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dtv Fortsetzungsnummer 50 34432 Thomas Paine, Die Rechte des Menschen Bücher, die die Welt veränderten Bearbeitet von Christopher Hitchens, Wieland Grommes 1. Auflage 2007. Taschenbuch. 144 S. Paperback ISBN 978 3 423 34432 6 Format (B x L): 12,4 x 19,1 cm Gewicht: 148 g Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Englische Literatur schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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dtv Fortsetzungsnummer 50 34432

Thomas Paine, Die Rechte des Menschen

Bücher, die die Welt veränderten

Bearbeitet vonChristopher Hitchens, Wieland Grommes

1. Auflage 2007. Taschenbuch. 144 S. PaperbackISBN 978 3 423 34432 6

Format (B x L): 12,4 x 19,1 cmGewicht: 148 g

Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Englische Literatur

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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Thomas Paine (1737–1809) war einerder wirkungsmächtigsten politischenSchriftsteller des 18. Jahrhunderts. Erengagierte sich für die Unabhängigkeitder amerikanischen Kolonien und saßim Nationalkonvent der jungen fran-zösischen Republik. Mit seiner 1791 er-schienenen Streitschrift ›Die Rechte desMenschen‹ kämpfte er für die unver-äußerlichen Rechte des Einzelnen undfür einen demokratisch verfassten Staat.Damit wurde er zum wichtigsten Mitt-ler zwischen der Aufklärung des 18. und

den Freiheitsbestrebungen des 19. Jahrhunderts. ChristopherHitchens stellt Paines Hauptwerk anschaulich vor, erläutert dieZusammenhänge und beschreibt die enorme Wirkung.

Christopher Hitchens ist Journalist und Politikwissenschaftler.Er schreibt regelmäßig für ›Vanity Fair‹ und ist Gastprofessor fürLiberal Studies an der New School in New York.

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Christopher Hitchensüber

Thomas PaineDie Rechte des Menschen

Aus dem Englischen von Wieland Grommes

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Die Reihe »Bücher, die die Welt veränderten«

Karen Armstrong über die Bibel (i.Vorb. für 2008)Simon Blackburn über Platon, Der Staat (dtv 34430)Philipp Bobbitt über Machiavelli, Der Fürst (i.Vorb. für 2008)Janet Browne über Charles Darwin, Die Entstehung der Arten (dtv 34433)Christopher Hitchens über Thomas Paine, Die Rechte des Menschen (dtv 34432)Bruce Lawrence über den Koran (dtv 34431)Alberto Manguel über Homer, Ilias und Odyssee (i.Vorb. für 2008)Peter O’Rourke über Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen (dtv 34459)Hew Strachan über Carl von Clausewitz, Vom Kriege (dtv 34460)Francis Wheen über Karl Marx, Das Kapital (dtv 34458)

Nachdichtungen der Gedichte in diesem Band von Ralf Tauchmann

Deutsche ErstausgabeSeptember 2007Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, Münchenwww.dtv.de© Christopher Hitchens 2006Titel der englischen Originalausgabe:›Thomas Paine’s Rights of Man‹. A BiographyErschienen bei Atlantic Books, an imprint of Grove Atlantic Ltd, London 2006© des Zitats von Bob Dylan. Dwarf Music 1968© der deutschsprachigen Ausgabe:Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, MünchenDas Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagbild: Johann Brandstetter, Winhöring

Satz: Greiner & Reichel, KölnGesetzt aus der Concorde 8,75/11,25˙

Druck und Bindung: Druckerei C.H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany · ISBN 978-3-423-34432-6

Frontispiz: akg-images

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inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Erstes KapitelPaine in Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Zweites Kapitel Paine in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Drittes Kapitel Die Rechte des Menschen – Erster Teil . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Viertes Kapitel Die Rechte des Menschen – Zweiter Teil. . . . . . . . . . . . . . . 103

Fünftes Kapitel Das Zeitalter der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

SchlussbetrachtungPaines Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Bibliografie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

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Dieses Buch ist mit ausdrücklicher GenehmigungJalal Talabani, dem ersten gewählten

Präsidenten der Republik Irak, geschworenen Feind von Faschismus und Theokratie

sowie Führer einer nationalen Revolution und einer Volksarmee gewidmet – in der Hoffnung,

sein langer Kampf möge erfolgreich sein und zur Nachahmung anregen.

