The European China 2012

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  • 7/31/2019 The European China 2012

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    IN KOOPERATION MIT

    PDF-Edition

    c h i n a

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    Ai Weiwei ist zum Gesicht Chinas geworden. Er verkr-

    pert r die Menschen im Westen die aukeimende Br-

    gergesellschat im Reich der Mitte. Dieses neue China

    ist das spannende, das China, das wir in Deutschlandnoch nicht kennen und von dem uns die Fhrung in

    Peking sagen will, dass es eigentlich gar nicht existiert.

    China ist keine Demokratie nach westlichen Standards,

    aber ist deswegen alles schlecht? Sicher nicht. Die

    Menschen dort leben ihr Leben und strzen damit dasbestehende System. Der Wandel kommt nicht durch Re-

    volution, sondern durch die Macht der tglichen Praxis:

    Jeder Gang ins Internet ist ein weiterer Riss im Gewebe

    der herrschenden KP. Jeder wirtschatliche Erolg mn-

    det in den Ru nach Mitbestimmung.

    Natrlich kann ein Land auch unktionieren, ohne dass

    es alle Menschenrechtsstandards erllt. Die Elite in Pe-

    king erzhlt das gerne ihren Besuchern aus dem Wes-

    ten. Wir brauchen keine Demokratie, ist die Botschat.

    Sicher, das unktioniert im Sinne des Wortes. Zukunts-

    hig ist ein solches System nicht. Alle Ideologien has-sen den Wandel. Der Wandel gehrt zum Menschsein.

    Liebe Leserinnen

    und Leser,

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    Und: Ein Gemeinwesen kann nur dann prosperieren,

    wenn es die Freiheiten und die Rechte garantiert, die

    jedem Menschen mit seiner Geburt zukommen.

    Im ersten Teil dieser PDF-Edition zeigen wir, wohin

    China in den kommenden Jahren steuern wird, seine

    Gesellschat, die politische Fhrung und die Wirtschat.

    Im zweiten Teil schauen wir au die Kunst, deren

    Augabe es ist, zu beschreiben, inrage zu stellen, zu

    kritisieren. Kunst tut weh, Kunst ist Politik. Wer in Chi-

    na Knstler ist, ist meistens auch ein Dissident, denn

    Kunst kann ohne die Freiheit des Ausdrucks nur zur

    Propaganda-Gehiln degenerieren.

    Wir wnschen Ihnen eine Bereicherung durch dieLektre dieser PDF-Edition von The European. Sie ist

    entstanden mit dem Filmverleih DCM, der die Doku-

    mentation Ai Weiwei: Never Sorry am 14. Juni in die

    deutschen Kinos bringen wird.

    Mit besten Gren

    Ihr

    Alexander Grlach

    Herausgeber und Cheredakteur

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    KAPITEL 1 CHINAS WEG IN DIE MODERNE

    Helwig Schmidt-Glintzer Die Angst vor der Freiheit 6

    Tom Koenigs Straktor Mensch 8

    Phelim Kine Das Versprechen der Gleichheit 10

    Gordon Chang Drache im Sturzug 12

    Wolgang Grenz Die Angst vor dem Sturm 14

    Kai Vogelsang Es bleibt alles anders 16

    Gesprch mit Alison Klayman Ideen kann man nicht zensieren 18

    KAPITEL 2 KUNST UND DISSIDENZ

    Verena Krieger Mit Risiken und Nebenwirkungen 25

    Irit Neidhardt Mue zur Mue 27

    Michael Eissenhauer Au den zweiten Blick 29

    Gesprch mit Artur Zmijewski Kunst kann substanziell Politik erzeugen 31

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    Kapitel 1

    Chinas Weg in die Moderne

    Alle Augen richten sich auChina kein Land der Erdehat so groes Potenzial, dieUSA als globale Fhrungs-macht abzulsen. Doch Wirt-schatswachstum, Geldreser-ven und Urbanisierung sindnur ein Teil der Geschichte gewaltige ethnische undgesellschatliche Spannungenwirken wie Zentriugalkrte,wenn sich der Drachen erhebt.

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    Seit dem Ende des letzten Kaiserrei-ches waren die Gebildeten Chinasberzeugt, dass ihr Land nur durcheine Erziehungsdiktatur in die Moder-ne gehrt werden knnte. Die 1921 ge-grndete KP Chinas hat 1949 die Ver-

    wirklichung einer Neuen Demokratieproklamiert und dann sozialistischeReormen durchgehrt. In mehrerenKampagnen, die vielen Millionen den

    Tod brachten, suchte sie die Menschenumzuerziehen, neue Verhltnisse zuschaen und die eigene Macht zu si-chern. Doch nur scheinbar wurde derEigensinn der Menschen getilgt. Die-ser Eigensinn ordert weiterhin Frei-

    rume zu seiner Verwirklichung.China hat sich inzwischen nachauen genet, doch ist es nach in-nen weitgehend noch verschlossen

    Die Angst

    vor der Freiheitvon Helwig Schmidt-GlintzerChina net sich, doch die Angst der Mchtigenvor brgerlichem Eigensinn und dem Wunsch

    nach Freiheit ist gro. Die Folge ist das Entstehenvon Protestpotenzial.

    Foto: gettyimages

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    geblieben. Zwar haben Partei undStaat mehr Macht und Souverni-tt gewonnen und bedienen sich zurFortsetzung einer geordneten Mo-dernisierung strker der Gesetzeund einer liberaleren Kontrollpraxis.Doch den Autrag zur Erziehungund zur Aurechterhaltung der Ord-

    nung hat die Partei so sehr zu ihrereigenen Sache gemacht, dass sie vonAngst und Misstrauen vor der neuenVielalt beherrscht wird. Es ist dieseAngst vor der Freiheit, die zuzulas-sen allein die neu gewonnene wirt-schatliche und soziale Strke be-glaubigen knnte.

    Der Aubruch ist

    nicht auzuhaltennet sich China nicht nach innen und dazu gehrt auch eine zivilge-sellschatliche Integration der Min-derheitenvlker au gleicher Augen-hhe , besteht die Geahr, dass dieinnere Vielalt sich au eigene WeiseBahn bricht und das System dort au-bricht, wo es jetzt noch durch Unter-drckung seine Stabilitt sichern zuknnen glaubt. Der Aubruch Chinasist nicht auzuhalten; die Frage ist nur,ob die KP Chinas in der Lage ist, die-sen Aubruch weiter zu prgen undwesentlich mitzugestalten. Dabei istder Zeithorizont sehr eng.

    Zwar ist China nicht, wie man-che glauben, politisch bei der Nieder-schlagung der Demokratiebewegungvon 1989 am Tiananmen stehen ge-blieben. Die Mehrheit der akademi-schen Jugend ist heute r Libera-

    lismus (ziyou zhuyi). Hinter den In-ternetverabredungen und der neuenUnruhe insbesondere bei der akade-misch gebildeten Jugend, aber auchbei einer zunehmenden Zahl vonBeschtigten entstehen neue Zwn-ge der Subsistenzsicherung, denenohne geordnete Versorgungsstruktu-ren nicht entsprochen werden kann.

    Nicht nur dazu ist staatliches Han-deln geordert, sondern auch r dieSicherheit chinesischer Staatsbrgerin allen Teilen der Welt.

    Protestpotenzial

    angestautDie eigene Bevlkerung erwartet denSchutz chinesischer Staatsbrgerdurch die Regierung auerhalb eben-so wie innerhalb Chinas. Aus dieserneuen Erwartung an den Staat werdenin Verbindung mit der Wohlahrtser-wartung China und insbesondere sei-ne Eliten weiterhin au der Suche nachGestaltungskonzepten bleiben ms-sen. Am Gesprch ber diese Suchesollte sich Europa beteiligen. Denneine zunehmende Zahl junger Chine-sen betrachtet ihr Land im Horizontwestlicher Lebensstandards und Poli-tikkonzepte.

    In Verbindung mit dem traditionel-len Aekt gegen eine allzu ungerech-te Reichtumsverteilung wird sich beiFortdauer der unstrukturierten Mus-ter der Zurechnung von Verantwort-lichkeit ein Protestpotenzial austau-en, bei dessen Ausbruch auch die re-lativ geordneten Verhltnisse in Chi-na zusammenbrechen knnten, einSzenario, welches heutzutage als eineMenschheitskatastrophe bezeichnetwerden msste. Ohne die Strkung un-abhngiger Rechtsinstitutionen unddamit ermglichten Koniktaustragsowie ohne eine verlssliche Grundsi-cherung r alle wird eine soziale Sta-bilitt in China wohl kaum aurechtzu-erhalten sein.

    Der Sinologe lehrt an der Univer-

    sitt Gttingen und ist Direktor der

    Herzog August Bibliothek Wolfen-

    bttel. Zuvor war er Ordinarius fr

    Ostasiatische Kultur- und Sprachwissen-

    schaft an der Universitt Mnchen.

