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THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK APPARATIVE LEBERUNTERSTÜTZUNGSVERFAHREN Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik Institut für Biomedizinische Technik Skript zur Lehrveranstaltung Autor: Ausgabe SS 05 Dr.-Ing. Christine Thiele

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THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK

APPARATIVELEBERUNTERSTÜTZUNGSVERFAHREN

Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik Institut für Biomedizinische Technik

Skript zur Lehrveranstaltung Autor:

Ausgabe SS 05 Dr.-Ing. Christine Thiele

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 2

2 Die menschliche Leber 3

2.1 Anatomie 32.2 Funktionen 52.3 Leberversagen 8

3 Übersicht über apparative Leberunterstützungsverfahren 11

4 Artifizielle Verfahren 13

4.1 Klassische Dialyseverfahren 134.1.1 Hämodialyse 134.1.2 Hämadsorption 154.1.3 Plasmapherese 174.1.4 Bewertung der Verfahren 18

4.2 Albumindialyse 194.2.1 Fractionated Plasma Separation and Adsorption (FPSA), Prometheus 194.2.2 Single Pass Albumindialyse (SPAD) 214.2.3 Molecular Adsorbent Recycling System (MARS) 234.2.4 Bewertung der Verfahren 23

4.3 Austauschtransfusionen 244.3.1 Plasmaaustausch 244.3.2 Vollblutaustausch 244.3.3 Bewertung der Verfahren 24

4.4 Produktübersicht 24

5 Bioartifizielle Verfahren 255.1 Extracorporeal Liver Assist Device (ELAD) 275.2 Bioartificial Liver (BAL) 285.3 Bioartificial Liver System (BLSS) 295.4 Modular Extracorporeal Liver Support System (MELS) 305.5 Bewertung der Verfahren 335.6 Produktübersicht 33

6 Extrakorporale Leberperfusion 34

7 Literatur 35

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1 Einleitung

Wegen schwerer Lebererkrankungen werden jährlich über 70.000 Menschen in

Deutschland stationär behandelt. Davon sterben 20.000 Patienten an den Folgen

ihres chronischen Leberversagens [MITZNER2002]. Von akutem Leberversagen sind

etwa 100-150 Patienten jährlich betroffen [BÖKER2001].

Das Leberversagen stellt ein dramatisches, lebensbedrohliches Erkrankungsbild

dar. Ein Ausfall der vielfältigen Funktionen der Leber (Synthese-, Biotransformati-

ons-, Homöostase- und Stoffwechselleistungen) führt zu einem komplexen Krank-

heitsbild mit erheblichen Störungen an allen lebenswichtigen Organen. Die Über-

lebensraten bei alleiniger konservativer Therapie sind sehr niedrig, je nach Patient

und Ursache des Leberversagens zwischen 20 - 40 %. Die Einführung der Leber-

transplantation führte zu Einjahres-Überlebensraten zwischen 70 - 90 %

[HORN1999]. Eine Lebertransplantation ist deshalb als die lebensrettende Thera-

pie des Leberversagens anzusehen. In Deutschland werden jährlich ca. 750 Le-

bern, davon 40 - 60 bei akutem Leberversagen, im Jahr transplantiert, weltweit

sind es ca. 11.000 [MITZNER2002], [BÖKER2001].

Die wachsende Knappheit an Spenderorganen, mögliche schwerwiegende Kom-

plikationen im Zusammenhang mit einer Transplantation und nicht zuletzt die po-

tentielle Regenerationsfähigkeit der Leber haben seit den 60er Jahren in vielfälti-

gen Forschungsarbeiten zur Entwicklung von temporären Leberunterstützungsver-

fahren und -systemen geführt. Wegen der Komplexität der Leberfunktion kann

z. Z. jedoch keine gerätetechnische Lösung zur extrakorporalen Leberunterstüt-

zung alle Aufgaben der Leber übernehmen.

Die Lehrveranstaltung soll einen Überblick über gerätegestützte Verfahren geben.

Dabei werden jeweils die speziellen Funktionen des einzelnen Verfahrens, die

technische Realisierung sowie Vor- und Nachteile besprochen.

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2 Die menschliche Leber

2.1 Anatomie

Die Leber (Hepar) liegt im rechten oberen Teil der Bauchhöhle unmittelbar unter

dem Zwerchfell (Bild 2.1). Sie ist mit einer Masse von 1500 - 2000 Gramm die

größte Drüse des Körpers. Pro Minute wird sie mit ca. 1,5 bis 2 Litern Blut durch-

strömt, d. h. normiert auf ihre Masse von ca. 1 ml/min/g.

Bild 2.1: Lage der Leber im Oberbauch, nach [HEPANET2005]

Die Leber gehört zu den Organen mit zwei Kreisläufen. Der Blutzufluss erfolgt ei-

nerseits über die aus der Bauchschlagader abzweigende Leberarterie (Arteria he-

patica) und andererseits über die Pfortader (Vena portae) durch Zustrom venösen

Blutes vom Magen, Darm, Bauchspeicheldrüse und Milz. Die Aufteilung des Ge-

samtblutflusses auf die beiden zuführenden Gefäße beträgt etwa -

qPfortader : qLeberarterie = 3:1. Der Blutrückfluss in den Körperkreislauf erfolgt über die,

meist drei, Lebervenen (Venae hepaticae) in die untere Hohlvene (Bild 2.2).

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Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996]

Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-

pen, die sich beide in Segmente und diese wiederum in viele Leberläppchen (Lo-

buli hepatici) unterteilen. In der Mitte der Leberläppchen liegt als Sammelgefäß

eine Zentralvene, die in eine der Lebervenen mündet. Zwischen den ca. einen Mil-

limeter großen Läppchen sind die sog. Periportalfelder ("Glisson-Trias") angeord-

net, in denen je ein feiner Ast der Leberarterie und Pfortader sowie eine Gallenka-

pillare liegen (Bild 2.3).

Innerhalb eines Leberläppchens bilden die Leberzellen (Hepatozyten) eine balken-

artige Struktur. Die Balken sind radiär um die Zentralvene angeordnet. Zwischen

den Balken verlaufen Blutkapillaren (Sinusoide), in denen sich sauerstoffreiches

Blut der Arterien mit sauerstoffarmem Blut der Pfortader vermischt und zur Zent-

ralvene abfließt; und Gallenkapillaren, in denen die im Leberläppchen produzierte

Galle entgegen dem Blutstrom zur Gallenblase transportiert wird. Die Sinusoide

sind bis zu 500 µm lang und mit Sinusendothel ausgekleidet. Das Sinusendothel

ist eine Funktionseinheit aus Zellen, die zur Speicherung von Stoffen und zur Pha-

gozytose fähig ist.

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Bild 2.3: Schnitt durch ein Leberläppchen, nach [BENNER1996]

Die Wand der Leberzellen grenzt nicht direkt an die Sinusoide, sondern ist durch

einen schmalen Spalt, den Disséschen Raum, von diesen getrennt. In den Dissé-

schen Raum ragen fingerförmig sehr feine Ausläufer der Leberzellen (Mikrovilli)

hinein. Durch feine Poren zwischen den Endothelzellen wird ein Kontakt mit den

im Blut befindlichen Stoffen hergestellt und damit ein Stoffaustausch ermöglicht.

