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Bei der Harnsteinerkrankung (Uro- lithiasis) handelt es sich mittlerwei- le wegen ihrer stetig steigenden Prä- valenz (4,7%) und Inzidenz (1,47%; [1]) wie beim Diabetes mellitus und der essenziellen Hypertonie um eine Volkskrankheit. Ursächlich hierfür werden einerseits Veränderungen in den Lebensgewohnheiten der Bevöl- kerung und im Ernährungsverhalten und andererseits die Verbesserung der medizinischen Grundversorgung diskutiert. Bei der Hälfte der Stein- patienten muss im Lauf des Lebens mit einem und bei immerhin 10–20% der Patienten mit mindestens 3 Stein- rezidiven gerechnet werden. Liegen genetisch determinierte Stoffwech- selstörungen als Ursache für eine Ne- phrokalzinose oder Urolithiasis vor, werden diese nicht selten erst bei der Abklärung einer terminalen Nieren- insuffizienz erkannt. Eine suffiziente Diagnostik ist Grundvo- raussetzung für ein sinnvolles Behand- lungskonzept; darüber hinaus können un- nötige Therapiekaskaden vermieden wer- den. Für die Behandlung der Urolithiasis stehen neben der konservativen Therapie operative Verfahren zur Verfügung. Zu den konservativen Optionen zählen das Begleiten des Spontanabgangs mit oder ohne expulsive Therapie (MET), das be- obachtende Abwarten und die Chemo- litholyse. Bei den operativen Optionen stehen die extrakorporale Stoßwellen- lithotripsie (ESWL), die Ureterorenosko- pie (URS) mit ihren Hilfsmitteln, die per- kutane Nephrolitholapaxie (PCNL) und in sehr seltenen Fällen die laparoskopi- sche oder offene Steinentfernung zur Ver- fügung. Welches Therapieverfahren ange- wendet werden sollte, ist heute nicht nur von den in . Tab. 1  aufgeführten medizi- nischen Faktoren abhängig. Der Wunsch nach möglichst schneller Steinfreiheit und einer kurzen Krankenhausverweildauer sowie die schnelle Rückkehr in den All- tag fließen nicht selten in die Therapieent- scheidung mit ein. Auch spielen natürlich die Verfügbarkeit der Therapieverfahren und die Expertise des behandelnden Arz- tes eine wichtige Rolle. In diesem Leitthemenbeitrag wird die Therapie von Harnleiter- und von Nie- rensteinen diskutiert. Ziel ist es, den Stel- lenwert der einzelnen Behandlungsoptio- nen zu beleuchten und eine evidenzba- sierte Empfehlung zum jeweiligen Ein- satz zu geben. Therapieverfahren im Vergleich Patienten mit einer Urolithiasis stellen sich in den meisten Fällen mit ausgespro- chen starken kolikartigen Schmerzen, verursacht durch im Harnleiter „wan- dernde“ Steine, in der Klinik vor. Da es sich bei diesen Personen allein schon wegen der Schmerzsymptomatik um Notfallpatienten handelt, muss nach einer zielgerichteten und zügigen Diagnostik umgehend die richtige Therapiestrategie festgelegt werden. Demgegenüber blei- ben Nierensteine häufig asymptomatisch und werden nicht selten im Rahmen einer anderen Diagnostik erkannt. Nicht in je- dem Fall ist jedoch gleich eine operative Intervention erforderlich. Abhängig von der Steinsituation kann entweder ein Be- gleiten des Spontanabgangs mit oder oh- ne expulsive Therapie („medical expulsive therapy“, MET), die extrakorporale Stoß- wellenlithotripsie („extracorporeal shock wave lithotripsy“, ESWL), eine endosko- pische Steinentfernung („ureteroscopic stone removal“, URS) oder nur eine Dop- pel-J-Katheter-Einlage indiziert sein. Spontanabgang begleiten Nach den aktuellen Leitlinienempfeh- lungen müssen bei der Entscheidung für ein konservatives Vorgehen die Sympto- matik, die Nierenfunktion, die Gefahr ei- ner drohenden Sepsis, die Komorbidi- tät sowie auch die persönliche und beruf- liche Situation des Patienten ebenso wie die Erreichbarkeit der medizinischen Ver- sorgung berücksichtigt werden [2]. An- hand zahlreicher Untersuchungen konn- te gezeigt werden, dass Harnleitersteine mit einer Größe von bis zu 4 mm in et- wa 95% der Fälle innerhalb von 40 Tagen spontan ausgeschieden werden können [3]. Faktoren wie die Größe, die Form, die Oberfläche und vor allem die Loka- lisation (proximaler/distaler Harnleiter) des Steins spielen beim spontanen Abgang eine entscheidende Rolle. So kann davon ausgegangen werden, dass die Harnleiter- passage signifikant verlängert wird, je hö- her der Stein z. B. im Harnleiter lokalisiert und je größer er ist [4, 5]. » Faktoren wie Größe, Form, Oberfläche und Lokalisation des Steins spielen beim spontanen Abgang eine entscheidende Rolle Entscheidet man sich für ein Begleiten des Spontanabgangs, sind in jedem Fall die re- gelmäßige Kontrolle der Niere mit Hilfe der Sonographie, Urin- und Laborkont- rollen und ggf. eine Röntgenuntersuchung wichtig. Auch sollte der Urin zur Siche- rung des Spontanabgangs zum Auffangen von ausgeschiedenen Konkrementen ge- siebt werden. Wie eingangs erwähnt, darf bei der Therapieentscheidung auch die Lebenssituation (Allgemeingesundheit, Beruf, berufliche Mobilität) nicht außer Acht gelassen werden. Nach etwa 2 Wo- Nephrologe 2014 · 9:213–221 DOI 10.1007/s11560-013-0849-6 Online publiziert: 11. April 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 F. Strittmatter · C.G. Stief Urologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der LMU München-Großhadern, München Therapie des Steinleidens Leitthema Redaktion H. Haller, Hannover D. E. Müller-Wiefel, Hamburg 213 Der Nephrologe 3 · 2014|

