19
25 6 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964 Thermochemie des Selens. 111) Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen Von G. GATTOW und G. HE IN RICH^) Mit 6 Abbildungen Inhaltsiibersicht Mit Hilfe der ,,drop"-Methode wurden die Warmeinhalte sowohl von Pyrexglas als auch von hexagonalem und monoklinem Selen im Temperaturbereich von - 180" bis + 270 "C bestimmt. Aus den Versuchsergebnissen wurden die spezifischen Warmen und Entropien errechnet und die entsprechenden allgemeinen Gleichungen abgeleitet. Beide kristallinen Selen-Modifikationen durchlaufen beim Erhitzen z. T. mehrere, bis- her unbekannte, reversible endotherme Urnwandlungen 2. Art : hexagonales Selen bei + 105 & 1 "C und monoklines Selen (a - Se + /3 - Se) bei -120 -j= 2 "C, + 15 & 1 "C und + 30" -j= 1 "C; die Umwandlungswarmen betragen jeweils 0 & 20 cal/g-At. Beim Erhitzen geht die monokline Modifikation bei etwa + 110 "C irreversibel exo- therm in das hexagonale Selen iiber, das bei 221 -f 1 "C schmilzt; die Schmelzwarme be- trlgt 1,6 & 0,4 kcallg-At. Unter Zugrundelegung von thermodynamischen und rontgenographischen MeOergeb- nissen werden die UmwandIungen der kristalIinen Selen-Arten diskutiert. Summary The thermodynamics of Pyrex glass and of the crystalline Se modifications have been calorimetrically determined by the drop-method between 90 and 540°K (data see ,,In- haltsiibersicht"). The transformations of the Se modifications are discusaed. Im Zusammenhang mit unseren chemischen, strukturellen und thermo- dynamischen systematischen Untersuchungen uber Chalkogenverbindun- gens) trat die Frage nach dem thkrmischen Verhalten und den Umwandlun- gen der einzelnen Selen-Modifikationen untereinander auf. l) I. Mitteilung: G. GATTOW, Z. anorg. allg. Chem. 317,245 (1962); siehe auch Vortrags- referat: G. GATTOW, Angew. Chem. 75, 1110 (1963). uber Dampfdruckmessungen an Selen vgl. G. GATTOW u. A. SOENEIDER, Angew. Chem. 71, 189 (1959). 2, Teil der Staatsexamensarbeit G. HEINRICH, Gottingen 1963. 3, Vgl. z. B. G. GATTOW u. B. KREBS, Z. anorg. allg. Chem. 321, 143 (1963); 322, 113 (1963); 323 13, 260 (1963); 325, 15 (1963) usw.

Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

25 6 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

Thermochemie des Selens. 111)

Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modif ikationen

Von G. GATTOW und G. HE IN RICH^)

Mit 6 Abbildungen

Inhaltsiibersicht Mit Hilfe der ,,drop"-Methode wurden die Warmeinhalte sowohl von Pyrexglas als auch

von hexagonalem und monoklinem Selen im Temperaturbereich von - 180" bis + 270 "C bestimmt. Aus den Versuchsergebnissen wurden die spezifischen Warmen und Entropien errechnet und die entsprechenden allgemeinen Gleichungen abgeleitet.

Beide kristallinen Selen-Modifikationen durchlaufen beim Erhitzen z. T. mehrere, bis- her unbekannte, reversible endotherme Urnwandlungen 2. Art : hexagonales Selen bei + 105 & 1 "C und monoklines Selen ( a - Se + /3 - Se) bei -120 -j= 2 "C, + 15 & 1 "C und + 30" -j= 1 "C; die Umwandlungswarmen betragen jeweils 0 & 20 cal/g-At.

Beim Erhitzen geht die monokline Modifikation bei etwa + 110 "C irreversibel exo- therm in das hexagonale Selen iiber, das bei 221 -f 1 "C schmilzt; die Schmelzwarme be- t r lg t 1,6 & 0,4 kcallg-At.

Unter Zugrundelegung von thermodynamischen und rontgenographischen MeOergeb- nissen werden die UmwandIungen der kristalIinen Selen- Arten diskutiert.

Summary The thermodynamics of Pyrex glass and of the crystalline Se modifications have been

calorimetrically determined by the drop-method between 90 and 540°K (data see ,,In- haltsiibersicht"). The transformations of the Se modifications are discusaed.

Im Zusammenhang mit unseren chemischen, strukturellen und thermo- dynamischen systematischen Untersuchungen uber Chalkogenverbindun- gens) trat die Frage nach dem thkrmischen Verhalten und den Umwandlun- gen der einzelnen Selen-Modifikationen untereinander auf.

l) I. Mitteilung: G. GATTOW, Z. anorg. allg. Chem. 317,245 (1962); siehe auch Vortrags- referat: G. GATTOW, Angew. Chem. 75, 1110 (1963). uber Dampfdruckmessungen an Selen vgl. G. GATTOW u. A. SOENEIDER, Angew. Chem. 71, 189 (1959).

2, Teil der Staatsexamensarbeit G. HEINRICH, Gottingen 1963. 3, Vgl. z. B. G. GATTOW u. B. KREBS, Z. anorg. allg. Chem. 321, 143 (1963); 322, 113

(1963); 323 13, 260 (1963); 325, 15 (1963) usw.

Page 2: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRICH, Um wandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 25 7

Nach Angaben in der Literatur 4)5) sind mit Sicherheit 3 kristalline und 3 amorphe Modifikationen des Selens bekannt : hexagonales (metallisches) Selen und 2 monokline Modifikationen (a-Se und P-Se), sowie glasiges, rotes amorphes und schwarzes amorphes Selen. Allgemeine Ubereinstimmung herrscht auch dariiber, da13 sich alle Se-Arten beim Erhitzen irreversibel in die hexagonale Modifikation umwandeln4)5). Unbestimmt ist jedoch, ob die einzelnen Selen-Arten weiteren reversiblen Transformationen (z. B. unter- halb Zimmertemperatur) unterworfen sind.

I n friiheren Untersuchungen "6) iiber die Bildungswarme von SeO, durch Verbrennung der verschiedenen Se-Arten in der Calorimeterbombe konnten aus den Versuchsergebnissen die Enthalpien von reellen und hypothetischen Umwandlungen bei 25 "C berechnet werden. Gleichzeitig wurde mittels Differentialthermoanalyse gezeigt, da13 neben den bekannten Transforma- tionen z. T. weitere endotherme Umwandlungen bei < 50 "C (Beginn: 30 "C) existieren 5).

Zur Kliirung der Realitat dieser Urnwandlungen und zur exakten Fest- legung der Umwandlungswarmen und der Schmelzwarme haben wir Warme- inhaltsbestimmungen im Temperaturbereich von - 180 "C bis + 270 "C von allen Selen-Arten durchgefiihrt.

Uber die WLmeinhalte und die spezifischen Warmen der verschiedenen Selen-Modifi- kationen liegen in der Literatur bislang nur sehr unvollstandige Angaben Tor, bei denen es z. T. nicht ersichtlich ist, auf welche Form des festen Selens sie sich beziehen. Es sind zwar mehrere Bestimmungen an hexagonalem und an glasigem, sowie eine, wenn auch mehr sum- marische, an monoklinem Selen vorgenommen worden?), aber in den meisten Fallen wurden diese Modifikationen nicht rein hergestellt. So existieren moderne Untersuchungen, bei denen in bestimmten Temperaturintervallen zwar extrem genau gemessen wurde, obgleich die entsprechende Modifikation nicht eindeutig definiert war. Aus diesem Grund t ra t neben dem thermodynamischen Verhalten primar die Frage nach der Reindarstellung der einzel- nen Selen-Modifikationen auf.