In das Sinusendothel eingelagert sind die zur Phagozytose fähigen Kuppferschen

Sternzellen (Makrophagen).

2.2 Funktionen

Die Leber nimmt wegen ihrer vielfältigen Aufgaben eine zentrale Stellung im Kör-

per ein. Die Funktion aller anderen Organe ist unmittelbar oder mittelbar von der

Leistungsfähigkeit der Leber abhängig. Neben Stoffwechsel- und Speicherfunktio-

nen erfüllt die Leber auch Aufgaben der Biosynthese und Biotransformation sowie

eine Entgiftungs- und Abwehrfunktion.

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Stoffwechselfunktion

§ Kohlenhydratstoffwechsel:

Die Leber nimmt Glukose aus dem Blut auf, wandelt diese in Glykogen um und

speichert dieses (Glykogenese). Bei Bedarf wird Glykogen wieder zu Glukose ab-

gebaut und an das Blut abgegeben (Glykogenolyse). Im Zusammenspiel mit dem

Hormon Insulin kann so der Blutzuckerspiegel unabhängig von einer Nahrungszu-

fuhr in Grenzen konstant gehalten werden. Glukose kann aus Milchsäure, Amino-

säuren oder Glyzerin synthetisiert werden (Glukoneogenese).

§ Eiweißstoffwechsel

Nahrungsproteine werden im Darm in freie Aminosäuren gespalten und gelangen

von dort in das Blut. Im Plasma zirkulieren Aminosäuren in relativ geringer Kon-

zentration von etwa 3 mmol/l. Diese Aminosäuren werden von den Geweben

schnell aufgenommen und für die Proteinsynthese verwendet. Wenn die Amino-

säurenkonzentration im Plasma abfällt, werden Proteine wieder in ihre Bestand-

teile, die Aminosäuren, zerlegt. Auf diese Weise wird ein Gleichgewicht zwischen

den Proteinpools der Körpergewebe aufrecht erhalten. Der Ab-, Um- und Aufbau

dieser Proteine erfolgt zum großen Teil in der Leber. Überschüssig aufgenomme-

ne Proteine werden zur Gewinnung von metabolischer Energie verbraucht oder in

Glykogen oder Fett umgebaut und in der Leber gespeichert. Beim Aminosäuren-

abbau entsteht toxisch wirkender Ammoniak.

§ Fettstoffwechsel

Die Leber gewinnt aus Fetten Energie, wandelt sie in Speicherfett um und produ-

ziert aus Fetten mit Hilfe von Gallensäuren aus der Galle Grundbausteine unter

anderem für die Herstellung von Cholesterin oder Hormonen.

Speicherfunktion

In der Leber wird Glykogen und Fett aus dem Stoffwechsel gespeichert. Darüber

hinaus ist die Leber ein wichtiger Vitaminspeicher (A, D, E, K). Durch gezielte Be-

reitstellung von Vitamine transportierenden Hormonen wird die Vitaminverteilung

im Körper gesteuert. Spurenelemente (Eisen, Kupfer, Zink, Mangan) werden eben-

falls gespeichert und können mittels Transportproteinen an den Organismus ab-

gegeben werden.

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Aufgrund der hohen Elastizität der Lebervenen kann die Leber auch als Speicher

für Blut dienen. So kann z. B. bei Verletzungen mit großem Blutverlust etwa 1 Liter

Blut kurzfristig aus der Leber in den Körperkreislauf abgegeben werden.

Biosynthese

In der Leber werden nahezu alle Plasmaproteine synthetisiert. Dazu gehören

Transportproteine (Albumin, Transferrin, Haptoglobin, Cearuloplasmin), Immun-

abwehrproteine, Proteine für die Blutgerinnung und viele Lipoproteine. Weiterhin

werden in der Leber über 90% des Cholesterins synthetisiert. Als größte Drüse des

Körpers produziert die Leber die für die Fettverdauung wichtige Galle (500 -

1000 ml/Tag) und stellt einige Hormone (Angiotensinogen, Kiniogen, Somatome-

dine, Calciferol) her. Auch die Synthese von Kreatin erfolgt in der Leber.

Biotransformation

In der Leber erfolgt die chemische Umwandlung von körpereigenen Stoffen aus

dem Intermediärstoffwechsel sowie von Fremdstoffen derart, dass sie wasserlös-

lich und damit ausscheidbar werden. Die meisten Reaktionen einer Biotransforma-

tion sind zweistufig. In einer ersten Phase werden die Stoffe durch Oxydation, Re-

duktion oder Hydrolyse umstrukturiert und in einer zweiten Phase über eine Kon-

jugation wasserlöslich gemacht und so für die Ausscheidung aufbereitet. Wichtige

körpereigene Stoffe, die durch Biotransformation umgewandelt werden, sind Bili-

rubin, Steroidhormone, Gallensäuren und Ammoniak. Ziel der Biotransformation

ist eine Entgiftung. Einige körperfremde Stoffe werden durch Biotransformation

jedoch zu toxischen Substanzen aktiviert.

Ausscheidungsfunktion

Die Ausscheidung der durch Biotransformation wasserlöslich gemachten Stoffe

erfolgt über die Niere oder die Galle.

Ein Beispiel ist das Bilirubin. Hämoglobin wird beim Abbau von Erythrozyten in

Häm und Globin gespalten. Aus dem Häm wird Eisen und die Zwischenstufe Bili-

verdin (primäres, unkonjugiertes, indirektes Bilirubin) gewonnen. Das primäre Bi-

lirubin wird mit Hilfe von Albuminen zur Leber transportiert. In den Leberzellen

wird das Albumin abgetrennt und mittels Glucoronsäure erfolgt der Umbau zum

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wasserlöslichen (sekundären, konjugierten, direkten) Bilirubin. Dieses wird dann

in die Galle abgegeben, über das Gallengangsystem in den Darm geleitet und von

dort überwiegend mit dem Stuhl bzw. nach Rückresorption in das Blut über die

Niere ausgeschieden.

Ein weiteres Beispiel ist das beim Eiweißabbau entstehende toxische Ammoniak.

Der größte Teil wird im Harnstoffzyklus in der Leber in Harnstoff umgewandelt.

Dieser ist wasserlöslich und unschädlich und kann deshalb problemlos über die

Niere ausgeschieden werden.

Abwehrfunktion

Bakterien, Zelltrümmer und Fremdkörper werden durch die Kuppferschen Stern-

zellen im Sinusendothel phagozytiert. Dabei werden die Fremdstoffe durch Aus-

stülpungen der Zellen umflossen und eingehüllt. Dann erfolgt durch zelleigene

Enzyme ein Abbau.

2.3 Leberversagen

Leberversagen ist Folge des Verlustes komplexer Leberfunktionen. Tritt das Le-

berversagen bei Patienten mit bis zu diesem Zeitpunkt normaler Leberfunktion

auf, spricht man von akutem Leberversagen. Bei Ausfall der Leberfunktionen sind

entsprechend den Aufgaben der Leber viele Organsysteme betroffen. Charakteris-

tisches Merkmal des Leberversagens ist die hepatische Enzephalopathie (nichtent-

zündliche Hirnveränderungen mit Bewusstseinsstörungen). Zusammen mit der Gelb-

sucht (Ikterus) gehört sie definitionsgemäß zum akuten Leberversagen. Im Verlauf der

Erkrankung treten meist zusätzliche Komplikationen auf: Hypoglykämie, zerebrales Ö-

dem, metabolische Acidose, Koagulopathie und Nierenversagen (Bild 2.4).

