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 R R e e p p o o r r t t a a g g e e 48 Costa Blanca Nachrichten- Nr. 1294, 03. Oktober 2008 Michael Allhoff ALICANTE Harter Einsatz auf dem Wasser: Die professionellen Segler der Volvo Ocean Race gehen aufs Ganze Gladiatoren der Ozeane Windstärke elf vor Kap Hoorn, Mitternachtswache an Bord. Rings um die Reling der schnit- tigen Rennjacht türmen sich die Schaumkronen tosender Wellen- brecher zu Schwindel erregender Höhe auf. Weiß gurgelnd bro- delt neben dem Boot die Stun- den zuvor so friedliche See. Dunkle Wassermassen schla- gen über die Bordwand und rauschen in Lee über die Spei- gatts ab. Der Orkan heult in den Wanten, pfeift durch die Stage und treibt Gischtschwaden in das Cockpit. Es ist pechschwarze Nacht. Nur das Kompasslicht am Steu- er wirft einen schwachen Schein auf das Achterdeck. Über dem Masttop jagen schwarze Wol- kenfetzen dahin. „Well, you see a lot out there!“ – Nun, du siehst eine Menge da draußen... Navigator Simon Fisher, schlicht „Si-Fi“ genannt, kommentiert das Abenteuer seiner letzten Volvo Ocean Race, Kap Hoorn zu um- runden. „Es gibt ein Foto, das die Organisatoren der Regatta vom Flugzeug aus geschossen haben. Da sieht man unser Boot ganz winzig klein inmitten gi- gantischer Wellen...“ Wenn der Brite mit Wohnsitz in Barcelona von 30 Meter ho- hen Brechern erzählt, von gisch- tenden Raumschots-Kursen mit 42 Knoten Speed inmitten der „Roaring Fifties“ – den grollen- den Fünfzigern, wie die äußers- ten südlichen Breitengrade im Seglerjargon bezeichnet werden –, dann schaudert es die Zuhö- rer allein bei der Vorstellun g. Wer einmal die Gewalt he- reinwaschender Brecher im Or- kan erlebt hat, weiß das Meer zu fürchten. An der grauenvol- len Härte dieser entmenschlich- ten Natur zerschellt jegliche Illu- sion einer idyllischen Romantik unter Segeln wie ein Schiff, das in der Brandung auf ein Riff läuft. Beim Training der Telefónica Azul für die Volvo Ocean Race 2008 (VOR) in den Küstenge- wässern von Alicante herrscht entspannte Stimmung an Bord. Fünf Knoten Windstärke aus Südost, ruhige See, leichter Re- gen: Zwischen den Wolkenbän- ken schimmert selten ein wenig Himmelsblau durch. Dann zau- bert die Sonne glitzernde Refle- xe auf die eisgraue, wie in Blei gegossene See. Neben der Renn- jacht ziehen zwei Möwen klar gezirkelte schnelle Kreise und streifen mit ihren Flügelspitzen die silbrig funkelnde See.  Jede Verä nderung des Windes wir d registriert : Bei der Regat ta um die Welt zä hlt jeder Kno ten Fah rt. Fotos: Ángel García

Volvo Ocean Race - Gladiatoren des Meeres

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RReeppoor r ttaaggee48 Costa Blanca Nachrichten- Nr. 1294, 03. Oktober 2008

Michael Allhoff 

ALICANTE

Harter Einsatz auf dem Wasser: Die professionellen Segler der Volvo Ocean Race gehen aufs Ganze

Gladiatoren der Ozeane

Windstärke elf vor Kap Hoorn,Mitternachtswache an Bord.Rings um die Reling der schnit-tigen Rennjacht türmen sich dieSchaumkronen tosender Wellen-brecher zu Schwindel erregenderHöhe auf. Weiß gurgelnd bro-delt neben dem Boot die Stun-den zuvor so friedliche See.

Dunkle Wassermassen schla-

gen über die Bordwand undrauschen in Lee über die Spei-gatts ab. Der Orkan heult in denWanten, pfeift durch die Stageund treibt Gischtschwaden indas Cockpit.

Es ist pechschwarze Nacht.

Nur das Kompasslicht am Steu-er wirft einen schwachen Scheinauf das Achterdeck. Über demMasttop jagen schwarze Wol-kenfetzen dahin.

