheitswesen 2001, S. 695702.

  • Gegenmaßnahmen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    22

    sich auf mögliche Gefährdungen durch den Bio-terrorismus besser vorzubereiten, ist unterschied-lich ausgeprägt und hängt auch von ihrer jeweili-gen Finanzkraft ab. Angesichts allseits knapperRessourcen läge es nahe, die Fähigkeiten desBundes und der Länder zu bündeln. So hat dennauch der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaftfür Katastrophenmedizin gefordert, Bund undLänder sollten ein gemeinsames Koordinierungs-zentrum einrichten, um im Schadensfall möglichstschnell und effektiv handeln zu können.47

    In der Tat erscheint es angesichts der neuenGefahren des Bioterrorismus angebracht, die Bund-Länder-Kooperation neu zu überdenken. Im Vorder-grund sollte die Vernetzung aller im Falle einerTerrorattacke mit biologischen oder chemischenKampfstoffen beteiligten Organisationen undKräfte stehen. Vernetzung und verbesserte Koope-ration sollten schrittweise ausgebaut und regel-mäßig durch vermehrte Übungen überprüft undfortentwickelt werden.

    Da die Bundeswehr bei der Abwehr von Gefahrendurch ABC-Waffen bereits über Fähigkeiten verfügt,die beim Zivilschutz nicht oder nicht in erforder-lichem Umfang vorhanden sind, kommt auch derVerbesserung der Kooperation von Bundeswehrund zivilen Einsatz- und Rettungskräften erhöhteBedeutung zu. Ohnehin wird die Bundeswehr nichtnur im unmittelbaren Verteidigungsfall eingesetzt,sondern kann auch im Zuge der Amtshilfe tätigwerden. Ein effektives Zusammenwirken im kon-kreten Einsatzfall ist jedoch nur bei vorherigemintensivem Üben zu erwarten.

    Die von einzelnen in die Debatte eingebrachteForderung nach einer Bundesoberbehörde zumSchutz vor terroristischen Gefahren mit Massen-vernichtungswaffen sollte nicht erfüllt werden.48

    Mit der Einrichtung dieser Behörde würde dieBund-Länder-Kompetenzabgrenzung berührt, sodaß eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre.Außerdem dürfte sie eher einen Verlust als einenGewinn an Flexibilität mit sich bringen. Vergleich-bare Einrichtungen wie die Federal EmergencyManagement Agency (FEMA) in den USA stoßen auf

    47 Vgl. Interview mit dem Präsidenten der DeutschenGesellschaft für Katastrophenmedizin, Dr. FriedhelmBartels, in: Deutsches Ärzteblatt, 26.10.2001,S. A2770A2772.48 Vgl. ebd.; Christina Berndt, Albtraum unter Kontrolle.Ein Zentrum für Zivilschutz könnte Bioangriffe abwehren,in: Süddeutsche Zeitung, 7.11.2001, S. 8.

    den unteren Entscheidungsebenen nicht selten aufAblehnung. Schließlich wäre die Gründung einerneuen Behörde gegenwärtig nicht unbedingt dasrichtige politische Signal, da sie zusätzliche Verwal-tungskosten verursachen würde.Die Lage von Zivil- und Katastrophenschutz. Jen-seits der Frage der Bündelung von Kompetenzenmuß konstatiert werden, daß sich der Zivil- undKatastrophenschutz in Deutschland derzeit inkeiner guten Verfassung präsentiert. Nach demEnde des Kalten Krieges sind Personal, Material undEinrichtungen dramatisch reduziert worden.Während für Zivil- und Katastrophenschutz 1990noch etwa eine Milliarde DM ausgegeben wurde,waren es im Jahr 2001 nur noch ca. 335 Millionen.In der Folge wurden Hilfskrankenhäuser aufge-geben und Arzneimittel verkauft. Das Bundesamtfür den Zivilschutz wurde aufgelöst, seine Auf-gaben dem Bundesverwaltungsamt übertragen. Ins-gesamt hat der Bund viele der notwendigen Vor-beugemaßnahmen an die Länder delegiert, die je-doch die ihnen übertragenen Aufgaben nicht wirk-lich erfüllen können. Daß der Zivilschutz viel zustark gestutzt wurde, wird mittlerweile von poli-tischer Seite offen eingestanden.49 Im Rahmen desAnti-Terror-Paketes der Bundesregierung sind daherauch Maßnahmen angelaufen, die den Zivil- undKatastrophenschutz wieder stärken sollen.Ausbildung des medizinischen Personals. Terror-anschläge mit biologischen Kampfstoffen könntenzunächst unbemerkt bleiben. Erst nach Tagenwürden infizierte Personen in Krankenhäusern undArztpraxen vorstellig. Das medizinische Personal,das sie dort zu versorgen hätte, ist jedoch kaum fürdie Diagnose von Erkrankungen ausgebildet, diedurch biologische Kampfstoffe verursacht werden.Die Expertise der Ärzteschaft für den Umgang mitübertragbaren Krankheiten ist ganz allgemein inden vergangenen Jahren dramatisch geschwunden.