Paines wilder rebellischer Ausbruch reklamiert laut sein RechtWilliam WordsworthDescriptive Sketches

As I went out one morningto breathe the air around Tom Paine’sBob DylanAs I went out one morning

All diesen Kämpfern für die Unterdrückten war er ein Beispielan Mut, Menschlichkeit und Aufrichtigkeit. Wo es um öffent-liche Anliegen ging, vergaß er die Vorsicht für seine Person.Die Welt beschloss, wie gewöhnlich in solchen Fällen, ihn fürseinen Mangel an Selbstsucht zu bestrafen. Bis zum heutigenTag ist sein Ruhm nicht so groß, wie er es wäre, hätte er einenweniger edlen Charakter gehabt. Selbst um sich ein Lob fürmangelnde Weltklugheit zu erwerben, ist etwas Weltklugheitvonnöten.Bertrand RussellDas Schicksal Thomas Paines

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einführung

In den Vereinigten Staaten von Amerika wird den Kindern be-reits früh im Leben das Lied ›My country, ’tis of thee‹ bei-

gebracht. Seine Hauptstrophe lautet:

My Country, ’tis of thee Mein Land, von dirSweet land of liberty Süßes Land der FreiheitOf thee I sing Von dir sing’ ichLand where my fathers died Land, wo meine Väter starbenLand of the Pilgrims’ pride Land des PilgerstolzesFrom every mountainside – Von jeder BergeshöhLet freedom ring! Lass Freiheit schallen.

Ein durchschnittlich sentimentales Liedchen, gewiss, aber es er-langte Unsterblichkeit durch den berühmten Dr. Martin LutherKing in seiner unvergänglichen Rede »I have a dream« (Ichhabe einen Traum), die er im Frühjahr 1963 als Höhepunkt desBürgerrechts-»Marsches nach Washington« auf den Stufen desLincoln Memorial hielt. In seinem abschließenden Appell griffer auf die vertrauten Worte aus der Schulstube zurück und for-derte, von jedem Bergesgipfel, im Norden wie im Süden, vonNew Hampshire bis Kalifornien und hinab zum Mississippimöge so lange der Ruf nach Freiheit erschallen, bis das ursprüng-liche Versprechen der Vereinigten Staaten für alle Bürger ein-gelöst sei. »Wenn Amerika eine große Nation werden soll«, sosagte er, »dann muss dies wahr werden.«

Auch für englische Schulkinder dürfte das Lied ›My Country,’tis of thee‹ ziemlich leicht zu singen sein. Zum einen wird esnämlich nach der Melodie des ›National Anthem‹ gesungen.Diese eher fantasielose Hymne – übrigens die erste National-hymne der Welt – scheint ursprünglich als ein chanson der Jako-biten entstanden zu sein, das im September 1745 jedoch für die(protestantische) Bewegung »Church and King« (Kirche undKönig) umgeschrieben wurde, als die jakobitischen Rebellen

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von Schottland aus den britischen Thron bedrohten. Damals er-hob sich das Publikum eines Londoner Theaters und stimmteplötzlich nicht nur die erste, sondern auch die weniger häufig zuhörende zweite Strophe an:

O Lord our God arise, Steh auf, Gott unser Herr,Scatter his enemies Zerstreu der Feinde Heer!And make them fall: Bring sie zu Fall!Confound their politics, Stör ihre Politik,Frustrate their knavish tricks Zerstör ihr Schurkenstück!On him our hopes are fix’d ER bringt uns Hoffensglück!O save us all. Oh schütz uns all!