„Well, you see a lot outthere!“ – Nun, du siehst eineMenge da draußen... NavigatorSimon Fisher, schlicht „Si-Fi“genannt, kommentiert dasAbenteuer seiner letzten VolvoOcean Race, Kap Hoorn zu um-

runden. „Es gibt ein Foto, dasdie Organisatoren der Regattavom Flugzeug aus geschossenhaben. Da sieht man unser Bootganz winzig klein inmitten gi-gantischer Wellen...“

Wenn der Brite mit Wohnsitz

in Barcelona von 30 Meter ho-hen Brechern erzählt, von gisch-tenden Raumschots-Kursen mit42 Knoten Speed inmitten der„Roaring Fifties“ – den grollen-den Fünfzigern, wie die äußers-ten südlichen Breitengrade imSeglerjargon bezeichnet werden–, dann schaudert es die Zuhö-rer allein bei der Vorstellung.

Wer einmal die Gewalt he-reinwaschender Brecher im Or-

kan erlebt hat, weiß das Meerzu fürchten. An der grauenvol-len Härte dieser entmenschlich-ten Natur zerschellt jegliche Illu-sion einer idyllischen Romantikunter Segeln wie ein Schiff, das

in der Brandung auf ein Riff 

läuft.Beim Training der Telefónica

Azul für die Volvo Ocean Race2008 (VOR) in den Küstenge-wässern von Alicante herrschtentspannte Stimmung an Bord.Fünf Knoten Windstärke ausSüdost, ruhige See, leichter Re-gen: Zwischen den Wolkenbän-ken schimmert selten ein wenigHimmelsblau durch. Dann zau-bert die Sonne glitzernde Refle-

xe auf die eisgraue, wie in Bleigegossene See. Neben der Renn-jacht ziehen zwei Möwen klargezirkelte schnelle Kreise undstreifen mit ihren Flügelspitzendie silbrig funkelnde See.

 Jede Veränderung des Windes wird registriert: Bei der Regatta um die Welt zählt jeder Knoten Fahrt. Fotos: Ángel García

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Reportage 49Nr. 1294, 03. Oktober 2008 - Costa Blanca Nachrichten

Die Crew der Azul testet vordem ersten Inshore-Rennen beiAlicante, das am Samstag, 4.Oktober, startet, die neuen Segelfür ihr Rennen um die Welt.Das Gennaker zum Beispiel,500 Quadratmeter Kohlefaser-stoff. Oder das Spi2, ein bauchi-

ges Spinnaker, das sich vor demWind wie ein kolossaler weißerDom in den Himmel wölbt.Und das Spezialsegel SJS – „Fo-tografieren verboten!“ Dieschnittige Fock, gehisst zwischenGroß und Genua, sieht aus wiedie Tragfläche eines Kampfjetsund soll den Winddruck auf dasGroß verstärken.

Denn jeder Knoten Fahrtzählt. Bei der Volvo Ocean Race

holen Schiffe und Crews dasMaximum an Speed aus jederWindstärke heraus. Über Stun-den. Tage und Nächte hindurch.Auf zehn entbehrungsreichenEtappen, die zusammen über57.000 Kilometer lang sind.„It’s very simple“, flachst Si-Fi:„It’s just sleep, eat and sail!“

Es sei eigentlich alles ganzeinfach – nämlich schlafen, es-sen, segeln... Simon Fisher lebtwie seine Teamkameraden fürden Segelsport. Ob die VictoryChallenge, den MedCup, dieRolex Fasnet Race oder jetztzum zweiten Mal eine Volvo

Ocean Race – der Profi-Seglerhat als Navigator alle großenOffshore-Regatten auf denOzeanen der Erde abgewettert.Immer dabei: sein „Tough-book“ von Panasonic. Auf demwasserdichten Notebook hat erTausende von nautischen Datenabgespeichert, die ihm helfen,für sein Schiff den besten Kurszu errechnen – jeweils vier Tageim Voraus.

Für Geld setzt Simon sein Le-ben nicht aufs Spiel. Obwohl dieElite der weltbesten Profi-Segler– keine 200 Mann weltweit –gewiss nicht am Hungertuch na-gen muss. „Für die Heuer einereinzigen Volvo Ocean Racemüsste ich ein ganzes Jahr langjeden Monat zwei bedeutendeGrinder an der Winsch: Segel hissen in 20 Sekunden.

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Reportage50 Costa Blanca Nachrichten- Nr. 1294, 03. Oktober 2008

Regatten segeln“, sagt er. Damüssten noch die Kosten fürTransatlantikflüge und Hotelsvor Ort abgezogen werden, diebei solchen seglerischen Mara-

thons auf Routen zwischenKapstadt, Sydney, Wellingtonund Miami anfallen.

