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The race Qualifizieren. inspirieren. Mobilisieren. 10. Jahrgang • 3/2009 • Nr. 35 (November) 7 EUR/10 SFr (Einzelpreis) Wandel bleibT alles anders? Wie wir nachfolgen werden Wie werden wir Gemeinde in 20 Jahren leben? // Seite 28 Ein Junge? Ein Mädchen? Intersexualität // Seite 40 Wie sollen wir denn leben? Im Gespräch mit Keith Warrington // Seite 54 dies isT nur ein probeauszug. bei gefallen ruhig Mal das ganze hefT oder gleich ein abo iM inTerneT besTellen.

THE RACE 35 • WANDEL

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In dieser Ausgabe halten wir inne und beobachten, wo Wandel erkennbar wird und inspirieren dazu, den Wind des Wandels, der ständig weht, mit offenen Armen willkommen zu heißen.

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The raceQualifizieren. inspirieren. Mobilisieren.

10. Jahrgang • 3/2009 • Nr. 35 (November) 7 EUR/10 SFr (Einzelpreis)

WandelbleibT alles anders?

Wie wir nachfolgen werdenWie werden wir Gemeinde in 20 Jahren leben?

// Seite 28

Ein Junge? Ein Mädchen?Intersexualität

// Seite 40

Wie sollen wir denn leben?Im Gespräch mit Keith Warrington

// Seite 54

dies isT nur ein probeauszug.

bei gefallen ruhig Mal das

ganze hefT oder gleich ein

abo iM inTerneT besTellen.

Sophie, 26, BerlinIn eine berühmte Schauspielerin, die gerade einen anspruchsvollen Film an einem tollen Set dreht.

Stefan, 25, NagoldPapst, um zu sehen was da hinter den Kulissen geschieht.

dein gesichT auf seiTe 2

2 The race 03/09

in Wen WürdesT du dich gerne für einen Tag verWandeln?

Anke, 28, HerrenbergMeine kleine Tochter – um zu wissen, was in ih-rem Kopf abgeht.

Klaus, 49, MötzingenJohn F. Kennedy

Moni, 38, MötzingenEinen Adler in den Rocky Mountains.

Bernd, 35, Pfalz-grafenweilerIn einen Alm-bauern in den Alpen. Bisschen körperliche Arbeit, frische Luft, herr-liches Panorama, draußen – und vor allem Ruhe!

Manuel, 29, FellbachIn den Apo-stel Paulus. Seine Liebe und Hingabe zeigen mir, dass es mehr gibt.

Elli, 23, DresdenIch glaube, zurzeit will ich mich in niemand anderes verwandeln. Jeder Tag ist ein neues Abenteuer.

Bekky, 19, FellbachDamit ich sie endlich besser verstehen kann: in einen Mann.

Kevin, 29, FellbachSpiderman, weil der sich immer so cool mit seinen Netzen durch die Luft schwingt.

Sarah, 23, TübingenIn irgendeine Person aus der jüdischen Volksmenge, die eine Wundertat Jesu live miterlebte.

Kathi, 24, LüneburgEine Primabal-lerina! Einmal über die Bühne schweben – das wäre großartig!

Helmut, 43, Heiden-heim Vielleicht etwas typisch, ist aber lebendiger Ernst: Ich würde gerne einen Tag wirklich das echte Jesus-Leben leben ... und dann nie wieder damit aufhören!

Sara, 22, TübingenVielleicht in die Queen, Audrey Hepburn oder Königin Esther, aber das müsste ich mir noch mal überlegen. Vielleicht doch eher Mose an einem Tag auf dem Berg Sinai mit Gott?

Lisa, 20, FreudenstadtIn Lorelai Gilmo-re, weil sie so schlagfertig ist.

Sascha, 30, Mie-delsbachIn einen Adler. Da könnte ich die Welt aus einer ganz anderen Per-spektive sehen.

Sören, 24, FreudenstadtIn meine Frau. Das würde mir viele Fra-gen beantworten.

Benson, 52, FreudenstadtIn Jesus. Einen Tag lang alle sei-ne Wunder tun.

Sam, 23, FreudenstadtIn Garfield. Der war immer mein Idol.

Alicia, 37, FreudenstadtIch bin gern ich selbst!

Martin, 35, FreudenstadtDavid Livingstone. Weil er als Pioniermissionar in Afrika völlig unbe-rührte Natur betreten durfte.

Giovanna, 29, FreudenstadtIn einen Engel. Da könnte ich herum-fliegen, Gutes tun und mal sehen, was die so erleben.

Alja, 29, UlmEin Tag Bill Johnson inkl. Hingabe, Integrität, Weisheit, Erkenntnis, Heilungen, Wun-der und Authentizitätstest in allen Lebensbereichen.

Theresa, 25, EgenhausenIch würde gerne für einen Tag mit einem Star tauschen, egal mit wem :)

Steffen, 31, FreiburgBono von U2. Ein etablierter Musiker der seine Bekannt-heit für Gottes Werte einsetzt und die Welt verändert.

Regina, 46, EgenhausenMutter Theresa, die aus einer so innigen und tiefen Liebe zu Jesus lebte, dass sie den Ärmsten und Ster-benden Barmher-zigkeit tat, als wäre es Jesus selbst.

Simon, 28, RohrdorfIn einen guten Freund – damit ich mich mal durch andere Augen sehen kann.

Miri, 20, EgenhausenIn meinen Bruder Michi – so viele Termine und doch immer für mich da.

Gernot, 40, RostockHerbert Gröne-meyer – was macht solch ein kreativer normaler Reicher den ganzen Tag?

Heidrun, 65, Bietig-heim-BissingenEinen Tag Heidi Klum sein: Jung, blond, schön, reich, erfolgreich, einen liebenden Ehemann haben, den auch ich liebe. Und noch die Bereicherung – Kin-der haben.

Jonas, 23, HeidelbergIn die Menschen, mit de-nen ich mich regelmäßig streite, um Einsicht zu bekommen oder sogar Verständnis.

Mario, 42, Nagold-MindersbachSean Connery – er kam aus wirk-lich armen Ver-hältnissen und hat nie aufgegeben, heute ist er welt-berühmt. Was hat ihn angetrieben?

Lena, 21, NürnbergIn einen Dorfäl-testen eines süd-amerikanischen Indianerstammes.

Peter, 19, SelbitzIch würde gerne ein Almbauer sein, die Berge, die Luft, das Le-ben genießen und die Freiheit und das geile Gefühl spüren.

Kathrin, 26, MeiningenIn mich selbst mit 80 Jahren.

Irene, 33, AnsbachIn das Baby mei-ner Freunde, weil dann alle ganz lieb zu mir wären.

Niko, 26, MeiningenIn meine Frau.

Johanna, 23, AnsbachIch würde gerne für einen Tag mit einem Straßen-musiker in Tel Aviv tauschen.

Jonathan, 24, Würzburg In einen Astro-nauten und das ganze Universum erkunden.

Kerstin, 24, AnsbachIn meine kleine Tochter – und mich den ganzen Tag auf Zuruf mit allem was ich brauche versor-gen lassen.

Benny, 30, BerlinAlbert Einstein – weil er auch ohne Abitur ein Genie geworden ist!

Nadine, 34, BerlinIn eine unserer de-menzkranken Patien-tinnen, um zu sehen an was ich mich noch erinnern kann und wie (bedrohlich) alles auf mich wirkt.

Jerry, 40, BerlinIn einen in der ehemaligen DDR aufgewachsenen Atheisten. Dann könnte ich verstehen, wie es war und viel-leicht auch, wie ich ihn am besten Gottes Liebe und Gnade begreiflich machen könnte.

Debora, 28, BerlinHab heut Patrick Swa-zyes Todesanzeige gele-sen, Star meiner Jugend. Ich wär gern Babe und würde mit Johnny übers Parkett gleiten ;-)

Günter, 54, BerlinIn Marcel Reich-Ranicki, um eine wohlwollende Kritik über ein Buch von Günter J. Matthia zu schreiben.

Jan, 29, KasselIch wäre gern Petrus direkt mit Jesus auf dem See. Auf Wasser laufen mit Jesus – zweifach cool!

Elias, 25, Mon-terey, KalifornienIn ein Mitglied mei-ner Familie – um selber zu erleben, wie ich auf denjeni-gen wirke.

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alles fliessTWenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen. —Chinesisches Sprichwort

// Wandel als Gegenteil von Stillstand ist allgegenwärtig. Eine Tatsache, der sich kein Mensch entziehen kann. Von der Zeugung bis zum letzen Atem-zug – wir verändern uns permanent. Veränderung ist Teil unserer mensch-lichen Wirklichkeit, Ausdruck von Wachstum und Entwicklung.

Das Wort Veränderung löst dabei sehr verschiedene Reaktionen aus: Wo die einen vor Vorfreude und Tatendrang zappeln, erleiden die anderen läh-mende Angst. Der eine schaut dankbar auf die Veränderung in seinem Le-ben zurück, der andere hadert damit, wie sich sein Leben entwickelt hat. Aber immer bietet eine Veränderung auch eine Chance für etwas Neues, vorher nicht dagewesenes.Dabei gibt es Veränderungsprozesse, auf die wir keinen Einfluss haben, die uns überraschen, überfallen, beschenken. Doch genauso haben wir Kraft unseres freien Willens einen gottgegebenen Spielraum, selbst Veränderung herbeizuführen und somit unseren Werdegang aktiv zu gestalten und auch das Leben anderer zu beeinflussen. Diese zwei Aspekte der Veränderung er-geben zusammen das Wechselspiel, das man Leben nennt. Ein Wechselspiel in enger Verbundenheit mit dem Schöpfer, der manchmal offensichtlich, manchmal eher versteckt in diese Welt eingreift. Die Herausforderung be-steht darin, unseren Weg mit ihm zwischen Reagieren und Agieren zu fin-den – Veränderung zuzulassen und nach gottgegebener DNA Veränderung herbeizuführen.Gleichsam ist Wandel Ausdruck für Leben, da überall dort, wo wir Still-stand vorfinden, der Tod nicht weit ist und überall, wo sich etwas bewegt und weiterentwickelt, höchstwahrscheinlich Lebenskräfte am Werk sind.

ediTorial

Das Redaktionsteam von links nach rechts:

Michael, Jörg, Anneke, Anne, Benjamin

danke, daniel

Seit Anfang 2006 war Daniel Teil der Redaktion und hat die Zeitschrift mit Tatendrang, Elan und kreativen Im-pulsen geprägt und mitgestaltet. Sei-ne Ideen haben oft den entscheidenen Ansatz für eine neue Denkweise in den Redaktionstreffen gegeben. Er ist ein begabter Autor, charmanter Netz-werker und Umsetzer von kreativen Ideen. Gut, dass du uns als Freund er-halten bleibst und nicht aus der Welt bist, auch wenn du deine Prioritäten ab dem neuen Jahr anders gewichten wirst. Danke, dass du so begeistert mit uns unterwegs warst.

