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UNIVERSITÄT OSNABRÜCK Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen ____________________________________________________ Thema: Freinet-Pädagogik zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein Vergleich der Umsetzung in deutschen und französischen Schulen. vorgelegt von: Ina Spreen In den Dillen 22 49134 Wallenhorst Tel.: 05407 506100 Erstgutachter: Akad. Rat W.-D. Kohlberg Abgabetermin: 08.06.2006

Thema: Freinet-Pädagogik zwischen Anspruch und ... · der Freinet-Pädagogik aufzeigen, im zweiten Teil Praxisbeispiele zweier Schulen aus Deutschland und einer aus Frankreich geben

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UNIVERSITÄT OSNABRÜCK

Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung

für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen

____________________________________________________

Thema:

Freinet-Pädagogik

zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Ein Vergleich der Umsetzung in deutschen

und französischen Schulen.

vorgelegt von:

Ina Spreen

In den Dillen 22

49134 Wallenhorst

Tel.: 05407 506100

Erstgutachter:

Akad. Rat W.-D. Kohlberg

Abgabetermin:

08.06.2006

INHALTSVERZEICHNIS 2

INHALTSVERZEICHNIS

UNIVERSITÄT OSNABRÜCK 1

INHALTSVERZEICHNIS 2

1 EINLEITUNG 6

1.1 Meine Motivation bezüglich der Freinet-Pädagogik 6

1.2 Aufbau und Ziel der Arbeit 8

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 13

2.1 Célestin Freinet – Leben, Werk und Grundgedanken 13

2.1.1 Die Kindheit Freinets und seine Ausbildung (1896–1920) 13

2.1.2 Die ersten Lehrerjahre in Bar-sur-Loup und die Kontakte zu anderen

Reformpädagogen (1920–1928) 15

2.1.3 Schulkampf in St. Paul de Vence (1928–1934) 18

2.1.4 Gründung des Landerziehungsheimes in Vence und die Zeit des Wiederaufbaus

nach dem Zweiten Weltkrieg (1934–1965) 19

2.1.5 Freinets politisches und soziales Engagement 21

2.1.6 Zusammenfassung 22

2.2 Der reformpädagogische Hintergrund: Freinets Kontakte zu

internationalen Reformbestrebungen und der damit verbundene

Einfluss auf seine Pädagogik 24

2.2.1 „Pädagogik vom Kinde aus“ 25

2.2.2 Die Arbeitsschule 26

2.2.3 Die technische Organisation der Arbeit 27

2.2.4 Die Schulgemeinde als Ort selbstbestimmter Arbeit 28

2.2.5 Zusammenfassung 28

2.3 Die Prinzipien der Freinet-Pädagogik 29

2.3.1 Freinets Schulkritik und sein daraus resultierendes Erziehungsziel 29

2.3.2 Bezug zum Leben 30

INHALTSVERZEICHNIS 3

2.3.3 Arbeit als Bestandteil des Erziehungsprozesses 31

2.3.4 Aneignung von Fertigkeiten 33

2.3.4.1 Das „tastende Versuchen“ (tâtonnement experimental) 34

2.3.4.2 Die „natürliche Methode“ (méthode naturelle) 35

2.3.5 Die Rolle des Lehrers 36

2.3.6 Zusammenfassung 38

2.4 Die Unterrichtstechniken der Freinet-Pädagogik 39

2.4.1 Die Arbeitsateliers 40

2.4.1.1 Die vier Ateliers für die manuelle Elementararbeit 41

2.4.1.2 Die vier Ateliers für weiterführende, gesellige und geistige Aktivitäten 42

2.4.2 Die Schülermitverantwortung (coopérative scolaire) 44

2.4.2.1 Die Wandzeitung (journal mural) und die Klassenversammlung (conseil du

classe) 45

2.4.2.2 Der Schülervortrag 47

2.4.3 Die Arbeitspläne (plans de travail) 47

2.4.3.1 Der individuelle Wochenplan 48

2.4.4 Alternative Leistungsbeurteilung 49

2.4.4.1 Leistungsbeurteilung anhand der individuellen Leistungskurve (graphique

personnel) 50

2.4.4.2 Leistungsbeurteilung anhand von Fertigkeitsbescheinigungen (brevets) 51

2.4.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten 53

2.4.5.1 Die Druckerei und der „freie Text“ 54

2.4.5.2 Der Schülerkorrespondenzaustausch und die Schülerzeitung 56

2.4.5.3 Die Freinet-Arbeitsmittel 57

2.4.5.4 Weitere Arbeitsmittel 59

2.4.6 Zusammenfassung 60

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE

SCHULWIRKLICHKEIT 62

3.1 Die „École Freinet“ in Vence (Frankreich) 63

3.1.1 Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik 67

3.1.1.1 Die Arbeitsateliers 68

3.1.1.2 Die Schülermitverantwortung 71

INHALTSVERZEICHNIS 4

3.1.1.3 Die Arbeitspläne 73

3.1.1.4 Alternative Leistungsbeurteilung 77

3.1.1.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten 79

3.1.1.6 Zusammenfassung 81

3.2 Die „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln 83

3.2.1 Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik 83

3.2.1.1 Die Arbeitsateliers 85

3.2.1.2 Die Schülermitverantwortung 87

3.2.1.3 Die Arbeitspläne 89

3.2.1.4 Alternative Leistungsbeurteilung 90

3.2.1.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten 93

3.2.1.6 Zusammenfassung 96

3.3 Die „Grundschule Harmonie“ in Eitorf 96

3.3.1 Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik 96

3.3.1.1 Die Arbeitsateliers 99

3.3.1.2 Die Schülermitverantwortung 103

3.3.1.3 Die Arbeitspläne 106

3.3.1.4 Alternative Leistungsbeurteilung 108

3.3.1.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten 110

3.3.1.6 Zusammenfassung 113

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN

SCHULWIRKLICHKEIT 114

4.1 Die Arbeitsateliers 114

4.1.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich) 114

4.1.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln 116

4.1.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf 117

4.2 Die Schülermitverantwortung 118

4.2.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich) 118

4.2.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln 119

4.2.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf 119

4.3 Die Arbeitspläne 120

INHALTSVERZEICHNIS 5

4.3.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich) 120

4.3.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln 121

4.3.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf 121

4.4 Alternative Leistungsbeurteilung 121

4.4.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich) 122

4.4.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln 122

4.4.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf 123

4.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten 123

4.5.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich) 124

4.5.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln 124

4.5.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf 125

4.6 Zusammenfassung 126

5 STELLUNGNAHME – FAZIT 128

6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 133

7 LITERATURVERZEICHNIS 134

8 ANHANG 143

ERKLÄRUNG 144

1 EINLEITUNG 6

1 EINLEITUNG

1.1 Meine Motivation bezüglich der Freinet-Pädagogik

In meinem Studium an der Universität Osnabrück belegte ich bereits in meinen

Anfangssemestern Seminare zur Erziehungswissenschaft, die als Thematik die

Reformpädagogik behandelten. Ich habe diese belegt, um Anregungen zu erhal-

ten, wie Unterricht in Schulen interessanter und effektiver gestaltet werden kann.

Dort habe ich mich zum ersten Mal intensiv mit Reformpädagogen, wie bei-

spielsweise Peter Petersen, Maria Montessori, Rudolf Steiner und Célestin Frei-

net, auseinander gesetzt. Vor allem hat mich das Wirken Célestin Freinets beein-

druckt. Er forderte eine Neustrukturierung des Schulsystems dahingehend, dass

der Schulbuchunterricht in Form des Frontalunterrichtes durch Arbeitstechniken

wie den „freien Ausdruck“, die Druckerei, die Schülerzeitung, den Arbeitsplan

und die Korrespondenz ersetzt wird. Außerdem sollte durch eine demokratische

Schülermitverantwortung (Klassenversammlung) der autoritäre Unterrichtsstil

abgelöst werden. Mich faszinierten diese Unterrichtsform und der damit verbun-

dene Nutzen, den die Schüler1 aus dieser pädagogischen Konzeption ziehen kön-

nen, und auf welche Art und Weise sich die Rolle des Lehrers2 im positiven Sinn

verändern kann.

Außerdem wurde ich in den Seminaren, im regelmäßigen Umgang mit Kindern

und Jugendlichen sowie durch eigene Erfahrungen in Praktika und Hospitationen

an Grundschulen und weiterführenden Schulen auf schwerwiegende Probleme im

Schulalltag, wie Disziplinlosigkeit, Aggressivität und Motivationsmangel einer-

seits und Chancenungleichheit im Bereich Bildung und Lernen andererseits, be-

sonders aufmerksam. Nach meiner Meinung sind diese Probleme auch das Resul-

tat eines erstarrten Bildungs- und Schulsystems. Diese Auffassung belegen auch

die jüngsten Vorfälle an der Berliner „Rütli-Schule“ (April 2006) in Bezug auf die

oben genannten Kriterien. Sowohl die Lehrer als auch die Schüler scheitern hier

an den bestehenden Schulverhältnissen.

1 Im Folgenden sind mit „Schüler“ immer Schüler und Schülerinnen gemeint. 2 Im Folgenden sind mit „Lehrer“ immer Lehrer und Lehrerinnen gemeint.

1 EINLEITUNG 7

Reformen und Alternativen im Schulsystem, wie sie beispielsweise Freinet in sei-

ner Konzeption aufzeigte, sind daher nach meiner Ansicht unerlässlich für eine

Qualitätssteigerung in deutschen Schulen.

An dieser Stelle möchte ich auf einen Zeitungsartikel der Neuen Osnabrücker Zei-

tung vom 11. Februar 2006 verweisen, auf den ich zu Beginn meiner Arbeit auf-

merksam geworden bin (s. Abb. 1). Dieser Artikel beinhaltet ein Interview mit

dem Wissenschaftler, Journalisten und Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar mit

dem Titel „Wir leben in einer Explosion der Informationen – Moderator Ranga

Yogeshwar über die Kunst der Wissensvermittlung, kapitulierende Schüler und

einen Asteroiden“. Yogeshwar spiegelt die Situation in den heutigen deutschen

Schulen treffend wider, macht auf die dortigen Probleme aufmerksam und zeigt

auf, was passieren kann, wenn sich im Bildungssystem nichts ändert. Es ist inte-

ressant zu lesen, dass ein Wissenschaftler, der sich wahrscheinlich nicht mit der

Freinet-Pädagogik bzw. Reformpädagogik beschäftigt hat, aufgrund seines gesun-

den Menschenverstandes zu Freinet-ähnlichen Gedankengängen kommt.

Abbildung 1: Zeitungsausschnitt der NOZ vom 11.02.2006

1 EINLEITUNG 8

Dieser Zeitungsartikel gab mir noch einmal die Bestätigung, mich im Rahmen

dieser Arbeit intensiver mit dem Thema „Freinet-Pädagogik“ zu beschäftigen. Vor

allem interessiert mich dabei, wie Schulen versuchen, die von Freinet aufgezeig-

ten Techniken in ihrer heutigen Schulwirklichkeit sinnvoll umzusetzen, um damit

den beschriebenen Problemen im Schulalltag entgegenzuwirken. Aus diesem

Grund habe ich bereits vor der Anfertigung dieser Arbeit Kontakt zu Freinet-

Schulen in Deutschland und in Frankreich aufgenommen.

1.2 Aufbau und Ziel der Arbeit

Inhaltlich gliedert sich die Arbeit gemäß dem Thema „Freinet-Pädagogik zwi-

schen Anspruch und Wirklichkeit. Ein Vergleich der Umsetzung in deutschen und

französischen Schulen.“ in drei Hauptteile. Im ersten Teil werde ich die Theorie

der Freinet-Pädagogik aufzeigen, im zweiten Teil Praxisbeispiele zweier Schulen

aus Deutschland und einer aus Frankreich geben und der dritte Hauptteil stellt die

Praxisbeispiele vergleichend Freinets Konzeption gegenüber.

Im ersten Hauptteil beginne ich mit der Biografie Freinets und zeige ihre wich-

tigsten Bezugspunkte zu Freinets Werk, seinem Leben und seinen Grundgedanken

auf. Die Gliederung ergibt sich aus seinen Lebensabschnitten, in denen er eigene

Schulerfahrungen sammeln konnte. Darunter verstehe ich diejenigen Abschnitte,

in denen er selbst Schüler war, sowie die Zeit seiner Ausbildung, seiner ersten

Lehrerjahre und des Aufbaus seines eigenen Landerziehungsheimes. Um ein um-

fassendes Bild von Freinet wiederzugeben, findet als Ergänzung ebenso sein poli-

tisches Engagement Beachtung.

Während ich in der Biografie auf die reformpädagogischen Einflüsse auf die Frei-

net-Pädagogik aus historischer Sicht eingehe, werde ich im zweiten Teil des ers-

ten Hauptteils diese Einflüsse theoretisch analysieren. Auf diese Weise kann ich

Freinets Pädagogik mit anderen Konzeptionen gezielt vergleichen. Dieser Ver-

gleich wäre in der Biografie weniger sinnvoll.

Im darauf folgenden Kapitel werde ich die Prinzipien der Freinet-Pädagogik auf-

zeigen. Dabei handelt es sich um Freinets theoretische Aussagen zu seiner Päda-

gogik. Um die Grundlage seiner Motivation zu verstehen, das Schulsystem an-

hand neuer Techniken aufzubauen, kann auf diese „Theorie“ meiner Ansicht nach

nicht verzichtet werden. Dabei gehe ich zuerst auf seine Kritik an der „traditionel-

1 EINLEITUNG 9

len“3 Schule ein, um danach sein Erziehungsziel begründen zu können. Im An-

schluss daran findet Freinets Philosophie über Leben und Arbeit Beachtung. Au-

ßerdem erläutere ich seine Vorstellung zur Aneignung von Fertigkeiten sowie

seine Einstellung zur Lehrerrolle.

Das abschließende Kapitel des ersten Hauptteils beschäftigt sich konkret mit Frei-

nets Vorstellung von Schule und Unterricht. Dabei stelle ich seine entwickelten

und erprobten Unterrichtstechniken vor, begründe seine Sichtweise und führe teil-

weise Umsetzungsbeispiele an. Die im Laufe der Zeit angepasste Freinet-

Pädagogik und die damit verbundenen neuen Erkenntnisse, wie beispielsweise der

Computereinsatz statt der Druckerpresse, werden erst im zweiten Hauptteil be-

rücksichtigt.

Für die beiden zuletzt genannten Kapitel verwende und zitiere ich vordergründig

Primärliteratur, also die wichtigsten Werke von Célestin Freinet und ebenso Se-

kundärliteratur, die Freinets Grundgedanken widerspiegeln. Diese Schriften zei-

gen meiner Meinung nach die Ansprüche der Freinet-Pädagogik in der ursprüngli-

chen Fassung, die mir für meinen Vergleich mit der aktuellen Freinet-Praxis als

sinnvoll erscheinen.

In dem zweiten Hauptteil dieser Arbeit stelle ich zunächst die von mir im Rahmen

dieser Arbeit besuchten Freinet-Schulen vor. Das sind die „École Freinet“ in Ven-

ce (Frankreich), die „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln und die „Grundschule Har-

monie“ in Eitorf. Bei allen drei Schulen handelt es sich um Grundschulen, wobei

der „École Freinet“ in Vence eine Vorschule angeschlossen ist. Meine Darstellung

der Schulen gliedert sich anhand Freinets pädagogischer Gesichtspunkte „Die

Arbeitsateliers“, „Die Schülermitverantwortung“, „Die Arbeitspläne“, „Alternati-

ve Leistungsbeurteilung“ und „Alternatives Arbeitsmaterial – alternative Ar-

beitsmöglichkeiten“. Diese Vorgehensweise halte ich für sinnvoll, da der dritte

Hauptteil den oben genannten Vergleich zwischen Freinets Pädagogik und der

heutigen Umsetzung in deutschen und französischen Schulen vornimmt.

3 Im Folgenden erwähne ich an vielen weiteren Stellen dieser Arbeit das Wort „traditionelle“ Schule. Damit meine ich im Zusammenhang das zu Freinets Zeiten vorherrschende Schulsystem und im Verlauf der weiteren Arbeit das heutige.

1 EINLEITUNG 10

Ziel der Arbeit ist die vergleichende Überprüfung, inwieweit die von mir besuch-

ten Schulen die Freinet-Pädagogik umsetzen. Dazu sollen folgende Fragen beant-

wortet werden:

- Ist die Freinet-Pädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts in heutigen

Schulen überhaupt noch umsetzbar?

- Auf welche Art und Weise wird die Freinet-Pädagogik umgesetzt? Haben

die von mir besuchten Schulen Freinets Pädagogik einfach übernommen,

haben sie etwas verändert oder etwas bewusst weggelassen?

- Gibt es spezifische Merkmale der Umsetzungsmöglichkeiten in den deut-

schen Schulen oder in der französischen Schule?

- Welche Bedeutung hat die Freinet-Pädagogik für die Schulwirklichkeit?

Ergeben sich Vorteile oder auch Probleme?

Die Beantwortung der Fragen ergibt sich bereits im Verlauf der Arbeit. Das letzte

Kapitel widmet sich jedoch ausdrücklich dieser Aufgabe.

Mein persönliches Ziel dieser Arbeit ist, dass ich sowohl auf theoretischer als

auch auf praktischer Ebene erfahre, inwieweit Unterricht in Schulen konkret nach

der Freinet-Pädagogik aufgebaut werden kann. Dadurch erhoffe ich mir alternati-

ve Anregungen für meine spätere Lehrtätigkeit. Für mich zufriedenstellende An-

regungen konnte ich weder in meiner eigenen Schullaufbahn noch in den Schul-

praktika sammeln. Wenn überhaupt, waren es kleine „Lichtblicke“, aber eine kon-

sequente alternative Unterrichtskonzeption, wie sie beispielsweise in den von mir

besuchten Freinet-Schulen vorzufinden ist, hatte ich bislang nur auf theoretischer

Ebene kennen gelernt.

Anzumerken sind noch Angaben zu den Fotos, Bildern und Filmaufnahmen: Im

zweiten Hauptteil dieser Arbeit sind Fotos und eingescannte Bilder der von mir

besuchten Schulen in den Fließtext eingefügt. Dabei sollen die Abbildungen die

Beschreibungen des Textes visuell unterstützen. Bei Fotos und Bildern ohne

Quellenangaben handelt es sich um diejenigen, die ich während meiner Hospitati-

onszeit in den Schulen aufgenommen bzw. gesammelt habe. Zu dieser Arbeit ha-

be ich außerdem einen Film ausgearbeitet, der ebenfalls auf visueller Ebene unter-

stützend zu den Beschreibungen im zweiten Hauptteil eingesetzt werden soll. Der

1 EINLEITUNG 11

Film stellt jedoch nicht alle Bereiche der Freinet-Pädagogik heraus, sondern nur

Eindrücke, die ich selbst während der Hospitation gemacht habe.

Im Anhang dieser Arbeit befinden sich auszugsweise die Schulprogramme der

drei Schulen bzw. Informationen dazu, deren Angaben ich für die Arbeit verwen-

det habe. Bei der französischen Schule liegt dieses Programm in Form eines In-

formationsheftes für die Eltern vor, das die Gründzüge eines Schulprogramms in

gekürzter Form enthält.

Mein persönlicher Dank gilt vor allem der Rektorin der „École Freinet“ in Vence,

den Rektoren der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln und der „Grundschule Har-

monie“ in Eitorf sowie allen Lehrern und Schülern dieser Schulen. Durch ihre

Informations- und Hilfsbereitschaft konnte ich einen umfassenden Eindruck vom

Schulalltag erhalten. Außerdem danke ich an dieser Stelle noch sehr herzlich da-

für, dass es mir ermöglicht wurde, neben der Hospitation noch Fotos und Film-

aufnahmen zu machen.

1 EINLEITUNG 12

Abbildung 2: Célestin Freinet

„Der mit Verstand S„Der mit Verstand S„Der mit Verstand S„Der mit Verstand Suchende ist immer derjuchende ist immer derjuchende ist immer derjuchende ist immer derjeeeenige,nige,nige,nige,

welcher der Einfachheit und dem Leben nacwelcher der Einfachheit und dem Leben nacwelcher der Einfachheit und dem Leben nacwelcher der Einfachheit und dem Leben nachhhhgeht.“geht.“geht.“geht.“

C. FreinetC. FreinetC. FreinetC. Freinet

(FREINET, C., zit. FREINET, E., 1981, S. 30)

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 13

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK

2.1 Célestin Freinet – Leben, Werk und Grundgedanken

„Wer war Célestin Freinet?“ – Auf diese Frage gibt es nach Ingrid Dietrich meh-

rere Antworten. Er wird zum einen von ihr als französischer Volksschullehrer

einer kleinen, bescheidenen Dorfschule beschrieben. Zum anderen zeigt sie auf,

dass er jedoch auch Begründer einer internationalen Lehrerbewegung und eines

genossenschaftlich geführten Verlagshauses für den Vertrieb eigens konzipierter

Lehr- und Arbeitsmittel war. Freinet wird von ihr aber auch als Schriftsteller an-

gesehen, der außerdem mit internationalen Reformpädagogen seiner Zeit in Kon-

takt stand. Weiterhin stellt sie ihn als Parteimitglied der KPF (Kommunistischen

Partei Frankreichs) und als Gewerkschaftler dar, der sich zeitlebens jedoch immer

als Individualist verstand (vgl. DIETRICH, 1995, S. 13 f.).

Dieselbe Frage, wer nun Freinet war, stellt sich auch Teigeler, der ebenso einige

sehr grundverschiedene Tendenzen im Leben Freinets benennt. Freinet ist für ihn

einerseits ein zu 100 Prozent kriegsbeschädigter Mann, der andererseits eine le-

bendige Pädagogik konzipierte und praktizierte. Teigeler beschreibt Freinet auch

als einen Kommunisten, der aber zugleich als Anarchist versuchte, demokratisch

und freiheitlich sein pädagogisches Konzept zu verwalten (vgl. TEIGELER,

1999 a, S. 45–47).

Wie man an den Aussagen beider Autoren erkennen kann, war Freinets Leben und

Werk sehr facettenreich. Ich möchte in den folgenden Ausführungen zu seiner

Biografie insbesondere die Beweggründe für seine pädagogischen Ansichten und

Auffassungen untersuchen und sein umfangreiches, interessantes Lebenswerk

darstellen.

2.1.1 Die Kindheit Freinets und seine Ausbildung (1896–1920)

Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in dem kleinen Dorf Gars in der Pro-

vence (Département Alpes-Maritimes) als fünftes von acht Kindern einer südfran-

zösischen Bauernfamilie geboren (vgl. JÖRG, 1981 d, S. 138). Seine Eltern waren

Marie Victoire Freinet geb. Torcat und Joseph Delphin Freinet (vgl. SCHLEM-

MINGER, 2002, S. 35). Das Aufwachsen und das einfache Leben in dem natur-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 14

nahen, ländlichen Umfeld des Dorfes und das selbstverständliche Mithelfen bei

der Arbeit auf dem Feld und dem Hof zusammen mit Bauern, Hirten und Hand-

werkern bildeten seinen gesunden Menschenverstand, seine Naturverbundenheit,

seine Offenheit und sein Vertrauen in das Leben aus (vgl. JÖRG, 1981 d, S. 138).

Dieses harmonische Weltbild wurde jedoch beim Eintritt in das Schulleben ge-

trübt. Von 1900 bis 1908 besuchte er die einklassige Dorfschule in seinem Hei-

matdorf Gars, die er mit dem Volksschulabschluss verließ. Anschließend wechsel-

te er auf die weiterführende Schule „École primaire supérieure“ nach Grasse (vgl.

SCHLEMMINGER, 2002, S. 35).

Das von ihm selbst als autoritär empfundene Schulsystem bezeichnete Freinet

später als „école caserne“, in der er für ihn sinnlos erscheinende Schulaufgaben

erledigen musste, wie z. B. das Abschreiben, Einüben und Aufsagen unverstande-

ner Texte. Außerdem drückten die räumlichen Gegebenheiten seine Stimmung, da

das Schulgebäude und deren Räumlichkeiten finster und primitiv eingerichtet wa-

ren, denn er war doch an Licht, Luft und Sonne gewöhnt (vgl. JÖRG, 1979,

S. 151).

Vielleicht gerade wegen dieser Erfahrungen trat Freinet im Oktober 1912 in das

Lehrerbildungsseminar „École Normale d’Instituteurs“ in Nizza ein, um seiner

pädagogischen Berufung nachzugehen. Doch sein Studium währte nicht lange.

Als er am Ende seines zweiten Seminarjahres eine Aushilfslehrertätigkeit in Saint-

Cézaire ausübte, konnte er noch nicht ahnen, dass sein Studium durch den Aus-

bruch des Ersten Weltkrieges von 1914 beendet werden sollte. Am 10. April 1915

wurde Freinet in den Kriegsdienst eingezogen und im Fronteinsatz im Wald von

Gobineaux am 23. Oktober 1917 durch einen Steckschuss im rechten Lungenflü-

gel schwer verletzt (vgl. BENS-FREINET, 1998, S. 9).4 Nach vier Jahren in Laza-

retten und Sanatorien kehrte er nach Kriegsende als 100 Prozent Schwerbeschä-

digter nach Hause zurück (vgl. JÖRG, 1981 d, S. 138).

4 Jörg macht zu dieser Zeitspanne andere Angaben. Er zeigt auf, dass Freinet erst 1913 in das Leh-rerbildungsseminar in Nizza eingetreten ist und stellt zudem heraus, dass Freinet vor dem Kriegs-jahr 1915 keine Lehrtätigkeit ausgeübt hat (vgl. JÖRG, 1979, S. 151).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 15

2.1.2 Die ersten Lehrerjahre in Bar-sur-Loup und die Kontakte zu anderen

Reformpädagogen (1920–1928)

Seine sehr natürliche, anspruchslose und einfache Lebensweise und seine positive

Einstellung zum Leben ermöglichten es wohl Freinet, sich trotz seiner Kriegsver-

letzung als Lehrer zu bewerben. Am 1. Januar 1920 wurde er schließlich zum

Lehrer einer Jungenschule mit zwei Klassen im Dorf Bar-sur-Loup (Département

Alpes-Maritimes) ernannt (vgl. JÖRG, 1979, S. 151 f.), woraufhin er im gleichen

Jahr die Prüfung zur Lehrbefähigung „Certificat d’Aptitude Professionnelle“

(C.A.P.) nachholte.

Freinet litt jedoch weiterhin an einer durch die Kriegsverletzung hervorgerufene

Atembehinderung. Nach eigenen Angaben machte sie es für ihn unmöglich, der

traditionellen Rolle des dozierenden Lehrers nachzugehen. Daher suchte er einen

Unterrichtsstil, der ihn auf der einen Seite entlastete und die Schüler auf der ande-

ren Seite zu mehr Aktivität, Selbsttätigkeit und Selbständigkeit aufforderte. In

seiner Anfangszeit als Lehrer fanden bereits erste von ihm initiierte Änderungen

im Schulleben statt. Er verlegte den Nachmittagsunterricht oft ins Freie, in die

nach ihm benannte „Freiluftschule“ (École Buissonnière) und führte über jeden

Schüler Tagebuch (vgl. ebd.).

Seine ersten Lehrerjahre in Bar-sur-Loup waren aber vor allem dadurch geprägt,

dass er neben traditionellen pädagogischen Schriften wie Rebelais, Montaigne und

Rousseau vor allem an der Reformpädagogik Interesse zeigte. Auf Studienreisen

durch Europa lernte er die Vertreter der Reformpädagogik seiner Zeit näher ken-

nen und aufgrund der daraus entstandenen Erfahrungen manifestierten sich seine

pädagogischen Ideen in Unterrichtstechniken, die er in seiner Schule einführte.

Freinets erste Reise führte 1922 nach Hamburg-Altona, da er sich für die nord-

deutschen Reformschulen und die neu eingeführte deutsche Volksschule interes-

sierte, die den integrativen, gemeinsamen Unterricht aller Schüler aus allen

Schichten betonte. Er besuchte Hermann Lietz und lernte seine Landerziehungs-

heime kennen (vgl. LAUN, 1983, S. 25).

Aber auch mit Lietz’ Mitarbeiter Paul Geheeb, der die „Odenwaldschule“ gegrün-

det hatte, und mit dem Schweizer Adolphe Ferrière kam Freinet in Kontakt sowie

mit Peter Petersen. Mit Petersen, den er Ostern 1928 auf einem pädagogischen

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 16

Kongress in Leipzig ein zweites Mal traf, blieb er ab diesem Zeitpunkt in regem

Brief- und Gedankenaustausch (vgl. JÖRG, 1981 d, S. 138).

Weitere Bekanntschaften machte Freinet in Hamburg-Altona mit den Mitinitiato-

ren der Hamburger Schulreform wie Fritz Gansberg und Heinrich Scharrelmann,

die den „freien Aufsatz“ und die „schöpferischen Kräfte“ in ihrer „Pädagogik vom

Kind aus“ betonten. Er lernte die pädagogischen Ideen über den „freien Aufsatz“

auch von Hugo Gaudig und den „freien Gesamtunterricht“ und die „Hauslehrer-

schule“ von Berthold Otto kennen (vgl. a. a. O., 139 f.).

Während der Sommerferien 1923 nahm Freinet am Kongress des „Weltbundes für

die Erneuerung der Erziehung“ in Montreux in der Schweiz teil. Das war einer der

ersten Kongresse, die auf den im Jahr 1921 von Ferrière gegründeten Kongress in

Calais der „Internationalen Liga der neuen Erziehung“ (Ligue Internationale pour

l’Éducation Nouvelle) zurückgingen. Dort traf Freinet auf die bekanntesten Ver-

treter und Pädagogen seiner Zeit, wie Ferrière, Claparède, Bovet sowie Roger

Cousinet, der als Begründer der Gruppenarbeit in Frankreich galt. Zunächst war

Freinet von den reformpädagogischen Ideen fasziniert, doch bald sehr enttäuscht.

Er sah in den Theorien eine intellektuelle und künstliche Forschung, die mit der

Lebenswirklichkeit nicht viel zu tun hatte. So misstraute er den Arbeiten von Re-

formpädagogen wie Maria Montessori aus Italien und Ovid Decroly aus Belgien,

die beide Ärzte waren, aber auch weiterer Reformpädagogen, die aus anderen

Fachberufen als aus dem Schulbereich kamen (vgl. LAUN, 1983, S. 26).

Im Jahr 1925 unternahm Freinet auf Einladung revolutionärer Gewerkschaftler

mit einer Delegation eine Russlandreise in die Städte Leningrad, Saratov, Moskau

und Stalingrad, um dort die 1923 gegründete „Einheits-Arbeitsschule“ Makaren-

kos kennen zu lernen (vgl. ebd.). Die dortigen einfachen Verhältnisse erinnerten

Freinet an seine arme Dorfschule in Bar-sur-Loup. Fasziniert von diesen Umset-

zungsmöglichkeiten nahm sich Freinet vor, auch der einfachen Bevölkerung in

Frankreich eine bessere Bildung zu ermöglichen (vgl. JÖRG, 1979, S. 155).

Aufgrund der vielen Reisen und Treffen lernte Freinet die verschiedensten Tech-

niken kennen, wovon einige für ihn nützlich erschienen bzw. die er weiterentwi-

ckeln konnte. Obwohl er der Pädagogik Ovid Decrolys misstraute, beeindruckten

ihn die Technik des Druckens und die Schülerzeitung, die Decroly schon 1907 in

seiner „École de l’Ermitage“ in Brüssel eingeführt hatte. Von dieser Druckerei so

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 17

fasziniert, führte Freinet selbst vom Oktober 1923 an eine eigene kleine Hand-

druckpresse der Marke „Cinup“ in seine Schule ein (vgl. JÖRG, 1981 d, S. 138).

Aber noch weitere Techniken übernahm Freinet in seinen Schulbetrieb. Neben der

Umsetzung des „freien Textes“ an seiner Schule begann er eine Schülerkorres-

pondenz anhand eines Briefwechsels mit der bretonischen Schulklasse von R.

Daniel in Trégunc-St. Philibert (Finistère), zu der bereits ein Jahr später, im

Herbst 1925, eine zweite Korrespondenzklasse aus der Nähe von Paris kam. Der

Schulfilm (Machart „Pathé-Baby“), der Rundfunk und die Schallplatte waren in

dieser Zeit weitere Unterrichtselemente (vgl. LAUN, 1983, S. 27).

Seit seiner Anstellung in Bar-sur-Loup war Freinet aktives Mitglied der Lehrer-

gewerkschaft der „Fédération Unitaire de l’Enseignement“ (vgl. SCHLEMMIN-

GER, 2002, S. 36). Mit seinen Ideen und den Erfahrungen, die er mit seinen Tech-

niken gemacht hatte, wandte er sich in Tageszeitungen und politischen Zeitschrif-

ten an die Grundschullehrer. Eine eigene Fachzeitschrift mit dem Titel „Der prole-

tarische Erzieher“ („L’Éducateur proletarien“), in der Erfahrungen aus dem Unter-

richt und mit den Techniken ausgetauscht werden konnten, erschien erst im Jahr

1932. Diese wurde nach dem Krieg unter dem Titel „L’Éducateur“ herausgegeben

(vgl. LAUN, 1983, S. 27).

Doch der realistisch denkende Freinet wusste, dass er allein und nur auf schriftli-

cher Ebene seine pädagogischen Ideen nicht würde verwirklichen können. Das

Schulwesen könnte sich nach seiner Auffassung nur dann zu einem kindgemäßen

und zeitnahen System entwickeln, wenn die Veränderung von den Lehrern und

der Schule selbst ausgehen würde. Deshalb gründete er 1924 eine Kooperative für

Erziehungsfragen, nämlich die „Cooperative de l’Enseignement Laïc“ (C.E.L.).5

In dieser Kooperative fanden sich diejenigen Lehrer zusammen, die die missli-

chen Umstände im Schulleben verändern wollten. Dieses waren vor allem die

individuelle Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse und Lernvoraus-

setzungen der Schüler aus den verschiedenen sozialen Schichten und die Verbes-

serung der kläglichen materiellen Ausstattung der Schule. Aus diesem Grund er-

5 Diese Bewegung nannte Freinet „Moderne Schule“ (École Moderne), um insbesondere zu beto-nen, dass er sich zwar eine Erneuerung im Schulsystem wünschte, sich jedoch nicht radikal gegen alles Alte wenden würde, wie die Bewegung „Neue Schule“ (École Nouvelle); (vgl. Jörg, 1979, S. 157).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 18

stellten sie „aus der Praxis – für die Praxis“ kindgerechte Arbeitsmaterialien für

die Kinder (vgl. JÖRG, 1981 d, S. 140).

Ein Jahr später, 1925, lernte Freinet die politisch und künstlerisch aktive Elise

Lagier-Bruno kennen, die bereits ein Jahr zuvor mit Freinet aufgrund eines von

ihm veröffentlichten Artikels Kontakt aufgenommen hatte (vgl. SCHLEMMIN-

GER, 2002, S. 37). 1926 kam Elise schließlich nach Bar-sur-Loup. Im gleichen

Jahr heirateten sie. Elise blieb Freinet eine lebenslange Mitarbeiterin und trug

einen erheblichen Anteil zu seiner Arbeit bei, denn sie unterstützte, kritisierte,

regte die Arbeit in der Schule an und schrieb Erfahrungsberichte über ihre Tätig-

keit in der Klasse. Vor allem aber arbeitete sie mit den Kindern in der Schule im

künstlerischen Bereich (vgl. LAUN, 1983, S. 27).

2.1.3 Schulkampf in St. Paul de Vence (1928–1934)

Im Jahr 1928 wurde Freinet nach St. Paul de Vence versetzt und musste schweren

Herzens Bar-sur-Loup verlassen. Die Schule, ein alter Bau, dessen Klassenraum

mit 50 Kindern gänzlich überfüllt war, befand sich in einem katastrophalen Zu-

stand: Fußbodenbretter fehlten und die hygienischen Bedingungen in den Toilet-

tenanlagen waren erschreckend. Ein erster Konflikt mit dem Oberbürgermeister

und der Schulaufsicht entstand, als Freinet versuchte, etwas gegen diesen desola-

ten Zustand zu unternehmen (vgl. JÖRG, 1979, S. 190 f.).

Als im Herbst 1932 viele namhafte Pädagogen aus Frankreich, Deutschland und

Russland anlässlich des „Internationalen Kongresses der Neuen Erziehung“ in

Nizza nach St. Paul de Vence kamen, um Freinet und seine Schule kennen zu ler-

nen, verhärtete sich die Lage aufgrund von Gerüchten, Freinet treibe Spionage für

Russland. Die Intrigen und Verleumdungen gegen Freinet spitzten sich schließlich

dermaßen zu, dass man ihn am 21. Juni 1933 vorübergehend beurlaubte. Auslöser

hierfür waren zwei von Freinets Schülern verfasste Texte, die den Oberbürger-

meister und den Pfarrer in einem schlechten Licht darstellten (vgl. a. a. O.,

S. 192–194).

Das Angebot, wieder in Bar-sur-Loup als Lehrer anzufangen, lehnte Freinet je-

doch ab. So blieb er in St. Paul de Vence und befasste sich mit der Organisation

und Verwaltung der C.E.L., die zu diesem Zeitpunkt über 1500 Mitglieder zählte,

und betreute seine mittlerweile geborene Tochter Madeleine. Elise, die ebenfalls

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 19

seit 1930 in St. Paul an einer Mädchenschule arbeitete, gab ihre Anstellung auf

und unterstützte ihren Mann in der Verwaltung (vgl. a. a. O., S. 194 f.).

2.1.4 Gründung des Landerziehungsheimes in Vence und die Zeit des

Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg (1934–1965)

Ein Erbteil Elises machte es den Freinets möglich, sich 1934 auf einem Hügel

östlich von Vence, in dem Weiler Pioulier, ein Haus mit Grundstück zu kaufen.

Nach dem Vorbild von Lietz und Geheeb wollte sich Freinet auch sein eigenes

Landerziehungsheim errichten. Gemeinsam mit fünf Kindern, darunter zwei ver-

triebene Judenkinder aus Deutschland, bauten sie mehrere auf dem Gelände ver-

teilte Pavillons mit großen Terrassen und hellen Fensterfronten.

Beeinflusst wurde der freundlich wirkende Bau durch Freinets positive Lebens-

einstellung und Naturverbundenheit. Im September 1935 wurde die Schule eröff-

net und der Unterricht begann mit 15 Kindern. Sämtliche Materialien der Koope-

rative hatten Célestin und Elise Freinet beim Umzug von St. Paul de Vence mit-

genommen (vgl. a. a. O., S. 196).

Im August 1935 gründete Freinet die „Front der Kindheit“, die politische – insbe-

sondere linke – Parteien, Gewerkschaften und Jugendverbände sowie die „Liga

der Verteidigung der Menschenrechte“ aufrief, für die Rechte der Kinder einzu-

stehen. Jedoch wurde Freinet kaum Interesse geschenkt, weil die Aufmerksamkeit

der Parteien vor allem dem aufkommenden Faschismus und Nationalsozialismus

galt. Die „Front der Kindheit“ wurde zu einem Misserfolg, worauf sich Freinet

mit großem Eifer dem Ausbau seines Landerziehungsheimes und der Verbesse-

rung seiner Techniken widmete (vgl. a. a. O., S. 196 f.).

Als der Zweite Weltkrieg im Jahr 1939 ausbrach, wurden die Veröffentlichungen

der C.E.L. und die Schulzeitung zensiert und Freinet aufgrund der Einstufung als

unsichere politische Person und wegen kommunistischer Propaganda in Nizza

festgenommen. Durch das Eingreifen einflussreicher Freunde konnte er jedoch

kurzfristig aus der Haft entlassen werden. Am 20. März 1940 wurde er erneut in-

haftiert und in das Internierungslager Saint-Maxim gebracht. Dort schrieb Freinet

die jeweils erste Fassung seiner Bücher „L’Éducation du Travail“ (Die Erzieheri-

sche Kraft der Arbeit), „L’Expérience Tatonnée“, „Essai de psychologie sensible“

und das aufgrund von Gesprächen über Erziehungssorgen mit seinen Kameraden

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 20

entstandene Buch „Conseil aux parents“. Dieses waren seine wichtigsten pädago-

gischen Werke (vgl. a. a. O., S. 197).