I. Versuchsdurchfiihrung 1. Calorimeteranordnung

Die Bestimmung der Warmeinhalte erfolgte calorimetrisch nach der ,,drop"-Methode, die nach KELLEY~) die sicherste Methode zur Ermittlung spezifischer Warme darstellt. Eine bekannte Menge der Substanz wurde auf genau definierte Temperatur gebracht und in ein anisothermes Calorimeter

4, Vgl. GMELINS Handbuch der Anorganischen Chemie, Syst. Nr. 10 (Se; Teil A),

5 ) G. GATTOW, Z. anorg. allg. Chern. 317, 245 (1962). 6 ) A. SCHNEIDER II. G. GATTOW, Z. anorg. allg. Chem. 277, 37 (1954). 7) Nahere Einzelheiten siehe bei4) und in den folgenden Kapiteln bzw. Publikationen. 8 ) K. K. KELLEY, U. S. Dep. Interior, Bur. Mines, Bull. 684 (1960).

Weinheim 1953.

Page 3: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

258 Zeitschrjft fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

von bekanntem Wasserwert eingeworfen. Aus der Temperaturanderung im Calorimeter konnten die entsprechenden thermodynamischen Werte er- rechnet werden.

Als CalorimetergefaB diente eine Polyathylenflascheg), die mit Offnungen fur das Wi- derstandsthermometer und den Riihrer sowie zum Einbringen der Proben versehen war. Dieses GefaD enthielt bei allen Messungen 400,O g Wasser und stand in einem Metallbecher mit elliptischem Querschnitt, der sich seinerseits in einem Calorimeterthermostaten'o) (Wassermantel: etwa 24 1) befand. Nach oben wurde das System durch einen doppelten Deckel (poliertes Al-Blech und Bakelit) abgeschlossen. Der AnschluB eines Ultra-Umlauf- thermostaten 11) (mit elektronischer Vorstufenregelung) ermoglichte die Durchfuhrung aller Messungen bei 25,O "C. Die Bestimmung der Temperaturanderung erfolgte rnit Hilfe eines Pt-Widerstandsthermometers (200 Ohm) nach elektronischer Verstarkung durch direkte Aufzeichnung mit einem Speedomax-Schnellschreiber (Genauigkeit < f 0,0005"). - Der Ruhrer besal3 eine konstante Drehfrequenz von 4 Umdrehungen pro Sekunde.

Als Gefal3 fur die zu untersuchende Substanz diente ein Rohrchen aus Pyrexglas (10 cm lang; 10 mm 0) mit fest verschlieflbarem Schliffstopfen12). - Zum Aufheizen bzw. Ab- kuhlen der Probe wurde ein massiver Kupferblock (18 cm hoch; 7 cm 0) verwendet, der mit einer durchgehenden Bohrung fur das Glasrohrchen und einer zweiten, nur bis zur Mitte reichenden, fur das geeichte Thermometer 13) versehen war. Das Abkuhlen erfolgte je nach der gewunschten Temperatur durch Eintauchen des Blocks in ein rnit flussiger Luft, rnit Eis bzw. rnit Wasser gefulltes DEWAR-GefaB, das Aufheizen rnit Hilfe ekes Wasserbades bzw. eines elektrischen Ofens (Kontaktthermometer) 14).

2. Warmeinhaltsbestimmung Das mit einer bekannten Substanzmenge gefullte Glasrohrchen wurde in dem Kupfer-

block mit Hilfe eines Perlonfadensls) so aufgehangt, daB es sich in der Mitte der Bohrung befand. Die Bohroffnungen wurden mit StopfenlG) verschlossen und der Kupferblock auf die gewunschte Temperatur gebracht. Wie Vorversuche zeigten, reichte eine Verweilzeit von 20 Minuten bei der gewunschten Temperatur aus, um die Probe die Umgebungstem- peratur annehmen und das thermische Gleichgewicht sich einstellen zu lassen'?).

9 ) Vorversuche zeigten, daD sich Glas oder Metall als CalorimetergefaDe nicht eignen:

1 0 ) Firma Janke u. Kunkel, K. G., Staufen i. Br. 11) Ultra-Thermostat der Firma Dr. R. Wobser, K. G., Lauda/Tauber. 12) Als Dichtungsmittel fand < 100 "C zahes Hochvakuumfett der Firma Gebr. Leybold.

> 100 "C KEL-F 90 der Firma Minnesota Mining and Manufacturing Co. Verwendung. Fur Messungen bei Temperaturen > 100 "C wurde auBerdem das Rohrchen vor dem Verschlie- Ben evakuiert.

13) Die Eichung erfolgte gegen Eichthermometer bzw. gegen ein NH,-Dampfdruck- thermometer; fur die verschiedenen Eintauchtiefen wurden entsprechende Fadenkorrek- turen a.ngebracht.

Metall lieD den Wasserwert zu hoch werden, Glas zerbrach beim Aufprall der Substanz.

14) NIhere Einzelheiten siehe bei2). 15) Bei Temperaturen oberhalb 100°C wurde ein sehr dunner Faden aus Kupfer ver-

la) J e nach Temperatur: Kork, Gummi oder Asbest. 17) Bei den Warmeinheltsbestimmungen wurden die Zeiten variiert: 20 bis 120 Mi-

wendet.

nuten.

Page 4: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRICH, Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 25 9

Nach der thermiachen Gleichgewichtseinstellung wurde der Block an eineni Stativkran genau iiber die noch freie Offnung des Calorimeters gebracht, etwa anhaftende Wasserspu- ren abgewischt, die beiden Stopfen schnell entfernt und das Calorimeter sofort nach Hinein- fallen des Rohrchens mittels Polyathylen-Abdichtungen geschloasen. Der Warmeaustausch beanspruchte etwa 180 Sekunden; die Vorperiode wurde etwa 10 Minuten, die Nachperiode etwa 15 Minuten lang aufgenommen. - Bei allen Versuchen wurde der ,,RnMFoRDsche Kniff"18) angewendet; die Konvergenztemperatur betrug in allen Fallen 25,O "C. Die Er- mittlung der Temperaturiinderung erfolgte auf graphischem Wege direkt aus den aufge- zeichneten Kurven.

Die Messungen selbst wurden nicht mit steigenden oder fallenden Temperaturen durch- gefiihrt, sondern es wurden vielmehr Temperaturintervalle ,,geschachtelt" und Tempera- turen teilweise konstant gehalten, bzw. es wurde mit ihnen ,,gesprungen", um z. B. die Reversibilitat oder Irreversibilitat der entsprechenden Umwandlungen eindeutig festzu- legcn. Ebenfalls konnten durch Variationen von Selen-Einwaagen, Gewichten der Glas- rohrchen, Temperzeit usw. eventuelle systematische und zufallige Fehler ausgeschlossen werden.

3. Eiehung des Calorimeters Die Bestimmungen des Wasserwertes und die laufenden Eichungen des

Calorimeters erfolgten auf elektrischem Wege sowohl vor als auch jeweils zwischen den einzelnen Wiirmeinhaltsbestimmungen. Als Mittelwerb aus 39 Bestimmungen ergab sich der Wasserwert des Calorimeters zu W = 451,2 cal mit einem mittlerenFehler desMittelwertes van & 1,2 cal (i 0,3%).

Als Heizelement 19) diente ein auf eine Bakelitscheibe gewickelter Konstantan-Draht ; sein Widerstand wurde vor jeder Eichung jeweils mit einer Briickenschaltung gemessen und betrug etwa 8 Ohm. Die geflossene Ladungsmenge wurde mit einem Coulometer nach VON WARTENBERG und SCHUTZA~O) ermittelt. (AgBF,-Losung, Pt-Kathode, Ag-Anode). Die Heizspannung betrug G Volt; die Hcizdauer lag mit etwa GO bis 360 Sekunden in der Gro- Benordnung der Abkuhlungs- bzw. Aufhcizperiode der spateren Versuche. Vor- und Nach- periode wurden je 15 Minuten registriert; Konvergenztemperatur: 25,O "C.

4. Auswertung der MeBergebnisse, Fehlerdiskussion

Aus den Versuchsergebnissen errechnen sich die Warmeinhalte des Py- rexglases (in cal/g) als GefaiBmaterial und von Selen (in cal/g-At.) zwischen 298,2 OK und T OK nach den Gleichungen21)

W AH?,!:&) = ~. dTGlas + KGlas

mGlas 298 2

mit KQlas == (TEnde - 29892) . Cpldl&s)

18) Vgl. W. A. ROTH ,,Thermochemie", BerIin 1952; W. A. ROTH u. F. BECKER, ,,Kalori- metrische Methoden zur Bestimmung chemischer Reaktionswarmen", Verfahrens- und MeDkunde der Natunvissenschaften, Heft 12, Braunschweig 1956.

