24

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1

Page 2: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 2

Page 3: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

SABINE THIESLER

DieTotengräberin

Roman

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 3

Page 4: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete

FSC-zertifizierte Papier EOSliefert Salzer St. Pölten.

Copyright © 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München,und Sabine Thiesler

in der Verlagsgruppe Random House GmbHHerstellung: Helga Schörnig

Gesetzt aus der ACaslon bei Leingärtner, NabburgDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in GermanyISBN 978-3-453-43275-8

www.heyne.de

SGS-COC-1940

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 4

Page 5: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Für Nani und Egon. Baci

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 5

Page 6: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 6

Page 7: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Voll Furcht ist allezeit die Frau,sie scheut den Kampf und bebt, wenn sie ein Schwert erblickt;Doch wenn man sie gekränkt in ihrer Liebe Recht,ist in der Gier nach Blut kein Herz dem ihren gleich.

euripides, »medea«

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 7

Page 8: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 8

Page 9: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

erster teil

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 9

Page 10: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 10

Page 11: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

1

Sie hatte die ganze Nacht geweint. Um zehn nach drei sahsie das letzte Mal auf die Uhr, und unmittelbar danachschlief sie vollkommen erschöpft ein. Gegen halb sechs warsie wieder wach. Ihr Kopf dröhnte, und sie spürte, dass ih-re Augen zugeschwollen waren. Sie rollte sich von derBauchlage auf den Rücken und versuchte, sich zu entspan-nen. Aber ihre Ängste verschlimmerten sich. Sie hatte kei-nen Strohhalm mehr, an dem sie sich festhalten konnte.

Johannes hatte von alldem nichts mitbekommen. SeinAtem ging gleichmäßig, er schlief tief und fest. Sie über-legte, wie es sein würde, wenn er nicht mehr da wäre, wennsie seinen Atem nie wieder hören würde, und bei diesemGedanken verspürte sie Panik. Sie konnte ohne ihn nichtleben, aber sie konnte auch mit ihm nicht mehr leben.

Um halb sieben ging die Sonne auf und warf einen röt-lich goldenen Lichtstreifen auf den antiken Brotschrankdem Bett gegenüber, in dem Magda ihre Bettwäsche auf-bewahrte. Johannes schnaufte leise und drehte sich auf dieSeite. Gestern Abend waren ihr seine Bartstoppeln garnicht aufgefallen, er hatte sich seit mindestens drei Tagennicht rasiert. Sie hasste das. Wenn sie ihm über die Wangestrich, sollte seine Haut weich sein. Ohne jede Unebenheit,ohne jeden Makel.

11

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 11

Page 12: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel überund ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durchdie vierzig bis achtzig Zentimeter dicken Mauern morgensim Haus regelrecht kühl. Vor zehn Jahren hatten sie dasehemalige Landgut La Roccia, das stark renovierungsbe-dürftig war, gekauft. Es hatte einen hufeisenförmigenGrundriss, war für Magdas Geschmack viel zu groß undnoch dazu in einem erbärmlichen Zustand. Das Dachdrohte einzustürzen, von den Innenwänden fiel der Putz,und der Fußboden hing beängstigend durch. Das Grund-stück war verwildert und mit Brombeeren, Heckenrosen,Weißdorn und Erika zugewuchert.

Zum Verzweifeln, fand Magda. Aber Johannes war vondem Panorama-Rundblick fasziniert. Nach Norden sahman von Montevarchi bis hin zum Prato Magno, dem Ge-birge, das das Arnotal vom Casentino trennt. Nach Wes-ten blickte man auf ein kleines Bergdorf, nach Osten auf einen kahlen Hügel mit einem einzelnen Haus, und nachSüden auf den dichten Wald und den Weg, der nach So-lata führte. Johannes hatte sich sofort in diesen Platz ver-liebt und war in jeder freien Minute nach Italien gefah-ren, hatte Handwerker und Freunde mobilisiert, sich selbstmit unermüdlicher Energie in die Arbeit gestürzt und dasLandgut allmählich im Lauf der Jahre in ein Schmuckstückverwandelt.

