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Therapiezieländerung versus Therapiebegrenzung DKST, Education Day 16. März 2017 Carola Hasan

Therapiebegrenzung DKST, Education Day 16. März 2017 · 4 Tage später - beenden der Beatmung und Extubation Aisha verstirbt in den Armen der Eltern (9 Jahre) – HIE 12/2005 stationäre

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Therapiezieländerung

versus

Therapiebegrenzung

DKST, Education Day 16. März 2017

Carola Hasan

Aisha

Aisha (14 Jahre) – schwere neurologische Beeinträchtigung

(Kernikterus)

Aspiration und respiratorische Dekompensation

Vom Notarzt intubiert - Aufnahme auf die Intensivstation

- „Weil Ihr es nicht fertig gebracht habt, dass die Eltern die DNR-

order unterschreiben, haben wir nun das „Problem“

Verwandte reisen aus ganz Europa an

- Verabschieden sich vom Kind

- Stehen den Eltern bei

4 Tage später - beenden der Beatmung und Extubation

Aisha verstirbt in den Armen der Eltern

(9 Jahre) – HIE

12/2005 stationäre Aufnahme

Pneumonie

„Sie müssen alles für mein Kind tun!“

Verstorben Februar 2013: Zuhause und symptomkontrolliert

Therapieentscheidungen - Palliativversorgung

Interkurrente Komplikation

(Akute Appendizitis)

Erkrankungsbedingte Komplikation

(Aspiration, Hypoxie)

(Therapierefraktäre Pneumonie)

Erkrankungsbedingte irreversible „Komplikation“

Sterben (Zentrale Atemstörung)

Intensive Therapie

Symptomkontrolle

Gibt es eine palliative Notfall – Entscheidung?

Notfall-Palliativ:

In der Regel vorhersehbar

Antizipation, Vorbereitung und

Prävention leidvoller Symptome

meistens möglich

Bedarf einer sofortigen

Intervention

Lindern leidvoller Symptome

und Erhalt der Lebensqualität

wird erwartet

Notfall: Aisha

Meistens plötzlich eintretend und nicht vorhersehbar

Antizipation ist in der Regel nicht möglich

Bedarf einer sofortigen Intervention

Intensivtherapie und Lebensrettung (Reanimation) wird erwartet

Leid durch Intensivtherapie wird akzeptiert

Gibt es eine optimale palliative Notfall – Entscheidung?

Wdh. stationäre Aufenthalte bei

Pneumonie

Begleitung und

Beziehungsaufbau möglich

Reflektion der zunehmenden

respiratorischen Insuffizienz

und Erreger-Resistenz

Regelmäßige Absprachen –

was lindert Leid des Kindes

EVN lag vor – wurde nicht

benötigt

Aisha

Ganz selten stationär; Einschluss SAPV erfolgt

Wenig Beziehungsaufbau möglich

Kaum Edukation und Begleitung

EVN lag nicht vor…

Antizipation der Komplikationen / des Sterbeprozesses

- Erkrankung

- Aktuelle Therapie (z.B. Chemotherapie)

- Komorbidität

- Zusätzliche Prozeduren (z.B. VP-Shunt)

Vor-Bereitung auf Komplikationen / den Sterbeprozess

- Individuelle Bedürfnissen Patient / Familie

- Gesprächsangebot

- Setting beachten (z.B. zu Hause)

- Medikamente und Geräte bereitstellen

Compliance der Notfall-Versorger

gewährleisten: - Angebot „Empfehlungen zum Vorgehen in

Notfallsituationen“

- Information an Notfall-Versorger

Therapieentscheidungen - Palliativversorgung

Autonomie

16 Jahre

Diagnosen:

Juni 2006 Metastasiertes Lebersarkom (pulmonal)

April 2007 1. Pulmonales Rezidiv

Januar 2008 2. Pulmonales Rezidiv

Januar 2009 3. Pulmonales Rezidiv

Fallbeispiel

Aktuelle Symptome: Ursache:

Schmerz (Bauch, Thorax) (NRS 6/10) Pleurale, peritoneale Metastasen

Ruhedyspnoe Pleurale, peritoneale Metastasen, HI

Fatigue, körperl. Schwäche Kachexie, Anämie, HI

Anämie Chemotherapie

Obstipation Immobilität, peritoneale Metastase

Todes- und Erstickungsangst

Verdeckte Kommunikation Rücksichtnahme auf die Mutter

(Wunsch: keine weitere Chemotherapie

und Krankenhausaufenthalte)

Unsicherheit / Entscheidungsnot Widersprüchliche Therapieoptionen

Hoffnungslosigkeit

Fallbeispiel - Steffen

Übernahme : Akute Herzinsuffizienz – unter Rezidivchemotherapie mit Hydratation

V. Betreuung von schwerstkranken und sterbenden

Kindern und Jugendlichen

… schwerstkranke und sterbende Kinder oder Jugendliche sind

wahrheits- und altersgemäß zu informieren. Sie sollten

regelmäßig und ihrem Entwicklungsstand entsprechend in die

sie betreffenden Entscheidungen einbezogen werden, soweit

dies von ihnen gewünscht wird.