Das »him« bzw. »ER« bezog sich auf Georg II., den Repräsen-tanten der Usurpation durch das Haus Hannover, das bis zumheutigen Tag den britischen Thron besetzt. In den ersten Jahrendes 19. Jahrhunderts pflegte man mit diesem Lied seinen SohnGeorg III. bei offiziellen Anlässen zu begrüßen. Und zu dieserZeit kursierte noch eine andere Version, diesmal aus der Federdes bedeutenden radikalen Handwerker-Poeten Joseph Mather:

Gott schütze Thomas PaineDenn alle Seel’n verstehenIhr ›Menschenrecht‹.Er lässt die Blinden sehen,Welch Sklavenweg sie gehen;Die Freiheit soll erstehenGut und gerecht!

Die »Kirch und König« jubelnMögen am Galgen trubeln!Heut und hinfortSoll Birmingham sich schämenUnd Manchester sich grämenInfam ist Eu’r Benehmen,Patriotenwort!

Stoßt die Pein’ger vom Throne,Nehmt die Tyrannenkrone,

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Zerschlagt ihr Schwert!Weg mit Aristokraten!Her mit den Demokraten!Vor allen HeucheltatenSchütze uns, Herr!

Was soll DespotendünkelIn jedem kleinsten Winkel?Frei sei der Raum:Gib auf all ihren WegenDer Freiheit Sieg und Segen!Pflanz rings im All und EbenDen Freiheitsbaum.

Wenn Fakten Aufruhr stiften,Und Königshöfe giften,Stellt man ein HeerUnd lässt Bastillen sprießen,Tritt die Unschuld mit Füßen,Lässt unrecht Blut vergießen …Gott wundert’s sehr!

Despoten mögen greinen,Im Höllenpakt sich einen …Ihr Reich versiegt;Vorm Tross mag Satan schlechteUnd bös sein, wie er möchte,Paine und die MenschenrechteDas sei mein Lied.

Diese wundervolle Parodie aus dem Jahre 1791 wird natürlich inkeiner Schule gelehrt und auf keiner Parlamentsversammlunggesungen. Aber mit ihrer provokanten und satirischen Schärfeerfasst sie genau den Geist, der in jenem Jahr durch das Erschei-nen von Thomas Paines Klassiker ›The Rights of Man‹ (›DieRechte des Menschen‹) wachgerufen wurde. Joseph Mather warein radikaler Korsettmacher in der Stadt Sheffield; unklar ist, obdas Lied, das bei einer Abendversammlung der eher gemäßigten»Society for Constitutional Information« (Gesellschaft für Fra-

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gen zur Landesverfassung, kurz: Verfassungs-Gesellschaft) er-klang, die bei ihrem Treffen im März 1791 über ihre Dankadres-se an Paine abstimmte, durch Mather inspiriert wurde oder ob eraus ihm schöpfte. Wie dem auch sei, plötzlich begannen die Mit-glieder der siegreichen Mehrheit zu singen:

God save ›The Rights of Man‹! Gott schütz die Menschenrechte!Let despots, if they can, Wer bös sie stürzen möchte,Them overthrow … Tu’s wenn er kann!

Sehr wahrscheinlich verfasste Mather seine Verse jedoch erstspäter in jenem Jahr, denn sein scheinbar rätselhafter Satz »Bir-mingham blush for shame« (Birmingham soll sich schämen) istleicht genug zu deuten. In Birmingham brach im Herbst 1791ein von den Tories aufgehetzter Mob, berauscht vom »Churchand King!«-Geschrei, in Joseph Priestleys Haus ein, verwüste-te die Bibliothek und das Labor des wissenschaftlichen Auto-didakten, der den Sauerstoff entdeckt hatte. Dieser Vorfall –wiederum eines jener historischen Ereignisse, die nicht in derSchule gelehrt werden – brachte Priestley zu dem Entschluss,nach Amerika auszuwandern, für dessen revolutionäre und repu-blikanische Sache er bereits in einer Streitschrift Partei ergriffenhatte. Dort sollte er bald ein sehr willkommener Gast und ak-tiver Teilnehmer an der berühmten »Philadelphia-Renaissance«werden, zu deren führenden Häuptern Männer wie BenjaminFranklin, Benjamin Rush und Thomas Jefferson zählten. Mandarf nämlich nicht vergessen, dass die englischen Freunde derRevolutionen in Amerika und Frankreich beileibe nicht immernur mit den hohen moralischen Tönen eines Edmund Burke (derdie »Church and King«-Mobokratie guthieß, solange der Mobauf seiner Seite stand), sondern durchaus auch mit Verfolgungund Unterdrückung ziemlich hohen und systematischen Gradesbedacht wurden.