Die Crew an Bord der Tele-fónica Azul besteht aus zehn mitallen Wassern gewaschenen Re-gatta-Seglern. Da ist zum Bei-spiel Bouwe Bekking. Der 44-jährige Holländer und techni-sche Leiter des Equipo Telefóni-ca segelt dieses Jahr zum fünftenMal die Volvo Ocean Race.750.000 Meilen auf allen Ozea-

nen hat der Kerl im Kreuz, rund30 Mal um die ganze Welt.

Seine sportlichen Erfolge gel-ten auch unter Profi-Seglern alsMythos: Gold beim America’sCup 1999, drei Mal Gold beimRolex Sardinia Cup, zweiterPlatz bei der Volvo Ocean Raceletztes Jahr. „Heuer wollen wirbeide spanischen Jachten aufsPodium bringen“, definiert derMann mit den stahlblauen kla-ren Augen sein ehrgeiziges Ziel.

Da ist Iker Martínez. Der31-jährige Spanier aus Hondar-ribia hat bei den OlympischenSpielen Gold in Athen 2004 im49-er ersegelt und in Peking

Gold im Tornado. „Es ging allesganz plötzlich“, sagt der Segler,„gerade war ich noch in Peking,dann musste ich ruck, zuck nachAlicante zurück zum Start derVolvo Ocean.“ Stolz ist Iker auf seinen Geschwindigkeits-Weltre-kord: 520 Meilen in 24 Stundenmit im Durchschnitt 22 KnotenSpeed. Sein Fazit? „Ein Höllen-ritt!“

Und da ist Pedro Campos.Der 59-jährige Leiter des Equi-po Telefónica hat 22 Titel beimAmerica’s Cup ersegelt und isteiner der besten spanischen Re-gatta-Segler. Die Crew der Tele-fónica Azul komplettieren Xa-bier Fernández und Jordi Cala-fat. Die Wachführer Laurent Pa-ges aus Frankreich und der Süd-

afrikaner Jonathan Swain, beideseit Jahrzehnten auf Maxi-Raceszu Hause, mehr auf dem Wasserals an Land. Pepe Ribes alsBowman, der Mann am Bug,zusammen mit Daryl Wisman.Last not least: Gabriele Olivo,der einzige Italiener unter denCrews der acht Rennjachten, diean der diesjährigen VOR teil-nehmen.

Es ist 14 Uhr. Seit zwei Stun-den segeln wir erst hart am

Wind, dann mit halbem Windund wieder ein paar Meilen vordem Wind vor der Küste zwi-schen Alicante und Santa Polahin und her. Die Telefónica Azulmacht satte zwölf Knoten Fahrtbei nur sechs Knoten Wind. Wieein rassiges Rennpferd beschleu-nigt die schnittige 70-Fuß-Jacht,wenn wieder eine Böe leicht dieWellen kräuselt.

Zwölf Segel hat das Schiff anBord. Ein Wechsel des Vorsegels

spielt die Crew alle 30 Minutendurch. Die Manöver der einge-spielten Crew funktionieren wieam Schnürchen: Segelsack öff-nen, Segel anschlagen, sechs

Riskantes Klettern auf dem Bugspriet: Bei der Regatta auf hoher See sind die Crewmitglieder mit

Karabinerhaken und Sicherheitsleinen eingeklinkt.

Erstes Mal rund um die Welt: Pablo Arrarte aus Santander.

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Reportage 51Nr. 1294, 03. Oktober 2008 - Costa Blanca Nachrichten

Mann gehen an die Grinder imCockpit und kurbeln, was dieBizeps hergeben. Das nächsteSegel bläht sich im Wind, keine20 Sekunden sind vergangen.

Keine Hektik, kein Stress. Je-der Handgriff sitzt. Spielerischwie Tänzer bei einer Ballettauf-führung meistern die Segler Hal-

sen und Wenden, das Setzen desSpinnakers, den Wechsel der Se-gel. „Wir wollen die Tücher inverschiedenen Windrichtungenauf allen Kursen erproben“, er-klärt Iker Martínez denn Zweckund Nutzen dieses letzten Test-laufs vor dem Start der Race.