Nach seiner zwischenzeitlichen Verlegung in das Internierungslager St. Sulpice

wurde er aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes am 29. Oktober

1941 entlassen. Zu dieser Zeit floh Elise mit der Tochter Madeleine aus Vence zu

ihrer Mutter nach Vallouise, um der auch ihr drohenden Verhaftung zu entgehen

(vgl. SKIERA, 2003, S. 316). So ging Freinet auch nicht sofort nach Vence zu-

rück. Ihm wurde als Wohnort ebenfalls Vallouise zugewiesen (vgl. BENS-

FREINET, 1998, S. 12). Um nicht erneut verhaftet zu werden, hielt er sich bis

Mai 1944 im Untergrund der französischen Widerstandsbewegung, der Résistan-

ce, versteckt. Ende 1944 kehrte Freinet als freier Mann wieder in sein Landerzie-

hungsheim nach Vence zurück. Dieses fand er ausgeplündert vor, sämtliche Ar-

beiten und Unterlagen waren zerstört (vgl. JÖRG, 1979, S. 197).

Freinet gab jedoch nicht auf. Die Zeit nach seiner Rückkehr nach Vence war vor

allem durch die Herausgabe seiner zahlreichen Schriften in den Jahren zwischen

1946 und 1950 geprägt. Gegen Ende des Jahres 1945 veranstaltete er die erste

Arbeitstagung der C.E.L. nach dem Krieg, an der 130 Lehrer teilnahmen, und ein

Jahr darauf erschien sein Buch „L’École moderne Française“, mit dem er sich

einen Neuaufbau des Schulwesens erhoffte. 1947 wurde schließlich auch sein

Landerziehungsheim in Vence wiedereröffnet. Freinet selbst unterrichtete nicht

mehr, sondern widmete sich vor allem dem Aufbau der Kooperative und seiner

pädagogischen Bewegung (vgl. SCHLEMMINGER, 2002, S. 41).

1948 gründete Freinet in Cannes das „Institut Coopératif de l’École Moderne“

(I.C.E.M.) mit 30 Facharbeitsgruppen, die die Arbeit der Freinet-Gruppen in den

einzelnen Départements unterstützen und die Techniken und Arbeitsmittel weiter-

entwickeln und erproben sollten.

Da in der Zwischenzeit die Zahl der internationalen Freinet-Gruppen in über 40

Ländern sehr stark anstieg, wurde 1961 das Verbindungsorgan der einzelnen Län-

der, F.I.M.E.M. (Féderation Internationale des Mouvements de l’École Moderne),

ebenfalls mit Sitz in Cannes, gegründet. Die F.I.M.E.M. organisiert bis heute jähr-

lich ein 14-tägiges Treffen jeweils in einem anderen Land, in dem insbesondere

Freinet-Techniken eingeführt werden.

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 21

Freinets Schule in Vence wurde 1964 zur Versuchsschule erklärt, was bedeutete,

dass die angestellten Lehrer erstmals vom Staat bezahlt wurden (vgl. BENS-

FREINET, S. 13).

1965 nahm Freinet zum letzten Mal an dem Kongress der C.E.L. in Brest teil. Er

beabsichtigte in diesem Jahr sogar die Gründung eines Lehrerbildungsinstituts. Da

ihm aber das dazu nötige Geld fehlte, konnte seine letzte Wunschvorstellung nicht

realisiert werden (vgl. SKIERA, 2003, S. 317).

Am 8. Oktober 1966 starb Célestin Freinet kurz vor seinem 70. Geburtstag und

wurde in seinem Geburtsort Gars beerdigt (vgl. LAUN, 1983, S. 30).

Epilog

Nach Freinets Tod übernahm 1967 eine Gesellschaft die Leitung der Schule, um

den Erhalt, die Entwicklung und die pädagogischen Methoden Freinets sicherzu-

stellen.

1981 starb Elise Freinet.

Fünf Jahre später stellte die C.E.L. ihre Tätigkeit ein.

1991 wurde die „École Freinet“ in Vence durch Beschluss Lionel Jospins, Minis-

ter für nationale Erziehung, zur Staatsschule erklärt (vgl. BENS-FREINET, 1998,

S. 13).

2.1.5 Freinets politisches und soziales Engagement

Wie in der Einleitung 2.1 „Célestin Freinet – Leben, Werk und Grundgedanken“

bereits erwähnt, zeigte Freinet politisches Interesse, das an dieser Stelle neben

seinem pädagogischen Wirken noch Beachtung finden soll.

In den Jahren zwischen 1920 und 1948, der Zeit, in der Freinet seine Pädagogik

und seine Lehrerbewegung ausbaute, engagierte sich Freinet besonders als Ge-

werkschaftler und Parteimitglied der „Kommunistischen Partei Frankreichs“ (frz.:

PCF oder dt.: KPF; vgl. DIETRICH, 1982, S. 149).

Nach dem Ersten Weltkrieg, aber vor allem in der Zeit von 1920 bis 1923, las

Freinet die Werke von Marx, Engels und Lenin. Von ihrem idealisierenden Sozia-

lismus erhoffte sich Freinet für die Gesellschaft eine für alle gerechtere Welt. Aus

diesem Anlass gründete Freinet eine Ein- und Verkaufsgenossenschaft, um die

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 22

soziale Armut der Kleinbauern zu verbessern. 1922 schloss er sich der Anti-

kriegsbewegung „Clarité“ (Klarheit) an und trat in die linksorientierte „Fédération

Unitaire des Travailleurs de l’Enseignement“ (Einheitsgewerkschaft der Arbeiter

im Bildungswesen) ein, in der er aktives Gewerkschaftsmitglied war und 1924

zum Schriftführer gewählt wurde. In dieser Zeit verfasste er viele Beiträge für

deren Zeitschrift „École Émancipée“ (vgl. JÖRG, 1981 a, S. 171 f.).

1929 wurde Freinet schließlich Mitglied in der „Kommunistischen Partei Frank-

reichs“ (vgl. ebd.), aus der er nach knapp 20 Jahren (1948) unter Protest wieder

austrat. Sein Beweggrund für den Eintritt in die Partei war die Verbesserung des

Schul- und Bildungswesens, die er sich durch dieses politische Engagement er-

hoffte. Sein Beweggrund für den Austritt aus der Partei lag vor allem im Wider-

spruch zwischen der einseitig politisch-ideologischen Orientierung einerseits und

seinen pädagogischen Bemühungen andererseits (vgl. JÖRG, 1981 d, S. 144).

Bereits 1933 behauptete er: „Wir sind Pädagogen und keine Politiker. Bei all un-

seren Nachforschungen sind wir nie von politischen Nachforschungen ausgegan-

gen. Nach unserer Meinung wäre ein solches Vorgehen Häresie“ (FREINET, zit.

JÖRG, 1981 a, S. 178).

2.1.6 Zusammenfassung

Anhand Freinets Biografie wird deutlich, dass ihn seine verschiedenen Lebensab-

schnitte prägten, was somit sein Verhalten und seine Pädagogik erklären kann.

Wie bereits erwähnt, beeinflussten die Erfahrungen, die Freinet in seiner Kindheit

zu Hause in der intakten dörflichen und naturnahen Umgebung sammelte, einer-

seits und die negativen Erfahrungen als Schüler andererseits sein pädagogisches

Denken nachhaltig.

Die Jahre des Ersten Weltkrieges, die Fronterfahrung, die Hysterie, die Kriegsma-

schinerie, der Tod einer jungen Generation, seine eigene Verletzung und sein

Kampf, körperlich und seelisch wieder zu genesen, bestimmten Freinets Werde-

gang ebenso (vgl. LAUN, 1983, S. 37). Selbst beschrieb er die Situation nach dem

Krieg: „Meine Ausbildung als Lehrer habe ich durch den Krieg erhalten“ (FREI-

NET, zit. SKIERA, 2003, S. 312). Diese Kriegserfahrungen gaben ihm entschei-

dende Impulse für sein gewerkschaftliches, friedenspolitisches und friedenspäda-

gogisches Engagement (vgl. SKIERA, 2003, S. 313).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 23

Aber auch der soziokulturelle und politische Kontext des Volksschulwesens der

1920er Jahre muss Berücksichtigung finden, um Freinets Werdegang zu erklären.

Die überfüllten Landschulklassen, deren Unterhalt und Bau von der Gemeinde

abhing, begründen darüber hinaus den Schulstreit und die Konflikte, die viele

Lehrer zur damaligen Zeit mit der Gemeindevertretung hatten (vgl. SCHLEM-

MINGER, 2002, S. 13).

Ob nun Freinets schlechter Gesundheitszustand aufgrund seiner Kriegsverletzung,

die oftmals sogar als Legende betitelt wird, oder nicht doch sein wacher Sinn für

neue geistige Strömungen und gesellschaftlichen Fortschritt das ausschlaggebende

Motiv für seine Suche nach neuen Unterrichtsformen waren, wird in der Fachlite-

ratur unterschiedlich dargestellt, meist zugunsten seiner Kriegsverletzung (vgl.

SKIERA, 2003, S. 313). Freinet beschrieb jedenfalls seine Situation folgenderma-

ßen: „Als ich 1920 aus dem I. Weltkrieg zurückkam, war ich nur ein ‚verwundeter

Held’ mit Lungenschuß, geschwächt, außer Atem und nicht in der Lage, mehr als

ein paar Minuten in der Klasse zu sprechen. Trotz meiner Atembeschwerden hätte

ich vielleicht mit Hilfe einer anderen Pädagogik normalerweise einen Beruf aus-

üben können, den ich liebte. Aber Unterricht zu halten, für Kinder, die nicht zuhö-

ren und nicht verstehen – ihre schweifenden Augen sagen es mit ausreichender

Deutlichkeit –, sich laufend unterbrechen zu müssen, um die Trauer und Undis-

ziplinierten mit traditionellen Worten zur Ordnung zu rufen: Wirst du jetzt wohl

zuhören! – Willst du nicht endlich aufhören, mit den Füßen gegen die Bank zu

treten? – Wiederhole, was ich eben gesagt habe! Das war natürlich vergebene

Liebesmüh, in der verbrauchten Atmosphäre einer Klasse, die nur zu gut über

meine körperlichen Möglichkeiten informiert war. Wie ein ertrinkender [sic], der

nicht untergehen will, mußte ich ein Mittel finden, um mich über Wasser zu hal-

ten. Es war für mich eine Frage von Leben und Tod.“ (FREINET, C., 1981, S. 19)

Entgegen der vorherrschenden Meinung ist die Verletzung meines Erachtens aber

nicht der Hauptgrund, weswegen Freinet so extrem für eine Änderung des Bil-

dungs- und Schulwesens eintrat. Anhand seiner biografischen Angaben lässt sich

leicht erkennen, dass mehrere Faktoren dazu beigetragen haben. Gerade beim Le-

sen seiner Schriften, vor allem „Die erzieherische Kraft der Arbeit“ und „Die mo-

derne französische Schule“, wird deutlich, dass es ihm vielmehr um das Wohl des

Kindes ging als um seine Gesundheit. Aus diesem Grund liegt es nahe, dass seine

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 24

Atembehinderung, die es für ihn unmöglich machte, eine längere Zeit zu dozieren,

nur das auslösende Moment für seinen pädagogischen Umbruch war, was ihn aber

motivierte, mit seinen Forderungen konsequent umzugehen. Ansonsten hätte Frei-

net wahrscheinlich nicht so vehement versucht, das gesamte Schulsystem zu än-

dern.

2.2 Der reformpädagogische Hintergrund: Freinets Kontakte zu

internationalen Reformbestrebungen und der damit verbundene

Einfluss auf seine Pädagogik

Der „Ansatz Freinets zur Reform der staatlichen ‚école du peuple’ findet seine

Wurzeln nicht nur in den spezifisch französischen Traditionen der laizistischen

Schule, sondern zugleich in den Überzeugungen, Prinzipien und Anstößen der

internationalen pädagogischen Reformbewegung des endenden 19. und beginnen-

den 20. Jahrhunderts“ (KOCK, 1995, S. 103).

Freinet war ursprünglich immer bestrebt, einen eigenen Weg zu finden, um eine

grundlegende Neustrukturierung des Schulsystems zu erreichen. Er war sich je-

doch bewusst, dass es fast unmöglich sein würde, ganz allein ein neues Erzie-

hungssystem zu entwickeln. Wie bereits im Kapitel 2.1.2 „Die ersten Lehrerjahre

in Bar-sur-Loup und die Kontakte zu anderen Reformpädagogen (1920–1928)“

erwähnt, interessierte sich Freinet bereits zu Beginn seiner Schullaufbahn für die

Schriften pädagogischer Klassiker und ließ sich durch einen intensiven Austausch

mit Reformpädagogen anregen, sein Schulkonzept zu verwirklichen (vgl. LAUN,

1983, S. 38).

Er veröffentlichte sogar, dass er sich Inspirationen und Anregungen anderer Päda-

gogen einholte. So gab er bereits in dem Artikel „Die Arbeitsschule“ der Zeit-

schrift Clarité vom 01.07.1924 zu erkennen, dass bereits existierende pädagogi-

sche Konzepte nützlich für die Umsetzung seines Erziehungszieles sein könnten.

Dieses Ziel bestand seiner Ansicht nach nicht in einer Anhäufung von Wissen,

sondern es sollte in erster Linie zu einer menschlichen und sozialen Bildung durch

Arbeit und zur Entwicklung des Willens führen. Beispielhaft nannte er in diesem

Artikel die Schulen von Geheeb, Lietz und Tobler, die Hamburger Schulen, die

belgische Schule von Faria de Vasconcellos sowie die Schulen in Sowjet-

Russland (vgl. FREINET, 1996 a, S. 47 f.).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 25

Nach Kocks Ausführungen zum reformpädagogischen Einfluss auf Freinets Päda-

gogik werden im Folgenden verschiedene pädagogische Prinzipien der Freinet-

Pädagogik benannt, deren Ursprung in anderen pädagogischen Ansätzen zu finden

ist.

2.2.1 „Pädagogik vom Kinde aus“

„Stellen wir das Kind in den Mittelpunkt unserer Sorgen! Machen wir das Ar-

beits-Spiel (die Arbeit mit Spielcharakter) zum Hauptanliegen kindlicher Aktivi-

tät! Geben wir dem fruchtbaren Tun den Vortritt vor dem rein forschenden Den-

ken! So sieht die kopernikanische Revolution aus, die in der Erziehung unbedingt

verwirklicht werden muss.“ (FREINET, 1998 a, S. 374) Freinet forderte eine

kindgemäße Schule, wobei er von einer „École centrée sur l’enfant“ sprach. Damit

verwies er ganz klar und ausdrücklich darauf, dass die Schule absolut auf das

Kind hin zentriert sein sollte und dabei jegliche Bedürfnisse und Interessen sowie

die psychische und physische Entwicklung des Kindes berücksichtigt werden

müssten (vgl. Anm. JÖRG, S. 595 f. zu FREINET, 1998 c, S. 492 f.).

Freinets Anspruch, das Kind in den Mittelpunkt der Schule zu stellen, charakteri-

siert die Annahme der „Pädagogik vom Kinde aus“, die vielen reformpädagogi-

schen Ansätzen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zugrunde

liegt (vgl. KOCK, 1995, S. 105).

Bereits in dem von der schwedischen Reformpädagogin Ellen Key herausgegebe-

nen Buch „Das Jahrhundert des Kindes“ des Jahres 1900 (deutsche Fassung:

1902) wurde dieser Grundtenor erstmals öffentlich benannt. Im Jahr 1919 bzw.

1920 wurde der Ansatz „vom Kinde aus“ unter dem gleichnamigen Aufsatz von

Johannes Gläser, der zur Spitze der Hamburger Reformer gehörte, allgemein be-

kannt und zum Kampfbegriff der Reformpädagogik herausgebildet. Die oberste

Aufgabe der Erziehung sollte darin bestehen, das kreative Potenzial der Kinder

durch erlebbare Inhalte zur Entfaltung zu bringen (vgl. ebd.). Freinet ordnete da-

gegen das kreative Potenzial des Kindes seiner rationalen Erziehung und Bildung

unter. Das Kind sollte nach seiner Auffassung vielmehr im Rahmen einer durch-

organisierten Schulgemeinde in den Schulalltag eingebunden sein (vgl. KOCK,

1996, S. 16).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 26

Ein ähnlicher Ansatz „vom Kinde aus“ findet sich bei Decroly, der Freinet in die-

ser Hinsicht nachhaltig beeinflusste. Für beide stand eine kindgerechte Lehrplan-

gestaltung im Vordergrund und äußerte sich schließlich in Freinets Umsetzung

des offiziellen Lehrplans in den „Allgemeinen Arbeitsplan“ und dem Arbeiten

nach Interessensschwerpunkten (vgl. a. a. O., S. 17).

2.2.2 Die Arbeitsschule

„Die Schule von morgen wird eine Arbeitsschule sein.“ (FREINET, 1998 c,

S. 494). Mit diesem Satz forderte Freinet, dass die Arbeit die Grundlage des Bil-

dungssystems darstellen müsse, weil nur sie die antreibende Kraft des Bildungs-

erwerbs sei. Arbeit in diesem Sinne war für ihn eine ungezwungene, den Bedürf-

nissen des Menschen entsprechende und somit Befriedigung schaffende Tätigkeit.

Innerhalb der reformpädagogischen Entwicklung des 20. Jahrhunderts wurde die

Arbeitsschulebewegung zum zentralen Schwerpunkt und fand dort seine breiteste

und fruchtbarste Beachtung. Hauptvertreter dieser Bewegung waren u. a. Georg

Kerschensteiner (1854–1932) und Adolphe Ferrière (1879–1960) (vgl. KOCK,

1995, S. 122).

Der oben von Freinet zitierte Satz über die Arbeitsschule steht sogar in einer di-

rekten Verbindung zu einer Äußerung Georg Kerschensteiners. Am 12. Januar

1908 erklärte dieser in einer Festrede zum Pestalozzi-Gedenktag, dass die Schule

der Zukunft eine Arbeitsschule sein und dass aus der Lernschule eine Arbeits-

schule werden müsse. Kerschensteiner forderte eine Schule, die durch Werkstät-

ten, Laboratorien und Gärten das manuelle und künstlerische Tun der Schüler

verwirklichen solle. Ähnliche Forderungen sind bei Freinet wiederzufinden, der

anstatt des herkömmlichen Klassenzimmers, Ateliers innerhalb und außerhalb der

Schule einsetzte (vgl. JÖRG, 1986, S. 198).

Freinets Vorstellung von einer Arbeitsschule wurde aber vor allem durch Ferrières

Ansicht geprägt, den man auch als Bindeglied zwischen Kerschensteiner und

Freinet benennen kann. Freinet bezeichnete sich selbst als „kritischen Schüler

Ferrières“. In Ferrières Werken „L’École active“ (Die Tatschule) und „Pratique de

l’École active“ beschrieb dieser die praktische Umsetzung der Forderungen Ker-

schensteiners für eine Arbeitsschule (vgl. KOCK, 1995, S. 122). Ferrière forderte

eine „Neue Schule“, in der die Schüler anhand persönlicher Erfahrungen mit Hilfe

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 27

manueller Arbeit und moralischer Bildung zu mehr Selbstverantwortung und

Denkvermögen kommen sollten (vgl. JÖRG, 1986, S. 198).

2.2.3 Die technische Organisation der Arbeit

Nach Kock gibt es einige Parallelen zwischen dem Ansatz Freinets und dem Ma-

ria Montessoris im Bezug auf die technische Organisation der Arbeit (vgl. KOCK,

1995, S. 161).

Für Montessori stellte die Grundlage der Arbeit die Freiheit des Kindes im Han-

deln dar. Aufgabe des Lehrers war ihrer Meinung nach, für eine optimale Lern-

umwelt und Material für die Schüler zu sorgen, damit diese sich weiterentwickeln

könnten. Das Erkennen einer geeigneten bildenden Lern- und Lebenswelt be-

schrieb sie als „Technik der Liebe“. Auch Freinet sah eine vorbereitete Lernum-

gebung, in der ein Schüler mit den verschiedenen Techniken eigenständig arbeiten

könne, als ein wichtiges Element für den schulischen Erfolg an. Beide betonten

ausdrücklich, dass „dem Kind Freiheiten geben“ nicht bedeute, dass es einfach tun

könne, wozu es gerade Lust habe. Freiheit im Schulunterricht sollte vor allem

dazu dienen, Bedürfnisse durch selbstverantwortliche Arbeit, die im Vorfeld tech-

nisch organisiert sei, zu befriedigen (vgl. ebd.).

Obwohl Freinet, wie Montessori, eine technische Organisation der Arbeit für un-

umgänglich hielt, sah er in ihrer Vorgehensweise, die philosophisch-theologisch

orientiert war, erhebliche Mängel. Seiner Meinung nach waren ihr Ansatz und

ihre erforschten Materialien nur auf die Entwicklung des einzelnen Kindes orien-

tiert. Folge davon waren nach seiner Auffassung soziale Einzelmenschen. Die von

ihr verwandten und entwickelten Unterrichtsmaterialen hielt er für einseitig und

starr und nicht am wirklichen Leben orientiert, so dass für Gedanken, Hoffnungen

und Wünsche der Kinder kein Platz in der Schule bliebe (vgl. a. a. O., S. 165).

Für Freinet waren seine Unterrichtstechniken zwar auch an der Entwicklung des

Kindes orientiert, jedoch darüber hinaus zeit- und situationsbedingt. Sie sollten

aber vor allem immer einen direkten oder indirekten Bezug zum Leben haben, um

die Schüler optimal auf die Zukunft vorzubereiten (vgl. ebd.).6

6 Weitere reformpädagogische Einflussgrößen auf Freinets Pädagogik wurden bereist im Kapitel 2.1.2 „Die ersten Lehrerjahre in Bar-sur-Loup und die Kontakte zu anderen Reformpädagogen (1920–1928)“ erwähnt und bleiben an dieser Stelle daher unerwähnt.

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 28

2.2.4 Die Schulgemeinde als Ort selbstbestimmter Arbeit

Die Schulgemeinde als Ort selbstbestimmter Arbeit konnte Freinet aus anderen

pädagogischen Konzepten kennen lernen und diesen Gedanken in seine pädagogi-

sche Arbeit übernehmen.

Freinet sah, wie auch der deutsche Reformpädagoge Petersen, die Notwendigkeit

eines technisch gestalteten und organisierten Gesamtzusammenhangs zwischen

Schule und Unterricht. Beide propagierten ein kooperativ gestaltetes Schulleben

in der Schulgemeinde. Doch während für Petersen die Gemeinschaft im Vorder-

grund stand, betonte Freinet die schulische Arbeit und dessen Organisation als

Hauptmerkmal des Schullebens (vgl. KOCK, 1996, S. 18 f.).

Ähnlich wie der frühsowjetische Pädagoge Blonskij betrachtete auch Freinet die

Schulgemeinde als einen Prototyp der idealmenschlichen Gesellschaft. Blonskij

bezeichnete seine Schulgemeinde als „Kinderarbeitsgesellschaft“, in der sich das

einzelne Kind als Teil einer Kollektivarbeit verstehe und in der durch organisierte

Arbeitsteilung ein gemeinsames Ziel erreicht werden könne. Freinet betonte je-

doch stärker die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, als die Gemeinschaft

oder das Kollektiv. Die Schulgemeinde war für Freinet ein Ort zur maximalen

Entfaltung des Kindes durch Arbeitsprozesse (vgl. a. a. O., S. 19).

2.2.5 Zusammenfassung

Dieses Kapitel soll aufzeigen, welche reformpädagogischen Konzepte Einfluss

auf Freinets Pädagogik genommen haben. Freinet äußerte sich dazu: „Wir holen

uns den Honig dort, wo er uns am besten schmeckt“ (FREINET, C. zit. KOHL-

BERG, 1997, S. 100). Damit wollte er aber nicht ausdrücken, dass man einfach

urteilslos Ideen einzelner Modelle aneinanderzureihen braucht, um eine eigene

Pädagogik zu entwickeln.

Er war vielmehr der Ansicht, dass es keine „Patentrezepte“ für eine optimale Pä-

dagogik gebe. Stattdessen sollten eigene Wege gefunden werden, wobei aber die

Erfahrungen anderer genutzt werden dürften, solange diese kritisch beleuchtet

würden (vgl. SKIERA, 2003, S. 318). „Freinets Leistung beruht auf der Fähigkeit,

die im Zuge der Reformpädagogik einzeln und unvollkommen entwickelten Ele-

mente bis in ihre letzte Konsequenz für die Klasse zu analysieren und so lange

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 29

abzuwandeln, bis sie sich zu einem wohldurchdachten Arsenal miteinander ver-

knüpfter Techniken ergänzen.“ (LAUN, 1983, S. 30)

2.3 Die Prinzipien der Freinet-Pädagogik

Freinet beschrieb sich zeitlebens als Praktiker und nicht als Theoretiker (vgl.

FREINET, 1998 c, S. 544). Er sträubte sich auch vielfach gegen Theorie und die

hohe Wissenschaft. Inge Hansen-Schaberg, wie viele weitere Freinet-Pädagogen,

gibt sogar an, dass Freinet überhaupt kein theoretisches Konzept erstellt hätte und

Grundbegriffe nicht existierten (vgl. HANSEN-SCHABERG, 2002, S. 4). Doch

beim längeren Studium der vorwiegend narrativen Schriften Freinets kristallisie-

ren sich immer wieder dieselben Prinzipien seiner Einstellung zum Schulsystem

heraus, auch wenn sie nicht explizit als Prinzipien oder Grundsätze von ihm be-

sonders benannt werden. Nach meiner Meinung hat Freinet auf diese Weise trotz-

dem erreicht, ein theoretisches Werk anhand seiner praktischen Darstellungen zu

schaffen, um den Grundstock seiner Pädagogik aufzuzeigen und um die Berechti-

gung, den Sinn und den Zweck hierfür zu begründen.

Diese grundlegenden Aussagen entstanden aber durch jahrelange praktische Er-

fahrungen. Sie stellen somit eine Art Reflexion dar, die im wirklichen Schulleben

begründet ist. Demnach handelt es sich um eine pädagogische Theorie, die er

selbst als „pédagogie moderne de bon sens“, einer Pädagogik des gesunden Men-

schenverstandes, charakterisierte (vgl. SKIERA, 2003, S. 319).

Im Folgenden werden die pädagogisch theoretischen Aussagen Freinets aufge-

zeigt. Sie sollen Freinets Beweggründe, Motive, Vorstellungen und Ziele zur

Neuorganisation des Schulwesens verdeutlichen.

2.3.1 Freinets Schulkritik und sein daraus resultierendes Erziehungsziel

Freinet kritisiert in seinen Schriften in außerordentlicher Weise die „traditionelle“

Schule. Seiner Meinung nach ist sie einerseits nur auf ein bloßes Nützlichkeits-

streben hin fixiert, nämlich zur Erfüllung der Lehrpläne und zur Ausübung von

Leistungsdruck auf die Schüler, andererseits bereitet sie die Schüler nur unzurei-

chend auf die Zukunft vor (vgl. FREINET, 1998 c, S. 492). „Angesichts dieser

beiden Konzeptionen, die nicht im geringsten, weder die eine noch die andere, die

Interessen des Kindes berücksichtigen, gilt es für uns [Lehrer], als wahres Erzie-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 30

hungsziel zu fordern, daß das Kind in einem größtmöglichen Maße zur Entfaltung

seiner Persönlichkeit im Schoße einer vernünftigen Gemeinschaft gelangen kann,

der es dient und die auch ihm dient.“ (ebd.)

Freinet sieht eine Erfüllung seines Erziehungsziels in der grundlegenden Moder-

nisierung des Schulwesens durch eine Schulreform. Die Grundlage der Schule soll

nach seiner Meinung zwar auf der Tradition beruhen, die Schule selbst muss sich

aber aus dem wirklichen Leben entwickeln. Dabei sollte der antreibende Motor

für das Schulleben und den Bildungserwerb die Arbeit und nicht das Lernen sein,

da nur die Arbeit den natürlichen Bedürfnissen der Kinder entspricht und zur Be-

friedigung dieser Bedürfnisse führt. Die von Freinet vielfach kritisierte Lernschule

führt nach seiner Ansicht zu Schülern mit „toten Wissen vollgestopften Hirnen“,

anstatt zu „wachen Köpfen und geschickten Händen“ in der von ihm geforderten

lebensnahen Arbeitsschule. Um diesem Dilemma zu entgehen, fordert Freinet eine

Umorganisation des Schulwesens in allen Bereichen: „Eine derart von einem neu-

en Leben durchdrungene und an der Wirklichkeit orientierte Schule muß nicht nur

ihre Unterrichtsräume, ihre Lehrpläne und Stundenpläne, sondern auch ihre Ar-

beitsmittel und ihre Unterrichtstechniken den wesentlichen Erfordernissen anpas-

sen, die der Fortschritt unserer Epoche verlangt.“ (a. a. O., S. 495)

2.3.2 Bezug zum Leben

„Der Begriff des LEBENS hat bei Freinet große Bedeutung, es ist die wichtigste

Metapher seiner Philosophie […] Leben heißt für Freinet, eigene Erfahrungen

machen, aktiv handelnd die Dinge dieser Welt erproben und ihnen auf den Grund

gehen […] Und zwar in einem ununterbrochenen Prozeß wechselseitigen Austau-

sches mit der personalen und materiellen Umwelt.“ (LAUN, 1983, S. 38)

Freinet fordert ein Bildungssystem, das im Leben begründet ist und sich nicht von

diesem abwendet und isoliert davon existiert. Die Unterrichtsinhalte sollten sich

am wirklichen Leben orientieren. So könnten die Schüler den Sinn und die Ab-

sicht der schulischen Tätigkeit verstehen, was zu einer größeren Lernmotivation

und Aufmerksamkeit der Schüler führen würde (vgl. FREINET, 1998 a, S. 361).

Nach Freinet genügen drei Faktoren, die das System Schule mit dem Leben ver-

binden. Das ist zunächst der „Unterricht“ außerhalb der Schule. Dieser kann,

wenn auch nur gelegentlich, durch organisierte Unterrichtsgänge in das unmittel-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 31

bare Umfeld der Schule erfolgen, wie z. B. Arbeiten in der Natur (u. a. Gartenar-

beit), Tätigkeiten im sozialen Umfeld, Besuch bei Handwerkern. Weiterhin soll

das äußere Leben in die Schule integriert werden, beispielsweise durch das Mit-

helfen von Arbeitern und Handwerkern in der Schule. Schließlich sollen alle wei-

teren Bereiche des Lebens, die nicht praktisch vorgestellt werden können, durch

Untersuchungen oder Berichte der Schüler anhand selbst gewählter Themen ver-

tieft kennen gelernt werden (vgl. FREINET, 1998 c, S. 555).

2.3.3 Arbeit als Bestandteil des Erziehungsprozesses

Freinet fundamentiert seine theoretische pädagogische Konzeption und seine

praktischen Erfahrungen mit dem von ihm favorisierten Arbeitsbegriff. Dieser

durchzieht seine Konzeption wie ein „roter Faden“ und jede schulische Aktivität

wird dadurch begründet (vgl. HAGSTEDT, 1997, S. 16). Arbeit ist für Freinet

deshalb grundlegend für die Erziehung, weil er die Arbeit für den Menschen als

Grundlage des Lebens ansieht (vgl. FRENEIT, 1998 a, S. 279).

Bei der Begriffbestimmung für Arbeit unterscheidet Freinet vor allem zwischen

drei Formen von Aktivitäten: Arbeit mit Spielcharakter, Spiele mit Arbeitscharak-

ter und Spiele zur Entspannung. Diese Unterscheidung ist für Freinet von großer

Bedeutung, weil die Anwendung dieser Tätigkeiten in der Schule ausschlagge-

bend für den schulischen Erfolg der Schüler ist.

Seine starke Betonung einer Arbeitsschule beruht vermutlich auf eigenen Erfah-

rungen. Er beschreibt sehr anschaulich das Beispiel des Bauernsohnes Mathieu,

der mit seinem Vater eine Mauer ausbesserte. Diese Arbeit war sehr mühevoll,

aber der Junge war stolz, als er sein vollendetes Werk betrachten konnte. Belohnt

wurde er außerdem durch das Bestaunen vorbeigehender Passanten. Die eigen-

ständige Arbeit, die dafür zu tragende Verantwortung und schließlich das selbst

erarbeitete Ergebnis verschafften ihm nach Freinets Schilderung eine solche aus-

füllende Befriedigung, die er nicht durch andere Aktivitäten wie Spielen erreichen

konnte (vgl. a. a. O., S. 290).

Nach Freinet besitzt jeder Mensch von Natur aus natürliche Bedürfnisse, wie „In-

telligenz, weitgehende Einheit mit der Natur, Anpassung an die körperlichen und

geistigen Möglichkeiten, Gefühl der Macht, der Kreativität und der Herrschaft,

augenblicklich spürbare technische Leistungsfähigkeit, offenkundige familiäre

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 32

und soziale Nützlichkeit, großer Empfangsbereich für Empfindungen, Sorge, Er-

müdung und Leiden“ (a. a. O., S. 308). Diese seien so elementar, dass der Mensch

instinktiv versuche, sie mit bestimmten Aktivitäten oder Tätigkeiten zu befriedi-

gen. Dieses Vorgehen ist für Freinet ein funktionaler Prozess, der den Menschen

glücklich macht und ihn gleichermaßen ausfüllt (vgl. ebd.). Die erforderlichen

Tätigkeiten, die notwenig sind, um die natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen,

betitelt Freinet als Arbeits-Spiel oder Spiel mit Arbeitscharakter. Freinets pädago-

gische Folgerungen sind explizit: „Es muss die wichtigste erzieherische Sorge

sein, wenn möglich in der Familie, aber wenigstens in der Schule und um die

Schule herum eine Welt zu schaffen, die wirklich an das Kind angepaßt ist, sich

nach seinem Rhythmus entwickelt, seinen Bedürfnissen entspricht, und in der das

Kind sich ganz den Arbeits-Spielen widmen kann, die geeignet sind, den natürli-

chen und funktionellen Sehnsüchten seines Wesens in einem Höchstmaß zu ent-

sprechen.“ (a. a. O., S. 375)

Eine Schule, die an Arbeits-Spielen orientiert ist, beinhaltet nach Freinet folgende

Vorteile: Sie ermöglicht den Schülern, ihre Bedürfnisse des Lebens, der Verteidi-

gung und der Erneuerung zu befriedigen, woraus Zustände wie Wohlbefinden,

Harmonie, Kraft und Vertrauen für das Leben resultieren. Außerdem beinhaltet

und fördert sie die intellektuellen Fähigkeiten der Schüler, wie logisches Denken,

Training des Gedächtnisses und die Kenntnisse eines Menschen, die nicht durch

Unterrichtslektionen, sondern durch praktische Arbeiten in der Gemeinschaft

entwickelt werden können. Durch die aufkommende Harmonie wird es den Schü-

lern ermöglicht, sich ohne Zwischenstörungen ihren Arbeiten aufmerksam zu

widmen, die von der natürlichen Antriebskraft des Willens, eine Arbeit zu Ende

zu bringen, gelenkt wird (vgl. a. a. O., S. 389 f.). Kurz gesagt: Die auf Arbeit ba-

sierende Schule rege einerseits die speziellen individuellen Anlagen an und ande-

rerseits ermögliche sie den allgemeinen Wissensgrundstock der Schüler zu erwei-

tern (vgl. a. a. O., S. 285).

Nur wenn es die Umstände der Schule nicht erlauben, Arbeits-Spiele für die Schü-

ler bereitzustellen, sollen, nach Freinets Auffassung, stattdessen vom Lehrer

Spiel-Arbeiten oder Spiele mit Arbeitscharakter eingesetzt werden (vgl. a. a. O.,

S. 376). Spiel-Arbeiten seien eine Unterform der Arbeits-Spiele, die eine mehr

oder weniger verspätete Erinnerung an die Arbeit hätten. Sie befriedigten danach

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 33

nur die uranfänglichen Bedürfnisse des Menschen mit dem unterbewussten Ziel,

Leben zu erhalten, Leben zu garantieren und Leben zu vervollkommnen. Im Ge-

gensatz zu Arbeits-Spielen, deren Befriedigung zu Stolz und Freude führe, seien

die charakteristischen Merkmale der Spiel-Arbeiten Anstrengung, Angst, Unvor-

hersehbarkeit und Ermüdung (vgl. a. a. O., S. 316). Als Beispiel für Spiele, die

das Bedürfnis befriedigen, das Leben zu erobern, zeigt Freinet das Laufen und das

Fang- und Versteckspiel an, die den Arbeitsbewegungen eines Jägers, Anglers,

Obstpflückers und Bauers entsprechen (vgl. a. a. O., S. 318). Nach Freinet besit-

zen aber die Spiel-Arbeiten nicht denselben Sinn und Wert wie Arbeits-Spiele,

weil Spiele mit Arbeitscharakter immer nur einen „zufälligen, untergeordneten

oder entspannenden Wert behalten“ (a. a. O., S. 387).

Spiele im Allgemeinen, die keinen Bezug zur Arbeit haben, kritisiert Freinet aufs

Äußerste. Seiner Meinung nach dienen diese Spiele nur der ausgleichenden psy-

chischen und physischen Entspannung. Sie seien in der „traditionellen“ Schule

entstanden, die eine unnormale Konzentration auf eine einzige Arbeit fordere,

anstatt die Aufmerksamkeit der Schüler auf mehrere Bereiche zu verteilen. Je

stärker die normalen Aktivitäten im Regelunterricht durch Zwang unterdrückt

würden, desto mehr verspürten die Schüler den Drang nach Entspannung durch

Spiele. Je stärker der Druck auf die Schüler, desto lauter, heftiger und brutaler die

Spiele der Entspannung, die sich nach Freinets Schilderung in Spötteleien und

Rangeleien äußern können (vgl. a. a. O., S. 347).

Aber eine Schule, die erfüllt ist von Arbeitsaktivitäten, die an die natürlichen

Möglichkeiten des Kindes angepasst sind und den Bestrebungen und Bedürfnissen

der Schüler entsprechen, sich weiterzuentwickeln, führt, so Freinet, auf harmoni-

sche Weise zu einer natürlichen Ermüdung und bereitet die Schüler bestmöglich

auf ihre Zukunft vor (vgl. a. a. O., S. 399 f.).

2.3.4 Aneignung von Fertigkeiten

Freinets starke Betonung auf den Arbeitsschulgedanken geht einher mit seiner

Vorstellung, auf welche Art und Weise sich die Schüler Wissen und Fähigkeiten

aneignen sollen. Hierbei ist die Vorgehensweise gemeint, die es den Schülern er-

laubt, mit den nötigen Arbeitsbedingungen (Arbeitstechniken), auf natürliche

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 34

Weise eigen- und selbständig Erfahrungen zu machen, die zudem noch kritisch

beleuchtet werden können.

Freinets Ziel besteht darin, dass Lernen als aktiven Prozess selbst zu lernen unter

Berücksichtigung der Interessen und der Entwicklung des Kindes (vgl. LAUN,

1983, S. 41). Diese Aneignung vollzieht sich für Freinet anhand des „tastenden

Versuchens“ und der „natürlichen Methode“, die im Folgenden aufgezeigt wer-

den.

2.3.4.1 Das „tastende Versuchen“ (tâtonnement experimental)

Freinet unterstellt jedem Menschen, dass er versucht, mit bestimmten Tätigkeiten

und Aktivitäten seine natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Art und Weise,

wie er das macht, nennt er das „tastende Versuchen“. Um Dingen auf den Grund

zu gehen, Entdeckungen zu machen, Erkenntnisse zu erreichen und Lösungen für

ein Problem zu finden, sei ein suchendes Forschen anhand des „tastendes Versu-

chens“ notwendig. Nach Freinet ist das „tastende Versuchen“ ein natürlicher Pro-

zess, der sich bereits ab der Geburt entwickelt. Zunächst zwar unbewusst, sei die-

ser aber schließlich im Alter von vier Jahren so ausgereift, dass das Kind in der

Lage sei, durch spezielle Arbeitsaktivitäten seine wichtigsten Bedürfnisse zu be-

friedigen, so dass sich dessen Persönlichkeit in physischer und psychischer Hin-

sicht voll entfalten könne (vgl. RAMSEGER, 1991, S. 116 f.).