19) Da das Heizelement mit einbegriffen war, wurde e8 bei den spateren Wiirmeinhalts- messungen im Calorimeter belassen.

2 0 ) H. TON WARTENBERQ u. H. SCHUTZA, Z. Elektrochem. angew. physik. Chem. 36,256 (1930).

21) Fur 298,2 "K gleich ,,Null" gesetzt (= Bezugspunkt); AH? = H, - H295,2.

Page 5: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

260 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

298 2 298 2 mit K = (TEnde - 29892) (~p(S 'e) . mse + Cp(C;las) . m~ias) .

Es bedeuten: AHY" = HT - Hzg8,z = Differenz der Warmeinhalte zwischen 298,2 O K

und T'K; W = Wasserwert des Calorimeters (451,2 & 1,2 cal); m = Gewicht des Glases bzw. Einwaage von Selen; AT = gemessene Temperaturanderung; cp - spezifische War- men von Glas bzw. Selen bei 298,2"K in cal/"g; M,, = Atomgewicht des Selens (78,96); K = Korrekturglied, das die von 298,2 OK abweichende Endtemperatur TEnde beriick- sichtigt.

Bei den experimentellen MeBwerten ist die groBte Fehlerquelle durch die Unsicherheit der Temperaturmessung der Probe begriindet. Schon sehr kleine Schwankungen dieser Ablesung bedingen groBe Abweichungen bei den errechneten Warmeinhaltswerten. Zudem werden die Werte der beiden Selen-Modifikationen ja durch Subtraktion zweier MeBgroBen erhalten, was besonders bei Temperaturen nahe 25 "C die Fehler stark erhoht. Die Unsicher- heit der Korrektur liegt ebenfalls in der Ablesung von TEnde. So kann der mogliche Fehler bei Messungen nahe dem Bezugspunkt ,,mehere hundert Prozent" betragen. Die aus anderen Quellen stammenden moglichen Fehler (Einwaage, Wasserwert, Ermittlung von AT usw.) sind dagegen vernach- lassigbar klein.

Die Erfahrung zeigte jedoch, daB die Reproduzierbarkeit der Werte wesentlich besser war, als die Theorie vermuten liel3. Der tatsachliche Fehler betragt -+ 20 cal/g-At., wie man aus den nachfolgenden Abbildungen er- sehen kann.

Fur die Temperaturabhangigkeit der Warmeinhalte wurden allgemeine Gleichungen - entsprechend den Vorschlagen von KELLEY~) - der Art

298,2-

AH? = a . T + b . T2 + c . T-l + d [cal/g-At.]

aufgestellt. Die Abweichungen der errechneten Kurven von den tatsachlich gemessenen Werten liegen bei maximal 3 , 5 O / , ; diese Abweichungen treten jedoch nur an wenigen Stellen auf. Im allgemeinen ist die Abweichung ge- ringer als 2%. Bei sehr kleinen Absolutbetragen der Warmeinhalte werden die Fehler groBer, ubersteigen jedoch nicht & 20 cal/g-At. und liegen somit in den GroBenordnungen des experimentellen MeBfehlers.

Aus dem Verlauf der Warmeinhaltskurven konnten die Umwandlungs- temperaturen ermittelt werden. Wegen dieser ungenauen graphischen Me- thode sind die Transformationspunkte bei niederen Temperaturen mit einem Fehler von etwa 2", bei den hoheren mit einem von etwa & 1" anzusetzen.

Die spezifischen Warmen wurden aus den Warmeinhalten mit Hilfe der Beziehung - 4H C = ~ nach den ublichen Methoden berechnet (AT = 5" bis 10') und die entsprechenden AT Kurven gezeichnet. Die Ableitungen der allgemeinen Gleichungen konnten nicht aus den

Page 6: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRIGH, Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 261

Temperaturfunktionen der Warmeinhalte direkt erfolgen, da die Ansatze fur die Warmein- hake bereits Naherungen darstellen und der absolute Fehler somit zu groB werden wiirde, sondern es wurden vielmehr die C,-Kurven fur die Aufstellung der Gleichungen herange- zogen.

Der Fehler der spezifischen Warmen ist hauptsachlich durch die Ablesegenauigkeit der WIrmeinhaltswerte bedingt. Aus der Auswertung ergab sich ein tatsiichlicher Fehler von etwa 3 0,005 cal/"g bzw. & 0,4 cal/"g-At., in dem auch die Zeichenungenauigkeiten ent- halten sind.

Die Berechnung der Entropien erfolgte ebenfalls nach der iiblichen Methode : Auftragen von C,/T gegen T, graphische Integration, Ermittlung der Nullpunktsentropie So durch Extrapolation der erhaltenen Werte gegen T = 0 OK. Die Temperaturfunktionen wurden, wie bei C, beschrieben, direkt ausden Entropiekurven abgeleitet. - Wegen der Ungenauig- keit der extrapolierten S-Werte betragen die Fehler f 2 cal/'g-At., fur das hexagonale Selen jedoch nur etwa f 0,5 cal/Og-At.14).

5. Reinigung von Selen

Als Ausgangsmaterial diente handelsiibliches Staiigenselen ; die Reinigung des Se erfolgte auf dem Wege uber das SeO,.

Das gepulverte Se wurde in HNO, (d = 1,63 g/cm3) gelost, die Losung nach Filtration zur Trockene eingedampft und der Riickstand einer vorsichtigen Sublimation iiber einem Luftbad ~nterworfenl~) , die mehrfach wiederholt wurde. - Bei dieser Aufarbeitung zeigte es sich, daB die Sublimation des SeO, die Gegenwart von Spuren von Wasser erfordert: sehr trockenes SeO,, wie es durch ofteres Sublimieren haufig vorlag, sublimierte nicht mehr unter den vorliegenden Versuchsbedingungen, sondern zersetzte sich zu z. T. rotbraun gefarbten Produkten. Die Zersetzung t ra t bereits bei einer Temperatur ein, bei der frisch hergestelltes, also noch ,,feuchtes" SeO,, unzersetzt sublimierte. Diese Tatsache stimmt mit den Versuchs- ergebnissen von JANNEK und MEYER,~) iiberein, daB das SeO, durch Sublimationnicht was- serfrei zu erhalten i ~ t , ~ ) , und legt die Vermutung nahe, daB der Transport des SeO, in der Gasphase iiber ein gasformiges Hydroxid [z. B. SeO(OH),] erfolgt. Urn den Sublimations- vorgang zu beschleunigen, muate fur die Anwesenheit von etwas Wasserdampf in der Ver- suchsanordnung gesorgt werden (z. B. durch Zugabe eines Tropfen Wassers oder durch Hineinhiingen von etwas feuchtem Filtrierpapier).

J e etwa 30 g des sublimierten SeOZz4) wurden in etwa 2000 cm3 H,O gelost; die Losung mit 200 cm3 HCl (d = 1,19 g/cm3) versetzt und vorsichtig in Anteilen unter Ruhren und Wasserkuhlung eine 20proz. Hydrazinhydratlosung hinzugefiigt 25). Die exotherme Reak- tion verlief unter den angegebenen Bedingungen langsam und war nach etwa 24 Stunden beendet. Nach Dekantieren, Filtrieren und sorgfaltigem Waschen (Cl--frei!) wurde das feuchte Selen erwarmt, wobei es zu einer grauen Masse zusammensinterte (AbgieSen des Wassers). AnschlieBend wurde bei 12OOC getrocknet.

22) J. JANNEK u. J. MEYER, Z. anorg. allg. Chem. 83, 77 (1913). 23) Der Wassergehalt liegt bei 0,045 bis 0,088y0 H,O und ist auch durch Trocknen

24) Es wurden nur die gut kristallisierten Partien (farblose nadelformige Kristalle)

25) B. SUSEELA, Chem. Ber. 88, 23 (1955); P. JANNASCH u. M. MULLER, Ber. dtsch.

iiber P,O, nicht zu entfernen; vgl. A. P. JULIEN, J. Amer. chem. SOC. 47, 1801 (1925).

verwendet.

chem. Ges. 31, 2393 (1898).