    In der Regel wird ein Arzt im Laufe seines Berufs-lebens kaum mit so seltenen Krankheiten wie Milz-brand konfrontiert, Pockenkranke bekommt er garnicht mehr zu Gesicht. Fehldiagnosen dürftendaher zunächst die Regel sein. Die Schutzkommis-sion beim Bundesminister des Innern hat dahergefordert, die Aus- und Weiterbildung der Ärzte-schaft im Hinblick auf die Gefahren des Terroris-

    49 Vgl. Eva von Schaper, Der Katastrophenschutz ist eineKatastrophe, in: Süddeutsche Zeitung, 23.11.2001, S. 10.

  • Schutz

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    23

    mus mit chemischen und biologischen Kampfstof-fen dringend zu verbessern.50

    Weitere wichtige Bestandteile des Schutzes derBevölkerung vor Terroranschlägen mit chemischenund biologischen Kampfstoffen sind die Früherken-nung und die sofortige effektive Alarmierung.Detektierung. Grundsätzlich ist die Detektierungbiologischer Kampfstoffe sehr viel schwieriger alsdiejenige chemischer Kampfstoffe, da sich sehrviele, teilweise ähnliche Keime ständig in der Luftbefinden. Selbst der ABC-Spürpanzer Fuchs der Bun-deswehr kann zwar mit Hilfe eines Massenspektro-meters chemische Kampfstoffe auch in kleinstenMengen identifizieren, jedoch biologische Kampf-stoffe in der Luft nicht feststellen. Die Panzerbesat-zung kann lediglich Bodenproben entnehmen undin ein Labor bringen. Der Fuchs-Hersteller Rhein-metall hat allerdings die Überzeugung geäußert,daß in den kommenden zwei Jahren ein Fuchspan-zer gebaut werden könnte, mit dessen Hilfe auchbiologische Kampfstoffe detektierbar wären.51

    Einige Biotech-Firmen sehen einem interessantenGeschäft mit Biodetektoren auch für zivile Einrich-tungen wie beispielsweise U-Bahnhöfe entgegen.52

    Im Rahmen von B-Schutz-Projekten der Bundes-wehr wird seit einigen Jahren an der Entwicklungvon Nachweisverfahren für bestimmte Erregergearbeitet. Ein Großteil der medizinischen Grund-lagenforschung der Bundeswehr findet an der Sani-tätsakademie in München statt. Der dortige Perso-nalbestand soll in den kommenden Jahren erhöhtund die Mittelausstattung aufgestockt werden, umentsprechende Arbeiten intensivieren zu können.