Wie hat sich dein Leben verändert, als du auf ein sicheres Einkommen verzich-tet hast, um studieren zu gehen?

Markus (24) aus Herrenberg// Schon wenige Tage nachdem ich meinen Job reduziert und ein Studium begonnen habe, hat sich mein persön-licher Erfahrungshorizont erweitert. Anstatt mich mit dem über Jahre hin-weg eingeschlichenen Alltagstrott zu-frieden zu geben, stehe ich mehr als zuvor vor neuen Herausforderungen und spannenden Fragen. Dadurch habe ich viele interessante Menschen kennen gelernt und endlich damit be-gonnen, Dinge auszuprobieren, die ich seit langem schon einmal machen wollte: beispielsweise beim Radio und einer Zeitung mitzuarbeiten. Nach an-fänglichen Sorgen und Unsicherheiten, ob das alles die richtige Entscheidung war, bin ich in kurzer Zeit entspan-nter und zuversichtlicher geworden. In manchem auch spontaner. Eine Erfah-rung, die ich nicht missen möchte. ///

In dieser Ausgabe der The race halten wir inne und beobachten, wo Wandel erkenn-bar wird und inspirieren dazu, den Wind des Wandels, der ständig weht, mit offenen Ar-men willkommen zu heißen.

In diesem Sinne wünschen wir dir viel Lese-vergnügen und gute Inspiration. ///

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inhalT

schWerpunkT: Wandel //

6 ein crash und seine folgen • In Gottes Lebensschule Gottes Wege mit uns sind oft anders als wir uns das vorstellen. Das erlebte auch der Autor und polte sein Leben von rasantem Tempo komplett auf Entschleunigung um. // GOTTFRIED MüLLER 10 WussTesT du schon? • Impulse zum Medienwandel Einfache Fakten über den globalen Medienwandel, die verblüffen. Visuelles Transkript einer im Internet bekannt gewordenen Video-Präsentation. // XPLANE, KARL FISCH U.A. 14 zeiT für veränderung? • Oder: Der kosmische Wandel Gottes Sollen wir als Gemeinde mit dem Wandel der Gesellschaft gehen oder umso mehr an konservativen Werten festhalten? Die Antwort unseres Autors zeigt einen ganz anderen Weg auf. // DANIEL SOLDNER 16 aMish don’T do ThaT • Eine Religionsgemeinschaft trotzt dem Wandel Über eine Gruppe von Menschen, für die die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. // ANNE CORONEL 18 Wandel nach der Wende • Im Gedenken an den Mauerfall vor 20 Jahren Eine fotografische Bestandsaufnahme von 4000 Tagen Deutsche Einheit // MICHAEL ZIMMERMANN FOTOS: JO WICKERT + MORITZ BAUER 26 probleM oder lösung • Oder: Wenn Lösungen etwas auslösen Es ist gut, Dinge zu verändern. Problematisch wird’s, wenn wir dadurch keine weiteren Veränderungen erwarten. // KERSTIN HACK 28 Wie Wir nachfolgen Werden • Drei Autoren, drei Blickwinkel, drei Inspirationen Wie wir die gemeinsame Nachfolge in zwanzig Jahren aussehen? Eine Prognose. // HARALD SOMMERFELD, WOLFGANG SIMSON, MARCUS BITTNER

QuergedachT //

32 von der kleinheiT des reiches goTTes • Neues aus dem Hinterhof der Geistlichkeit Kolumne. Warum sind eigenständig denkende Menschen in manchen (Gemeinde-)Systemen eigentlich so ungerne gesehen? Unser Kolumnist hinterfragt. // AXEL BRANDHORST 35 zWeisaMkeiT Lyrik. Eindrücke eines Du und Ich // FRANZISKA ARNOLD 36 die Tagung • Spuren der Dämonen Dämonische Beeinflussung. Die Geschichte von Sebastian und Katharina. // MARTIN PREISENDANZ

▲ Magdeburg Hasselbachplatz 52° 07' 13'' N 11° 37' 41'' O

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inhalT

inhalT

40 ein Junge? ein Mädchen? • Intersexualität Gott schuf den Menschen als Mann und Frau. Was aber ist mit Menschen, wo das Ganze nicht so eindeutig ist? Fakten und Thesen über ein wenig präsentes Thema. // ULRICH BERNHARDT 44 Wenn ich nur Weiss, Wofür • Unter der Oberfläche Kolumne. Die Autorin stellt fest: Es lohnt sich, die eigene Angst zu besiegen, und sich Herausforderungen zu stellen. Meistens. // LINDA ZIMMERMANN 46 reichTuM für alle • Der Verrat an der sozialen Marktwirtschaft Politik. Über die Illusionen einer politischen Partei, die einen Slogan missbraucht und die Ideen des Rheinischen Kapitalismus nicht versteht. // BENJAMIN FINIS 48 MulTikulTi unTer eineM dach • Zwei Porträts interkultureller Ehen Eine Ehe mit zwei Kulturen? Klingt spannend und herausfordernd. Zwei Porträts geben Einblick in das Leben von Multikulti-Ehen. // ANNEKE REINECKER 52 sie isT eine frau • Mein(e) Freund(in) Gott und ich Kolumne. Mickey macht eine große Entdeckung: Sein Freund Gott ist (auch) weiblich! // MICKEy WIESE

JahresTheMa: reich goTTes //

54 Wie sollen Wir denn leben? • Im Gespräch mit Keith Warrington Ein häufig verwandter und selten verstandener Begriff wird auf seine Konsistenz geprüft. Was bedeutet das ›Reich Gottes‹ wirklich und was bedeutet das für mich? // BENJAMIN FINIS 58 JüngerschafT – prograMM oder abenTeuer • Weg vom Sieben-Schritte-Programm Oft sind wir Christen versucht, frisch Bekehrte eher zu christianisieren als sie in eine lebendige Beziehung mit Jesus zu führen. Die Autorin hinterfragt unser (ungeschriebenes) Sieben-Schritte-Programm. // SONJA KüSTER 62 Wie iM hiMMel • Warum ich nicht in den Himmel will Mal ganz ehrlich. Wer freut sich so richtig auf den Himmel? Denn zugegeben, der Gedanke an ihn macht uns manchmal nervös und selbst fromme Antworten sind oft nicht zufriedenstellend ... // MATTHIAS MEISTER

deTails //

02 dein gesichT auf seiTe 2: in Wen WürdesT du dich gerne für einen Tag verWandeln? 65 iMpressuM

Erklärung zu diesen Bildern: siehe Seite 18-25

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Wandel

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Wandel

// Es passierte an einem ganz gewöhn-lichen Freitagnachmittag im Februar um ungefähr 16 Uhr. Auf der Autobahn 7 im Großraum Hannover herrschte dichter Verkehr. Logisch, die Leute wollten von der Arbeit nach Hause ins Wochenende. Jeder hatte es eilig, alle fuhren zu schnell und zu dicht auf. Ich auch. Ich befand mich gerade auf dem Weg von Marburg nach Bremen. In meiner Hei-matstadt war ich zu einem Gebetstreffen eingeladen worden und sollte von meiner Arbeit als Jugendevangelist berichten. Die Gläubigen, die sich dort trafen, beteten regelmäßig für mich und meine Familie. Am darauf folgenden Samstag war ich für eine Jugendkonferenz, die etwa 100 Kilo-meter entfernt von Bremen stattfand, als Redner gebucht worden. In dem Augen-blick, in dem alles begann, saß ich also übermüdet in meinem roten Mazda 626 und versuchte, mich auf den Verkehr zu konzentrieren, während ich gleichzeitig mit einem Diktiergerät in der Hand die Predigt für den nächsten Tag vorbereitete.Plötzlich, auf Höhe der Autobahnausfahrt Großburgwedel, ging alles sehr schnell. Weiter vorne sah ich einen Fiat Punto mit einem wilden Schlenker von der linken auf die rechte Fahrspur wechseln. »Was sind heute für Idioten unterwegs?«, schoss es mir durch den Kopf, als plötzlich die Bremsleuchten meines Vordermannes rot aufflammten. Bis ich erkannt hatte, dass der schwarze Kombi aus Dänemark gar

nicht mehr abbremste, sondern bereits stand, war es schon zu spät. Der Himmel an diesem Tag war grau. Feiner Regen hatte die Fahrbahn benetzt und zusammen mit dem Schmutz der Straße einen schmierigen Film gebildet. Als ich meinen rechten Fuß ins Bremspe-dal rammte, passierte eigentlich nichts. Die Räder blockierten, ungebremst schlit-terte der Wagen auf das Heck des anderen zu. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, sah ich es näher kommen, hörte den Knall des

Aufpralls, Blech auf Blech, und beobach-tete, wie sich die Kühlerhaube des Maz-da verformte und nach oben schob. Dann knallte es noch zweimal. Auch die Wagen hinter mir konnten nicht mehr bremsen. Niemand wurde verletzt. Der Polizist, ein sehr freundlicher Mann, nahm mir ein kleineres Bußgeld ab, als ich hätte zahlen müssen, und ließ mich dann mit dem verbeulten Wagen weiter nach Bre-men fahren. Mir ist schleierhaft, warum er das tat. Die Dunkelheit hatte bereits eingesetzt, und die Scheinwerfer meines Wagens leuchteten überall hin, aber nicht auf die Straße. Da saß ich also in einem langsam über die Autobahn rol-lenden Haufen Schrott und heulte.

Eine ErkenntnisIch weinte nicht deshalb, weil mir mein Vater den Mazda, der sogar einen Namen hatte – er hieß Ekkart – erst vor vier Wo-chen geschenkt hatte. Es war wohl auch nicht der Schock, der mir in den Knochen saß. Ich denke, es war eher deshalb, weil Gott mir etwas klarmachte. Während ich das verbeulte Auto betrachtete, verstand ich, dass mein Leben ganz ähnlich aus-sah, auch wenn ich der einzige war, der das wahrnehmen konnte.