    Foto: Suhrkamp

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    Straktor

    Menschvon Tom Koenigs

    Wer sich in China r Menschenrech-te einsetzt, wird vom Staatsapparat alsStraktor wahrgenommen und be-kmpt. Chen Guangcheng, ein blin-der Menschenrechtsaktivist, der sichr die Rechte von Bauern und Behin-derten einsetzt, wurde estgenommen,nachdem er au Flle erzwungenerAbtreibungen aumerksam gemachthatte. Ohne ein aires Verahren wur-de er zu vier Jahren Gengnis verur-teilt wegen Behinderung des Stra-enverkehrs. Nach seiner Entlassungstand er unter Hausarrest, bis er sichEnde April in die Botschat der USAchten konnte.

    Inhatierungvon Ai Weiwei nur

    Spitze des EisbergsObwohl die Menschenrechte in derchinesischen Verassung stehen unddie Regierung regelmig Aktions-plne r ihre Menschenrechtspolitikverasst, sind chinesische Brgerin-nen und Brger der Willkr der Si-cherheitsorgane und Behrden aus-gelieert. Die Inhatierungen von AiWeiwei und des Friedensnobelpreis-

    trgers Liu Xiaobo sind nur die Spit-ze des Eisbergs. Anwlte, die Fllevon Menschenrechtsverletzungen ver-olgen, landen hug im Gengnis,

    Die Inhatierung von Ai Weiwei und anderenMenschenrechtlern ist nur die Spitze desEisbergs. Das Vorgehen Pekings ist ein Rckzugs-

    geecht das Land steht vor groen Umbrchen.auch wenn sie nichts weiter ordernals die Einhaltung der Verassung.Ni Yulan, die Oper von Zwangsru-mung vertritt, wurde im April zuzweieinhalb Jahren Gengnis ver-urteilt ihre dritte Gengnisstraein zehn Jahren. Die Anwlte Liu Weiund Tang Jitian verlieen unerlaubtden Gerichtssaal, um gegen die Ver-ahrensehler im Prozess gegen ihrenMandanten, einen Falun-Gong-An-hnger, zu protestieren. Ihnen wur-de ihre Beruserlaubnis au Lebens-zeit entzogen. Tang wurde spter so-gar verhatet, weil er trotzdem den er-whnten blinden Aktivisten Chen ju-ristisch untersttzt hatte. Er berichtetvon Folter.

    Trotz des harten Vorgehens der Be-hrden wchst in China das Bewusst-sein, dass man als Brger Rechte hat

    und diese Rechte einfordern kann. Esgibt einen zivilgesellschaftlichen Dia-log ber Brgerrechte und die Verfas-sungswirklichkeit in China, der diechinesische Regierung zunehmendunter Druck setzt. China steht zu-dem vor immensen innenpolitischenHerausforderungen: Das Wirtschafts-wachstum schwcht sich ab, die Um-weltverschmutzung nimmt zu, dieGesellschaft beraltert. China, dasin Europa oft als eigensinnige und

    manchmal sogar feindselige Machtwahrgenommen wird, sucht internati-onale Zusammenarbeit, um diese Pro-bleme lsen zu knnen und begreift

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    sich als integrales Mitglied der inter-nationalen Gemeinschaft. In dieserGemeinschaft ist aber unstrittig, dassMenschenrechte berall und unge-teilt gelten. Die Geschichte der Allge-meinen Erklrung der Menschenrech-te zeigt, dass es keine westliche, son-dern eine globale Idee ist, dass jedem

    Mensch Gerechtigkeit zusteht. Aucheinem Land mit der zweitgrtenVolkswirtschaft der Welt kann mannicht zugestehen, seinen Brgerinnenund Brgern diese Gerechtigkeit vor-zuenthalten.

    Kritik nichteinach abtun

    Zugleich sollten wir Westler Kritikvon chinesischer Seite an uns nichteinach abtun. China kritisiert unse-re double standards. Chinas Kulturist reich und lter als die europische,und chinesische Vertreter haben we-sentlich an der Allgemeinen Erkl-rung der Menschenrechte mitgear-beitet. Auch die Menschenrechtslagein Deutschland hat Dezite, die wirernsthat diskutieren mssen. Lern-higkeit dar nicht nur von einer Seiteverlangt werden.

    Die chinesische Regierung strebtnach Stabilitt und Balance zwischenWirtschatswachstum und Nachhal-tigkeit. Die Geschichte der vergange-nen 67 Jahre hat gezeigt: Diese Zielewird die chinesische Fhrung nicht er-reichen, wenn sie Menschenrechte ver-letzt, Menschenrechtsaktivisten un-terdrckt und den Geist der eigenenVerassung verkennt. Menschenrech-

    te und eine starke Zivilgesellschatsind unerlsslich r stabilen sozialenFrieden, allgemeinen Wohlstand undNachhaltigkeit auch r China.

    Der Grnen-Politiker wurde 1944

    geboren. Koenigs ist seit 2009

    Abgeordneter im Bundestag,

    Vorsitzender des Menschenrechts-

    ausschusses und Mitglied im Verteidigungs-

    ausschuss. Er war als UN-Sondergesandter

    im Kosovo, Guatemala und Afghanistan.

    Foto: CC-by LAI Ryanne

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    Das Versprechen

    der Gleichheitvon Phelim KineEuropa bt keinen sprbarenDruck au China aus, damit

    Menschenrechtsverletzungenin dem Land beendet werden.Dabei nden hier derzeitvergleichbare Prozesse wieim Arabischen Frhling statt.

    Die chinesische Regierung hat sichbestimmt darber gereut, dass dieEuropische Union nach dem Gipel-treen Menschenrechtsverletzungennur sehr vage entlich ansprach. Sieerwhnte mit keinem Wort, dass Pe-king weiterhin Prinzipien der Rechts-staatlichkeit ignoriert und das Rechtau reie Meinungsuerung verletzt.Das gemeinsame Abschlusskommu-niqu des 14. EU-China-Treens be-zieht sich nur allgemein au Men-schenrechte. Das stellt bereits eineVerbesserung gegenber dem vorheri-gen Papier dar. In ihm wurden Men-schenrechte nicht einmal erwhnt. Al-lerdings geht das Kommuniqu nichtber das leere Versprechen hinaus,au der Basis von Gleichheit und ge-genseitigem Respekt bei Menschen-rechtsragen zusammenzuarbeiten.Faktisch wiederholt es die Problemedes alljhrlichen Menschenrechtsdia-logs: Konkrete Mastbe oder Bezgeau tatschliche Menschenrechtsver-letzungen und deren Oper ehlen.

    Friedlicher Wandelin China

    Das Papier schweigt ber diejenigen,die unter den Menschenrechtsverlet-zungen in China am meisten leiden,etwa Liu Xiaobo, dem im Jahr 2010 derFriedensnobelpreis verliehen wurde.Liu sitzt derzeit eine elhrige Geng-nisstrae wegen Anstitung zur Unter-grabung der Staatsgewalt ab, weil er

    an der Charta 08 mitwirkte. In dieserOnline-Petition sprach er sich gemein-sam mit anderen Brgerrechtsaktivis-ten r riedlichen politischen Wandel

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    in China und r die Achtung der Men-schenrechte aus, die in der chinesi-schen Verassung verbriet sind. Kurzdarau versucht die Regierung nichtnur den Schritsteller, sondern auchseine Frau, Liu Xia, zum Schweigenzu bringen. Oensichtlich bendet siesich unter Hausarrest, damit sie sichnicht r die Freilassung ihres Man-nes einsetzen kann. Das Kommuniqudeutet nicht einmal im Ansatz an, dassdie chinesische Regierung Menschenwie Liu, die nichts als die im internati-onalen wie nationalen Recht garantier-ten Rechte und Freiheiten einordern,

    gezielt schikaniert, verhatet, einsperrtund verschwinden lsst.Dabei kann die EU nicht behaup-

    ten, von Menschenrechtsverletzun-gen nichts zu wissen. Immerhin hat-te sich die Auenbeautragte der EU,Catherine Ashton, erst im Januar be-sorgt ber die Verschlechterung derBedingungen r chinesische Men-schenrechtsaktivisten geuert un-mittelbar nachdem die Autoren ChenXi und Chen Wei im Dezember wegen

    angeblicher Staatsgehrdung vorGericht gestellt worden waren. Direktunter Europas Augen lebt Liao Yiwu,einer der bekanntesten Dissiden-

    ten und Schritsteller, der in seinenWerken eindringlich die Schatten-seiten des chinesischen Wirtschats-auschwungs schildert. Nachdem ervon der Regierung ber Jahre hinwegschikaniert, eingeschchtert und wie-derholt inhatiert worden war, oh erim Juli nach Deutschland.