Freinet kritisiert daher die „traditionelle“ Schule, die die Selbständigkeit der Kin-

der zu stark einschränkt. Für ihn können Kinder nur dann konstruktive Erfahrun-

gen sammeln, wenn sie anhand des „tastenden Versuchens“ eine Selbstüberprü-

fung der Dinge vollziehen (vgl. FREINET, 1980, S. 73 f.). Durch Versuch, Irrtum

und Korrektur solle der Schüler in der Schule eigene Erfahrungen machen, um auf

diese Weise zu Einsicht und zu einer tieferen Erkenntnis zu gelangen, statt ihm

das fertige Ergebnis zu präsentieren. Zuerst habe das „tastende Versuchen“ me-

chanischen Charakter, der bei Erfolg zu einer entsprechenden Verhaltensänderung

bzw. zu einer speziellen Einsicht führe. Die später eintretende Intelligenz zeigt

nach Freinet dabei an, wie schnell und wie sicher ein Kind von den „tastenden

Versuchen“ profitiert. Danach zeige auch die Nachahmung einer erfolgreichen

Handlung Züge des „tastenden Versuchens“ auf. Der ausschlaggebende Unter-

schied bestehe jedoch darin, dass das „tastende Versuchen“ durch eine andere

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 35

Person ausgeführt werde und der Nachahmer selbst diese Erfahrung nicht macht

(vgl. SKIERA, 2003, S. 320).

Anhand des Beispiels „Flechten eines Weidenkorbes“ stellt Freinet konkret das

„tastende Versuchen“ dar: Ein Kind, das versucht, einen Korb zu flechten, wird

sich an diese Flechttechnik mit den Weiden erst herantasten müssen. Es muss da-

bei entdeckende Erfahrungen machen, indem es herausfindet, wie es am Besten

den Korb herstellt. Beim Herantasten wird aber auch nicht alles so funktionieren,

wie es sich das Kind vorstellt und es wird möglicherweise einen unförmigen Korb

anfertigen. Trotzdem wird das Kind stolz auf seinen eigenen Korb sein und durch

die eigene Erfahrung oder durch das Zuschauen bei der Arbeit von Korbmachern

wissen, wie man einen besseren Korb herstellen kann. Ein Verbot der konstrukti-

ven „tastenden Versuche“, indem man dem Schüler stattdessen einen perfekten

Korb präsentiert oder rein verbal diesen Prozess beschreibt, würde nach Freinet

keine Alternative darstellen. Denn durch eine Hinderung der Selbsttätigkeit kä-

men die Schüler auf den Gedanken, dass sie so etwas nicht selbst anfertigen könn-

ten, obwohl sie es nicht einmal versucht hätten (vgl. FREINET, 1980, S. 73 f.).

Laun beschreibt diesen Vorgang ganz treffend: „Was zählt ist nicht Wissen als

Endergebnis. Wertvoller sind die Erfahrungen, die schließlich dorthin geführt ha-

ben und zum Inhalt des Klassenerlebens werden.“ (LAUN, 1983, S. 42)

Durch jahrelange praktische Erfahrungen konnte Freinet die Eigenständigkeit und

Wirksamkeit seiner theoretischen Überlegungen zum „tastenden Versuchen“ absi-

chern, die die Grundlage der natürlichen Methode (méthode naturelle) darstellen

(vgl. KOCK, 2001, S. 4), die im Folgenden näher erläutert wird.

2.3.4.2 Die „natürliche Methode“ (méthode naturelle)

Die „natürliche Methode“ ist für Freinet die entscheidende Lernmethode, die auf

dem „tastenden Versuchen“ begründet ist. So wie ein Kind auf natürliche Weise

mit einem Höchstmaß an Erfolg gehen und sprechen lerne, so solle es auch in der

Schule auf natürliche Weise lesen und schreiben lernen (vgl. FREINET, 2000,

S. 343 f.). Für Freinet ist das eine logische Schlussfolgerung, denn ein Kind, das

auf die Welt kommt, muss nicht erst eine Technik des Sprechens beherrschen, um

sich auszudrücken. Diese Technik besitze es bereits vorgeburtlich (vgl. a. a. O.,

S. 352). Das methodische an dieser natürlichen Wissensaneignung besteht für

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 36

Freinet nun darin, zu versuchten, das natürliche Lernen, das bereits vor- und au-

ßerschulisch begann, in die Schule zu übertragen, so dass die Schüler auch dort

anhand der „natürlichen Methode“ zur Erkenntnisgewinnung gelangen können

(vgl. SKIERA, 2003, S. 321).

Am ausführlichsten beschreibt Freinet die „natürliche Methode“ anhand der Ent-

wicklung des Schriftspracherwerbs. Auf interessante Weise bekundet er dem Le-

ser seine Einstellung zur Fibelarbeit und seine Schlussfolgerungen für eine Alter-

native. Aus seiner Sicht kommt ein Schüler „nie auf die Idee, stumpfsinnig eine

Seite voll i und eine voll o zu malen, wenn es schreiben wollte. Es würde die gra-

phischen Zeichen, die es gesehen hat, auf seine Art nachmachen. […] Nach und

nach kommen alle Zeichen zutage. Der Zufall verwandelt sich in Erfolg, und der

wiederholte und systematisierte Erfolg endet in der Beherrschung der Technik.

Das Kind schreibt jetzt schon eine Zeile oder eine ganze Seite.“ (FREINET, 1980,

S. 77 f.)

Auch auf allen anderen Gebieten soll, so Freinet, der Schüler die Möglichkeit ha-

ben, nach der „natürlichen Methode“ lernen zu dürfen, wie für die Sachfächer, für

Mathematik, die Naturwissenschaft und für den Geschichtsunterricht (vgl. FREI-

NET, 2000, S. 343 f.).

2.3.5 Die Rolle des Lehrers

Freinet kritisiert die Rolle des Lehrers der „traditionellen“ Schule, nämlich auf

welche Art und Weise dieser versucht, den Schülern Wissen zu vermitteln. Den

beklagenswerten Zustand der Kontrolle über die Schüler durch dessen Autorität,

die allzu oft missbraucht wurde, bezeichnet Freinet als Tyrannei und Despotismus

(vgl. FREINET, C., 1981, S. 51). Dazu Freinet: „Ihr [die Lehrer der „traditionel-

len“ Schule] erteilt euren Kindern Unterricht; ihr gebt ihnen eine Aufgabe und

bestätigt das Ergebnis sofort, mit der Kurzsichtigkeit eines Bürokraten, wie diese

kleinen Städter, die einen Steckling in die Erde stecken, ihn eilig gießen und am

nächsten Morgen kommen, um zu sehen, ob die Früchte schon sprießen. Ihr

schreit, ihr scheucht auf, ihr bestraft, weil eure Worte, eure Überlegungen, eure

Vorführungen nicht eine unmittelbare Veränderung in das Denken und in das

Handeln derer [der Schüler] gebracht haben, die euch angehört haben.“ (FREI-

NET, C., 1998 a, S. 276) Den Grund für ein solches Verhalten sieht Freinet in der

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 37

Tatsache, dass die Lehrer zu wenige Kenntnisse in einer technischen Umgestal-

tung des Unterrichts hätten. Als Konsequenz bricht für Freinet das pädagogische

System zusammen, denn aus dem anfänglichen Eifer vieler Lehrer, der jedoch bei

den Schüler auf Unverständnis und „taube Ohren“ stößt, wird schnell eine Kapitu-

lation der Lehrer, indem sie sich mit dieser Situation zufrieden geben. Der Lehrer

drifte allmählich in Routinearbeit ab (vgl. FREINET, 1998 c, S. 566).

Um Freinets Erziehungsziel, die größtmögliche Entfaltung der Persönlichkeit ei-

nes Kindes innerhalb einer Gemeinschaft, zu erreichen, müsse die Erziehung

grundlegend und dauerhaft aufgebaut werden. Das hat nach Freinet demnach un-

mittelbare Konsequenzen für die Rolle des Lehrers und für die Qualität seiner

Arbeit. Der Lehrer müsse seine sonst dominante Aufgabe als Dozent innerhalb

seiner frontalen Position vor der Klasse aufgeben, zugunsten einer pädagogischen

Haltung gegenüber den Kindern, um die Schüler auf optimale Weise in ihrem

Lern- und Arbeitsprozess zu begleiten und zu fordern (vgl. SKIERA, 2003,

S. 326).

Die grundlegende Änderung vollzieht sich nach Freinet in der Organisation des

Unterrichts mit Hilfe von Arbeitsmitteln und Unterrichtstechniken, die sich auf

alle Bereiche des Schullebens vollstreckt. Dabei ist eine zentrale und bedeutende

Aufgabe des Lehrers die Hilfestellung des im Kapitel 2.3.4.1 beschriebenen „tas-

tenden Versuchens“. Der Lehrer könne dieses Lernen erfolgreich anregen, indem

er den Schülern eine Schulumgebung, Techniken und Materialien biete, die genau

auf die Vorhaben abgestimmt seien (vgl. FREINET, 1980, S. 72).

Der Lehrer soll nach Freinets Auffassung insgesamt in kooperativer Zusammen-

arbeit mit seinen Schülern die materielle Organisation und das Gemeinschaftsle-

ben in der Schule regeln. Er habe für Arbeiten zu sorgen (Arbeit mit Spielcharak-

ter), die den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen jedes einzelnen Schülers

entspräche. Ist dieses gewährleistet, bliebe dem Lehrer genügend Freiraum, sich

um diejenigen Schüler zu kümmern, die Schwierigkeiten hätten und Unterstüt-

zung benötigten (vgl. FREINET, 1998 a, S. 471 f.). Die Aufgabe des „Helfers“ ist

nach Freinet neben der Aufgabe des „Organisators“ deshalb so wichtig, da diese

Tätigkeit bewusst die autoritären Verhaltensweisen des „traditionellen“ Lehrers,

wie kontrollieren, schimpfen und bestrafen, ausschließt. Wie Freinet darstellt,

vollziehen sich die Hilfestellungen darin, dass der Lehrer beispielsweise die Dru-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 38

ckereiarbeiten der Schüler überwacht und berichtigt, den jüngeren Schülern beim

Aufsatz hilft, der einen Gruppe Aufgaben in den Naturwissenschaften erklärt, den

anderen bei der Suche nach Sachblättern in der Nachschlagekiste unterstützt und

ihnen für die richtige Verwendung Tipps gibt (vgl. FREINET, 1998 c, S. 568). Ist

das Schulleben somit im Vorfeld organisiert, demnach jeder Schüler versorgt und

„untergebracht“, entsteht eine Arbeitsatmosphäre, in der nach Freinet keine Dis-

ziplinschwierigkeiten mehr auftreten. Freinet fordert von den Lehrern ausdrück-

lich: „Die Sorge um Disziplin steht in einem umgekehrten Verhältnis zur Perfek-

tion der Arbeitsorganisation und dem dynamischen und aktiven Interesse der

Schüler. Organisiert so peinlich genau wie möglich die Arbeit mit Spielcharakter

in eurer Schule und ihr werdet gleichzeitig die Frage der Disziplin lösen.“ (FREI-

NET, 1998 a, S. 472) Probleme würden nämlich nur dann auftreten, wenn die Or-

ganisation des Lehrers fehlerhaft oder ungenügend sei (vgl. ebd.).

2.3.6 Zusammenfassung

Dieses Kapitel soll deutlich machen, welche Grundgedanken Freinet besaß, die

ihn dazu veranlassten, ein neues Schulkonzept zu entwickeln. Dabei handelt es

sich um ein Schulkonzept, das die Kinder in den Mittelpunkt stellt, im Bezug zum

Leben steht, auf Arbeit und den verschiedenen Arbeitsformen aufgebaut ist und

ein neues Verständnis von der Lehrerrolle verlangt.

Schlemminger weist in diesem Zusammenhang auf ein Zitat von Jean Piaget hin:

„[…] Ohne groß auf Theorien zu pochen, ist er [ = Célestin Freinet] zu zwei

Wahrheiten gekommen, die sicherlich den wichtigsten Stellenwert in der Psycho-

logie der kognitiven Entwicklung haben /: Die Entwicklung der kognitiven Opera-

tion geht von echten Handlungen im weitesten Sinne aus […], denn die Logik ist

zunächst einmal Ausdruck der allgemeinen Koordinierung von Handlungen, und

diese Koordination beinhaltet notwendigerweise eine soziale Dimension […]“

(PIAGET, zit. SCHLEMMINGER, 2002, S. 26). Freinets Grundgedanken können

wohlgemerkt nicht mit der Entwicklungspsychologie Piagets verglichen werden,

welche die Aneignung von Wissen in kognitiven Stufen aufbaut. Freinets Prinzi-

pien basieren vielmehr auf einer Vorstellung von einer sozialen Umwelt des Kin-

des und deren Einwirkung auf die psychosoziale Entwicklung des Kindes. Dieser

Annahme kann in Freinets Grundgedanken über Leben, Arbeit und Entwicklung

des Kindes wieder gefunden werden (vgl. SCHLEMMINGER, 2002, S. 26).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 39

Außerordentlich bedeutend ist für mich auch die veränderte Rolle des Lehrers.

Der pädagogische Begleiter ist in einer heterogenen Klassenzusammensetzung

notwendig, um allen Schülern gerecht zu werden. Mit den Kindern zu arbeiten,

d.h. Informationen zu strukturieren, Lernprozesse anzuregen, Hilfestellung zu

geben und immer wieder das gemeinsame Erarbeiten berücksichtigt meiner An-

sicht nach sowohl die Bedürfnisse der Kinder, als auch die der Lehrer. Dieses

führt zu einer Zufriedenheit auf beiden Seiten.

Auch wenn keine ausgearbeitete Theorie Freinets vorhanden ist, lohnt es sich,

seine Schriften zu studieren. Die Praxisbezüge und der narrative Schreibstil er-

muntern meiner Ansicht nach den Leser, seine theoretischen Überlegungen in der

Praxis zu überprüfen. Wie nun die praktische Umsetzung, die ihre Basis in seinen

Grundgedanken finden, konkret aussieht, soll in dem folgenden Kapitel dargestellt

werden.

2.4 Die Unterrichtstechniken der Freinet-Pädagogik

Freinets theoretische Prinzipien zeigen zwar einen Orientierungsansatz, mit dem

Freinet seine Pädagogik charakterisiert und erklärt, jedoch geben die Prinzipien

kaum Aufschluss, wie die Praxis der Freinet-Pädagogik konkret aussieht.

Die praktische Umsetzung seiner grundlegenden Gedanken spiegelt sich aber in

seinen entwickelten Unterrichtstechniken wider, die am meisten mit der Freinet-

Pädagogik in Verbindung gebracht werden. Das wären beispielsweise die Drucke-

rei, die Klassenversammlung und der „freie Text“. Renate Kock beschreibt Frei-

nets Techniken als die Grundlage des Unterrichts, mit denen sich die Schüler an-

hand der Prozesse des „tastenden Versuchens“ ihr Lernen selbst organisieren kön-

nen (vgl. KOCK, 2001, S. 12).

Freinet unterscheidet in seiner Pädagogik strikt zwischen den beiden Begriffen

„Techniken“ und „Methode“. Der Begriff „Methode“ kann aus seiner Sicht nur

dann verwendet werden, wenn ein pädagogischer Sachverhalt, Arbeitsweisen oder

Arbeitsmittel wissenschaftlich belegt werden können. Da seine Erfahrungen mit

der Umsetzung pädagogischer Ideen praxisorientiert waren, spricht er selbst von

„Freinet-Techniken“, wenn er seine Pädagogik näher bezeichnet. Im Gegensatz

zur Methode seien Techniken aufgrund der Anpassbarkeit an aktuelle Gegeben-

heiten immer vorteilhaft. Bei wissenschaftlich anerkannten Methoden wäre das

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 40

aber nicht der Fall (vgl. FREINET, C., 1981, S. 36–38). Denn die „Methode ist

ein endgültiges Ganzes, von einem Initiator aufgebaut, die man so nehmen muß,

wie sie ist, denn einzig und allein der Autor besitzt die Macht, sie zu ändern. Die

Montessori-Methode hierfür ist ein Prototyp. Sie besteht heute noch genauso wie

1930, und deshalb ist sie überholt. Wir haben nie den Anspruch erhoben, solch

einen Rahmen festzulegen […] Die Techniken von Freinet sind 1965 nicht das,

was sie 1940 waren, denn neue Werkzeuge und neue Techniken haben uns berei-

chert und unsere Arbeit erleichtert. 1970 werden sie nicht das sein, was sie heute

sind, wenn wir imstande sind, zusammen die notwendigen Fortschritte weiterzu-

führen.“ (FREINET, C., 1981, S. 38 f.)

Die Organisation des Aufbaus der Klassenstruktur und der materielle Klassenaus-

stattung anhand seiner entwickelten und in der Praxis erprobten „Techniken“ sol-

len im Folgenden aufgeführt werden.

2.4.1 Die Arbeitsateliers

Eine neue Organisation der Erziehung bedeutet für Freinet auch eine neue Organi-

sation der Räumlichkeiten und des Schulgeländes. Sie sei notwendig, weil die

äußeren und materiellen Gegebenheiten einen erheblichen Beitrag für den schuli-

schen Erfolg darstellten. Freinet stellt sich seine Schule folgendermaßen vor:

„Unsere Schule wird ein wenig so aussehen, wie ein kleines Dorf mit Gemein-

schaftsräumen, wo sich die Schüler so oft als möglich versammeln können, oder

wenigstens mit einem Gemeinschaftsraum als Zentrum, das veränderbar ist und

von dem aus man in die Arbeitsateliers und die Räume für die Sammlungen und

Versuche gelangen kann. Um das Gebäude herum befinden sich, wie eine äußere

Zone für Aktivitäten, Bereiche für die Aufzucht, Felder und Obstgärten, ein Bie-

nenstock, Gelände für Sport und Spiele und, wenn möglich, ein frischer Bach.“

(FREINET, 1998 a, S. 436) Das Leben solle durch dieses Vorhaben in die Schule

integriert werden, wo sich die Schüler den Arbeiten mit Spielcharakter widmen

könnten, die die Grundlage für ihre individuelle, soziale und humane Bildung sei

(vgl. a. a. O., S. 460).

Somit bietet nach Freinet die Schule den Kindern sowohl Platz für Gemein-

schaftsaktivitäten, als auch Freiraum für Einzelarbeiten in Ateliers. Aus diesem

Grund solle die Schule einerseits einen Gemeinschaftsraum besitzen, der für De-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 41

monstrationen, Versammlungen, Ausstellungen und Filmvorführungen veränder-

bar sei, sowie anderseits Fachateliers, in denen sich die Schüler ihren Arbeiten

widmen könnten. Diese Fachateliers sollten innerhalb eines Klassenraums in so

genannten Arbeitsecken eingerichtet werden, die, wenn möglich, durch eine klei-

ne Mauer von den anderen Arbeitsbereichen abgetrennt seien oder sich aber auch

außerhalb des Schulgebäudes befinden sollten. Dieses wären die Ateliers, in de-

nen das Arbeiten nur im Freien durchgeführt werden könne, wie das Arbeiten im

Feld- und Gartenbau und in der Aufzucht von Tieren. Freinet sieht dabei acht Ate-

liers vor, die er in zwei Gruppen unterteilt. Konkret sind danach vier Ateliers für

handwerkliche Arbeiten (manuelle Elementararbeit) und vier Ateliers für geistige

Arbeiten (weiterführende, gesellige und geistige Aktivitäten) vorgesehen (vgl.

ebd.).

2.4.1.1 Die vier Ateliers für die manuelle Elementararbeit

Die vier Fachateliers für die manuelle Elementararbeit sind Freinets Meinung

nach von großer Wichtigkeit, da die dort praktizierten handwerklichen Tätigkeiten

im Verlauf der Persönlichkeitsbildung des Kindes eine zentrale Rolle spielen. Die

manuelle Elementararbeit stelle gewissermaßen die Basis des Bildungserwerbs

dar, von der die weiterführenden intellektuellen Arbeiten, wie Bildung, Kultur,

Wissenschaft und Kunst ausgehen. Aus diesem Grund nennt Freinet diese Tätig-

keiten auch Basisaktivitäten (activité de base), in denen sich das Kind instinktiv

sich selbst zuwenden kann (vgl. FREINET, 1998 c, S. 534).

Die „traditionelle“ Schule ignoriert nach Freinets Ansicht diese Arbeiten jedoch,

bzw. erkennt deren Wichtigkeit nicht, was er stark verurteilt. Seiner Meinung

nach darf der Lehrer ein Kind nie dazu zwingen, sich ausschließlich geistig intel-

lektuellen Arbeiten zu widmen, deren Sinn es nicht verstehe. Stattdessen solle der

Lehrer dafür sorgen, dass sich die Schüler zuerst in den manuellen Arbeiten ver-

wirklichen, in denen sie Erfahrungen sammeln und sich eine Logik über einen

bestimmten Prozess oder Sachverhalt aufbauen könnten. Durch diese Erfahrungs-

steigerung werde das Kind ein immer größeres Bedürfnis haben, die Dinge, mit

denen es sich beschäftige, besser kennen zu lernen, damit die Arbeit so perfekt

wie möglich ausgeführt werden könne. Der Übergang von der manuellen zur geis-

tigen Arbeit sei somit kein äußerer, sondern ein innerer Übergang, der bei jedem

Kind unterschiedlich schnell durchlaufen werde (vgl. a. a. O., S. 535).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 42

Freinet sieht dabei folgende vier Ateliers im Bereich der manuellen Elementarar-

beit vor:

Atelier 1: Feldarbeit und Aufzucht

Atelier 2: Schmiede und Schreinerei

Atelier 3: Weben, Sticken, Nähen, Haushalt

Atelier 4: Konstruktion, Handwerk, Handel

Jedes dieser Ateliers solle mit den notwendigsten Grundwerkzeugen und Materia-

lien ausgestattet sein. Damit der Lehrer sich mit den handwerklichen Arbeiten

auch selbst auskennt, ist nach Freinet eine regelmäßige Teilnahme an Fortbil-

dungsveranstaltungen nötig. Vor allem aber das Einladen von Handwerkern, Ar-

beitern und Hausfrauen sei von großem pädagogischem Wert, da diese „Experten“

lebensnahe praktische Anweisungen und Ratschläge geben könnten (vgl. FREI-

NET, 1998 a, S. 40 f.). Somit wird Freinets Forderung von einer organischen Ver-

bindung zwischen Schule und Umgebung von selbst umgesetzt.

2.4.1.2 Die vier Ateliers für weiterführende, gesellige und geistige Aktivitäten

Um dem Bedürfnis der Schüler im Bereich der geistigen Arbeiten gerecht zu wer-

den, richtete Freinet die im Folgenden beschriebenen vier Fachateliers für weiter-

führende, gesellige und geistige Aktivitäten ein:

Atelier 5: Nachforschung, Kenntnisse, Dokumentation

Kinder streben in ihrer Entwicklung dahin, ihre Arbeit immer weiter vervoll-

kommnen zu wollen, um somit ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Dieses drücke

sich im Verlangen nach Erkenntnissen aus. Um dieses Verlangen, wie Freinet

sagt, den „Durst, Dinge besser zu erkennen“ zu stillen, muss der Lehrer, wie be-

reits erwähnt, den Schülern eine gut organisierte und vielfältige Lernumgebung

schaffen, in der die Schüler sich selbständig Informationen und Kenntnisse zu

bestimmten Sachverhalten und ihren Nachforschungen besorgen können. Freinet

sieht dabei Arbeitsmaterialien, wie die Selbstbildungsmittel, die Informations-

und Nachschlagekarteien mit vielen Fotos, Zeichnungen und erklärenden Texten,

die Wörterbücher, die Arbeitsbücherei und die technischen Materialien zur Nach-

forschung, wie die Lupe, das Mikroskop, Landkarten, aber auch den Film vor

(vgl. FREINET, 1998 a, S. 450 f.).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 43

Atelier 6: Versuche

In diesem Atelier sollen nach Freinet die Schüler eigenständig Versuche, vor al-

lem im Bereich der Naturwissenschaften, durchführen. Das Festhalten an den her-

kömmlichen Methoden der Wissensvermittlung durch Demonstrationen des Leh-

rers oder durch Bücher sei zu gehaltlos. Stattdessen sollten die Schüler selbst ex-

perimentieren (vgl. a. a. O., S. 464). Das Vorantasten anhand von Experimenten

empfindet er deshalb als notwendig, weil ein Kind von Natur aus misstrauisch ist

und eine Überprüfung von Worten, Dingen und Gegebenheiten in der Natur des

Kindes liegt. Für Freinet ist es wichtig, den Schülern nicht einfach Wissensstoff

zu vermitteln, der so hingenommen werden muss wie er präsentiert wird, sondern,

dass die Schüler sich daran gewöhnen, misstrauisch zu sein, zweifeln zu dürfen

und sich durch Überprüfungen selbst ein eigenes Bild und eine eigene Meinung zu

einer bestimmten Sache zu konstruieren (vgl. a. a. O., S. 452 f.). Um ein mög-

lichst gutes Ergebnis zu erreichen, seien hier wieder die Organisation und die

Vorbereitung des Lehrers notwendig. Unorganisierte und zu freie Aufgabenstel-

lungen würden die Gefahr bergen, nur zufällige Versuche und Handlungen bei

den Schülern hervorzurufen, die schnell auf Desinteresse und Frustrationen stoßen

(vgl. a. a. O., S. 464). Stattdessen brauche die Schule spezielles Material und ge-

naue und einfache Arbeitsanleitungen, wie beispielsweise die Arbeitsmittelkästen,

Broschüren, Pflanzen, Mikroskope, einfache elektrische Geräte und Thermometer

(vgl. FREINET, 1998 c, S. 541).

Atelier 7: Schöpferisches Tun, Ausdruck und graphische Kommunikation

Nach Freinet können die Schüler in diesem Atelier ihre momentanen Gedanken,

Einfälle und Empfindungen anhand von frei gestalteten Texten ausdrücken und

festhalten. Diese Texte sollten nicht nur geschrieben, sondern auch gedruckt wer-

den (s. dazu auch Kapitel 2.4.5.1 „Die Druckerei und der ‚freie Text’“). In ge-

druckter Form könnten mit diesen Texten schriftliche Kontakte zu Kindern aus

dem eigenen Ort sowie aus dem In- oder Ausland hergestellt werden. Durch diese

Kooperation werde das Interesse an der Arbeit von eigenen Texten und Versuchen

ständig angeregt und motiviert. Somit sollten zur Anfertigung dieser Arbeiten in

diesem Atelier Schreib- und Lesematerialien und Materialien zur Anfertigungen

von Kopien und Drucken vorhanden sein (vgl. FREINET, 1998 a, S. 464 f.).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 44

Atelier 8: Schöpferisches Tun, künstlerische Ausdrucks- und Kommunikationsver-

fahren

Freinet sieht neben der sprachlichen Kommunikation noch eine viel perfektere,

feinere, allgemein gültigere und ausdrucksstärkere Möglichkeit, nämlich die der

Kunst. Die künstlerische Sprache des Zeichnens, der Musik, des Gesangs, des

Tanzes und des Modellierens, stelle die Abbildung der individuellen Gefühle nach

außen dar, die nicht durch den Lehrer eingegrenzt und verändert werden dürften

(Vgl. a. a. O., S. 456 ff). Freinet sieht für dieses Atelier als unerlässliches Material

den Schallplattenspieler mit verschiedenen Schallplatten, Farben, Ton, Theater

und Materialien für den Linolschnitt an (vgl. FREINET, 1998 c, S. 542).

2.4.2 Die Schülermitverantwortung (coopérative scolaire)

Eine der wichtigsten Grundlagen der Pädagogik Freinets stellt die kooperative

Organisation der Arbeit in der Klassengruppe dar. Zwei der wichtigsten Umset-

zungsmöglichkeiten sind die Klassenversammlung zur Planung und Besprechung

der Schulwoche und die Wandzeitung (vgl. LAUN, 1983, S. 48). Schülermitver-

antwortung bedeutet aber auch, dass die Schüler lernen, selbstverantwortlich für

ihr Tun zu sein. Das wird dadurch gefördert, dass sie ihre fertig gestellten Arbei-

ten regelmäßig präsentieren und sich möglicher Kritik stellen.

Freinets Erziehungsziel besteht darin, die Schülern zu selbständigen, selbsttätigen,

kritischen und ehrlichen Persönlichkeiten zu erziehen, um sie bestmöglich auf das

spätere Leben vorzubereiten. Er sieht eine Umsetzungsmöglichkeit darin, dass die

Schüler lernen sollen, Mitverantwortung im schulischen Bereich zu tragen. Durch

ein kooperatives Arbeiten in der Gemeinschaft anhand von Aufgabenverteilungen

an die Schüler sei die Schule danach nicht mehr durch ihren autoritären erziehen-

den Unterricht geprägt, sondern sie werde zu einer Schule des Zusammenlebens

(vgl. JÖRG, 1979, S. 220). Somit wollte Freinet das konkurrierende Verhalten der

Schüler der „traditionellen“ Schule entgegen wirken (vgl. EICHELBERGER; FI-

LICE 2003, S. 39). Nach Freinet soll das Schulleben stattdessen geprägt sein von

Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Geduld, Verständnis und von dem Recht auf

Äußerung von Kritik und der eigenen Meinung, wenn diese offen und ehrlich ist.

Auf diese Weise würden auch Disziplinschwierigkeiten verhindert (vgl. JÖRG,

1979, S. 220).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 45

Die Schülermitverantwortung erstreckt sich im Sinne Freinets über fast alle Auf-

gaben, die in der Schule erledigt werden müssen. So sollten die Schüler neben

ihren zu verrichtenden schulischen Arbeiten zusätzlich Ämter übernehmen, um

sich dort in eigenverantwortlicher Arbeit einer bestimmten Aufgabe zu widmen.

Das seien beispielsweise Aufgaben, wie das Drucken der Texte, das Versorgen

der Tiere, das Aufrechterhalten der Ordnung und Sauberkeit oder die Verwaltung

der Klassenkasse (vgl. a. a. O., S. 218). Aber auch das Einhalten der Arbeitspläne

und die allgemeine Disziplin in der Schule sind mit der Schülermitverantwortung

gemeint (vgl. TEIGELER, 1999 a, S. 39).

2.4.2.1 Die Wandzeitung (journal mural) und die Klassenversammlung

(conseil du classe)

Um die erledigten Arbeiten der Schüler kritisch zu überprüfen und zu besprechen,

setzt Freinet die Klassenversammlung als Organ der Klasse ein. Dabei handelt es

sich um ein Zusammentreffen der Schüler und des Lehrers am Ende der Woche.

Sämtliche Arbeitsergebnisse werden als positives Endergebnis einer ganzen Wo-

che gezeigt und ausgestellt. Damit wollte Freinet ein angenehmes Klima für die

Klassenversammlung im Voraus schaffen (vgl. JÖRG, 1979, S. 218 f.).

Die Wandzeitung stellt für Freinet das geeignete Mittel zur offenen Selbstkritik

und Meinungsäußerung in den Schulen dar. Gelegenheit zu diesen Äußerungen

hatten die Schüler zu seiner Zeit nur im Moralunterricht, der als Eratz für den Re-

ligionsunterricht eingeführt wurde. Freinet empfand diesen aber als zu trocken

und theoretisch und verlangte aus diesem Grund nach einer praktischen und le-

bendigeren Umsetzung, die er durch seine Technik der Wandzeitung verwirklicht

sah (vgl. a. a. O., S. 207).

Freinet selbst beschreibt die Wandzeitung als ein 40-50 cm großes Blatt, das in

drei große Spalten aufgeteilt ist mit den jeweiligen Spaltenüberschriften: „Wir

üben Kritik“, „Wir beglückwünschen“ und „Wir fordern!“ (vgl. FREINET,

1998 c, S. 545).7 „Dieses Tagebuch [Wandzeitung] hat die Aufgabe, alle in der

unvollkommen funktionierenden Schulgemeinschaft sich zeigenden kindlichen

Reaktionen zu einer vernünftigen Synthese zusammen zu führen.“ (a. a. O.,

S. 546)

7 Bei Elise Freinet ist auch zu lesen, dass die Wandzeitung aus vier Spalten besteht mit der Ergän-zung „Wir haben verwirklicht“ (vgl. FREINET, E., 1981, S. 44).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 46

Während der Schulwoche schreiben die Schüler ihre Kritikpunkte und Beschwer-

den über einzelne Schüler, den Lehrer oder aktuelle Begebenheiten, beispielswei-

se die mangelhafte Ausübung eines Dienstes durch einen Schüler, und ihre Vor-

schläge und Wünsche bezüglich des Gemeinschaftslebens der Klasse, in die je-

weiligen Spalten der Wandzeitung. Jeder Eintrag wird unterschrieben, weil ano-

nyme Eintragungen für Freinet schon der individuellen und somit sich verratenden

Handschrift wegen sinnlos sind (vgl. a. a. O., S. 547). Somit ist „die Wandzeitung

[ist] ein öffentlicher Spiegel der sozial-emotionalen Befindlichkeit der Klasse“

(SKIERA, 2003, S. 325).

Weiterhin stellt sich Freinet den Ablauf folgendermaßen vor: Am Ende der Wo-

che werden die Eintragungen von dem Schriftführer, einem Schüler, der diesen

Dienst übernommen hat, in der Klassenversammlung vorgelesen und in der Ge-

meinschaft anschließend diskutiert. Dabei muss jeder Schüler, der eine Eintragung

vorgenommen hat, seine Meinungsäußerung begründen. Gibt es Kritikpunkte ge-

gen einen bestimmten Schüler, hat dieser offen Rechenschaft zu dem Vorwurf

abzulegen. Anschließend wird in der Klassengemeinschaft zusammen mit dem

Lehrer nach einer Problemlösung gesucht. Aber genauso finden Beglückwün-

schungen, beispielsweise zu einem gelungen Vortrag eines Schülers, und Anre-

gungen zum Schulalltag ihre Beachtung (vgl. FREINET, 1998 c, S. 547). Die

Klassenversammlung stellt somit die beschlussfassende Instanz der kooperativen

Klassenorganisation dar, in der nicht nur Unterrichtsziele festgelegt werden, son-

dern vor allem konstruktive und helfende Kritik das Schulleben bestimmen (vgl.

BAILLET, 1995, S. 26).

Diese konstruktive Selbstkritik, wie Freinet dieses Vorhaben nennt, beinhaltet

seiner Meinung nach viele Vorteile für ein harmonisches, organisiertes und ge-

meinschaftliches Schulleben. Durch die ungezwungene Atmosphäre werde selbst

der zurückhaltendeste Schüler aufgemuntert, seine Meinung, Kritiken und Vor-

schläge zu äußern. Außerdem zeigten die Schüler eine große Loyalität, indem auf

der einen Seite zwar kritisiert werde, aber auf der anderen Seite sie immer noch

befreundet blieben, solange die Kritik ehrlich sei. Freinet geht davon aus, dass

wenn die Probleme offen besprochen werden, Situationen, wie das „schlecht hin-

ter dem Rücken des anderen reden“, nicht mehr vorkommen (vgl. ebd.).

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 47

2.4.2.2 Der Schülervortrag

Die Präsentation der von den Schülern täglich erstellten Arbeiten, wie „freie Tex-

te“ oder Bilder, ist nach Freinet ein fester Bestandteil zur Förderung der Verant-

wortlichkeit und Eigenständigkeit im Schulalltag. Sie lernen hierbei schon, ihre

Arbeiten zu durchdenken, da sie sich der abschießenden möglichen Kritik zu stel-

len haben.

Freinet verlangt zusätzlich, dass die Schüler regelmäßig Vorträge vorbereiten und

diese der Klasse und dem Lehrer referieren. Das Thema, die Umsetzung und

Form seien nicht vorgegeben. Somit sollten sie lernen, selbständig ein eigenes

Thema unabhängig von den Unterrichtsthemen vorzubereiten und es geeignet

vorzutragen. Freinet sieht für diesen Vortrag konkret folgenden Ablauf vor: Die

Schüler bringen für den Vortrag sämtliche Materialien, Texte und Dokumente mit

und befestigen gegebenenfalls Bilder, Karten und Illustrationen an die Tafel. Da-

bei sitzt der Schüler an dem Lehrertisch, trägt bzw. liest seinen Vortrag vor und

zeigt zum besseren Verständnis die mitgebrachten Materialien. Eine gute Vorbe-

reitung ist somit notwendig, denn sowohl die anderen Schüler als auch der Lehrer

können im Anschluss kritische oder auch lobende Anmerkungen dazu machen.

Ungeklärte Fragen dagegen werden in das Klassentagebuch geschrieben und zu

einem späteren Zeitpunkt werden Informationen dazu recherchiert. Es können

auch zwei Schüler, beispielsweise ein älterer und ein jüngerer, einen Vortrag vor-

bereiten (vgl. FREINET, 1998 c, S. 574 f.).

2.4.3 Die Arbeitspläne (plans de travail)

Freinet spricht sich gegen den „herkömmlichen“ Unterricht in den Schulen aus, in

dem jeder Schüler ein „Einheitsmenü“ vorgesetzt bekommt und alle Schüler einer

Klasse sich zur selben Zeit mit der gleichen Arbeit beschäftigen müssen. Dieser

seiner Meinung nach autoritären und unnatürlichen Ansicht muss entgegengewirkt

werden. Für ihn ist es wichtig, dass die Schüler, entsprechend ihres eigenen Ar-

beitstempos und ihren individuellen Möglichkeiten, an Aufgaben unterschiedli-

cher Schwierigkeitsgrade arbeiten können. Diese Arbeitsweise sollte entweder in

Einzelarbeit oder in der Gruppe erfolgen. Um jedoch einer individuellen Arbeit

zum Erfolg zu verhelfen, ist nach Freinet eine straffe Organisation und Ordnung

erforderlich, weil sonst die Schüler planlos, unentschlossen und nur zufällig einer

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 48

Arbeit nachgehen und diese womöglich noch abbrechen, weil der Sinn nicht er-

kannt werden kann (vgl. FREINET, 1998 a, S. 468 f.).

„Solange das Kind nicht die Wahl zwischen einer Menge verschiedener Tätigkei-

ten hat, ergibt sich keineswegs die Notwendigkeit, einen Arbeitsplan aufzustel-

len.“ (a.a.O., S. 518) Doch Freinet will dem Kind die Wahl zwischen verschiede-

nen Tätigkeiten lassen, die mit allgemeinen und individuellen Arbeitsplänen zu

organisieren sind.

Zum einen fordert Freinet allgemeine Arbeitspläne für das ganze Jahr, für einen

Monat und für eine Woche, die den Rahmenrichtlinien und den allgemein gültigen

Anforderungen der Umwelt entsprechen. Zum anderen sollten auf dieser Grundla-

ge die individuellen Wochenpläne angefertigt werden (vgl. a. a. O., S. 551).

2.4.3.1 Der individuelle Wochenplan

Der Sinn eines solchen Wochenplans liegt darin, das gesamte Arbeitspensum in

viele kleinere Wochenpensen einzuteilen. Freinet vergleicht dieses Vorgehen mit

der Arbeit eines Gärtners, der mutlos vor seinem zu bepflanzenden Garten steht.

Sobald er den Garten jedoch in Beete aufteilt, wird die vorliegende Arbeit über-

schaubarer und für ihn erheblich erleichtert (vgl. a. a. O., S. 553). Auf diese Weise

funktioniert auch der Wochenplan.