Page 7: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

262 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

Das trockene Selen wurde in einer Porzellanschale geschmolzen, wobei sich an der Oberflache eventuelle noch vorhandene Verunreinigungen als dunne olartige Schicht, die mit einem Spate1 leicht abgezogen werden kann (spiegelblanke Oberflache!), abscheiden, und anschlief3end die Schmelze in einem dunnen Strahl langsam in kaltes Wasser gegossen.

Uas so ernaltene glasigl: Selen wurde erneut dem oben beschriebenen Reinigungspro- zeR (Losen in HNO,, Sublimieren, Fallen mit Hydrazinhydrat usw.) unterworfen. Das End- produkt (rotes amorphes Se), das als Verunreinigungen lediglich A1 und Cu in geringsten Mengen enthielt, die sich nur spektralanalytisch nachweisen lieBen (Gluhruckstand: < wurde als Ausgangsprodukt fur die Herstellung der entsprechenden Se-Modifi- kationen verwendet 7).

11. Versuchsergebnisse 1. Thermodynamische Daten von Pyrexglas

Da sich das Selen bei den Warmeinhaltsmessungen in einem GlasgefaB befand und da die spezifischen Warmen von Pyrexglas26) lediglich im Tem- peraturbereich von -100 "C bis + 20 "C bekannt waren"), mufiten zls An-

schluBwerte diewairmeinhalte des verwendeten Glases zwi- schen - 200 "C und 4- 300 "C bestimmt werden.

Ein Rohrchen aus Pyrex- glas, wie es auch spiiter zur Bestimmung der Warme- inhalte des Selens Verwen- dung fand, wurde mit Glas- splittern aus Pyrexglas gefullt und den thermochemischen Untersuchungen unterwor- fen. Die Substanzmenge be- trug 17 bis 20g Pyrexglas.

Aus 59 Einzelbestiminuiigen, deren Ergebnisse in Abb. 1 wiedergegeben sind2a), folgt, dafi die Warmeinhalte (in cal/g) von Pyrexglas im Temperaturbereich zwischen - 200 "C und + 300 "C durchfolgende Gleichung wiedergegeben werden konnen (T in OK; Genauigkeit : f 0,5 cal/g) 21) :

AH?'' = -40,5 + 0,OG19 . T + 2,05. 10-4T2 + 4,82. 102T-'.

Die spezifische Warme cp (in cal/"g) von Pyrexglas lal3t sich durch die Tem- peraturfunktion

beschreiben (T in K ; Genauigkeit: & 0,Ol cal/"g).

Abb. 1. Warmeinhalte von PyrexglasZ1) 26)

cp = 0,17 + 0,004. 1OPT + 0,005 . 10-4T2 - 11,3 . T-'

2e) Pyrex=Solidex ; Zusammensetzung nach Angaben der Herstellerfirma: 80,20y0 SiO,, 12,90% B,O,, 3,507; Na,O, 2,20y0 A1,0,, 1,15y0 K,O, 0,05y0 Fe,O,.

27) G. GATTOW u. B. KREBS, Z. anorg. allg. Chem. 322, 113 (1963). z S ) Aus raumlichen Griinden konnten nicht alle MeBpunkte auf der Abbildung einge-

zeichnet werden.

Page 8: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRICH, Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 2G:3

Die neu bestimmten spezifischen Warmen des Pyrexglases stimmen mit den von uns friiher erhaltenen Werten2') bestens iiberein.

2. Thermodynamische Daten von hexagonalem Selen 29)

sintert, das Wasser abgegossen, das Produkt zerkleinert und nach Trocknen bei 120°C Das feuchte, rote amorphe Selen (a. Kapitel I 5) wurde durch Erwarmen zusammenge

(Kristallkeimbildungw)) das Selen 3 Monate lang bei 207OC und 1 Monat bei 120 "C g e t e r n ~ e r t ~ l ) ~ ~ ) . Die Rontgenaufnahmen zeigen nur das gut ausgepragte Interferenz- muster des hexagonalen Selenszs). - Mittels eines Polarisations-Heiz- mikroskops konnte der Schmelz- punkt zu 221 & 1 ° C bestimmt werdena3).

Bei der Bestimmung der thermochemischen Kenn- groljen wurde mit Einwaagen von 8 his 15 g Se gearbeitet; der Anteil des hexagonalen

300 T f 'CI - 6 0 0 m

Abb. 2 . Warmeinhalte von hexagonalem Selen *I)

Selens am ,,Gesamtwarmeinhalt~" betrug je nach Einwaage etwa 20 bis 400;. Die Warmeinhalte von hexagonalem Selen wurden im Temperatur-

bereich von -192 bis + 266 "C bestimmt, wobei es moglich war, mit unter- kiihlten Schmelzen zu ar- beiten. Die Ergebnisse, die aus 104 Einzelbestimmun- gen erhalten wurden, sind den Abb. 2 und 3 zu entneh- men28). Aus dem Verlauf der Warmeinhaltskurven ist ersichtlich, dafl hexa- gonales Selen einen rever- siblen Umwandlungspunkt bei 106 1 "C besitzt und bei 2 2 1 Tt 1 "C schmilzt.

Die Warmeinhalte von hexagonalem

Abb. 3. Warmeinhalte von hexagonalem Selen2*) im Bereich der Umwandhngstemperaturen (a) bei 106 "C;

(b) am Schmelzpunkt (221 "C)

29) Obgleich die metalhehe Modifikation des Selens trigonal kristallisiert, wird es als

30) H. K. HENISCH, ,,Rectifying Semiconductor Contacts", Oxford 1957. 3L-33) s. S. 264.

hexagonales Selen bezeiclinet.

Page 9: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

264 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

Selen lassen sich durch folgende Temperaturfunktionen beschreiben (in callg-At. ; T in O K ; Genauigkeit : & 20 cal/g-At.) 21) :

Von -200 bis + 100 "C: H298, 2 T = -2209,O + 6,948 . T $- 1,975 . lop4 T2 + 367,3 * 10' T-l,

von + 110 bis + 211 "C:

d H F 2 = 694,4 - 5,686. T $- 139 T2.

Pur geschmolzenes Selen gilt zwischen 190" und 270°C (Schmelze und Unterkuhlung) :

AH?' = -34566,O + 29,465. T + 166,25. T2 + 87000. lo2 T-l.

Fur die spezifischen Warmen C, (in cal/ "g-At.), deren ausgeglichene Werte im 10"-Interval1 in den Tab. 1 und 2 wiedergegeben sind, lassen sich folgende Gleichungen aufstellen (T in OK; Genauigkeit : & 0,4 cal/"g-At.) :

Von -200 bis + 100 OC:

C , = 7,47 + 0,173. T -0,025. T2 -344. T-I:

von 110 bis 211 OC:

C, = 68,5 - 32,9 . T + 4,27 . T2, von + 190 bis 270 "C (Schmelze):

C, = -17492,O + 35,726. T - 241,76 4 T2 + 28420. lo2 !I-*. Die Entropien S, (in cal/'g-At.) konnen unter Zugrundelegung einer extrapolierten

Nullpunktsentropie von So = 4,s f 0,5 cal/'g-At. in erster Naherung zwischen 0" und 380°K durch die Beziehung (T in OK; Genauigkeit: & 0,5cal/"g-At.)

S, = 0,06246. T - 0,814. T2 + 0,022 - T3

wiedergegeben werden.

Als Standardwerte erhalt man fur das hexagonale Selen bei 25 "C:

cp

C, Szss,z = 11,7 f 0,5 cal/'g-at.

= 0,085 -& 0,005 cal/"g

= 6,7 5 0,4 cal/"g-At.