In Mathers Versen lassen sich noch weitere zeitgenössischeAnspielungen finden: So verwendete er das Wort »Patriot« zurBezeichnung der Verfechter der demokratischen und radikalenSache. Dies war auch der Begriff, den John Wilkes’ Partei im eng-lischen Parlament benutzt hatte, und nicht nur sie, sondern auchihre außerparlamentarischen Förderer, die berühmten Anhänger

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der »Wilkes and Liberty«-Bewegung, die gegen eine Krone vondeutschen Gnaden und ein von Tories dominiertes System dersogenannten »rotten boroughs«1 kämpften. (Nur diese Variantedes »Patriotismus« bezeichnete, nebenbei gesagt, der berühmteTory Dr. Samuel Johnson in einer Bemerkung, die seither stetsfalsch verstanden und falsch zitiert wurde, als »den letzten Zu-fluchtsort des Schurken«.)

Auch das Wort »Bastille« hatte man im Jahre 1791 noch leb-haft in Erinnerung als Symbol der absolutistischen MonarchieFrankreichs und Synonym für die vielen finsteren Kerker, in de-nen die Liberalen Europas so lange eingesperrt und gefoltertworden waren. Marquis de Lafayette, der galante Held der Ame-rikanischen wie der Französischen Revolution, übergab ThomasPaine den Schlüssel der Bastille mit der Bitte, ihn dem Präsiden-ten George Washington als Zeichen der Hochachtung der Fran-zosen gegenüber dem amerikanischen Volk zu überreichen.Dieser Bitte war Paine in dem Jahr, bevor er ›The Rights of Man‹veröffentlichte, mit Freuden nachgekommen und hatte noch ei-nen Begleitbrief hinzugefügt, worin er den Schlüssel als die »ers-te vom Despotismus erbeutete Trophäe und die erste reife Fruchtder nach Europa verpflanzten amerikanischen Prinzipien«2

bezeichnete. Dieser Schlüssel hängt bis heute in WashingtonsHaus in Mount Vernon an der Wand. Paines Brief trug das Da-tum des 1. Mai, jenes Tages, der etwa ein Jahrhundert später vonamerikanischen Arbeitern zu dem Tag erkoren wurde, an demder Kampf für den Acht-Stunden-Tag begann, und danach fürdie Gewerkschaftsbewegungen aller Länder zum Datum der»Mai-Kundgebungen«, dem Fest- und Feiertag der Unterdrück-ten, wurde.

Der Frühling und die Welt der Natur waren für Paine als Me-taphern so wohlvertraut, wie sie es seit jeher für all jene sind, dieZeuge werden, wie politische Gletscher schmelzen und die Tun-dra des Despotismus auftaut. »Ich zweifle nicht im Geringstenam schließlichen und vollständigen Erfolg der FranzösischenRevolution.« Und, so fährt Paine in seinem Brief an GeorgeWashington fort: »Kleine Ebben und Fluten, dafür oder dagegen,die natürlichen Gefährten von Revolutionen, treten zuweilenzwar in Erscheinung, aber ihre eigentliche Strömung ist, meinerMeinung nach, so stetig wie der Golfstrom.«3 Die gleiche Meta-