Therapie des Steinleidens; Therapy of urinary stones;

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Page 1: Therapie des Steinleidens; Therapy of urinary stones;

Bei der Harnsteinerkrankung (Uro­lithiasis) handelt es sich mittlerwei­le wegen ihrer stetig steigenden Prä­valenz (4,7%) und Inzidenz (1,47%; [1]) wie beim Diabetes mellitus und der essenziellen Hypertonie um eine Volkskrankheit. Ursächlich hierfür werden einerseits Veränderungen in den Lebensgewohnheiten der Bevöl­kerung und im Ernährungsverhalten und andererseits die Verbesserung der medizinischen Grundversorgung diskutiert. Bei der Hälfte der Stein­patienten muss im Lauf des Lebens mit einem und bei immerhin 10–20% der Patienten mit mindestens 3 Stein­rezidiven gerechnet werden. Liegen genetisch determinierte Stoffwech­selstörungen als Ursache für eine Ne­phrokalzinose oder Urolithiasis vor, werden diese nicht selten erst bei der Abklärung einer terminalen Nieren­insuffizienz erkannt.

Eine suffiziente Diagnostik ist Grundvo­raussetzung für ein sinnvolles Behand­lungskonzept; darüber hinaus können un­nötige Therapiekaskaden vermieden wer­den. Für die Behandlung der Urolithiasis stehen neben der konservativen Therapie operative Verfahren zur Verfügung. Zu den konservativen Optionen zählen das Begleiten des Spontanabgangs mit oder ohne expulsive Therapie (MET), das be­obachtende Abwarten und die Chemo­litholyse. Bei den operativen Optionen stehen die extrakorporale Stoßwellen­lithotripsie (ESWL), die Ureterorenosko­pie (URS) mit ihren Hilfsmitteln, die per­kutane Nephrolitholapaxie (PCNL) und in sehr seltenen Fällen die laparoskopi­sche oder offene Steinentfernung zur Ver­fügung. Welches Therapieverfahren ange­wendet werden sollte, ist heute nicht nur von den in . Tab. 1 aufgeführten medizi­

nischen Faktoren abhängig. Der Wunsch nach möglichst schneller Steinfreiheit und einer kurzen Krankenhausverweildauer sowie die schnelle Rückkehr in den All­tag fließen nicht selten in die Therapieent­scheidung mit ein. Auch spielen natürlich die Verfügbarkeit der Therapieverfahren und die Expertise des behandelnden Arz­tes eine wichtige Rolle.

In diesem Leitthemenbeitrag wird die Therapie von Harnleiter­ und von Nie­rensteinen diskutiert. Ziel ist es, den Stel­lenwert der einzelnen Behandlungsoptio­nen zu beleuchten und eine evidenzba­sierte Empfehlung zum jeweiligen Ein­satz zu geben.

Therapieverfahren im Vergleich

Patienten mit einer Urolithiasis stellen sich in den meisten Fällen mit ausgespro­chen starken kolikartigen Schmerzen, verursacht durch im Harnleiter „wan­dernde“ Steine, in der Klinik vor. Da es sich bei diesen Personen allein schon wegen der Schmerzsymptomatik um Notfallpatienten handelt, muss nach einer zielgerichteten und zügigen Diagnostik umgehend die richtige Therapiestrategie festgelegt werden. Demgegenüber blei­ben Nierensteine häufig asymptomatisch und werden nicht selten im Rahmen einer anderen Diagnostik erkannt. Nicht in je­dem Fall ist jedoch gleich eine operative Intervention erforderlich. Abhängig von der Steinsituation kann entweder ein Be­gleiten des Spontanabgangs mit oder oh­ne expulsive Therapie („medical expulsive therapy“, MET), die extrakorporale Stoß­wellenlithotripsie („extracorporeal shock wave lithotripsy“, ESWL), eine endosko­pische Steinentfernung („ureteroscopic stone removal“, URS) oder nur eine Dop­pel­J­Katheter­Einlage indiziert sein.