31) Vgl. z. B. R. MARC, Ber. dtsch. chem. Ges. 39, 699 (1906), K. TANAKA, Mem. Coll. Sci., Kyoto Imp. Univ., Ser A 17, 59 (1934); J. A. PRINS u. W. DEKEYSER, Physica 123 4, 900 (1937); L. MOENKE-BLANKENBURG, Jenaer Jb. 1959, I, 211; H. EHINGER, Z. Kristallogr., Mineralog., Petrogr. 116, 235 (1961).

s2) H. KREBS, Z. Physik 126, 769 (1949); Z. anorg. allg. Chem. 265,156 (1951); Angew. Chem. 65, 293 (1953).

ss) Von anderen Autoren4) 14) werden z. T. niedrigere Schmelztemporaturen (217" bis 321 "C), die vermutlich von Verunreinigungen herruhren, angegeben; vgl. auch S. E. BABB, J. chem. Physics 37, 922 (1962).

Page 10: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRICH, Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 265

230 240 da alle Warmeinhalte auf 25,O "C bezogen

und damit Relativwerte sind. Aus den 250 Kurven ergibt sich lediglich eine ,,relative 260

Tabelle 1 Spezi f i sche W a r m e n v o n h e x a g o n a l e m S e l e n

11,53 13,03 13,90 14,OO

(cal/"g-At.) Temperatur

( " C )

-200 -190 -180 -170 -160 -150 -140 -130 -120 -110 - 100 - 90 - 80 - 70 - 60 - 50 - 40 - 30 - 20 - 10 i o + 10

2,87 3,45 3,91 4,28 439 4,85 5,07 5 3 6 5,43 5,58 5,71 5,82 5,93 6,02 6,11 6,19 6,26 6,33 6,39 6,44 650 6,54

Temperatur ("C)

~

+ 20 + 30 + 40

+ 70

+ 50 + 60

+ 80 + 90 + 100

+110 + 120 +130 +140 +150 +160 +170 +180 + 190 + 200 +210

c, (cal/'g- At.)

6,59 6,63 6,67 G,70 6,74 6,77 6,79 6,82 6,85

5,13 5,15 5,26 5,46 5,74 6,10 6,55 7,09 7,71 8,42 9,21

I m Kurvenverlauf der Warmeinhalte des hexagonalen Selens (Abb. 2 und 3) erkennt man einen Knick bei 106 & 1 "C, der eine reversible Transformation anzeigt. Trotz vielfacher Messungen war es nicht moglich, die Umwand- lungswarme genauer als AH, = 0 & 20 cal/g-At. anzugeben; der Ubergang ist endotherm.

Der Sprung bei 221 & 1 ° C ist durch das Schmelzen der Probe bedingt. Aus- gehend vom hexagonalen Selen handelt es sich hier um einen endotherm irreversiblen Vorgang, da als ,,Abschreckprodukt" der Schmelze - bedingt durch die ,,drop"- Methode - glasiges Selen resultiert. Die Schmelzwarme kann in diesem Pall nicht direkt aus den Kurven abgelesen werden, da alle Warmeinhalte auf 25,O "C bezogen und damit Relativwerte sind. Aus den Kurven ergibt sich lediglich eine ,,relative

Page 11: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

2 66 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

Umwandlungswarme" = 380 & 20 callg-At.), die die absolute Ver- schiebung der Warmeinhaltskurven gegeneinancler unberiicksichtigt lafit. Legt man die von GAT TOW^) bestimmte Umwandlungswarme (AH:g8 = -1,3 6 0,4 kcallg-At. fur Seclas 3 Se,,,.) zugrunde, so erhalt man fur die Schmelzwiirme bei 221 "C unter Beriicksicht'igung der Temperaturabhangig- keit von dH,einen Wert von 1,6&0,4 kcal/g-At., der innerhalb der Fehler- breite mit dem von KUBAsCHEWsK134) angegebenen Wert (AH, =

1:50 0,15 kcal/g-At.) iibereinstimmt ; die Schmelzentropie betraigt A S , =

3 ,2 & 0,8 cal/"g-At. Der Verlauf der Warmeinhaltskurve am Schmelzpunkt hangt vom Schmelzverhalten

des Selens ab: Beim Schmelzen zerbricht der Kristallverband des hexagonalen Selens zu- nachst in eindimensionale Kristalle35), die dann weiter aufbrechen. Halt man die Probe dicht am Schmelzpunkt, so wird sich das Zerfallsgleichgewicht nur sehr langsam einstellen. Wie man aus der Darstellung der Warmeinhalte ersieht, steigt die Kurve bei der Schmelz- temperatur stark ana6), urn anschlieDend wieder abzusinken und allmahlich in den Kurven- verlauf des fliissigen Selens einzumiinden. Wegen des noch nicht eingestellten Gleichge- wichtes wird noch ein groDerer Anteil in Form von Kettenverbiinden vorliegen, wodurch sich auch der zunachst so hohe Warmeinhalt erklart. Beim Abkiihlen einer Probe, in der durch vorhergehendes Schmelzen diese Verbande bereits ,,zerschlagen" wurden, tritt diese Abweichung nicht mehr auf, was unsere Messungen (,,ausgefullte" Kreise der Abb. 3 b ) be- statigen. Bei diesen MeBwerten wurde das Selen zunllchst geschmolzen (bei etwa 260 "C) und dann abkuhlen gelassen, bis es die MeDtemperatur erreicht hatte.

Ein Vergleich der neu ermittelten thermodynamischen Daten mit den in der Literatur angegebenen Werten ist - wie bereits beschrieben - schlecht moglich, da bei den friiheren Messungen4)I4) mit unreinen Praparaten, die z. T. noch in undefiniertem Zustande vorlagen, gearbeitet wurde und aufier- dem die MeBintervalle der einzelnen Autoren stark differieren.

Die spezifischen Warmen unterscheiden sich auffallig von den mit Hilfe der Aufheizmethode von ANDERSON~'), DE S O R B O ~ ~ ) und DE VRIES3') ge- wonnen. Die Werte von ANDERSON3') und von DE SORBO 3d) zeigen sehr gute

34) 0. KUBASCHEWSILI, Z. Elektrochem. angew. physik. Chem. 64, 275 (1950). 3tB) I. N. STRANSRI, R. KAISCREW u. L. KRASTENOW, Z. Kristallogr., Mineralog., Pe-

trogr. 88, 329 (1934). 3s) Der MeDpunkt dicht unter der Schmelztemperatur zeigt eine leichte Erhohung des

erwarteten Warmeinhaltes. Diese Abweichung vom theoretischen Wert kann sehr wahr- scheinlich von der unvollstandigen Erstarrung durch Spuren von Verunreinigungen her- ruhren; die Moglichkeit eines Vorschmelzens infolge Bindungaauflockerung ist jedoch nicht auszuschliel3en.

37) G. T. ANDERSON, J. Amer. chem. SOC. 59, 1036 (1937). 58) W. DESORBO, J. chem. Physics, 21,1144 (1953); siehe auch die Berechnung der spe-

zifischen Warmen bei tieferen Temperaturen von L. S. KOTHARI u. V. K. TE'WARY, J . &em. Physics 38, 417 (1963); vgl. T. FUKURO~ u. Y. MuTG, Sci. Rep. Res. Inst. TGhoku Univ., Ser. A 8, 213 (1956).

s9) T. DRVRIES, z. L. F. DOBRI~, J. Amer. chem. SOC. 54, 3258 (1932).

Page 12: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRICH, Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 267

Ubereinstimmung, die yon DE VRIE~ 39) angegebenen weichen,von den vori- gen hinsichtlich ihrer Lage, nicht aber im Kurvenverlauf ab. Nach KELLEY *) sind jedoch die mittels der Aufheizmethode erhaltenen C,-Werte mit einiger Kritik behaftet. Vergleicht man die spezifischen Warmen der verschiedenen A~toren*)~'-4~) bei 25 "C, so findet man Wertezwischen 5,9 und 10,8cal/"g-At. ; der von uns erhaltene Wert liegt bei 6,7 & 0,4 cal/"g-At.

Wahrend dieNormalentropie zu S,,,,, = 11,7 & 0,5 cal/"g-At. bestimmt wurde: t a b e l l i e r e n K E ~ ~ ~ ~ undK1~~~~)einenWertvon10,14&0,05cal/"g-At., bzw. KUBASCHEWSKI und EVANS^^) einen von 10,15 & 0,06 cal/"g-At. Nach LA TIMER^^) errechnet sich die Entropie zu 3 2,09 cal/"g-At.