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pher einer von jenseits der Meere kommenden, erwärmendenStrömung findet sich in Paines Widmung in seinem Werk ›DieRechte des Menschen‹:

GEORGE WASHINGTONdem

Präsidenten der Vereinigten Staatenvon Amerika

SIR,Ich übergebe Ihnen eine kurze Abhandlung, die jene Prin-zipien der Freiheit verteidigt, die Ihre vorbildliche Tatkraftso hervorragend verwirklichen half. – Dass die Rechte desMenschen so allgemein werden mögen, wie Ihr Wohlwollenwünschen mag, und dass Sie das Glück haben mögen, die Er-neuerung der Alten durch die Neue Welt zu erleben, ist derWunsch

SIR,Ihres Ihnen sehr verbundenenund ergebenen DienersThomas Paine.4

George Canning, ein Tory, der Premierminister William Pitt un-terstützte, behauptete im Jahr 1826, er habe »die Neue Welt insLeben gerufen, um das Gleichgewicht der Alten wiederher-zustellen«. Und Winston Churchill ermahnte, in einer Zeit derGefahr an das Atlantische Bündnis appellierend, das britischeParlament – wenn auch diesmal Arthur Hugh Clough zitierend:»But westward look, the land is bright« (Nur westwärts blickt,das Land ist prächtig). Die metaphysischen Dichter hatten Ame-rika häufig auf romantische Art mit einer Geliebten (»my Ame-rica, my new found land«) verglichen. Die Pilgerväter waren»to the Americas« gesegelt, um dort die Herrschaft doktrinärerSittenreinheit zu errichten, und Piraten waren mit dem gleichenZiel in See gestochen, wenn auch zu dem Zweck, nach Schätzenund Sklaven zu suchen. Zu Paines Zeiten war die Neue Welt der»Vereinigten Staaten von Amerika« (ein Begriff, den vermutlicher geprägt hatte) jedoch eine real und konkret geschaffene Wirk-

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lichkeit – mit anderen Worten: kein Utopia der Fantasie, son-dern Heimstatt für die Freiheit und erster Schauplatz einer Welt-revolution im Bewusstsein der Menschen.

Den Begriff »Freiheitsbaum« dürften Mathers Handwerks-kollegen und andere autodidaktisch gebildete Arbeiter sehr wohlals Symbol der Aufklärung und der demokratischen Revolutionverstanden haben. Als Bild taucht er in zahllosen Gedichten,Schwüren, Trinksprüchen und Liedern der Zeit sowie bei den»United Irishmen« bis hin zu den Briefen Thomas Jeffersons(der beileibe nicht der Einzige war, der meinte, der Freiheits-baum müsse mit dem Blut der Tyrannen wie dem der Patriotenbewässert werden) immer wieder auf. So lautete die Gruß-parole der radikalen, von Protestanten beherrschten »UnitedIrishmen«:

»Bist du aufrecht?« »Das bin ich.«»Wie aufrecht?«»So aufrecht wie ein Schilfrohr.«»Gut, dann weiter so!«»In Wahrheit und Treue, in Einigkeit und Freiheit.«»Was hältst du in der Hand?«»Ein grünes Reis.«»Wo keimte es zuerst?«»In Amerika.«»Wo spross es auf?«»In Frankreich.«»Wohin gehst du es pflanzen?«»In Großbritanniens Krone.«

Der berühmte schottische Dichter Robert Burns verfasste einGedicht mit dem Titel ›The Tree of Liberty‹ (›Der Freiheits-baum‹), das folgendermaßen beginnt:

Heard ye o’ the tree o’ France,I watna what’s the name o’t;Around it a’ the patriots dance,Weel Europe kens the fame o’t.It stands where once the Bastille stood,

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A prison built by kings, man, When Superstition’s hellish broodKept France in leading-strings, man.

Hörtet Ihr schon von Frankreichs Baum?Welch Namen er wohl tragen mag!Die Patrioten tanzen drumWas wohl Europa sagen mag?Er steht, wo die Bastille einst stand,Ein Zuchthaus eines Königs – Mensch!Seit Frankreich sich vom HöllenbrandDes Aberglaubens reinigt – Mensch!