Er hatte fünf Zimmer, zwei Bäder und die Küche ausge-baut, aber im westlichen Seitentrakt die teilweise einge-stürzte Mauer im alten Zustand gelassen und die eingebro-chenen Stellen durch Glas ersetzt. Eine ungewöhnlicheKonstruktion, die dem Haus einen eigenwilligen Charaktergab und jede Menge Licht in Johannes’ Arbeitszimmerbrachte. Der Innenhof war mit alten Straßensteinen ge-

12

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 12

Page 13: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

pflastert, und eine metallene Lampe pendelte über demschweren Holztisch. Magda hatte zahlreiche unterschied-lich große Terrakottatöpfe aufgestellt, in denen Hortensien,Hängegeranien, Rosmarin, Basilikum und Salbei regelrechtwucherten. Der Innenhof war archaisch und gemütlich zu-gleich, und sie liebte es, die Sommernächte hier zu verbrin-gen, windgeschützt durch die Mauern des Hauses, die nochStunden die Wärme des Tages abstrahlten.

Allerdings hatte sie immer das ungute Gefühl, nie wirk-lich unbeobachtet zu sein. Denn vom Weg aus, der nachSolata führte, konnte man an einigen Stellen den Innen-hof gut einsehen. Das war der Punkt, der sie an dem Hausstörte.

Magda verließ leise das Schlafzimmer und ging in dasgegenüberliegende Bad. Ihre vom Weinen dick verschwol-lenen Augen sahen fürchterlich aus, die Wimpern warenhinter den dicken Lidern fast völlig verschwunden.

Sie beschloss, dies zu ignorieren, und putzte sich die Zäh- ne. Als sie unter der Dusche stand und das warme Wasserauf ihrem Körper spürte, kreiste wie schon seit Wochen nurder eine Gedanke in ihrem Kopf: Er hat alles kaputt ge-macht.

Sie zog sich eine leichte Sommerhose und ein T-Shirtan und ging in die Küche. In einer Viertelstunde würde sichder Radiowecker im Schlafzimmer einschalten. Johannesstand dann meist sofort auf. Er wollte nichts vom Tag ver-lieren. Jeden Morgen hatte er den Kopf voller Pläne, was erin Haus und Garten reparieren oder verändern konnte, undverzweifelte fast daran, dass sein Urlaub nie reichte, um alldas zu erledigen, was er sich vorgenommen hatte.

Genug Zeit, denn es würde noch mindestens eine halbeStunde dauern, bis er zum Frühstück herunterkam.

13

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 13

Page 14: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Sie öffnete die Terrassentür und trat hinaus. Die Luftwar klar und trocken, es würde wieder ein heißer Tag wer-den. Magda streckte sich und atmete tief durch. Es warvollkommen still, die Schotterstraße nach Solata lag ver-lassen da. Kein Auto fuhr, keine Stimmen waren zu hören.Noch nicht einmal eine Katze schlich durchs hohe Grasoder rekelte sich auf den durch die frühe Morgensonneschon aufgewärmten Steinen.

Einige Minuten stand sie beinah reglos. Ein leichterWind wehte durch den Hof, der jetzt noch im Schatten lag.In ihrem dünnen T-Shirt fröstelte sie, aber sie war dennochganz ruhig und spürte, dass ihr Herz langsam und gleich-mäßig schlug. Keine Spur von Nervosität mehr. Dann wares also richtig. Es gab keinen Zweifel, Überlegungen warennicht mehr notwendig. Sie hatte sich entschieden.

Sie ging zurück in die Küche und setzte Teewasser auf.Seit Johannes an permanent erhöhtem Blutdruck litt, hat-ten sie sich beide angewöhnt, morgens keinen Kaffee mehrzu trinken. Es war ihnen außerordentlich schwergefallen.Jetzt stand die Espressomaschine schon seit zwei Jahrenunbenutzt auf einer kleinen Kommode unter dem Fenster,und Magda glaubte nicht, dass sie überhaupt noch funk-tionierte.