Als Ursache für die hepatische Enzephalopathie wird eine Anreicherung von Ammoni-

ak im Blut und die damit verbundene Schädigung des Hirngewebes angenommen. Eine

gestörte Insulinclearance mit erhöhtem Insulinspiegel in Kombination mit einer gestör-

ten Glykogenolyse und Glukoneogenese führt zum Absinken des Blutzuckerspiegels

und damit verbundenen Krankheitszeichen (Hypoglykämie). Die Gelbsucht (Ikterus)

entsteht durch Übergang von Bilirubin aus dem Blut in die Körpergewebe aufgrund ei-

ner gestörten Biotransformationsfunktion der Leberzellen bei der Bilirubinkonjugation.

Durch Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel reichern sich organische Säuren im Blut

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an. Es entsteht eine metabolische Azidose mit Blut-pH-Werten unter 7,36. Als Folge

davon kann vermehrt Kalium aus den Zellen in das Blut gelangen und es entsteht eine

Hyperkaliämie. Nierenversagen z. B. durch direkte toxische Schädigung (Paracetamol)

oder durch mangelnde Durchblutung infolge Kreislaufversagen führt zur Anreicherung

von harnpflichtigen Stoffen im Blut und zu einer Volumenüberladung. Blutgerinnungs-

störungen entstehen u. a. durch die reduzierte leberspezifische Synthese von Gerin-

nungsfaktoren.

Bild 2.4: Extrahepatische Komplikationen beim akuten Leberversagen, nach[HOLSTEGE2003]

Wichtig für die Prognose eines akuten Leberversagens ist die Zeit zwischen Auf-

treten der Gelbsucht und den Bewusstseinsstörungen. Ein rasch fortschreitender

Verlauf mit kurzem Zeitintervall zwischen Ikterus und hepatischer Enzephalopathie

geht mit einer relativ besseren Prognose einher [RIFAI2003A], Tabelle 2.1. Daher

unterscheidet man nochmals zwischen subakutem (Zeitintervall größer zwei Wo-

chen) und akutem (Zeitintervall kleiner zwei Wochen) Leberversagen. Eine akute

Verschlechterung der Leberfunktion bei bereits bestehender chronischer Leberer-

krankung wird als akut-auf-chronisches Leberversagen bezeichnet.

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Die Unterscheidung der verschiedenen Formen des Leberversagens ist wichtig, da

sich das differenzialdiagnostische und therapeutische Vorgehen in Abhängigkeit

von den zugrunde liegenden Ursachen (Tabelle 2.2) erheblich unterscheidet.

LeberversagenKlinischeCharakteristika akut subakut akut-auf-

chronisch

schwereakute

HepatitisChronischerLeberschaden (+) + +++ (+)

HepatischeEnzephalopathie (HE) +++ +++ ++ -

IntervallIkterus bis HE < 2 Wochen > 2 Wochen unter-

schiedlich keine HE

Hirnödem +++ ++ + -

Nierenversagen ++ +++ ++ (+)

Infektionen +++ ++ ++ (+)

Hypoglykämien +++ ++ ++ +

Kreislaufversagen +++ +++ ++ -

Multiorganversagen ++ +++ ++ -Überleben ohneLebertransplantation 40% < 20% schlecht sehr gut

Tabelle 2.1: Klinische Charakteristika verschiedener Typen des Leberversagens.[RIFAI2003A]

Bei einem akuten Leberversagen kann sich die Leberfunktion prinzipiell vollstän-

dig regenerieren. Leberersatzverfahren verfolgen hier deshalb das Ziel, die Leber-

funktion vorübergehend bis zur Regeneration zu unterstützen (Bridging). Bei

chronischen Lebererkrankungen ist eine Transplantation die einzige kurative (hei-

lende) Therapiemöglichkeit. Das akut-auf-chronische Leberversagen stellt jedoch

keine Option auf eine Notfalltransplantation (Wartezeit 1-3 Tage) dar, sodass Le-

berersatzverfahren hier den Patienten soweit stabilisieren sollen, dass die normale

Wartezeit (Monate bis Jahre) bis zu einer Transplantation "überstanden" wird

[RIFAI2003].

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Einteilung spezifische Ursache

Infektionen

§ Hepatitis-Virus A,B,C,D,E (allein oder in Kombination)§ Cytomegalievirus (Speicheldrüsenv.)§ Epstein-Barr-Virus§ Herpes simplex virus§ Paramyxovirus (Riesenzellhepatitis)

Stoffwechselstörungen

§ akute Schwangerschaftsfettleber§ Leberversagen nach jejunoilealem Bypass§ Reyes-Syndrom (akute Enzephalopathie mit Fettle-

berhepatitis)§ Morbus Wilson (Kupferstoffwechselstörung)§ Erythropoetische Protoporphyrie (Störung des

Porphyrinstoffwechsels mit starker Photosensibilitätder Haut)

Medikamente/Toxine

§ Paracetamol, Tetracyclin, Halothan, Isoniazid, Rifam-pocin, NSAR, Fialuridin, Methyldopa, Valproinsäure

§ Tetrachlorkohlenstoff, gelber Phosphor, Knollenblät-terpilz, Toxin von Bacillus Cereus (Nahrungsmittel),Ecstasy, Mikrocystin aus Cyanobakterien (kontani-miertes Wasser bei Hämodialyse), Kava-Kava

Hypoxie

§ Lebervenenverschluss (Budd-Chiari)§ Leberarterienverschluss§ Schock§ Hyperthermie§ primäres Transplantatversagen nach TIPS-

Implantation§ Tumorinfiltration

Tabelle 2.2: Ursachen für akutes Leberversagen, modif. nach [HOLSTEGE2003]

3 Übersicht über apparative Leberunterstützungsverfahren

Apparative Verfahren zur Leberunterstützung werden seit den 60er Jahren mit

wechselnden Schwerpunkten intensiv untersucht. Aus gerätetechnischer Sicht

teilt man die Unterstützungsverfahren in zwei Klassen ein (Tabelle 3.1).

Das sind zum einen artifizielle Verfahren ohne biologische Komponenten, die des-

halb nur Entgiftungsfunktionen unterstützen können. Je nach eingesetztem physi-

kalischen Wirkprinzip erreicht man eine Elimination unterschiedlicher Schadstoffe

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aus dem Kreislauf des Patienten. Zum anderen sind das bioartifizielle Verfahren

mit biologischen Komponenten, die als temporärer Leber(teil)ersatz dienen und

damit Stoffwechsel-, Entgiftungs- und Synthesefunktionen der geschädigten Pati-

entenleber übernehmen sollen.