Freinet sieht für den Wochenplan folgende Regelung vor: Am Wochenanfang

stellt jeder Schüler zusammen mit dem Lehrer seinen individuellen Arbeitsplan

auf. Dabei trägt er diejenigen Vorhaben für die kommende Woche in einen ent-

sprechenden Vordruck ein (vgl. a. a. O., S. 552 f.). Nun hat der Schüler eine Wo-

che Zeit, diese selbst gesetzten Ziele zu erreichen. Dabei wird jeder bestrebt sein,

seine geplanten Arbeiten zu einem Ende zu bringen, denn eine Nichteinhaltung

würde das Risiko des Versagens bedeuten, das kein Kind eingehen will. Gerade

am Anfang überschätzen sich die Schüler oft, da sie sich mehr vornehmen, als sie

erledigen können. Aber auch Nachzügler, die meinen sie hätten noch genug Zeit,

lernen allmählich, sich selbst realistisch einzuschätzen (vgl. JÖRG, 1979,

S. 205 f.).

Die Arbeiten nach dem Wochenarbeitsplan sind nach Freinet zwar in erster Linie

nach den individuellen Interessensschwerpunkten der Schüler aufgestellt, jedoch

werden auch die allgemeinen Vorschriften der Rahmenrichtlinien mit berücksich-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 49

tigt, die im allgemeinen Arbeitsplan aufgelistet sind (vgl. FREINET, 1998 a,

S. 552 f.). So merkt Freinet, der zeitlebens Realist war, an: „Im Gegensatz zu ge-

wissen Theoretikern einer modernen Erziehung denken wir nicht daran, die Kin-

der ausschließlich nach ihren eigenen Neigungen und ihrer persönlichen Phantasie

arbeiten zu lassen. Dies hieße, sie über das wirkliche Leben täuschen und würde

sie früher oder später mit den Forderungen, die die Umwelt und die Gemeinschaft

an sie stellen, in Konflikt bringen.“ (a. a. O., S. 549) Demnach sollen die Schüler

sich auch der Bedeutung ihrer Verpflichtungen und deren Notwendigkeit bewusst

sein und diese einsehen, aber wenigstens akzeptieren (vgl. a. a. O., S. 554).

Die Struktur des individuellen Wochenplans und dessen Anwendung sieht Freinet

folgendermaßen vor:

Auf dem Vordruck des Plans sollen sich

verschieden Zeilen und Kästchen der

einzelnen Fächer, wie Grammatik,

Mathematik, Geschichte und Erdkunde

befinden. In diese Kästchen trägt der

Schüler die Nummern der Arbeits-

karten der verschiedenen Fächer ein,

sowie seine eingeplanten Vorhaben, The-

men, Aufsätze und Versuche. Mit Hilfe

der vom Lehrer bereitgestellten

Arbeitsmittel, wie die Selbstbildungs-

mittel, die Dokumentensammlung, das

Stichwortverzeichnis, die Arbeitsbüche-

rei und die Arbeitsmittelkästen, lässt sich

der Arbeitsplan vom Schüler relativ au-

tomatisch zusammenstellen (vgl. JÖRG,

1979, S. 205 f.).

2.4.4 Alternative Leistungsbeurteilung

Freinet beklagt die in der „traditionellen“ Schule praktizierte Notenvergabe, die

nur isoliert die Endergebnisse der Hausaufgaben und der schulischen Leistungen

berücksichtigt. Die Gefahr, dass vor allem schwache Schüler Minderwertigkeits-

Abbildung 3: Beispiel eines Arbeitsplans nach Freinet

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 50

komplexe bekommen, der Leistungsdruck sowie entstehender Neid und Misstrau-

en seien dabei die Konsequenzen. Trotzdem lehnt Freinet die Leistungsbeurtei-

lung nicht ab, da die Schüler selbst danach verlangen, dass ihre Leitungen und

ihre Fortschritte festgehalten und bewertet werden (vgl. FREINET, 1998 c,

S. 581). Außerdem erfahren die Schüler anhand einer Beurteilung, dass sie für

ihre Arbeiten und ihr Tun verantwortlich seien und dass sie lernen müssten, die

Qualität ihrer Aktivitäten selbst einzuschätzen Aus diesem Grund berücksichtigt

die Leistungskontrolle bei Freinet nicht nur das Endergebnis einer Arbeit, sondern

vor allem die geleistete Anstrengung und die Qualität (vgl. BAILLET, 1995,

S. 24).

Als Mittel zur Leistungsbeurteilung sieht Freinet die individuelle Leistungskurve

und Fertigkeitsbescheinigungen vor, die in den nächsten Kapiteln aufgezeigt wer-

den.

2.4.4.1 Leistungsbeurteilung anhand der individuellen Leistungskurve

(graphique personnel)

Wie bereits erwähnt, haben nach Freinets Arbeitsplan die Schüler eine Woche

Zeit für die Bearbeitung ihrer selbst festgelegten Aufgaben. Freinet sieht weiter-

hin vor, dass am Ende der Woche die Einhaltung unter Berücksichtigung der ge-

leisteten Anstrengung vom Lehrer überprüft und beurteilt wird. Auf jedem indivi-

duellen Arbeitsplan der Schüler sollte sich eine Tabelle befinden, in der die ein-

zelnen Teilleistungen benotet und eingetragen werden (s. Abb. 4–6, S. 50).

Freinet sieht dabei folgende Vorgehensweise vor: In jede Spalte wird, je nach Be-

urteilung des Lehrers, ein entsprechender Punktwert eingetragen. Durch die Ver-

bindung der einzelnen Punkte ergibt sich eine Leitungskurve. Der Schüler erhält

somit einen strukturierten Überblick, wie seine Wochenleistung einzuschätzen ist.

Indem er die aktuelle Leistungskurve mit seinen bisherigen Bewertungen ver-

gleicht, sieht er sehr anschaulich, ob er sich allgemein verbessert oder verschlech-

tert hat und kann sich somit Ziele für die kommende Woche setzen. Aber auch der

Vergleich mit den Leistungen seiner Mitschüler oder mit einer mustergültigen

Kurve führt zu einem konstruktiven Anreiz für die kommende Woche (vgl.

FREINET, 1998 c, S. 582). Die Leistungskurve, abgedruckt auf dem Arbeitsplan,

wird anschließend mit nach Hause genommen, von den Eltern unterschrieben und

in ein besonderes Heft (Carnet annuel de Plan de travail) eingeklebt. So haben

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 51

nicht nur die Schüler, sondern auch die Eltern einen optimalen Überblick über den

jeweiligen Leistungsstand (vgl. JÖRG, 1979, S. 206).

Jörg vergleicht die Leistungskurve recht anschaulich mit einer Fieberkurve, nur

im umgekehrten Verhältnis. Dieses wird anhand der nachfolgenden Graphikbei-

spiele deutlich (vgl. ebd.):

Abbildung 4: schwacher Schüler Abbildung 5: schwacher Schüler mit großen

Anstrengungen in einzelnen Fächern

Abbildung 6: guter Schüler

Mit dieser individuellen Leistungskurve erreicht Freinet eine differenzierte Beur-

teilungsmöglichkeit, die den Schülern und Eltern optimale Vergleiche aufzeigt.

2.4.4.2 Leistungsbeurteilung anhand von Fertigkeitsbescheinigungen (brevets)

Wie bereits erwähnt, beklagt Freinet an der „traditionellen“ Notenvergabe die

einseitige Betrachtung der intellektuellen Fähigkeiten durch die Aneignung theo-

retischen Wissens. Das oberste Ziel der Schule soll nach Freinet aber die Vorbe-

reitung auf das Leben und nicht die Vorbereitung der Schüler auf anstehende Prü-

fungen sein. Doch in der „traditionellen“ Schule kommt nach seiner Ansicht oft

nur derjenige weiter, der besondere Qualifikationen anhand von Prüfungen erwor-

ben hat. Dieses Verhalten führe aber zu einem Widerspruch. So könne ein Schüler

zwar gut im Rechnen sein, wäre aber nicht genug auf das wahre Leben vorbereitet

(vgl. FREINET, E., 1981, S. 108).

Freinet war sich aber bewusst, dass er schulische Prüfungen nicht ignorieren durf-

te. Sie waren nach seinen Beobachtungen für den weiteren Lebensweg eines

Schülers unerlässlich, da diese später immer wieder mit Prüfungssituationen kon-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 52

frontiert würden. Eine Prüfung sollte aber alle Fähigkeiten des Schülers einbezie-

hen und nicht nur die Leistungen in den Schulfächern wie in der „traditionellen“

Schule.

Freinet weist aus diesem Grund auf die praktischen lebensnahen Tätigkeiten und

Arbeiten hin, die oft von den Schülern außerhalb der Schule erworben werden.

Diese sind seiner Meinung nach bei einer Leistungsbewertung in Form von Fer-

tigkeitsbescheinigungen zu berücksichtigen (vgl. JÖRG, 1979, S. 210 f.). „Ziel

des Schülers und der Schule muss es sein, zu einer maximalen Beherrschung der

verschiedenen lebensnahen und lebenswichtigen Tätigkeiten zu gelangen. Diese

Beherrschung einer Sache ist es, die wir mit unserem System der Fertigkeitsbe-

scheinigungen kontrollieren.“ (FREINET, 1998 c, S.583)

So integriert Freinet durch diese Fertigkeitsbescheinigungen auch Prüfungen in

sein Konzept und sieht dabei folgendes Verfahren vor: Fertigkeitsbescheinigun-

gen können für verschiedene Leistungen erbracht werden. Jedoch ist dazu eine

Prüfung abzugelegen, für die ein Schüler erst dann diese Bescheinigung erhält,

wenn er sie erfolgreich anhand seiner persönlichen Leitungsfähigkeit in Bezug auf

sein Wissens und seiner praktischen Fertigkeiten unter Beweis stellen kann. Frei-

net verlangt, dass drei Aufgabenbereiche erfüllt werden. Ein Meisterstück (Chef–

d’œvre) ist anzufertigen, ein theoretischer Rechenschaftsbericht abzugeben und

eine praktische Aufgabe zu lösen. Die Fertigkeitsprüfungen gliedern sich in

Pflichtprüfungen und zusätzlichen Prüfungen, bei denen besondere Fähigkeiten

berücksichtigt werden (vgl. JÖRG, 1979, S. 211 f.). Abzulegen sind die Prüfun-

gen zu Beginn eines Schuljahres im Oktober und dauern eine Woche. Motiviert

eine Fertigkeitsbescheinigung zu erhalten, kann jeder Schüler seine individuellen

praktischen und intellektuellen Möglichkeiten unter Beweis stellen, wobei es nie-

mals einen „Ersten“ und einen „Letzten“ gibt (vgl. FREINET, 1998 c, S. 583).

Am Ende eines Jahres werden die angefertigten Arbeiten in einer allgemeinen und

dauerhaften Ausstellung präsentiert. Dazu findet eine feierliche Veranstaltung

statt, an der die Eltern teilnehmen und die Schüler nach erfolgreichem Bestehen

der Prüfung ein besonderes Kennzeichen der Befähigung erhalten. Die erworbe-

nen Fertigkeitsbescheinigungen dienen dem Kind vor allem nach dem Verlassen

der Schule als Orientierung und als nützliches Mittel zur Bewerbung um einen

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 53

Arbeitsplatz. Anhand der Bescheinigungen kann der Schüler seine besonderen

Fähigkeiten nachweisen (vgl. FREINET, E., 1981, S. 109).

Beispiel einer Pflichtprüfung:

„Brevet eines Schreibers: 1. Meisterstück: Es ist ein kleines, mit Zeichnungen und Illustrationen zu ver-

sehenes Büchlein zu schreiben, das ein bestimmtes, vom Schüler selbst wählbares Thema behandelt.

2. Rechenschaftsbericht: Es ist über das Leben und die Werke von fünf be-deutenden Schriftstellern zu berichten.

3. Praktische Aufgaben: a) Abfassung eines Erlebnisberichtes. b) Eine selbst erfundene Fabel oder ein Märchen sind zu schreiben. c) Es ist ein Brief an einen Korrespondenten zu schreiben und zu illustrie-

ren.“ (JÖRG, 1979, S. 212)

Beispiel einer zusätzlichen Prüfung:

„Brevet eines Baumeisters: 1. Meisterstück: Zeichnen eines genauen Bauplanes für ein gewünschtes

Haus. 2. Rechenschaftsbericht: Das Bauwesen in der Heimatgegend einst und jetzt.

Dem Bericht sind Zeichnungen, Bilder und Skizzen beizufügen. 3. Praktische Aufgaben: a) Installation einer elektrischen Leitung in einem Zimmer. b) Herstellung eines Bücherbretts oder Vorratsregales. c) Maßstabgerechte Herstellung eines wirklichen Bauwerkes im Modell.“ (JÖRG, 1979, S. 213)

2.4.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten

Freinet kritisiert eine Schule, deren Wissensvermittlung hauptsächlich auf Schul-

buchlektionen basiert, denn für ihn ist eine solche Vorgehensweise überholt (vgl.

FREINET, 1998 a, S. 458). Mit dem für die damalige Zeit wahrscheinlich provo-

kativen Spruch wie „Schluß mit den Schulbüchern!“, wollte er auf das Schul-

buchproblem aufmerksam machen. Er sieht die meisten Schulbücher als Instru-

ment der Verdummung an. Diese entsprächen zwar mehr oder weniger den Lehr-

plänen, jedoch nicht den Bedürfnissen der Kinder. Die Schüler werden seiner

Meinung nach dazu genötigt, den Inhalt der Bücher so hinzunehmen, wie es ge-

schrieben stehe, anstatt sie zu einem selbständigen und kritischen Arbeiten und

Denken zu ermutigen (vgl. FREINET, 1980, S. 50 f.).

So würden die Schüler durch unzeitgemäßes Arbeitsmaterial jedoch nicht auf das

wirkliche Leben und ihre eigene Zukunft vorbereitet. Das sei aber eins der ele-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 54

mentarsten Ziele der Schule. Freinet verlangt daher von den Lehrern, dem Schüler

„von der Schule ab zu helfen, sich mit einem Maximum an Hilfsmitteln und

Chancen in das Labyrinth der gesellschaftlichen Tätigkeiten zu begeben“ (FREI-

NET, 1998 a, S. 428) und sich somit von der veralteten Wissensvermittlung durch

die Schulbücher freizumachen.

Die nachfolgend aufgeführten Techniken zeigen an, wie sich Freinet zeitgemäßes

Material vorstellt.

2.4.5.1 Die Druckerei und der „freie Text“

Freinet spricht von der Druckerei als ein solches alternatives Arbeitsmittel und

sieht den „freien Text“ als alternative Arbeitsmöglichkeit zu den Schulbüchern an.

Die Anfänge der Druckerei entwickelten sich aus Freinets Ablehnung zu den

Schulbüchern und seiner Vorliebe für frei geschriebene Texte der Kinder.

Freinet, als Verfechter einer lebensnahen Schule, verlegte den Unterricht oft nach

draußen, indem er mit seiner, wie er sie nannte, „Spaziergangsklasse“ (classe

promenade) die Natur beobachtete und den Bauern und Handwerkern bei ihrer

Arbeit zusah. In der Schule zurückgekehrt, schrieben die Schüler ihre Gedanken

und Erinnerungen an die Tafel. Doch das Lesen der selbst angefertigten Auf-

zeichnung ersetzte nicht die des gedruckten Textes. So mussten die Schüler die

Texte in ihren Schulbüchern nachlesen, die ihnen oft fremd und lebensfern waren,

obwohl sie die Gedanken über das Leben augenblicklich im Kopf hatten. „Wenn

ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für

meine Klasse geeigneten Druckereimittels in eine „Schulseite“ übersetzen könnte,

die die Seiten des Lehrbuchs ablöst, so fänden wir für die Lektüre des Gedruckten

das gleiche tiefe und funktionale Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des

Textes selbst aufgebracht hatten.“ (FREINET, C., 1981, S. 23) Mit diesen Gedan-

ken besiegelte Freinet die Geburtsstunde der Druckerei mit den „freien Texten“.

Nach Freinet soll die Druckerei zum Zentrum des Schullebens werden. Eine Schu-

le, die mitten im Leben stehe und die von den vielen Beweggründen des Lebens

geleitet sei, solle dem Schüler auch Raum lassen aufgrund seines Interesses8, am

wirklichen Leben weiterhin teilzuhaben (vgl. FREINET, 1998 c, S. 556 f.). Die-

8 Interesse beschreibt Freinet in seinen frühen Werken als Interessenszentren. Diesen Ausdruck widerlegte er später, indem er fortab von Interessenskomplexen sprach.

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 55

sen Anspruch an die Schule sieht Freinet dadurch verwirklicht, dass sich die

Schüler je nach Wunsch und Bedürfnis ihre eigenen Themen für die zu bearbei-

tenden Texte aussuchen, um sie anschließend zu drucken. Das seien Themen, die

sie selbst in erster Linie für angemessen empfinden und nicht solche, die durch

Erwachsene vorgegeben würden (vgl. FREINET, 1996 d, S. 67). Der „freie Text“

ist nach Freinet vor allem durch die individuelle Ausdrucksfähigkeit und die per-

sönlichen Sprache des jeweiligen Schülers gekennzeichnet, die durch die Intensi-

on, sich kundzutun, vorangetrieben wird. Auf diese Weise könne sich ein Kind

auch im Anschluss mit dem schriftlichen Ergebnis identifizieren, weil es das

Recht erhielte, seine für ihn wichtigen Gedanken auszudrücken (vgl. EICHEL-

BERGER; FILICE, 2003, S. 31).

Aus der Verbindung zwischen den „freien“ lebensnahen Texten der Schüler und

dem Drucken dieser Texte durch die Schüler selbst, lässt Freinet ein Schulbuch

entstehen, das lebensnah ist, die Sprache der Kinder enthält, deren Interessen be-

rücksichtigt, somit sinnstiftend ist und das außerdem in gedruckter Form vorliegt.

Daher nennt er dieses selbst gedruckte Buch auch „Lebensbuch“ (Cahier de Vie).

Für ihn wird auf diese Weise das Problem der Unvereinbarkeit des mündlichen

Ausdrucks und des Buchunterrichts gelöst, denn die Verbindung ist nun erreicht

(vgl. FREINET, 1996 b, S. 58). Die nun so hergestellte Verbindung von Denken,

Erleben, eigenständigem Schreiben und Drucken ermögliche, den „natürlichen

Kreislauf“ des Arbeitens wieder herzustellen (vgl. FREINET, C., 1981, S. 24).

Dieses Lebensbuch fördere außerdem das Interesse am Lesen (vgl. FREINET,

1996 b, S. 58).

Freinet sieht in der Druckerei noch mehrere positive Faktoren: Die Druckerei er-

möglicht der Klasse, die zu benötigten Abzüge des Textes für alle Schüler in rela-

tiv kurzer Zeit zu erstellen. So können auch Abzüge für Korrespondenzklassen

angefertigt werden. Auf diese Weise erhalten die Schüler beider Klassen die Mög-

lichkeit, am Leben der anderen teilzuhaben (vgl. FREINET, 1996 e, S. 64 f.). Das

Drucken der eigenen Texte hat für Freinet jedoch auch methodisch-didaktische

Bedeutung. Buchstaben werden begriffen und können miteinander verbunden und

zusammengestellt werden, so dass ein aussagevoller und bedeutungstragender

Text gestaltet werden kann (vgl. EICHELBERGER; FILICE, 2003, S. 33). Freinet

macht eigens darauf aufmerksam, dass das Setzen des Textes ein „mechanisches“

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 56

Erlernen der Orthografie ermöglicht. Er stellt fest, dass die Schüler beim Zusam-

menschieben der verschiedenen Buchstaben und beim Drucken lernen, aufmerk-

sam zu arbeiten, um einen möglichst fehlerfreien Text zu erhalten. Eine lange auf

den Text gerichtete Aufmerksamkeit fördert somit das Einprägen der Wort-

schreibweise, schult das visuelle Gedächtnis und die Aufmerksamkeit. Das Lesen

und Schreiben wird auf diese Weise ebenso mühelos erlernt. Und da der Druck zu

einem fehlerfreien Ergebnis motiviert, besteht die Notwendigkeit zu einer perfekt

durchgeführten Arbeit und zu der Veranlassung, diese auch zu Ende zu bringen

(vgl. FREINET, 1996 c, S. 75).

2.4.5.2 Der Schülerkorrespondenzaustausch und die Schülerzeitung

Für Freinet war es immer wichtig, dass die Schüler bei jeder Arbeit den dahinter

stehenden Sinn erkennen können. Beim geschriebenen Wort als Ausdrucksmittel

und zur Übersetzung der eigenen Gedanken sieht er es ebenso.

Nach Freinet kann der Schüler diesen Sinn der Notwendigkeit des Schreibens aber

nicht innerhalb der Grenzen der eigenen Klasse erkennen. Um mit anderen Klas-

senkameraden oder mit dem Lehrer Kontakt aufzunehmen, sei für ihn die Schrift

gar nicht notwendig. Seine Sprache, die Gestik und Mimik reichten ihm dabei

vollkommen aus, ohne die mühseligen Techniken des Schreibens anwenden zu

müssen. Wenn der Schüler jedoch Kontakt zu Menschen aufnehmen möchte, die

sich außerhalb der eigenen Reichweite befänden, werde der schriftliche Ausdruck

jedoch zwingend notwendig (vgl. FREINET, 1998 c, S. 514).

Aus diesem Grund suchte Freinet eine Möglichkeit für seine Schüler, mit außer-

schulischen Menschen in Kontakt zu treten. Wie in der Biografie erwähnt, stellte

Freinet 1926 erstmals mit seiner Klasse einen zwischenschulischen Briefkontakt

zu der Klasse seines Freundes Daniel aus Saint Philibert-de-Trégunc (Finistére)

her.

Der Sinn des schriftlichen Ausdrucks wird nach Freinet vor allem durch die Kor-

respondenz verstanden. Aber auch dem Bedürfnis, sich anderen mitteilen zu wol-

len, wird durch Freinets Technik der Schülerkorrespondenz erfüllt. Freinet ist da-

von überzeugt, dass sich ein Schüler, der sich beim Verfassen eines Textes Mühe

gegeben hat und dabei motiviert war, auch möchte, dass sein Text gelesen wird,

aber nicht nur innerhalb der Familie und der Schule, sondern auch darüber hinaus.

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 57

Der Mitteilungsdrang, das Streben, das Interesse Anderer motiviere nicht nur zum

Schreiben eines eigenen Textes, sondern auch und gerade zum möglichst fehler-

freien, sauberen und perfekten Druck (vgl. JÖRG, 1999, S. 106).

Die zweite Möglichkeit der Veröffentlichung eigener Arbeitsergebnisse und eige-

ner Texte wird durch Freinets Schülerzeitung erfüllt. Auf diese Weise können sich

die Schüler ihrer Umgebung mitteilen und mit ihr in Verbindung treten. Neben

dem Veröffentlichungsaspekt sieht Freinet aber noch weitere Vorteile in der Schü-

lerzeitung: Die Schüler lernen gemeinsam in der Klasse den Druck der Texte zu

organisieren, sowie das Heften und den Vertrieb der Zeitungen zu übernehmen.

Jeder Schüler ist des Weiteren für seinen Arbeitspart verantwortlich, wie bei-

spielsweise für den eigenen Text oder für den Druck. Neben seiner eigenen Schul-

zeitung veröffentlichte Freinet bereits 1927 Texte seiner Schüler in der Zeitschrift

„Gerbe“ (dt. = Garbe), um seine Techniken und deren Arbeitsergebnisse einem

großen Publikum näher zu bringen (vgl. LAUN, 1983, S. 70).

2.4.5.3 Die Freinet-Arbeitsmittel

Freinet erkannte bei seinen Unterrichtsanfängen jedoch den Mangel, dass das Ar-

beiten mit der Druckerei und dem „freien Text“ nicht die von den Lehrplänen ge-

forderten Inhalte alleine abdeckte. Statt der Hinzunahme herkömmlicher Schulbü-

cher schuf Freinet bereits in den 1920er Jahren mit Hilfe von Kollegen in der

C.E.L. eigenes Unterrichtsmaterial, das den Bedürfnissen, den individuellen Inte-

ressen, dem Wissensdurst und dem jeweiligen Alter der Schüler entsprechen sollte

(vgl. a. a. O., S. 58).9

Freinet fordert für eine lebendige Schule Selbstbildungsmittel für die Schüler,

damit sie sich in eigenständiger Arbeit, Wissen und Fähigkeiten aneignen können.

Hauptbestandteil dieses Arbeitsmaterials sollte eine immer auf den neuesten Stand

zu bringende Nachschlagekartei sein, die kurze und prägnante Informationen zu

einem Thema beinhalte und ein dazugehöriges Wörterbuch. Außerdem soll seiner

Meinung nach in jedem Klassenraum eine Arbeitsbücherei vorhanden sein, die

ausführlichere Informationen als die Nachschlagekarteien liefern kann, sowie Ar-

beitskästen und Experimentierhandbücher, die Anleitungen für Versuche enthal-

9 Noch heute existiert das Freinet-Arbeitsmaterial. Nach der Auflösung der C.E.L. hat deren Ver-trieb und Weiterentwicklung das I.C.E.M. übernommen.

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 58

ten (vgl. FREINET, 1998 a, S. 462 f.). Vor allem im Vorschulbereich sieht Freinet

die Notwendigkeit, dass die Kinder ihre Karteikarten der Arbeitsmittelkästen

selbst gestalten, indem sie auf gleichgroße Kartonrechtecke Bilder aus Zeitschrif-

ten und Fotos kleben, um somit ihrem Verlangen nach Bildern und die Freude

beim Ausschneiden, Kleben und Einorden entgegenzukommen (vgl. FREINET,

1998 c, S. 518).

Nach Jörg (vgl. JÖRG, 1999, S. 110-113) sind vor allem vier Freinet-

Arbeitsmittel zu unterscheiden, die von der Freinet-Bewegung entwickelt wurden:

Die Nachschlagekiste und Dokumentensammlung (Fichier documentaire):

Die Nachschlagekiste und die Dokumentensammlung sind beides Verfahren zur

systematischen Ordnung vielfältiger Informationsarten. Während in der Nach-

schlagekiste ein nach dem Alphabet und nach Sachgebieten geordnetes Sachblät-

ter–Karteisystem kurze und prägnante Informationen über bestimmte allgemeine

Themen bereithält, befinden sich in der Dokumentensammlung sämtliche zu einer

Unterrichtseinheit in der Klasse erarbeiteten Texte, Bilder und Gegenstände. Die-

se individuellen und einzigartigen Dokumente werden in Mappen nach dem glei-

chen Prinzip des Karteisystems der Nachschlagekiste verwaltet.

Arbeitsbücherei (Bibliothèque de Travail – BT):

Die Arbeitsbücherei ist eine Sammlung von Heften von jeweils 20–48 Seiten,

deren kurze und sachliche Texte Informationen über ein Sachgebiet geben, ohne

dabei Schlüsse, Folgerungen, Vergleiche oder Interpretationen vorzunehmen. Die-

se Hefte, die ein Register nach Sachgebieten, nach der Ordnungsnummer und

nach der alphabetischen Reihenfolge ordnet, sind in folgende Rubriken unterteilt:

„BTJ (Bibliothèque de Travail Junior)“ als Arbeitshefte für Grundschüler, „BT

(Bibliothèque de Travail)“ als Arbeitshefte für Schüler der Sekundarstufe 1, „BT2

(Bibliothèque de Travail 2)“ als Arbeitshefte für die Sekundarstufe 2 und „BT Son

(Bibliothèque de Travail Sonore)“ als audio-visuelles Arbeitsmittel. Laun erwähnt

zudem noch das „SBT (Supplément Bibliothèque de Travail)“ als Zusatzhefte für

die BT (Bibliothèque de Travail) (vgl. LAUN, 1983, S. 59).

Die Selbstbildungskartei („Fishiers – autocorrectifs):

In den meisten Fällen besteht die Selbstbildungskartei aus einer Karte, die einen

Sachverhalt erklärt und Fragen stellt sowie einer dazugehörigen Antwortkarte, die

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 59

eine oder mehrere Lösungswege aufzeigt. Hat ein Schüler ein gewisses Wissen

aufgebaut, kann es die dazugehörigen Testkarten bearbeiten, die wieder anhand

von Lösungskarten durch den Schüler kontrolliert werden können. Der Lehrer

steht beratend zur Seite und hilft bei größeren Problemen.

Die Selbstbildungskarteien wurden von Freinet vor allem deshalb eingeführt, da-

mit die Schüler neben den frei wählbaren Themen auch systematisch notwendig

einzuübende Lernstoffe durcharbeiten konnten.

Die Arbeitsmittelkartei für kooperative Arbeiten (Fishier de Travail Coopératif –

FIC):

Die Arbeitsmittelkartei umfasst eine Reihe von Anleitungen für sämtliche prakti-

sche Arbeiten, wie das Experimentieren, das Durchführen von chemischen und

physikalischen Versuchen, die Erstellung von Anschauungsmaterialien, Modellen

und Sammlungen sowie die Umgestaltung des Schulhofes, der Schulgärten und

der Spielplätze. In Einzel- oder in Gruppenarbeit können diese Projekte anhand

spezieller Werkzeuge und Geräte durchgeführt werden.

2.4.5.4 Weitere Arbeitsmittel

Neben den von Freinet ins Leben gerufenen Arbeitskarteien und Arbeitsheften,

benennt er zudem die Notwendigkeit, noch weitere Arbeitsmittel in den Schulall-

tag zu integrieren. Das seien der Film und das Lichtbild, die Schallplatte und die

Schreibmaschine. Auf diese Mittel wird nachstehend kurz eingegangen.

Die Filmaufnahmen und die Fotografie bieten nach Freinet eine hervorragende

Möglichkeit, Aufnahmen von Unterrichtsgängen oder aus dem Dorf zu machen.

Diese technischen Mittel entsprechen Freinets Forderung nach einer lebensnahen

Schule, weil sie eine wirkliche Wiedergabe des eigenen Lebens darstellen. Diese

Filmaufnahmen und Fotos könnten auch gut an die Korrespondenzklassen ver-

sandt werden (vgl. FREINET, 1998 c, S. 575).

Die Schallplatte in Verbindung mit dem Plattenspieler ermögliche dagegen einen

optimalen Einsatz für den Musikunterricht, die rhythmische Erziehung, die Kör-

perschulung sowie das Tanzen und könne für die Gestaltung von Schulfesten und

Feiern eingesetzt werden. Ergänzend zur „fertigen“ Schallplatte könnten die Schü-

ler mit dem Lehrer eigene Tonaufnahmen machen, beispielsweise von den Stim-

men der Schüler oder von denen der Arbeiter und Handwerker. Auch mit der Kor-

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 60

respondenzklasse könnten Stimmaufnahmen ausgetauscht werden (vgl. a. a. O.,

S. 576).

Freinet war jedoch vor allem von der Schreibmaschine fasziniert. Zu seiner Zeit

stellte sie einen „Luxusartikel“ dar, den sich nicht jede Schule leisten konnte.

Doch der Einsatz der Schreibmaschine in der Schule erschien Freinet als lohnend,

da sich die Schule an die Möglichkeiten des technischen Fortschritts anzupassen

hätte. Auf diese Weise könne die Schule den Interessen der Schüler, die sich e-

benfalls mit der Zeit verändern, nachgehen und entsprechendes bieten. Ähnlich

wie die Druckerei habe die Schreibmaschine den Vorteil, in ihrer Handschrift un-

sicheren Schülern, einen sauberen Schriftsatz zu ermöglichen. Ein gewaltiger Vor-

teil bestehe jedoch darin, dass das Arbeitsergebnis sofort sichtbar sei, sobald eine

Buchstabentaste gedrückt werde. Diese Schnelligkeit der Anfertigung von schrift-

lichen Texten wird für Freinet gerade im Vergleich mit der Druckerei sichtbar.

Während ein Schüler für den Druck eines Textes etwa eine halbe Stunde benötige,

könne mithilfe der Schreibmaschine in wenigen Minuten derselbe Text erstellt

werden. Aber die Schreibmaschine könne die Druckerpresse nicht ersetzen, da

beide Verfahren unterschiedlich funktionieren. Die benötigte Konzentration beim

Zusammensetzen einzelner Buchstaben für eine Druckarbeit, mit der die Ortho-

grafie der Schüler trainiert werde, könne mit der Schreibmaschine nicht erreicht

werden. Aber gerade ältere Schüler, die sicher in der Rechtschreibung seien, pro-

fitieren vor allem von der Schnelligkeit der Schreibmaschine, womit sich neue

Möglichkeiten für das Schulleben eröffnen könnten (vgl. a. a. O., S. 577 f.).

2.4.6 Zusammenfassung

Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie vielfältig das Unterrichtsleben bei Freinet ge-

staltet ist. Freinets Grundideen, die auf eine offene und befreiende Erziehung ab-

zielen, zeigen sich deutlich im konkreten Unterricht. Die Schüler sitzen nicht

mehr passiv an ihren Tischen und bearbeiten die Aufgaben, die der Lehrer ihnen

aufgibt, sondern gehen in organisierter Art und Weise denjenigen Arbeiten nach,

die sie aufgrund ihres Interesses wählen, bzw. die sie für notwendig halten. Der

verbale Unterricht wird durch einen Unterricht der Arbeit abgelöst, in dem die

Arbeitsmittel, die anstelle der herkömmlichen Schulbücher eingesetzt werden,

konkret Bezug zum Leben nehmen. Der Unterricht wird in der Gemeinschaft ko-

operativ geplant und beurteilt, so dass jeder Schüler lernt, in Eigenverantwortung

2 DIE ANSPRÜCHE DER FREINET-PÄDAGOGIK 61

selbständig und selbsttätig am Schulleben teilzuhaben. Auf diese Weise soll eine

optimale Vorbereitung auf das Leben erfolgen (vgl. EICHELBERGER; FILICE,

2003, S. 21 f.).

Dass Freinets Pädagogik und seine Techniken auch für die Zukunft bedeutsam

sind, zeigt sich vor allem in Kapitel 2.4 „Die Unterrichts-Techniken der Freinet-

Pädagogik“. Einige Techniken erscheinen nämlich auf den ersten Blick für die

heutige Zeit unzeitgemäß, muss man jedoch dabei beachten, dass Freinet sein

Konzept bereits nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er entwickelte. Zu seiner

Zeit wusste Freinet bereits, dass seine Techniken verbesserungsbedürftig sind und

mit der Zeit und dem technischen Fortschritt mitzuhalten haben. Ramseger äußert

sich dazu: „Denn im Gegensatz zu anderen Reformpädagogen, insbesondere Ma-

ria Montessori und Rudolf Steiner, hat Freinet, obwohl er mehrere pädagogische

Vereine gegründet hat und die Freinet-Pädagogen sich selbst als eine Bewegung,

die Bewegung der »Ecole Moderne«, betrachten, keine Vereinigung von Jüngern

hinterlassen, die in seinem Namen eine einmal ausformulierte Tradition pädagogi-

schen Handelns und Denkens systematisch zu wahren suchen. Die Pädagogik

Célestin Freinets war von Anfang an eine dynamische Pädagogik aus der Praxis

für die Praxis und ist in steter Weiterentwicklung begriffen. Ihr Gebäude besteht

weniger aus Lehrsätzen und Begründungen für bestimmte Handlungsformen als

aus Techniken und Umgangsformen, die sich bereits mit immer neune Menschen

in immer neuen Situationen bewähren müssen.“ (RAMSEGER, 1991, S. 111 f.)

Ob die Freinet-Pädagogik immer noch zeitgemäß ist und in der gegenwärtigen

Schule und dem zukünftigen Schulsystem wirklich noch einen Platz findet, soll im

Folgenden anhand eigener Erfahrungen untersucht werden. Es wird beschrieben,

wie die heutige Schulwirklichkeit in so genannten „Freinet-Schulen“ bzw. „freine-

torientierten Schulen“ den Ansprüchen Freinets gerecht werden oder ob sie seine

Ansprüche verwerfen.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 62

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE

HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT

Die theoretischen Grundlagen der Freinet-Pädagogik klingen sehr vielverspre-

chend. Freinet nennt, auf welche Weise das Schulsystem grundlegend verändert

werden kann. Er stellt aber auch immer wieder fest, dass ein rein theoretisches

Wissen nicht ausreicht, um einen Veränderungsprozess im schulischen Bereich

vorzunehmen. Er appelliert u. a. an seine Leser: „Diese Berichte bleiben nur Lite-

ratur, die euch vielleicht im Augenblick des Lesens rührt und bewegt, die aber in

keiner Weise in einer entscheidenden und wirksamen Art euer Verhalten

beeinflußt.“ (FREINET, 1998 a, S. 406) Seiner Meinung nach wird ein Verände-

rungsprozess nur dann wirksam, wenn selbst an diesem Prozess aktiv mitgewirkt

wird. Auf diese Weise erhält dann das konstruktive Tun eine Art soziale Bedeu-

tung (vgl. ebd.).

Für mich war gerade dieser Punkt ausschlaggebend dafür, Freinet-Schulen zu be-

suchen und es war wichtig zu erfahren, auf welche Art und Weise Grundschulen

die von Freinet vorgeschlagenen Techniken in ihren Schulalltag integrieren. Da-

mit meine ich vor allem, ob die Techniken einfach übernommen oder einige ande-

re sogar bewusst weglassen wurden oder ob sogar ein Veränderungs- und Moder-

nisierungsprozess stattgefunden hat. Die beste Theorie nützt meiner Meinung

nach nur wenig, wenn sie in der Praxis nicht umsetzbar ist.

Ich habe für die Anfertigung dieser Arbeit drei Schulen besucht: zuerst die „École

Freinet“ in Vence in Südfrankreich, dann die „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

und abschließend die „Grundschule Harmonie“ in Eitorf. Dabei habe ich bewusst

Schulen aus zwei Ländern ausgewählt, um einen länderübergreifenden Vergleich

vornehmen zu können. Ich habe die „École Freinet“ in Vence besucht, weil sie

meiner Ansicht nach die „Mutterschule“ der Freinet-Pädagogik ist. Für mich war

es spannend zu erfahren, wie der Schulalltag dieser Schule, der in Freinets selbst

verfassten Werken oftmals sehr detailliert beschrieben wurde, heute aussieht. Die

beiden deutschen Freinet-Schulen, die „Célestin-Freint-Schule“ in Köln und die

„Grundschule Harmonie“ in Eitorf, habe ich gewählt, weil ich sehen wollte, wie

in Deutschland der Versuch unternommen wird, ein freinetorientiertes Schulkon-

zept zu entwickeln und umzusetzen.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 63

Im Verlauf dieser Arbeit stelle ich die drei Schulen vor. Die Reihenfolge ergibt

sich aus dem zeitlichen Ablauf meiner Schulbesuche und nicht aufgrund irgendei-

ner Präferenz für die drei Schulen. Ich hatte zum Zeitpunkt der Besuche zwar In-

formationen über die Freinet-Pädagogik, aber wenige über die Schulen und ihre

Konzepte.

Zunächst stelle ich allgemeingültige Aspekte der einzelnen Schulen vor, die nicht

unbedingt zur Freinet-Pädagogik gehören, mir aber wichtig zum Verständnis der

Schule erscheinen. Im Anschluss daran werde ich diese anhand der freinet-

spezifischen Merkmale beschreiben. Dabei handelt es sich um die Aspekte „Die

Arbeitsateliers“, „Die Schülermitverantwortung“, „Die Arbeitspläne“, „Alternati-

ve Leistungsbeurteilung“ und „Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Ar-

beitsmöglichkeiten“, die bereits aus Kapitel 2.4 „Die Unterrichtstechniken der

Freinet-Pädagogik“ bekannt sind.

Anzumerken ist außerdem, dass ich bei der „École Freinet“ in Vence in Kapitel

3.1 „Die „École Freinet“ in Vence (Frankreich)“ neben der Beschreibung der

Grundschule auch auf die angegliederte Vorschule insofern eingehe, als dass die

dort erlernten Fertigkeiten der Vorschüler in der Grundschule weitergeführt wer-

den.

3.1 Die „École Freinet“ in Vence (Frankreich)

Bei der „École Freinet“ in Vence handelt es sich um die bereits im Kapitel 2.1.4

„Die Gründung seines Landerziehungsheimes in Vence und die Zeit des Wieder-

aufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg (1934–1965)“ beschriebene Schule, die

Célestin Freinet 1934 erbaute und die 1935 eröffnet wurde.

Vence ist eine südfranzösische Kleinstadt in der Region Provence-Alpes-Côte

d’Azur im Département Alpes Maritimes. Die Schule befindet sich, wie bereits

beschrieben, nicht direkt im Ortskern von Vence, sondern ist auf dem Hügel „Le

Pioulier“ gelegen, der etwa 3 km Ortskern entfernt ist.

Die nachfolgende Abbildung zeigt das Schulgelände und die Gebäude der „École

Freinet“ aus der Vogelperspektive.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 64

Abbildung 7: Luftbildaufnahme der „École Freinet“

Auf dem ca. einen Hektar großen Schulgelände sind, wie auf dem Foto (Abbil-

dung 9) zu erkennen, elf unterschiedlich große Gebäude, Anlagen, Gärten und

viele Bäume zu finden. Die meisten Häuser sind ein- bis zweigeschossig, wenige

davon haben mehrere Stockwerke. Sie sind im südfranzösischen Stil mit Flach-

dach, weißer Außenfassade und blauen Fensterläden errichtet worden. Die einzel-

nen Häuser haben wegen des abschüssigen Geländes große Terrassen, die unter-

schiedliche Funktionen haben. Von Jahr zu Jahr wurden die Gebäude seit der ers-

ten Erbauung ergänzt und erweitert. Das Freilufttheater ist als letztes und wich-

tigstes Element der Schule im Jahr 1965-1966 entstanden.