Johannes hatte Kaffee immer mit sehr viel heißer Milchgetrunken, geschäumt oder nicht geschäumt, das war ihmegal. Er trank Milchkaffee in Berlin, Caffè Latte in Italienund Café au Lait in Frankreich. Seit er das alles nicht mehrdurfte, fehlte ihm die Kalziumbombe mehr als der Kaffee.Manchmal kam er nachmittags in die Küche, verschwitztund kaputt von der Gartenarbeit, nahm die Milchtüte ausdem Kühlschrank und stürzte mindestens einen halben Li-ter in einem Zug hinunter. Außerdem hatte er sich ange-

14

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 14

Page 15: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

wöhnt, zum Frühstück Müsli mit Obst zu essen, das inMilch schwamm.

Magda bemerkte ihr Gesicht, das sich in der gläsernenTür des Geschirrschrankes spiegelte, und strich sich mit derlinken Hand die viel zu langen Ponyfransen aus der Stirn.

Alles, was sie dann tat, war morgendliche Routine undgeschah schon fast automatisch. Sie ging hinaus und wisch-te den schweren Holztisch im Hof mit einem Schwamm-tuch feucht ab. Dann holte sie zwei leuchtend blaue Sets,Besteck, Teller und Tassen, aus dem Kühlschrank die tos-kanische Salami, ein Stück Pecorino und eine Gurke. ImGegensatz zu Johannes startete Magda deftig in den Tag.Wenn sie Müsli oder Obst und Quark aß, wurde ihr spä-testens nach einer Stunde übel.

Das Wasser kochte, und sie goss den Tee auf. In diesemMoment schaltete sich der Radiowecker im Schlafzimmerein. Nur wenn sie ganz still stand, sich nicht bewegte undsehr konzentrierte, konnte sie die Musik sehr leise mehrerahnen als hören. Noch fünf Minuten. Höchstens. Dannwürde Johannes aufstehen.

Sie schnitt das Obst in kleine Würfel. Einen Apfel, einehalbe Banane, eine halbe Orange. Darüber drei EsslöffelMüsli. Die Badezimmertür klappte, und wenig späterrauschte die Spülung. Wahrscheinlich noch zehn Minuten,bis er kam. Mit der Milch musste sie noch warten, dasMüsli sollte nicht aufweichen.

Neben dem Haus war eine kleine Wiese, auf der die un-terschiedlichsten Blumen wuchsen, die Magda alle nichtkannte. Undefinierbare Wildblumen, wahrscheinlich Un-kraut. Johannes mähte die Wiese nur, wenn es gar nichtmehr anders ging und die Gräser schon von allein um-knickten. Er liebte sein »geordnetes Gartenchaos«, wie er es

15

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 15

Page 16: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

nannte, und holte den Rasenmäher erst aus dem Magazin,wenn er der Meinung war, dass es »asozial« aussah.

Magda pflückte einige Blumen, dazu gelb blühendenDill, und stellte den Wiesenblumenstrauß in einer kleinenbauchigen Vase, die sie bei einem Trödler in der Nähe vonArezzo für zwei Euro erstanden hatte, auf den Tisch.

Jetzt war es Zeit für die Milch. Gleich würde Johannesda sein.

Das Gift hatte sie in ihrer Hosentasche. Sie wusste, dassdie Tropfen vollkommen geschmacksneutral waren. Er wür-de nichts merken. Jedenfalls nicht in den ersten Minuten.

16

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 16

Page 17: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

2

Als die Musik des Radioweckers einsetzte, brauchte Jo-hannes fünf Sekunden, um sich daran zu erinnern, dass ergerade dabei war, in der Toskana aufzuwachen. Die Mor-gensonne war wärmer als in Deutschland und das Zimmerenger. Die Deckenmattoni und die schmalen dunkelbrau-nen Holzbalken strahlten von der Decke einen erdigen röt-lichen Ton auf das Bettzeug zurück, in der Fensternischehing ein schwarzer Skorpion bewegungslos an der Wand.