    Von besonderer Bedeutung sind Arbeiten anSchnellverfahren zum Nachweis von biologischenKampfstoffen in der Luft. Damit befaßt ist unteranderem das Wehrwissenschaftliche Institut fürSchutztechnologien der Bundeswehr in Munster.Konkret geht es um die Fortentwicklung einesmobilen Labor-Containers, die Entwicklung eines

    50 Vgl. Zweiter Gefahrenbericht der Schutzkommissionbeim Bundesminister des Innern: Bericht über möglicheGefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen undim Verteidigungsfall, Oktober 2001, http://www.bmi.bund.de/frameset/index.jsp, S. 26 und S. 66.51 Vgl. Militärlabor auf sechs Rädern, in: SüddeutscheZeitung, 7.11.2001, S. 8; Jeanne Rubner, Fuchs nicht schlaugenug, in: Süddeutsche Zeitung, 8.11.2001, S. 8.52 Vgl. Bio-Verteidigung gewinnt Konturen, in: Handels-blatt, 12.12.2001, S. 17.

    tragbaren B-Alarmgeräts für alle Truppen sowieTechnologien zur B-Fernortung.53

    Effektive Detektoren sind aber nicht nur für dieBundeswehr, sondern auch für den Zivil- und Kata-strophenschutz von großer Bedeutung. Im Rahmendes Anti-Terror-Pakets sind bereits 500 000 Euro fürdas Haushaltsjahr 2002 bewilligt worden, unteranderem auch um die Arbeiten an Detektoren zuintensivieren. Angestrebt werden hochmobile, mitDetektoren ausgestattete Einsatzgruppen, die imFalle eines Verdachts auf einen bioterroristischenAnschlag möglichst schnell vor Ort sein können.Alarmierung. In der Bundesrepublik Deutschlandsind die Alarmsysteme in den vergangenen Jahrenstark vernachlässigt worden, sogar die Luftschutz-sirenen wurden abgeschafft. Im Zeichen der Ereig-nisse des 11. September 2001 stellte Bundesinnen-minister Otto Schily ein neues, satellitengestütztesSchnellwarnsystem vor, mit dessen Hilfe die Bevöl-kerung unmittelbar via Rundfunk über drohendeGefahren informiert werden soll.54

    Ausbildung und Ausrüstung. Große Mängelherrschen in Deutschland derzeit auch bei der Aus-bildung und Ausrüstung des Notfall- und Rettungs-personals, den Möglichkeiten der Dekontamina-tion, der Vorbereitung der Krankenhäuser aufplötzlich massenhaft zu versorgende Patienten, derArzneimittelbevorratung sowie bei Schutzräumen.

    Zivil- und Katastrophenschutzeinheiten mangeltes an ABC-Spürfahrzeugen und entsprechendemGerät. Rettungskräfte wären im Ernstfall oft nichteinmal in der Lage, sich selbst zu schützen. Dekon-taminationsfahrzeuge sind ebenfalls nicht in aus-reichendem Umfang verfügbar. Auch um diese Miß-stände zu beseitigen, sind im Rahmen des Anti-Terror-Paketes bereits zusätzliche Mittel bewilligtworden. Darüber hinaus findet seit Januar 2002 ander Akademie für Notfallplanung und Zivilschutzin Bad Neuenahr-Ahrweiler eine Seminarreihe statt,in deren Rahmen Rettungskräfte, Sanitätspersonalsowie Polizei- und Feuerwehrbeamte für den Ein-satz bei Terroranschlägen mit chemischen oder bio-logischen Kampfstoffen geschult werden.

    53 Vgl. E. Finke/R. Grunow/H. Neubauer/H. Meyer, Das Institutfür Mikrobiologie der Sanitätsakademie der Bundeswehr Forschungsstätte im Dienste des medizinischenB-Schutzes, in: Wehrmedizinische Monatsschrift, (1999) 1,S. 912; Thomas Meuter, Die Waffe aus dem Reagenzglas,in: Wehrtechnik und Beschaffung, November 2001, S. 56.54 Vgl. Katastrophen-Warnung aus dem All, in: Süddeut-sche Zeitung, 15.10.2001, S. 5.