Spontanabgang begleiten

Nach den aktuellen Leitlinienempfeh­lungen müssen bei der Entscheidung für ein konservatives Vorgehen die Sympto­matik, die Nierenfunktion, die Gefahr ei­ner drohenden Sepsis, die Komorbidi­tät sowie auch die persönliche und beruf­liche Situation des Patienten ebenso wie die Erreichbarkeit der medizinischen Ver­sorgung berücksichtigt werden [2]. An­hand zahlreicher Untersuchungen konn­te gezeigt werden, dass Harnleitersteine mit einer Größe von bis zu 4 mm in et­wa 95% der Fälle innerhalb von 40 Tagen spontan ausgeschieden werden können [3]. Faktoren wie die Größe, die Form, die Oberfläche und vor allem die Loka­lisation (proximaler/distaler Harnleiter) des Steins spielen beim spontanen Abgang eine entscheidende Rolle. So kann davon ausgegangen werden, dass die Harnleiter­passage signifikant verlängert wird, je hö­her der Stein z. B. im Harnleiter lokalisiert und je größer er ist [4, 5].

» Faktoren wie Größe, Form, Oberfläche und Lokalisation des Steins spielen beim spontanen Abgang eine entscheidende Rolle

Entscheidet man sich für ein Begleiten des Spontanabgangs, sind in jedem Fall die re­gelmäßige Kontrolle der Niere mit Hilfe der Sonographie, Urin­ und Laborkont­rollen und ggf. eine Röntgenuntersuchung wichtig. Auch sollte der Urin zur Siche­rung des Spontanabgangs zum Auffangen von ausgeschiedenen Konkrementen ge­siebt werden. Wie eingangs erwähnt, darf bei der Therapieentscheidung auch die Lebenssituation (Allgemeingesundheit, Beruf, berufliche Mobilität) nicht außer Acht gelassen werden. Nach etwa 2 Wo­

Nephrologe 2014 · 9:213–221DOI 10.1007/s11560-013-0849-6Online publiziert: 11. April 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

F. Strittmatter · C.G. StiefUrologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der LMU München-Großhadern, München

Therapie des Steinleidens

Leitthema

RedaktionH. Haller, HannoverD. E. Müller-Wiefel, Hamburg

213Der Nephrologe 3 · 2014  | 

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chen ohne spontanen Steinabgang kann die Notwendigkeit einer weiteren operati­ven Intervention überdacht und mit dem Patienten diskutiert werden. Ob Maßnah­men wie körperliche Bewegung, forcierte Diurese durch vermehrte Flüssigkeitszu­fuhr oder auch Phytotherapeutika einen positiven Einfluss auf den Spontanabgang haben, kann aufgrund der mangelnden Datenlage nicht beurteilt werden [2, 6].

Medikamentöse expulsive Therapie

Primäres Ziel der MET ist es, im Rahmen des konservativen Therapieversuchs ei­nerseits die Wahrscheinlichkeit für einen Spontanabgang von Harnleitersteinen zu erhöhen und zu beschleunigen und ande­rerseits die Schmerzsymptome zu lindern. Durch das Vorhandensein von Kalzium­kanälen in glatten Muskelzellen im gesam­ten Harnleiter und α1­Adrenozeptoren in glatten Muskelzellen, vor allem im dista­len Anteil des Harnleiters, konnte anhand von In­vivo­Versuchen gezeigt werden, dass die Steinpassage durch den Harnlei­ter durch die pharmakologische Blocka­de eben dieser Muskelzellen beschleunigt werden kann. So lässt sich dieser Effekt durch die Relaxation von glatten Muskel­zellen im Harnleiter und durch die Erhö­hung des hydrostatischen Drucks proxi­mal des Harnleitersteins erklären [7].

In der aktuellen Literatur finden sich zahlreiche Studien, welche die Wirksam­

keit von α1­Adrenozeptor­Blockern und Kalziumkanalblockern im Hinblick auf die Spontanabgangsrate und die Linde­rung der Schmerzsymptome bei vor al­lem distalen Harnleitersteinen untersucht haben. So berichteten Hollingsworth et al. anhand einer Metaanalyse von insge­samt 9 publizierten Studien, dass Patien­ten, welche entweder mit α1­Adrenozeptor­­Blockern oder Kalziumkanalblockern behandelt wurden, eine signifikant höhe­re Steinpassage durch den Harnleiter hat­ten als Patienten ohne supportive Thera­pie. Zusätzlich wurden, wenn auch nicht in allen Studien genannt, eine schnellere Spontanabgangsrate und eine reduzierte Schmerzwahrnehmung beobachtet. Eine zusätzliche Komedikation mit Steroiden, um die reaktive Anschwellung des Harn­leiters durch Ödeme zu senken, erbrach­te nur einen geringfügigen Vorteil [8]. Ähnliche Ergebnisse finden sich auch in anderen Studien, wobei in manchen der α1­Adrenozeptor­Blocker Tamsulosin im Vergleich zum Kalziumkanalblocker Nife­dipin signifikant bessere Ergebnisse in Be­zug auf eine Reduktion von Koliken und eine Erhöhung der Steinpassage und der Spontanabgangsrate aufwies [9, 10].

Hermanns et al. zeigten anhand einer prospektiven, doppelverblindeten und placebokontrollierten Studie, dass Tamsu­losin hinsichtlich der Spontanabgangsrate im Vergleich zu den Patienten im Placebo­arm keine signifikant besseren Ergebnisse erzielte. Dagegen profitierten die Patien­ten unter Tamsulosingabe jedoch beson­ders in den ersten 3 Tagen nach Therapie­beginn durch eine signifikante Verbesse­rung der Schmerzsymptome.