Er war zu Hause. War zurückgekommen und wollte al-les hinter sich lassen, was geschehen war, einen Neuanfangwagen. Vier Wochen Urlaub lagen vor ihm, in denen er sichvor allem um Magda kümmern und langsam wieder zu ihrzurückfinden wollte. Zweite Flitterwochen. Daran zwei-felte er keine Sekunde.

Johannes schlug die leichte Bettdecke zurück, schwangdie Beine gestreckt in die Höhe und ließ sie dann langsamabsinken. Fünf Zentimeter über der Matratze hielt er dieBeine gestreckt, bis seine Bauchdecke zitterte. Zwanzig-mal. Es fiel ihm leicht, das regelmäßige Krafttraining imFitnessstudio hatte sich ausgezahlt, er war gut durchtrai-niert und sah jünger aus, als er war.

Carolina hatte sich oft einen Spaß daraus gemacht, aufirgendeinen Muskel seines Körpers zu tippen, den er dann

17

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 17

Page 18: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

anspannen musste, damit sie sah, wie er auf- und abtauch-te oder kontrolliert zuckte. Es faszinierte sie jedes Mal.

Carolina. Er musste aufhören, an sie zu denken. Es warvorbei. Er würde sie nie wiedersehen. Basta.

Johannes stand auf und trat ans offene Fenster. Trotzwolkenlosen Himmels war die Sonne noch milchig hell unddiesig. Es würde ein schöner, heißer Tag werden.

Ein weißer Fiat kroch ungewöhnlich langsam die kur-vige Straße nach Solata hinauf. Gianni wahrscheinlich. Erwar sechsundsiebzig und arbeitete gelegentlich in den Oli-ven. Wenn er sich kräftiger fühlte und der Magenkrebs Ru-he gab.

Ich werde gleich nach dem Frühstück die Wiese mähen,dachte Johannes. Und die Klärgrube eingraben. Er hatte sieim letzten Herbst anschließen lassen, weil die Kommuneneue Richtlinien über die erforderliche Größe von Klär-gruben erlassen hatte. Für Johannes war das eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Baustoffhändler undKlemp ner. Da La Roccia ein großes Anwesen war und reintheoretisch zwölf Personen Platz bieten könnte, hatte manihn aufgefordert, eine größere Klärgrube anzuschaffen. Jo-hannes war wütend und hatte immer wieder versichert, dasssie La Roccia nur zu zweit bewohnten, aber die Kommuneblieb stur. Und schließlich hatte sich Johannes gefügt undeine völlig überdimensionierte Klärgrube kommen lassen.

Johannes wusste, wie sehr Magda es hasste, wenn es ir-gendwo auf dem Grundstück nach »Baustelle« aussah, unddie noch nicht fertig zugeschüttete Klärgrube sah äußersthässlich aus. Darum würde er sich schnellstens kümmern,dann könnte Magda die Stelle begrünen oder auf die dreiDeckel der einzelnen Kammern Terrakottatöpfe mit Ge-ranien oder Hibiskus stellen, Magdas Lieblingspflanzen.

18

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 18

Page 19: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Und dann musste er unbedingt die Rosen neben der Kü-che hochbinden. Der gewaltige Busch saß voller Blüten undkonnte die Last nicht mehr tragen. Eine Arbeit, die Magdanicht gern tat. Sie zerkratzte sich die Arme und fürchtetesich vor Schlangen, die sich häufig in die Rosen zurück -zogen.

Alles Menschenmögliche würde er für sie tun, sie aufHänden tragen, ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen.

Und Magda würde ihm verzeihen. Davon war er über-zeugt.

19

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 19

Page 20: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

3

Allmählich wurde Magda nervös und sah bereits zum vier-ten Mal auf die Uhr. Johannes ließ sich heute Morgen un-gewöhnlich viel Zeit mit seiner Morgentoilette. Wahr-scheinlich rasierte er sich gründlich. Sie musste lächeln undfreute sich auf seine makellos glatten und weichen Wan-gen, wenn sie ihn zum letzten Mal küssen würde.