Verfahren Prinzip → Wirkungartifizielle Verfahren

Klassische Dialyseverfahren

§ Hämodialyse, Hämadsorption, Plasmaphere-se§ Kombination aus Hämodialyse, Hämadsorp-

tion, Plasmaseparation

Entfernung klein- und mittelmole-kularer wasserlöslicher Stoffe ausdem Kreislauf

→ partielle Entgiftung

Albumindialyse

§ Einweg- Albumindialyse§ Albumindialyse mit recyceltem Albumin

(Reinigung mit Adsorber und Low-Flux-Dialyse)§ Kombination aus Plasmaseparation, direkter

Albuminreinigung und High-Flux-Dialyse

Entfernung wasserlöslicher undalbumingebundener Stoffe ausKreislauf

→ partielle Entgiftung

Austauschtransfusionen

Austausch von Vollblut oderPlasma

→ kurzfristige Entgiftung undSubstitution (z. B. Gerinnungsfak-toren)

bioartifizielle Verfahren

Bioreaktor-Systeme

§ Zellen aus Zellkulturreihen und Ultrafiltration§ Schweine-Hepatozyten und Hämadsorption§ Humane Hepatozyten, Einweg-Albumin-Dia-

lyse und High-Flux-Dialyse

Nutzung der Funktionen des Zell-systems

→ zeitweiser Leberersatz

Extrakorporale Leberperfusion

§ explantierte xenogene Leber§ explantierte, nicht für Transplantation geeig-

nete humane Leber

Patientenblut durchströmt explan-tierte, als Shunt zum Körperkreis-lauf geschaltete Leber

→ zeitweiser Leberersatz

Tabelle 3.1: Einteilung extrakorporaler Leberunterstützungsverfahren

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Aus medizinischer Sicht ist bis heute nicht eindeutig geklärt, welche Leberfunktio-

nen entscheidend für das Überleben eines Patienten sind und deshalb zwingend

in apparative Unterstützungssysteme implementiert werden sollten.

4 Artifizielle Verfahren

4.1 Klassische Dialyseverfahren

4.1.1 Hämodialyse

Bei der Hämodialyse wird das Blut extrakorporal an einer künstlichen Membran

gereinigt. Dazu wird es in einem Stoffaustauscher (Dialysator) mit einer Spülflüs-

sigkeit (Dialysat) in Kontakt gebracht. An der selektiv semipermeablen Membran

des Dialysators, die Blut- und Dialysatkompartiment trennt, erfolg in Abhängigkeit

von den Membraneigenschaften (Porengröße, Porendichte, elektrischer Ladung,

Gesamtfläche) und dem Konzentrationsunterschied von Substanzen in beiden

Kompartimenten ein Stoffaustausch. Der Wirkungsmechanismus dieses Austau-

sches beruht überwiegend auf den Prinzipen von Diffusion und Osmose. Beim

Auftreten von hydrostatischen Druckunterschieden zwischen Blut- und Dialysat-

kompartiment kann Lösungsmittel (Plasmawasser oder Wasser des Dialysats)

zwischen den Kompartimenten verschoben werden. Dabei führt das Lösungsmit-

tel bei dieser Ultrafiltration auch gelöste Substanzen mit (Konvektion). Korpusku-

läre und hochmolekulare Blutbestandteile werden von der Membran zurückgehal-

ten, kleinmolekulare Substanzen, insbesondere Elektrolyte, können zwischen den

Kompartimenten ausgetauscht werden. Die Ausschlussgrenze (Cut-off) einer

Membran gibt an, bis zu welcher relativen Molekülmasse ein Molekül die Mem-

bran passieren kann. Da künstliche Membranen nicht mit absolut gleichmäßigen

Poren hergestellt werden können, sondern die Porengröße einer Gauß-

Normalverteilung folgt, existiert keine scharfe Ausschlussgrenze. Als Membranpa-

rameter wird deshalb diejenige relative Molekülmasse angegeben, die eine Sub-

stanz haben muss, um zu 95% zurückgehalten zu werden. Unterschieden werden

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Low-flux-Membranen mit einer Permeabilität bis ca. 5.000 Dalton1 und High-flux-

Membranen mit einer Permeabilität bis ca. 66.000 Dalton.

Der bei der Hämodialyse mit Abstand am häufigsten eingesetzte Dialysatortyp ist

der Hohlfaserdialysator. Ein Hohlfaserdialysator enthält bis zu 20.000 Kapillaren,

deren Wände die semipermeable Membran bilden. Das Blut wird durch diese Ka-

pillaren geleitet, d. h. die Innenlumina aller Kapillaren bilden das Blutkomparti-

ment, das Dialysatkompartiment besteht aus dem die Fasern umgebenden In-

nenlumen des Dialysatorgehäuses (Bild 4.1).

Bild 4.1: a) Schema eines Hohlfaserdialysators, b) Dialysator der Firma Fresenius

Leistungskriterium eines Dialysators ist die Clearance. Die Clearance einer Sub-

stanz gibt an, wie viel der durch den Dialysator geflossenen Blutmenge von der

betreffenden Substanz vollständig befreit wurde. Durch Messung der Konzentrati-

on einer Substanz im Blut vor und nach dem Dialysator und des Blutflusses kann

die Clearance praktisch bestimmt werden:

1 Jedes Molekül besitzt eine Molekülmasse, die sich aus der Addition der Massen der Atome, aus

denen es besteht, ergibt. Angegeben wird die relative Masse in der Einheit Dalton (Da), wobei ein

Dalton 1/12 der Masse des Kohlenstoff-Isotops 12C entspricht.

a b

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BQBinC

BoutC-BinC=K

Dabei sind K - Clearance [K] = ml/minQB - Blutfluss [QB] = ml/minCBin - Konzentration im Blut vor dem DialysatorCBout - Konzentration im Blut nach dem Dialysator

In Datenblättern zu Dialysatoren angegebene Clearance-Werte sind meist mit ei-

ner wässrigen Lösung statt mit Blut (In-vitro-Werte) ermittelt, die während einer

Dialysebehandlung tatsächlich erzielten Werte (In-vivo-Werte) liegen etwa 10-15%

darunter und unterscheiden sich von Patient zu Patient. [FRANZ1990]

Eine schematische Darstellung der Hämodialyse mit Anschluss des Patienten an

den Dialysator zeigt Bild 4.2.

Bild 4.2: Schematische Darstellung der Hämodialyse

4.1.2 Hämadsorption

Bei diesem Verfahren strömt das Blut nicht durch einen Dialysator, sondern durch

einen mit adsorbierenden festen Substanzen, z. B. Aktivkohle oder Harz, gefüllten

Behälter. Diese Substanzen liegen meist in Form eines Granulates vor und können

zusätzlich von künstlichen Membranen umschlossen sein. Beim Kontakt des Blu-

vom Patienten

zum Patienten

arteriellerDruck

Blutpumpe

Heparinpumpe

Dia

lysa

tor

venöseDrossel

Blutleck-detektor

Dialysat-pumpe

Dialysatabfluss

Dialysatzufluss

Luft-detektor

venöserRücklaufdruck

Dialysatzufluss-drossel

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tes mit der Oberfläche des Granulates kommt es an der Grenzschicht zur Adsorp-

tion (Anlagerung) vorwiegend mittelmolekularer Bestandteile des Blutes. Der

Wasser- und Elektrolytgehalt wird nicht beeinflusst. Durch die Auswahl von Ad-

sorber- und Membranmaterial kann die Anlagerung substanzspezifisch erfolgen.