    Europa mussreagieren

    Der Arabische Frhling hat deutlich

    gemacht, dass die entliche Mei-nung bercksichtigt werden muss,wenn die EU ihre Politik gegenberDrittlndern ormuliert. Auch in Chi-na uern unzhlige Menschen ih-ren Unmut ber Missstnde, etwa imGesundheitswesen, ber Korrupti-on, Landraub oder ehlenden Zugangzur Justiz. Damit riskieren sie staatli-che Vergeltungsmanahmen wie Fol-ter oder Hat. Whrend der entli-chen Proteste in Nordarika und dem

    Nahen Osten im vergangenen Jahr hatEuropa sich au die Seite derer gestellt,die die Menschenrechtslage verbes-sern wollen. Au die riedlichen De-

    monstrationen und die Menschen-rechtsverletzungen in China sollte esnicht anders reagieren.

    Wenn die EU weiterhin ignoriert,dass China seinen Rechtsstaat aus-hhlt und die Liste der Oper immerlnger wird, unterminiert sie ihre ei-genen Bemhungen, nachhaltige undr beide Seiten vorteilhate bilatera-le Beziehungen auzubauen. Sie hates mit einer Regierung zu tun, die in-ternationale Normen zunehmend mitFen tritt.

    Bei Human Rights Watch ist Kine

    seit 2007 als Senior Researcher

    fr China und den asiatischen

    Raum zustndig. Der Journalist

    arbeitete vorher zehn Jahre als Korrespon-

    dent in China, Indonesien, Kambodscha und

    Taiwan.

    Karikatur: Heiko Sakurai

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    Drache im

    Sturzugvon Gordon Chang

    Dieser Tage schwchelt Chinas Wirt-schat; die Kommunistische Party zer-splittert sich; die Autoritt der Zent-ralregierung erodiert; das Militr be-reit sich von ziviler Kontrolle; und daschinesische Volk, von einem Ende sei-nes Landes zum anderen, geht au dieStrae, ot in gewaltsamem Protest.

    China brechen die Rder weg. Soviele Dinge geschehen gleichzeitig,dass man kaum wei, wo zu begin-nen ist. Aber um zu verstehen, wohindas Land steuert, ist es ntig, zwei an-dauernde Entwicklungen zu betrach-ten. Zunchst: Chinas Motor stottert.Nach 35 Jahren nahezu ununterbro-chenen Wachstums hat die Wirtschateinen Wendepunkt erreicht und nun-mehr eine lange Talahrt begonnen.

    Die Fhrungmuss handeln

    Daten, besonders hinsichtlich der ent-scheidenden Stromproduktion, wi-dersprechen ofziellen Zahlen undzeigen, dass das Wachstum tatsch-lich au etwa sechs Prozent gesunkenist. Der Abwrtstrend ist nicht tempo-

    rr, denn die drei Grundbedingungen,die in den vergangenen drei DekadenWachstum erzeugten, sind entwedernicht mehr existent oder in Ausung

    begrien. Das Land hat au Reormenverzichtet, die externen Umstndesind nicht gutartig und die demogra-sche Dividende des Landes wird zueinem demograschen Flop.

    Unter diesen widrigen Umstnden im Gegensatz zu den gnstigen Ver-hltnissen der letzten 30 Jahre wer-den die chinesischen Fhrungsgu-ren handeln mssen. Anders gesagt,Trends werden sie nicht mehr nachvorne splen; der Vorwrtsgang wirderolgen mssen entgegen den Trends.Tatschlich unternimmt die Fhrungwenig, um den jhen Fall der Wirt-schat umzukehren. Das hngt damitzusammen, dass die grte Heraus-orderung beim Wiederankurbeln desWachstums nicht wirtschatlicher Na-

    tur ist sondern rein politischer.Die zweite Entwicklung ist dieSelbstzerstrung des chinesischen Po-litiksystems, whrend die Kpe dervierten Generation, angehrt von HuJintao, die Machtbergabe an die n-te Generation planen. Seit Februarhat ein Provinz-Parteiboss eine ande-re Provinz mit einer Hunderte Mannstarken Armee besetzt; rivalisieren-de chinesische Sicherheitsdienste be-lagerten ein amerikanisches Konsu-

    lat; Parteihrer benutzten die tdli-che Vergitung eines Auslnders, umeinen mchtigen Politiker und seineFrau zu strzen; und im chinesischen

    Ob in Politik, Militr oder in der Wirt-schat: Der chinesische Erolg erweist

    sich als wenig robust. Das Land nhertsich einem gewaltigen Umbruch.

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    Volk zirkulieren Gerchte ber weitereMorde, einen Staatsstreich in Beijingsowie ein beinahe erolgreicher Mord-anschlag au einen Staatsprsidenten.

    Ein-Parteien-System nichtlnger angemessen

    Diese Geschichten ber Lust, Ver-dorbenheit, Mord und Intrige aszi-nieren die Chinesen, doch stoensie auch ab. Die KommunistischePartei delegitimiert sich selbst, mitjeder schmutzigen Enthllung einStck mehr. Nicht mehr lange, unddas System wird versagen. China istso weit ortgeschritten, wie es seinederzeitige politische Verasstheit er-laubt. Das grundlegende Problem ist,

    dass bereits vor den jngsten Ereig-nissen das chinesische Volk wusste,dass ein Ein-Parteien-System nicht

    lnger angemessen ist r die sichmodernisierende Gesellschat. Den-noch blieb ihm letztlich keine Wahl,auer die KP zu akzeptieren, die inden letzten zwei Dekaden r Stabi-litt sorgte und die schnelle Entwick-lung leitete.

    Nun jedoch wird die Fhrungs-higkeit der Partei ausgewaschendurch die internen Konikte an derSpitze des politischen Systems. Chi-

    na wird politisch instabil, whrendgleichzeitig seine Wirtschat versagt.Tag au Tag erleben wir eine Dyna-mik, die immer schwieriger umzu-kehren ist. Und sollte sie nicht baldumgekehrt werden, werden wir inKrze die letzten Tage der Volksrepu-blik erleben.

    Der Jurist studierte an der Cornell

    University und ist Autor zahl-

    reicher Bcher ber China und

    den asiatischen Raum. Changist regelmiger Gast im amerikanischen

    Fernsehen und Autor diverser Bcher.

    Foto: BJRN. / photocase.com

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    Schon als Kind musste Ai Weiwei er-ahren, was es heit, bei den Regieren-den eines autoritren, diktatorischenRegimes in Ungnade zu allen. SeinVater, der anti-kommunistischen Um-

    triebe beschuldigt, wurde samt Fami-lie in die Provinz verbannt. Der jun-ge Ai Weiwei lernte bereits damals: indieser Gesellschat ist kein Platz rQuerdenker.

    PolitischeVerolgung

    Als man Ai Weiwei im April 2011 ver-

    hatete, legte man ihm ofziell keinepolitischen Delikte zur Last. Es waraber mehr als oensichtlich, dass po-litische Grnde die Behrden dazu

    Die Angst vor

    dem Sturmvon Wolgang GrenzDie Situation rchinesische

    Menschenrechtlerwird schlimmer,denn die Behrdenhaben Angst vorder Revolution imeigenen Land. Po-

    litische Verolgungist deshalb an derTagesordnung.

    Foto: CC-by Ian Holton

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    bewegten, ihn kurz vor der Ausreiseestnehmen zu lassen. Fr Monatewurde er estgehalten, ohne dass manAnklage gegen ihn erhob. Dieser Ver-sto der Behrden gegen chinesischesRecht ist symptomatisch - insbesonde-re dann, wenn es um Verolgung auspolitischen Grnden geht.

    Ai Weiwei hatte noch Glck. Erwurde vermutlich augrund seinerProminenz in der Hat gut behan-delt und nach relativ kurzer Zeit rei-gelassen. Als Knstler war er in Chi-na nicht zuletzt durch seine Mitar-beit am Olympia-Stadion bekannt. ImAusland, wo zahlreiche Menschen vonseiner ungewhnlichen Kunst begeis-tert sind, entwickelte sich ein Protest-sturm, wie nie zuvor bei einer derar-tigen Festnahme in China. Ganz an-ders ergeht es weniger berhmtenMenschen im Land, die aus politi-schen Grnden inhatiert werden: wieetwa im Fall von Ni Yulan, einer cou-ragierten Anwltin aus Beijing. Als sie2002 die Zerstrung von Wohnraumlmte, wurde sie estgenommen undin der Hat so schwer geoltert, dasssie seither an den Rollstuhl geesseltist. Wenige Tage nach der Festnahmevon Ai Weiwei wurde sie erneut estge-nommen und ein Jahr spter zu zweiJahren und acht Monaten Hat verur-teilt. Der Vorwur: Unruhestitungund Betrug.