Als sie ihren Blick über den Frühstückstisch wandernließ, um zu überprüfen, ob sie vielleicht doch noch irgend-etwas vergessen hatte, durchfuhr es sie plötzlich eiskalt. Siehatte einen gravierenden Fehler gemacht. Wie jeden Mor-gen im Sommer, wenn es nicht regnete, hatte sie im Hofgedeckt, aber für ihr Vorhaben war das denkbar ungünstig.Johannes würde dort zusammenbrechen, und sie müsste ihnins Haus schleifen. Das waren weitere sieben unnötige Me-ter. Vom Weg hatte man an manchen Stellen Einblick inden Hof. Es kam zwar nur selten vor, dass im Sommer einOlivenbauer oder im Winter ein Jäger dort entlangfuhr,aber trotzdem. Durch ihre Unüberlegtheit setzte sie sicheinem Risiko aus, das leicht zu vermeiden gewesen wäre.

Sie rannte in die Küche, horchte kurz, hörte ihn abernoch nicht die Treppe herunterkommen, nahm ein Tablett,rannte zurück nach draußen, raffte Sets und Bestecke zu-sammen, stellte Teller, Tassen, Wurst, Käse, Obst, Milch,

20

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 20

Page 21: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Butter, Salz und all die anderen Kleinigkeiten, die immerauf ihrem Frühstückstisch standen, zusammen und schlepp- te das überladene Tablett zurück in die Küche. Die Zeitwurde langsam knapp, denn sie musste das Betäubungs-mittel auf alle Fälle in die Milch träufeln, bevor Johannes inder Küche auftauchte.

Auf dem großen Holztisch der Terrassentür gegenüberdeckte sie den Tisch erneut und benötigte dazu nur weni-ge Sekunden.

Dann öffnete sie die Tür zu einer kleinen Diele, von deraus eine Treppe hinauf in den ersten Stock und zum Schlaf-zimmer führte.

»Johannes«, rief sie, »Frühstück ist fertig! Kommst du?«»Gleich«, antwortete er. »Fünf Minuten noch.«Fünf Minuten konnten bei Johannes auch zehn Minu-

ten bedeuten. Was machte er nur so lange? Sie wollte dieAnspannung jetzt loswerden, wollte es endlich hinter sichbringen.

Unschlüssig lehnte sie an der Terrassentür und betrachteteihren Kochbereich, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Sieliebte diese Küche, obwohl sie alles andere als praktisch war.Sie mochte sie viel mehr als ihre elegante, moderne undzweckmäßige Küche in Berlin, in der einem die Schubla-den nach bloßem Antippen entgegenglitten, die Vorräte inSchiebeschränken auf Augenhöhe untergebracht waren unddie Ecken unter der Arbeitsplatte durch ein cleveres Systemmithilfe von Drehschränken perfekt genutzt werden konn-ten. Die chromglänzenden Armaturen waren leichtgängigund makellos, und die Halogenstrahler waren so ange-bracht, dass sie die Küche perfekt, aber nicht zu grell aus-leuchteten.

21

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 21

Page 22: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

Und hier war die Arbeitsplatte aus schwerem, dunklenKastanienholz und faulte dort, wo sie die nassen Töpfe ab-stellte. Alte raue Mattoni an der Wand wurden von Jahr zu Jahr dunkler. Die gemauerte Abzugshaube, eingefasstmit alten, wurmstichigen Balken, gab dem Raum eine hei-melige, gemütliche Atmosphäre, über dem Herd hingenschmiedeeiserne Pfannen. Man glaubte, sich in einer wirk-lich alten, typisch toskanischen Küche zu befinden, und miteinem warmen Licht über dem Tisch und ein paar Kerzenim Fenster fühlte man sich sofort zu Hause.

Magda spürte in diesem Moment, dass sie sich bishernoch nirgends so wohlgefühlt hatte wie in dieser Küche.

Neben dem Herd lag noch das Messer, mit dem sie dieSalami abgepellt hatte. Sie öffnete die Spülmaschine, umes in den Besteckkasten zu stecken, und merkte erst in die-sem Moment, dass in der Maschine noch sauberes Geschirrwar. Sie begann sie auszuräumen, lief mindestens zehnmalvon der Maschine zum großen Küchenschrank, in dem sieTeller, Schüsseln und Kaffeebecher stapelte und die Beste-cke in einer Schublade einsortierte.