Die Konzentration des zu entfernenden Stoffes sinkt bei Passage durch den Ad-

sorber solange, bis eine Sättigung eintritt. Das Verfahren der Hämadsorption wird

vor allem bei schweren Vergiftungen zur Detoxifikation eingesetzt. Die schemati-

sche Darstellung der Hämadsorption zeigt Bild 4.3.

Bild 4.3: Schematische Darstellung der Hämadsorption

Adsorbent 150C / 300CFüllmenge / g 150Oberfläche / m2 150 000 / 300 000Membranmaterial CelluloseMembrandicke / µm 3-5Priming-Volumen / ml 140 / 450Filterporen / µm 450Gehäuse PolypropylenLänge / mm 245Durchmesser / mm 87Gewicht / kg 0,9 / 1

Bild 4.4: Aktivkohle-Adsorber der Firma Gambro

vom Patienten

zum Patienten

arteriellerDruck

Blutpumpe

Heparinpumpe

venöseDrossel

Luft-detektor

venöserRücklaufdruck

Akt

ivko

hle-

ode

r Har

z-A

dsor

ber

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4.1.3 Plasmapherese

Beim Verfahren der Plasmapherese werden die korpuskulären Blutbestandteile

durch eine hochpermeable Membran (Ausschlussgrenze 106 - 107 Dalton) vom

Plasma getrennt. Dies ermöglicht die Elimination großer Mengen von im Plasma

enthaltenen Immunkomplexen, Antikörpern und Toxinen, die durch Dialyse nicht

entfernt werden können. Die Plasmapherese ist ein unspezifisches aber einfaches

Verfahren zur Entfernung höhermolekularer Substanzen. Die Porengröße der

Plasmafilter (0,2 - 0,5 µm) ist gerade klein genug, um einen Übertritt der Blutplätt-

chen in das abgefilterte Plasma zu verhindern.

Das abgetrennte Plasma kann entweder verworfen (Bild 4.5) oder über einen Kas-

kadenfilter gereinigt und reinfundiert (Bild 4.6) werden. Wird das Plasma verwor-

fen, so muss das entfernte Volumen durch geeignete Flüssigkeiten ersetzt werden.

Als Ersatz werden Humanalbumin, körperfremde kolloidale Lösungen, frisch ge-

frorenes Plasma (fresh frozen Plasma FFP) oder Plasmakonserven verwendet.

Bild 4.5: Schematische Darstellung der Einweg-Plasmapherese

Das Kaskadenfilter unterscheidet sich vom Plasmafilter durch die Porengröße der

Filtermembran. Der Siebkoeffizient des Kaskadenfilters ist so dimensioniert, dass

er für die zu eliminierenden Stoffe praktisch gleich Null, für alle anderen nieder-

vom Patienten

zum Patienten

arteriellerDruck

Blutpumpe

Heparinpumpe

Plas

maf

ilter

venöseDrossel

Pumpe fürPlasmaentzug

Entzug von Patienten-plasma

Zufuhr der Substitutions-flüssigkeit

Luft-detektor

venöserRücklaufdruck

Pumpe für Zufuhr derSubstitutionsflüssigkeit

Page 20: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

18

molekularen Stoffe aber möglichst hoch ist. Die Kaskadenfiltration ermöglicht so

die Rückführung wichtiger Bestandteile des Patientenplasmas und minimiert die

Menge der Plasmaersatzstoffe.

Bild 4.6: Schematische Darstellung der Kaskadenfiltration

4.1.4 Bewertung der Verfahren

Durch den Einsatz der in der Behandlung des Nierenversagens etablierten Dialy-

severfahren soll die Entgiftungsfunktion der Leber mittels temporärer Filtration

unterstützt und damit die chemische Zusammensetzung der extrazellulären Flüs-

sigkeit (Homöostase) aufrecht erhalten werden. Ein Ersatz der Lebersynthesefunk-

tion ist durch diese "Leberdialyse" nicht möglich. Die Anwendung der Dialysever-

fahren, einzeln oder in Kombination, zeigt deshalb nur eine vorübergehende Kor-

rektur von Leberteilfunktionen und führt statistisch nicht zu einer höheren Überle-

benschance der Patienten mit Leberversagen ([KNELL1976], [FREEMAN1986],

[O'GRADY1988]). Sie haben vorrangig in besonderen Fällen, wie bei der Paraceta-

mol-Vergiftung oder bei Vergiftung mit Knollenblätterpilzen ihre Berechtigung.

vom Patienten

zum Patienten

arteriellerDruck

Blutpumpe

Heparinpumpe

Plas

maf

ilter

venöseDrossel

Plasmapumpe

Luft-detektor

venöserRücklaufdruck

Kask

aden

filte

r

Abfall

Page 21: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

19

4.2 Albumindialyse

Die Albumindialyse wurde in den letzten Jahren als neues artifizielles Leberunter-

stützungsverfahren eingeführt, um neben den wassergebundenen auch albumin-

gebundene Substanzen aus dem Kreislauf des Patienten entfernen zu können.

4.2.1 Fractionated Plasma Separation and Adsorption (FPSA),

Prometheus

Bei diesem Verfahren wird das Plasma durch einen albumindurchlässigen Filter

separiert und in einem Sekundärkreislauf über zwei für unterschiedliche Substan-

zen spezifische Adsorber gereinigt. Dabei hat das albuminhaltige Plasma direkten

Kontakt zu den Adsorbern. Das gereinigte Plasma wird dem Blutstrom wieder zu-

geführt. Auf diese Weise muss im Kreislauf kein Plasma ersetzt werden. In einem

High-Flux-Dialysator erfolgt anschließend eine konventionelle Dialyse. Danach

wird das so mehrfach gereinigte Blut dem Patienten wieder zugeführt. Das Sche-

ma des Prometheus-Verfahrens zeigt Bild 4.7.

Bild 4.7: Schematische Darstellung des Prometheus-Verfahrens

zum Patienten

venöse Drossel Luftdetektor

venöserRücklaufdruck

vom Patienten

arteriellerDruck

Blutpumpe

Heparinpumpe

Plas

maf

ilter

Plasmapumpe

Dia

lysa

tor

Adsorber 1

Adsorber 2

Blutleckdetektor Dialysatpumpe

Dialysatabfluss

Dialysatzufluss

Dialysatzuflussdrossel

Page 22: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

20

Der Plasmafilter erlaubt die Passage von Albumin und albumingebundenen Toxi-

nen, höhermolekulare Blutbestandteile wie Komponenten des Gerinnungs- und

Immunsystems sowie Blutplättchen und Blutzellen werden zurück gehalten. Der

Adsorber 1 besteht aus einem Neutralharz in Granulatform, welches eine sehr

große Oberfläche besitzt (350 ml mit 120 000 m2). Die Partikel sind kugelförmig

mit einem Durchmesser von ungefähr 0,4 mm. Die Partikeloberfläche ist sehr

glatt, das Innere extrem porös. Damit wird die Biokompatibilität nach außen und

eine hohe Bindungskraft gegenüber Toxinen im Inneren erzielt. Die Oberfläche

von Adsorber 1 ist so optimiert, dass Toxine, aber keine physiologisch wichtigen

Substanzen, wie Albumin, Elektrolyte und Hormone, gebunden werden. In Adso-

ber 1 werden hauptsächlich albumingebundene Gallensäuren, hydrophobe Ami-

nosäuren und phenolähnliche Substanzen eliminiert.