    Ai Weiwei und Ni Yulan stehen ge-meinsam r eine wachsende Zahlvon Persnlichkeiten, die in China r

    die Menschenrechte eintreten. Ai Wei-wei hat sich in den vergangenen Jah-ren immer wieder r die Freiheit imInternet eingesetzt. Er hatte sich auchzu Wort gemeldet, als Liu Xiaobo, derchinesische Friedensnobelpreistrger2010, im Dezember 2009 vor Gerichtstand. Ni Yulan vertrat Menschen vor

    Gericht, die ohne angemessene Ent-schdigung aus ihren Wohnungenvertrieben wurden. Auch nachdemihr die Zulassung als Anwltin entzo-gen und sie wegen ihres Engagementsmehrach inhatiert worden war, gabNi Yulan Menschen, die in schwieri-ge Situationen geraten waren, nochrechtliche Ratschlge.

    Angst vorder Revolution

    Generell ist die Situation r Men-schenrechtsverteidiger wie Ai Weiweiund Ni Yulan schwieriger geworden.Seit ber einem Jahr gehen die Behr-den massiv gegen politisch engagier-te Brger vor. Ein Anlass dar warendie Ereignisse in den arabischen Ln-dern des Mittelmeerraums. Ganz o-ensichtlich berchteten die Behr-den, es knnte auch in China zu ei-ner Jasmin-Revolution kommen.Zu der politischen Verunsicherungder Fhrung trgt zudem der anste-hende Machtwechsel an den Spitzenvon Partei und Staat bei.

    Die Willkr, mit der die chine-sischen Behrden gegen politischmissliebige Personen vorgehen, zeigt,wie weit die VR China von einem e-ektiven Schutz der Menschenrechteenternt ist insbesondere der br-gerlich-politischen. Ob sich dies innaher Zukunt ndert, ist ungewiss.

    Die Spannungen im Land wachsen,unter anderem augrund zunehmen-der sozialer Unterschiede. Bislangsind meist Repressionen das bevor-zugte Mittel, um gegen Proteste vor-zugehen. Menschen wie Ai Weiweiund Ni Yulan, die sich riedlich rdie Rechte anderer engagieren, wer-den auch weiterhin in der Schussli-nie der chinesischen Behrden ste-hen und Oper der Repressionensein. Denn es ist zu berchten, dassdie Regierung ihre harte Linie gegenMenschenrechtsverteidiger im eige-nen Land weiter verolgt.

    Der 1947 in Ltzen geborene

    Grenz hat Rechtswissenschaften

    in Kln studiert und ist seit 2011

    Generalsekretr von Amnesty

    International Deutschland. Er ist auerdem

    Grndungsmitglied von Pro Asyl (1986)

    und seit 2010 Vorstandsmitglied der UN-

    Flchtlingshilfe.

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    Gibt es einen chinesischen Weg?Wer die Geschichte des Landes mitall ihren Umbrchen studiert, kann

    sich da nicht sicher sein. Entscheidendist, dass wir China als modernesLand ernst nehmen.

    Es bleibt

    alles andersvon Kai Vogelsang

    China, ein Land im Umbruch: dasist nichts Neues. Seit der Revolution,die vor genau 100 Jahren zur Grn-dung der Republik hrte, hat Chi-na permanent Umbrche erlebt: dasEnde des Kaiserreichs, einen radika-len Strukturwandel der Gesellschat,Modernisierung aller Lebensberei-che, dann die Zerstrung all dessenin Krieg, Brgerkrieg, und den mr-derischen Kampagnen des Mao-Regi-mes und seit gut 30 Jahren die Wirt-schatsreorm, die allen Maoismuswieder rckgngig machen sollte. Al-lein in diesen 100 Jahren ist die Weltin China mehrmals untergegangenund neu entstanden kann es ange-

    sichts dessen sinnvoll sein, von einemchinesischen Weg zu reden?

    Unser Chinabildhngt an traditio-nellen Mustern

    Vielleicht sollten wir uns weniger umden Umbruch in China sorgen als

    um den in unserer China-Rezeption.Denn whrend die chinesische Ge-sellschat zumindest in den Std-ten lngst modern geworden ist, das

    heit: sich au permanenten Wandeleingestellt hat, hngt unser Chinabildot noch an traditionellen Mustern.Gewiss, niemand spricht mehr ernst-hat vom ewigen China oder garvom Land des ewigen Stillstands.Aber in anderem Gewand spuken die-se Klischees noch immer durch ak-tuelle Debatten: wenn etwa von einerunergrndlichen chinesischen Kul-tur die Rede geht, die uns grundstz-lich remd sei, oder von der altehr-wrdigen Philosophie, die noch heuteDenken und Handeln der Chinesenprge oder wenn Sinologen als Ken-ner der Tradition angesprochen wer-den, um die Situation des gegenwr-

    tigen China zu analysieren. Vielleichtrhrt daher das Unbehagen vieler Si-nologen (oder ihr Schweigen, das ih-nen jngst vorgeworen wurde) imUmgang mit aktuellen Fragen: denndiese lassen sich eben nicht aus der

    Tradition beantworten.Das moderne China ist wie alle

    modernen Gesellschaten durcheinen Traditionsbruch entstanden.Um es recht einzuschtzen, soll-ten auch westliche Beobachter mit

    berlieerten Denkmustern brechen.Dazu gehrt etwa das Geraune vonder konuzianischen Gesellschat als ob China den Konuzianismus

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    im 20. Jahrhundert nicht mehrachin die tieste Hlle verdammt ht-te, als ob eine moderne Gesellschatsich au ein Denksystem reduzierenliee. Gewiss, der Konuzianismuserlebt heute in verschiedenen Aus-prgungen eine Renaissance aberlediglich als ein Sinnangebot un-

    ter vielen, aus denen Chinesen heu-te whlen knnen. Dazu gehrt dieVorstellung, dass die chinesischeWirtschat oenbar anderen Geset-zen gehorche als die westliche unddaher au permanentes Wachstumprogrammiert sei obwohl sie starksubventioniert ist, weitgehend vonstaatlichen Investitionen und Expor-ten abhngt, aule Kredite anhutund an enormen regionalen und sek-toralen Dierenzen laboriert.

    Demokratie undMenschenrechtepassen zumheutigen China

    Dazu gehrt auch der Mythos, dassDemokratie und Menschenrechtenichts r China seien. Fr das alteChina mag das zutreen auch in Eu-ropa galt bis ins spte 18. Jahrhundert

    Demokratie als Verallsorm einer gu-ten Verassung, und die AllgemeineErklrung der Menschenrechte datiertgerade einmal von 1948. Aber Urbani-sierung und moderne Medien habenauch in China eine entlichkeit ge-schaen, der die Regierung sich stel-len muss, eines Tages sicher auch in

    Wahlen. Wenn nicht alles ganz an-ders kommt. Denn auch vom hart-nckigsten China-Mythos sollten wiruns trennen: dem der nationalen undstaatlichen Einheit. Weder die chine-sische Nation noch der Nationalismusist historisch tie verwurzelt: jene istvor rund 100 Jahren konstruiert wor-den, dieser dient seit Kurzem dazu,die sozialen und ethnischen Diskre-panzen der chinesischen Gesellschatzu kaschieren.

    Niemand kann vorhersagen, wieChina sich entwickeln wird (auerHelmut Schmidt). Gerade deshalb soll-ten wir uns au viele Mglichkeiten ein-stellen, und das heit vor allem: Chinaals modernes Land ernst nehmen, indem nichts so bleibt, wie es war.

    Der Sinologe hat in Hamburg und

    Taipeh studiert und ist Professor an

    der Universitt Hamburg. Vogel-

    sang war Heisenberg-Stipendiat

    der Deutschen Forschungsgemeinschaft

    und ist Autor mehrerer Sachbcher.

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    Ideen kann man

    nicht zensierenDie Dokumentation Ai Weiwei: Never Sorry zeigt denAlltag des chinesischen Knstlers Ai Weiwei. The

    European sprach mit der Regisseurin Alison Klaymanber den Widerstand gegen die Staatsgewalt, Drehar-beiten in China und die Geahren des Twitterns.

    Gesprch mit Alison Klayman

    The European: Es scheint eine guteZeit r chinesische Aktivisten zusein: Gerade wurde bekannt gegeben,dem langjhrigen Menschenrechts-aktivisten Chen Guangcheng werdedie Ausreise aus China gestattet undgleichzeitig knnen Sie mit IhremFilm die Menschenrechtslage in Chi-na oen beleuchten. Was sagt uns dasber die Lage des Landes?