  • Gegenmaßnahmen

    SWP-BerlinTerror mit chemischen undbiologischen WaffenApril 2002

    24

    Spezialbetten zur Behandlung von Patienten mithochinfektiösen Krankheiten besitzen nur sehrwenige Hospitäler. Selbst die meisten Universitäts-kliniken verfügen heute nicht mehr über die erfor-derlichen Isolierstationen. Im Falle massenhaft zuversorgender Patienten mit hochansteckendenKrankheiten wären die derzeitigen Kapazitätenschnell ausgeschöpft. Eine Aufstockung istdringend erforderlich.Arzneimittel. Der Bedarf an Antibiotika und Anti-doten zur Behandlung von Erkrankungen undVergiftungen könnte in so einem Fall durch die fürdie Arzneimittelbevorratung nunmehr zuständigenLänder kaum gedeckt werden. Neuere Konzeptesehen unter anderem zentrale Zivilschutz-Arznei-mittelvorräte, regionale Antidota-Depots sowie eineverbesserte Klinikbevorratung der Bundesländervor. Entsprechende Vorschläge sollten intensivgeprüft werden.55

    Darüber hinaus ist die Entwicklung neuerArzneimittel erforderlich. Derzeit gibt es in denUSA beispielsweise ein Antitoxin, mit dem dieTodesrate bei Vergiftungen mit Botulinustoxindrastisch verringert werden könnte. Es wirktjedoch nicht gegen alle Varianten des Toxins undhat außerdem eine Reihe von Nebenwirkungen.56

    Impfungen. Ein besonderes Kapitel der medizini-schen Vorsorge gegen Bioterrorismus stellenImpfungen dar, die mit einer Reihe von Problemenbehaftet sind. Da ist einmal die jedenfalls inDeutschland zu beobachtende allgemeine Impf-müdigkeit der Bevölkerung. Wollte man diesedurch den Hinweis auf die Gefahren des Bioterro-rismus überwinden, liefe man unter UmständenGefahr, Hysterien auszulösen. Ein weiteres Problemist die Vielzahl möglicher biologischer Kampfstoffe,gegen die geimpft werden könnte. Manche vonihnen könnten in einigen Jahren vielleicht auchvon Terroristen so verändert werden, daß sie

    55 Vgl. Jochen Wagner, Notstand beim Zivilschutz, in: DieWelt, 11.11.2001, S. 8; »Wir haben ein Problem«, Interviewmit Bernd Domres, Leiter der Abteilung Katastrophen-medizin an der Allgemeinchirurgie der UniversitätTübingen, in: Tagesspiegel, 14.10.2001, S. S2; WolfgangWagner, Medizinisch-pharmazeutische Notfallbevor-ratung, in: Deutsche Apotheker Zeitung, 18.10.2001,S. 6162.56 Vgl. Hermann Feldmeier, Botulinum als Waffe, in:Tagesspiegel, 6.2.2002, S. 29; im Auftrag des Bundesmini-steriums der Verteidigung wurde seit Jahren am Battelle-Institut in Frankfurt a.M. an Botulinustoxin gearbeitet,um einen neuen Impfstoff zu entwickeln.

    bestehende Impfbarrieren überwinden. Undschließlich beinhalten Impfungen immer einGesundheitsrisiko, insbesondere für HIV-infizierteoder organtransplantierte Patienten, deren Immun-abwehr dauerhaft geschwächt ist.

    Der Fortschritt in der Biotechnologie wird sicherauch zur Entwicklung neuer, moderner Impfstoffebeitragen, die besser verträglich sind und umfas-senderen Schutz bieten. Allerdings ist dieses For-schungsgebiet für die pharmazeutische Industrienicht sehr interessant jedenfalls wenn es umKrankheiten geht, die wie Milzbrand fast nur durchBioterrorismus verursacht werden. Impfstoffeunterliegen zudem besonderen Zulassungsbedin-gungen. Sie sollen gesunde Personen gegen einrelativ geringes Risiko schützen, ohne daß siedurch die Impfungen irgendwelche Schäden davon-tragen. Aufgrund der insofern erforderlichen lang-wierigen Prüfungen ist die Entwicklung neuerImpfstoffe besonders teuer. Außerdem ist der ent-sprechende Markt den Schwankungen in der öffent-lichen Wahrnehmung der Gefahren des Bioterroris-mus unterworfen. Und nicht zuletzt ist die Pharma-Industrie eher an täglich von Herzkranken, Krebs-kranken oder Diabetikern einzunehmenden Medi-kamenten interessiert als an Impfstoffen, die nureinmal im Leben verabreicht werden.57