Bild 4.8: Adsorber 1-Kartusche, Granulat und Schnitt durch ein Partikel,[FRESENIUS]

Adsorber 2 besteht aus einem hocheffektiven Anionen-Austauscher-Harz. Dieses

liegt ebenfalls in Granulatform mit einem Teilchendurchmesser von 0,4 mm vor.

Die poröse innere Oberfläche enthält positiv geladene Liganden, welche die Ad-

sorption negativ geladener Toxine, wie Z. B. Bilirubin, ermöglichen. Dieser Adsor-

ber 2 enthält 350 ml Granulat mit einer Gesamtaustauschkapazitätvon 350 mval.

Beide Adsorber werden im Sekundärkreislauf in Reihe geschaltet und müssen

nach einmaligem Gebrauch verworfen werden.

Page 23: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

21

Bild 4.9: Adsorber 2-Kartusche, Granulat und Schnitt durch ein Partikel,[FRESENIUS]

4.2.2 Single Pass Albumindialyse (SPAD)

Bei der Single-Pass-Albumindialyse wird das Patientenblut extrakorporal über ei-

ne nicht albuminpermeable Membran gegen Albumin in einem Sekundärkreislauf

dialysiert. Dabei kommt es zu einem Übergang albumingebundener Toxine aus

dem Patientenkreislauf in den Sekundärkreislauf. Das dann mit Toxinen beladene

Albumin wird verworfen. Ermöglicht wird der Toxintransport aufgrund der be-

sonderen Membranstruktur [DE 4309410 A1]. Die semipermeable Membran aus

Polyamid oder Polysulfon ist asymmetrisch aufgebaut, d. h. der Porendurchmes-

ser steigt innerhalb der Membranwand an, die kleinporige Seite ist dabei dem Pa-

tientenkreislauf (Blutseite), die großporige Seite dem Sekundärkreislauf zuge-

wandt. Vor Einsatz der Membran erfolgt eine besondere Beschichtung. Die weit-

porige Seite wird mit einer albuminhaltigen Lösung gespült. Dabei wandern Al-

buminmoleküle in die Wand hinein und verteilen sich auf der inneren Oberfläche

dieser Membranseite. Die innere Oberfläche wird aufgrund der physikochemi-

schen Affinität der Membran zu den Albuminmolekülen beschichtet. Anschließend

wird die kleinporige Seite der Membran mit der gleichen albuminhaltigen Lösung

überspült. Wegen der Kleinporigkeit dringt die Spüllösung jetzt nicht in die

Membran ein, sondern beschichtet die Außenseite. Bei der Beschichtung wandelt

sich die Molekülstruktur des Albumins um und es kann zu einer Wechselwirkung

zwischen innerer und äußerer Beschichtung kommen. Bei der Blutreinigung lösen

sich die an das patienteneigene Albumin gebundenen Toxine, wie Bilirubin, Fett-

Page 24: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

22

säuren oder Phenole, aufgrund der Affinität zu den Albuminmolekülen der Be-

schichtung ab und wandern in die Membran. Das im Sekundärkreislauf vorhande-

ne unverbrauchte Albumin bietet nun wiederum freie Bindungsstellen für die To-

xinmoleküle und diese treten aufgrund des Konzentrationsunterschiedes in den

Sekundärkreislauf über.

Bild 4.10: Schnitt durch die MARS-Membran

Die Single-Pass Albumindialyse erfordert einen ähnlichen apparativen Aufbau wie

eine kontinuierliche veno-venöse Hämodialyse. Statt des Dialysators wird der spe-

zielle MARS-Dialysator mit der beschriebenen Membran und statt des Dialysates

eine albuminhaltige Lösung eingesetzt. Das Schema dazu zeigt Bild 4.11.

Bild 4.11: Schematische Darstellung der Single-Pass-Albumindialyse

vom Patienten

zum Patienten

Blutpumpe

MA

RS

-D

ialy

sato

r

Dialysatabfluss

Abfall

DialysatpumpeAdsorber

albuminhaltigesDialysat

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4.2.3 Molecular Adsorbent Recycling System (MARS)

Das MARS-Verfahren ist eine Weiterentwicklung der Single-Pass-Albumin-

dialyse. Hier wird das verbrauchte, mit Toxinen beladene albuminhaltige Dialysat

nicht verworfen, sondern im Sekundärkreislauf über zwei Adsorber und eine Low-

Flow-Dialyse wieder aufbereitet. Mit diesem Verfahren können sowohl albumin-

gebundene Toxine als auch wasserlösliche Substanzen eliminiert und eine be-

stimmte Elektrolytkonzentration eingestellt bzw. aufrecht erhalten werden. Durch

die Rezirkulation und Regeneration der Albuminmoleküle kann dieses System bis

zu 24 Stunden zur Therapie einer eingeschränkten Leberfunktion eingesetzt wer-

den.

Bild 4.12: Schematische Darstellung der MARS-Dialyse

4.2.4 Bewertung der Verfahren

Die Albumindialyse erlaubt die Entfernung von wasserlöslichen klein- und mittel-

molekularen sowie von albumingebundenen Toxinen. Das MARS-Verfahren ist

dabei das am häufigsten eingesetzte Verfahren mit dem bisher mehr als

vom Patienten

zum Patienten

Blutpumpe

MA

RS

-D

ialy

sato

r

Albuminhaltiger Mittelkreislauf

Albuminpumpe

Dia

lysa

t-pu

mpe

AbfallDialysat

Adsorber 2

Adsorber 1

Page 26: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

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2000 Patienten mit mehr als 10 000 Einzelbehandlungen therapiert wurden. Insge-

samt wird jedoch von mehreren Autoren eingeschätzt, dass die Datenlage noch

keine abschließende Beurteilung dieser Verfahren erlaubt und ein Einsatz außer-

halb von Studien noch nicht erfolgen sollte [RIFAI2003], [BAUER2004], [RIFAI2003A],

[SCHÖN2004].

4.3 Austauschtransfusionen

4.3.1 Plasmaaustausch

Der Begriff Plasmaaustausch ist ein Synonym für Plasmapherese. Deshalb gilt hier

das unter 4.1.3 zur Einwegplasmapherese gesagte.

4.3.2 Vollblutaustausch

Ein Vollblutaustausch zur Therapie des Leberversagens wird heute nicht mehr an-

gewendet.

4.3.3 Bewertung der Verfahren

Es gilt hier das zur Einwegplasmapherese gesagte.