Als dieser Unfall passierte, war ich 34 Jah-re alt. Seit fünf Jahren arbeitete ich bereits vollzeitig als Jugendevangelist und -pre-diger und hatte mir einen gewissen Be-kanntheitsgrad erarbeitet. Seit zwei Jahren hatten meine Frau und ich einen kleinen Sohn, und seit einiger Zeit wussten wir, dass sie erneut schwanger war. In meinem Beruf kannte ich nur eine Devise: Vollgas. Ich war ein Überzeugungstäter. Ich wollte Deutschland und die Welt verändern. Ich war überzeugt: Mit mir beginnt die Revo-lution! (Ich habe später herausgefunden, dass andere dasselbe von sich dachten.) Gleichzeitig versuchte ich ein guter Ehe-mann und Vater zu sein. Dass meine Frau unseren Sohn manchmal seltsam fand,

ein crash und seine folgenin goTTes lebensschuleTEXT: GOTTFRIED MüLLER

Mein Leben kam mir vor wie ein rasender Intercity, ohne dass irgendwo ein Bahnhof in Sichtweite gewesen wäre.

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nahm ich nicht wahr. Dass sie sich be-klagte, ich hätte so wenig Zeit, wollte ich nicht hören. Ich fand, sie hätte die falsche Einstellung. Schließlich ging doch alles darum, dass es mit Gottes Sache weiter voran ging.

Im Rückblick glaube ich, dass ich damals, im Februar 2005, kurz vor einem Burn-out stand. Es zeigten sich bereits gewisse Symptome. Der Unfall führte mir schlag-artig vor Augen: So siehst du wirklich aus – verbrannt, verbeult, zerstört. Ich meinte, Gott zu hören, der zu mir sagte: »Ändere dein Leben, bevor es zu spät ist!« Das war der Grund, warum ich weinte. Ich wollte mich ja ändern, aber ich wusste nicht wie. Mein Leben kam mir vor wie ein rasender Intercity, ohne dass irgendwo ein Bahnhof in Sichtweite gewesen wäre. Ich sagte zu Gott: »Ich will mich ändern.

Aber du musst mir zeigen, wie das geht.«Ich brachte das Wochenende irgendwie hinter mich. Am Abend trösteten mich die Bremer Christen ein wenig. Am Sams-tag bei der Jugendkonferenz, während ich darauf wartete, dass ich endlich die Büh-ne betreten und loslegen durfte, dachte ich, ich würde gleich tot vom Stuhl fallen. Aber als ich das Mikrofon heil erreicht hatte, lief alles glatt. Den Part beherrschte ich mittlerweile. Dann, am Sonntag, saß ich in meiner früheren Heimatgemeinde im Gottesdienst. Der Vers, der als Motto auf einer großen Leinwand zu lesen war, lautete: »Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe fin-den für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht« (Matthäus 11, 29-30). Das ist eine Aussage von Je-sus, und sie bringt auf den Punkt, wonach ich mich am meisten sehnte. Ruhe, eine Last, die nicht drückt und vor allem: Ler-nen. Mir war klar, dass ich leben lernen musste. Alleine konnte ich keine Verände-rung erreichen. »Okay«, sagte ich zu Jesus und musste fast schon wieder heulen, »du sagst: ›Lernt von mir‹. Ich bin bereit zu lernen. Du kannst mit mir anfangen.«

Gottes seltsame WegeIch bin nicht ganz sicher, was Jesus unter einer »leichten Last« versteht. Das damals noch vor uns liegende Jahr 2005 war für uns als Familie jedenfalls eine einzige Se-rie von Katastrophen. Die Zeit nach dem

Unfall und meinem Gebet begann direkt mit einem völlig verunglückten Urlaub, in dem wir uns häufig in Krankenhäusern aufhielten. Dann erfuhren wir, dass unser ungeborenes Kind womöglich behindert sein könnte. Über Monate musste mei-ne Frau Stini liegen, um eine Frühgeburt zu verhindern. Als unser zweiter Sohn im Sommer schließlich glücklich und gesund auf die Welt gekommen war, stellten wir bald fest, dass mit unserem älteren Kind tatsächlich etwas nicht stimmte. Dass da plötzlich ein weiteres Kind in der Familie war, brachte ihn so aus der Fassung, dass er weinte und tobte, bis ihm die Stimme versagte. Später im Jahr erkannten wir die Ursache für sein Verhalten: Er hat Autis-mus, eine tief greifende Persönlichkeits-störung, die man als »seelische Behinde-rung« bezeichnet.

Im Dezember des Jahres 2005 stand ich am Fenster im oberen Geschoss unserer Wohnung und blickte über das Tal vor Marburg. In diesem Augenblick war Stini mit unserem Sohn beim Kinderarzt und ließ sich die Verdachtsdiagnose »Autis-mus« bestätigen. Ich betete und sagte zu Gott: »Wie kannst du so dämlich sein? Bevor das hier alles anfing, stand ich kurz vor meinem Durchbruch. Ich hatte alle Möglichkeiten. Im nächsten Jahr hätte ich richtig Gas geben können. Für dich! Und was machst du? Du haust mich voll raus. Wieso wirfst du mir ständig Steine in den Weg? Was soll das?«

Wandel ein crash und seine folgen

AnzEiGE

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GOTTFRIED MüLLER (39), besser bekannt als Gofi, lebt mit seiner Frau Christina und ihren Söhnen Julian und Samuel in Marburg. Gofi hat Literatur-wissenschaft studiert, bevor er 2000 als Evangelist bei dem missionarischen Projekt ›Friends‹ in Marburg einstieg.

Wandel

Ich betete und sagte zu Gott: Wie kannst du so dämlich sein?

Ich habe in diesem Augenblick keine Ant-wort bekommen. Erst im Rückblick wur-de mir manches klar. Tatsächlich war es so, dass mein Lebens- und Arbeitstempo gleich zu Beginn des Jahres drastisch ge-drosselt worden war. Unter den bestehen-den Umständen konnte ich einfach nicht mehr so viel arbeiten. Ich musste lernen »Nein« zu sagen, Termine wieder abzu-sagen oder gar nicht erst anzunehmen. Eine schmerzhafte Erfahrung, jedenfalls für mein Ego. Noch in den ersten Mo-naten 2006 arbeitete ich viel zu viel für die Umstände, unter denen wir lebten.

Schließlich waren Stini und ich reif für die Klapse. Wir konnten einfach nicht mehr. Das absolut wichtigste Thema un-seres Lebens hieß: Entschleunigung. Wir mussten unser Leben neu organisieren, wir mussten es völlig verändern. Und das haben wir auch getan.

ich bin nicht GottDas liegt jetzt einige Zeit zurück. Mittler-weile haben wir ein Haus gekauft. Wenn mir das einer vor vier Jahren gesagt hät-te, hätte ich mich totgelacht. Für Leute, die sich ein Haus kaufen, hatte ich nur Verachtung übrig. Oder Mitleid. Unser Lebensmotto hieß Flexibilität: Wir kom-men, wenn wir kommen, und wir gehen, wenn wir gehen. Keine Verpflichtung sollte so groß sein, dass sie uns am Ort halten könnte. Jetzt haben wir den Salat. Den Kredit werden wir bis ins hohe Al-ter abbezahlen müssen. Außerdem leben wir mit meinen Schwiegereltern zusam-men. Wir teilen uns die Arbeit und helfen uns gegenseitig. Das ist auch gut so, denn auch unser jüngerer Sohn ist Autist. Wir können wirklich jede Hilfe gebrauchen. Ich habe viel nachgedacht. Dinge, die mir mal wichtig waren, haben heute ihren Wert für mich verloren. Andere Dinge, die ich früher kaum beachtet habe, sind heute lebenswichtig. In anderthalb Jah-ren werde ich meinen Beruf als Evangelist aufgeben. Ich kann mir nicht vorstellen, nicht mehr zu predigen und zu schreiben. Aber ich kann mir vorstellen, das nicht

mehr beruflich zu machen. Das Geld wird dann meine Frau verdienen. Ich habe ver-standen, dass Gott sie auch berufen hat, nicht nur mich. Es ist schwer, das, was ich gelernt habe, auf einen Nenner zu bringen. Ich stecke ja noch mitten in der Ausbildung, und vieles habe ich einfach noch nicht kapiert. Aber wenn ich es sollte, dann würde ich sagen: Ich habe gelernt, dass ich nicht Gott bin. Und es ist nicht so, dass er mir bei mei-ner Arbeit hilft, sondern ich darf ihm bei seiner Arbeit helfen. Außerdem habe ich gelernt, dass ich einer von den Kleinen und Schwachen bin. Und das macht mich stolz, denn in uns ist Gott mächtig und für uns wurde die Bergpredigt gehalten. Und das gilt nicht nur für mich, sondern zum Beispiel auch für meine beiden see-lisch behinderten Söhne. Ist doch Wahn-sinn, oder? ///

Wie hat sich dein Leben verändert, als du dein Bein verloren hast?

Manfred (53) aus Kaubenheim// Es ist über acht Jahre her, dass ich einen schweren Motorradunfall mit der Folge einer Oberschenkelamputa-tion hatte. Für insgesamt sieben Mo-nate war ich im Krankenhaus und der Reha – drei Monate davon auf der Intensivstation. Während dieser Zeit begriff ich, dass ich zwar überlebt hat-te, den Rest meines Lebens jedoch auf den Rollstuhl angewiesen sein würde. Ich haderte mit Gott. Warum musste mir das passieren? In der Bibel steht doch: Er beschützt dich auf all dei-nen Wegen ... Meine Frau ermutigte mich und sagte, dass Gott noch etwas mit mir vor habe. Nach all den Jahren komme ich mit meiner Situation gut zurecht. Ich mache das Beste daraus, treibe Rollstuhlsport und biete Be-suchshundedienst mit meinem Hund an. Seit meinem Unfall lebe ich viel bewusster. Ich bin Gott für jeden Tag dankbar – für das, was er mir gibt und noch geben wird. ///

28 The race 03/09

Wie Wir nachfolgen Werdendrei auToren, drei blickWinkel, drei inspiraTionenTEXTE: HARALD SOMMERFELD • WOLFGANG SIMSON • MARCUS BITTNER

Wandel

nachfolge wird in 20 Jahren anders aussehen als heute, da auch die Gemeinde durch den gesellschaftlichen Wandel beeinflusst wird. Wie werden wir Gemeinde in 20 Jahren leben? Das haben wir drei visionäre Menschen aus unterschiedlichen gemeindlichen Kontexten gefragt.