Wie bereits erwähnt, beziehen sich die meisten Studien in der aktuellen Literatur auf distal gelegene Harnleitersteine mit einer Größe von unter 10 mm. Yencilek et al. untersuchten Patienten mit Harn­leitersteinen im proximalen Anteil und einer Steingröße von bis zu 10 mm. Von insgesamt 92 randomisierten Patienten erhielten 50 kein und 42 Patienten Tam­sulosin 0,4 mg/Tag über einen Zeitraum von 4 Wochen. In der Gruppe mit Tam­sulosingabe konnte bei Steinen von bis zu 5 mm u. a. eine signifikant höhere Spon­tanabgangsrate und bei Steinen von bis zu 5–10 mm eine signifikant bessere Stein­

passage in distaleren Anteilen des Harn­leiters beobachtet werden.

Neben den oben genannten Studien gibt es auch solche, welche die MET bei Patienten nach ESWL untersucht haben [11]. Auch hier konnten eine signifikante Verbesserung der Steinpassage und eine reduzierte Schmerzwahrnehmung bei den Patienten mit Tamsulosin im Vergleich zur Gruppe ohne Tamsulosin eruiert wer­den. Große Studien, die verschiedene Do­sierungen, unterschiedliche Steinlokalisa­tionen und ggf. Reeingriffe oder die Not­wendigkeit anderer Steintherapien be­rücksichtigen, finden sich in der aktuellen Literatur bisher nicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, sollte man sich gemeinsam mit dem Patienten für eine konservative Therapie mit zusätzlicher MET entscheiden, einige grundlegende Dinge berücksichtigt wer­den müssen. Die Studien haben gezeigt, dass α1­Adrenozeptor­Blocker und Kal­ziumkanalblocker prinzipiell gut vertra­gen werden. Dennoch muss auf das Ri­siko von systemischen Nebenwirkungen hingewiesen werden. Insbesondere ist ei­ne genaue Medikamentenanamnese wich­tig, da bei z. B. zeitgleicher Medikation zur Behandlung der arteriellen Hyperto­nie die Gefahr einer orthostatischen Dys­regulation erhöht wird. Weiterhin erfor­dert die konservative Therapie mit oder auch ohne MET eine gewisse Zeit, die das Auftreten wiederholter Beschwerden wie kolikartige Schmerzen nicht ausschließt und zusätzlich eine regelmäßige Kontrol­le mit Sonographie, Messen der Retenti­onsparameter usw. erforderlich macht. Obwohl es sich beim Einsatz der MET um einen „Off­label“­Gebrauch handelt, kann der Spontanabgang von Harnleiter­steinen erleichtert und beschleunigt wer­den und zusätzlich zu einer Symptomlin­derung beitragen. Deshalb wird die MET auch in den aktuellen Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Urologie [5] berücksichtigt.

Beobachtendes Abwarten („watchful waiting“)

Beim beobachtenden Abwarten stehen die Symptome und Charakteristika im Vordergrund. Dabei muss davon ausge­gangen werden, dass der Stein einerseits

Tab. 1 Faktoren, die bei der Wahl der Steintherapie berücksichtigt werden sollten. (Nach [2])

Steincharakteristika- Größe- Wachstumstendenz- Lokalisation- chemische Zusammensetzung

Symptome- Schmerzen- Nierenfunktionsstörung- Harnwegsinfektion- drohende Sepsis

Abflussstörung des Harns

Patientensituation- Alter- Komorbidität- Kontraindikation durch z. B. Narkose

fähigkeit, anatomische Besonderheiten

Verfügbarkeit der Therapieoptionen

Expertise des Operateurs

214 |  Der Nephrologe 3 · 2014

Leitthema

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asymptomatisch ist und sich andererseits in der Größe nicht verändert. Dieses The­rapiekonzept kann gewählt werden, wenn entweder eine Kontraindikation für eine augenblickliche Steintherapie vorliegt oder keine ausreichende Indikation be­steht. Divertikelsteine oder Parenchym­steine stellen z. B. in der Regel kein gro­ßes Gesundheitsrisiko dar, müssen aber in regelmäßigen Abständen durch klinische, bildgebende (zumindest durch die Sono­graphie) und laborchemische Verfah­ren kontrolliert werden. Dies dient dazu, frühzeitig Schäden des Harntrakts oder auch chronische Entzündungen mit kon­sekutiver Niereninsuffizienz zu erkennen und diesen rechtzeitig entgegenzuwirken.

Chemolitholyse

Das Prinzip der Chemolitholyse besteht darin, entweder durch orale oder lokale (über Katheter) Applikation einer spezi­fischen Substanz Steine aufzulösen. Der Therapieerfolg ist dabei primär von der chemischen Steinzusammensetzung ab­hängig. Es ist unumstritten, dass Harn­säuresteine die einzigen Steine sind, wel­che durch eine orale Chemolitholyse auf­gelöst werden können. Ziel ist es, den pH­Wert des Urins auf kontinuierlich 7,0–7,2 zu alkalisieren. Im klinischen Alltag wer­den Alkalizitrate (kontraindiziert bei Nie­reninsuffizienz) oder Natriumbikarbonat zur Alkalisierung des pH­Werts einge­setzt. Eine gleichzeitige Hyperurikosurie und/oder Hyperurikämie sollte zur Sen­kung des Harnsäurespiegels mit Allopu­rinol ausgeglichen werden [2, 5, 6]. Wäh­rend eine ausreichende Diurese Grund­voraussetzung für eine erfolgreiche Che­molitholyse ist, stellt ein unbehandelter Harnwegsinfekt eine Kontraindikation für die Chemolitholyse dar. . Abb. 1 zeigt das Dual­Energy­CT eines Pa­tienten vor (Bild a) und nach 4 Wochen (Bild b) Chemolitholyse. Die im CT dar­gestellten roten Steine als Hinweis für Harnsäuresteine lösen sich nach konti­nuierlicher Alkalisierung des Urins kom­plett auf. Bei der Dual­Energy­CT­Unter­suchung handelt es sich um ein bildgeben­des Verfahren, mit dem man die Steinzu­sammensetzung mit einer hohen diag­nostischen Sensitivität beurteilen und mit dem somit eine Therapie ohne opera­