4.4 Produktübersicht

Firma Produkt PrinzipHemoCleanse-DT Hämodialyse + HämadsorptionHemoCleanse

Inc. HemoCleanse-PF Hämodialyse + -adsorption + Plasmafiltration

MARS Dialyse gegen Kreislauf mit recyceltem Albu-min + Low-Flux-DialyseTheraklin

(Gambro) SPAD Dialyse gegen Kreislauf mit Einweg-Albumin

FPSA Fraktionierte Plasmaseparation und Plasma-adsorptionFresenius

Medical CarePrometheus Plasmaseparation + direkte Albuminaufreini-

gung in Sekundärkreislauf + High-Flux-Dialyse

Tabelle 4.1: kommerzielle artifizielle Leberunterstützungssysteme

Page 27: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

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5 Bioartifizielle Verfahren

Im Gegensatz zu den artifiziellen Verfahren soll bei den bioartifiziellen Verfahren

neben den Entgiftungsfunktionen auch ein funktioneller Leberersatz ermöglicht

werden. Das setzt voraus, dass im extrakorporalen Kreislauf eine ausreichend

große Leberzellenmasse bereit gestellt wird, um die Funktion der geschädigten

Patientenleber bis zu einer Regeneration oder bis zur Transplantation zu über-

nehmen. Da die biologisch aktiven Leberzellen in einem aus künstlichen Kompo-

nenten bestehenden System kultiviert werden, bezeichnet man bioartifizielle Sys-

teme auch als hybride Leberunterstützungssysteme.

Die Hepatozytenkulturen werden in einer speziellen Matrix in einem Bioreaktor

gehalten. Voraussetzungen für das Funktionieren des Bioreaktors sind ein bidirek-

tionaler Stoffaustausch von Nährstoffen, Metaboliten, Toxinen, der Gasaustausch

sowie die Aufrechterhaltung von Lebensfähigkeit und Funktion der Leberzellen

über einen längeren Zeitraum.

Für bioartifizielle Systeme wurden vier Bioreaktortypen untersucht, von denen

sich der Hohlfaserreaktor bei in klinischen Studien eingesetzten Systemen durch-

gesetzt hat (Tabelle 5.1). Im Einzelnen sind das

• Hohlfaserreaktoren,

• Plattenreaktoren mit Monolayer,

• perfundierte Scaffolds,

• Suspensionen eingekapselter Zellen.

Prinzipiell können Hepatozyten von drei verschiedenen Quellen kultiviert werden:

• humane (allogene) Hepatozyten

• von Tieren stammende (xenogene) Hepatozyten

• Zellkulturreihen (immortalisierte Zellen oder Tumorzelllinien).

In den bei Patienten zum Einsatz kommenden Bioreaktoren werden z. Z. nur pri-

märe porcine (vom Schwein stammende) Hepatozyten oder humane Hepa-

toblastomzelllinien kultiviert.

Unterschiede ergeben sich zusätzlich in der Art der Perfusion des Bioreaktors. Hier

kann sowohl Vollblut als auch Plasma zum Einsatz kommen. Überwiegend wird

die Plasmaperfusion nach vorangegangener Plasmapherese eingesetzt.

Page 28: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

26

Tab

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5.1

: Übe

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für

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2001

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5.1 Extracorporeal Liver Assist Device (ELAD)

IM ELAD-System werden als Bioreaktor modifizierte Hohlfaser-Dialysator-

Kartuschen eingesetzt. Die kultivierten Hepatozyten stammen von der Zelllinie

C3A. Jede Kartusche enthält etwa 100 g der C3A-Zellen, welche im extrakapillaren

Raum zwischen den Hohlfasern angesiedelt sind. Dem Blutkreislauf des Patienten

wird über ein Membranfilter mit einem Cut-off von 120 kDa (Ultrafilter) Plasma

entzogen. Dieses wird in einem Reservoir gesammelt und dem Bioreaktor-Kreis

zugeführt. Mit einer Flussrate von 500 ml/min strömt das Ultrafiltrat durch das In-

nere der Hohlfasern zurück in das Reservoir. Von dort gelangt es über zwei Zellfil-

ter zurück in den Patientenkreislauf. Dem Reservoir wird Glukose in Abhängigkeit

vom Verbrauch durch die Leberzellen zugesetzt und das Plasma wird oxigeniert,

um die Sauerstoffversorgung der Hepatozyten zu sichern. Für die Behandlung ei-

nes Erwachsenen sind vier Bioreaktor-Kartuschen notwendig, für Kinder unter

40 kg nur zwei. Bild 5.1 zeigt das Schema des ELAD-Systems.

Bild 5.1: Schematische Darstellung des ELAD-Verfahrens

vom Patienten

zum Patienten

Blutpumpe200 ml/min

Ultr

afilt

er12

0 kD

a

Rezirkulationspumpe4 x 500 ml/min

Heparin-infusion

Ultrafiltratpumpe20 ml/min

Reservoir200 ml

ELAD

Glukose-infusion

Oxy

gena

tor

Begasung

37°C Inkubator

Zellfilter

ELAD

ELAD

ELAD

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5.2 Bioartificial Liver (BAL)

In diesem Gerätesystem wird ebenfalls eine Hohlfaser-Kartusche als Bioreaktor

eingesetzt. Frisch gewonnene Schweineleberzellen werden in einer kalten Kolla-

genlösung suspendiert und in die Hohlfasern gebracht (Bild 5.2). Die so befüllte

Kartusche wird dann in einen Flüssigkeitskreislauf gebracht und warmes Medium

strömt an der Außenseite der Hohlfasern entlang. Dadurch geliert das zellhaltige

Kollagen und schrumpft während 24 h auf etwa 60% des Ausgangsvolumens. Es

entsteht innerhalb der Hohlfaser ein weiteres Lumen, in dem beim Einsatz ein

nährstoffreiches Medium zur Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit der Leberzel-

len strömt. Das Patientenblut strömt außen an den Hohlfasern vorbei und über die

Hohlfasermembran können Toxine zu den Leberzellen gelangen und dort abge-

baut werden. Der Sauerstoffgehalt des Blutes ist ausreichend, um die Versorgung

der Leberzellen sicherzustellen. Für die Behandlung sind zwei Kartuschen mit je

ca. 40 g Leberzellen in Reihe geschaltet.

Bild 5.2: Präparation des BAL-Bioreaktors

Bild 5.3 zeigt ein Foto des Systems Liver2000, welches nach dem BAL-Prinzip ar-

beitet.

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Bild 5.3: Gerätesystem Liver2000, [http://hugroup.cems.umn.edu/Research/bal/BAL.html]

5.3 Bioartificial Liver System (BLSS)

Auch bei diesem System ist der Bioreaktor als Hohlfaser-Kartusche ausgeführt.

Als Zellquelle werden primäre Schweinehepatozyten genutzt. Die Hohlfasern wer-

den mit ca. 100 g Hepatozyten/Kartusche gefüllt. Das Patientenblut strömt mit

150 -250 ml/min durch die Kartusche. Die Hohlfasermembran mit einem Cut-off

von 100 kDa trennt Blutraum und Zellkompartiment. Zur Sauerstoffversorgung der

Hepatozyten wird das venös entnommene Blut im Oxygenator begast.

Bild 5.4 zeigt das Verfahrensschema und Bild 5.5 ein Foto des Gerätesystems.