29The race - ONLINE . DE

// Wir Christen tun oft so, als sei gesell-schaftlicher Wandel ein Es, das von außen kommt, über uns hereinbricht, auf das wir reagieren müssen (oder vor dem wir uns schützen wollen). Diese Veränderungen ste-cken uns jedoch in den eigenen Knochen. Herkömmliche Gemeinden spiegeln die traditionelle Lebensweise vieler Menschen wider. Man verbringt sein Leben an einem Ort, erlernt einen Beruf, den man bis zur Rente ausübt, gehört einer bestimmten so-zialen Schicht an und hat ein mehr oder weniger konstantes Umfeld – von der Stammkneipe bis zum Familiengrab. Die-ser Lebensweise entspricht eine Kirche, die im Dorf (oder in der Stadt) bleibt. Man weiß, wer dazugehört und wer nicht. Man kennt die Regeln. Ihr Programm bestimmt den Lebensrhythmus ihrer Mitglieder (so-fern sie nicht Krankenschwestern oder Schichtarbeiter sind, deren Teilnahme »bedauerlicherweise« eingeschränkt ist). Sie ist eine feste Einrichtung, die ein hohes Maß an Zugehörigkeit und Stetigkeit ver-mittelt. Diese Art von Gemeinde wird ihre Bedeutung behalten, weil viele Menschen weiterhin so leben und ihnen eine solche Gemeinde wichtig ist.Doch das Leben zahlreicher anderer Menschen ist zunehmend von Mobili-tät und Multitasking geprägt. Man zieht häufiger um oder hat mehrere Wohnsitze. Die berufliche Laufbahn wird zum Patch-work, bei dem verschiedene Tätigkeiten aufeinander folgen oder gleichzeitig aus-geübt werden. In den unterschiedlichen Kontexten seines Lebens hat man unter-schiedliche Freundes- und Bekannten-kreise. Statt seine Stammkneipe aufzu-suchen, überlegt man jedes Wochenende neu, wohin man geht. Viele Kontakte sind virtuell. Beruflich bildet man – durch Telefon und Internet verbunden – mit Leuten aus Bayern, Los Angeles und Skandinavien ein Team, das gemeinsam

an einem Projekt arbeitet. Ebenso funkti-oniert ein zunehmender Teil persönlicher Beziehungen durch social media.Die Folge ist, dass für viele Menschen auch gemeinsame Nachfolge (alias Ge-meinde) zum Patchwork wird. Rahmen ist nicht mehr die eine Institution oder Gemeinschaft, der man zugehörig ist, sondern ein Netz an Beziehungen und Aktivitäten. Man trifft sich mit Freun-den im Café zum geistlichen Austausch, besucht Events, beteiligt sich an Aktionen und Gebetstreffen und engagiert sich in humanitären Bewegungen. Gemeinden und Gottesdienste werden nicht mehr als geistliche »Stammkneipen« verstanden, sondern man schätzt die gastronomische Vielfalt spiritueller Speisekarten. Die com-munitas sanctorum (»Gemeinschaft der Heiligen«) findet zum Teil als Internet Community statt, in der Inspiration und Austausch online erfolgen.Ich rechne damit, dass dieser Trend sich in den nächsten Jahrzehnten verstärken wird. Manche betrachten ihn mit Skepsis und Sorge – für sie riecht er nach Unver-bindlichkeit und Oberflächlichkeit. Doch ein Trend richtet sich in der Regel nicht danach, ob er uns willkommen ist. Und er bietet Chancen. Eine Chance besteht darin, dass ein ganz anderer Trend durchbrochen wird, nämlich der Trend zur christlichen Parallelkultur, der die herkömmliche Ge-meinde als ständige Gefährdung begleitet. Das »Salz der Erde« verbreitet sich leichter, wenn es nicht im Salzstreuer verklumpt. ///

Wandel

harald soMMerfeld

HARALD SOMMERFELD (56), auch bekannt als Haso, ist verheiratet, Va-ter von vier erwachsenen Kindern und wohnt in Berlin. Er hat Mathematik und Theologie studiert und als Pastor und Dozent gearbeitet. Sein Anliegen ist, Christen im kommunalen Leben ihrer Stadt mitmischen zu sehen. Deshalb hat er sich im Herbst 2007 als »Berater für urbane Transformation« selbststän-dig gemacht. » www.transformission.de

Gemeinden und Gottesdienste werden

nicht mehr als geistliche »Stammkneipen«

verstanden, sondern man schätzt die

gastronomische Vielfalt spiritueller Speisekarten.

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Wandel

Wie hat sich dein Leben verändert, als du nach Afrika gegangen bist?

Tamara (32) mittlerweile aus Albanien// Ich kochte auf einem Campingko-cher und holte mein Wasser von nahe gelegenen Brunnen. Meine Dusche bestand aus einem Eimer und einem Becher, mit welchem ich das Wasser aus dem Eimer schöpfte und mir über den Kopf goss. Meine Waschmaschi-ne bestand aus zwei Eimern: einer mit seifigem Wasser und einer für den Klarspülgang. Die Wäsche wusch ich vor der Haustür, so dass ich beim Waschen in der Sonne sitzen und ne-benher mit anderen Waschfrauen ei-nen Plausch halten konnte. Weiteren Wandel im Alltag brachte der Punkt Elektrizität. Da die Sonne dort recht früh untergeht, hätte ich abends Licht benötigt, um die Abende auf euro-päische Art zu verbringen. Das ge-wöhnte ich mir bald ab. Meine Arbeit war bis 17 Uhr erledigt, und wenn es dunkel wurde setzte ich mich nach draußen, plauderte mit den Nachbarn und ging früh ins Bett. In verschie-denen längeren Missionsaufenthalten gab und gibt es immer wieder Situati-onen, in denen ich nicht wusste oder weiß, wie ich damit umgehen soll. Doch ich erlebe jedes Mal, wie Gott mir hilft, so dass in mir ein Vertrauen zu Gott gewachsen ist, das ich so vor-her nicht kannte. ///

// Wenn man im Jahre 1517 führende Per-sonen der Römisch Katholischen Kirche gefragt hätte: »Brauchen wir eine neue Reformation?«, hätten sie nur gelacht. Wer würde eigentlich heute am lautesten lachen, wenn man dieselbe Frage stellte?Die amerikanische Verlagsexpertin Phyl-lis Tickle beschreibt in ihrem Buch »The Great Emergence«, wie die Kirche etwa alle 500 Jahre ihren Dachspeicher auf-räumt und Großputz hält (451: Konzil zu Calcedon; 1054: Schisma; 1517: Refor-mation Luthers). Befindet sich die Kirche fast 500 Jahre nach Luther erneut in ei-ner Reformationszeit? Tickle glaubt, dass die Postmoderne das Christentum derzeit stark verändert und dass beispielsweise die »Emerging Church« ein Weg in die richtige Richtung ist. Ich denke, dass der Hinweis auf eine sich verändernde Kultur viel zu kurz greift. Reformationen sind nicht Reaktionen auf ein verändertes kul-turelles Klima, sondern vor allem Initia-tive Gottes, wenn der Haussegen schief hängt: seine Reaktionen auf irreparable und verfestigte Fehlentwicklungen in seinem Leib. In den letzten 500 Jahren fanden vier »Reformationen« (=Verände-rungen der Form) statt. Die Reformation Luthers brachte uns ab 1517 »allein die Bi-bel, allein die Gnade, allein der Glaube«. Die Kirche wurde reformiert. Gegen 1900 begannen Heiligungs- und später Pfingst-bewegungen sowie das Unternehmertum amerikanischer Christen die Welt im-mer stärker zu prägen – die Kirche wurde amerikanisiert. Amerikanische Kirchen- und Evangelisationsformen, Marketing- und Erfolgsdenken beeinflussten zahllose Entwicklungen der Kirche.In den 50er Jahren des 20. Jahrhun-derts fand eine dritte, tiefgreifende Ver-änderung statt, die in den durch Mao verfolgten Hauskirchen Chinas ihren

Anfang hat. Ohne Pfarrer und Kirchen-gebäude nahmen »die Laien« die Kirche selbst in die Hand, die Kirche wurde ent-klerifiziert und damit simplifiziert. Die heute als organische Kirche, simple church oder einfach als Hauskirchenbewegung bekannte Entwicklung beginnt derzeit, ausgehend von Asien und dem Mittleren Osten, auch die Kirchenlandschaft des kulturellen Westen zu verändern. Doch von dieser letzten reformatorischen Bewegung scheinen die stärksten Impulse für die Zukunft der Kirche ausgehen. Die Wiederentdeckung des Reiches Gottes als Zentralbotschaft von Jesus Christus führt dazu, dass die Kirche monarchisiert wird. Monarchisiert im Sinne von ent-demokra-tisiert, befreit von den Umklammerungen religiöser Traditionen und kleinlichen Stilfragen. Dort, wo mit einer heiligen Ehrfurcht die grundlegenden königlichen Bauprinzipien von Gemeinde wieder ent-deckt und umgesetzt werden (etwa, dass Kirche nicht Markt-konform, sondern Königreichs-konform gebaut wird; dass der Haushalt Gottes auf apostolischen und prophetischen Fundamenten, und damit Diensten, steht; und dass das Fi-nanzverhalten der Jesusnachfolger wieder ihrem Herrn folgt, nicht den Prinzipien Mammons und des religiösen Marktes). Das bedeutet, dass die Kirche immer stär-ker ent-denominationalisiert wird, weil sie sich regionalisiert; die Zukunft wer-den regionale Hauskirchen-Netzwerke sein, also miteinander verbundene Haus-kirchen in geographisch zusammenhän-genden Gebieten, die sich ab und an zu regionalen Großzusammenkünften (etwa in Stadien) treffen werden. ///

Wolfgang siMson

WOLFGANG SIMSON (50) ist verheira-tet und hat drei Kinder. Er ist Autor und Führungskräfte-Coach von reforma-torischen Bewegungen in Kirche und Wirtschaft. » www.starfishportal.net

Wie Wir nachfolgen Werden

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Wandel

// Ich glaube, dass Nachfolge in 20 Jah-ren einfacher und zugleich komplexer sein wird. Die Ausdrucksweisen der Nachfol-ge werden explodieren. Vieles wird in 20 Jahren von Außenstehenden (und man-chen Insidern) gar nicht als »christliche Gemeinde« wahrgenommen werden. Viele werden sich gar nicht mehr Christen nennen und die letzten kulturellen Hül-len des Christentums von sich streifen. Nachfolge wird mehr und mehr mit-ten in gesellschaftlichen Bereichen ihren Ausdruck finden und nicht ausgesondert. Nachfolger werden sich in ihren Betrie-ben, im Rahmen ihrer sportlichen Akti-vitäten treffen, an Bahnhöfen und Flug-häfen – eben da, wo sie sich im restlichen Leben auch befinden. Nachfolge wird we-niger im institutionellen Sinne verstanden werden, die Formen und Zugehörigkeit zu »Gemeinde« werden einem ständigen Wandel unterworfen sein und trotzdem Verbindlichkeit und Verbundenheit er-möglichen. Einzelne werden in mehreren geistlichen Netzwerken und Kleinstgrup-pen ihren Glauben teilen – z. B. mit Ar-beitskollegen unter der Woche und zu-sammen mit benachbarten Familien am Wochenende. Die jeweiligen Gruppen werden sich vielleicht nie gegenseitig ken-nenlernen. Nachfolge wird vermehrt in sozial homogenen Szenen stattfinden. Das Evangelium wird dadurch real an Orte kommen, die heute weitgehend dafür ver-schlossen sind. Die Verbreitung des christ-lichen Lebens wird nicht mehr so einfach in Zahlen zu bemessen sein. Dynamiken, die entstehen, werden nicht mehr von ei-nigen Wenigen kontrollierbar sein. Der