    Klayman: Ich denke, dass Ai Wei-wei in dem Film die einzig verlss-liche Aussage dazu trit: China istunvorhersehbar. In der Tat beobach-ten wir mehrere gegenstzliche Ent-wicklungen: China hat sich vern-dert, wie die Aktionen von Ai Weiwei

    eindrucksvoll demonstrieren, dochhtte ich keinen Film ber ChenGuangcheng machen knnen nie-mand hatte Zugang zu ihm. So istschn zu sehen, dass er nun interna-tionale Aumerksamkeit bekommt.Gleichzeitig hrte ich gerade von ei-ner Freundin, die in China bei Al Ja-zeera English arbeitete, dass sie desLandes verwiesen sei. Das kompletteAuslandsbro hat kein neues Visumbekommen und daher schliet Al Ja-

    zeera das Bro in Peking.Manche Dinge stimmen mich ho-nungsvoll, andere pessimistisch wases umso wichtiger macht, China wei-

    Foto: Monic Johanna Wollschlger

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    @aiww: Ihr lscht dauernd meine Beitrge, alsostelle ich sie einach erneut ins Netz. Worte kann

    man lschen, aber die Fakten bleiben bestehen.

    @aiww: Was ist Redereiheit? Twitter ist es.

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    terhin zu beobachten und abzuwarten,wie mit Chen Guangcheng umgegan-gen wird. hnlich knnte es Ai Wei-wei treen.

    Ai Weiwei ist

    sowohl Produktals auch Gestalterseines Landes

    Ursprnglich berlegte ich, ob derFilm primr ber China oder ber Ai

    Weiwei ist Sie scheinen jedoch zu sa-gen, dass die beiden untrennbar mitei-nander verbunden sind.

    Ai Weiwei kann durch seine Werteund Aktionen bereits eine groe Men-ge Aumerksamkeit und Wiedererken-nung erzeugen. Dann reagiert die Re-gierung, er antwortet die zwei schau-keln sich also gegenseitig hoch. Erstdiese Dynamik macht den Film aus,denn damit haben sich beide Seiten inden Film hineingeschrieben. Zudemolgt seine Biograe eng den Konturender chinesischen Geschichte: Durchseinen prominenten Vater konnte errh die Vor- und Nachteile der politi-schen Reormen und wirtschatlichenEntwicklungen erleben das machtihn sowohl zu einem Produkt als auchzu einem Gestalter des Landes.

    Lassen Sie uns ber den Umgangmit diesen Vor- und Nachteilen spre-chen. Wie verlieen die Dreharbeitenin China? Sicherlich konnten Sie nichtmit dem Grund einreisen, einen Filmber einen der bekanntesten Regie-rungskritiker machen zu wollen. Hat-

    ten Sie je mit der Zensur zu kmpen?Ich arbeitete als reie Journalistinin China und bekam mein Journa-listenvisum zulligerweise zur glei-chen Zeit, wie ich Ai Weiwei tra. Alsakkreditierter Journalist dar man inChina sowohl in der entlichkeit alsauch im Privaten lmen soern derGelmte damit einverstanden ist. AiWeiwei wird lauend interviewt undich kenne niemanden, der je Proble-me damit hatte, au ihn zuzugehen.

    Nun versucht die Regierung den Zu-gang zu ihm zu erschweren, also ist esvornehmlich er selbst, der den Preisr seine kritische Rolle bezahlt. Ich

    hatte nie Probleme und Zensur gab esnur bei den Dreharbeiten an der Po-lizeistation oder dem Gericht, wo AiWeiwei Beschwerde bzw. Klage gegendie Polizei einreichen wollte, nach-dem er von ihr verletzt wurde.

    Der Film portrtiert die chinesi-sche Regierung als eine Art Mauer,

    die Ai Weiwei lauend im Weg zu ste-hen scheint. Wenn er aber clever vor-geht, gibt sie dennoch langsam ein we-nig nach haben Sie die chinesischenRegeln auch so erlebt?

    Fr mich war sehr schnell klar,dass es in dem Film nicht um Zensuroder Sprachlosigkeit geht, sondernum eine Person, die sich gegen dasSystem stellt. Dazu braucht es Mutund Kreativitt, doch sobald Druckausgebt wird, kann sich etwas be-wegen. Wenn man aus Angst vor derZensur nicht einmal spricht, dannwird sich auch nichts verndern da-her war es mir wichtig, die Geahrenzu zeigen, denen er sich mit seinenInterviews und Blogposts aussetztund wie uneingeschrnkt er den-noch leben konnte; wie er als bekann-ter Knstler die Welt bereiste. Ichhoe, dass dies demonstriert, wie dieMenschen unter so einem zensieren-den und autoritren Regime leben.

    Ein Freund verglich die chinesi-sche Gesellschat zuletzt mit einemSchichtkuchen Menschen mit einerMentalitt wie Ai Weiwei suchen da-rin nach kleinen Lcken im System.Ich nde das Bild sehr passend, dennes illustriert, wie wenig Raum es rsolche Aktionen gibt.

    Wirklich? Im Film sah das ganz an-ders aus. Ai Weiweis khne Aktionenschienen ihm mehr Freiraum zu er-

    mglichen.Das hngt von der Perspektive ab.Chen Guangcheng hat 19 Monateunter Hausarrest gelebt. Ich glaubenicht, dass es sein oberstes Ziel war,das Land zu verlassen. Er wre lie-ber geblieben, um weiterhin r dieRechte der Bauern zu kmpen. DieJournalisten, Aktivisten und Men-schenrechtsbeobachter, mit denenich gesprochen habe, schienen kei-nen positiven Trend zu erkennen.

    Whrend der ersten Hlte des ver-gangenen Jahrzehnts bin ich nicht inChina gewesen, aber es schien groeHonungen hinsichtlich der Olympi-

    schen Spiele zu geben. China schienden Handel akzeptiert zu haben, sichr die Olympischen Spiele mehr zunen. Die Honungen der Men-schen wurden enttuscht es gibtmehr Raum r Handel und wirt-schatliche Entwicklung, aber nichtr mehr Menschenrechte. Ich knn-

    te meine Aunahmen durchsehenund Ihnen ein Dutzend Menschenzeigen, die im vergangenen Jahr ver-hatet wurden. Die Hat und die Zeitnach der Hat war r Ai Weiwei vielschwieriger, als ich es in Ai Weiwei:Never Sorry zeigen konnte.

    Wie kann mansich als Knstlernicht r Mei-nungsreiheiteinsetzen?

    Lassen Sie uns ber seine Kunstsprechen. Ich war berrascht zu se-hen, dass Ai Weiwei die Ideen r sei-ne Kunstwerke hat, es aber andereMenschen sind, die sie r ihn produ-zieren. Hat das Ihre Denition von ei-nem Knstler verndert?

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich vor-her eine Denition hatte, aber dashat mich viel darber nachdenkenlassen. Ai Weiweis Denition von ei-nem Knstler besteht in der Kommu-nikation und dem Versuch, sich selbstauszudrcken, whrend man sich inder Gesellschat engagiert. Das heitnicht, dass man ein Aktivist oder au

    Twitter sein muss. Er glaubt, dass mandie Rolle als Knstler nicht erllt,wenn man sich nicht in der Gesell-schat engagiert. Wenn ich ber mei-ne Lieblingskunstwerke nachdenke,haben sie in der Regel ein Element vonGesellschatsbezug, Kommentar oderAusdruck. Es ist interessanter, wennes ein bisschen tieer geht, weswegenich seine Denition sehr mag. Wiekann man andererseits auch Knstlersein und sich nicht r die Frderung

    von Meinungsreiheit einsetzen?Twitter ist eines der Mittel, mit de-nen Ai Weiwei seinen Gesellschats-bezug aurechterhlt. Er scheint viel

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    @aiww: Sag oen was Du sagen musst,und bernimm die Verantwortung dar.

    @aiww: Dieses Land verschwendet die Hlte

    seiner Energie darau, die Menschen daran zuhindern, an Inormationen zu kommen.

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    Zeit au Twitter zu verbringen. DerFilm zeigt bersetzte Tweets; er selbstschreibt au Chinesisch. Wer ist seinPublikum?

    Twitter ist eines der Hauptbeweis-stcke dar, dass sein Publikum chi-nesisch ist. Fakt ist, dass seine Kunstnoch nie in einem groen Museum in

    China ausgestellt worden ist. Die gr-ten Ausstellungen anden in Deutsch-land und Grobritannien statt. Das istkein Zuall. Es ist sehr rustrierendr ihn, dass man seine Kunst nichtin seinem Land sehen kann. Er ist im-mer au der Suche nach dem bestenund klarsten Weg, sich auszudrcken.Manchmal geschieht das durch Kunst.Jetzt hat er estgestellt, dass bloggenund twittern sehr eektiv ist. Die Tat-sache, dass er au Chinesisch schreibt,zeigt sein Engagement in China.

    Warum haben Sie sich r Twit-ter als Medium r die Erzhlung desFilms entschieden?

    Das ist eine Konstante in seinemLeben. Es gab Tage, wo ich morgensankam und man mir sagte, Ai Weiweiwolle r die nchsten drei Stundenan seinem Computer sein. Ich knn-te nur so und so lange lmen und eswre besser, wenn es interessant wre.Manchmal twittert er mitten in derNacht und so erschien es nur sinnvoll,Twitter im Film zu benutzen. Das Me-dium ist immer noch relativ neu, vorallem r chinesische Nutzer. Ai Wei-wei ist ein Pionier und ich sehe ihn alskritischen Teil der kurzen Geschichtevon Twitter.