Als sie damit fertig war, sah sie auf die Uhr. Sechs Mi-nuten waren vergangen. Gleich würde Johannes da sein.

Sie zog das Fläschchen aus der Hosentasche, schraubtees auf und ließ zwanzig Tropfen in die Milch fallen.

Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück.

22

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 22

Page 23: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

4

Johannes war sich ganz sicher, die kleine Schachtel mitden Ohrringen in die Seitentasche des Koffers gesteckt zu haben, und jetzt war sie wie vom Erdboden ver-schwunden.

Was Geschenke betraf, hatte er noch nie viel Fantasieentwickelt, er schenkte Magda entweder Blumen oderSchmuck, je nachdem, ob der Anlass größer oder kleinerwar. Am Samstag war er in Friedenau in einer unschein-baren Seitenstraße an einem Juweliergeschäft vorbeige-kommen und eigentlich nur stehen geblieben, weil es ihnwunderte, dass man in dieser abgelegenen kleinen Straßeüberhaupt etwas verkaufen konnte. Aber das Schaufensterwar äußerst geschmackvoll dekoriert, und ein paar Ohr-ringe fielen ihm sofort ins Auge. Weißgoldene Kreolen mit einem winzigen Brillanten. Sie strahlten eine herbe, küh-le Schönheit aus, die ihn faszinierte.

Nie wäre er auf die Idee gekommen, Carolina Schmuckzu schenken – ihr Geschmack war einfach zu ausgefallen.Aber bei Magda war das anders. Er hatte oft den Eindruck,ihr gefiel, was ihm gefiel. Sie war so leicht zu beeinflussenund freute sich wie ein Kind, wenn er etwas schön fand. BeiMagda lag man immer richtig, sie war so wunderbar un-kompliziert.

23

Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 23

Page 24: Thiesler,DieTotengraeberin 22.07.2008 17:20 Uhr Seite 1 · Magda stand leise auf, zog sich ihren Bademantel über und ihre Hausschuhe an. Obwohl es Juli war, war es durch die vierzig

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Sabine Thiesler

Die TotengräberinRoman

ORIGINALAUSGABE

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 512 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-453-43275-8

Heyne

Erscheinungstermin: Januar 2009

»Mein Liebster, schlaf gut. Schlaf für immer.«WO ENDET DIE LIEBE, WO BEGINNT DER WAHN? Wenn einer den anderen betrügt, ist das Leben zu Ende. Das hat sie schon als Kind gelernt.Und deshalb steht ihr Entschluss fest: Sie kann ohne ihn nicht leben, aber sie kann vor allem mitihm nicht mehr leben.Es ist ein warmer Sommermorgen in der Toskana. Heute soll er sterben. Sie hat allesvorbereitet, er wird nichts spüren. Jedenfalls nicht in den ersten Minuten. Magda und Johannes haben sich mit ihrem Haus in der Toskana einen Traum erfüllt. Sieverbringen dort jedes Jahr mehrere Wochen und sind im Dorf bei den Einheimischen gutintegriert. – Doch in diesem Sommer ist alles anders: Magda fährt allein voraus und wartet aufihren Mann, der ein paar Tage später aus Berlin nachkommen will. Sie weiß, dass er die Zeit beiCarolina, seiner Geliebten, verbringt. Magda ist nicht mehr bereit, dies zu ertragen. Johanneshat ihre Liebe zerstört, und jetzt ist die Zeit ihrer Rache gekommen. Sie geht ihren mörderischenPlan immer wieder in allen Einzelheiten durch und empfindet dabei unglaubliche Ruhe und tiefeZufriedenheit. An einem warmen Sommermorgen tötet sie ihren Mann, vergräbt ihn und meldet ihn alsvermisst. Als ihr Schwager Lukas zu Besuch kommt, eskaliert die Situation. Er liebt Magda und erkennterst viel zu spät, in welch tödlicher Gefahr er sich befindet ...