Geist wird wehen, wo er will. Das tut er auch heute schon, aber ich glaube, dass uns Gott diesbezüglich noch einige Lehr-stunden erteilen wird. Auf der anderen Seite werden die bishe-rigen Formen von Gemeinde auch erhal-ten bleiben. Zum Teil werden sie noch mehr die Anschlussfähigkeit und die Kommunizierbarkeit an den Rest der Ge-sellschaft verlieren und noch tiefer eine subkulturelle Eigendynamik entwickeln. Sie werden aber ein wichtiger Ankerpunkt für Menschen werden, denen das Leben zu kompliziert geworden ist und wissen wollen was »schwarz« und was »weiß« ist. Irgendwo in der Mitte werden sich die »Volkskirchen« wiederfinden, zahlen-mäßig deutlich geschwächt, aber immer noch eine Stimme im Land, womöglich kraftvoller und zielorientierter als mo-mentan, vielleicht auch nicht mehr als Staatskirche organisiert. Diese Bandbreite an Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens wird eine große Herausforderung für den Leib als Ganzes sein. Dem Einen wird es schwer fallen, das »Christliche« im Anderen wahrzu-nehmen. Und da sie trotzdem zu diesem einen Leib gehören, wird es gehörig viel Liebe Gottes brauchen, um einander an-zuerkennen. Aber wahrscheinlich werden sie auch immer weniger mit der Frage be-schäftigt sein, wie sie »eins« werden kön-nen, sondern, wie sie die Liebe Gottes real in diese Welt bringen können. ///

Marcus biTTner

MARCUS BITTNER (40) ist u. a. unter-nehmerisch aktiv als Prozessbegleiter für Organisationen, Gründer und Ein-zelpersonen. Er lebt mit seiner Familie in Meiningen. » www.marcus-bittner.de

Viele werden sich gar nicht mehr Christen nennen und die letzten kulturellen Hüllen des Christentums von sich streifen.

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QuergedachT

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// Vor mir liegt ein Cartoon: Eine Heb-amme kommt aus der Kreißsaaltür auf den erschöpft wartenden Vater zu und verkündigt ihm die Geburt seines Spröss-lings: »Sie haben ein – äähm – ja – hmm – wir wissen es noch nicht so genau.«Intersexualität liegt zum Beispiel dann vor, wenn bei Geburt das Genital optisch nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Dies kommt immerhin bei jeder tau-sendsten Geburt vor. Die Gesamtrate liegt bei etwa ein bis zwei Promille. Umgerech-net auf die aktuelle Bevölkerungszahl Deutschlands sind demnach zwischen 80.000 und 160.000 Menschen interse-xuell. Statistisch gibt es in Deutschland also fast so viele intersexuelle Menschen wie die Summe der Mitglieder von Bap-tisten, Methodisten und Freien Evange-lischen Gemeinden zusammen.1

Die Form der äußeren Geschlechtsorgane ist unser SchicksalWas die Hebamme bei der Geburt er-blickt und benennt, ist ausgesprochen schicksalhaft. »Ein Junge!« ruft sie, oder »Ein Mädchen!« Jetzt wissen die Freunde, ob der Strampler blau oder rosa sein muss. Mit dieser Information gehen die Eltern zum Standesamt und geben die Geburt bekannt. In der Geburtsurkunde steht dann ein Name, an dem das Geschlecht

des Kindes erkennbar sein muss. Dieser findet sich später nicht nur im Personal-ausweis, sondern bestimmt in vielfältiger Weise völlig selbstverständlich unsere Le-benszusammenhänge. Aber es gibt eine Minderheit – sie wer-den auch Zwitter oder »SheMales« ge-nannt – die mit der erzwungen Eindeu-tigkeit der Geschlechterzuweisung größte Probleme haben. Sie passen aufgrund der bio logischen Beschaffenheit ihres Körpers nicht in dieses duale Mann-Frau-Schema, welches keine Ausnahmen zulässt, hinein. Welche Schwierigkeiten sich dadurch bei der Bewältigung alltäglicher Kleinig-keiten ergeben, kann man nur erahnen.

Was ist ein Mann? Was ist eine Frau?Hinsichtlich der Geschlechtsidentität un-terscheiden wir Sexus und Genus. Beide Bereiche sind zwar unterscheidbar, lassen

sich aber nicht voneinander trennen. Sie vermischen und beeinflussen sich im per-sönlichen Erleben ständig wechselseitig.Sexus (Sex) bezeichnet das biologische Geschlecht des Körpers. Die körperlich-sexuelle Differenzierung ist erkennbar an den Erbanlagen (xx/xy), den Gonaden oder Keimdrüsen (Hoden/Eierstöcke),

den Hormonen (Androgene/Östrogene), den inneren und äußeren Geschlechts-organen, sowie geschlechtsspezifisch hirn-organischen Ausprägungen. In jedem die-ser Bereiche gibt es Variationsbreiten. Die »Mischungsverhältnisse« sind deshalb bei jedem Menschen unterschiedlich, liegen häufig jedoch deutlich im männlichen oder im weiblichen Bereich. Transsexuelle und intersexuelle Menschen bilden sozu-sagen die körperlich-sexuelle Schnittmen-ge der beiden Bereiche – man spricht von dem »dritten« Geschlecht.Genus (Gender) bezeichnet im Gegensatz zum biologischen Geschlecht das psy-chosoziale Geschlecht, also die Art und Weise, wie ein Mensch seinen geschlecht-lichen Körper und seine soziale Ge-schlechterrolle subjektiv erlebt und öffent-lich auslebt. Das psychische Geschlecht umfasst die Kerngeschlechtsidentität

und die Geschlechtspartnerorientierung. Die Kerngeschlechtsidentität ist das Ge-fühl, im eigenen Geschlecht zu Hause zu sein. Diese Gewissheit kann stabil männ-lich oder weiblich sein, aber auch getrübt und diffus oder different (transsexuell, transgender – und darin oft auch wieder stabil). Die Struktur des Begehrens oder

ein Junge? ein Mädchen?inTersexualiTäTTEXT: ULRICH BERNHARDT

QuergedachT

1 Bund Freier evangelischer Gemeinden: 36.000; Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland: 84.000; Evangelisch-methodisti-sche Kirche in Deutschland: 57.000 à Summe: 177.000. Quelle: de.wikipedia.org

Aber es gibt eine Minderheit – sie werden auch Zwitter oder »SheMales« genannt – die mit der erzwungen Eindeutigkeit der Geschlechterzuweisung größte Probleme haben.

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die Geschlechtspartnerorientierung kann hetero-sexuell (auf das andere Geschlecht gerichtet), homo-sexuell (auf das glei-che Geschlecht gerichtet), bi-sexuell (auf beiderlei Geschlecht gerichtet, eventuell mit bisexueller Kerngeschlechtsidentität), a-sexuell (kein ausgeprägtes Begehren) oder/und auto-sexuell (auf den eigenen Körper gerichtet) sein.Das soziale Geschlecht, die Geschlech-terrolle oder das öffentlich präsentierte Geschlecht wird festgelegt im admini-strativen oder bürgerlichen Geschlecht (Standesamt, Personalausweis), darge-stellt in Geschlechterrollenkennzeichen (Spiele, Kleidung, Frisuren etc.) sowie in geschlechtsspezifischen Rollen und Le-bensstilen (z. B. Beschützer und Versorger versus Hausfrau und Mutter, Zicke versus Macho, Barbie versus Ken). Das soziale Geschlecht ist häufig eindeutig, manch-mal auch unklar (z. B. wilde Mädchen, Muttersöhne) oder auch gewollt unein-deutig (z. B. Meta-Sexualität).

intersexualität …Intersexuell werden Menschen genannt, deren körperliches Geschlecht nicht ein-deutig männlich oder weiblich zugeord-net werden kann. Der Begriff geht auf den Genetiker J. Goldschmidt (1916) zurück. Er entdeckte, dass mehrdeu-tige körperliche Zustände bereits gene-tisch angelegt sind. Heute spricht man bei Menschen mit uneindeutigem Ge-schlecht von Hermaphroditismus (bei gleichzeitig männlichem und weiblichem Erscheinungsbild) und männlichem oder weiblichem Pseudo-Hermaphroditismus (eindeutiges männliches oder weibliches

Erscheinungsbild bei Variationen der Erb-anlagen, Keimdrüsen und Hormone).Die Bandbreite des historisch belegten Umgangs mit intersexuellen Menschen reicht von Verehrung bis zur Ermordung. In unserer westlichen Kultur ließ das »Preußische Allgemeine Landrecht« Her-maphroditen bzw. seinen/ihren Eltern noch bis zum 18. Lebensjahr Zeit, sich entweder für das männliche oder für das weibliche Geschlecht zu entscheiden. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen Mediziner jedoch zunehmend für sich in Anspruch, anhand willkürlicher und sich über die Zeit hinweg verän-dernder Kriterien das »wahre« Geschlecht von intersexuellen Menschen unabhängig von deren Willen zu bestimmen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Hermaph-roditen als »missgebildet« und »krank« klassifiziert, ihre Genitalien nicht selten von Ärzten abfotografiert und öffentlich zur Schau gestellt. In den 1950er Jahren begann der amerikanische Arzt und Psy-chiater John Money mit frühkindlichen Operationen an Inter sexuellen zu expe-rimentieren. Sein Ziel war, die fehlende Geschlechtseindeutigkeit spätestens bis zum zweiten Lebensjahr durch massive chirurgische und hormonelle Eingriffe zu beheben. Die Empfehlung Moneys, das künftige Geschlecht des Kindes einfach nach Machbarkeit auszuwählen,2 setzte sich schließlich 40 Jahre lang als interna-tionaler Standard durch, wurde jedoch seit Mitte der 1990er Jahre sowohl durch die Proteste von intersexuellen Menschen als

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2 Dazu das zynische Zitat von J. Gearhart: »It s easier to make a hole than a pole.« (»Es ist einfacher, ein Loch zu machen als einen Pfahl zu bauen.«)

auch durch die Kritik von renommierten Medizinern zunehmend in Frage gestellt. Heute wird immer mehr gefordert, eine geschlechtliche Zwangsfestlegung ins-besondere im Kindesalter zu unterlassen und die Genitaloperationen erst dann durchzuführen, wenn der intersexuelle Mensch die Operation aus eigenem Wil-len möchte und ihr zustimmt. Derartige »chirurgische Anpassungen« haben, ab-gesehen von der Schmerzhaftigkeit der Eingriffe, mittel- und langfristig immer wieder zu physischen und psychischen Komplikationen, zu Traumatisierungen und dauerhaften Schädigungen geführt.