Während die Frontseite der Schule an die Zufahrtstraße grenzt, liegt hinter dem

Schulgrundstück ein großer Kiefernwald, der jedoch so steil abfällt, dass er kaum

benutzt wird.

Auf der nachfolgenden Abbildung ist das Grundstück mit den dazugehörigen An-

lagen und Gebäuden genauer zu erkennen.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 65

Abbildung 8: Schematische Darstellung der „École Freinet"

Folgende Gebäude befinden sich auf dem Gelände:

1 = Der Eingang, ehemalige C.E.L. 2 = Scheune, Töpfereiausstellung

3 = Lager, ehemalige Schlafzimmer 4 = Sitz der Direktion

5 = Studio 6 = Verwaltung, Malereiatelier

7 = Speisesaal, Hausmeister 8 = Konferenzhalle

9 = Lager, ehemalige Schlafzimmer 10 = Klassenzimmer

11 = Gartenatelier

Des Weiteren gibt es noch folgende Anlagen auf dem Grundstück:

a = Eingangsportal b = Parkplatz

c = Weg für die Eltern d = Garten

e = Hühner- und Kaninchenstall f = Schwimmbecken

g = Hof h = Eiche von „Papa Freinet“

i = Sportplatz j = Schulhof, Außenkantine

k = Fischweiher l = Spielbereich der „Kleinen“

m = Hütte n = Hügel

o = mit Bildern bedeckter Weg p = Freilufttheater

q = kleiner Wald r = abschüssiger Wald

s = Fußpfad

(vgl. ONLINE-DOKUMENT 1)

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 66

Die folgenden Abbildungen zeigen einige Schulgebäude der „École Freinet“ in

Vence:

Abbildung 9: Frontseite der „École Freinet“ Abbildung 10: Gebäude mit Klassenräumen

Abbildung 11: Verwaltungsgebäude und Abbildung 12: Schulgelände mit Gebäuden Schwimmbecken

Obwohl das Platzangebot sehr groß ist, können nur maximal 66 Schüler in die

„École Freinet“ in Vence aufgenommen werden. Daraus ergibt sich, dass die

Schule einzügig ist. So gibt es zunächst eine Gruppe in der Vorschule (école ma-

ternelle) für die sogenannten „Kleinen“ (jeunes), die 2-6jährigen Kinder. In der

Grundschule (école élementaire) sind die Schüler des 1. und 2. Grundschuljahrs,

das sind die „Mittleren“ (moyens), und die Schüler des 3.-5. Grundschuljahrs, die

„Großen“ (grands), auch jeweils in einer Klasse untergebracht.

Die Warteliste auf einen Platz in dieser Schule ist lang. Das große Interesse be-

steht über Vence hinaus. Das ist daran zu erkennen, dass die Hälfte der Schüler

aus Vence kommt und die andere Hälfte aus der Umgebung, teilweise auch weiter

entfernt. Anhand eines Antrages können sich die Eltern für die Schulaufnahme

ihres Kindes bewerben. Danach werden sie in die Schule eingeladen, um sich ein

Bild davon machen zu können und um sich die Pädagogik erklären zu lassen. So-

mit erhalten auch die Lehrer einen ersten Eindruck von den Eltern. Voraussetzung

für die Aufnahme des Kindes ist, dass die Eltern die Ziele und das pädagogische

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 67

Konzept geeignet finden und die Charta der Schule, die alle Grundsätze, pädago-

gischen Prinzipien und Leitideen der Schule beinhaltet, akzeptieren. Von den El-

tern wird zudem konkret erwartet, dass sie in regelmäßigem Kontakt zum Lehrer

stehen, den Arbeitsplan ihres Kindes mitverfolgen, ihrem Kind helfen, den Schü-

lervortrag vorzubereiten, die Schülerzeitung lesen, wenn möglich, in den Ateliers

mithelfen und schließlich an allen schulischen Veranstaltungen, wie Schulfeste

und Projekte, teilnehmen. Wenn sich jedoch innerhalb eines Schuljahres heraus-

stellt, dass die Eltern die pädagogischen Ziele und die Charta nicht respektieren

oder ablehnen, kann der Schulrat beschließen, das Kind für das kommende Schul-

jahr nicht mehr neu einzuschreiben (vgl. ANHANG 1).

Wie in allen französischen Schulen, findet der Unterricht in der „École Freinet“

ganztags statt. Das bedeutet, dass die Schüler montags, dienstags, donnerstags und

freitags von 8.30 Uhr bis 17.00 Uhr zur Schule gehen, Mittwoch ist schulfrei. Ins-

gesamt haben die Schüler 26 Schulstunden pro Woche in der Schule zu leisten

und acht Stunden pro Woche zu Hause (vgl. ebd.), um beispielsweise einen Vor-

tag vorzubereiten oder einen „freien Text“ zu verfassen.

Der Besuch der Vorschule (école maternelle) ist zwar nicht obligatorisch, jedoch

erwarten die Lehrer der „École Freinet“, dass die Kinder regelmäßig in die Vor-

schule gehen, damit hier ihre Entwicklung der Persönlichkeit gefördert wird. Er-

scheint ein Kind nicht regelmäßig, kann es von der Einschreibung für das kom-

mende Jahr gestrichen werden. Im Gegensatz zur Grundschule hat die Vorschule

einen offenen Beginn zwischen 8.20 Uhr und 8.55 Uhr (vgl. ebd.). In dieser Zeit

können die Eltern ihre Kinder beobachten und ihnen behilflich sein. Auch die

Vorschüler bleiben bis 17.00 Uhr in der Schule, wobei die Jüngsten nach der Mit-

tagspause Mittagsschlaf machen können.

Aufgrund der Ganztagsschule gibt es in der „École Freinet“ eine Kantine, in der

die Schüler und die Lehrer mittags essen können. Die Zusammenstellung des Mit-

tagsmenüs wird in Zusammenarbeit mit den Schülern erstellt, wobei auf eine ge-

sunde, abwechslungsreiche und schmackhafte Ernährung geachtet wird.

3.1.1 Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik

Die Grundsätze zur Freinet-Pädagogik in der „École Freinet“ in Vence werden,

wie in den nachfolgenden Punkten beschrieben, angewandt.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 68

3.1.1.1 Die Arbeitsateliers

In der „École Freinet“ in Vence ist die Arbeit in den Ateliers, mit Ausnahme die

der Vorschule, für die Nachmittagsstunden nach der Mittagspause vorgesehen.10

Die Ateliers befinden sich entweder im Klassenraum, in speziellen Räumen in

anderen Gebäuden oder auf dem Schulgelände.11 Die Atelierarbeit soll vor allem

die Kreativität der Schüler anregen. Daher wird insbesondere im handwerklich

künstlerischen Bereich gearbeitet. Aber auch für Nachforschungen und Versuche

sind Ateliers eingerichtet. Konkret gibt es in der Schule neun Ateliers, deren Teil-

nahme von den Schülern frei wählbar ist. Die Wahl der jeweiligen Ateliers tragen

die Schüler in ihren persönlichen Arbeitsplan ein, ebenso wie ihre anderen Schul-

fächer und Aufgaben.

Ich stelle nun die einzelnen Arbeitsateliers vor:

Das Malereiatelier befindet sich in einem separaten Gebäude. Dabei handelt es

sich um einen Raum, der nur für die Malerei vorgesehen ist. Dieser Raum strahlt

durch seine zahlreichen Fenster eine große Helligkeit aus. Dort gibt es großflächi-

ge Tische, an denen sowohl Bilder in Einzelarbeit, als auch in der Gruppe angefer-

tigt werden können. Außerdem befinden sich an der Fensterfront Regale mit vie-

len verschiedenen Farben und Pinseln. Die fertigen Bilder werden anschließend

im Klassezimmer aufgehängt. Dort sind vor allem die großformatigen Bilder der

Gruppenarbeit zu sehen.

Auf dem nebenstehenden Foto (Abbildung

13) ist die Atelierarbeit „malen“ der Vor-

schüler zu erkennen. Wie erwähnt, benut-

zen diese das Malereiatelier aber nicht,

sondern den Klassenraum.

Abbildung 13: Malen in der Vorschule

10 Die Unterrichts- und Arbeitszeit am Morgen bis zum Mittag, die vorwiegend im Klassenraum stattfindet, wird von den Lehrern nicht als Atelierarbeit bezeichnet, obwohl es im Klassenraum verschiedene Arbeitbereiche gibt. Dort gibt es eine Klassenbücherei, Regale mit Arbeitsmateria-lien der verschiedenen Unterrichtsbereiche und einen Computerarbeitsplatz. Mehr zu diesem Auf-bau und der Arbeitsweise ist unter Kapitel 3.1.1.5 „Alternative Arbeitsmaterial – Alternative Ar-beitsmöglichkeiten“ zu finden. 11 In der Vorschule findet die Atelierarbeit dagegen vordergründig im Klassenraum statt.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 69

Das nächste Atelier befindet sich im Außenbereich der Schule und ist für die Töp-

ferei und das Modellieren mit Ton vorgesehen. Während meines Besuches konnte

ich diese Arbeiten nur bei den Vorschülern beobachten, die jedoch auch hier den

Klassenraum benutzten (s. Abb. 14). Überall in der Schule sind die Ergebnisse der

Tonarbeiten zu finden. Die Wände der Gebäude und das Schwimmbecken sind

beispielsweise mit verzierten Tonplatten, Tonfiguren und Tonelementen verziert

(s. Abb. 15). Aber auch das Freilufttheater, welches noch von Freinet gebaut und

gestaltet wurde, wird von fast lebensgroßen Tonfiguren geschmückt (s. Abb. 16).

Kleinere Tonfiguren, die vor allem in Einzelarbeit angefertigt wurden, werden

entweder im Klassenzimmer oder in einem kleinen Gebäude am Eingang der

Schule ausgestellt.

Abbildung 14: Vorschüler beim Töpfern Abbildung 15: Tonfiguren am Schwimmbecken

Das dritte Atelier ist für das Einüben kreativer Theaterspiele und für den Tanz

vorgesehen. Diese Aktivitäten finden in dem Freilufttheater statt (s. Abb. 16).

Abbildung 16: Freilufttheater

In den Klassenräumen der Grundschüler befinden sich drei weitere Ateliers. Eines

dieser Ateliers ist das Zeichnereiatelier. Im Gegensatz zum Malereiatelier wird

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 70

hier nicht mit „nassen“ Farben gemalt, sondern mit verschiedenen Stiften ge-

zeichnet.

Für die Vorschüler ist ebenso im Klas-

senraum Gelegenheit zum Zeichnen vor-

gesehen (s. Abb. 17). Auffallend sind

insgesamt die sehr farbenfrohen Bilder

der Schüler aller Jahrgänge.

Das zweite Atelier im Klassenraum der Grundschüler ist das Mathematikatelier.

Hier können Versuche sowie mathematische und physikalische Experimente

durchgeführt werden. Als ich die „École Freinet“ besuchte, arbeiteten einige

Grundschüler (die moyens) im Mathematikatelier. Zwei Mädchen haben mit einer

Balkenwaage verschiedne Gegenstände gewogen und einige Jungen waren mit

dem Einschätzen einer bestimmten Zeiteinheit beschäftigt. Während ein Schüler

den Raum verließ, um nach drei Minuten ohne auf die Uhr zu schauen wiederzu-

kommen, maß ein anderer Schüler die Zeit. Im dritten Atelier im Klassenraum der

Grundschüler wird mit dem Computer gearbeitet. Die Schüler können spezielle

Software benutzen und auch die Schülerzeitung „Les Pionniers“ (Die Pioniere)

am PC erstellen.

In den letzten beiden Ateliers, die in der „École Freinet“ eingerichtet sind, ist die

Mitarbeit von Erwachsenen notwendig. Das ist zum einen das Gartenatelier.

Abbildung 18: Gartenanlagen Abbildung 19: Gartenanlagen

Auf dem Schulgelände befindet sich ein großer Garten mit verschiedenen Beeten

und vielen Obstbäumen (s. Abb. 18 und 19). Die richtige Pflege der Pflanzen und

Abbildung 17: Vorschüler beim Zeichn

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 71

Bäume, das Anpflanzen neuer Gewächse oder das Ernten reifer Früchte erfordert

die Hilfe und die Anleitung eines fachkundigen Erwachsenen und kann nicht von

den Schülern selbständig vorgenommen werden. Aus diesem Grund findet diese

Atelierarbeit nur dann statt, wenn ein Elternteil oder Familienmitglied eines Schü-

lers sich für diese Arbeit zur Verfügung stellt.

Zum anderen gibt es das Atelier

der Handarbeit. Dort werden je

nach Saison und Anlass ver-

schiedenste Sachen gebastelt und

angefertigt. Zur Weihnachts-

oder Karnevalszeit basteln die

Kinder beispielsweise passende

Dinge, die mit Hilfe von Müttern

entstehen. Als ich die „École

Freinet“ besuchte, wurden Tontöpfe und kleine Spiegel mit Mosaiksteinchen be-

klebt, die auf dem anstehenden Schulfest verkauft werden sollten (s. Abb. 20).

3.1.1.2 Die Schülermitverantwortung

Bereits in der Vorschule lernen auch

die Kinder der „École Freinet“, kon-

struktiv Kritik gegenüber den ande-

ren Kindern zu üben: Sei es die Be-

urteilung von Arbeitsergebnissen am

Ende des Tages, das Lob eines ande-

ren Kindes für eine gelungene Tätig-

keit oder ein schlichtendes Streitge-

spräch nach der Pause, wenn Kon-

flikte aufgetreten sind. Diese Versammlung wird von einem oder zwei Kindern,

die das Präsidentenamt ausüben, geleitet, indem Wortmeldungen erteilt und Be-

schlüsse gefasst werden (s. Abb. 21).

In der Grundschule hat die Schülermitverantwortung weiterhin seinen festen Stel-

lenwert. Grundlage hierfür ist die Wandzeitung. Dabei handelt es sich um ein Pla-

kat, auf dem die Schüler unter den Rubriken „je critique“, „je félicite“ und „je

voudrais“ (ich kritisiere; ich gratuliere; ich möchte) eintragen, was sie in der wö-

Abbildung 20: Mosaik-Tontöpfe und -Spiegel

Abbildung 21: Konstruktives Streitgespräch in der Vorschule

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 72

chentlichen Klassenversammlung (s. Abb. 22) oder in der vierzehntägig stattfin-

denden Schulversammlung, jeweils freitags, anmerken wollen. Auch hier erteilt

der vorher bestimmte Präsident der Klassen- oder Schulversammlung, das ist ein

gewählter Schüler, das Wort (s. Abb. 22 und 23). Er ist dafür verantwortlich, die

Tagespunkte vorzulesen, die Punkte der Wandzeitung vorzutragen und die Mel-

dungen seiner Mitschüler zu berücksichtigen und sie entsprechend zu Wort kom-

men zu lassen. Regeln können durch Zustimmung der Klassen- bzw. Schulge-

meinschaft geändert und neue konstruktiv eingeführt werden

Abbildung 22: Klassenversammlung Abbildung 23: Präsidentin

Eine aufgestellte Regel ist zum

Beispiel das Ausüben der Dienste

und Ämter durch jeden einzelnen

Schüler. Mit deren Einhaltung

lernt dieser auch hier, verant-

wortlich für schulische und au-

ßerschulische Aktivitäten zu sein.

So ist ein Schüler beispielsweise

für die Sauberkeit in der Klasse

zuständig, ein anderer hat die Tafel zu putzen, der nächste fegt den Hof

(s. Abb. 24), einige Schüler haben den Dienst, den Tisch für das Mittagessen zu

decken und anschließend abzuräumen und einige andere Schüler kümmern sich

um die Tiere in der Schule.

Weiterhin werden in der Klassenversammlung Schüler beglückwünscht, besonde-

re Ereignisse hervorgehoben und gemeinsame Projekte geplant und besprochen.

Dass die Schüler auch lernen, für ihre schulischen Arbeiten verantwortlich zu

sein, wird in der täglichen Arbeit sichtbar. Die Schüler müssen mehrmals in der

Abbildung 24: Hof fegen

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 73

Woche ihre Arbeiten den Mitschülern und dem Lehrer präsentieren, beispielswei-

se beim Vortragen ihrer selbst verfassten „freien Texte“. Dabei haben sie ihre Ar-

beit zu erklären und sich gegebenenfalls möglicher Kritik zu stellen. Mit dieser

Auseinandersetzung werden sie bereits in der Vorschule vertraut gemacht, die in

der Grundschule weitergeführt wird (s. dazu auch Abb. 30, S. 78; Abb. 33 und 34,

S. 79). Im Gegensatz zur Vorschule geht es hier jedoch kritischer zu. Die Schüler

formulieren ganze Sätze und begründen ihre Aussage, warum sie eine Arbeit be-

sonders gut finden oder nicht.

Die Fähigkeit, Arbeitsergebnisse zu präsentieren, wird vor allem im Schülervor-

trag sichtbar. Jeder Schüler hat mindestens dreimal pro Jahr einen Vortrag vorzu-

bereiten. Dabei kann er sich ein Thema aussuchen, mit dem er sich beschäftigen

möchte. Als ich die „École Freinet“ besuchte, habe ich in der Grundschule bei den

„Mittleren“ zwei sehr unterschiedliche Schülervorträge miterlebt. Der erste wurde

von einem Mädchen über einen bestimmten Fisch gehalten. Sie stand vor der Ta-

fel und hat daran ein Bild zu bessern Ansicht gehängt, während die Mitschüler

und die Lehrerin im Halbkreis vor ihr versammelt waren. Die Lehrerin war jedoch

nicht mit ihrem Vortrag einverstanden, da die Schülerin sehr viel ablas. Das hatte

wohl den Anschein, dass sie ungenügend vorbereitet war. Sie musste daraufhin

den Vortrag abbrechen, um ihn am nächsten Tag besser vorzutragen. Der zweite

Vortag mit dem Thema „Die Titanic“ wurde von einem Jungen der ersten Klasse

gehalten. Zur Unterstützung hatte ihn seine Mutter begleitet, die während des

Vortrags Bilder von dem Schiff aus mehreren Bildbänden der Klasse zeigte. Der

Schüler saß an einem aufgestellten Pult vor der Tafel zusammen mit seiner Mut-

ter. Wie man es von Referaten kennt, hatte er sich bereits Stichpunkte zu seinem

Thema auf einem Blatt Papier notiert und konnte relativ frei vortragen. Diesmal

waren die Lehrerin und die Mitschüler zufrieden mit dieser Präsentation. Am En-

de des Vortrags konnten sich die Schüler dazu äußern oder Fragen stellen. Vor

allem stellte die Lehrerin Fragen, die der Junge zu beantworten hatte.

3.1.1.3 Die Arbeitspläne

Die Arbeitsorganisation findet in der „École Freinet“ vor allem durch die Arbeits-

pläne statt, die von jedem Kind erstellt werden.

Mit dieser selbstorganisierten Arbeit werden die Schüler schon in der Vorschule

vertraut gemacht. Dort wählen die Schüler täglich aus 20 Aktivitäten diejenigen

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 74

aus, die sie am liebsten erledigen wollen. Die zu wählenden Arbeiten gliedern sich

in die drei Bereiche handwerklich-künstlerische Arbeiten, in Arbeiten, die auf die

Grundschule vorbereiten und in Spielaktivitäten. Zur ersten Gruppe gehören Ma-

lerei, Zeichnen, Tonarbeiten, Erstellen einer Zeitung, Arbeit mit dem Computer,

Schneiden und Kleben, Bücher, Basteln, sowie Musik und Tanzen. Zur zweiten

Gruppe gehören Schreiben, Rechnen, Korrespondenz (Briefwechsel), Lesen und

Drucken und zur dritten Gruppe das Verkleiden, mit Puppen spielen, andere Spie-

le, sich mit Sand beschäftigen, Puppengeschirr und Aktivitäten mit Wasser. Diese

20 Aktivitäten sind mit dem jeweiligen passenden Symbol an einer großen Tafel

im Klassenraum der Vorschule angebracht. Unter jedem Symbol befindet sich

eine lange Spalte, in welche die Schüler eintragen können, welcher Aktivität sie

nachgehen wollen. Da die Vorschüler teilweise noch nicht schreiben können, hat

jedes Kind ein eigenes Symbol, das für seinen Namen steht (s. Abb. 25).

Abbildung 25: Tagesplan der Vorschule der „École Freinet“

Beim Eintragen achtet der Lehrer darauf, dass nicht zu viele Schüler derselben

Tätigkeit nachgehen, da jeweils nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen

vorhanden ist, wie beispielsweise die Arbeit mit dem Computer oder mit der

Druckerei. Außerdem macht der Lehrer die Schüler darauf aufmerksam, möglichst

vielfältige und unterschiedliche Aktivitäten zu wählen und nicht nur einer einzel-

nen Arbeit nachzugehen.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 75

Der nebenstehende Arbeitsplan (Abb. 26) ist für die

älteren Vorschüler vorgesehen. Dabei handelt es sich

um diejenigen Schüler, die im folgenden Schuljahr

in die Grundschule kommen. Wie man sehen kann,

ist die Anzahl der Aktivitäten stark eingegrenzt, was

bedeutet, dass die Schüler intensiver auf die Grund-

schulzeit vorbereitet werden. Diese Kinder können

zwischen Schreiben, Rechnen, Lesen, Zeichnen, Ma-

len und Töpfern wählen, wobei sie zwar immer noch

ihr altes Namenssymbol besitzen, die Arbeiten nun

mit einem Kreuz markieren. Haben sie diese Arbeit

erledigt, färben sie diese bunt ein, so dass nachvollzogen werden kann, welche

Arbeiten abgeschlossen sind und welche Arbeiten gerade gemacht werden.

In der Grundschule wird das gesamte Arbeitsleben von den Schülern selbst ge-

plant und organisiert. Jeder Schüler besitzt einen persönlichen Arbeitsplan, der

alle zwei Wochen jeweils an einem Montag erstellt wird. Die Schüler tragen dort

ihre Arbeiten ein, die sie in der vorgesehenen Zeit erledigen wollen. Sie knüpfen

an die vorhergehenden Arbeiten an, mit dem Ziel, immer weiter voranzuschreiten.

Dabei berücksichtigen sie ihre eigenen Möglichkeiten und beachten die Vereinba-

rung mit dem Lehrer, ein bestimmtes Arbeits- und Lernminimum zu bearbeiten.

Nach Angabe der Lehrer können sich die Schüler im Laufe der Zeit jedoch sehr

gut einschätzen, ob sie ihre Arbeitsplanung einhalten können oder nicht. Welche

Arbeiten auf die abgeschlossenen folgen, wissen die Schüler anhand von Heften,

in denen die zu leistende Arbeit für ein Schuljahr festgehalten ist. Für jeden Be-

reich, wie beispielsweise Rechnen und Lesen, gibt es ein Heft, in dem die Num-

mern der Arbeitskarteien, Lesehefte oder Rechenheftseiten, die von den Schülern

bearbeitet werden sollen, chronologisch geordnet sind. So können sie ohne Nach-

fragen ihre Eintragung der zu bearbeitenden Aufgaben in den Arbeitsplan vor-

nehmen. Ohne Vorgabe dagegen tragen die Schüler ihre Wahl für die Atelierar-

beiten für den Nachmittag, die Themen der „freien Texte“ und die eigenen Vor-

tragsthemen ein. Ist ein Schüler mit einer Arbeitskarte, mit seinem Text oder der

Atelierarbeit fertig geworden, markiert er das zugehörige Kästchen auf dem Plan

mit einem Textmarker bzw. notiert den Titel eines Themas in das dazugehörige

Abbildung 26: Tagesplan für die älteren Vorschüler

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 76

Feld. So sieht er genau, wie viel er bislang geschafft und wie viel er noch in der

restlichen Zeit zu tun hat. Ebenso streicht er die jeweilige Karteinummer in den

Jahresheften durch, damit auch dort eine Übersicht entsteht, wie weit er schon im

Laufe des Jahres fortgeschritten ist. Während dieser zwei Wochen ist es dem

Schüler freigestellt, in welcher Reihenfolge und in welcher Geschwindigkeit er

die Arbeiten erledigt. So arbeiten die Schüler zur selben Zeit an grundverschiede-

nen Aufgaben.

Schafft ein Schüler nicht das Minimum der vereinbarten Arbeitsmenge oder gibt

er sich keine Mühe, so hat das negative Folgen für die spätere Leistungsbewer-

tung.

Die Selbstbildungskarteien, die Arbeitskarteien mit Lösungsangabe, ermöglichen

es dem Schüler, nach seinem Rhythmus vorwärts zu schreiten. Da die Schüler auf

diese Weise selbständig und individuell arbeiten können, widmet sich der Lehrer

den Schwächeren, ermutigt ein langsameres Kind und hilft bei Schwierigkeiten.

Für den Grundschulbereich gibt es drei verschiedene Arbeitspläne. Diese unter-

scheiden sich in den Arbeitsanforderungen und der Anzahl der Arbeitsbereiche.

So wird beispielsweise für das erste

Grundschuljahr in der „École Frei-

net“ der nebenstehende Ar-

beitsplan (Abb. 27) eingesetzt: Er

besteht aus einer Seite mit ver-

schiedenen Rubriken für das Lesen,

Schreiben und Rechnen. Außerdem

sind Felder für die Computerarbeit,

angehörte Vorträge und Atelierar-

beit vorgesehen. Zum besseren

Verständnis der Rubriken sind

jeweils passende Symbole dafür

angeführt.

Im unteren Bereich ist die Tabelle

für die individuelle Leistungskurve

abgedruckt. Abbildung 27: Arbeitsplan der 1. Klasse

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 77

Die Arbeitspläne für das zweite bis fünfte Grundschuljahr weisen einige Unter-

schiede zu denen der Erstklässler auf. Die Bildsymbole sind weg- und einige Ar-

beitskategorien ausgelassen, wobei einige neue gemäß dem schulischen Fort-

schritt hinzugenommen sind. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist die zweite

Seite des Arbeitsplans, die nur bei den Schülern der zweiten bis fünften Klasse

vorhanden ist. Diese Seite dient zur differenzierteren Beurteilung des Arbeitsver-

haltens und wird im nächsten Kapitel näher erläutert.

3.1.1.4 Alternative Leistungsbeurteilung

Die Leistungsbeurteilung findet im Grundschulbereich der „École Freinet“ vor-

dergründig anhand der individuellen Leistungskurve (graphique personnel) statt,

die sich auf dem unteren Bereich eines jeden Arbeitsplans befindet (s. Abb. 27).

Alle zwei Wochen, wenn ein neuer Arbeitsplan verteilt wird, erstellt der Schüler

in Eigenbewertung zusammen mit dem Lehrer die individuelle Leistungskurve.

Kooperativ wird analysiert, ob die im Arbeitsplan festgesteckten Ziele erreicht

werden konnten, wie die Qualität der Arbeit aussieht, ob sich der Schüler ange-

strengt hat, ob Fortschritte zu verzeichnen sind und wie das soziale Verhalten des

Schülers innerhalb der Schule war. Die Bewertung in der Leistungskurve stellt für

den Schüler den Ausgangspunkt für sein weiteres Lernen dar.

Die Tabelle der Bewertungsgraphik (s. Abb. 28) des ersten Schuljahrs sieht fol-

gendermaßen aus:

Abbildung 28: Bewertungsgraphik zur Erstellung der individuellen Leitungskurve

Anhand dieser Tabelle werden spaltenweise die Kategorien des Arbeits- und So-

zialverhaltens und die Arbeitsbereiche angeführt. Zeilenweise sind dort die Be-

wertungskriterien „très bien“ (sehr gut), „bien“ (gut), „moyen“ (durchschnittlich)

und „insuffisant“ (ungenügend) angegeben. Ziffernnoten gibt es nicht.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 78

Prinzipiell ist die Tabelle der Bewertungsgraphik, die zur Erstellung der individu-

ellen Leistungskurve dient, in allen Jahrgängen ähnlich aufgebaut. Die „École

Freinet“ unterscheidet jedoch, wie beim Arbeitsplan, zwischen ersten, zweiten

und dritten bis fünften Jahrgang. Die zu beurteilenden Tätigkeiten entsprechen

dabei den Kategorien des Arbeitsplans.

Der Lehrer nimmt in der Graphik zu jedem Arbeitsbereich eine Markierung vor,

die im Anschluss jeweils miteinander verbunden werden. Die so entstehende

„Leistungskurve“ gibt an, ob sich ein Schüler im oberen Leistungsbereich befin-

det, im mittleren, oder im unteren. Zur bessern Übersicht ist zwischen den Bewer-

tungskriterien „gut“ und „durchschnittlich“ ein dicker Balken gezogen. So kann

der Schüler auf einen Blick erkennen, auf welchem Leistungsstand er sich befin-

det und seine Leistungskurve mit denen der Vorwochen oder mit der seiner Mit-

schüler vergleichen. Die Schüler des dritten bis fünften Jahrgangs ermitteln noch

zusätzlich die Anzahl der bewerteten Arbeitsbereiche, die sich im oberen, im mitt-

leren und im unteren Bereich der Tabelle befinden und die neben der Leistungs-

kurve in entsprechende Felder einzutragen sind.

Wie bereits erwähnt, haben die Schü-

ler des zweiten bis fünften Jahrgangs

noch eine zweite Arbeitsplanseite,

auf der ihr Verhalten auf dem oberen

Teil des Bogens differenzierter beur-

teilt wird („Les critères AUTONO-

MIE“). Auf dem unteren Teil hat der

Schüler Anmerkungen zu seinem

Arbeitsplan zu machen, danach die

Lehrerin und die Eltern (s. Abb. 29).

Abbildung 29: Bewertungsgraphik der Autonomie der Schüler des 2.-5. Schuljahrs

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 79

3.1.1.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten

In der „École Freinet“ gibt es vielfältige Arbeitsformen, die über den ganzen Tag

verteilt sind. Während die Schüler nachmittags den bereits in Kap 3.1.1.1 „Die

Arbeitsateliers“ beschriebenen Atelierarbeiten nachgehen, findet vormittags die

Bearbeitung der übrigen Kategorien des Arbeitsplans statt, die fast alle schuli-

schen Techniken nach Freinet abdecken.

Der freie Ausdruck des Wortes und der freie Ausdruck im künstlerischen Bereich

spielen in der „École Freinet“ eine zentrale

Rolle. Aus diesem Grund dürfen die Schü-

ler täglich, meist in den Morgenstunden,

„freie Texte“ verfassen. Das sind Ge-

schichten, deren Länge und Inhalt die

Schüler selbst bestimmen können und die

anschließend von den Verfassern der Klas-

sengemeinschaft vorgetragen werden

(s. Abb. 30). Ausgewählte Texte eines oder mehrerer Kinder werden zusammen

mit allen Schülern und dem Lehrer besprochen und gegebenenfalls umgeändert.

Jeden Tag wird außerdem ein Text eines Kindes von der Klassengemeinschaft

zum „texte du jour“ (Text des Tages) gewählt. Als ich die „École Freinet“ besuch-

te, hat eine Zweitklässlerin einen solchen Text vorgetragen. Zusammen mit den

Mitschülern und der Lehrerin wurden einige Textstellen für eine Endfassung von

dem Original übernommen, andere umgeändert und verbessert. Im Anschluss dar-

an haben einige andere Schüler abwechselnd diese Endfassung des Textes Satz für

Satz an die Tafel geschrieben und gemeinschaftlich vorgelesen. Auf diese Weise

konnte eine Schülerin ihren Text präsentieren, sowie alle anderen Schüler ihre

Rechtschreibung und das Lesen üben.

Als der Text an der Tafel fertig gestellt

war, gab die Schülerin diesen in den Com-

puter ein (s. Abb. 31). Der nächste, darauf

folgende Arbeitsschritt war das Hinzufü-

gen einer passenden Zeichnung. Dann er-

hielten alle Schüler eine Kopie, die sie in

ihr Geschichtenheft klebten. Anschließend Abbildung 31: Computerarbeit

Abbildung 30: Präsentation der „freien Texte“

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 80

wurden mit diesen Texten, je nach Jahrgang, unterschiedliche grammatische Ü-

bungen zusammen mit dem Lehrer vorgenommen.

Während in der Vergangenheit die Texte mit der Druckerpresse gedruckt wurden,

werden sie heute in der Grundschule digital bearbeitet. Die Schüler der Vorschule

arbeiten aber heute jedoch immer noch mit der Druckerpresse. Die „freien Texte“,

die in der gemeinschaftlichen Arbeit mit Hilfe des Vorschullehrers entstehen,

werden von jedem Vorschüler gedruckt. Das bedeutet, dass die Schüler Buchstabe

für Buchstabe zusammensetzen, um mit ihnen, sowie mit deren Zusammenset-

zung zu einzelnen Wörtern und Sätzen, vertraut gemacht werden (s. Abb. 32).

Abbildung 32: Vorschüler beim Drucken

Neben den „freien Texten“ dürfen die Schüler auch täglich dem künstlerischen

Bereich des Zeichnens nachgehen, welches vor allem in der Atelierarbeitszeit und

vormittags stattfindet, wenn bereits geschrieben, gelesen und gerechnet wurde.

Die Schüler malen sowohl Bilder zu ihren „freien Texten“, als auch unabhängige

davon. Die Bilder werden am Ende des Tages zusammen in der Klassengemein-

schaft präsentiert. Wie bereits erwähnt, üben die Schüler ihre Präsentation ihrer

Bilder bereits in der Vorschule (vgl. Abb. 33 und 34).

Abbildung 33: Präsentation der Bilder in der Abbildung 34: Präsentation der Bilder in der Vorschule Grundschule

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 81

Die Arbeitsergebnisse der „freien Texte“ und der Bilder finden aber nicht nur in-

nerhalb der Klassengemeinschaft Beachtung, sondern auch innerhalb und außer-

halb der Schulgemeinschaft. Veröffentlicht werden die Texte und Bilder zum ei-

nen durch den Korrespondenzaustausch einzelner Klassen der „École Freinet“ mit

Partnerklassen aus Frankreich und dem Ausland. Zurzeit findet jedoch kein Kor-

respondenzaustausch statt. Die Veröffentlichung eigener Texte wird aber zum

anderen durch die Schulzeitung „Les Pionniers“ (die Pioniere) vorgenommen.

Dabei handelt es sich vor allem um die gewählten „textes du jour“ (Texte des Ta-

ges). An der Schulzeitung arbeiten die Schüler des Grundschulbereichs aktiv mit.

Die Schüler lernen, den Text mit dem Computer zu bearbeiten, die Geschichten

zusammenzusetzen und Bilder oder Fotos beizufügen.

Die Schüler der „École Freinet“ benutzen die Arbeitsmaterialien des I.C.E.M.,

den ehemaligen Materialien des C.E.L. Dabei handelt es sich um Arbeitskarteien

der verschiedenen Fächer, die nach Themen geordnet in speziellen Mappen zu

finden sind mit den dazugehörigen Lösungskarten zur Selbstkorrektur. Ebenso

arbeiten die Schüler mit kleinen Heftchen, in denen Geschichten abgedruckt sind

und die am Ende mit zu beantwortenden Fragen versehen sind. Diese Materialien

werden kollektiv von den Schülern genutzt und je nach Bedarf aus den Regalen

des Klassenraums geholt (s. Abb. 35 und 36). In der Mathematik üben die Schüler

jedoch mit eigenen Arbeitsheften anderer Schulbuchverlage. Außerdem sind Ma-

terialien für Experimente und Forschungen vorhanden und eine Klassenbücherei.

Abbildung 35: Verschiedene Geschichten- Abbildung 36: Mappen mit Arbeitskartei- heftchen en

3.1.1.6 Zusammenfassung

Abschließend kann ich sagen, dass die knapp einwöchige Hospitation ein wirkli-

ches Erlebnis für mich war und sich mehr als gelohnt hat. Beeindruckt war ich

insbesondere von der Lern- und Arbeitsmotivation der Schüler, die über den gan-

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 82

zen Tag bis 17.00 Uhr angehalten hat. Vor allem der Tagesablauf in der Schule

ließ erkennen, dass die Lehrerinnen dazu fähig waren, schulische Aktivitäten

sinnvoll zu strukturieren und zu organisieren. Außerdem war das Verhalten der

Schüler im Umgang untereinander sehr sozial und verträglich. Der Ruf des fran-

zösischen Schulsystems, Druck und Drill auszuüben, hat sich nach meinem Ein-

druck nicht bestätigt. Die Lehrerinnen nahmen zwar konsequent ihre Aufgabe

wahr, individuelle Lernpläne mit den Schülern zu erstellen, zu überprüfen und zu

beurteilen. Ich konnte aber nicht beobachten, dass dieses als Druck empfunden

wurde und für die Schüler motivationshemmend war. Im Gegenteil, das gut struk-

turierte und konsequente Anwenden der Freinet-Techniken bietet den Schülern

dort vielfältige Lern- und Arbeitsmöglichkeiten.

Besonders hat mir auch die Hospitation in der Vorschule gefallen. Dort konnte ich

erfahren, wie sinnvoll eine frühzeitige Ausrichtung auf die Freinet-Pädagogik sein

kann. Erstaunt war ich über die Offenheit der Kinder untereinander in den Ver-

sammlungen, in denen beispielsweise Probleme geklärt wurden. Ich konnte dabei

beobachten, dass es den Vorschulkindern teilweise nicht leicht gefallen ist, eine

Beschwerde offen kundzutun. Aber in der Gemeinschaft haben sie den offenen

Umgang miteinander gelernt. Auch die Präsentation der Arbeitsergebnisse und

das freie Einteilen der schulischen Aktivitäten über den Tag hinaus haben die

Kinder erstaunlicherweise perfekt gemeistert. Diese vorschulische Praxis ist eine

hervorragende Grundlage für den weiteren Verlauf in der Grundschule.

Diese Aspekte spielen natürlich eine große Rolle für den schulischen Erfolg der

Kinder. Aber an dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die Arbeitshaltung der

Schüler und das erfolgreiche Lernen auch unter einem anderen Blickwinkel zu

betrachten ist. In der allgemeinen Beschreibung der Schule habe ich erwähnt, dass

der Andrang auf die wenigen Schulplätze sehr groß ist. Die Lehrerinnen haben

also die Möglichkeit, aus einem großen Angebot an Schülern zu wählen. Bevor-

zugt eingeschult werden diejenigen Kinder, bei denen die pädagogische Motivati-

on und Einstellung der Eltern mit den Vorstellungen der Schule übereinstimmen.

Ich habe festgestellt, dass die Eltern aktiv am Schulgeschehen mitarbeiten und

ihre Kinder bestmöglich unterstützen. Daher habe ich auch wohl nicht die „Prob-

lemkinder“ oder „Problemeltern“ kennengelernt. Diese Einstellung der Schule

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 83

trägt vermutlich auch dazu bei, warum der Eindruck entsteht, man sei in einer

„Bilderbuchklasse“, in der alles perfekt „funktioniert“.

Aber dennoch ist die Schulatmosphäre einzigartig. Beim Lesen von Freinets spä-

teren Werken, in denen er den Schulalltag aufgrund seiner Erfahrungen be-

schreibt, hatte ich die von mir erlebten Geschehnisse in der „École Freinet“ in

Vence immer vor Augen. Ich habe den Eindruck, dass die ausgeglichene und

harmonische Arbeitsatmosphäre immer noch dieselbe geblieben ist, wie Freinet

sie schon damals beschrieben hat.

3.2 Die „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

3.2.1 Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik

Anfang der 80er Jahre wollte die Schulaufsicht bei der Bezirksregierung Köln ein

Projekt beginnen, in jedem Kölner Stadtteil eine Montessori-, Jenaplan- und Frei-

net- Modellschule (Angebotsschule) zu gründen. Doch dieses Projekt konnte sich

nicht durchsetzen, weil die Stadt verpflichtet gewesen wäre, jedem von außerhalb

kommenden Schüler, Fahrgeld zu zahlen. Obwohl dieses Projekt letztlich schei-

terte, konnte 1983 trotzdem die „Célestin-Freinet-Schule“ in der Dagobertstraße

eröffnet werden, die 1990 diesen Namen offiziell erhielt (s. Abb. 37).