Keine Falte, kein killendesAchterliek – die Segel sindHightech-Produkte der FirmaNorth Sails, exklusiv aus Kohle-

Kevlar angefertigt nach Entwür-fen des Segelmachers vom TeamTelefónica. Unter vollem Tuchvor dem Wind kommt die Tele-fónica Azul auf satte 675 Qua-dratmeter Segelfläche. Allein dasGroßsegel misst 175 Quadrat-meter, die Genua bringt es auf eine Fläche von 185 Quadrat-metern, das Gennaker misst500. Selbst bei Flauten in tropi-schen Breiten nahe dem Äqua-tor, konstatiert Bekking, wirddie Rennjacht „lässig auf vierbis sechs Knoten“ Fahrt auflau-fen. „Für uns gibt es auf demMeer keinen Stillstand!“

Wenn am Samstag, 11. Ok-tober, um Punkt 14 Uhr auf derhistorischen Replika Nao Victo-ria der Startschuss für die VolvoOcean Race fällt – nach der Seg-nung der Flotte und dem Vor-abendkonzert von UB 40 im Vil-lage –, wenn eine ganze Armada

kleiner und großer Begleitbootedie Flotte der Rennjachten einStück weit südlich hinaus insMittelmeer gen Cabo de Palosbegleitet hat, wenn der ganzeMedienrummel am Kai vorbei

ist und die VIP-Gäste ihren letz-ten Campari-Orange oder einGläschen Champagner in dencool designten Lounges derTeams Puma, Volvo oderEricsson zu sich genommen ha-ben, dann wird die spartanisch

eingerichtete Rennjacht aus Po-lyester, Karbonfaser und Stahlin der Weite der Ozeane Heim,Welt und gegebenenfalls Lei-chenkiste für zehn unsterblicheMenschenseelen. Dann ist derTraum vorbei, und der Alltag an

Bord hat begonnen.„Schlafentzug“, sagt Pepe Ri-

bes, gebürtig aus Benissa, „dasist die härteste Strapaze auf al-len Etappen um die Erde!“ Län-ger als drei Stunden lang könnesich keiner in die Koje hauen.

Auf Geschwindigkeit für jeden Wind getrimmt: Die Regatta-Jacht „Telefónica Azul“ auf Halbwindkurs. Foto: Mira Muina/Equipo Telefónica

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Reportage52 Costa Blanca Nachrichten- Nr. 1294, 03. Oktober 2008

Und wenn der Kurs aufgrund

von Wind und Wetter geändertwerden muss, werde „die

Schlafphase noch verkürzt, weildie Freiwache auf Luv“ wech-

seln müsse.Zu essen kriegen die Segler

Astronautenkost: dehydriertes„Thai Chicken“ und „Mashed

Potato“ aus der Tüte, aufge-kocht mit heißem Wasser. Dazu

zwei proteinhaltige Snacks proTag, jeder einzeln abgezählt.

Denn jedes überflüssige Kilo anBord wird eingespart. Die Vor-räte sind für alle Etappen exaktbemessen – Kapstadt, Cochin,

Singapur, Qingdao, Rio de  Janeiro, Boston, Galway, Göte-

borg, Stockholm und Sankt Pe-tersburg.

„5.600 Kilokalorien am Tag

nehme ich zu mir“, sagt Pepeaus Benissa, „an Land kommeich mit der Hälfte aus.“ Er

weiß, dass er auf dem Törnnach Kapstadt wieder ein paar

Kilo abnehmen wird. Wegen der

Kälte auf dem Atlantik. Derschweißtreibenden Arbeit an denWinschen. Der ständigen Bewe-

gung. Es ist ein harter Alltag anBord, den nur die Hartgesot-

tensten meistern wie moderne

Gladiatoren. Ihr Spektakel fin-det nicht in der Arena statt, son-

dern auf dem Ozean. Doch wiein der Antike gilt ihr Kampf dem Ruhm und der Unterhal-

tung. Dem Image der Sponso-

ren. Der Unterhaltung eines Pu-blikums in aller Welt – onlineals Life-Stream im Internet oder

übertragen via Breitbandsignal

auf die Millionen von Fernseh-bildschirmen rund um die Welt.

Wochenlanger Schlafentzug als härteste Herausforderung neben Unwettern in südlichen Breitengraden: Auf der Telefónica Azul wirdder schwedische Wachwechsel gefahren – drei Stunden schlafen, vier Stunden Wache im kontinuierlichen Wechsel.

Prüfender Blick: Dan Murray hat den Mast der Azul designt.

Erfüllter Traum auf Zeit:

Reporter als Skipper.

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