… und die Bibel»Gott schuf den Menschen – und er schuf sie als Mann und Frau« (1. Mose 1, 27-28).Stimmt es denn nicht, was die Bibel über Mann und Frau sagt? Stimmt etwa die Rede vom »dritten« Geschlecht? Di-ese und ähnlich Fragen drängen sich Christen auf, die in der Bibel das offen-barte Wort Gottes und die entscheidende Richtschnur für ihr Leben sehen.Wie kommen wir mit der biblischen Fest-schreibung der Mann-Frau-Zweiteilung im Gegensatz zu der oben dargestellten viel-fältigen Entwicklung im menschlichen Le-ben klar? Wir stoßen an Grenzen. Bloßes Zitieren oder Nacherzählen von Bibeltex-ten reicht hier nicht aus. Die Auseinander-setzung mit Intersexualität rührt an der Grundlage unseres Bibelverständnisses, wenn wir einerseits die Bibel als offenba-res Wort Gottes ernst nehmen, andererseits aber auch der Liebe Gottes gerecht werden wollen, die allen Menschen ausnahmslos, bedingungslos und vorurteilsfrei gilt.

Frau und Mann, weiblich und männlich, sind wie Pole eines Spektrums, zwischen denen wir

vielfältige und unterschiedliche Mischungen des Männlichen und Weiblichen vorfinden.

ein Junge? ein Mädchen?

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ULRICH BERNHARDT (54) ist Theo-loge und Sexualtherapeut (Deutsche Gesellschaft für Sexualtherapie). Er ist als Heilpraktiker der Psychotherapie in freier Praxis in Velbert tätig. Kontakt über [email protected]

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3 »Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar ge-macht bin; wunderbar sind deine Werke, und das erkennt meine Seele wohl.« (Psalm 139, 14; siehe auch 1. Timotheus 4, 4)

Wir bezeugen als Grund legende Wahr-heit: Gott schuf Mann und Frau. Zusam-men bilden sie den Menschen und die Menschheit. Tatsache ist: Jeder Mensch findet sich mit und in seinem Körper vor. Unser Körper ist eine Gabe, ein Ge-schenk. Keiner hat ihn sich selber ausge-sucht. Wir glauben: Wir sind geschaffen nach Gottes Ebenbild. Das bedeutet: Wir sind wertvoll und gewürdigt – so wie wir uns vorfinden, so wie wir sind. Wir be-zeugen: Das gilt ausnahmslos für jeden Menschen von Anfang an.Tatsache ist auch: Die allerersten Aus-sagen der Bibel betreffen die Sexualität des Menschen, seine sexuelle Identität (geschaffen als Mann und Frau) und sei-ne sexuelle Aktivität (fruchtbar sein und sich mehren). Wir glauben: Gott hat uns als sexuelle und sexuell aktive Wesen ge-schaffen. Das bedeutet: Die positive Ak-zeptanz der sexuellen Identität ist Grund legend und wesentlich für unsere seelische Gesundheit.3 Wir bezeugen (vielleicht et-was verhaltener): Auch das gilt ausnahms-los für jeden Menschen von Anfang an.Unsere real erfahrbare Wirklichkeit ist: Frau und Mann, weiblich und männlich, sind wie Pole eines Spektrums, zwischen denen wir vielfältige und unterschied-liche Mischungen des Männlichen und Weiblichen vorfinden. Offensichtlich sind die Menschen in ihrem jeweils persön-lichen »Mischungsverhältnis« von Sexus und Genus unterschiedlich geschaffen. Das gilt auch für uns selber. Diese Unter-schiedlichkeit ist sogar wesentlicher Teil unserer Einzigartigkeit.Die entscheidende Frage ist nun, ob wir die Schöpfungsaussagen erzählend oder nor-mierend verstehen. Werden in der Urge-schichte der Bibel Sachverhalte beschrieben oder werden sie fest- und vorgeschrieben? Beschreibt der Text: »So ist das Leben, so sind die Menschen!« Oder will er sagen: »So soll, so muss das Leben, müssen die Menschen sein!« Die Konsequenzen des je-weiligen Verständnisses sind weit reichend.

Werden die Aussagen fest- und vorschrei-bend, normierend verstanden, dann gibt es ein striktes Entweder-Oder: entweder Mann oder Frau. Männlich und Weib-lich sind vom Grundsatz und von Natur aus gegensätzlich. Diese Norm ist gott-gegeben. Jede Abweichung ist mit Gottes Schöpferwillen unvereinbar und verfehlt die Absicht des Schöpfers, ist also Ab-Norm, ist Sünde oder Strafe und muss korrigiert werden.Werden die Aussagen der Urgeschichte er-zählend, beschreibend verstanden, so wer-den hier Grundwahrheiten der mensch-lichen Existenz entfaltet, die unabhängig vom persönlichen Schicksal eines einzel-nen Menschen gültig sind. Sie werden in jeder Generation neu erlebt, müssen im-mer wieder durchbuchstabiert, beantwor-tet und verantwortlich gelebt werden, von Anbeginn der Menschheit bis zu ihrem Ende. Solch eine Wahrheit ist, dass Gott den Menschen als Mann und Frau erschuf, das heißt, wir finden uns in einer Mensch-heit vor, die männlich und weiblich ist. Der Schöpfungsbericht erzählt auch, wie Gott der Natur »Spielräume« zur Entfal-tung gegeben hat. Die dadurch entstan-denen unterschiedlichen »Spielarten« sind vom Schöpfer gewollt und in seinem Sinn. In diesem Verständnisrahmen entdecken wir Unterschiede. Was nun beispielswei-se die unterschiedlichen Hautfarben und Körpergrößen der Menschen betrifft, gilt genauso für die unterschiedlichen Ge-schlechter. Die Herausforderung liegt dann aber darin, derartige »Spielarten« als von Gott gewollte Andersartigkeit anzu-erkennen und zu würdigen, ohne sie zu bewerten und mit dem Etikett der Abwei-chung oder gar des Ab-Normen, Krank-haften oder Sündigen zu stigmatisieren.

Intersexuellen Menschen ist im Laufe der Geschichte durch Theologie, Medizin und Psychologie sowie durch soziale Aus-grenzung großes Leid zugefügt worden. Es ist an der Zeit, auch ihnen gegenüber die Herausforderung von Römer 15, 7 in Achtung und Würde praktisch umzuset-zen: »Nehmet einander an, gleichwie Chri-stus uns angenommen hat zu Gottes Lob.«

Hier eröffnet sich viel Raum zur Akzep-tanz von Menschen mit einer anderen se-xuellen Identität, einem anderen Körper, einem anderen Geworden-Sein und die Möglichkeit, sie und sich selbst dankbar aus Gottes Hand annehmen zu können. ///

Literaturempfehlungen

Der Roman »Die Galerie der Lügen« von Ralf Isau (Verlag Ehrenwirth) behandelt die Thematik Intersexualität auf dem Hintergrund der Diskussion um Evoluti-on, Kreationismus und Intelligent Design.

Das theologische Sachbuch »Streitfall Liebe« von Valeria Hinck (pro literatur Verlag) erläutert auf dem Hintergrund eines konsequent bibeltreuen pietis-tischen Schriftverständnisses die Thema-tik Homosexualität und kommt zu erstaun-lichen Entdeckungen, die auch im Blick auf die Thematik der Intersexualität neue biblische Sichtweisen eröffnen können.

Die Wissenschaftsjournalistin Ulla Fröh-ling vermittelt in ihrem Buch »Leben zwischen den Geschlechtern. Intersexu-alität – Erfahrungen in einem Tabu-Be-reich« (Ch. Links Verlag) einfühlsam und kompetent weitere Informationen.

Empfehlenswerter Film zum Thema In-tersexualität: »tintenfischalarm.« Trailer auf www.tintenfischalarm.at

52 The race 03/09

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// Als ich eines Nachts in meinem Stu-dierzimmer über der Biblia Hebraica saß und entdeckte, dass mein Freund Gott auch meine Freundin ist, war ich ziemlich überrascht, konnte mich diesem Gedan-ken aber auch nicht mehr entziehen ...

Beim Christsein geht es um einen dyna-mischen Prozess, hatte mir mein Freund Gott einmal erklärt, in dem der Heilige Geist mein Leben entsprechend den Zielen Gottes verändert. »Du meinst, der Heili-ge Geist erzieht uns, wie eine Mutter ihre Kinder erzieht?«, fragte ich nach. »Ja.«, schmunzelte mein Freund Gott in Erwar-tung der Kronleuchter, die mir gleich auf-gehen würden. »Erinnere dich, Mickey, darüber hat doch schon unser alter Freund Edmund Schlink in seiner Ökumenischen Dogmatik geschrieben, dass der Vater dei-ne Identität in dir erweckt. Aber Ruach Hakodesch, wie ›der Heilige Geist‹ ei-gentlich richtig auf hebräisch heißt, voll-endet an dir trotz allen Widerspruchs der