Abbildung 37: „Célstin-Freinet-Schule“ in Köln – Frontseite

Der Schulbezirk der „Célestin-Freinet-Schule“, der hinter dem Hauptbahnhof

zwischen Eigelstein und dem Rhein gelegen ist, umfasst die nördliche Kölner Alt-

stadt mit mehreren Vierteln.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 84

Die Schule ist in der ersten Etage eines großen Ge-

bäudes untergebracht (s. Abb. 38), in dem sich im

Erdgeschoss die „Realschule am Rhein“ sowie im

Obergeschoss die „Abendrealschule“, ein Weiterbil-

dungskolleg, befindet. Die Räumlichkeiten in der

ersten Etage bieten aber auch genügend Platz für die

ca. 110 Schüler. Die geringe Schülerstärke ergibt sich

daraus, dass in dem großen Schulbezirk nur wenige

Wohngebiete sind. Die 110 Schüler verteilen sich auf

die vier jahrgangsübergreifenden Klassen, nämlich

die Adler, Bären, Wale und Delfine (vgl. ONLINE-DOKUMENT 2). In den Pau-

sen haben die Schüler Gelegenheit, nach draußen zu gehen. Dabei befindet sich

der Schulhof in einem für die Stadt typisch asphaltierten Hinterhof. Auf diesem

sind Spielgeräte, ein Klettergerüst, Tischtennisplatten und ein Sandkasten zu fin-

den (s. Abb. 39 und 40).

Abbildung 39: Schulhof Abbildung 40: Schulhof

Ein Bezug zur Natur ist durch einen eigenen kleinen Schulgarten hergestellt, der

auf der Vorderseite der Schule neben dem Haupteingang angelegt ist (s. Abb. 45,

S. 87).

Das soziale Umfeld des Schulbezirks ist sehr gemischt und der dortige hohe Aus-

länderanteil macht sich mit 60% auch in der Schule bemerkbar. Bis zu vierzehn

verschiedene Sprachen sind in der Schule vertreten. Aus diesem Grund ist der

Förderbedarf sehr hoch, der vor allem im ersten Schuljahr durch intensive lebens-

nahe Kommunikation untereinander, durch die stundenweise Mitarbeit einer In-

tegrationslehrerin in der Klasse und durch Fördergruppen oder Einzelförderung

außerhalb der Klasse kompensiert wird. Die Förderung der Sprachkompetenz wird

Abbildung 38: Erste Etage der „Célestin-Freinet-Schule“

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 85

im zweiten und dritten Schuljahr je nach Bedarf fortgesetzt, um den Schülern eine

effektive Teilnahme am Klassengeschehen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite

wird durch das pädagogische Konzept des freien und individuellen Lernens die

kulturelle Identität der Schüler nicht unterdrückt, sondern kann gewahrt bleiben

(vgl. ANHANG 2, Abschnitt 2.6). Aber auch Schüler mit sonderpädagogischem

Förderbedarf im Bereich Lernen, Entwicklung und Sprachbehinderung erhalten

entsprechende Förderangebote. Diese finden entweder im Klassenverband, in

Kleingruppen oder als Einzelförderung statt (vgl. ANHANG 2, Abschnitt 2.5).

Die „Célestin-Freinet-Schule“ bietet verlässliche Unterrichtszeiten an. Unter-

richtsbeginn ist für alle Schüler um 8.15 Uhr und endet für das erste Schuljahr

frühestens um 12.00 Uhr, für das zweite Schuljahr um 13.00 Uhr und für das drit-

te und vierte Schuljahr um 13.55 Uhr. Für alle Schulklassen wurde der 45 Minu-

ten-Takt abgeschafft zugunsten eines rhythmischen Tagesablaufs anhand eines

Wochenstrukturplans. So bleiben alle Schüler einer jahrgangsübergreifenden

Klasse bis 12.00 Uhr in einer festen Lerngruppe (vgl. ANHANG 2, Abschnitt

2.1). Außerdem bietet die Schule gegen ein geringes Entgelt eine Ganztages-

betreuung bis 16.00 Uhr an. Diese umschließt auf Wunsch ein warmes Mittages-

sen, außerschulische Aktivitäten, wie Sport, Tanz, Forschen und Spiele sowie eine

Hausaufgabenbetreuung durch Gruppenleiter (vgl. ONLINE-DOKUMENT 3).

3.2.1.1 Die Arbeitsateliers

Die „Célestin-Freinet-Schule“ bezeichnet die in jedem Klassenraum eingerichte-

ten Arbeitsecken als Ateliers, die nicht namentlich benannt werden, wie z.B. Mal-

atelier oder Musikatelier. Es gibt darüber hinaus keine weiteren oder speziellen

Räume im Innenbereich der Schule, die explizit für die Atelierarbeit genutzt wer-

den.

Jeden Mittwoch, von 10.20 Uhr bis 11.55 Uhr, haben die Schüler die Möglichkeit,

speziell der Atelierarbeit und Erkundungen nachzugehen. Dabei können sie Art

und Inhalt ihrer Tätigkeiten und Aktivitäten selbst bestimmen. Die vorbereitete

Lern- und Arbeitsumgebung in den Arbeitsecken ermöglicht es ihnen, aktiv, selb-

ständig und selbsttätig zu arbeiten. So können sie je nach Interesse in Einzelarbeit

oder zusammen in der Gruppe an einem Thema forschen, Experimente machen,

Texte schreiben, Vorträge vorbereiten und Aufgaben lösen. Dazu steht ihnen viel-

fältiges Lern- und Arbeitsmaterial zur Verfügung (s. Abb. 41 und 42).

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 86

Abbildung 41: Schüler in den Arbeitsecken Abbildung 42: Partnerarbeit

Neben den klassischen Schulbüchern können die Kinder auch auf Karteien, eine

eigene Bibliothek, Mal-, Bastel-, Handwerks- und Experimentiermaterialien, Mu-

sikinstrumente und den Computer zurückgreifen (s. Abb. 43). Aber auch mit Ma-

terial, das Kinder selbst mitgebracht haben, kann gearbeitet werden (vgl. AN-

HANG KÖLN, Abschnitt 1.12). Das Arbeitsergebnis stellt jedes Kind oder jede

Gruppe den Mitschülern vor, indem darüber berichtet und ihr Produkt gegebenen-

falls vorgeführt wird (vgl. ONLINE-DOKUMENT 4).

Abbildung 43: Experimentiermaterial Abbildung 44: Gruppenarbeit mit Lehrerin

Neben der „freien Arbeit“ in den Arbeitsecken innerhalb des Klassenraums finden

noch weitere praktische Aktivitäten mit „Atelier-Charakter“ statt. Jeden Dienstag

sind für die Zeit von 10.20 Uhr bis 11.55 Uhr das „freie Forschen“ und das Er-

kunden für alle Schüler vorgesehen. In kleinen Gruppen oder in Partnerarbeit for-

schen die Schüler zu vorher selbst festgelegten Themen, experimentieren und füh-

ren Untersuchungen durch. Hierfür stehen den Schülern vor allem die Arbeits-

ecken zur Verfügung (s. Abb. 44). Es können aber auch Untersuchungen und Er-

kundungen auf dem Schulgelände in eigenverantwortlicher Arbeit durchgeführt

werden. Gemeinschaftlich im Klassenverband geht es bei den Klassenprojekten

und Klassenerkundungen zu, über deren Inhalt zuvor aus mehreren Vorschlägen

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 87

in der Klassenversammlung abgestimmt wurde. Während die Schüler in einer ers-

ten Arbeitsphase mit dem Thema und den Möglichkeiten vertraut gemacht wer-

den, können in einer zweiten Arbeitsphase einzelne Schüler oder kleine Gruppen

Teilaufgaben bearbeiten. Dazu benötigen sie die Arbeitsmaterialien, Werkzeuge

und Informationsquellen aus den Arbeitsecken. Einige Erkundungen finden auch

im außerschulischen Umfeld statt. Gemeinsam verlässt die Klasse dann mit dem

Lehrer das Schulgelände, um die nähere Umgebung, wie den nahe gelegenen

Rhein oder die Stadtmauer, zu erkunden. Am Ende eines Projekts werden in einer

dritten Arbeitsphase die Ergebnisse der gesamten Klassengemeinschaft vorge-

stellt, erklärt und anschließend gewürdigt (vgl. ANHANG 2, Abschnitt 1.13).

Außerhalb des Schulgebäudes befindet

sich ein weiteres Atelier, der bereits er-

wähnte kleine Schulgarten. Dort kön-

nen die Schüler in Kleingruppen und je

nach Jahreszeit Gemüse, Obst und

Blumen anpflanzen und ernten. Dieser

kleine Garten bietet den Stadtkindern

die Möglichkeit, mit der Natur in Be-

rührung zu kommen (s. Abb. 45).

3.2.1.2 Die Schülermitverantwortung

Die kooperative Klassengemeinschaft, welche die Arbeits- und sozialen Bezie-

hungen strukturiert und ordnet, steht in der „Célestin-Freinet-Schule“ an oberster

Stelle. Es soll ein harmonisches Lern- und Arbeitsklima entstehen, in dem nicht

zwischen guten und schlechten Schülern unterschieden wird und ein Konkurrenz-

kampf mit Hinterlistigkeiten vermieden werden soll. Stattdessen soll ein Gemein-

schaftssinn entwickelt werden, in dem jeder Schüler die gleichen Rechte besitzt

und von jedem geachtet wird. Auch der Lehrer ist nicht mehr die Autorität, son-

dern Teil der Klassenkooperative, indem er helfend, beratend und organisierend

die Arbeitsvorhaben der Schüler unterstützt (vgl. ANHANG 2, Abschnitt 1).

Die Klassenversammlung, als wichtigstes Klassenorgan zur Überprüfung des Ver-

haltens der Mitschüler untereinander, findet jeden Freitag in der Zeit von 10.20

Uhr bis 11.55 Uhr statt. Dort dürfen die Schüler offen ihre Meinung äußern, kriti-

sieren und einander loben. Die Schüler versammeln sich in einem Kreis, wobei

Abbildung 45: Der Schulgarten

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 88

der Klassensprecher die Leitung der Versammlung übernimmt. Grundlage für die

Klassenversammlung stellt neben dem „Grünen Blatt“, welches das Arbeits- und

Sozialverhalten eines jeden Schülers festhält, vor allem die Wandzeitung dar.

Hierfür wird eine Pinnwand benutzt mit den Überschriften „Vorschläge/Ideen“,

„Ich klage an … (mich hat gestört, ich fand nicht gut)“, „Das fand ich gut …“

(s. Abb. 46).

Abbildung 46: Wandzeitung der Bärenklasse

Während einer Schulwoche schreiben die Schüler ihre Vorschläge, Kritikpunkte

und ihr Lob auf kleine Zettel und heften sie anschließend unter die jeweiligen

Punkte der Wandzeitung.

Freitags werden die gesammel-

ten Punkte in der Klassenver-

sammlung besprochen (s. Abb.

47). In dieser offenen Ge-

sprächsrunde erfahren die

Schüler zwar Kritik, jedoch

lernen sie Konflikte unterein-

ander zu regeln. Sie erkennen,

wie diese zu vermeiden sind

und können gemeinsam nach einer für alle passende Lösung suchen. In der Klas-

senversammlung wird neben der Verhaltensüberprüfung auch die Arbeit einer

Schulwoche kritisch reflektiert und ausgewertet. Es werden Vorschläge und Vor-

haben für die kommende Woche besprochen, Projekte geplant, die Ämter für die

Schüler neu bestimmt und das „Grüne Blatt“ zum Ausfüllen verteilt. Die Be-

schlüsse werden in das Klassentagebuch geschrieben. Jeden ersten Freitag im

Monat findet die Schulversammlung statt, in der alle Schüler der Schulgemein-

schaft die Arbeitsergebnisse der letzten Zeit vorstellen (vgl. ebd.).

Die Schüler sollen in der „Célestin-Freinet-Schule“ lernen, mit der konstruktiven

Kritik ihrer Mitschüler umzugehen und für ihre Arbeiten verantwortlich zu sein.

Abbildung 47: Die Klassenversammlung

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 89

Aus diesem Grund werden die Ergebnisse der Nachforschungen und der Atelier-

arbeit der ganzen Klasse im Sitzkreis präsentiert. Es werden aber auch Geschich-

ten und Bilder in der kooperativen Klassengemeinschaft besprochen. Jeden Don-

nerstagvormittag findet der Geschichtenkreis statt. Dort lesen die Schüler ihre

während der Woche angefertigten Texte und Geschichten den Mitschülern vor.

Mit Hilfe der Gruppe werden die Texte inhaltlich besprochen und bearbeitet. So

können die Schüler im Anschluss die Fehler in Partnerarbeit korrigieren und diese

in ihre eigene Geschichtenmappe heften (vgl. ONLINE-DOKUMENT 4).

3.2.1.3 Die Arbeitspläne

Montags morgens erhält jeder Schüler vom Lehrer im Erzählkreis seinen eigenen

Arbeitsplan, der für jeweils eine Woche gültig ist. Darin werden sowohl die vor-

gesehenen Pflichtaufgaben, als auch die frei wählbaren Aktivitäten eingetragen.

Auf diese Weise sollen die Schüler frühzeitig lernen, selbstorganisiert und selb-

ständig ihre Arbeit zu planen und zu kontrollieren. Somit unterscheidet sich der

Arbeitsplan deutlich von einem Wochenplan, in dem der Lehrer ausschließlich die

zu bearbeitenden Aufgaben vorgibt. Das Recht der eigenen Einteilung der Ar-

beitszeit und der Arbeitsweise ist den Schülern dabei selbst vorbehalten. Somit

arbeiten alle Schüler, insbesondere während der „Stillen Arbeit“, selten an dersel-

ben Sache, außer wenn es sich um eine Gruppenarbeit handelt. Am Ende der Wo-

che haben die Eltern den Plan einzusehen und zu unterschreiben. Dieser wird am

darauf folgenden Montag dem Lehrer wieder mitgebracht (vgl. ANHANG 2, Ab-

schnitt 1.10).

Die Anforderungsbereiche der Arbeitspläne unterscheiden sich je nach Schuljahr.

In den ersten beiden Schuljahren ist der Arbeitsplan in die Arbeitskategorien Le-

sen, Schreiben und Rechnen eingeteilt. Diese Kategorien sind jeweils weiter diffe-

renziert und die Arbeiten jeden Tag auszuführen. Dabei handelt es sich in erster

Linie um die Aufgaben, die in der „Stillen Arbeit“ erledigt werden. Dagegen wer-

den die Aktivitäten des Vormittags, an dem die Schüler der „freien Arbeit“ in den

Arbeitsecken und dem Forschen nachgehen, zunächst nicht in den Arbeitsplan

eingetragen, damit sich die Schüler zunächst nicht überfordert fühlen.

Das dritte und vierte Schuljahr besitzt einen kompakteren Arbeitsplan

(s. Abb. 48). Besonders hervorzuheben ist, dass in diesem Arbeitsplan u. a. neben

den Pflichtaufgaben der Fächer Deutsch und Mathematik, auch die Wahlaufgaben

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 90

und die Aktivitäten des Vormittags eingetragen werden müssen. Das sind entwe-

der die Nummern der Arbeitskarteien, die Schulbuchseiten oder das Thema eines

zu bearbeitenden Gebietes, z. B. die Kategorie „Ich schreibe eine Geschichte mit

dem Thema“. Im unteren Bereich des Arbeitsplans ist außerdem eine Tabelle zur

Selbsteinschätzung des eigenen Verhaltens abgedruckt.

Abbildung 48: Arbeitsplan für Schüler der dritten Klasse

3.2.1.4 Alternative Leistungsbeurteilung

Eine herkömmliche Leistungsbewertung anhand einer ausschließlichen Notenver-

gabe durch den Lehrer erfolgt in der „Célestin-Freinet-Schule“ nicht. Es gibt in

den ersten drei Jahrgangsstufen weder Zensuren noch Klassenarbeiten (vgl. ON-

LINE-DOKUMENT 5). Dagegen werden die Arbeitsergebnisse und das Verhal-

ten der Schüler wöchentlich, vor jeden Ferien und am Ende des Schulhalbjahres

anhand eines Beurteilungsbogens bewertet.

Bei der wöchentlichen Beurteilung prüft der Schüler in Zusammenarbeit mit dem

Lehrer, auf welche Art und Weise er diejenigen Arbeiten eingehalten hat, die zu-

vor in den Wochenplan eingetragen wurden. Dieser Beurteilungsbogen wird in

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 91

der „Célestin-Freinet-Schule“ als das „Grüne Blatt“ bezeichnet (vgl. ANHANG

KÖLN, Abschnitt 1.1).

Das „Grüne Blatt“ der Schüler der dritten

und vierten Klasse (s. Abb. 49) ist in drei

Kategorien eingeteilt. In dem oberen Teil des

Bogens macht der Schüler unter der Rubrik

„Das habe ich geschafft“ Angaben zu seinen

Arbeitsergebnissen der einzelnen Fächer.

Anhand von Symbolen für jede Arbeitstätig-

keit wird dem Schüler sein Eintrag erleich-

tert. Die Beurteilung bezieht sich dabei auf

folgende Tätigkeiten: Malen, Schreiben,

Geschichten verfassen, mit dem Computer

arbeiten, Lesen, Lesen lernen, das Arbeiten

im Mathe-Übungsheft und mit dem Mathe-

Arbeitsblatt und das Üben im Zahlenheft. Der Eintrag bezieht sich dabei auf die

zu Ende geführten Arbeiten einer Schulwoche. Somit erhalten die Schüler einen

guten Überblick, ob sie das Arbeitspensum der Arbeitspläne einhalten konnten.

Auf diese Weise können sie sich auch hier gut einschätzen und erkennen, ob und

wie sie ihre Arbeitsweise in der kommenden Woche ändern müssen (vgl. AN-

HANG 2, Abschnitt 1.1).

In dem mittleren Teil des Bogens macht der Schüler unter der Rubrik „Mein Ver-

halten“ Angaben zu seinem Sozial- und Arbeitsverhalten. Diese beinhalten so-

wohl den Umgang mit den Mitschülern und mit dem Arbeitsmaterial, als auch

sein eigenes Arbeits- und Lernverhalten. Auch hier ist wieder für jedes Verhal-

tensmuster ein kleines Symbol auf dem Bogen angeführt, damit sich die Schüler

in die einzelne Situation hineinversetzen können. Der Schüler hat dabei Angaben

über sein Verhalten in Kreissituationen zu machen, wobei zwischen aktiver und

passiver Mitarbeit unterschieden wird. Außerdem soll er angeben, ob er in der

Pause war und die Klassenordnung eingehalten hat, d.h. ob er aufgeräumt und auf

sein Material geachtet hat. Das Beurteilen der eigenen Arbeitsweise, ob sie ruhig

und sorgfältig war und die Beurteilung der kooperativen Arbeit mit anderen, das

die Unterstützung von Mitschülern beinhaltet, wird ebenso aufgegriffen. Zuletzt

Abbildung 49: Das „Grüne Blatt“ für Schüler der 2. bis 4. Klasse

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 92

haben die Schüler anzugeben, ob sie auch zu Hause ihre Hausaufgaben erledigt

haben.

Bei der Selbsteinschätzung können die Schüler zwischen drei Farben wählen. Ei-

ne grüne Markierung bedeutet „voll in Ordnung“, eine gelbe dagegen „es geht“

und eine rote Markierung sagt aus „es muss sehr viel besser werden“. Durch diese

Farbmarkierung erhalten die Schüler einen guten Überblick, ob ihr Verhalten den

Anforderungen entspricht oder ob sie es in der folgenden Woche ändern müssen

(vgl. ebd.).

Im unteren Teil des Bogens hat der Schüler, aber auch der Lehrer, unter der Rub-

rik „Eine besondere Arbeit“ die Möglichkeit, diejenigen Arbeiten zu vermerken,

die erwähnenswert sind und in den anderen Rubriken nicht aufgenommen werden.

Zusätzliche Bemerkungen macht nur der Lehrer, wenn er sie für nötig erachtet

(vgl. ebd.)

Für das erste Schuljahr ist eine vereinfachte Form

des „Grünen Blattes“ vorgesehen, wobei nur das

Arbeits- und Sozialverhalten eingeschätzt wird und

Bemerkungen eingetragen werden können

(s. Abb. 50). Die Beurteilung des Verhaltens ist

aber mit der oben beschriebenen Vorgehensweise

für die zweite bis vierte Klasse identisch. Die

Schüler nehmen ihre eigene Bewertung ab dem

ersten Schultag alleine vor und markieren unter den

jeweiligen Symbolen entsprechend die Farben, die

ebenfalls die Schüler der zweiten bis vierten Klasse

verwenden. Der Lehrer bewertet auch hier nur dann,

wenn er eine abweichende Meinung hat. Dabei nimmt er die Markierung in dem

vorgesehenen Kreis vor (vgl. ebd.).

Das „Grüne Blatt“ wird, wie der Arbeitsplan, von allen Schülern mit nach Hause

genommen, von den Eltern unterschrieben und am darauf folgenden Montag wie-

der zur Schule mitgebracht.

Abbildung 50: Das „Grüne Blatt für Schüler der 1. Klasse

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 93

Seit 2004 gibt es in der „Célestin-Freinet-

Schule“ neben den wöchentlichen Bilan-

zen auch Zwischenzeugnisse, welche die

Schüler des dritten und vierten Schuljahrs

vor jeden Ferien erhalten. Als Vorlage

dazu dient das bereits den Schüler bekann-

te „Grüne Blatt“, denn die Beurteilung ist

fast identisch. Zunächst nimmt der Schüler

auch hier wiederum seine Beurteilung der

Fächer und seines Verhaltens anhand der

farblichen Markierung selbständig vor. Im

Anschluss daran bewertet der Lehrer, in-

dem er das Beurteilungsfeld entsprechend

färbt (s. Abb. 51).

Am Ende des Schulhalbjahres erhalten die Schüler des ersten bis dritten Schul-

jahrs ein Gutachtenzeugnis. In der vierten Klasse dagegen werden die Schüler an

die Schulnoten herangeführt und erhalten dementsprechend ein Notenzeugnis.

3.2.1.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten

In der „Célestin-Freinet-Schule“ gibt es keinen Stundenplan, sondern einen Wo-

chenstrukturplan, der die Woche nach einem feststehenden Rhythmus in verschie-

dene Aktivitäten einteilt.

Abgesehen von montags morgens, wenn die Schüler zunächst im Erzählkreis vom

Wochenende berichten und ihren jeweiligen Arbeitsplan ausfüllen, findet täglich

in der Zeit von 8.15 Uhr bis 09.50 Uhr der erste Lernabschnitt statt, der auch zeit-

lich der längste und für die „Stille Arbeit“ vorgesehen ist. Während dieser Zeit

arbeiten die Schüler an ihren individuellen Arbeitsplänen. Das sind vor allem die

Arbeiten der Lernbereiche Mathematik, Rechtschreibung und Grammatik. Jeder

Schüler kann nach seinem eigenen Arbeitsrhythmus vorgehen und die Reihenfol-

ge der Aufgaben, sowie sein Arbeitstempo selbst bestimmen. Das wichtigste wäh-

rend dieser Zeit ist, so zu arbeiten, dass die anderen Schüler nicht gestört werden.

Freitags werden die Arbeiten kontrolliert (vgl. ANHANG 2, Abschnitt 2.1).

Nach der Großen Pause sind in dem zweiten Lernabschnitt von 10.20 Uhr bis

11.55 Uhr gemeinsame Aktivitäten vorgesehen, die, mit Ausnahme des Montags,

Abbildung 51: Bilanz zu den Ferien

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 94

täglich wechseln. Das liegt daran, dass am Montagmorgen bereits der Erzählkreis

stattfindet. Dienstags ist nach der Pause Zeit zum Forschen und es können Projek-

te durchgeführt werden. Mittwochs dagegen dürfen sich die Schüler ein Thema

frei wählen und in den Ateliers/Arbeitsecken arbeiten. Am Donnerstag findet der

Vorstellkreis der selbst verfassten Geschichten statt und freitags ist die Klassen-

versammlung vorgesehen (vgl. ebd.). Die Vormittagsaktivitäten lassen bereits

erkennen, dass die Schüler hierbei Gelegenheit haben, aktiv und frei zu arbeiten.

Dabei können sie zwischen Einzel- und Gruppenarbeit wählen. Bei Gruppenakti-

vitäten lernen die Schüler, gemeinschaftlich zu arbeiten, zu planen, zu organisie-

ren und sich abzusprechen (vgl. ONLINE-DOKUMENT 4). Auf die Vormittagak-

tivitäten wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Diese wurden bereits in

den vorherigen Kapiteln 3.2.1.2 „Die Arbeitsateliers“ und 3.2.1.3 „Die Schüler-

mitverantwortung“ erläutert.

Während der vorgeschriebenen Zeit, in der die Schüler morgens der „Stillen Ar-

beit“ nachgehen und vormittags in der zweiten Lernperiode Zeit für gemeinschaft-

liche Aktivitäten haben, gehen die Schüler der „Célestin-Freinet-Schule“ noch

folgenden weiteren Arbeitsformen nach.

Den Schülern ist es während der gesamten Woche freigestellt, „freie Texte“ zu

schreiben, nämlich immer dann, wenn sie das Bedürfnis haben, ihre momentanen

Gedanken und ihre Stimmungen in Form eines Textes zu verfassen. „Freie Texte“

sollen aus Eigeninitiative und ohne äußeren Druck entstehen. Erst dadurch können

die Schüler hier auch die Schrift und die Sprache als Werkzeuge des persönlichen

Ausdrucks erfahren. Wenn der Text fertig ist, stellen die Schüler ihn jeden Don-

nerstag im Geschichtenkreis vor. Außerdem können sie den Text weiter gestalten,

ihn beispielsweise mit dem Computer abtippen, ausdrucken und ihn dann veröf-

fentlichen (vgl. ANHANG 2, Abschnitt 1.6).

Die „freien Texte“ finden durch folgende Maßnahmen Beachtung innerhalb der

Klassen- und Schulgemeinschaft: Zum einen können die Schüler zu einem be-

stimmten Thema ein Buch erstellen, entweder in Einzelarbeit, aber auch in einer

Gruppe. Dort sind in gebundener Form verschiedene Texte und Bilder zu finden

(s. Abb. 52). Jeder Schüler kann aber auch seinen eigenen verfassten Texte aus-

drucken und ihn an die Pinnwand im Klassenraum hängen. Ausgewählte Texte,

die Texte der Woche, werden im Schulflur an einer besonders dafür vorgesehenen

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 95

Pinnwand ausgestellt, die von jedem Schüler der „Célestin-Freinet-Schule“, den

Eltern und Besuchern angesehen werden können (s. Abb. 53).

Abbildung 52: Buch eines Schülers Abbildung 53: Pinnwand mit den „Tex-

ten der Woche“

Eine weitere Veröffentlichungsmöglichkeit stellt die Klassenzeitung dar. Jede

Klasse gibt ihre eigene Zeitung heraus. Da-

bei handelt es sich um eine von den Schü-

lern zusammengestellte Sammlung ausge-

wählter Texte. Nicht nur die „freien Texte“

finden dort Platz, sondern auch Berichte

über spezielle Themen, wie z. B. die Klas-

senfahrt. Die Klassenzeitung wird auch als

„Express“ herausgegeben, der jeweils immer

nur über aktuelle Artikel des Klassenlebens

und die dazugehörigen Fotos verfügt

(s. Abb. 54). Auf diese Weise lesen auch

Schüler der anderen Klassen und die Eltern

zu Hause diese Texte und Geschichten (vgl.

ANHANG 2, Abschnitt 1.8).

Die Korrespondenz mit Partnerklassen ist für die „Célestin-Freinet-Schule“ eine

weitere wichtige Möglichkeit zur Veröffentlichung eigener Arbeiten. Zurzeit be-

steht ein Austausch mit Partnerklassen aus Schweden, Belgien und Frankreich.

Dabei werden im Wechsel „freie Texte“, die Klassenzeitung, Briefe, Kassetten,

Abbildung 54: Schülerzeitung als Ex-press

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 96

Fotos, Dokumente und Bilder verschickt. Auf diese Weise können die Partner-

klassen am Schulleben der Kölner Kinder teilhaben. Aber auch umgekehrt erfah-

ren die deutschen Schüler vom Schulalltag und vom Leben ihre Partnerschüler.

Neben der Klassenkorrespondenz hat jeder Schüler seinen eigenen Briefpartner in

der Korrespondenzklasse. Eine weitere Korrespondenzform stellt die „Natürliche

Korrespondenz“ dar. Im Comeniusprojekt „Platz für Kinder“ stehen die Schüler in

lockerer Verbindung mit Klassen aus Luxemburg und Belgien und schreiben ih-

nen je nach Zeit, Lust und Bedarf (vgl. ANHANG 2, Abschnitt 1.5).

3.2.1.6 Zusammenfassung

Die Hospitation in der „Célestin-Freinet-Schule“ hat mir gezeigt, wie eine deut-

sche Schule in einer Großstadt die Freinet-Techniken in die Praxis umsetzen kann.

Anhand meiner Beschreibungen ist zu erkennen, dass das Freinet-Konzept konse-

quent umgesetzt wurde. Die „Célestin-Freinet-Schule“ lehnt sich dabei sehr eng

an die vorgegebenen „traditionellen“ Strukturen an, abgesehen vom Computerein-

satz.

Nachhaltig beeindruckt war ich davon, wie vor allem sehr heterogene Schüler-

gruppen von dem Freinet-Konzept in dieser Schule profitieren können. Wie in der

Einleitung erwähnt, ist der Anteil ausländischer Schüler an der „Célestin-Freinet-

Schule“ sehr hoch. Die Lernvoraussetzungen und die Sprachkenntnisse sind dem-

nach sehr unterschiedlich. Ich bin überzeugt, dass es für Lehrer in „traditionellen“

Schulen sehr viel schwieriger ist, mit einer solchen unterschiedlichen Lerngruppe

umzugehen und für eine optimale Förderung der Schüler zu sorgen. Die Umset-

zung des Freinet-Konzepts hat jedoch gezeigt, wie alle Schüler in das Schulleben

integriert werden und individuell nach ihren Möglichkeiten voranschreiten kön-

nen. Aber nicht nur die Arbeitsergebnisse werden durch diese Pädagogik geför-

dert, sondern auch das Sozialverhalten der Schüler im Umgang miteinander. Her-

vorzuheben ist auch hier der sehr harmonische Schulalltag.

3.3 Die „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

3.3.1 Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik

Die „Grundschule Harmonie“ befindet sich in Eitorf, einer Gemeinde mit etwa

20.000 Einwohnern, die im südöstlichen Rheinland gelegen ist. Die Schule ist auf

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 97

einer versumpften Wiese in ländlicher Umgebung in einem Neubaugebiet erbaut

worden (s. Abb. 55) und wurde im Jahr 1995 eröffnet.

Abbildung 55: „Grundschule Harmonie“ in Eitorf - Seitenansicht

Der Schulbungalow teilt sich in zwei Trakte. Beim Betreten des Gebäudes gelangt

man zuerst in ein großes Forum, von dem aus zwei Flure verlaufen. In dem einen

Trakt befinden sich sechs Klassenräume, wobei jeweils drei Räume auf jeder Seite

angesiedelt sind. In dem anderen Trakt befinden sich drei weitere Klassenräume,

das Sekretariat, die Schulbibliothek, das Schulleiterbüro und das Lehrerzimmer.

Die Klassenzimmer haben alle eine große Fensterfront mit einem jeweiligen Aus-

gang nach draußen.

Das Schulgelände gleicht eher einem Abenteuerspielplatz als einem Schulhof.

Dieser ist mit Hilfe von Eltern und der Gemeinde entstanden. Dort sind viele

Spiel- und Entdeckungsmöglichkeiten gebaut worden, wie Balancierbalken, ein

Indianertipi, ein kleiner Teich, ein Fußballplatz, eine Feuerstelle, ein Irrgarten,

Schaukeln, eine Rutsche und vieles mehr (s. Abb. 56–58).

Abbildung 56: Schulgelände – Sitz- Abbildung 57: Schaukeln (vorne); Fußball-kreis im Freien platz (hinten)

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 98

Abbildung 58: Schulgelände – „Abenteuerspielplatz“

Die „Grundschule Harmonie“ hat ca. 220 Schüler, die sich auf die neun verschie-

denen Klassenräume verteilen. Die Klassen haben unterschiedliche Namen, so

gibt es zurzeit die „Mondscheinkinder“, die „Fledermäuse“, die „Genies“, die

„Forscher“, die „Detektive“, die „Blumenkinder“, die „Delfine“, die „Schlauen

Füchse“ und die „Harmonie-Geister“. Seit 2002 begann die Schule mit der Ein-

führung des jahrgangsübergreifendes Lernens vom ersten bis zum vierten Schul-

jahr. Zunächst nur mit einer Klasse, jedoch wurde es mit Beginn des Schuljahres

2004/05 für alle Klassen eingeführt.

Seit Schuljahresbeginn 2002/03 ist der Schulkindergarten in die Grundschule in-

tegriert. Zurückgestellte Kinder können in der Klasse der „Mondscheinkinder“ mit

anderen Schülern am Unterricht teilhaben. Dabei ist die restliche Zusammenset-

zung der Klasse mit den anderen Klassen im Vergleich des sozialen und intellek-

tuellen Niveaus vergleichbar. Der wesentliche Unterschied ist darin zu sehen, dass

neben der Klassenlehrerin auch noch die Leiterin des Schulkindergartens in der

Kernunterrichtszeit von 20 Stunden in der Woche am Schulalltag teilnimmt (vgl.

ANHANG 3).

Die Schule beginnt mit einer offenen Eingangsphase für die Schüler von 7.30 Uhr

bis 8.00 Uhr. Der Unterricht fängt um 8.00 Uhr an und dauert verbindlich für alle

bis mindestens 11.30 Uhr. Neben den schulischen Aktivitäten hat die „Grundschu-

le Harmonie“ ein großes Angebot an Arbeitsgemeinschaften für die Mittagszeit,

die die Schüler je nach Interesse wählen können (vgl. ebd.). Das besondere an den

AGs ist, dass sie nicht nur von den Lehrern angeboten werden, sondern auch von

Eltern oder den Kinder selbst. Zurzeit finden 25 verschiedene AGs statt, die sich

auf die Fünf-Tage-Woche verteilen. So gibt es die Aktivitäten wie Töpfern, Lese-

AG, Woll-AG, Mathe-AG, Fußball, Kappla, Yogi-Ooh, Garten-AG, Drucken,

Stricken, Kinderfeuerwehr, Klavier, Tischtennis für Anfänger und Fortgeschritte-

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 99

ne, Schach, Scoubidou, Einrad, Powerpoint, Theater, Kochen, Flöten, Hockey,

Zeichnen und Tanzen.

Donnerstags können die Schüler um 8.00 Uhr an einem wöchentlichen Gottes-

dienst teilnehmen. Zur gleichen Zeit wird außerdem ein Türkisch-Kurs angeboten.

Im Rahmen des Musikunterrichts findet mittwochs um 8.00 Uhr der Chor statt

(vgl. ONLINE-DOKUMENT 6).

Das Besondere an der Schule ist außerdem die Kooperation zwischen den Leh-

rern. Jeden Morgen treffen sich die Lehrer bereits um 7.15 Uhr in der Schule, um

alle schulischen und organisatorischen Belange des Tages oder der nächsten Zeit

zu besprechen. So können die einzelnen Lehrer Probleme in den Klassen in die

Lehrergemeinschaft aufnehmen und diskutieren. Praktikanten, Hospitanten und

Besucher werden in der Runde vorgestellt bzw. angekündigt. Auf diese Weise ist

jeder Lehrer auf den neusten Stand über die Schule und den einzelnen Schüler

informiert. Diese Gesprächsrunde dauert in der Regel etwa 15 Minuten, kann je-

doch je nach Bedarf auch 20 Minuten oder eine halbe Stunde dauern. Neben dem

täglichen Lehrergespräch findet jeden Montag die Lehrerkonferenz statt. Geleitet

wird die Konferenz immer im Wechsel, so dass Woche für Woche ein anderer

Lehrer Inhalt und Form bestimmt. Als ich die „Grundschule Harmonie“ besuchte,

wurde gerade das Thema „Mathematik“ besprochen. Eine Lehrerin machte auf

verschiedene Matheaufgaben aufmerksam, ließ Aufgaben im Kollegium durch-

rechnen und gab Hinweise zum Rechnen von Aufgaben im Mathematikstudium

an der Universität.

Jeder Lehrer besitzt zudem Schulleitungsaufgaben und ist folglich für ein Gebiet

der Schule verantwortlich. So ist beispielsweise ein Lehrer ist für den Schulchor

zuständig, ein anderer für die Computer, die Homepage, die Einschulung oder den

Förderverein (vgl. ANHANG 3).

3.3.1.1 Die Arbeitsateliers

Als Arbeitsateliers sind in der „Grundschule Harmonie“ verschiedene Arbeitsbe-

reiche innerhalb und außerhalb des Klassenraums sowie außerhalb des Schulge-

bäudes vorgesehen. Dort können die Schüler den unterschiedlichen Aktivitäten

nachgehen. Diese sind als Ateliers nur teilweise besonders benannt und werden im

Folgenden aufgezeigt.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 100

In den Klassenräumen befinden sich verschiedene Arbeitsbereiche, meistens gro-

ße Gemeinschaftstische, an denen die Schüler die Möglichkeit haben, den ver-

schiedenen Aktivitäten nachzugehen.

Außerdem gibt es mehrere Regale, aus

denen sich die Schüler Material für ihre

Arbeitsvorhaben entnehmen können

(s. Abb. 59).

Auffallend ist, dass jeder Klassenraum

anderes ausgestattet ist. Während es in

dem einen Klassenzimmer viele Arbeits-

ecken mit Unterrichtsmaterialien gibt,

bieten andere Klassenräume weniger Möglichkeiten an, was aber überschaubarer

wirkt. Das liegt vor allem daran, dass jeder Lehrer mit seinen Schülern die Klas-

senraumgestaltung plant und gemeinsam einrichtet (s. Abb. 60 und 61).

Abbildung 60: Lern- und Arbeitsecke mit Abbildung 61: Leseecke Materialien

Hauptatelier jeder Klasse ist jedoch das Internet zur Informationsbeschaffung.

Aus diesem Grund stehen in jedem Klassenraum den Schülern mehrere Computer

zur freien Verfügung. Dort werden Texte abgetippt, Power-Point-Präsentationen

erstellt oder das Internet genutzt. Auf den Abbildungen 62 und 63 auf der nächs-

ten Seite ist eine typische Situation am Computer zu erkennen:

Abbildung 59: Regal mit Arbeitsmaterialien

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 101

Abbildung 62: Schüler am Computer Abbildung 63: Textbearbeitung mit dem PC

In der „Grundschule Harmonie“ sind aber auch Arbeitsbereiche außerhalb des

Klassenraums eingerichtet. Nicht nur das Internet stellt eine Möglichkeit der In-

formationsbeschaffung dar, sondern auch die große Bücherei der Schule. Sie ist in

einem eigenen Raum in der Schule untergebracht und mit großen Gemeinschafts-

tischen ausgestattet, die zur individuellen Arbeit der Schüler bestimmt sind. Dort

sind hauptsächlich Sachbücher zu finden.

Ein weiteres Atelier ist Schuldruckerwerkstatt, die sich in einem separaten kleinen

Raum befindet. Dort können die Schüler ihre verfassten Texte drucken. Geleitet

wird die Druckerei zurzeit von fünf Müttern, die es ermöglichen, dass die Lehrer

in den Klassen bleiben können. Nach Bedarf werden die Schüler von den Müttern

unterstützt (s. Abb. 64 und 65).

Abbildung 64: Mutter beim Helfen Abbildung 65: Schülerin in der Druckerei in der Druckerei

Eine weitere Möglichkeit der Arbeitsmittelbeschaffung im handwerklich-

künstlerischen Bereich stellen folgende „Ateliers“ dar. Zum einen gibt es in der

„Grundschule Harmonie“ ein Werkatelier. In einem kleinen Nebenraum befindet

sich ein Schrank, aus dem Werkzeuge aller Art von den Schülern benutzt werden

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 102

können, aus Sicherheitsgründen aber nur unter Lehreraufsicht. Deshalb ist dieses

Atelier immer verschlossen, wenn kein Schüler Werkzeuge benötigt.