Bild 5.4: Schematische Darstellung des BLSS-Verfahrens

vom Patienten

zum Patienten

Oxy

gena

tor

CO

2, O

2, N

2

Blutpumpe200 ml/min

Heparin-infusion

Ernä

hrun

gs-

med

ium

Bio

reak

tor

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Bild 5.5: Gerätesystem zum BLSS-Verfahren

5.4 Modular Extracorporeal Liver Support System (MELS)

Dieses Leberunterstützungssystem nutzt eine Kombination aus verschiedenen

Verfahren. Neben einem Modul zur Single-Pass-Albumindialyse (Detox-Modul)

und einem Modul zur kontinuierlichen venovenösen Hämofiltration wird ein spe-

ziell entwickelter Bioreaktor mit humanen Hepatozyten (Zell-Modul) genutzt.

Der Bioreaktor ist als Mehrkomponentensystem mit drei unabhängigen, aber kon-

struktiv ineinander verschlungenen Kapillarsystemen ausgeführt. Die außerkapil-

laren Zwischenräume dienen als Zellkompartiment für die Kultur von Hepatozyten

in Ko-Kultur mit Nichtparenchymzellen. Zwei Kapillarsysteme werden mit Patien-

tenplasma im Gegenstromprinzip zum Stoffaustausch durchströmt und ein Kapil-

larsystem ermöglicht die Sauerstoffversorgung und Kohlendioxidentsorgung. Die

plasmaführenden Hohlfasern besitzen Membranen aus Polyethersulphone (PES)

mit einem Cut-off von > 400 kDa und einer Gesamtoberfläche von 2,11 m2. Die

Hohlfasermembran für den Gasaustausch ist eine mehrfach geschichtete hydro-

phobe Membran mit einer Oberfläche von 2,22 m2.

Bild 5.6. zeigt das Bioreaktorgehäuse aus Polyurethan (PUR 725, Morton, Bremen)

und einen Schnitt durch den Reaktor mit den einzelnen Kompartimenten.

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Bild 5.6: Gehäuse des MELS-Bioreaktors und Schnitt durch die Kompartimente,Foto: Charité Berlin

Bei Zusammenschaltung aller Module ergibt sich folgendes Verfahrensschema.

Bild 5.7: Schematische Darstellung des MELS-Verfahrens

zum Patienten

vom Patienten

Blutpumpe150-180 ml/min

Heparin-infusion

Dia

lysa

tor

Plas

maf

ilter

Plasmapumpe200-250 ml/min

Dialysat Humanalbumin4,4%

Dialysatpumpe1000 ml/h

Albuminpumpe600 ml/h

Abfall

Abfallpumpe1600 ml/h

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Bild 5.8: Das MELS-System im klinischen Einsatz (Zell-Modul und Fresenius-Dialyseeinheit), Foto: Charité Berlin

Die HybridOrgan GmbH, die das MELS-System herstellt, hat eine Preisliste zu Ein-

zelkomponenten publiziert (Tabelle 5.2), aus der der erhebliche finanzielle Auf-

wand allein für die Bereitstellung des Zell-Moduls ablesbar ist. Noch nicht enthal-

ten sind die Kosten für den eigentlichen Bioreaktor, die weiteren Module und die

Behandlungskosten.

Komponente Preis (o. Mwst.)

Modulares Bioreaktor-Perfusionssystem für verschiedene

Bioreaktortechnologien im Bereich von 8 - 600 ml Zellkompar-

timentvolumen

25.500 Euro

Elektronische Kontrolleinheit für das Modulare Bioreaktor-

Perfusionssystem11.500 Euro

Austauschbarer Pumpenkopf für das Modulare Bioreaktor-

Perfusionssystem1.500 Euro

Tabelle 5.2: Preisangaben für MELS-Systemkomponenten

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5.5 Bewertung der Verfahren

Alle vorgestellten Systeme wurden bisher nur in geringer Zahl für klinische Stu-

dien eingesetzt. Es existiert bis heute kein allgemein anwendungsfähiger Bioreak-

tor. Viele grundlegende Fragen sind noch nicht geklärt. Es ist unklar, welche Le-

berzellenmasse in einem hybriden System vorhanden sein muss. Die Abfuhr der

produzierten Galle aus dem Reaktor ist nicht gelöst. Alle drei Zellquellen sind

problematisch: primäre humane Zellen stehen nicht in der erforderlichen Menge

zur Verfügung, bei humanen Hepatoblastomzelllinien ist die Verschleppungsmög-

lichkeit dieser potentiell karzinogenen Zellen in den Patientenkreislauf nicht sicher

auszuschließen. Der Einsatz primärer tierischer Zellen birgt die Gefahr immunolo-

gischer Risiken und die mögliche Übertragung von Krankheitserregern auf den

Menschen. Die von tierischen Zellen im Bioreaktor produzierten Proteine und Me-

taboliten können Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben, die

derzeit nicht abschätzbar sind. Die Bereitstellung hybrider Systeme bedeutet einen

enormen logistischen Aufwand, da die Geräte lange Vorlaufzeiten (Tage bis Wo-

chen) zur Zellisolierung und Zellkultivierung haben.

5.6 Produktübersicht

Firma Produkt Prinzip

VitalTherapies ELAD humane C3A-Zelllinie, Plasmaperfusion

Hepalife Techno-logies ALD porcine Subzelllinie von Leberstammzellen

PICM-19

HepatAssist Plasmapherese + Plasmaadsorption + Biore-aktor, Plasmaperfusion

ArbiosLiverAid Hämadsorption + Bioreaktor

Algenix Liver2000 BAL-Verfahren

HybridOrganGmbH MELS MELS-Verfahren

ExcorpMedical BLSS BLSS-Verfahren

Xenogenics Corp. Sybiol immortalisierte humane Hepatozyten

Tabelle 5.3: kommerzielle bioartifizielle Leberunterstützungssysteme

Page 36: THERAPEUTISCHE GERÄTETECHNIK … Bild 2.2: Ansicht der Leber von unten, nach [BENNER1996] Die Leber besteht aus einem rechten größeren und einem linken kleineren Lap-pen, die sich

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6 Extrakorporale Leberperfusion (ECLP)

Bei der extrakorporalen Leberperfusion wird das Blut des Patienten außerhalb des

Körpers durch eine frisch explantierte Leber geleitet. Hierbei kann es sich um nicht

für eine Transplantation geeignete humane Leber oder um eine xenogene, i. A.

vom Schwein, Leber handeln. Die Leber liegt dabei in einer sterilen Kammer und

wird über die Pfortader und evtl. zusätzlich über die Leberarterie mit Patientenblut

durchströmt. Das erforderliche Perfusionssystem ist technisch einfacher als das

bei hybriden Unterstützungssystemen. Bezüglich der Risiken durch den Einsatz

von tierischen Organen ist es mit diesen vergleichbar. Auch für den Einsatz des

ECLP-Verfahrens konnte bisher keine Verbesserung von Patientenüberleben oder

hepatischer Enzephalopathie nachgewiesen werden.

Aufgrund des Mangels an humanen Spenderorganen hat sich das Interesse an der

ECLP in der letzten Zeit wieder erhöht. Neben dem Einsatz als Unterstützungsver-

fahren scheint die extrakorporale Leberperfusion als ein ergänzendes Konservie-

rungsverfahren in der Transplantationsmedizin und als Experimentalsystem für

die Stammzellenforschung interessant zu werden.

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35

7 Literatur

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