Menschen das, was ich als Vater in meiner Schöpfungstat am Anfang begonnen habe und was ich als Sohn am Kreuz vollbracht habe.« »Du meinst die Erschaffung einer paradiesischen Beziehungs- und Liebes-gesellschaft, wie es in 2. Korinther 3, 17 heißt: ›Der Herr aber ist Geist; wo aber Geist des Herrn ist, ist Freiheit‹?!« Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und ließ meine Gedanken ihren Weg fin-den. Auf Freiheit hin bewegt sich unser persönliches Christenleben zu und darauf hin bewegen sich auch alle unsere Ge-meindestrukturen zu, wenn wir uns vom Heiligen Geist erziehen lassen. Dann fiel mir ein, dass man im Volksmund ja auch sagt: »Die Mutter hält die Familie zusam-men.« Das ist doch genau der Dienst des Heiligen Geistes, der an Pfingsten die ganze Kirche geboren hat. Während ich also mitten in dieser Nacht so über den hebräischen Begriffen brüte-te und mein Freund Gott mir lächelnd über die Schulter schaute, dämmerte in

meinem Bewusstsein langsam ein neu-er Morgen. Auch wenn der Name Ruach Hakodesch auf den ersten Blick etwas ge-wöhnungsbedürftig erscheint, offenbart uns doch die Sprache meines Freundes Gott Jesus von Anfang an etwas ganz We-sentliches über die dritte Person Gottes, was bis in unsere Zeit vor allem von Män-nern gerne verdrängt wird. Ruach Hakodesch ist sowohl im Aramä-ischen, was Jesus gesprochen hat, wie auch im Hebräischen, der Sprache des Alten Testaments, weiblich. Durch die Überset-zungen der ursprünglichen aramäischen und hebräischen Vorstellungen ins Grie-chische, der Sprache des Neuen Testa-ments, und Lateinische, der Sprache der Kirche über lange Zeit, hat sich der ur-sprüngliche Fokus der Betrachtung der hei-ligen Ruach Gottes verschoben und aus der heiligen Ruach, die über der Urflut brütete, wurde plötzlich der Heilige Geist. Wenn mein Freund Gott Jesus aber auf aramäisch vom Wirken des Heiligen Geistes spricht,

sie isT eine frauMein(e) freund(in) goTT und ichTEXT: MICKEy WIESE // KOLUMNE

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MICKEy WIESE (49) ist verheiratet mit einer Lobpreistänzerin, Vater von drei wunderbaren wilden Kerls und arbei-tet als Event-Pastor und Lifecoach. Er hängt mit seinem Freund Gott in Frank-furt ab und versucht, die bedingungs-lose Liebe Jesu in den Alltag von See-len aller Art zu übersetzen. Jüngst ist sein neues Buch »Mein Freund Gott und ich – Reloaded« erschienen.

Gern möchte Mickey über dieses Thema diskutieren! Kontakte ihn einfach doch ein-fach direkt unter: [email protected]

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dann tut er das in mütterlichen Bildern, die selbst im Griechischen noch durch-klingen und alle, die ihm zuhörten, hörten ihn von der Heiligen Geistin reden. So er-klärt er seinen Jüngern in Johannes 6, 62: »Das Pneuma ist das, was lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Pneuma und Leben.« »Pneuma«, womit meine Freundin Gott, der Heilige Geist, gemeint ist, und »Leben schenken« werden in diesem Vers fast gleichbedeutend gebraucht. So wie eine Mutter ihrem Kind das Leben schenkt, so macht auch meine Freundin Gott, die heili-ge Ruach, lebendig. Wenn wir die Bibel aufschlagen, lesen wir gleich zu Beginn etwas äußerst Interes-santes und Aufschlussreiches in 1. Mose 1, 27: »Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn.« Soweit so gut, das ist uns allen hin-länglich bekannt und wenn wir gut drauf sind, dann glauben wir auch daran, dass Menschen z. B. auf der Frankfurter Zeil et-was von Gott erkennen können, wenn ich da gerade shoppen gehe. Jetzt ist es aber so, dass die Menschen nur einen Teilaspekt von Gott erkennen können, wenn sie mich als Mann sehen. Und das liegt zunächst einmal nicht nur daran, dass ich durch meine Sündigkeit das Bild Gottes verdun-kle. Es liegt daran, dass ich ein Mann bin und als Mann nur einen Teil von Gottes Bild ebenbildlich widerspiegele. Erst wenn ich mit meiner Frau Dany zusammen da auftauche, können die Menschen den ganzen Gott zum Großteil sehen, denn der Vers 1. Mose 1, 27 geht ja noch weiter: »Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie.« Gott hat uns als getrennte Wesen erschaffen. Und das lateinische Wort Sexus heißt tatsächlich zunächst einmal ganz einfach nur »ge-trennt«. Der erste Aspekt unserer Gotte-benbildlichkeit, der in der Bibel genannt wird, ist also ein sexueller Aspekt. Das ist doch verblüffend, zumal wenn man auf unsere christliche Realität schaut. Männer und Frauen spiegeln gleichberechtigt un-terschiedliche Aspekte Gottes wider. Und überall da, wo wir Frauen den Zutritt zu

bestimmten Ämtern und Ebenen im Leib Christi verwehren, da verdunkeln wir Männer das Ebenbild Gottes in der Welt und die Menschen können nur halb so viel von Gott erkennen. Geschlechtlichkeit ist ein wesentlicher Bestandteil Gottes. Es ist das Erste, was erwähnt wird, was Men-schen von Gott widerspiegeln. Gott ist nicht geschlechtslos. Er ist männlich und weiblich. Vielleicht ist er noch mehr, aber das ist er auf alle Fälle. Deswegen offen-bart er sich uns auch in unterschiedlichen Personen, die etwas mit Geschlechtlich-keit zu tun haben. Gott der Vater, der die Welt geschaffen hat und sie seitdem erhält, hat auf alle Fälle etwas Männliches. Gott der Sohn, Jesus Christus, ist auch männlich, dazu haben sich die Drei speziell für diese Zeit damals entschieden, da brauchen wir gar nicht viel drüber zu reden. Bleibt noch Gott der Heilige Geist übrig, der am Anfang über den Wassern und dem ganzen Tohuwabohu schützend schwebt oder brütet. Später wird er als unser all-mächtiger Versorger beschrieben, als der El Shaddai, was genau übersetzt heißt: Gott der Vielbrüstige. Eine weitere Story über das Wesen des Heiligen Geistes hören wir in dem Gespräch mit Nikodemus, als Je-sus ihm in Johannes 3, 5 erklärt, dass man nicht in das Reich Gottes kommen könne, wenn man nicht aus der mütterlichen Ru-ach geboren würde. Und das Gebären ist doch etwas Weibliches, oder?! Die heilige Ruach Gottes schafft also Leben und ist Energie. Sie stiftet Beziehung und Mitei-nander. Sie nimmt die Getrennten hinein in den Frieden, den mein Freund Gott, Jesus, gestiftet hat. Meine Freundin Ru-ach Hakodesch bestätigt uns unsere Got-teskindschaft (Römer 8, 16), indem sie uns so wie eine Mutter immer wieder von morgens bis abends einflüstert, dass mein Freund Gott, der Vater, uns lieb hat. Sie überführt uns von Sünde (Johannes 16, 8), sie verteilt Gaben und Aufgaben (1. Korin-ther 12, 11) und sie hilft, unterstützt und vertritt uns beim Beten (Römer 8, 26). Hinweise auf diese verborgenen As-pekte Gottes hat es immer wieder ge-geben. Die Kirchenväter haben bis ins

vierte Jahrhundert hinein immer wieder weibliche Vorstellungen vom Heiligen Geist als »Trösterin« und »Mutter« in ih-ren Schriften. Und auch in der Kunst gibt es solche Anspielungen, wie in dem berühmten Trinitätsfresko aus dem 12. Jahrhundert in der Jakobskirche im ba-yerischen Urschalling am Chiemsee, das den Heiligen Geist als rosige junge Frau mit Heiligenschein neben Gott Vater und dem Sohn Jesus Christus darstellt. Ich denke jedenfalls, wenn wir Gott ganz erleben wollen, und nicht nur teilweise, dann erscheint es ratsam die Mutterschaft des Heiligen Geistes als klar erfassten Glaubensinhalt anzuerkennen. Das tut vor allem den Frauen sehr gut, weil sie erkennen können, dass sie ja doch direkt in der Dreieinigkeit vorkommen und dass es schon immer so war. Und es tut den Männern sehr gut, weil damit allen un-realistischen Männlichkeitsphantasien in Bezug auf Gott ein für alle Mal ein Rie-gel vorgeschoben wird. Unserem Gottes-bild fehlt jedenfalls eine wesentliche Seite, solange wir die Weiblichkeit Gottes nicht wahrhaben wollen. Als ich in den frühen Morgenstunden ins Bett ging, hatte ich jedenfalls das Gefühl, dass mein Freund Gott mir zuzwinkerte und meine Freun-din Gott mir sanft übers Haar strich, als sie mich zudeckte. ///

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reich goTTes

JahresTheMa

Die Bibel spricht viel häufiger davon, dass wir Jesus um Vergebung bitten und anflehen sollen, dass er uns annimmt.

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reich goTTes

Welche Auswirkungen hat dieses Verständ-nis auf unser Leben als Christ? Jesus und die Apostel haben das Reich Gottes gepredigt. In der westlichen Welt ist uns innerhalb der letzten 150 Jahre ein bedauerlicher Fehler unterlaufen: Wir pre-digen jetzt persönliche Errettung. Zwischen diesen beiden Dingen besteht ein we-sentlicher Unterschied. Das Reich Gottes fängt bei Gott an und bringt seinen Herr-schaftsanspruch. Die moderne Botschaft, die wir predigen ist: »Du kennst Gott nicht und musst zu ihm kommen, um er-rettet zu werden.« Jesus wird dadurch zwar dein Retter, aber nicht automatisch dein König. Deswegen gibt es viele Christen, die sich für wiedergeboren und einen Teil des Reiches Gottes halten, aber ihr eige-nes Leben weiter führen. Wir predigen »Nimm Jesus an!«, doch das finden wie so nur an einer Stelle des Neuen Testaments. Die Bibel spricht viel häufiger davon, dass wir Jesus um Vergebung bitten und anfle-hen sollen, dass er uns annimmt. Wenn ich dann weiß, dass er mich aus Gnade ange-nommen hat, dann ist mein Lebensziel ihm zu gehorchen und die Werke zu tun, die er für mich vorbereitet hat. So sollten alle Christen leben, aber viele haben die Grundlage gar nicht verstanden.

Wo fängt denn das Reich Gottes an und wo hört es auf? Gibt es da klare Grenzen?Ja, es gibt Grenzen. Die sind aber nicht geografisch oder geopolitisch wie bei menschlichen Königreichen. Die Grenze des Gottesreichs vollzieht sich vielmehr zwischen denen, die sich unter die Herr-schaft Gottes gestellt haben und denen, die gegen oder ohne sie leben. Die einen sind Bürger des Königreiches und leben unter dem Motto: Jesus ist der Herr. Die anderen leben jenseits des Königreichs unter dem Motto: Ich oder xy oder jene Ideologie ist der Herr. Es ist eine katego-rische Trennung der Menschheit. Meine Antwort auf die Frage, wem ich diene, entscheidet, ob ich mich diesseits oder jenseits der Grenze befinde.