tive Intervention eingeleitet werden kann. Dieses Verfahren wird mittlerweile als Routineverfahren an der LMU München zur Steindiagnostik eingesetzt [12].

Bei der Irrigationschemolitholyse wer­den durch transurethrale oder perkuta­ne Katheter spezifische Substanzen zur Litho lyse eingebracht. Prinzipiell kann dies bei Cystin­, Harnsäure­ und Infekt­steinen durchgeführt werden. Bei Kal­ziumsteinen ist eine suffiziente Chemoli­tholyse nicht gegeben. Limitiert wird die­ses Behandlungskonzept durch den lan­gen Behandlungszeitraum von Tagen bis Wochen, welcher primär von der zu lysie­renden Steinmasse abhängt [13]. Die er­hebliche Zeitdauer, die Schädigung von umliegendem Gewebe durch die Irriga­

tionslösung bei Katheterdislokation und die deutliche Reduktion des Therapie­erfolgs bei z. B. kalziumhaltigen Misch­steinen lassen dieses Therapiekonzept eher in den Hintergrund treten.

Extrakorporale Stoßwellen-lithotripsie (ESWL)

Bei der ESWL handelt es sich um ein Ver­fahren, dessen erste klinische Daten bei der Therapie der Urolithiasis in den frü­hen 80er­Jahren publiziert wurden [14] und das infolgedessen weltweit therapeu­tisch eingesetzt wird. Das Prinzip besteht in einer Erzeugung von akustischen Wel­len durch entweder elektrohydraulische, elektromagnetische oder piezoelektrische

Zusammenfassung · Abstract

Nephrologe 2014 · 9:213–221 DOI 10.1007/s11560-013-0849-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

F. Strittmatter · C.G. Stief

Therapie des Steinleidens

ZusammenfassungHintergrund. Die Steinerkrankung ist we-gen ihrer steigenden Prävalenz und Inzidenz mittlerweile als Volkskrankheit zu werten. Das Ziel der Therapie ist die Steinfreiheit, die u. a. durch die Steinlokalisation, die Steinzu-sammensetzung und die Steingröße beein-flusst wird.Fragestellung. Beleuchtung der zur Verfü-gung stehenden konservativen und operati-ven Therapiemöglichkeiten.Ergebnisse. Neben der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie, der Ureterorenoskopie und der perkutanen Nephrolitholapaxie als operativen Verfahren stehen das Begleiten des Spontanabgangs mit oder ohne expul-sive Therapie, das beobachtende Abwarten

und die Chemolitholyse als konservative The-rapiestrategien zur Verfügung. Das Einordnen des Steinpatienten in eine Risikogruppe mit spezifischer Diagnostik und Metaphylaxe soll das Rezidivrisiko senken.Schlussfolgerung. Die Entscheidung für eine richtige Therapie ist abhängig von der Patientensituation und muss individuell ge-troffen werden.

SchlüsselwörterNephrolithiasis · Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie · Ureterorenoskopie · Perkutane Nephrolitholapaxie · Medikamentöse expulsive Therapie

Therapy of urinary stones

AbstractBackground. Urinary stones are now a wide-spread disease because of their increasing prevalence and incidence. The aim of the treatment is stone clearance which is influ-enced by the localization, the composition and the size of the stones.Objectives. To evaluate the conservative and operative therapy options.Results. Beside operative treatment, extra-corporeal shock wave lithotripsy, ureterore-noscopy and percutaneous nephrolitho tomy, the observation with or without medical ex-pulsive therapy, watchful waiting and che-molysis are the conservative treatment op-

tions. Classification of patients in a specific risk group and further specific metabolic evaluation can decrease the risk of recur-rence.Conclusion. The correct treatment option depends on the situation of the patient and needs to be chosen individually.