Für den künstlerischen Bereich gibt es ein

Atelier in Form eines Kunstwagens, der

im Forum der Schule aufgestellt ist. Es ist

eine Art „fahrbares Regal“, auf dem Pa-

pierbögen, große Farbflaschen, Pinsel

und weiteres Material für den Kunstbe-

darf deponiert ist (s. Abb. 66). Je nach

Bedarf können sich die Schüler Materia-

lien aus dem Werkatelier und von dem

Kunstwagen entnehmen und dann einen

Arbeitsbereich innerhalb oder außerhalb

des Klassenraumes wählen.

Während der Unterrichtszeit ist den Schülern in der „Grundschule Harmonie“ der

Arbeitsort freigestellt. Das gilt nicht nur für die handwerklichen Tätigkeiten, son-

dern für alle schulischen Bereiche. So arbeiten sie sowohl an den Tischen in den

Fluren, als auch im Schulleiterbüro und im Lehrerzimmer. Vor allem, wenn die

Schüler Ruhe benötigen, wird diese Möglichkeit genutzt.

Aber auch auf dem Schulgelände

dürfen sie den schulischen Aktivitä-

ten nachgehen. Dann sind auf den

Grünflächen arbeitende und lernende

Schüler zu finden, ebenso auf den

Gerüsten oder an den Tischen des

Außenbereichs (s. Abb. 67). Das war

für mich ein ungewöhnliches Bild.

Weiterhin können im Sommer Expe-

rimente gut im Freien durchgeführt werden und somit stellt der Außenbereich ein

weiteres Atelier dar, ebenso der Garten, der von Eltern betreut wird.

Für den Sommer 2006 plant die „Grundschule Harmonie“ noch weitere Ateliers

im handwerklichen und künstlerischen Bereich. Es soll zum einen ein Kunstatelier

Abbildung 66: Kunstwagen

Abbildung 67: Partnerarbeit im Freien

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 103

in einem leerstehenden Klassenraum eingerichtet werden. Es wird geplant, Ge-

meinschaftstische aufzubauen und Regale mit sämtlichen Kunstmaterialien. Zum

anderen wird ein handwerkliches Atelier außerhalb des Schulgebäudes in einem

Bauwagen entstehen, welcher der Schule geschenkt wurde. Vor allem sollen die

Schüler hier die Möglichkeit haben, Gasbetonsteine zu bearbeiten.

3.3.1.2 Die Schülermitverantwortung

Die Schülermitverantwortung ist eines der wichtigsten Gebiete der Schule, denn

das Grundverständnis der Schule fußt auf selbstbestimmte Unterrichtsformen der

Schüler. Demokratie ist innerhalb und außerhalb der Schulklasse zu finden.

Innerhalb der Klassengemeinschaft gibt

es die Klassenversammlung12 (s. Abb.

68). Diese stellt die demokratische Basis

innerhalb der Gemeinschaft dar. Mindes-

tens einmal in der Woche, oder je nach

Bedarf, treffen sich alle Schüler einer

Klasse mit dem Lehrer im Kreis zusam-

men. Es werden hier die Arbeitsorgani-

sation und Lernprozesse festgelegt, um somit ein erfolgreiches Arbeiten, sowohl

des einzelnen Schülers, als auch in der Gemeinschaft, zu ermöglichen. Die Lei-

tung der Klassenversammlung übernimmt der Präsident, ein Schüler, der vierzehn

Tage dieses Amt auszuführen hat. Er erteilt das Wort in der Reihenfolge der

Wortmeldungen der Mitschüler oder des Lehrers. Besprochen werden beispiels-

weise günstige Arbeitsmethoden, die Art und Weise der Informationsbeschaffung,

die Präsentationsart der Arbeitsergebnisse und die sich daraus ergebende Planung

für die Zukunft. In der Klassenversammlung werden auch weitere Projekte ge-

plant und organisiert. Neben der Festlegung von Absprachen und Strukturen wird

in der Klassenversammlung auch darauf geachtet, dass diese eingehalten werden.

Dabei sollen in erster Linie die Schüler selbst Vorschläge und Lösungen zu mög-

lichen Umsetzungsschwierigkeiten finden. Abschließend findet eine Abstimmung

über die festzulegenden Alternativen statt (vgl. HÖVEL; RESCH, 2005, S. 42 f.).

12 Die „Grundschule Harmonie“ nennt die Klassenversammlung „Klassenrat“, wobei beide Aus-drücke das Gleiche meinen. Aus Gründen der einheitlichen Begriffsbestimmung verwende ich weiterhin die Bezeichnung „Klassenversammlung“.

Abbildung 68: Klassenversammlung

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 104

Kooperativ werden auch die Arbeitsergebnisse im Tages- oder Wochenabschluss-

kreis besprochen. Diese Besprechung findet in der letzten halben Stunde eines

Unterrichtstages bzw. des Freitags statt. Mit der Präsentation der eigenen Arbeits-

ergebnisse wird der Schüler im Ausdruck geschult und ebenso in der Fähigkeit,

die Kreativität der Zuhörer anzuregen. Das Gelernte wird gefestigt, die Schüler

entwickeln ein Leistungsverständnis und sie erhalten durch den eigenen Vortrag

Selbstbewusstsein. Dadurch, dass die Schüler wissen, dass ihre Arbeitsergebnisse

später veröffentlicht werden, erhalten ihre Aktivitäten einen Sinn und eine kon-

krete Zielsetzung. Die Schüler erkennen, dass sie für ihre Arbeit verantwortlich

sind. Davon motiviert, wird die Arbeit bereits zu Beginn sorgsam strukturiert und

organisiert. Die Präsentationen dürfen jedoch keine Referate sein, deren Inhalte

die Referenten selbst nicht verstehen. Stattdessen sollen es kreative Beiträge sein,

beispielsweise Vorführungen, Rätsel vortragen, Fragen stellen und sie beantwor-

ten lassen, Zeigen von Bildern und Fotos, Theaterstücke und das Vorlesen von

„freien Texten“. Aus diesem Grund besitzt die Präsentation eigener Arbeitsergeb-

nisse in der „Grundschule Harmonie“ einen großen Stellenwert. Sie findet daher,

wie bereits z. T. beschrieben, regelmäßig nicht nur innerhalb der Klasse statt, son-

dern auch in der Schulversammlung, bei Schulfesten, auf dem Elternabend und in

der Öffentlichkeit, wenn die Schüler beispielsweise ein Altersheim besuchen oder

einen Gottesdienst gestalten (vgl. HAANE; u. a., 2001, S. 24).

Demokratie hat auch

außerhalb des Klassen-

raums einen großen

Stellenwert und zwar

innerhalb der Schulge-

meinschaft. Die Woche

der „Grundschule Har-

monie“ beginnt jeden

Montag mit der Mon-

tagsversammlung. Die-

se findet im Forum der

Schule statt. Jeder, der

Abbildung 69: Montagsversammlung – Schulleiter (hinten mittig) mit den Schülern

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 105

sich in der Schule aufhält, darf an der Montagversammlung teilnehmen, also alle

Schüler, Lehrer, Referendare, Praktikanten aus Schulen und Hochschulen und

Eltern (s. Abb. 69).

Der Schulleiter eröffnet die Montagsversammlung und leitet sie während des gan-

zen Verlaufs. Nachdem er alle begrüßt hat, werden alle „Geburtstagskinder“ mit

einem Geburtstagslied gratuliert. Im weiteren Verlauf dürfen sich Schüler und

Lehrer melden, um alle für die Woche relevanten Aufgaben bevorstehender Er-

eignisse vorzutragen. Das sind beispielsweise die Ankündigung von Projekten

einer Klasse, anstehende Schulfeste, Besuche, Sitzungen und Ausstellungen. Aber

auch Beschwerden, Kritik und Wünsche, die die Schulgemeinschaft betreffen,

können geäußert werden. Als ich an der Montagsversammlung teilgenommen

habe, wurde u. a. besprochen, wann die AGs des kommenden Schuljahres begin-

nen, wie ein Schüler eingehende Telefonante der Schule entgegennimmt und dass

in dieser Woche die Schulversammlung stattfindet. Sind alle relevanten Meldun-

gen vorgetragen, folgt abschließend noch die Beantwortung der „Frage der Wo-

che“, die eine Woche zuvor aufgestellt wurde (vgl. ebd.). Die „Frage der Woche“

war bei meinem Besuch „Wie alt ist die Erde?“ und „Wie alt ist das Wasser?“.

Jeder Teilnehmer, ob Schüler, Lehrer oder Besucher, kann seine Antworten abge-

ben. Der Schulleiter achtet dabei auf begründete Antworten bzw. gibt selbst Hin-

weise zum Hintergrund der Fragen. Ist diese Frage gelöst, wird eine neue „Frage

der Woche“ formuliert, wobei die Schüler und Lehrer wieder eine Woche Zeit

haben, die richtige Antwort zu finden. Bevor die Schüler wieder in die Klassen-

räume zurückgehen, werden oft noch gemeinsam Lieder gesungen.

Neben der Montagsversammlung

gibt es noch die Schulversammlung

in der „Grundschule Harmonie“, die

alle vierzehn Tage im Forum der

Schule stattfindet (s. Abb. 70). Dort

nehmen alle Schüler und Lehrer teil.

Diese dient der Vorstellung von Ar-

beitsergebnissen einzelner Schüler

oder Arbeitsgruppen. Die Schüler

entscheiden zuvor in der Klasse, welche Arbeitsergebnisse präsentiert werden.

Das ist immer unterschiedlich, so können es „freie Texte“ sein, aber auch Theater-

Abbildung 70: Schulversammlung

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 106

stücke, Projektergebnisse, Experimente, Gedichte, Lieder, Tänze, Quizfragen oder

Schattentheaterspiele. Je nach Präsentation dauert die Schulversammlung 30 bis

60 Minuten. Somit haben die Schüler Einblick in die Arbeit und die Arbeitsweise

der anderen Klassen und Schüler. Aber nicht nur Arbeitsergebnisse werden prä-

sentiert, sondern in dieser Zeit können auch Probleme, die die gesamte Schule

betreffen, ausdiskutiert werden. „Sing-Ins“, ein gemeinsames Singen und Einstu-

dieren von Liedern zu Weihnachten oder Karneval, oder längere Theaterauffüh-

rungen können ebenfalls auf dem Programm stehen (vgl. a. a. O., S. 46).

Außerdem gibt es in der „Grundschule Harmonie“ ein Kinderparlament. Jede

Klasse wählt für unbestimmte Zeit ein Mädchen und einen Jungen, die an einem

Tag der Woche in der fünften Stunde an dem Kinderparlament teilnehmen. Auf-

gabe des Parlaments ist die eigenständige Fassung von Beschlüssen bezüglich des

Schulbetriebs durch diese Schüler. Betreut werden sie durch den „Kids-Manager“,

einem aus dem Lehrerkollegium von den Kindern gewählten Lehrer. Arbeitser-

gebnisse des Kinderparlaments waren beispielsweise die Initiierung des Projekts

der Schule „Die Rechte der Kinder“ und der gemeinsame Austausch hinsichtlich

klassen- und schulinterner Probleme, deren Lösungsweg im Kinderparlament er-

arbeitet wurde (vgl. a. a. O., S. 47).

3.3.1.3 Die Arbeitspläne

Die „Grundschule Harmonie“ arbeitet nicht mit von Lehrern erstellten Wocheplä-

nen, sondern anhand anderer Organisationsformen.

Im Morgenkreis wird der Tages-

plan für jedes Kind erstellt, indem

die Schüler ihre Arbeitsabsichten

den Mitschülern und dem Lehrer

mündlich vortragen (s. Abb. 71).

Dabei können sie sich von den Au-

ßenstehenden, also entweder von

den Mitschülern oder dem Lehrer,

beraten und inspirieren lassen. Zur

Realisierung ihrer Absichten haben die Schüler freie Wahlmöglichkeiten zwi-

schen der Vorgehensweise, dem Thema eines Faches, der Organisationsform und

der Arbeitsumsetzung. Jeder kann nach seinem eigenen Lern- und Arbeitsrhyth-

Abbildung 71: Morgenkreis

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 107

mus vorgehen und sich die Reihenfolge der zu bearbeitenden Aufgaben auswäh-

len. Die Schüler lernen dabei, selbständig zu arbeiten und ihre Tätigkeiten und

Arbeitsweisen selbst zu steuern. Dabei sind sie jedoch für ihr Tun selbst verant-

wortlich. Auf diese Weise können sie mit einem demokratischen Lernprozess ver-

traut gemacht werden, der sie zu freien und selbstbewussten Persönlichkeiten er-

zieht (vgl. a. a. O., S. 44 f.).

In der Anfangszeit erhalten die Erstklässler Mindmaps zur besseren und leichteren

Strukturierung ihrer Arbeit. Diese erstellen die Schüler zusammen mit dem Leh-

rer. Dort wird festgehalten und dokumentiert, welche Arbeiten bereits erledigt

worden sind. Auf dieser Grundlage kann die nachfolgende Arbeit leichter geplant

werden. Aber auch einige wenige ältere Schüler benötigen eine Strukturierungs-

hilfe. Etwa zwei bis drei Schüler einer Klasse fertigen sich einen Stundenplan an,

in dem sie schriftlich für sich festhalten an welchem Tag der Woche sie einer be-

stimmten Arbeit nachgehen wollen.

Für Schüler mit größeren Organi-

sationsproblemen oder für Schü-

ler, die nicht arbeiten wollen,

sind individuelle Lernpläne vor-

gesehen, die in kooperativer Ar-

beit zusammen mit dem Lehrer

und den Eltern aufgestellt werden

(s. Abb. 72). Diese Lernpläne

strukturieren die Arbeit in klei-

nen Schritten. Auf diese Weise

können die Schüler lernen, ihre

Arbeit zu organisieren und haben

außerdem eine Kontrollmöglich-

keit, ob sie ihre Vorhaben tat-

sächlich einhalten können. Diese

Pläne sind aber nur so lange vor-

gesehen, bis die Schüler ohne

eine solche Hilfe auskommen (vgl. HÖVEL; RESCH, 2005, S. 44).

Abbildung 72: Beispiel eines Lernplans

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 108

Die „Grundschule Harmonie“ ist sich aber bewusst, dass für alle anderen Schüler,

die ohne Stundenplan oder Lernplan auskommen, gewisse Muster und Strukturen

der Lernanforderungen erkennbar sein müssen. Dieses wird durch eine gut funkti-

onierende Vertrauens-, Verhaltens und Beziehungsebene zwischen Lehrern, Schü-

lern und Eltern realisiert. Aufkommende Probleme werden sofort aufgegriffen und

besprochen. Umgesetzt wird dieses Ziel anhand eines konsequenten Ernstneh-

mens der Schüler durch den Lehrer und durch die Mitschüler. Dieses Ernstneh-

men bezieht sich auf die Selbständig- und Eigenständigkeit der Schüler in ihrer

Arbeitshaltung und ihrer Persönlichkeit (vgl. ANHANG 3).

Überprüft und beurteilt werden die Arbeitsvorhaben im Abschlusskreis, der am

Ende eines Tages oder am Ende einer Woche stattfindet.

3.3.1.4 Alternative Leistungsbeurteilung

Die Leistungsbeurteilung der Schüler findet in der „Grundschule Harmonie“ in

Kinder-Eltern-Sprechtagen statt. Diese lösen den herkömmlichen Elternsprechtag

ab und werden mindestens halbjährlich durchgeführt. Aber je nach Situation kann

für einzelne Familien ein solches Gespräch auch öfter stattfinden.

Grundlage für den Kinder-Eltern-Sprechtag ist der Selbsteinschätzungsbogen der

Schüler und Einschätzungsbogen der Eltern über ihre Kinder. Dieser Bogen wur-

de seit dem Schuljahr 2004/2005 neu eingeführt.

Der Selbsteinschätzungsbogen der Schüler besteht aus bis zu zwölf Seiten, auf

dem jeder Schüler zu Kategorien des Sozial- und Arbeitsverhalten und zu seinen

Arbeitsergebnissen der jeweiligen Fächer Angaben zu machen hat. So gibt es auf

dem Bogen einerseits die Verhaltenskategorien „Arbeitsverhalten“, „Verhalten in

der Gemeinschaft“ und „Präsentation“ und andererseits die Fächerkategorien

„Sachunterricht“, „Deutsch“, „Mathematik“, „Musik“, „Kunst“, „Sport“ und

„Englisch“. Jede Kategorie enthält mehrere, aber in der Anzahl unterschiedliche

Unterpunkte, zu denen sich der Schüler äußern muss. Da die Unterpunkte in den

Hauptfächern „Deutsch“, „Mathematik“ und „Englisch“ so zahlreich sind, gibt es

dort noch weitere Unterkategorien mit eigenen Untergruppierungen. Anhand der

Kategorie „Deutsch“ kann die Vorgehensweise verdeutlicht werden (s. Abb. 73).

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 109

Abbildung 73: Selbstbeurteilungsbogen – Auszug erste Seite der Kategorie „Deutsch“

Dort gibt es fünf Unterkategorien, nämlich „Schreiben lernen“, „Schreiben“,

„Rechtschreiben“, „Mündliches Sprachhandeln“ und „Lesen“. Jeder einzelnen

Unterkategorie sind Unterpunkte zugeordnet. Beim „Schreiben lernen“ sind es

sieben, wie beispielsweise „Ich kenne die Bilder und Anlaute auf dem Buchsta-

bentor“13 oder „Ich kann Selbstlaute (a, e, i, o, u) hören“.

Zu jedem Unterpunkt hat der Schüler nun eine Selbstbewertung vorzunehmen.

Dabei kann er zwischen „kann ich richtig gut“, „kann ich ein wenig“, „muss ich

noch lernen“ und „finde ich nicht wichtig“ differenzieren. In die dazugehörigen

Spalten kann der Schüler zu jedem Unterpunkt ein Kreuz machen.

Der Einschätzungsbogen für die Eltern ist fast identisch aufgebaut. Der Unter-

schied liegt in der Formulierung der Unterpunkte. Anstatt „Ich kenne die Bilder

und Anlaute im Buchstabentor“ heißt es hier „Mein Kind kennt die Bilder und

Anlaute im Buchstabentor“ (s. Abb. 74). Der Einschätzungsbogen für die Eltern

ist für die durchgehende Transparenz gedacht, nämlich dass die Eltern auf der

einen Seite die Grundanforderungen der Lehrpläne und der Schule erkennen kön-

nen und auf der anderen Seite um den Entwicklungsstand ihres Kindes wissen.

Diese Vorgehensweise ist um ein Vielfaches übersichtlicher, klarer und über-

schaubarer als die herkömmliche Notenvergabe. Die Eltern füllen den Bogen un-

13 Die „Grundschule Harmonie“ arbeitet im Anfangsunterricht nicht mit der Fibel, sondern mit einer von Jürgen Reichen entwickelten Anlauttabelle, dem „Buchstabentor“, auf die ich nicht ein-gehe.

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 110

abhängig von ihren Kindern zu Hause aus und bringen ihn zum Kinder-Eltern-

Sprechtag mit.

Abbildung 74: Einschätzungsbogen für die Eltern – Auszug erste Seite der Kategorie „ Deutsch“

Die Erfahrung an der „Grundschule Harmonie“ mit dem Selbsteinschätzungsbo-

gen hat gezeigt, dass sich mehr als 90% aller Schüler realistisch einschätzen kön-

nen, bzw. dass die Übereinstimmung zwischen Schüler und Lehrer über 90% be-

trägt. Das liegt daran, dass die Schüler selbst wissen, welche Fähigkeiten sie be-

sitzen bzw. welche sie sich noch aneignen müssen. Aus diesem Grund unter- bzw.

überschätzen sich die meisten Schüler nicht. Die Einschätzung der Eltern, also die

Übereinstimmung zwischen den Schülern und den Eltern, liegt dagegen nur bei

80%.

Die „Grundschule Harmonie“ hat sich gegen eine Notenvergabe entschieden. Ab-

gesehen von den Schülern des vierten Schuljahrs, die ein benotetes Zeugnis be-

kommen müssen, erhält das erste bis dritte Schuljahr keine Noten. Bei Bedarf

können jedoch Eltern und Schüler diese aber jederzeit erfahren. Eine solche Situa-

tion kommt aber ziemlich selten vor, da diese differenzierte Beurteilung viel ge-

nauer ist als eine einzelne Ziffernnote.

3.3.1.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten

Lernen und Arbeiten erfolgt in der „Grundschule Harmonie“ in einem bestimmten

Rhythmus, der als „Lernkompetenzspirale“ bezeichnet wird. Die Aneignung von

Fertigkeiten wird nach folgendem Ablauf umgesetzt: kooperative Planung der

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 111

Arbeitsvorhaben im morgendlichen Planungskreis, Ausführung der Vorhaben,

entweder alleine oder in einer Gruppe, und Präsentation und Dokumentation der

Arbeitsergebnisse im Abschlusskreis durch Würdigung und Reflexion. Durch die

Planung der Arbeit im Morgenkreis lernt der Schüler, sich selbst und seine Arbeit

zu organisieren. Die Informationsbeschaffung und -verarbeitung im Arbeitspro-

zess führt dazu, dass der Schüler lernt, eigenständig verschiedene Abläufe steuern

zu können (vgl. ANHANG 3).

Neben der eben erwähnten grundlegenden Aneignung von Lernkompetenzen,

werden in der „Grundschule Harmonie“ noch weitere Arbeitsformen verwirklicht.

Das ist beispielsweise Lernen im Bezug zum

Leben, d. h. es ist eingebettet in die direkte

Lebenswelt der Schüler. Daher werden,

wenn es das Wetter zulässt, „Spaziergänge“,

also Erkundungen, in die nähere Umgebung

der Schule unternommen (s. Abb. 75). Die-

ser Lernprozess hat einen besonderen Stel-

lenwert in der „Grundschule Harmonie“.

Jedes Kind hat das Recht auf eine eigene Schul-, Lern- und Lebenszeit. Der „freie

Text“ als Ausdrucksmöglichkeit der Ge-

danken der Schüler ist ein wesentliches

Lernelement. Von Anfang an hat der

Schüler die Möglichkeit, „freie Texte“

zu verfassen. Das Vorlesen und die Ver-

öffentlichung der selbstbestimmten Tex-

te in der Dichterlesung innerhalb der

Klasse oder auch außerhalb in der

Schulversammlung gehören zu einem festen Bestandteil des Schulalltages

(s. Abb. 76). Die Geschichten können mit dem Computer abgetippt und ausge-

druckt werden.

Wie bereits in Kapitel 3.3.1 „Die Arbeitsateliers“ erwähnt, besitzt der Computer

einen hohen Stellenwert in der Schule und ist somit eines der wichtigsten Ar-

Abbildung 76: Dichterlesung

Abbildung 75: „Spaziergangsklasse“

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 112

beitsmittel zur Informationsbeschaffung und zur Textverarbeitung. Einige Schüler

tendieren schon dazu, ihre Texte von vornherein auf dem Computer zu schreiben.

Diese Entwicklung muss der Lehrer jedoch beobachten, da die Handschrift nicht

durch den Computereinsatz vernachlässigt oder ersetzt werden darf.

Die Veröffentlichung von eigenen Texten erfolgt auf zwei verschiedene Weisen.

Zum einen gibt es seit Be-

ginn dieses Jahres die

Schulzeitung „Augeblick“,

in der die Schüler alle vier-

zehn Tage ihre eigenen

Texte zu bestimmten The-

men veröffentlichen kön-

nen (s. Abb. 77).

Zum anderen gibt es den Schülerkorrespondenzaustausch. Die Klasse der „Har-

monie-Geister“ hat seit längerem aktiven Briefkontakt zu einer Klasse aus Südti-

rol. Außerdem besteht ein Kindertextaustausch „Kinderlyrik mit dem Poststem-

pel“ mit Österreich. Zurzeit neu ist in der Schule ein Korrespondenzaustausch auf

multimedialem Weg. Anhand des Computerprogramms „Skype“, das eine gebüh-

renfreie Internettelefonie von Rechner zu Rechner ermöglicht, können die Schul-

klassen der Grundschule „Harmonie“ anhand des Computerbildschirms eine Live-

Verbindung mit Bild und Ton zu Austauschklassen herstellen. Benötig wird dazu

nur das Programm, eine Webcam für die Bildübermittlung und ein Mikrofon für

den Sprachkontakt. Gestartet wurde dieser Austausch mit der „Besuchsschule der

Pädagogischen Akademie Klagenfurt“ im Rahmen eines Comenius-Projekts. Erste

Informationen wurden bereits auf diesem Weg übermittelt. Demnächst soll die

„Skype“-Korrespondenz mit einer Klasse aus Wien, der Briefkorrespondenzklasse

der „Harmonie-Geister“ aus Südtirol, und mit England verwirklicht werden, weil

die ersten Erfahrungen mit „Skype“ sehr positiv waren.

Abbildung 77: Schulzeitung „Augenblick“

3 DIE UMSETZUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN DIE HEUTIGE SCHULWIRKLICHKEIT 113

3.3.1.6 Zusammenfassung

Von der „Grundschule Harmonie“ war ich sehr begeistert. Dort konnte ich erfah-

ren, wie eine weitere deutsche Schule, jedoch nun in ländlicher Umgebung, die

Freinet-Pädagogik in ihre Schulpraxis umgesetzt hat.

Vor allem hat mich die Weiterentwicklung der Freinet-Techniken sehr beein-

druckt. An dieser Schule konnte ich feststellen, dass sie Freinets Forderung nach

einer immerwährenden Aktualisierung des pädagogischen Konzeptes nachkommt.

Vor allem an der Organisation des demokratischen Schul- und Klassenlebens im

Gesamtzusammenhang konnte ich erkennen, dass die Lehrer laufend daran arbei-

ten, eine „modernisierte“ Freinet-Pädagogik einzusetzen, um heutigen Disziplin-,

Sozial- und Lernproblemen entgegenzuwirken. Aber auch die Nutzung einzelner

neuer Techniken, wie beispielsweise des Programms „Skype“ als Korrespondenz-

form, stellt für mich eine interessante Weiterentwicklung dar. Diese Verwendung

finde ich besonders vorteilhaft, vor allem, wenn der Austausch mit Schülern aus

England gelingen wird. Auf diese Weise können die Schüler ihre Kenntnisse in

dieser Fremdsprache anwenden und „spielerisch“ erweitern. Außerdem hat mir

die Atmosphäre in der Schule und in den Klassen sehr gut gefallen.

Zu Anfang war ich jedoch sehr skeptisch über die Arbeitsstrukturierung. Ich hatte

meine Zweifel, ob es den Schülern gelingt, ihre Arbeitsvorhaben, die sie morgens

im Planungskreis vorstellen auch wirklich in die Praxis umsetzen. Dabei habe ich

mir im weiteren Verlauf aber bewusst gemacht, worauf es bei der Arbeitsstruktu-

rierung ankommt, nämlich auf das Resultat und den Lernerfolg. Ich habe Beo-

bachtungen gemacht und gesehen, dass die Schüler auch ohne schriftlichen Ar-

beitsplan auf einem hohen Lernniveau waren, dabei konzentriert, aktiv und mit

Spaß und Freude bei der Sache waren. Natürlich gibt es immer wieder Schüler,

die nicht arbeiten wollen. Diese Schüler erhalten dann aber eine besondere Auf-

merksamkeit vom Lehrer mit individuellen Maßnahmen. Eine solche Unterstüt-

zung kommt in der „traditionellen“ Schule aber oft zu kurz.

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 114

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN

SCHULWIRKLICHKEIT

Das Hauptziel meiner Arbeit besteht darin, einen Vergleich zwischen den An-

sprüchen der Freinet-Pädagogik und der Umsetzung in der heutigen Schulwirk-

lichkeit zu ziehen. In Kapitel 3 „Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik in der heu-

tigen Schulwirklichkeit“ habe ich eine Beschreibung der Schulen vorgenommen

unter Berücksichtigung der einzelnen Freinet-Techniken. Dieses Kapitel soll nun

aufzeigen, ob die Schulwirklichkeit der von mir besuchten Freinet-Schulen mit

Freinets Vorstellungen übereinstimmen oder ob sie davon abeicht. Dabei verglei-

che ich nacheinander Freinets wichtigsten Arbeitstechniken, die ich bereits in Ka-

pitel 2.4 „Die Unterrichtstechniken der Freinet-Pädagogik“ beschrieben habe.

Dadurch wiederholen sich die Ausführungen teilweise, auf die ich aber aufgrund

der bessern Darstellung nicht verzichten möchte.

4.1 Die Arbeitsateliers

Freinet forderte die Existenz von acht Arbeitsateliers in der Schule, die innerhalb

des Klassenraums durch eine Abgrenzung in Arbeitsbereiche oder außerhalb auf

dem Schulgelände eingerichtet werden sollen.

4.1.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich)

Obwohl alle Klassenräume der „École Freinet“ nicht in voneinander abgetrennte

Arbeitsbereiche eingeteilt sind, gibt es aber dennoch im Sinne Freinets in dieser

Schule Ateliers innerhalb des Klassenraums und außerhalb auf dem Schulgelände.

Die Arbeit in den Ateliers beschränkt sich laut Auskunft der Lehrerinnen der

„École Freinet“ aber nur auf die Aktivitäten des Nachmittags. Dennoch beziehe

ich im Folgen weitere Aktivitäten dieser Schule in meiner Untersuchung mit ein,

da diese Freinets Ateliervorstellungen entsprechen.

Freinets erstes Atelier (Feldarbeit, Aufzucht) entspricht dem heutigen Schulatelier

„Gartenarbeit“. Innerhalb der Schule gibt es zudem ein Tiergehege mit Hühnern

und Kaninchen, um die sich die Schüler innerhalb eines Amtes zu kümmern ha-

ben. Die Tierpflege wird zwar nicht explizit als Atelier bezeichnet, dennoch ist es

in der Schule wiederzufinden.

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 115

Freinets zweites (Schmiede, Schreinerei), drittes (Weben, Stricken, Nähen, Haus-

halt) und viertes (Konstruktion, Handwerk, Handel) Atelier sind in der „École

Freinet“ unter den Bezeichnungen „Handarbeit“ und „Tonarbeiten“ untergebracht.

Hieran ist sehr gut zu erkennen, welchen Stellenwert die handwerkliche Arbeit

damals für Freinet darstellte und wie sehr seine Forderung heute zugunsten ande-

rer Tätigkeiten zurückgetreten ist. Vor allem lässt sich dieser Umbruch durch den

sozialen und wirtschaftlichen Wandel erklären. Nach Freinet sollten die hand-

werklichen Ateliers die Schüler auf das zukünftige Leben vorbereiten. Doch heute

sind beispielsweise die Berufe Schmied, Schreiner oder Weber durch Industrie

und Maschinen ersetzt worden.

Gelegenheit zum Forschen und zur Aneignung von Kenntnissen, gemäß Freinets

fünftem Atelier (Nachforschung, Kenntnisse, Dokumentation), haben die Schüler

auch heute noch. Ihnen steht eine gut organisierte Lernumgebung innerhalb des

Klassenraums und in der naturnahen Umgebung des Schulgeländes zur Verfü-

gung. Vor allem der beibehaltende Gebrauch der Arbeitsbücherei, Selbstbil-

dungsmittel und den Arbeitskarteien der I.C.E.M. (ehemalige Mittel der C.E.L.)

und Forschungsmaterialien innerhalb der Klassen zeigen auf, dass sich in dieser

Hinsicht in der „École Freinet“ nicht viel verändert hat. Geändert hat sich nur,

dass diese Aktivitäten nicht mehr als Atelierarbeit bezeichnet werden.

Das sechste Freinet-Atelier (Versuche) ist heute unter der spezielleren Bezeich-

nung „Mathematik-Atelier“ wiederzufinden, obwohl sich die Schüler nicht nur

mit mathematischen Vorgängen beschäftigten, sondern auch mit anderen Berei-

chen der Naturwissenschaft.

In der „École Freinet“ haben das siebte (schriftlicher Ausdruck) und achte (künst-

lerischer Ausdruck) Freinet-Atelier ebenfalls einen hohen Stellenwert. Die Gestal-

tung des „freien Textes“ der Schüler, die morgens oder zu Hause entsteht und

somit von den Lehrerinnen nicht als Atelierarbeit bezeichnet wird, findet täglich

statt. Im Gegensatz zur Freinets Beschreibungen werden die Texte nicht mehr mit

der Druckerpresse gedruckt, sondern mit dem Computer abgetippt und ausge-

druckt. Die Schule hat sich dafür entschieden, um dem technischen Fortschritt und

dem Entwicklungsprozess zu entsprechen. Gänzlich verzichtet wird auf die Dru-

ckerei aber nicht, da in der Vorschule immer noch damit gearbeitet wird. Auf die-

se Weise ist zu erkennen, wie die Schule Freinets Ansprüchen nach technischer

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 116

Entwicklung gerecht wird, ohne auf die Vorteile des Druckvorgangs zu verzich-

ten. Die „Computerarbeit“ stellt in der „École Freinet“ heute jedoch ein eigenes

Atelier dar. Nachmittags wird vor allem die Schülerzeitung „Les Pionniers“ damit

erstellt.

Die künstlerischen Tätigkeiten haben in der Schule eine wichtige Bedeutung. So

sind vier der acht Nachmittags-Ateliers für diese Bereiche vorgesehen, nämlich

die Ateliers für Malerei, Tonarbeiten (Modellieren), Theater und Tanz, sowie für

das Zeichnen. Diese Zusammensetzung entspricht Freinets Forderungen für den

Aufbau des achten Ateliers (schöpferisches Tun, künstlerische Ausdrucks- und

Kommunikationsverfahren) in vollem Maße.

4.1.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

Anstelle einer grundlegenden Ausrichtung des Schulalltags auf Atelierarbeit, fin-

det diese in der „Célestin-Freinet-Schule“ nur mittwochs statt. Aber auch während

der restlichen Unterrichtszeit sind Arbeiten mit Ateliercharakter vorzufinden, die

im Folgen mit berücksichtigt werden.

In der „offiziellen“ Atelierarbeitszeit können die Schüler forschen, experimentie-

ren, Texte schreiben, Vorträge vorbereiten und Aufgaben lösen. Diese Tätigkeiten

können mit Freinets Vorstellung vom fünften, sechsten und siebten Atelier vergli-

chen werden. Freinets fünftes und sechstes Atelier kommt zudem jeden Dienstag-

vormittag zum Tragen, in der Zeit zum freien Forschen und zum Erkunden ist.

Die dortigen Arbeitsmaterialen, Sachbücher und Karteien sind aber nicht mit dem

Freinet-Material der C.E.L. vergleichbar. Dennoch erfüllen sie den Zweck der

Informationsbeschaffung und dienen für die Nachforschungen und Versuche der

Schüler.

Während der restlichen Unterrichtszeit werden neben dem Bearbeiten der Aufga-

ben für die einzelnen Unterrichtsfächer auch viele „freie Texte“ verfasst, die mit

dem Computer bearbeitet und zu denen Bilder gemalt und gezeichnet werden.

Dieses entspricht Freinets Vorgaben vom siebten und achten Atelier. Die Drucke-

rei wurde schon seit Jahren durch den Computer ersetzt.

Fast unberücksichtigt werden Freinets Ateliers für elementare Handarbeit mit

Ausnahme des Schulgartens. Obwohl die Schule inmitten der Kölner Altstadt ge-

legen ist, gibt es einen kleinen Schulgarten, der jedoch aufgrund der naturfernen

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 117

Umgebung und aufgrund des Platzmangels nicht ganz den Forderungen Freinets

entspricht. Jedoch ist meiner Meinung nach alleine schon die Errichtung eines

solchen Gartens in der Großstadt Köln besonders hervorzuheben und ein Gewinn

für die Schüler.

4.1.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

In der „Grundschule Harmonie“ wird der gesamte Schulablauf von Atelierarbeiten

innerhalb und außerhalb der Schule bestimmt, wenn es aber auch in den einzelnen

Klassen keine bzw. wenig abgetrennte Arbeitsnischen gibt.

Freinets erstes Atelier wird in Bezug auf die Feldarbeit in der „Grundschule Har-

monie“ durch die Existenz eines Gartenbereichs verwirklicht. Die Aufzucht von

Tieren dagegen findet nicht statt.

Das zweite „traditionelle“ Freinet-Atelier für die Bereiche Schmiede und Schrei-

nerei findet, genau wie in den andern Schulen, keine Berücksichtigung mehr.

Dagegen haben die Haushaltstätigkeiten, wie Nähen und Kochen gemäß Freinets

dritter Atelier-Vorstellung ihren Sitz in der Schule, wie beispielsweise die Küche,

die für Kochprojekte genutzt wird. Es ist jedoch kein tägliches oder regelmäßiges

Atelier, wird aber zu bestimmten Zeiten dafür intensiver in Anspruch genommen.

Auch Freinets viertes handwerkliches Atelier hat in der „Grundschule Harmonie“

als „Werkatelier“ seinen festen Platz.

Auf die Verwirklichung und Inanspruchnahme der Möglichkeiten des fünften und

sechsten Ateliers im Sinne Freinets wird in der Schule sehr viel Wert gelegt.

Nachforschungen, Dokumentationen, Aneignung von Kenntnissen und Versuche

durch feststehende Projekte oder individuelle Arbeiten sind fester Bestandteil der

Schule, deren Möglichkeiten täglich von den Schülern genutzt werden. Im Gegen-

satz zu Freinets Vorstellungen gibt es aber auch in dieser deutschen Schule kein

vergleichbares Arbeitsmaterial wie das der ehemaligen C.E.L., des heutigen

I.C.E.M. Statt Arbeitskarten, Selbstkorrekturkarteien, Wörterbücher und die Ar-

beitsbücherei der C.E.L. dienen vor allem die Schulbücherei mit dem großen Be-

stand an Sachbüchern und das Internet als Hauptinformationsquellen.

Freinets siebtes Atelier wird in allen Bereichen in der Schule realisiert. Täglich

haben die Schüler die Möglichkeit „freie Texte“ zu verfassen. Im Anschluss daran

können sie, entsprechend Freinets Vorstellung, diese auch mit der schulinternen

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 118

Druckerpresse drucken. Im Gegensatz zu Freinet hat aber der Computer einen

Ersatz für die Druckerpresse bzw. für die Schreibmaschine gefunden.

Auch Freinets Forderung nach künstlerischen Tätigkeiten ist in dieser Schule ver-

wirklicht. So wird beispielsweise ständig in den Klassenräumen gemalt und ge-

zeichnet. Dass Kunst aber ebenso wie bei Freinet einen hohen Stellenwert besitzt,

wird dadurch deutlich, dass für den Sommer ein Kunstatelier in einem separaten

Raum eingerichtet werden soll.

4.2 Die Schülermitverantwortung

Freinet forderte eine kooperative Organisation der Arbeit innerhalb der Klassen-

gemeinschaft, die durch die Wandzeitung und die darauf aufbauende Klassenver-

sammlung realisiert werden sollte. Ebenso zählen dazu die Präsentationen und

Vorträge der Schüler, da hier durch die Vorbereitung auf mögliche Kritik Eigen-

verantwortlichkeit gefördert wird.

Ob Freinet neben der Klassenversammlung auch eine Schulversammlung vorge-

sehen hat, konnte ich nicht eindeutig feststellen. Aus diesem Grund werde ich

einen Vergleich in dieser Hinsicht nicht vornehmen, jedoch die Unterschiede in

den Schulen erwähnen.

4.2.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich)

Die Schülermitverantwortung wird in der „École Freinet“ nach den Vorstellungen

Freinets weitergeführt. Die Grundlage der Klassenversammlung bildet die Wand-

zeitung, die, nach Ansicht der Schule ähnlich wie bei Freinet, der wichtigste und

bedeutsamste Bestandteil der Schülermitverantwortung ist. Sowohl die äußerli-

chen Merkmale dieser Wandzeitung, als auch die praktische Durchführung der

Klassenversammlung mit dem gewählten Präsidenten, der die Kritikpunkte, Wün-

sche, Belange regelt und Ämter zuteilt, entsprechen den Darstellungen Freinets.

Wie von ihm vorgesehen, findet auch heute in der „École Freinet“ freitags die

Klassenversammlung statt. Darüber hinaus wird alle vierzehn Tage eine Schulver-

sammlung aller Schüler und Lehrer durchgeführt.