3. Thermodynamisehe Daten von monokiinem Selen Das bei Zimmertemperatur im Vakuum uber P,O, getrocknete rote amorphe Selen

(s. Kapitel I 5) wurde mit CSZ45) in einer Soxhlet-Apparatur extrahiert (Temperatur des Wasserbades: <_ 55 "C). Das so entstandene monokline Selen wurde nach Absaugen einer sorgfaltigen Vakuumbehandlung unterworfen, um anhaftende Spuren von CS, zu entfernen, und im Vakuum uber P,O, aufbewahrt. Die Ausbeute betrug etwa 1 g pro Woche. - Die mikroskopischen Untersuchungen des auskristallisierten Selens ergaben das Vorliegen einer Mischung von (grol3e rote Kristalle) und /3-Se 47) (grauschwarze prismenformige Nadeln48); hexagonales Selen konnte rontgenographisch nicht nachgewiesen werden.

Bei der Bestimmung der thermodynamischen Daten wurde auf eine Trennung von a- und p-Se verzichtet, da diese sich thermochemisch kaum unterscheiden5)41). Die Einwaagen lagen zwischen 8 und 14 g ; der Anteil des monoklinen Selens am Gesamtwarmeinhalt betrug je nach Einwaage etwa 20 bis 40%.

4'3) Vg1.z.B. J.DEWAR, Proc. Roy. SOC. [London] A 76, 323 (1905); A 89, 168 (1914);. A. BETTENDORE u. A. WULLNER, Poggendorfs Ann. 133, 293 (1868); V. REG- NAULT, Poggendorfs Ann. 61, 226 (1840), 98, 396 (1856); F. NEUMANN, Poggendorfs Ann. 126, 138 (1865); M. PADOA, Gazz. chim. ital. 52, I, 28 (1922); G. BORELIUS u. K. 8. PAULSON, Ark. Mat., Astronomie Fysik, Ser. A 33, Nr. 7 (1946): K. K. KELLEY, U. S. Dep. Interior, Bur. Mines, Bull. 476 (1949).

41) P. MONDAIN-MONVAL, Bull. SOC. chim. France [4] 39, 1349 (1926). 4*) K. K. KELLEY u. E. G. KING., U. S. Dep. Interior, Bur. Mines, Bull. 692 (1961). 43) 0. KUBASCHEWSEI u. E. L. EVANS, ,,Metallurgical Thermochemistry", London

1958. 44) W. M. LATIMER, J. Amer. chem. SOC. 43, 818 (1921); vgl. W. HERZ, Z. anorg. allg.

Chem. 177, 116 (1929). 45) Vgl. F. HALLA, F. X. BOSCH, u. E. MEHL, Z. physik. Chem. Abt. B 11, 455 (1931);

H. P. KLUG, Z. Kristallogr., Mineralog., Petrogr. 88, 130 (1934); V. PROSSER, Ceskoslov. Casopis Fysika 10, 35 (1960).

46) R. D. BURBANE, Acta crystallogr. [London] 4, 140 (1951). 47) R. D. BURBANK, Acta crystallogr. [Copenhagen] 6 , 236 (1952); R. E. MARSH, L.

48) K. NEUMANN u. E. LICHTENBERG, 2. physik. Chem. Abt. A 184, 93 (1939). PAULING u. J. D. MCCULLOUGH, Acta crystallogr. [Copenhagen] 6, 71 (1953).

Page 13: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

268 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

Die Bestimmung der Warmeinhalte von monoklinem Selen erfolgte im Temperaturbereich zwischen -166 und f 141 "C. Die MeBergebnisse, die aus 73 Einzelbestimmungen erhalten wurden, sind in den Abb. 4 und 5 wie- dergegeben 28). Aus dem Verlauf der Warmeinhaltskurve folgt, daB mono- klines Selen drei reversible Umwandlungspunkte bei - 120 + 2 "C, + 15 IfI- 1 "C und 30 & 1 "C besitzt und sich oberhalb 110 "C irreversibel in die hexa- gonale Modifikation umwandelt ; d. h. die Kurve nahert sich den Werten fur das hexagonale Selen.

150 zoo 250 300 350 ~ O O T ~ ~ K I

Abb. 4. Warmeinhalte vou. monoklinem Selen21)

Abb. 6. Warmeinhalte von monoklinem Selen21) im Bereich der Umwandlungstemperaturen (a) bei - 120 "C;

(b) bei + 15" und + 30 "C

Die Warmeinhalte (in cal/g-At.) von monoklinem Selen (&-So + P-Se) konnen durch folgende Gleichungen beschrieben werden (T in "K; Genauigkeit : & 20 cal/g-At.) 21) :

Von -170 bis -130OC: ~ ~ 9 9 8 ~ 2 - - -1579,l + 2,985 * T + 117,5. lo4 T2,

Page 14: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRICH, Urnwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 269

von -120 bis +lO°C:

AH? = 548,2 - 8,475 . T + 265,31 . T2 - 1084,2 . lo2 T-l,

von + 15 bis + 3OOC:

AH? = 38586,3 - 267,69 . T + 4637,5 . T2, von + 30 bis + 110OC:

= -10557,3 + 28,104. T - 169,83 . lo4 T2 + 11050 lo2 T-1.

Tabelle 3 S p e z i f i s c h e Wi i rmen v o n m o n o k l i n e m S e l e n

Temperatur ("C)

-170 -160 -150 -140 -130

-120 -110 - 100 - 90 - 80 - 70 - 60 - 50 - 40 - 30 - 20

CP (cal/O g-At.)

5,43 5,66 5,92 6,23 6,58

3,73 4,06 4,32 4,54 4,75 4,97 6,22 5,52 5,87 6,30 6,80

Temperatur ("C)

- 10 k0 +I0

+ 20 +25 +30

+ 40 + 50

+ 70

+30

+ 60

+ 80 + 90 + 100 +110

CP (cal/'g-At.)

7,38 8,06 8,83

4,00 8,86

13,71

4,64 5,54 6,22 6,72 7,05 7,24 7,30 7,33 7,34

Fur die spezifischen Wiirmen Cp (in cal/ "g-At.), deren ausgeglicherie Werte im lO"-Intervall der Tab. 3 zu entnehmen sind, gelten folgende Tem- peraturfunktionen (T in OK; Genauigkeit : & 0,4 cal/"g-At.) :

Von -170 bis -130°C: C, = 5,42 - 0,0205. T + 2 - 10-4 T2,

von -120 bis + 10 "C: C, = 76,O - 0,381 T + 7,15 - lo4 T2 - 47 - lo2 T-I,

von +20 bis +30"C: C, = -280,5 + 0,971 - T,

von + 30 bis + 110 "C: C, = 261,9 - 0,4917 . T + 2,586 . Unter Verwendung einer extrapolierten Nullpunktsentropie von So = 5,5 & 2 cal/Og-At.

lassen sich die Entropien (in cal/"g-At.) in erster Naherung durch die folgenden Beziehun- gen (T in O K ; Genauigkeit: & 2 cal/"g-At.) wiedergeben:

T2 - 400 lo2 T-l.

Von 0 bis 150°K: S , = 0,06246 . T - 0,814. 10-4 TZ + 0,022.

von 160 bis 280°K: S, = 5,OO + 0,01267 - T + 0,278 lo4 T2. T3,

19 Z. anorg. allg. Chemiea Bd. 331.

Page 15: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

270 Zeitschrift fur anorganiache und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

Als Standardwerte gelten fur das monokline Selen bei 25 "C49) :

cp = 0,108 & 0,005 cal/'g

C, = 8,5 f 0,4 cal/Og-At. Sags,a = 11,7 -& 2 cal/'g-At.

Aus den Abb. 4 und 5 ist ersichtlich, da13 die Warmeinhalte in ihrem Ver- lauf als Funktion der Temperatur drei Knickpunkte aufweisen, die rever- siblen Umwandlungen entsprechen ; die Ubergange sind endotherm. Die Umwandlungswarmen betragen jeweils AH, = 0 & 20 cal/g-At. Die Enthal- pie der exothermen Umwandlung des monoklinen in das hexagonale Selen (> 110 "C) kann wegen der Irreversiblitat des Vorganges (und der Relativ- wert,e !) nicht direkt aus den Warmeinhalten entnommen werden; mit Hilfe 170n Differenzniessungen konnten wir sie jedoch bei 25,O"C zu AH, = -1,6 & 0,3 kcal/g-At. bestimmen5).