KeywordsNephrolithiasis · Extracorporeal shockwave lithotripsy · Ureteroscopy · Percutaneous nephrolithotomy · Medicinal expulsive therapy

216 |  Der Nephrologe 3 · 2014

Page 5: Therapie des Steinleidens; Therapy of urinary stones;

Generatoren. Durch eine Fokussierung werden daraus Stoßwellen, die durch das Gewebe hindurchdringen und durch Zug­ und Scherkräfte den Stein in einzelne Frag­mente zerteilen. Prinzipiell lässt sich die ESWL bei Harnleitersteinen und bei Nie­rensteinen unabhängig von Größe und Lo­kalisation der Steine anwenden. Dennoch gibt es einige Kontraindikationen, welche die Erfolgsrate negativ beeinflussen kön­nen. Bei Harnleitersteinen im oberen (pro­ximalen) Anteil des Harnleiters sprechen impaktierte Steine, große Steine (>1 cm),

Steine, die wegen ihrer chemischen Zu­sammensetzung schwer desintegrierbar sind (Kalziumoxalatmonohydrat­, Brus­hit­ und Cystinsteine) und Harnleiter­verengungen gegen einen primären The­rapieerfolg. Auch spielt die Lokalisierbar­keit der Steine eine wichtige Rolle, da diese während des Eingriffs im Fokus der Stoß­wellen richtig positioniert werden müssen. Die Fokussierung erfolgt entweder mit Hilfe von Röntgen oder Sonographie. Bei Nierensteinen werden auch ein enger, lan­ger und steiler Kelchhals, ein Kelchdiverti­

kel oder auch anatomische Fehlbildungen wie Hufeisennieren oder auch pyelourete­rale Abgangsengen eher als Kontraindika­tion für eine ESWL angesehen, da sie die Abgangswahrscheinlichkeit der Fragmen­te deutlich negativ beeinflussen. Weiterhin können die nach einer ESWL­Behandlung entstandenen Fragmente zum einen koli­kartige Schmerzen und zum anderen eine Obstruktion im Harntrakt verursachen.

Kontraindikationen für eine ESWL­Behandlung sind:F  Schwangerschaft,F  akute Blutungsneigung,F  Antikoagulation,F  unbehandelter Harnwegsinfekt,F  Tumoren im Stoßwellenbereich,F  unbehandelte Hypertonie.

Komplikationen treten bei der ESWL sel­ten und wenn, dann bevorzugt bei der Behandlung von Nierensteinen und we­niger bei der Behandlung von Harnleiter­steinen auf. . Tab. 2 gibt einen Überblick über die im Rahmen einer ESWL hervor­gerufenen Komplikationen. Das Nieren­hämatom, wie in . Abb. 2 zu sehen, stellt mit weniger als 1% eine sehr seltene, aber dennoch schwerwiegende Komplikation dar [15]. Diese kann bis zum Nierenver­lust führen und wird ggf. begünstigt durchF  Antikoagulation,F  angeborene oder erworbene

Koagulopathien,F  unbehandelten arteriellen Hyper­

tonus,F  Arteriosklerose,F  Diabetes mellitus,F  Adipositas.

Abb. 1 9 a Dual-Energy-CT eines Patienten vor Einlei-tung einer Chemolitholyse-therapie: Die Harnsäure-steine stellen sich in der lin-ken Niere rot dar. b Thera-pieerfolg nach 4 Wochen Chemolitholyse: Die Harn-säuresteine konnten mit Hilfe der Chemolitholyse-therapie komplett aufge-löst werden

Abb. 2 9 Nierenhäma-tom der linken Niere, eine zwar nur sehr selten nach ESWL-The-rapie auftretende, je-doch schwerwiegende Komplikation, die bis hin zu einer Nierenent-fernung führen kann

217Der Nephrologe 3 · 2014  | 

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Ureterorenoskopie (URS) mit ihren Hilfsmitteln

Die semirigide und flexible Ureterore­noskopie ermöglicht die Behandlung von Steinen im Bereich des gesamten oberen Harntrakts. Semirigide Instrumente wer­den meist bei Harnleitersteinen und falls möglich in der oberen Kelchgruppe ver­wendet. Durch die flexiblen Instrumente können auch Steine in der mittleren und unteren Kelchgruppe in der Regel gut be­handelt werden. Durch Hilfsmittel wie spezielle Körbchen (vgl. . Abb. 3), Zan­gen, Einführhilfen und intrakorporale Litho tripsieverfahren (pneumatische, ul­traschallbasierte und lasergenerierende Sonden) konnte die Effektivität der endo­urologischen Steintherapie erheblich ge­steigert werden, wodurch die ESWL­Be­handlung in den letzten Jahren immer mehr in den Hintergrund gerückt ist. Vor allem mit der Entwicklung des Holmium­

Lasers [Ho:YAG (Holmium:Yttrium­Alu­minium­Garnet)­Laser] wurde es mög­lich, prinzipiell auch die „harten“ Steine zu lithotripsieren und dennoch bei rich­tiger Verwendung nur geringe Gewebs­schäden zu verursachen. Im Falle von sig­nifikanten Restfragmenten, Harnleiter­traumatisierung und ­dilatation, langer Operationszeit und ödematösem Stein­brett sollte ein Harnleiterstent (DJ­Kathe­ter) eingelegt werden [16]. Dieser wird in der Regel 5 bis 14 Tage in situ belassen und kann dann problemlos ohne Narkose ent­fernt werden. Eine generelle Schienenan­lage nach URS ist nicht indiziert, da die­se nicht selten zu irritativen Beschwerden führen kann. Die Komplikationsrate bei der URS ist gering (. Tab. 3).

Perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL)

Bei der PCNL handelt es sich zwar wie auch bei der URS um ein endourologi­sches und somit minimal­invasives Ver­fahren, welches aber im Vergleich zur ESWL und zur URS als das am meisten invasive Verfahren einzuordnen ist. Nach perkutaner Punktion der Niere und Einle­gen eines Amplatz­Schafts (16–30 Charr.) können über das Nephroskop alle int­rakorporalen Lithotripsiesysteme ange­wendet werden. Durch flexible URS­Ge­räte ist eine antegrade Steinbehandlung von Harnleitersteinen möglich. Prinzipi­ell lassen sich bei der Nierenpunktion alle Kelchgruppen punktieren, wobei bei der Punktion der unteren das Blutungsrisiko am geringsten ist. Die Kontrolle der Punk­tion erfolgt durch Röntgen und Sonogra­phie. Um das Nierentrauma möglichst ge­ring zu halten, wird der Nephrostomiet­rakt häufig nur auf 14–21 Charr. dilatiert (Mini­PCNL). In der Regel erfolgt zur Si­cherung des kontinuierlichen Urinabflus­ses über den Harnleiter eine antegrade DJ­Anlage. Nicht selten wird auf die Anlage einer Nierenfistel (sog. „tubeless“ PCNL) verzichtet. Die Häufigkeit der Komplika­tionen bei der PCNL sind abhängig von der Steingröße, der Lokalisation, der An­zahl der benötigten Nephrostomietrakte und von Voroperationen. Sie treten in der Regel sehr selten auf, doch sind sie z. B. im Vergleich zur ESWL schwerwiegender. Typische Komplikationen sind [2, 6]:

F  Fieber und Sepsis,F  transfusionspflichtige Blutung,F  Einschwemmung,F  Perforation des Darms,F  Läsionen der Pleura,F  subpelvine Stenosen,F  Verlust der Niere und offene Revisio­

nen.

Laparoskopische und offene Steinoperationen

Durch die Verfügbarkeit und die Effekti­vität der oben beschriebenen Therapie­verfahren wird die laparoskopische oder offene Steinsanierung nur in Einzelfällen empfohlen. Kommt es zu einem Scheitern der Erst­ und Zweitlinientherapie oder be­steht die Notwendigkeit einer operativen Korrektur des Harntrakts (z. B. bei Nie­renbeckenabgangsenge und zeitgleichem Nierenbeckenstein), kann dieses Thera­pieverfahren sinnvoll sein [5].

ESWL versus URS bei Harnleitersteinen

Betrachtet man die Effektivität der ESWL in der Behandlung von Harnleitersteinen anhand der Daten aus der aktuellen Lite­ratur, kann man von einer Steinfreiheits­rate insgesamt von 70–89% ausgehen. An­hand von gepoolten Daten [4, 17­20] liegt die Steinfreiheitsrate bei der URS (81–97%) bis auf Harnleitersteine von unter 10 mm im proximalen Harnleiter tenden­ziell eher höher als bei der ESWL. Beson­ders im mittleren und distalen Harnleiter zeigt sich die URS der ESWL überlegen, was sicherlich auch der Grund dafür ist, dass die URS­ die ESWL­Therapie mehr und mehr in den Schatten stellt. Gemäß der Daten vor allem bei proximalen Stei­nen unter 10 mm ist die ESWL dennoch nach wie vor ein schonendes und berech­tigtes Verfahren. Nicht selten muss vor erfolgreicher URS­Therapie wegen z. B. einer Harnleiterenge erst eine DJ­Schie­ne angelegt werden, was wiederum einen zweiten Eingriff erforderlich macht. Dies spricht sicherlich besonders bei nicht zu großen proximalen Steinen für die ESWL­Therapie [21]. In seltenen Fällen kann die URS bei antegradem Zugang nach Nie­renpunktion (entsprechend der PCNL) eingesetzt werden. Dies erfolgt z. B. bei

Tab. 2 Komplikationen, die bei der ESWL auftreten können, und deren Häufigkeit

Steinstraße (4–7%)

Steinwachstum bei Residualsteinen (21–59%)

Nierenkolik (2–4%)

Bakteriurie bei Nichtinfektsteinen (7,7–23%)

Sepsis (1–2,7%)

Symptomatisches Hämatom (<1%)

Asymptomatisches Hämatom (4–19%)

Herzrhythmusstörung (11–59%)

Herztod → Fallberichte

Darmperforation → Fallberichte

Milz- und Leberhämatome → Fallberichte

Tab. 3 Komplikationen, die bei der URS auftreten können, und deren Häufigkeit (Adaptiert nach [28])

Intraoperative Komplikationen (3,6%)

- Mukosaverletzungen (1,5%)

- Harnleiterperforation (1,7%)

- signifikante Blutung (0,1%)

- Harnleiterabriss (0,1%)

Früh postoperative Komplikationen (6,0%)

- Fieber und Urosepsis (1,1%)

- persistierende Hämaturie (2,0%)

- Nierenkoliken (2,2%)

Spät postoperative Komplikationen (0,2%)

- Harnleiterstriktur (0,1%)

- persistierender vesikoureterorenaler Reflux (0,1%)

218 |  Der Nephrologe 3 · 2014

Leitthema

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Page 8: Therapie des Steinleidens; Therapy of urinary stones;

impaktierten und über retrograd schwer zugänglichen Steinen im proximalen Harnleiter.