Gibt es für Menschen auf der »richtigen Seite« weitere Grenzen?Ja und nein. Als Bürger des Königreiches sind alle Bereiche unseres Lebens unter der Regentschaft Gottes – ob wir nun ge-rade in der Kirche sitzen, im Kino sind, unserem Beruf nachgehen oder Fußball spielen. Es wäre also falsch eine Grenze zu ziehen zwischen einem geistlichen und säkularen Leben. Aber es gibt eine mora-lische Grenze. Jede Art von Unmoral ist für das Reich Gottes nicht akzeptabel, egal ob es sich dabei um den Besuch im Rotlichtviertel oder unmoralische Gedan-ken während des Gottesdienstes handelt. Die Frage nach der Grenze ist also eher eine moralische und nicht so sehr eine Frage nach dem Gesellschaftsbereich.

Wie sollen Wir denn leben?iM gespräch MiT keiTh WarringTonINTERVIEW: BENJAMIN FINIS

Was bedeutet eigentlich »Reich Gottes«?Die wörtliche Bedeutung des Begriffs »Reich Gottes« ist Herrschaft oder Re-gentschaft Gottes. Diese Regentschaft ist ein Königreich, dessen König Jesus ist. Dieses Königreich ist bekanntlich nicht geopolitisch, sondern ein Appell an den Willen und an das Herz, aus freien Stü-cken zu gehorchen und sich unter diese Regentschaft zu stellen. In allen Gesell-schaften ruft Jesus die Menschen unter seinen Gehorsam zurück. Wenn sie um-kehren und für ihn leben wollen, nimmt er sie in sein Königreich auf. So zieht sich diese Regentschaft wie ein Netzsystem durch alle Kulturen der Welt.

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Warum ist dir das Thema »Reich Gottes« so wichtig, dass du ein Buch darüber schreibst? Obwohl ich über die Jahre immer wieder darüber gepredigt habe, beobachte ich seit ein paar Jahren, dass dieses Thema brand-aktuell geworden ist. Viele Menschen, die Gott lieben und ihm folgen wollen und sehr engagiert waren in ihrer Gemeinde, kommen an Grenzen: Die Grenze zwi-schen Alltag und Gemeinde. Der Beruf, die Familie, der finanzielle Druck fordern uns so sehr, dass wir unser gemeindliches Enga-gement abwägen müssen. Uns geht die En-ergie aus, weil wir unser Leben in geistlich – Gemeinde, Gott, Evangelisation – und säkular – Beruf, Familie, Nachbarschaft – unterteilen. Dieses gespaltene Weltbild fru-striert die Leute zunehmend. Doch wenn man das Reich Gottes versteht, dann ist Jesus der Herr über alles! Er will nicht nur Menschen retten, er will seine ganze Welt wiederhaben. Alle Bereiche unseres Lebens gehören zum geistlichen Auftrag. Gemein-de gehört dazu, aber sie ist kein Parallel-projekt. Sie sollte vielmehr eine Hilfsquel-le inmitten des gesamten Lebens sein. Das Reich Gottes bringt alles zusammen.

Gibt es Schlüsselerlebnisse, in denen du ein Stück mehr vom Reich Gottes verstanden hast?Mein Schlüsselerlebnis hatte ich in den Jahren 1974 bis 1976. In unserer Gemein-schaft, im Schloss Hurlach, entwickelte sich eine Spannung zwischen den Leuten im geistlichen Dienst und den praktischen Unterstützern. Wir hatten im eigenen Haus die klassische Spaltung zwischen geistlich und säkular. Wir waren überaus hingegeben, doch wir erkannten, dass in unserem Denken und unserem System etwas schief lief. Ich fing an zu fragen: »Herr, was machen wir falsch? Wenn ganz Deutschland sich bekehrt, wie sollen sie denn leben? Was wolltest du in die Welt setzen? Das Gemeindeleben? Oder das Missionswerksleben, das wir jetzt führen?« Schließlich ging ich mit meinen Fragen direkt zur Bibel. Im Matthäusevangelium stieß ich bald auf Johannes den Täufer mit der Botschaft des Reiches Gottes. In

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Wenn ganz Deutschland sich bekehrt, wie sollen sie denn leben?

Wie sollen Wir denn leben?

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Wo siehst du Gefahren, wenn sich junge Erwachsene diesen Denkstil aneignen? Es kann passieren, dass man zu einem Ide-ologen wird, zu einem Reich Gottes-Freak. Auch ein umfassendes Thema wie das Got-tesreich kann zu einer Ideologie werden. Wir leben aber für Jesus, nicht für eine Ide-ologie. Eine andere Gefahr ist, dass man sagt: »Okay, wenn das ganze Leben un-ter Gott ist, dann brauche ich Gemeinde nicht« und man sich von ihr entfernt. Ohne unsere Geschwister geht es jedoch nicht.

Gibt dieses Verständnis vom Reich Gottes Antworten auf die Frage, wie wir denn leben sollen?Ich beschreibe unsere Berufung unter drei Stichworten. Erstens: Gott und meinen Nächsten lieben. Zweitens: unseren Schöp-fungsauftrag wahrnehmen und die Welt regieren. Drittens: die Liebe, Erlösung und Herrschaft Gottes zu anderen Menschen bringen. Es gehört alles zusammen. Man darf nicht Evangelisation auf der einen Seite gegen Gesellschaftsverantwortung auf der anderen Seite ausspielen. Es gibt manche Leute, die voll auf Gesellschaftsre-form gehen, aber die Evangelisation verlie-ren – doch dann sind sie halb entwickelte Christen. Und es gibt die Leute, die Evan-gelisation leben und die Verantwortung für die Gesellschaft verpassen.

Wo fängt die Welt regieren an? Gibt es Gren-zen für diesen Auftrag?Zunächst übernehmen wir Verantwortung für diese Welt. Wir sagen nicht: »Die Welt geht sowieso den Bach runter, Hauptsa-che, die Leute werden gerettet.« Nein, wir übernehmen Verantwortung, das ist unser Schöpfungsauftrag. Doch wo gibt es Gren-zen dafür? Die erste Grenze ist die: Man sollte kein Idealist werden und die Ziele nicht zu hoch setzen. Manchmal kann man viel Land gewinnen, viel guten Ein-fluss in Firma, Schule, Nachbarschaft oder

der Stadt haben. Es kann aber auch sein, dass man sehr bald gegen eine Wand läuft, weil die Leute den Einfluss partout nicht wollen. Es kann sein, dass du aus der Firma fliegst oder es kann so unerträglich werden, dass du kündigen musst. In bestimmten Bereichen bringt man es weit, in anderen nicht. Was jedoch unser Ziel sein muss, ist: Wir überwinden! Wo auch immer ich plat-ziert bin – an meinem Arbeitsplatz, in mei-ner Gemeinde, in meiner Familie – ich ge-winne die Kraft und Weisheit Gottes, um

das Negative in meinem Umfeld zu über-winden. Statt dass es mich defensiv macht, verändere ich es durch Gottes Kreativität. Diese Lebenskraft und Kreativität sollte jeder Christ haben. Das ist realistisch, das ist ein Muss! Letztlich müssen wir uns alle fragen: Was sind meine Prioritäten? Ich kann nicht alles tun. Hier kommt der Ruf Gottes ins Spiel. Ich muss erkennen, in welche Bereiche der Gesellschaft der Hei-lige Geist mich beruft. ///

KEITH WARRINGTON (62) und seine Frau Marion sind gebürtige Neuseelän-der, die seit 1972 in Deutschland le-ben. Sie arbeiten bei der internationa-len Missionsgemeinschaft Jugend mit einer Mission. Keith ist ein erfahrener Leiter, der jetzt als Mentor und Bera-ter für jüngere Leiter in Gemeinden und Gemeinschaften tätig ist, während Marion als Anbetungsmusikerin unter-wegs ist. Beide sind auch in Netzwer-ken für Gebet für die Nation und für die Einheit der Christen engagiert. Sie ha-ben vier erwachsene Kinder und woh-nen in Altensteig im Schwarzwald.

reich goTTes

jedem Kapitel des Matthäus- wie auch des Lukasevangeliums fand ich zu meinem Erstaunen das Reich Gottes als zentrales Thema. Jesus durchzog das Land mit die-ser einzigen Botschaft! Auch in der Apo-stelgeschichte und den Briefen entdeckte ich es als Leitthema und schließlich im Alten Testament mit all seinen Prophetien über Jesus als den Messias. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Jesus ist nicht primär gekommen, um für unsere Sünden zu sterben, sondern um das Reich seines

Vaters auf der Erde aufzurichten. Sein Sterben für die Sünde der Menschen ist ein sehr wichtiger Punkt, aber doch nur ein untergeordneter in der Gründung des Reiches Gottes. Dieses Gottesreich ist eine Regentschaft und nicht eine ›soft op-tion‹ für persönliche Errettung. Gott ist nicht da, um mein Leben zu segnen. Er ist da, um mein Leben zu übernehmen – er ist König! Und seine Absicht ist nicht nur, Menschen für den Himmel zu retten, sondern seine gesamte Schöpfung wie-derherzustellen. Dadurch hat sich mein gesamtes Weltbild verändert. Als wir ent-deckt hatten, dass alle Bereiche unter Je-sus gleichwertig sind, lernten wir Ehe und Familie, Kindererziehung, gemeinschaft-liches Leben, Sekretariat, Instandhaltung und Autowerkstatt neu zu denken. Diese Dinge gehören genauso unter seine Re-gentschaft, wie Schulungen und Straße-nevangelisationen durchzuführen. Als die Spannung zwischen geistlich und sä-kular somit theologisch überwunden war, fingen wir an zu lehren: Die Berufung Gottes ist nicht zwangsläufig Weltmissi-on oder kirchlicher Dienst. In allen Be-reichen der Gesellschaft muss ich erken-nen, wo Gott mich haben will. Das macht die Sache geistlich. Seit diesem Schlüssel-erlebnis gibt es ein ständiges Weiterden-ken in der Umsetzung, aber nicht in der Grundidee.

Er will nicht nur Menschen retten, er will seine ganze Welt wiederhaben. Alle Bereiche unseres Lebens gehören zum geistlichen Auftrag. Gemeinde gehört dazu, aber sie ist kein Parallelprojekt.

Qualifizieren. inspirieren. Mobilisieren.The race The race ist die Zeitschrift für Menschen, die etwas be-

wegen und den Dingen auf den Grund gehen wollen. Sie will qualifizieren, inspirieren, mobilisieren – manchmal auch provozieren und hinterfragen. Ein Anliegen von The race ist, dass Christen mehr Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen und ihr Umfeld aktiv mitgestalten.

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