Weiterhin werden auch die Präsentation und der Schülervortrag in Freinets Sinne

eingesetzt und somit der Forderung nach Verantwortungsbewusstsein für das Tun

der Schüler entsprochen.

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 119

4.2.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

Auch in der „Célestin-Freinet-Schule“ wird die Schülermitverantwortung durch

die Wandzeitung realisiert, die die Grundlage für die Klassenversammlung dar-

stellt. Im Gegensatz zu Freinet ist die Wandzeitung als Pinnwand verändert wor-

den, die jedoch dieselbe Funktion der Mitteilung von Kritik, Wünschen oder Be-

glückwünschungen beibehält. So sind die Schüler mit ihren schriftlichen Anmer-

kungen nicht an die starre Form der herkömmlichen Wandzeitung gebunden. An-

dererseits ist aber ein Plakat als Übersicht aller Mitteilungspunkte übersichtlicher.

In der wöchentlichen Klassenversammlung, die freitags stattfindet, regelt der

„Präsident“ den ordentlichen Ablauf, indem er die Tagesordnungspunkte an-

spricht und seinen Mitschülern das Wort erteilt. Außerdem werden die Ämter, die

die Verantwortungsbereiche einzelner Schüler abdecken, verteilt und besprochen.

Somit wird auch in der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln Freinets Vorgaben ent-

sprochen. Darüber hinaus findet jeden ersten Freitag im Monat eine Schulver-

sammlung statt.

Die Präsentationen, mit der u. a. auch die Eigenverantwortlichkeit der Schüler

nach Freinet gefördert werden soll, finden in der „Célestin-Freinet-Schule“ in

Köln regelmäßig statt. Im Gegensatz zu Freinet haben hier jedoch die Schüler

keine Vorträge im Sinne eines Referats vorzubereiten.

4.2.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

Im Gegensatz zu Freinets Vorstellung sieht die Umsetzung der Schülermitverant-

wortung in der „Grundschule Harmonie“ anders aus. Die Schule verzichtet gänz-

lich auf die Wandzeitung. Es wurde jedoch in der vergangenen Zeit versucht, eine

Wandzeitung in die Klasse einzuführen bzw. eine schulinterne gemeinschaftliche

Wandzeitung im Schulforum zu errichten. Doch dieses wurde von den Schülern

nicht angenommen und als nicht sinnvoll angesehen. Daher entschieden die Leh-

rer, einen strukturierten Ablauf in der Klassenversammlung auch ohne Wandzei-

tung auf demokratischer Ebene einzurichten. Dieses gelingt auch.

Wie bei Freinet findet die Klassenversammlung am Ende der Woche als fester

Termin statt. Aber nicht nur zu dieser Zeit werden die Belange der Schüler be-

sprochen, sondern auch immer dann, wenn Anliegen im „Raum“ stehen, deren

Dringlichkeit für einen weiteren Unterrichtsverlauf störend sein könnte. Die Leh-

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 120

rer prüfen aber, ob die Angelegenheit wirklich unaufschiebbar ist, damit nicht

täglich „Kleinigkeiten“ besprochen werden.

Darüber hinaus finden weitere Versammlungen in der „Grundschule Harmonie“

statt, um ein demokratisches Schulleben zu fördern. Das sind die wöchentliche

Montagsversammlung, die vierzehntägige Schulversammlung und das unregel-

mäßig stattfindende Kinderparlament.

Entsprechend Freinets Forderung nach einer Übernahme der Verantwortung für

das eigene Tun, finden in der „Grundschule Harmonie“ regelmäßig Präsentatio-

nen eigener Arbeitsergebnisse statt. Im Gegensatz zu Freinet wird hierbei jedoch

darauf geachtet, dass die Schüler nicht referieren sollen, sondern mit kreativen

Mitteln ihre Arbeiten vorstellen. Außerdem finden die Präsentationen auch außer-

halb der Klasse Beachtung, was Freinet zu seiner Zeit nicht vorsah.

4.3 Die Arbeitspläne

Die individuellen Arbeitspläne stellen nach Freinet eine geeignete Möglichkeit

dar, Unterrichtsstoff so einzuteilen, dass jeder Schüler nach individuellen Interes-

sensschwerpunkten und entsprechend des eigenen Leistungsvermögens mit seiner

Arbeit Woche für Woche voranzuschreiten kann. Der individuelle Arbeitsplan ist

ein Vordruck, auf dem die Schüler zu jedem Aufgabengebiet ihre Eintragungen

vornehmen.

4.3.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich)

In der „École Freinet“ in Vence gibt es für jeden Schüler je nach Schuljahrgang

einen individuellen Arbeitsplan. Dieser entspricht meines Erachtens voll und ganz

Freinets Vorstellungen zum Aufbau eines solchen Vordrucks. Auf ihm sind so-

wohl die einzelnen Kästchen der jeweiligen Fächer wieder zu finden, als auch die

am unteren Ende des Plans befindliche Beurteilungstabelle der individuellen Leis-

tungskurve. Im Unterschied zu Freinets Arbeitsplänen gibt es für die Schüler des

zweiten bis fünften Schuljahres noch eine zweite Arbeitsplanseite, die zur Beur-

teilung des schulischen Verhaltens gedacht ist. Außerdem gilt der heutige Ar-

beitsplan für zwei Wochen, statt des von Freinet aufgezeigten einwöchigen Plans.

Weiterhin erhalten die Eltern den Arbeitsplan zur Kenntnis, wie von Freinet vor-

gesehen.

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 121

4.3.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

In der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln gibt es für jeden Schüler Wochenarbeits-

pläne. Abgesehen vom Layout, ist dieser Arbeitsplan vergleichbar mit Freinets

Vorstellungen über eine solche Strukturierungsmöglichkeit. Da die deutsche

Schule nicht mit Freinets Arbeitskarteien arbeitet, fehlen natürlich in diesem Plan

die entsprechenden Kästchen. Stattdessen sind die Felder, die auszufüllen und

anzukreuzen sind, für die täglichen Arbeiten vorgesehen. Wie bei Freinet, haben

auch die Eltern der Kölner Grundschüler die Arbeitspläne einzusehen und zu un-

terschreiben.

Im Unterschied zu Freinets Arbeitsplänen ist in der Kölner Schule keine Tabelle

für die Leistungskurve abgedruckt, sondern eine Tabelle zur Beurteilung des ei-

genen Arbeitsverhaltens. Die Leistungsbeurteilung wird dagegen auf einem sepa-

raten Bogen vorgenommen.

4.3.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

Im Gegensatz zu Freinets individuellen Arbeitsplänen gibt es in der „Grundschule

Harmonie“ eine solche Arbeitsstrukturierung nicht. Stattdessen sprechen die

Schüler ihr Tagespensum über ihre Vorhaben oder längerfristige Projekte mor-

gens mit dem Lehrer ab. Das würde zwar einem Tagesplan entsprechen, liegt aber

nicht in schriftlicher Form vor. Die Schule hat sich bewusst gegen Freinets An-

spruch auf Arbeitspläne entschieden, weil jeder Schüler seine Arbeit frei struktu-

rieren soll. Schüler mit Organisations-, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten

dürfen und sollen sich auf Anraten der Lehrer jedoch schriftliche Stunden- oder

Arbeitspläne erstellen. Diese Pläne sind im Vergleich zu Freinets Wochenplänen

sehr viel einfacher und weniger differenziert aufgebaut. Sie entsprechen aber Frei-

nets Ansprüchen nach einer Arbeitsstrukturierung, die Verbindlichkeiten schafft.

Die Eltern werden über die Arbeitsplanung ihrer Kinder durch das Fehlen dieser

entsprechenden Pläne nicht informiert, sondern nur auf Anfrage. Diese Regelung

weicht von Freinets Vorstellungen ab.

4.4 Alternative Leistungsbeurteilung

Die Leistungsbeurteilung nach Freinet beinhaltet keine Vergabe von Ziffernnoten,

sondern eine wöchentliche Bewertung der Arbeitsergebnisse anhand einer Tabel-

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 122

le, die eine individuelle Leistungskurve der schulischen Bereiche darstellt. Außer-

dem sind nach Freinet Fertigkeitsbescheinigungen (brevets) vorgesehen, wenn ein

Schüler eine besondere Tätigkeit beherrscht.

4.4.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich)

Die „École Freinet“ führt die Tabelle für die individuelle Leistungskurve ganz in

der Tradition Freinets weiter, denn diese ist identisch aufgebaut. Abgesehen von

der Leistungskurve wird die Leistungsbewertung für die Schüler des zweiten bis

fünften Schuljahrs jedoch noch um einen weiteren Aspekt ergänzt. Bewertet wird

nämlich die Autonomie der Schüler anhand einer Tabelle, die sich auf der Rück-

seite dieser Arbeitspläne befindet. Auf diese Weise hat die Schule eine umfassen-

dere Bewertung realisiert. Wie Freinet es vorsah, haben auch heute die Eltern der

Schüler die Leistungskurve einzusehen, zu unterschreiben und darüber hinaus

gegebenenfalls Anmerkungen auf der zweiten Seite zu machen.

Die Fertigkeitsbescheinigungen (brevets), von denen Freinet mehrere vorsah,

werden heute in der „École Freinet“ nicht mehr ausgestellt. Nach Angaben der

Lehrerinnen war dieses Konzept nie wirklich nützlich für die Schüler. Sie sind der

Auffassung, dass die Arbeitsmotivation an sich schon ausreichend sei, um immer

weiter im Lernpensum voranzuschreiten. Es hat sich vielmehr herauskristallisiert,

dass diejenigen Schüler, die eine bestimmte Arbeit oder eine Technik beherrschen

oder spezielles Wissen besitzen, spontan ihren Mitschülern oder einzelner Grup-

pen behilflich sein können.

4.4.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

In der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln ist die Leistungsbeurteilung, gemäß Frei-

nets Vorstellungen, vordergründig kontinuierlich am Ende einer Woche vorgese-

hen. Im Gegensatz zu Freinet findet die Beurteilung nicht auf dem Arbeitsplan

statt, sondern auf einem separaten Bogen, dem „Grünen Blatt“. Statt der Tabellen-

form der individuellen Leistungskurve werden hier zunächst Arbeitsergebnisse

notiert, ohne eine Wertung vorzunehmen. Beurteilt wird nur das Verhalten der

Schüler anhand farblicher Markierungen, die für die drei Bewertungskriterien

„gut“, „mittelmäßig“, „schlecht“ stehen. Die Beurteilung nimmt zunächst der

Schüler vor, danach die Lehrer. Dieses Verfahren ähnelt Freinets Bewertungs-

grundlage, denn eine farbliche Markierung hebt den Leistungsstand genauso op-

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 123

tisch hervor, wie die individuelle Leistungskurve. Auch in der „Célestin-Freinet-

Schule“ haben die Eltern der Kinder das wöchentliche „Grüne Blatt“ einzusehen

und zu unterschreiben. Zusätzlich werden die Schüler noch vor den Ferien und am

Ende eines Schulhalbjahres beurteilt.

Die Vergabe von Fertigkeitsbescheinigungen in der Art, wie Freinet sie in seiner

Schule vorsah, wird in dieser Schule ebenfalls nicht praktiziert.

4.4.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

Auch in der „Grundschule Harmonie“ wird die Leistungsbeurteilung nicht durch

die Tabelle der individuellen Leistungskurve vorgenommen. Sie hat zwar im Sin-

ne Freinets eine Beurteilung statt Ziffernnoten beibehalten, doch diese Beurtei-

lung ist vollkommen anderes aufgebaut. Im Gegensatz zu Freinet gibt es auf den

Beurteilungsbögen der „Grundschule Harmonie“ zu den Unterrichtsfächern und

zum Arbeitsverhalten eine viel differenziertere Beurteilungsmöglichkeit durch die

Verwendung zahlreicher Unterpunkte. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu Frei-

nets Leistungskurve ist, dass nicht nur der Lehrer die Beurteilung vornimmt, son-

dern auch die Schüler selbst und die Eltern, für die sogar ein separater Bogen vor-

gesehen ist. Sie haben somit eine andere Rolle erhalten. Sie „überwachen“ und

kontrollieren die Bögen nicht nur, sondern sind in den Beurteilungsprozess invol-

viert.

Im Gegensatz zu Freinet, der eine wöchentliche Beurteilung mit dem Wechsel der

Arbeitspläne vorsah, findet in der „Grundschule Harmonie“ eine schriftliche Leis-

tungsbeurteilung nur halbjährlich statt. Nach Bedarf können jedoch auch jederzeit

die Schüler oder die Eltern über den Leistungsstand informiert werden.

Auch in der „Grundschule Harmonie“ wird, wie bei den anderen beiden Schulen,

auf die Vergabe von Fertigkeitsbescheinigungen verzichtet.

4.5 Alternatives Arbeitsmaterial – Alternative Arbeitsmöglichkeiten

Für ein erfolgreiches Schulkonzept sah Freinet auch alternatives Arbeitsmaterial

und Arbeitsmöglichkeiten für unumgänglich an, wie der „freie Text“, die Drucke-

rei, der Schülerkorrespondenzaustausch, die Schülerzeitung, die „Freinet-

Arbeitsmittel“ der C.E.L. und weitere, dem technischen Fortschritt entsprechen-

den Arbeitsmaterialien.

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 124

4.5.1 Ein Vergleich mit der „École Freinet“ in Vence (Frankreich)

In der „École Freinet“ werden alle Arbeitsmaterialien und Arbeitsmöglichkeiten

nach Freinets Vorstellungen berücksichtigt. Der „freie Text“ hat in der Schule

immer noch eine sehr große Bedeutung, da dieser jeden Tag von den Schülern

verfasst wird. Im Gegensatz zu Freinets Forderung wird die Druckerpresse nicht

mehr in der Grundschule verwendet, sondern nur noch in der Vorschule. Stattdes-

sen wird der Computer eingesetzt. Zwar werden mit dem Computer, ähnlich wie

bei der Druckerpresse, Texte reproduziert, jedoch ersetzt der Computer nicht die

manuelle Letternzusammenstellung der Druckerei.

Während zurzeit in der „École Freinet“ der für Freinet sehr bedeutsame Schüler-

korrespondenzaustausch weniger Beachtung findet, erscheint die Schülerzeitung

jedoch sehr regelmäßig. Die bereits von Freinet ins Leben gerufene Schülerzei-

tung „Les Pionniers“ wird in seinem Sinne und nach seinen Vorstellungen weiter-

geführt. Geändert hat sich am Aufbau wenig. Einziger Unterschied ist die Technik

der Erstellung der Zeitung. Zur damaligen Zeit wurde sie gedruckt, heute mit dem

Computer bearbeitet.

Da in Frankreich das I.C.E.M. den Vertrieb der Freinet-Arbeitsmaterialien über-

nommen hat und neue Mittel ständig entwickelt, werden in der „École Freinet“

auch diese weiterhin eingesetzt. Die Selbstkorrekturkarten, die Arbeitskarteien

und die Arbeitsbibliothek sind noch heute wichtiger Bestandteil des Unterrichts-

lebens. Im Gegensatz zu Freinets Forderung, keine Schulbücher mehr zu benut-

zen, rechnen die Schüler neben den Aufgaben der Arbeitskarteien auch solche aus

einem Mathematik-Übungsheft anderer Verlage.

4.5.2 Ein Vergleich mit der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

Auch in der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln finden die meisten Arbeitsmög-

lichkeiten ihre Berücksichtigung.

Ähnlich wie bei Freinet, ist der „freie Text“ in dieser Schule sehr bedeutsam. Im-

mer, wenn die Schüler das Verlangen haben, einen Text zu verfassen, dürfen sie

dieses auch tun. Im Unterschied zu Freinet, werden die Texte jedoch nicht mehr

gedruckt, sondern auch mit dem Computer abgetippt und schließlich ausgedruckt.

Druckerpressen gab es zu Beginn in der „Célestin-Freinet-Schule“, jedoch wurden

sie im Laufe der Zeit wegen Modernisierungsmaßnahmen durch Computer ersetzt.

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 125

Die Veröffentlichungselemente der Schülerzeitung und der Klassenkorrespondenz

werden im Sinne Freinets in dieser Schule verwirklicht. Im Gegensatz dazu wird

die Schülerzeitung auch hier mit dem Computer erstellt.

Es sind wenige Freinet-Arbeitsmaterialien in dieser Schule vorhanden. In jeder

Klasse gibt es eine Schülerbibliothek, die teilweise nach Sachgebieten geordnet ist

sowie einige Arbeitskarteien. Doch ist diese Auswahl nicht mit Freinets Forde-

rung vergleichbar. Das liegt vor allem daran, dass den deutschen Schulen kein

entsprechendes Material, wie das des I.C.E.M., zur Verfügung steht. So ist die

„Célestin-Freinet-Schule“ auf Alternativen, wie Sachbücher, angewiesen. Gear-

beitet wird gemäß Freinets Vorstellungen nicht mit Schulbüchern. Eine Ausnahme

bildet die Mathematik, denn das Mathebuch sowie das Arbeitsheft finden in jedem

Jahrgang Verwendung.

4.5.3 Ein Vergleich mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

In der „Grundschule Harmonie“ sind sowohl die Freinet-Arbeitsmittel und deren

Möglichkeiten im traditionellen Sinn zu finden, als auch in modernen Weiterent-

wicklungen.

Der „freie Text“ als Ausdrucksmittel der Gedanken der Schüler findet gemäß

Freinet seinen festen Platz im Schulleben der Kinder. Im Gegensatz zu Freinets

Praxis der Nutzung der Druckerpresse, ist das Drucken primär durch Computer

ersetzt worden. Dennoch wird nicht gänzlich auf die Druckerpresse verzichtet,

denn für alle Schüler steht eine Druckerei zur Verfügung. Im Gegensatz zur „Éco-

le Freinet“, in der die Druckerpresse nur für die Vorschule Verwendung findet,

können in der „Grundschule Harmonie“ auch ältere Schüler Texte drucken und

auf diese Weise auch von den bereits von Freinet aufgezeigten Vorteilen profitie-

ren.

Die Veröffentlichung eigener Arbeitsergebnisse findet in der „Grundschule Har-

monie“ in verschiedenen Formen statt. Freinets Wunsch war die Veröffentlichung

durch eine Schülerzeitung und durch den Korrespondenzaustausch. Beiden An-

sprüchen wird die Grundschule gerecht. Die Schülerzeitung wird wie in den bei-

den vorangehenden Schulen ebenso mit dem Computer erstellt. Bei dem Korres-

pondenzaustausch ist jedoch eine Veränderung festzustellen. Während auch tradi-

tionelle Briefwechsel nach Freinets Vorstellung geführt werden, nutzt die Schule

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 126

eine neue Art und Weise des Informationsaustauschs, nämlich den multimedialen

Weg durch das Computerprogramm „Skype“. Hieran ist zu erkennen, dass die

Schule sowohl Freinets traditionelle Ansprüche beibehält, aber auch moderne

Weiterentwicklungsmöglichkeiten sucht und einsetzt, wenn sie erfolgreich sind.

Die Arbeitsmaterialien (Arbeitskarten etc.) sind ähnlich wie bei der „Célestin-

Freinet-Schule“ nicht mit Freinets Ansprüchen vergleichbar, da Freinet-

Arbeitsmittel in Deutschland kaum Verbreitung gefunden haben. Dafür hat sich

die „Grundschule Harmonie“ eine große Schulbibliothek mit zahlreichen Sachbü-

chern eingerichtet, um ein genügendes Wissensrepertoir bereit zu stellen. Dabei

kommt sie Freinets Forderung zur Abschaffung von lebensfernen Schulbüchern

entgegen, außer in Bezug zur Mathematik. Ähnlich wie in den beiden anderen

Schulen werden auch hier Mathematikarbeitshefte verwendet.

4.6 Zusammenfassung

Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich jede der drei Schulen voneinander unter-

scheidet, obwohl es sich um Freinet-Schulen handelt, die dieselben Techniken

mehr oder weniger übernommen oder mit der Zeit sogar abgeändert haben.

Bei der „École Freinet“ in Vence habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie ihr

Konzept, wie Freinet es an dieser Schule einsetzte, konsequent weitergeführt hat.

Das wird besonders durch den in diesem Kapitel vorgenommenen Vergleich deut-

lich. Abgesehen vom Computereinsatz hat sich wenig geändert. Ich denke, dass

eine solche konsequente wie auch „saubere“ Umsetzung sehr vorteilhaft für diese

Schüler ist. Sie haben auf der einen Seite klare Strukturen, wobei sie gleichzeitig

immer noch freie Entscheidungskompetenzen besitzen. Der Rahmen ihrer Mög-

lichkeiten ist aber vorgegeben. Für die Schülerklientel der „École Freinet“ entste-

hen meines Erachtens jedoch dadurch keine „Reibungspunkte“. Im Gegenteil, ich

hatte immer den Eindruck, dass die Schüler mit Spaß bei der Sache waren.

An dem Schulkonzept der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln ist sofort zu erken-

nen, dass es sich um eine Freinet-Schule handelt. Die klare Umsetzung der Frei-

net-Techniken in das Schulsystem hat einen hohen Wiedererkennungswert.

Gegenübergestellt mit der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf sind jedoch viele

Unterschiede in Bezug auf die Umsetzung der Freinet-Techniken sichtbar gewor-

den, obwohl die beiden Schulen nicht weit voneinander entfernt sind. Der Ver-

4 VERGLEICH DER UMSETZUNG IN DER HEUTIGEN SCHULWIRKLICHKEIT 127

gleich der von Freinet geforderten Techniken mit ihrer heutigen Umsetzung in der

„Grundschule Harmonie“ hat gezeigt, dass vor allem diese Schule den Versuch

unternommen hat, Modernisierungsmaßnahmen vorzunehmen. Diese erstrecken

sich auf alle Bereiche der Schule zugunsten der „freien Arbeit“ für die Schüler.

Nun konnte ich aber feststellen, dass sowohl das Konzept in der Kölner „Célestin-

Freinet-Schule“ als auch in der Eitorfer „Grundschule Harmonie“ zu schulischen

Erfolgen, Lernmotivation und Arbeitsspaß geführt hat. Wahrscheinlich muss auch

hier wieder die Schülerklientel mit eingebunden werden. Da in der Kölner Groß-

stadt die Schüler aus vielen sozialen Schichten kommen und vor allem der Aus-

länderanteil so hoch ist, erscheint ein solch klar strukturiertes Konzept von Vor-

teil. Nicht zu verkennen ist aber die positive und fröhliche Atmosphäre in der

„Grundschule Harmonie“, die von der „freien Arbeit“ herrührt.

Bei allen aufgezeigten Unterschieden der drei Schulen, sind mir aber Gemein-

samkeiten aufgefallen, die Freinet so nicht vorgesehen hat. Zunächst ist der Ein-

satz von Mathematik-Übungsheften anderer Schulbuchverlage zu nennen, obwohl

Freinet Schulbücher grundsätzlich ablehnte. Weiterhin benutzen die Schüler aller

drei Schulen den Computer. Dieses kann natürlich als Ersatz für die von Freinet

eingesetzte Druckerpresse verstanden werden oder auch als Nachfolger der von

ihm befürworteten Schreibmaschine.

Eine weitere besonders wichtige Gemeinsamkeit in allen drei Schulen ist nach

meinen Beobachtungen die hohe Motivation und das sehr angenehme Schulklima,

in dem sich sowohl Lehrer als auch Schüler wohl fühlen. Die drei Praxisbeispiele

haben außerdem gezeigt, wie viele Möglichkeiten es gibt, die Freinet-Pädagogik

in die heutige Schulwirklichkeit zu integrieren und welche Möglichkeit und

Chancen sie für das zukünftige Bildungs- und Schulsystem bieten kann.

5 STELLUNGNAHME – FAZIT 128

5 STELLUNGNAHME – FAZIT

Freinets Erziehungsziel bestand vor allem darin, die Persönlichkeit der Kinder

innerhalb einer Gemeinschaft größtmöglich zu entfalten. Seinen Äußerungen nach

konnte er dieses Ziel einhalten, indem er das Schulsystem mit seinen praktischen

Umsetzungsmöglichkeiten grundlegend änderte. Die „traditionelle“ autoritäre

Schule lehnte er ab. Beim Studieren seiner Schulkritik entsteht der Eindruck, dass

er das heutige Schulsystem beschreibt.

So wird auch in der heutigen Zeit, in der Schüler, Eltern und Lehrer mit den Lehr-

und Lernbedingungen unzufriedener werden und das Schulsystem immer wieder

angezweifelt wird, der Begriff „Schulentwicklung“ immer zentraler und Alterna-

tiven bedeutsamer. „Die gegenwärtige Krise, auch die der Bildung, wird nicht

dadurch gelöst, dass man die Menschen den unmenschlichen Bedingungen effek-

tiver anpaßt.“ (BECK, 1996, S. 65) Nach Freinets Ansicht können dagegen Schü-

ler auf natürliche Weise lernen, somit unter menschlichen Bedingungen. Dieser

Grundsatz hat auch heute noch Bedeutung.

Das Ziel meiner Arbeit bestand vor allem darin, zu überprüfen, ob Freinets Ziel-

vorgabe, seine Grundgedanken und Konzeptionen auch in der heutigen Zeit in

Freinet-Schulen noch bedeutsam sind und auf Welche Art und Weise sie eingehal-

ten werden. An dieser Stelle möchte ich auf meine zu Beginn der Arbeit gestellten

Fragen zurückkommen, um somit eine zusammenfassende kritische Stellungnah-

me zur gesamten Arbeit zu erreichen.

Ist die Freinet-Pädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts in heutige Schulen

überhaupt noch umsetzbar?

Wie in der Arbeit sichtbar wird, betonte Freinet vielfach, dass seine Techniken

mit den Erkenntnissen und den praktischen und theoretischen Fortschritten weiter

zu führen seien. Er sagte ausdrücklich, dass die "Techniken von Freinet 1965

nicht das [sind], was sie 1940 waren, denn neue Werkzeuge und neue Techniken

haben uns bereichert und unsere Arbeit erleichtert“ (FREINET, C., 1981, S. 38 f.).

Denn selbst Freinet war sich bewusst, dass es kein „Patentrezept“ gäbe, denn nur

praktische Erfahrungen würden theoretische Vorüberlegungen rechfertigen bzw.

widerlegen. „Denn letzten Endes ist für uns [Freinet-Pädagogen] nicht die Theorie

5 STELLUNGNAHME – FAZIT 129

ausschlaggebend, sondern ihre Umsetzung in die Praxis.“ (FREINET, C. zit.

FREINET, E., S. 13 f.) Dadurch, dass es keine strikten Vorgaben in den Umset-

zungsmöglichkeiten gibt, sondern praktisch erprobte Techniken und Verfahrens-

weisen in Schule und Unterricht, bietet die Freinet-Pädagogik meiner Ansicht

nach eine hervorragende Ausgangsbasis für eine heutige Schulumgestaltung, die

die individuellen Fähigkeiten einzelner Schüler innerhalb der Schulgemeinschaft

fördern kann. Ubbelohde beschreibt dieses ähnlich: „Die Freinet-Pädagogik ist

kein geschlossenes System […], sondern eine offene Pädagogik, in die sich neue

Ideen einbringen lassen […].“ (UBBELOHDE, 2002, S. 151) Somit ist und bleibt

die Freinet-Pädagogik immer aktuell.

Auf welche Art und Weise wird die Freinet-Pädagogik umgesetzt? Haben die von

mir besuchten Schulen Freinets Pädagogik einfach übernommen, haben sie etwas

verändert oder etwas bewusst weggelassen?

Anhand der von mir vorgestellten Schulen ist sehr deutlich zu erkennen, dass die

Freinet-Pädagogik heute noch eingesetzt wird. Auf welche Art und Weise die

Umsetzung konkret stattfindet, wird in den Ausführungen zu Kapitel 3 „Die Um-

setzung der Freinet-Pädagogik in die heutige Schulwirklichkeit“ deutlich. Auffal-

lend ist vor allem, dass die Grundzüge der Freinet-Pädagogik in allen Schulen

ähnlich sind, die wirklichen praktischen Umsetzungen zum Teil jedoch stark von-

einander abweichen. Während die „École Freinet“ in Vence die Freinet-Pädagogik

relativ unverändert weiterführt, haben die deutschen Freinet-Schulen ein unter-

schiedliches abgeändertes Konzept. Die „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln ver-

sucht die Freinet-Pädagogik ihren Verhältnissen anzupassen und die „Grundschu-

le Harmonie“ in Eitorf ist meiner Ansicht nach bemüht, ein Freinet-Konzept

„neu“ zu denken.

Gibt es spezifische Merkmale der Umsetzungsmöglichkeiten in den deutschen

Schulen oder in der französischen Schule?

In der „École Freinet“ in Vence wirkt der Schulalltag im Gegensatz zu den beiden

deutschen Freinet-Schulen viel strukturierter und disziplinierter.

Ein weiterer Unterschied zu den deutschen Schulen ergibt sich durch die Struktur

des französischen Schulsystems. Die Freinet-Pädagogik lässt sich nach meiner

Beobachtung in einer Ganztagsschule, wie in Frankreich, besser umsetzen. Für die

täglichen Versammlungen, Präsentationen, künstlerischen und handwerklichen

5 STELLUNGNAHME – FAZIT 130

Arbeiten und weiteren Aktivitäten ist mehr Zeit und die Arbeit wird dadurch in-

tensiver.

Außerdem beginnt die Ausrichtung auf die Freinet-Pädagogik in der „École Frei-

net“ in Vence nicht erst in der Grundschule, sondern schon in der Vorschule. Die

Schüler lernen schon dort das Schulsystem mit der freinet-typischen Sozialstruk-

tur. Somit sind die Grundschüler in Frankreich im Gegensatz zu deutschen Grund-

schülern bereits auf den Schulalltag vorbereitet und können dadurch frühzeitig

gezielter lernen.

Welche Bedeutung hat die Freinet-Pädagogik für die Schulwirklichkeit? Ergeben

sich Vorteile oder auch Probleme?

Dass Freinets Schulkonzeption nicht nur in der Theorie14, sondern auch in der

Praxis noch zeitgemäß ist, lässt sich anhand der von mir vorgestellten Schulen

deutlich erkennen. Auch wenn die Schulen in ihrer praktischen Umsetzung von

Freinets Vorstellungen und Grundzügen mehr oder weniger abweichen und auch

im Vergleich untereinander Unterschiede festzustellen sind, ist diese Konzeption,

die im frühen 20. Jahrhundert entstanden ist, immer noch mehr als zeitgemäß.

Freinet „organisierte seinen Unterricht von der Lernaufgabe her und orientierte

die Kinder auf größere Selbsttätigkeit als damals üblich […]“ (HENSEL, 1996,

S. 96 f.). Auch heute, vierzig Jahre nach Freinets Tod, sind selbsttätige Schüler in

unseren Schulen ausgesprochen selten zu finden. Selbständigkeit, Selbsttätigkeit,

Erfahrungsorientiertheit, kritische Reflexionsfähigkeit, demokratisches Hand-

lungsbewusstsein, Verantwortung übernehmen für sich und andere sind alles Tu-

genden, die Freinet durch seine Pädagogik förderte und die für einen optimalen

Lernerfolg stehen, gerade bei Schülern in der heutigen Zeit. So gibt es gegenwär-

tig leider oft nur vereinzelte engagierte Lehrer, die sich diesem Missstand bewusst

sind und etwas dagegen unternehmen. Außerdem finden sie meistens im Lehrer-

kollegium keine oder geringe Unterstützung. Oder aber es existieren Schulen, wie

ich sie im Rahmen dieser Arbeit kennen lernen durfte, die ihr System von Grund

auf nach den Vorstellungen Freinets organisieren und somit langfristig den Schü-

lern eine grundsolide Vorbereitung für ihr späteres Leben bieten.

14 Siehe dazu die erste Frage auf Seite 128: Ist die Freinet-Pädagogik des beginnenden 20. Jahr-hunderts in heutige Schulen überhaupt noch umsetzbar?

5 STELLUNGNAHME – FAZIT 131

Neben diesen Vorteilen, die sich für die Schüler ergeben, lassen sich aber noch

einige kritische Anmerkungspunkte bezüglich der Umsetzung der Freinet-

Pädagogik aufzeigen. Direkte Probleme oder Nachteile sehe ich vor allem in der

Kompetenz der Lehrer. Zum können sich Schwierigkeiten ergeben, wenn Lehrer,

die nach den Ansätzen Freinets unterrichten wollen, ihre neu definierte Rolle

missverstehen. Roger Ueberschlag, ein französischer Freinet-Pädagoge, äußerte

sich dazu: „Es ist zur Mode geworden zu sagen: ‚Ich unterrichte à la Freinet’, so

wie man bei einer unbeholfenen Zeichnung sagt: ‚Der malt wie Picasso’“ (UE-

BERSCHLAG, zit. TEIGELER, 1999 a, S. 39 f.). In den von mir besuchten Schu-

len habe ich auch deutliche Unterschiede zwischen den Unterrichtsstilen der ein-

zelnen Lehrer gesehen. Einige waren ruhig, andere dagegen aktiv, in der französi-

schen Schule waren sie tendenziell strenger und geordneter, in den deutschen

Schulen dagegen offener. Selbst habe ich dort jedoch keinen Freinet-Lehrer ken-

nen gelernt, der seine neu definierte Rolle missverstanden hat, bzw. die Freinet-

Pädagogik abgeneigt betrachtete.

Zum anderen können weitere Probleme durch eine ablehnende Haltung der Frei-

net-Pädagogik seitens der Eltern aufkommen, die aufgrund des steigenden Leis-

tungsdrucks in der Gesellschaft die Befürchtung haben, ihre Kinder könnten zu

wenig in einer Freinet-Schule lernen. Diese versuchen, vermeintliche Defizite

durch Lerneinheiten am Nachmittag oder am Abend auszugleichen. An dieser

Stelle ist wieder die Kompetenz des Lehrers gefragt, der das Gespräch mit den

Eltern sucht, um aufkommende Probleme und Ängste gemeinsam zu bewältigen

(vgl. HÖVEL; RESCH, 2003, S. 47).

Abschließend möchte ich noch eine persönliche Stellungnahme zu dieser Thema-

tik abgeben anhand folgender Frage: Konnte ich mein persönliches Ziel erreichen,

Alternativen kennen zu lernen, die ich in meiner späteren Tätigkeit als Lehrperson

anwenden kann?

Ich konnte persönlich aus der Praxis erfahren, was Freinet-Pädagogik ausmacht.

Auf theoretischer Ebene hätte ich wahrscheinlich nie oder nicht wirklich verstan-

den, wie eine Organisation des Unterrichts nach den Vorstellungen Freinets sowie

gegebenenfalls im Sinne Freinets in veränderter Form stattfinden kann. Als ich

einen Artikel von Ursula Carle, Professorin für Grundschulpädagogik an der Uni-

5 STELLUNGNAHME – FAZIT 132

versität Bremen15, über die Bedeutung von Freinet-Pädagogik an deutschen Hoch-

schulen gelesen habe, konnte ich mich mit ihren Erfahrungen, die sie mit Studie-

renden gemacht hat, identifizieren. Sie beschreibt, dass Studierende in ihren Se-

minaren die Umsetzbarkeit der Freinet-Pädagogik oft anzweifeln. So fragen sie,

wie beispielsweise die Lehrpläne eingehalten werden können oder was mit Schü-

lern zu machen ist, die keine Lust auf Mathematik hätten. Carle erklärt diese

Skepsis vor allem durch die einseitigen praktischen Erfahrungen der Studierenden

aufgrund des selektionsgeprägten deutschen Schulsystems und aufgrund einer

fehlenden Überprüfbarkeit der gelernten Inhalte in der Praxis selbst durch die Stu-

dierenden. Im Schulpraktikum dagegen werden Alternativen, wenn überhaupt,

von den Lehrern in den Schulen nur angerissen, ansonsten wäre der Unterricht in

der Regel immer noch der, der den Studierenden aus der eigenen Schulzeit ver-

traut sei (vgl. CARLE, 1996, S. 160 f.).

Aus eigener Erfahrung kann ich dieser Stellungnahme zustimmen. Wenn Studie-

rende etwas „Neues“ kennen lernen und erproben möchten, sind sie vor allem auf

Eigeninitiative und auf Anregungen von Hochschullehrern angewiesen. Ich per-

sönlich konnte von den Denkanstößen profitieren. Auch wenn Eigeninitiative im-

mer mit mehr Arbeit verbunden ist, konnte ich jedoch auf diese Weise Schulen

kennen lernen, die Mut machen, eine Änderung des Schulwesens vorzunehmen

und die mir Anregungen gegeben haben, die ich später gerne selbst umsetzen

möchte.

Somit hat sich diese Arbeit, die ich jedoch an keiner Stelle belastend empfand, für

mich mehr als gelohnt. Die Freinet-Pädagogik ist für mich ein höchst aktueller

pädagogischer Ansatz, sie ist immer noch „modern“ und wird vor allem in der

Zukunft noch bedeutsamer sein.

15 Ursula Carle war von 1994-2000 Akad. Rätin an der Universität Osnabrück. Seit Wintersemes-ter 2000/2001ist sie an der Universität Bremen als Professorin tätig (vgl. ONLINE-DOKUMENT 7).

6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 133

6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: GROSSER, Karsten (2006): Wir leben in einer Explosion der In-

formation. In: Neue Osnabrücker Zeitung vom 11.02.2006.

Oder: http://www.neue-oz.de/_archiv/noz_print/interviews/2006/02/ranga_

yogeshwar.html?SID=977b5401f12ee33c9a0f655095aea129 (14.04.2006).

Abbildung 2: FREINET, Célestin (1979): Die moderne französische Schule. Ü-

bersetzt und besorgt von Hans Jörg. 2. Auflage, Paderborn: Schöningh, S. 3.

Abbildung 3: JÖRG, Hans (1979): Célestin Freinet, die Bewegung „Moderne

Schule“ und das französische Schulewesen heute. In: Freinet, Célestin: Die

moderne französische Schule. Übersetzt und besorgt von Hans Jörg. 2. Auf-

lage, Paderborn: Schöningh, S. 208.

Abbildung 4–6: JÖRG, Hans (1979): Célestin Freinet, die Bewegung „Moderne

Schule“ und das französische Schulewesen heute. In: Freinet, Célestin: Die

moderne französische Schule. Übersetzt und besorgt von Hans Jörg. 2. Au-

flage, Paderborn: Schöningh, S. 209.

Abbildung 7: MARX, Jean: Vue aérienne prise vers l’est. De l’autre côté de la

crête, la forêt descendant vers la Cagne.

http://www.culture.gouv.fr/culture/paca/dossiers/xxeme/fr_29.htm

(14.04.2006).

Abbildung 8: MARX, Jean: Plan d’ensemble schématique, avec répartition des

différentes bâtiments et éléments.

http://www.culture.gouv.fr/culture/paca/dossiers/xxeme/fr_29.htm

(14.04.2006).

Abbildung 9–77: Das sind zum einen Fotos, die von mir im Rahmen dieser Ar-

beit in den jeweiligen Schulen angefertigt wurden. Zum anderen handelt es

sich um eingescannte Bilder, wie beispielsweise Arbeitspläne, die mir von

den Schuldirektoren oder Lehrern ausgehändigt wurden. Daher ist eine

Quellenangabe nicht möglich und nötig.

7 LITERATURVERZEICHNIS 134

7 LITERATURVERZEICHNIS

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http://www.grundschulpaedagogik.uni-bremen.de/personen/carle.html

(14.04.2006).

8 ANHANG 143

8 ANHANG

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in

Köln

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in

Eitorf

ERKLÄRUNG 144

ERKLÄRUNG

Ich versichere hiermit, dass ich die Arbeit selbständig verfasst, keine anderen als

die angegebenen Hilfsmittel verwandt habe und die Stellen, die anderen Werken

im Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen sind, mit Quellenangaben kenntlich

gemacht habe.

In diese Versicherung sind auch Tabellen und bildliche Darstellungen mit einbe-

zogen.

Ort, Datum Ina Spreen

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 1: Schulprogramm – Informationsheft der „École Freinet“ in Vence

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in

Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 2: Auszug aus dem Schulprogramm der „Célestin-Freinet-Schule“ in Köln

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in

Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf

ANHANG 3: Auszug aus dem Schulprogramm der „Grundschule Harmonie“ in Eitorf