    Ist Twitter aber technisch gesehennicht auerhalb der Great Firewall oChina?

    Ja. Der einzige Grund, warum er

    zu Twitter gegangen ist, besteht da-rin, dass sein Blog stillgelegt wurde.Der Blog war innerhalb der Firewall.Er konnte damit Millionen von Men-schen erreichen. Die Regierung hattezunchst selektiv einige seiner Arti-kel enternt, die er dann wieder online

    stellte. Spter wurde der Blog stillge-legt und vollstndig vom Server ent-ernt. Als das geschah, erschien essinnvoll, zu Twitter zu gehen, auchwenn dort das Publikum viel kleinerist. Seine Inhatierung hat dieses Pu-blikum ganz oensichtlich vergrert.Dennoch ist es ein Werkzeug, was vie-

    le Leute wegen der Zensur benutzen.Die Menschen wollen diese Gespr-che auerhalb der Firewall hren. ImFall von Chen Guangcheng haben siedasselbe au der chinesischen Versionvon Twitter gemacht, aber jedes Mal,wenn ein Buzzword autauchte, wur-de es zensiert. Wenn sie sich darumkmmern, es zu einem zensiertenWort zu machen, bedeutet das, dass esgenug Leute gibt, die darber schrei-ben. Und sie lesen darber nicht inder ofziellen Presse. Fr mich ist dasein gutes Zeichen, weil es die groeAumerksamkeit und das groe En-gagement au Seiten der Bevlkerungzeigt. Ideen kann man nicht zensie-ren. Das macht mir Honung.

    Die Risiken sindr chinesische

    Brger am grtenManchmal scheint es, als ob Ai

    Weiwei mit bestimmten Dingen wiedem Nutzen von verbotenen Dienstendavonkommt, weil er berhmt ist. Wieist das mit normalen Leuten?

    Sie kmmern sich nicht um Twitter,weil die Reichweite so eingeschrnktist. Es ist auch nicht illegal, Twitter zunutzen. Sie wollen nur nicht, dass die

    Leute es nutzen, weil sie es nicht kon-trollieren knnen. Trotzdem wrdensich die Menschen selbst in Geahrbringen, wenn sie Twitter oen nutz-ten. Verglichen mit den Einschrn-kungen, denen sich Chen Guang-cheng gegenber sah, ist Ai Weiwei

    aber tatschlich ein besonderer Fall.Hatten Sie jemals das Gehl, sich

    selbst in Geahr zu bringen?Zuerst hatte ich keine Angst, nach

    seiner Inhatierung wurde Ai Wei-wei als Thema aber viel mehr tabuund ich habe meine Meinung gen-dert. Die meisten Journalisten, die ich

    kannte, hatten ihn vorher interviewt.Er ist kein Unbekannter. Die Risikensind viel grer r all die Freiwilligenund Aktivisten, eigentlich alle chine-sischen Brger, die man in dem Filmsieht. Es geht nicht darum, dass sie indem Film autreten, es geht um ihreTaten. Als auslndische Journalistinhatte ich aber nie das Gehl, in Ge-ahr zu sein.

    Die Amerikanerin ist Freelance-

    Journalistin und Dokumentarlme-

    rin. Sie studierte Geschichte an

    der Brown-University und arbeite-

    te anschlieend als Chinakorrespondentin

    fr diverse amerikanische Webseiten und

    Radiosender. Foto: Monic Johanna Wollschlger

    Filminhalt

    Ai Weiwei: Never Sorryzeigt das Portrait

    eines der wichtigsten Persnlichkeiten

    des beginnenden 21. Jahrhunderts.

    Einen Knstler, der glaubt, dass Kunst

    und menschliche Freiheit untrennbar

    miteinander verbunden sind. Im Stre-

    ben fr diese Freiheit wird Ai Weiwei nie

    aufhren, seine Gegner zu provozieren.

    Er fragt nach, wo andere schweigen

    ungeachtet der Konsequenzen.

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    Werbepartner

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    Kapitel 2

    Kunst und Dissidenz

    Den Wunsch nach Freiheitknnen autoritre Regimenicht erllen. Knstler,Architekten, Maler oderMusiker knnen diese Sehn-sucht aber artikulieren. Ob inder ehemaligen DDR, wh-rend des Arabischen Frhlingsoder in China: Mit der Politikder Pinsel mssen sich dieMchtigen auseinandersetzen.

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    Kunst kann kritisch und widerstn-dig sein, sie kann dazu beitragen, ver-krustete Strukturen zu unterminie-ren und emanzipatorisches Potenzialentalten. Aber: Sie wirkt weder einli-nig noch unmittelbar, und schon garnicht au Bestellung. Es ist daher einWiderspruch in sich, von staatlicherSeite aus Kunst als Botschaterin vonWerten wie Auklrung und Emanzi-pation instrumentalisieren zu wollen.

    Das erzeugt in aller Regel genau dengegenteiligen Eekt, dass Kunst alswohleile Ummntelung anderer Inte-ressen dient.

    AudringlicherSubtext

    So verhielt es sich bei der Groaus-stellung Kunst der Auklrung, die

    das Auswrtige Amt in Peking veran-staltet hatte. Auch wenn sie ihren Ge-genstand wissenschatlich seris au-bereitet prsentierte, lautete der au-

    Mit Risiken

    und Neben-wirkungen

    von Verena Krieger

    Kunst hat emanzipatorisches Potenzial,kann kritisch und widerstndig sein ein audringlicher Subtext oder Markt-konormitt bewirkt aber das Gegenteildes erhoten Eekts.

    dringliche Subtext, dass die Image-pege des chinesischen Regimes unddas deutsche Interesse an einer In-tensivierung der Wirtschatsbezie-hungen sich unter der Flagge der (soeigentlich gar nicht existenten) Au-klrungskunst problemlos vereinba-ren lassen. Unter diesen Vorzeichenbleibt wenig Platz r die innere Wi-dersprchlichkeit der knstlerischenIdeen und Arteakte der Auklrungs-

    zeit (wie sie in der aktuellen BerlinerAusstellung Von mehr als einer Welt.Die Knste der Auklrung wunder-bar sichtbar gemacht werden). An dieStelle der sich selbst kritisch reek-tierenden Auklrung rckt ein Bildder Auklrung, das diese zu einemin sich geschlossenen, gellig konsu-mierbaren Ideologem erklrt.

    Nicht anders war man nach demZweiten Weltkrieg im Westen mitder abstrakten Malerei umgegangen:

    Indem man sie als Inbegri westli-cher Werte deutete und innerhalb derBlockkonrontation ideologisch inst-rumentalisierte, trug man dazu bei,

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    dass ihr widerstndiges Potenzial ver-loren ging und sie tatschlich als de-korative Tapetenmalerei konsumier-bar wurde.

    Marktkonormitt

    und Dissidenzschlieen sich aus

    Doch nicht nur staatliche Kultur-politik ist von dieser prinzipiellen Pro-blematik betroen au andere Weisetragen die Mechanismen des Kunst-markts aktiv dazu bei, Kunst ihren po-tenziell widerstndigen Charakter zuentziehen. So mag der Hype um diechinesische Gegenwartskunst, derdurch westliche Sammler und Auk-tionshuser betrieben wird, zu einerIntegration des chinesischen Kunst-marktes und zum Abuss berschs-sigen westlichen Kapitals hren eine Kunst in der Dissidenz kannseine Sache schon deshalb nicht sein,weil Dissidenz und Marktkonormi-tt einander ebenso ausschlieen wieDissidenz und staatliches Propagan-dainteresse.

    Wer au die Widerstndigkeit derKunst unter autoritren Regimes wiein China setzt, ist daher mit einer pa-radoxen Situation konrontiert: Dissi-

    dente Kunst kann weder als westlicheImportware noch als exotische Belie-erung westlicher Mrkte unktionie-ren. Ebenso wenig kann sie einer po-litischen Opposition als Propaganda-mittel dienen und daher auch nichtwie eine Guerilla von auslndischenMchten nanziell untersttzt wer-

    den. Kunst hat einen ambivalentenCharakter und einen Zug ins Oene.Dissident kann sie nur wirken, wennsie verschiedene Deutungen zulsstund ihre Betrachter in vitale Ausein-andersetzungen involviert.

    Die beste Form, solche Kunst jen-seits instrumenteller Verwertung zuuntersttzen, liegt in der Frderungdes internationalen Austauschs bil-dender Knstler und Knstlerinnenin Artists in Residence-Program-men und regionalen Kunstausstellun-gen. So schat man Freirume dar,dass sie ihre eigenen, au den jewei-ligen Kontext bezogenen Ideen vonKunst wie von Auklrung entwi-ckeln.