Fur das monokline Selen liegt in der Literatur nur eine gemittelte Mes- sung von MoNDAIN-MoNvAL~~) fur die spezifische Warme zwischen 15 "C und 75 "C vor : C, = 6,5 cal/"g-At. Dieser Wert stimmt innerhalb der Fehler- breite mit der bei 50°C neu ermittelten spezifischen Warme von 6,6 & 0,4 cal/"g-At. uberein.

-

111. Die Urnwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen Mit Hilfe der Differentialthermoanalyse konnte gezeigt werden 5 ) , da13

oberhalb 20 "C das hexagonale Selen keinen Umwandlungspunkt besitzt und das monokline Selen sich lediglich exotherm irreversibel in die hexago- nale Modifikation umwandelt. Ganz uberraschend zeigten die Warmeinhalts- messungen jedoch weitere reversible Transforniationen dieser beiden kristal- linen Selen-Arten an. Dieses steht keinesfalls in Widerspruch zu den diffe- rentialthermoanalytischen Untersuchungen, da die Warmeeffekte der lieu gefundenen Umwandlungen AH, = 0 & 20 cal/g-At. betragen; d. h. zu gering sind, um noch niittels Differentialthermoanalyse in Form eines Peaks nach- gewiesen werden zu kOnnen5O) a

1. Umwandlungen des hexagonalen Selens

Im Kurvenverlauf der Warmeinhalte des hexagonalen Selens (siehe Abb. 2 und 3) erkennt man einen Knick bei 106 "C. Auf Grund der gegebenen

49) Die spezifische Wgrrne von monoklinem Selen steigt im Bereich von 25 "C stark an, deshalb die gegenuber hexagonalem Selen vergleichbaren hohen Werte. Das Mittel uber groBere Temperaturintervalle wiirde kleinere Werte liefern.

5 0 ) Mit der verwendeten DTA-Apparatur 5, lassen sich Warmeeffekte in dieser Gro- Ijenordnung (< 20 cal/g-At. = < 0,2 cal/g) nicht mehr erfassen.

Page 16: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G . GATTOW u. G. HEINRICH, Urnwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen 271

Herstellungsbedingungen kann es sich hierbei nicht um eine nachtragliohe Kristallisation oder Beseitigung von Gitterstorungen 51), die sich rontgeno- graphisch nicht mehr nachweisen lassen 32), handeln, da die Reversibilitat eindeutig ist. Da das Rontgeninterferenzmuster des hexagonalen Selens bis zu seinem Schmelzpunkt - mit Ausnahme der Temperaturabhangigkeit der Gitterdimensionen - prakt'isch unver- andert bleibt, liegt hier eine endo- therme Umwandlung 2. Art vorS2).

Aus dem Verlauf der Gitterdimen- sionen des hexagonalen Selens als Funk- tion der Temperatur, wie sie von STRAUMANIS 53) und SPITZER 54) bestimmt wurden, ist nach KLEMM, SPITZER und NIERMANN~~) zu ersehen, daS mit stei- gender Temperatur die a-Konstante zunimmt, wahrend c kleiner wird (siehe Abb. 6). Interpretiert man die MeSergeb- nisse 53)54) jedoch et,was anders und sieht den bei 90°C bestimmten Wert der c-Konstanten als reel1 (und nicht als MelJfehler) an, dann erhalt man einen

4,350 , , T"YJ 1 -

0 100 200

Abb. 6. Temperaturabhangigkeit der Gitterkonstanten von hexagonalem Selen (nach KLEMM, SPITZER und

NIERMANN54))

diskontinuierlichen Verlauf dieser Gitterdimensionen bei > 100 "C. Ob dieser Punkt, der dem reversiblen Ubergang bei 106 "C entsprechen kann, als Schnittpunkt zweier Kurvenziige aufzufassen ist (siehe ,,gestrichelte" Kurven der Abb. 6) oder ob ein ,,Sprung", wie er z. B. beim Sn von KLEMM und NIERMANN 55) gefunden wurde, vorliegt, kann nicht entschieden werden.

Auf Grund des geringen calorischen Effektes war zu erwarten, daB auch ii ber die Temperaturabhiingigkeit anderer physikalischer GroSen unter- schiedliche Angaben in der Literatur4) vorliegen: z. B. findet HENKELS 56)

bei Messungen der Leitfahigkeiten in Abhangigkeit vom angelegten Feld an Se-Kristallen im Bereich niedriger Feldstarken einen unterschiedlichen Verlauf bei 110 & 20 "C, wahrend andere Autoren5') keine UnregelmaSig-

5l) H. KREBS, Fortschr. Mineralog. 26, 74 (1947); K. W. PLESSNER, Proc. physic. SOC.,

5*! Eine Strukturumwandlung findet also nicht statt. 5 2 j M. STRAUMANIS, Z . Kristallogr., Mineralog., Petrogr. Abt. A 102, 443 (1940). 54) W. KLEMM, H. SPITZER, u. H. NIERMANN, Angew. Chem. 73,985 (1960). 55) W. KLEMM u. H. NIERMANN, Angew. Chem. 75, 508 (1963). 58) H. W. HENKELS, J. appl. Physics 22, 916 (1951); vgl. auch C. RIES, Ann. Physik

5?) 8. S. 272.

Sect. B 64, 671 (1951).

[4] 36,1065 (1911); P. v. SCROTT, Elektrochem. Z. 28, 295 (1907).

19*

Page 17: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

272 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

keiten feststellen konnten. Bestimmungen der magnetischen Suezeptibili- tatens*) und des H ~ ~ ~ - E f f e k t e s ~ ~ ) lieferten keine Bestatigung des bei 106 "C gefundenen Transformationspunktes.

B L E T ~ ~ ) fand einen Unterschied sowohl in der Leitfahigkeit als auch in der Harte von hexagonalem Selen bei 20 "C in Abhangigkeit von der Kristallisationstemperatur (< 130 "C und < 130 "C) und schlieBt aus diesen MeDergebnissen auf die Existenz zweier hexagonaler Selen-Arten. Nach unseren Untersuchungen handelt es sich hierbei um das Vorliegen ver- schieden hoher Kristallisationsgrade, da die Kristallkeimbildung besonders stark bei 2 120 "C einsetzt (vgl. "D)61)) - Der von YAMAMORP) beschriebene reversible Umwand- lungspunkt bei etwa 209 "C konnte wiederum nicht bestatigt werden.

Bei 221 "C schmilzt das hexagonale Selen ; die Volumenanderung betragt 170/054), die Schmelzwarme 1,6 f 0,4 cal/g-At. Beim Schmelzen bilden sich in der ersten Phase eindimensionale Kristalle35), die dann weiter aufbrechen. Nach KREBS 'j3) besteht das flussige Selen aus hochmolekularen Ringen, wahrend EISENBERG und TOBOLSKY 'j4) die Kettenlange beim Schmelzpunkt zu etwa 1300 Se,-Einheiten abschatzen. Beim vorsichtigen Abkiihlen einer Selen-Schmelze tritt starke Unterkiihlung auf (vgl. Abb. 2 und 3), die von MONDAIN-MONVAL 41) bis zu etwa 50 "C experimentell erfaBt werden konnten.

2. Umwandlungen des monoklinen Selens Aus den experimentell bestimmten Warmeinhalten folgt (siehe Abb. 4

und 5), daB die monokline Modifikation (a-Se + p-Se) drei endotherm rever- sible Umwandlungspunkte bei - 120 "C, + 15 "C und 30 "C besitzt; die Um- wandlungswarmen betragen jeweils AH, = 0 & 20 cal/g-At. Wie beim hexa- gonalen Selen handelt es sich hier um Transformationen 2. Art. Eine h d e - rung des strukturellen Aufbaues 46)47) tritt nicht ein, wie durch Rontgen- aufnahmen bei - 160 "C, - 100 "C und + 20 "C gezeigt werden konnte. Der in der Literatur beschriebene Ubergang a-Se --f p-Se konnte calorimetrisch

5 7 ) T. ARAKI, Bull. ehem. SOC. Japan 36, 247 (1963); A. S. BALCHAN u. H. G. DRICK- AMER, J. chem. Physics 34,1948 (1961); F. ECPART, Ann. Physik [6] 17, 84 (1956); K. W. PLESSNER, Proc. physic. SOC., Sect. B 64, 671 (1951); B. M. RIGGLEMAN u. H. G. DRICK- AMER, J. chem. Physics 37, 446 (1962).