… Soweit der Minderjährige aufgrund seines

Entwicklungsstandes selbst in der Lage ist, Bedeutung und

Tragweite der ärztlichen Maßnahme zu verstehen und zu

beurteilen, steht ihm ein Vetorecht gegen ihre Durchführung

zu, selbst wenn die Sorgeberechtigten einwilligen. Davon wird

ab einem Alter von 16 Jahren regelmäßig ausgegangen.

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Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung

(2011)

Sterbebegleitung

Maßnahmen zur Pflege und Betreuung von Todkranken und Sterbenden

- Körperliche Pflege

- Löschen von Hunger- und Durstgefühl

- Mindern von Übelkeit, Atemnot, Angst

- Menschliche Zuwendung und Begleitung

Ziel:

Die Fähigkeit des Patienten, den eigenen Willen auch in der Sterbephase zur Geltung zu bringen, so lange zu erhalten, wie es medizinisch möglich, für den Betroffenen erträglich und von ihm gewollt ist.

Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende

Nationaler Ethik-Rat

2006

Sterbenlassen

…wenn eine lebensverlängernde medizinische Behandlung

unterlassen wird und dadurch der durch den Verlauf der Krankheit

bedingte Tod früher eintritt, als dies mit der Behandlung aller

Voraussicht nach der Fall wäre.

Unterlassen:

- keine lebensverlängernde Maßnahme einleiten

- keine Fortführung einer bereits begonnenen Maßnahme

- aktives Beenden einer bereits begonnenen Maßnahme

Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende

Nationaler Ethik-Rat

2006

Autonomie

&

Patient nicht einwilligungsfähig

Patientenautonomie

Der Patient ist nicht einwilligungsfähig

Gespräch mit einem Vertreter des Patienten => Eltern

Orientierung am mutmaßlichen Patientenwillen

(Orientierung am erklärten Patientenwillen)

L.S. Geisler, 2004

N.Jörmann &

B. Schöne-Seifert,

Eltern- und Kindschaft können nur gemeinsam verstanden werden

Kein Grund - Eltern diese Aufgabe nicht zuzutrauen (gerade in existenziellen Fragen)

Aufgaben des Palliativteams :

- Sachlage und Handlungsoptionen wiederholt verständlich erläutern

- Normative Prämissen der Familie ausloten

- Tragfähige Entscheidung gemeinsam finden

- Sorge tragen, dass Eltern in angemessener Weise verstehen

worum es geht

- Eltern Zeit geben, damit ihre emotionale Beteiligung eine gute

Entscheidung unterstützt (nicht verhindert)

G. Rellensmann, 2008

Patientenautonomie Eltern

Patientenautonomie – durch Eltern

Prinzip der Achtung der Patientenautonomie

- Haltung Respekt vor der autonomen Entscheidung

- Wahrhaftigkeit Unvoreingenommenheit gegenüber Entscheidung

T.L. Beauchamp &

J.F. Childress, 2008

Bedingungen für eine richtige Entscheidung

Intentionalität

- Entscheidung bewusst und absichtlich treffen

(Abgrenzung Impulshandlungen)

Angemessenes Verständnis

- Handlungsoptionen und jeweilige Situation

Freiheit von steuernder Einflussnahme

- Kein Zwang oder übermäßigen Druck

Entscheidungs-, Urteils- und Einsichtskompetenz

3. Fall – Emre

Übernahme der Fürsorge

Ethische Fallbesprechung

Intensivteam:

- Keine Intensivtherapie indiziert

- Beatmung wäre leidvoll für Emre

Palliativteam:

- Eltern brauchen noch Zeit

- gegen den Willen der Eltern zu handeln ist schwer für das Team

Klinikseelsorger:

- Familie mit der Wirklichkeit konfrontieren: Emre stirbt

- Übernahme der Fürsorge für Emre durch das Team

Zentrale Atemstörungen Drohendes Atemversagen

Emre

Elternwunsch Beatmung

Übernahme der Fürsorge

Wenn Eltern, trotz angemessener Unterstützung

- ihre autonome Entscheidung abgeben

- keine autonome Entscheidung treffen können

Therapiemaßnahmen können nicht eingefordert werden,

wenn keine medizinische Indikation besteht, weil

- sie wirkungslos sind

- dem Patienten mehr schaden als nutzen

Jox et al., 2012

G. Rellensmann, 2008

Die Therapiezielfindung kostet viel Kraft:

„Man kann den Prozess nicht glätten.“

Was ist hilfreich?

Gespräche:

im Team

mit dem Patienten

mit der Familie

Supervision

Kollegialer Austausch (Intensivteam)

Ethisches Fallgespräch

Nachgespräch

Sehen, was das Team geschafft hat…

Therapieentscheidung schafft Sicherheit für

den Patient

die Eltern

das Team