    Die Professorin fr Kunstgeschich-

    te (Universitt Jena) war von

    1987 bis 1989 Mitglied der grnen

    Fraktion im Deutschen Bundestag.

    Nach ihrer Habilitation in Kunstgeschichte

    2004 lehrte sie in Stuttgart, Bern, Karlsru-

    he und Wien. Krieger publizierte mehrere

    Bcher zu ihrem Fachbereich.

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    Mue

    zurMue

    Knstlerischen Freiraum kann man sich nur neh-men, er kann nicht gewhrt werden. Wie ieendder bergang zwischen Angst, Verbot und knst-lerischer Freiheit tatschlich ist, zeigt ein Blickau die Umbrche in der arabischen Welt. Ohne

    genaues Hinsehen geht es nicht.

    von Irit Neidhardt

    Die Umbrche in gypten und Tune-sien sowie die Austnde in Syrien ha-ben im Ausland ein breites Interessean der Kunst jener Lnder geweckt.Vielleicht ist es aber auch nur das Be-drnis einer schnellen bersetzungder Geschehnisse in die vermeintlichuniverselle Sprache der Kunst und dieSehnsucht nach Klarheit. Au jeden

    Fall gibt es groe Ungeduld.Filmestivals erwarten Arbeiten zuden Revolutionen, die nur Htschs-se sein knnen. Theaterestivals h-ren Stcke zur aktuellen Situation au,in Perormances werden Facebook-Gesprche verlesen. Zeit und Raumr Reexion und den Versuch, sichder Bedeutung der Geschehnisse zunhern, gibt es nicht. Geben die Nach-richten kein Abbild? Wie gro ist derKompromiss, den wir bei der Qualitt

    der Kunst eingehen, damit sie aktuellist? Ist nicht auch politisch an dieserKunst, der schnell r den internati-

    onalen Markt zusammengezimmer-ten, dass sie schlechte Kunst ist? Wieein Beleg dar, dass die Menschen inder Region keine gute Kunst machen?Wann erahren wir Kunst aus diesenLndern, wenn nicht in der Krise?

    Die Grenzen des

    Verbots, der Angstund der Freirumesind ieend

    Mit Einhrung der preiswerterenVideotechnik hat sich in gypten seitAnang der 2000er-Jahre eine alterna-tive Filmszene herausgebildet. Es wur-den kurze Filme hergestellt, die man

    in Innenrumen drehen und zu Hau-se im Freundeskreis sehen kann. Esging ums Experimentieren: ormal,

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    inhaltlich und in Bezug au die Pro-duktionsbedingungen. Die Grenzendes Verbots, der Angst und der Frei-rume sind ieend, der Austauschmit dem Ausland permanent. Wieerkennt man berhaupt einen Frei-raum? Der Regisseur Ibrahim El-Ba-tout hat seinen langen Spiellm AinShams ganz ohne Genehmigungen ge-dreht. Darum wurde er nie verboten.

    Um die Kinos nicht in Schwierig-keiten zu bringen, legte Batout das er-tige Werk dem Zensor vor. Der wuss-te lngst Bescheid, denn seit dem Mo-

    ment, in dem der Film abgedreht war,hat der Regisseur im TV, im Radiound in der Zeitung von seiner Arbeitberichtet und andere augeruen, esihm gleich zu tun. Der Zensor beklag-te entlich, dass dies keine Art seiund gab die Vorhrlizenz nach eini-gem Hin und Her rei. Es ehlte demFilm nicht nur an Genehmigungen,es gibt auch keine Stars und kein Hap-py End. Es war ein Protest gegen dieMacht des Geldes und die Korrupti-

    on, gegen den Eskapismus des Main-streams sowie die Lgen der Mchti-gen und die, die sie glauben.

    Dem Historienlm Der Emmigrantvon Yousse Chahine ber die Joseph-Geschichte wurden Mitte der 1990ersmtliche staatlichen Genehmigun-gen erteilt, dann olgten zwei Verbo-te. Zunchst durch die Klage eines is-lamistischen Rechtsanwalts, weil sichder Prophet Joseph au Zelluloid ver-dinglichte. Chahine ging in Revisionund bekam recht, worauhin ein kop-tischer Anwalt einen zweiten Bann er-wirkte, weil die Darstellung Josephsnicht wahrheitsgetreu sei. Was also istknstlerischer Freiraum? Wer behin-

    dert ihn? Wen behindert die Kunst?

    Freiraum kannman sich nurnehmen

    Jocelyne Saabs Dunia, in dem esauch um weibliche Genitalbeschnei-dung in gypten geht, wurde interna-

    tional geeiert, in gypten brauchte esein Jahr, bis er 2006 in die Kinos kam.Es erbosten sich unter anderem jun-

    ge Oppositionelle, weil die LibanesinSaab sich in gyptische Angelegen-heiten mische und au einem Problemrumreite, dessen Lsung sich die ver-hasste Prsidentengattin Susan Muba-rak au die Fahnen geschrieben hatte.

    Knstlerischen Freiraum kannman sich nur nehmen, er kann nichtgewhrt werden. Dass im Zusammen-hang der Proteste nie ber Propagan-da gesprochen wurde, zeigt, wie leichtKunst zum Spielball der Politik ande-rer werden kann.

    Die Autorin betreibt mec lm

    (middle eastern cinemas) eine Ver-

    leih- und Vertriebsrma fr Filme

    aus dem Nahen Osten. Neidhardt

    ist Koproduzentin mehrerer Dokumentar-

    lme und Autorin zahlreicher Artikel zum

    Themengebiet Kino und Nahost.

    Foto: CC-by Gigi Ibrahim

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    Au den

    zweiten BlickDie Ausstellung

    Kunst der Aukl-

    rung hat hitzigeDebatten ausgelst.Doch die Freiheitder Kunst ist einhohes Gut Kunstund Kultur dren

    sich auch deshalbnicht nur an der Ta-gespolitik messenlassen, denn ihreKrat entalten sieerst au lange Sicht.

    von Michael Eissenhauer

    Selten hat eine Ausstellung eine sohitzig gehrte Debatte ausgelst wieDie Kunst der Auklrung, die vonApril 2011 bis Mrz 2012 im Chinesi-schen Nationalmuseum in Peking zusehen war. In Deutschland wurdenwir, die Staatlichen Museen zu Berlin,die Staatlichen KunstsammlungenDresden und die Bayerischen Staats-gemldesammlungen Mnchen, diedas Projekt in enger Zusammenar-beit mit dem Chinesischen National-museum konzipiert und durchgehrthaben, von vielen, zum Teil auch he-tig, kritisiert. Die Kritik reichte bis zurForderung, die Schau abzubrechen:Sie diene als Feigenblatt r eine dieMenschenrechte missachtende Re-gierung, lautete ein Vorwur, und einanderer, sie dekoriere manieste wirt-schatliche Interessen.

    Ausstellungberschattet vonder Festnahme

    Ai WeiweisDie Ausstellung handelte von der

    Kunst des 18. und rhen 19. Jahrhun-derts und speiste sich ausschlielichaus den drei Sammlungen in Berlin,Dresden und Mnchen. Inhaltlich ori-entierte sie sich an der Frage, wie sichdie uns und in China gleichermaenunter dem Begri der Auklrungbekannte Epoche neben der Philoso-

    phie, Literatur und den Naturwissen-schaten etc. in der Bildenden Kunstausdrckte. In dieser Zeit wurde dieKunst zum Honungstrger und In-

    strument sthetischer Erziehung. DerKnstler wandelte sich zur entli-chen Instanz, zum kritischen Beob-achter, zum Genie und Revolutionr.Die Idee, dass Kunst den Menschenund die Gesellschat verndern knne,wurde zu einem Leitgedanken. DieAusstellung orientierte sich an denMotiven und Ideen der Auklrungund war ein Angebot, gemeinsam mitden chinesischen Besucherinnen undBesuchern ber europische Kunstund ihre bildnerischen Ausdrucksor-men in einen Dialog zu treten.

    Doch der Autakt der Ausstellungwurde berschattet von der Festnah-me und Verschleppung des interna-tional bekannten Knstlers Ai Wei-wei zwei Tage nach der Ernung.Dies evozierte den von Kritikern an-geprangerten Kontrast zwischen demAusstellungsthema und der politisch-gesellschatlichen Realitt am Aus-stellungsort. Obwohl Ais Festnahmein keinerlei Zusammenhang mit derAusstellung stand, wurde doch evi-dent, dass der Umgang des Gastlandesmit seinen kritischen Knstlern nicht

    mit dem in der Auklrung begrn-deten Ideal des autonomen Knstlersvereinbar ist.