5 8 ) M. RISI u. S. YUAN, Helv. physica Acta 33, 1002 (1960); S. TOBISAWA, Bull. chem. SOC. Japan 33, 889 (1960).

59) K. W. PLESSNER, Proc. physic. SOC., Sect. B 64, 671 (1951). 60) G. BLET, J. Physique Radium, Physique appl. Suppl. : J. Physique Radium 23,

81) Zu berucksichtigen sind auIjerdem noch der EinfluB von Verunreinigungen auf die

62) S. YAMAMORI, Nippon Kinzoku Gakkai-Si [J. Japan Inst. Metals] 16, 1, 6 (1952). 6 2 ) H. KREBS, Z. Naturforseh. 12b, 795 (1957); Angew. Chem. 70, 615 (1958). 64) A. EISENBERG u. A. V. TOBOLSPY, J. Polymer Sci. 46, 19 (1960); vgl. auch A. EI-

Nr. 2, 17 A (1961).

Kristallisationszeit (vgl. 31)).

SENBERG, J. Polymer Sci., Part C 1, 33 (1963).

Page 18: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

G. GATTOW u. G. HEINRICH, Urnwandlungen der kristallinen Selen-Modifikat,ionen 273

nicht festgestellt werden (angegebene Umwandlungstemperaturen : 90 "C 65)

und etwa 65 "C66)) ; ebenfalls lieB sich eine Umwandlung von B-Se in zwei flachenzentriert-kubische Modifikationen 65) wiederum nicht bestatigens).

Eine Deutung dieser drei reversiblen Transformationen ist auf Grund des vorliegenden Untersuchungsmaterials sehr schwierig und ungewil3. Die An- nahme, daB es sich hierbei um Ubergange zwischen a-Se oder /?-Se allein oder um a-Se --f P-Se handeln konnte"), ist auszuschliel3en, da bei den Herstel- lungen der monoklinen Modifikationen mit Sicherheit nie das gleiche Ver- haltnis a-Se : p-Se erhalten und die Warmeinhaltsbestimmungen, deren Er- gebnisse reproduzierbar sind, mit verschiedenen monoklinen Selen-Proben durchgefiihrt wurden.

Nimmt man zur Klarung dieser Ubergange die an glasigem und rotem amorphen Selen gewonnenen Versuchsergebnisse7) 14) zu Hilfe, so kann man eine teilweise Deutung ermog- lichens?): Da das monokline Selen nur aus Sea-Ringen b e ~ t e h t ~ ~ ) 4 7 ) , sind vollig andere Schwingungsverhaltnisse als beim hexagonalem Selen und bei den amorphen Modifikationen gegeben. Bei - 120 "C und + 15 "C frieren wahrscheinlich Ringschwingungen ein; bei + 30 "C scheint eine ziemlich starke Ringlockerung stattzufinden, ohne daB jedoch der Verband zerstort wird14). Die Tatsache, daB die Transformation bei - 120 "C bei den amor- phen Modifikationen nicht auftritt, 1LBt sich dahin deuten, daB in den amorphen Selen- Arten zu wenig Se,-Ringe enthalten sind32)68), um den geringen calorischen Effekt noch sichtbar werden zu lassenfi9). - Vorliegende Untersuchungen70) iiber die Locher bzw. Tra- gerbeweglichkeit und den Ladungstransport in monoklinen Selen-Kristallen lassen die Um- wandlungen nicht erkennen.

Bei etwa 110 "C fangt das monokline Selen an, sich irreversibel exotherm in die hexagonale Modifikation umzuwandeln (vgl. Abb. 4); der Ubergang ist bei etwa 130 "C5) beendet, wie durch Rontgenaufnahmen bewiesen wer- den konnte. Die Differenz zwischen Umwandlungsbeginn und Umwand- lungsende 1al3t sich a m einem Vergleich der Kristallstrukturen von p-Se 47)

05) J. MURPHY u. A. E. LOCRENVITZ, Bull. Amer. physic. SOC. 26, 11 (1951); Physic. Rev. [2] 86, 745 (1952).

86) Nach Messungen an diinnen Se-Filmen (800- 100 A) mittels Elektronenbeugung von A. J. ANDRIEVSHII, J. S. NABITOVICH u. P. I. KRIPYAEEVICH, AoKnaEbI AKaneMm HayK CCCP [Ber. Akad. Wiss. UdSSR] 124, 321 (1959); zitiert nach Chem. Abstr. 65, 7977 (1961).

87) Die Moglichkeit, da13 den Urnwandlungen Diskontinuitiiten im Verlauf der Gitter- dimensionen entsprechen, bleibt bestehen.

$8) H. KREBS u. F. SCWLTZE-GEBHARDT, Acta crystallogr. [Copenhagen] 8,412 (1955); H. KREBS u. R. STEFFEN, Z . anorg. allg. Chem. 327,224 (1964). Vgl. auch H. GRIMMINQER, H. GRUNER u. H. RICHTER, Naturwissenschaften 42, 256 (1955); H. RICHTER u. F. HERNE, Naturwissenschaften 44, 31 (1957) ; dort auch weitere Literaturhinweise.

69) Zur Deutung der drei reversiblen Ubergange sollen Infrarotaufnahmen bei tiefen Temperaturen durchgefiihrt werden.

70) W. E. SPEAR, Proc. physic. SOC. 76, 826 (1960); Physics Chem. Solids 21, 110 (1361).

Page 19: Thermochemie des Selens. II. Die Umwandlungen der kristallinen Selen-Modifikationen

2'74 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 331. 1964

und metallischem Selen (vgl. 71)) i n t e r ~ r e t i e r e n ~ ~ ) : Einkristalle von @-Se wandeln sich in ein Aggregat von Kristallen des hexagonalen Selens urn, wobei die neuen Kristallite gegeniiber den Achsen des @-Se in zwei verschie- denen Arten orientiert sind und regellos entweder 3,- oder 3,-Schrauben- achsen enthalten.

Der teilweise sogar in modernen Lehrbiichern aufgefiihrte Schmelzpunkt des monoklinen Selens, der auf Messungen von SAUNDERS 73) (1 70-180 "C) bzw. MONDAIK-MONVAL41) (1 44 "C) beruht. konnte nicht bestltigt werden, da bei diesen Temperaturen bereits die hexagonale Modifikation vorliegt.

Uber das thermische Verhalten und die thermodynamischen Eigenschaf- ten der amorphen Sclen-Modifikationen hoffen wir in Kiirze berichten zu konnen 14).

Herrn Prof. Dr. 0. GLEMSER danken wir fur die liebenswurdige Bereitstellung von In- stitutsmitteln. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie dem Fonds der Chemischen Industrie gilt unser Dank fur die uns zur Verfugung gestellten apparativen Hilfsmittel und fur die groBzugige Unterstiitzung unserer Arbeit.

71) Vgl. z. B. J. D. BERNAL, Trans. Faraday Soc. 26, 375 (1929); M. J. BUERGER u. R. D. BUTLER, Amer. Mineralogist 28, 471 (1938); J. A. PRINS u. W. DEKEYSER, Physica [2] 4, 900 (1937); K. TANAKA, Mem. Coll. Sci., Kyoto, Imp. Univ., Ser. A 17, 59 (1934); A. R. EZIPPEL, J. chem. Physics 16, 372 (1948).

72) A. E. COWAN u. A. E. LOCKENVITZ, Physic. Rev. [21 94, 809 (1954); siehe auchob). 73) A. P. SAUNDERS, J. physic. Chem. 4, 423 (1900).

Go t t ingen , Anorganisch-chemieches Institut der Universitat.

Bei der Redaktion eingegangen am 29. November 1963.