ESWL versus URS versus PCNL bei Nierensteinen

Betrachtet man die aktuellen Leitlinien­empfehlungen, ist das zu wählende Ver­fahren nicht nur von der Steingröße, son­dern auch von der Steinlokalisation ab­hängig [5]. Prinzipiell wird im Hinblick auf die Steinlokalisation zwischen Stei­nen in der oberen und mittleren Kelch­gruppe oder im Nierenbecken und sol­chen in der unteren Kelchgruppe unter­schieden. Bezogen auf die Steingröße unterscheidet man zwischen Steinen mit einer Größe von mehr als 2 cm (inkl. Aus­gusssteine), von 1–2 cm und von weini­ger als 1 cm. Für die ESWL wird bei Stei­nen unter 2 cm von einer Steinfreiheitsra­te bei der Behandlung von Nierenbecken­steinen von 56–94% und bei Kelchsteinen in der oberen und mittleren Kelchgruppe von 79–85% ausgegangen [2]. Bei Steinen über 2 cm erzielt die PCNL die größte Steinfreiheitsrate und wird deswegen als erstes Therapieverfahren empfohlen [2]. Hinzu kommt, dass durch die Fragmen­tierung großer Steine durch die ESWL die Gefahr von z. B. Obstruktion, Koliken und einer Steinstraße deutlich erhöht und nicht selten eine Reintervention erforder­lich wird. Die URS spielt bei großen Stei­nen im Nierenbecken eine untergeordne­te Rolle, wenngleich sie in ausgewählten Zentren mit der nötigen Expertise ange­wendet wird [22].

Bei Nierensteinen in der unteren Kelchgruppe wird für die ESWL von Steinfreiheitsraten zwischen 25 und 85% berichtet [23]. Die bereits erwähnten ana­tomischen Gegebenheiten wie z. B. ein enger Kelchhals scheinen die Abgangs­wahrscheinlichkeit der Fragmente bei der ESWL zu senken. Aus diesem Grund kann auch bei Steinen ab 1 cm eine PCNL erwogen werden [24, 25]. Die URS ist hin­sichtlich ihrer Steinfreiheitsrate bei Stei­nen unter 1 cm mit der ESWL vergleich­bar, stellt aber natürlich das invasivere Verfahren dar [26].

Therapie von speziellen Steinsituationen

Spezielle Steinsituationen umfassen ent­sprechend den aktuellen Leitlinien z. B. Infektsteine, Harnsäuresteine (siehe „Che­molitholyse“), Steine in der Schwanger­schaft, Harnsteine bei Kindern, Steine bei Spendern und Empfängern von Trans­plantatnieren, Nephrokalzinose und Stei­ne bei angeborenen und erworbenen Harntraktanomalien. Die Empfehlungen zur richtigen Therapie finden sich in den aktuellen Leitlinien [2, 5].

Wie geht es weiter?

Aufgrund der hohen Rezidivrate von Stei­nen im Harntrakt ist die Zuordnung des Patienten in eine spezifische Risikogruppe mit weiterführender Diagnostik und evtl. einer metabolischen Abklärung mit ent­sprechender diätischer und medikamen­töser Metaphylaxe unverzichtbar. Neben einer sorgfältigen Anamnese (stattgehabte Steingeschehen, Ernährungs­ und Trink­verhalten, Erkrankungen, Medikamente etc.) ist eine Steinanalyse obligat. Die Pa­tienten können somit einer Risikogruppe zugeordnet werden. Fallen sie in die Nied­rigrisikogruppe, sind eine metabolische Basisdiagnostik und eine allgemeine Me­taphylaxe ausreichend. In der Hochrisiko­gruppe muss eine (steinart­)spezifische Diagnostik erfolgen. Hierzu sei im Detail auf die Empfehlungen des Arbeitskreises „Harnstein“ der Akademie der Deutschen Urologen und des Arbeitskreises „Endo­urologie und Steinerkrankung“ der Öster­reichischen Gesellschaft für Urologie ver­wiesen [27].

Fazit für die Praxis

F  Bei der Harnsteinerkrankung handelt es sich um eine Erkrankung mit stetig steigender Prävalenz und Inzidenz, die mittlerweile als Volkskrankheit angesehen werden muss.

F  Die richtige Therapiewahl ist abhän-gig von Faktoren wie Steinzusam-mensetzung, Steinlokalisation, Stein-größe und anatomischen Gegeben-heiten.

F  Der Wunsch nach möglichst schnel-ler Steinfreiheit, kurzer Krankenhaus-verweildauer und rascher Rückkehr in den Alltag fließt immer mehr in die Therapieentscheidung mit ein.

F  Nach erfolgreicher Steinsanierung sind eine Steinanalyse und die Zu-ordnung des Patienten in eine Risiko-gruppe obligat.

F  In Abhängigkeit des Risikoprofils soll-ten allgemeine oder spezifische Dia-gnostik und Metaphylaxe sorgfältig durchgeführt werden, um das Rezi-divrisiko zu senken.

Korrespondenzadresse

Dr. F. StrittmatterUrologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der LMU München-GroßhadernMarchioninistr. 15, 81377 MünchenFrank.Strittmatter@ med.uni-muenchen.de

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. F. Strittmatter und C.G. Stief ge-ben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Abb. 3 8 Entfernung eines Steins mit Hilfe eines Steinfangkörbchens aus dem Nierenbecken

220 |  Der Nephrologe 3 · 2014

Leitthema

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221Der Nephrologe 3 · 2014  |