    Kunst und Kulturnicht nur an derTagespolitikmessen

    Die Freiheit der Kunst ist ein ho-hes und nicht verhandelbares Gut. InDeutschland messen wir unser Ver-

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    stndnis von Staat an dessen Um-gang mit seinen Kritikern und geradeauch mit seinen Knstlern. Auch diesist eine Errungenschat der europi-schen Auklrung, die wir in der Aus-stellung thematisiert haben. Ein Ab-bruch der Ausstellung war r uns da-her keine Option. Er htte niemanden

    in China zum Umdenken bewogen,aber den interessierten Menschen inPeking die Mglichkeit genommen,sich mit den Bilderwelten der Au-klrung auseinanderzusetzen. Unddieses Angebot wurde angenommen:eine halbe Million Menschen habendie Ausstellung mit zum Teil euphori-schen, immer aber tiegrndigen Re-aktionen besucht.

    Man wird dem Wesen und Wirkenvon Kunst und Kultur als Medien des

    Austausches und der Vlkerverstndi-gung nicht gerecht, wenn man sie nuran Ergebnissen der Tagespolitik misstund von diesen abhngig macht. Kul-

    turaustausch zielt nicht au unmittel-bare gesellschatliche Vernderung,sondern kann seine Krat nur au lan-ge Sicht entalten. Im besten Falle bie-tet er eine Plattorm r einen oenenDiskurs, bei dem sich die Partner berihre Standpunkte verstndigen unddie eigene kulturelle Identitt, wie

    auch die des anderen, zu verstehenlernen. Und aus diesem Verstndnisheraus knnen sich gesellschatlicheEntwicklungen ergeben, die zu gestal-ten dann eine Herausorderung rPolitik und Kultur werden.

    Seit 2008 trgt Michael Eissen-

    hauer als Generaldirektor der

    Staatlichen Museen zu Berlin

    die Verantwortung fr den mit 15

    Sammlungen und vier Instituten grten

    Museumsverbund in Deutschland. Er wurde1956 in Stuttgart geboren und studierte in

    Tbingen und Hamburg.

    Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Joerg Frank

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    The European: In der Ankndigungzur diesjhrigen Berlin Biennale wirddeutlich, dass Sie ganz klar einen poli-tischen Schwerpunkt setzen mchten.

    Was hat Politik mit der Kunst zu tun?Zmijewski: Ich hatte die Vorstel-

    lung, die Biennale politisch zu ge-stalten. Dar mssen wir natr-lich erst einmal denieren, was Po-litik r uns berhaupt bedeutet. Dientzlichste Denition ist vielleicht,

    dass Politik ein allgemeiner, ent-licher Raum ist, in dem wir sozia-le Prozesse moderieren und gestal-ten knnen. Ein Raum, in dem Men-schen gegenstzliche Meinungen ha-ben und sich sicher hlen knnen,diese auch rei zu artikulieren. Diesunktioniert natrlich nur, wennsich dieser Raum innerhalb eines de-mokratischen Rahmens bendet.

    Es ist eine sehr weite Denition,aber viele Menschen teilen sie. Wir

    versuchen so bodennah, so lokal wiemglich zu agieren und suchen daherimmer nach ganz konkreten Fllen

    Kunst kann

    substanziellPolitik erzeugen

    Die Berliner Biennale konrontiert ihre Besu-cher mit der Verbindung von Kunst, Kulturund Politik. The European sprach mit dem Ku-rator Artur Zmijewski ber sein Ausstellungs-konzept, Berlin und politischen Aktivismus.

    Gesprch mit Artur Zmijewski

    oder Beispielen, die unsere Umwelt,unseren Alltag widerspiegeln. Wirsuchen nach Knstlern und Nicht-Knstlern, die in verschiedene poli-tische Aktionen involviert sind. Aberleider setzen viele Leute Politik mitManipulation gleich, als Machtkampund das hindert viele, politisch zu ar-beiten. Dennoch glaube ich noch im-mer daran, dass Kunst in der Lage ist,statt bloer sthetisierung des sozia-

    len Lebens sogar substanzielle Politikzu erzeugen. Wir mchten uns mit re-alen Fllen und Ereignissen besch-tigen, um so gut es geht die abstrakteEbene zu verlassen.

    Ich mchte keineTrennlinien ziehen

    Von welchen Ereignissen oder Fl-

    len sprechen Sie?Zum Beispiel der grte Schls-sel der Welt, den Bewohner des Ai-

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    da-Flchtlingslagers in Palstina ge-meinschatlich gebaut haben. Er istnach Berlin gereist und wird im Hoder KW (Kunst-Werke) in Berlin pr-sentiert. Hoentlich wird der berdi-mensionale Schlssel in das Guin-nessbuch der Rekorde augenom-men. Er ist ein Werk mit einem be-

    stimmten Sinn r Humor vermischtmit einer starken Ernsthatigkeit. Erist eine Skulptur und ein Symbol, daspolitische Forderungen der palsti-nensischen Gemeinschat ausdr-cken kann. Sein Ausdruck ist gnz-lich gewaltrei. Der Schlssel repr-sentiert das Recht au Rckkehr underzhlt von der palstinensischenTragdie Nakba und von demwichtigsten Thema berhaupt: Men-schen- und Brgerrechte, die dieseLeute verloren haben.

    Wie hat sich Kunst und ihr politi-scher Ausdruck durch das Aukom-men von Digitalitt verndert?

    Bei dem Projekt Breaking theNews werden Knstler zu Journalis-ten. Sie inormieren die Menschenber bedeutende politische Ereignisse,die um sie herum geschehen. Sie kom-men aus der ganzen Welt und setzensich mit den Unruhen, den Straen-kmpen, dem Verhalten der Polizeiund den Grausamkeiten auseinander.Ihre Videodokumentationen sind auder Internetseite der Berlin Biennaleund im Ausstellungsraum zu sehen.Die Knstler handeln wie Journalisten,sie berichten und kommentieren.

    Zum Beispiel der israelische Knst-ler David Reeb, der in Tel Aviv lebt undzu Orten wie Bilin reist, wo die Pals-tinenser Woche r Woche gegen dieBesetzung ihres Landes und den Bau

    israelischer Siedlungen protestieren.

    Wir sind vonIdeologie umgeben

    Wo ziehen Sie eine Linie zwischenpolitischen Aktivisten und Aktions-knstlern? Kann man hier berhauptunterscheiden, oder ist alles eineknstlerische Perormance, was sich

    mit Politik beschtigt?Ich mchte berhaupt keineTrennlinien ziehen. Ich verstehe mei-

    ne Rolle anders. Es gibt kein Raster,was deniert, Du bist ein Aktions-knstler und Du nicht. Ich mchteKunst und Politik miteinander ver-mischen, ich mchte die knstlichenGrenzen dieser Kategorien ausen.

    Als Journalisten nutzen wir das ge-schriebene und gesprochene Wort alsMedium zur Vernderung. WelcheMedien nutzt die Kunst? Kann diesetatschlich Sozialverhalten beeinfus-sen und verndern?

    Kunst hat eine ganz eigene Spra-che, eine visuelle. Auch Journalis-ten nutzen eine visuelle Sprache. Bil-der, Videos, all das ist in Aktion. Diemenschliche Wirklichkeit wurde da-durch in der Vergangenheit immerwieder verndert. Neue Begrie h-ren neue Phnomene ein, wie z.B. Fe-minismus. Sprache schat eine neue

    Realitt und konrontiert uns mit denWnschen unterdrckter Gruppen.Mario Lombardo hat das Logo r

    die Biennale gestaltet, was viele Men-schen an ein ideologisches Symbol er-innert. Die Menschen sind sauer undwtend ber unser Logo und denken,was soll das? Aber wenn man genau-er hinschaut, sieht man, dass das Logovon transparenten Ideologien undSymbolen inspiriert ist: Mnzen, be-kannte Firmen und so weiter. Es ist

    ein Konglomerat von unterschiedli-chen Formen, Symbolen und Materia-lien, aber diesmal, um der entlich-

    keit zu zeigen, dass es eigentlich reineIdeologie ist.

    Also nutzen Sie das Biennale-Logoschon als Auslser r politische Dis-kussion?

    Ja. Wenn Sie durch die Straen inMitte lauen, sehen Sie dieses Symbolau die Schauenster gemalt. Hier tre-ten wieder Assoziationen hervor. Zumeinen mit Grafti, zum anderen mitdem Markieren jdischer Geschtein den 30ern. Mario Lombardo mch-te die kollektive Erinnerung und ihreGeister wachrtteln und noch mal wir sind von Ideologie umgeben, dier unsere Augen komplett transpa-rent ist. Deshalb ist das so gehrlich.Teil dieser Aktion ist es, Zitate aus di-versen politischen Reden herauszu-schneiden und sie im entlichenRaum zu zeigen.

    Der in Warschau geborene

    Zmijewski ist ein international be-

    kannter Knstler und 2012 Kurator

    der 7. Berlin Biennale. Zmijewski

    studierte in der Bildhauerklasse von Profes-

    sor Kowalski an der Warschauer Kunstaka-

    demie und an der Gerrit Rietveld Academie

    in Amsterdam. Foto: Zofa Waslicka

    Foto: Anna Eckold

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