    Milzbrand. Aufgrund seiner hohen Stabilität istMilzbrand ein Erreger, der von Terroristen amehesten eingesetzt werden dürfte. Derzeit werdenHumanimpfstoffe gegen Milzbrand in den USA, inGroßbritannien, Rußland und China produziert(für Tiere geeignete Impfstoffe lassen sich in etwazwölf Staaten herstellen). Sie werden normaler-weise Personen mit Risikoberufen verabreicht, wieTierärzten oder Arbeitern, die mit Tierhäuten oderFellen zu tun haben.58

    Die amerikanischen Streitkräfte hatten 1998damit begonnen, alle Soldaten mit einem bereits inden siebziger Jahren lizenzierten Impfstoff gegenMilzbrand zu impfen. Die Impfungen mußtenjedoch eingestellt werden, nachdem der einzigenUS-Herstellerfirma BioPort aufgrund von Produk-tionsmängeln die Lizenz entzogen worden war.Ende Januar 2002 wurden 209 000 zuvor produzier-te Impfdosen durch die staatliche Aufsichtsbehörde

    57 Vgl. Terence Chea, No Bonanza for BioterrorismVaccines, in: International Herald Tribune, 14.12.2001,S. 13.58 Vgl. Keith Bradsher with Michael Wines, U.S. Looks forMore Vaccine Sources, in: New York Times, 5.11.2001, S. 8.

  • Schutz

    SWP-BerlinTerror mit chemischen und

    biologischen WaffenApril 2002

    25

    freigegeben. BioPort erhielt die Erlaubnis, weitereImpfdosen für die amerikanischen Streitkräfte zuproduzieren.59

    Allerdings ist der von BioPort produzierte Impf-stoff sehr unrein und ruft daher eine Reihe vonNebenwirkungen hervor. Darauf hat die Food andDrug Administration (FDA) anläßlich der Wieder-zulassung nochmals ausdrücklich hingewiesen. Bei30 Prozent der geimpften Männer und 60 Prozentder geimpften Frauen treten lokale Rötungen undSchwellungen an der Einstichstelle auf. Bei etwaeinem Prozent der Geimpften wurden großflächi-gere Reaktionen beobachtet. Schwangere Frauensollten mit dem Impfstoff möglichst verschontwerden, da er das Risiko von Mißbildungen derFöten drastisch steigere.

    Angesichts dessen haben sich in der Vergangen-heit immer wieder amerikanische Soldaten derMilzbrand-Impfung verweigert. Disziplinarverfah-ren bis hin zu Entlassungen waren die Folge. Auf-grund dieser Schwierigkeiten konnte es nicht über-raschen, daß das US-Verteidigungsministeriumzunächst von einer Wiederaufnahme für alle Mit-glieder der Streitkräfte obligatorischer Milzbrand-Impfungen absah.

    Die nationale Wissenschaftsakademie der USAhat ungeachtet dessen im März 2002 den amerika-nischen Milzbrandimpfstoff als sicher bezeichnet.Er biete einen wirksamen Schutz auch gegeninhalierte Milzbrandsporen. Allerdings gebe eskeine Untersuchungen über die Wirkung des Impf-stoffes bei Kleinkindern und älteren Menschen.60

    An eine Impfung der Zivilbevölkerung ist also nichtzu denken, zumal der Impfstoff zunächst sechsmalin bestimmten Abständen innerhalb von achtzehnMonaten verabreicht werden muß. Danach ist einejährliche Auffrischung notwendig.

    Als Ausweg bleiben nur neue Impfstoffe mitweniger Nebenwirkungen und weniger komplizier-ten Impfplänen. An ihnen wird derzeit gearbeitet.61

    59 Vgl. Justin Gills, FDA Releases Anthrax Vaccine toMilitary, Approves More, in: Washington Post, 31.1.2002,S. A6.60 Vgl. Guy Gugliotta, Panel Says Anthrax Vaccine Is Safe,in: Washington Post, 6.3.2002, S. A4.61 Vgl. Nancy Kingsbury, Anthrax Vaccine. Changes to theManufacturing Process, Testimony before the Subcom-mittee on National Security, Veterans Affairs, and Inter-national Relations, Committee on Government Reform,House of Representatives, United S