Daraus ist sicher zu entnehmen, dass Burns – ein großer Anhän-ger der Revolution von 1789 – Thomas Paines ›Rights of Man‹gelesen hat, denn darin wird an einer Stelle die Monarchieals eine Staatsform bezeichnet, die die Gesellschaft infantilisiertund retardiert und zugleich ihren Hang zur Vergreisung ver-stärkt: »Sie erscheint unter all den verschiedenen Gestaltender Kindheit, des gebrechlichen Alters, des Schwachsinns, istbald Säugling, bald am Gängelbande, bald auf Krücken.«5 UndBurns’ berühmtestes Gedicht ›For a’ that‹ – in Ferdinand Freili-graths Übersetzung ›Ob Armut euer Los auch sei …‹ 1848 auchin Deutschland berühmt geworden – ist durchweht von höhni-scher Verachtung für den Eigendünkel aufgrund des Erbrechtsund für das Prinzip der Erblichkeit an sich, das von Paine um-fassend verspottet wird. Die »United Irishmen«, die in jenem dra-matischen Jahr 1791 gegründet wurden, um »Protestanten dermittleren Stände« für die Sache der nationalen und parlamen-tarischen Reform zu gewinnen, machten Paine wiederum zuihrem Ehrenmitglied. Er war einer jener selten zu findendenEngländer jener Zeit, die schreiben konnten:

Der Verdacht, dass England über Irland zu dem Zweck regiert,das Land zu Boden zu drücken und zu verhindern, dass esin Hinblick auf Handel und Manufakturen zum Konkur-renten wird, wird stets die Folge haben, Irland in einem Zu-stand sentimentaler Feindschaft gegen England verharren zulassen.6

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»An zwei Revolutionen teilzuhaben«, meinte Paine später nachseinen ersten Abenteuern in Frankreich begeistert, »das ist einLebenszweck.«7 Dass er hier zu optimistisch war, steht außerFrage, denn beide Revolutionen, die von 1776 wie die von 1789,sollten ihn auf mehrfache Weise desillusionieren. Und doch istsein tatsächlicher Einfluss auf revolutionäre Veränderung in weitmehr als zwei Ländern, darunter auch im Land seiner Geburtund seinen irischen, schottischen und walisischen Teilen, zuspüren.

Der Name Thomas Paine wird für immer unlösbar mit den voll-tönenden Worten »die Rechte des Menschen« verbunden blei-ben. Das Buch, das diesen edlen Titel trägt, war jedoch nicht nurein reiner Lobgesang auf die menschliche Freiheit: Es war zumTeil eine stark zeitgebundene, konkret gegen Edmund Burkes›Reflections on the Revolution in France‹ (›Betrachtungen überdie Französische Revolution‹) gerichtete Polemik, ein höchstungewöhnlicher Beitrag jener heftigen pamphlet wars oder Krie-ge der Streitschriften, die das späte 18. Jahrhundert, jene so be-lebende Epoche in England, Frankreich und Amerika, prägten.Paines Werk war zum Teil auch eine revisionistische Geschich-te Englands, geschrieben aus der Sichtweise jener, die von dernormannischen Eroberung und den ständig folgenden monar-chischen coups d’état und Usurpationen am wenigsten profitierthatten. Und schließlich war es auch ein Manifest, das die Grund-prinzipien der Reform und, falls erforderlich, der Revolutionaufstellte. Es bot auch bestimmte praktische und unmittelbarprogrammatische Vorschläge an, um Leid und Unrecht im Hierund Jetzt zu lindern. Aber es hielt stets den Blick auf einen Punktein Stück weit über den unmittelbar politischen und gesellschaft-lichen Horizont hinaus gerichtet. Und in diesem Sinne ist es einesder ersten »modernen« Texte. John Bunyans ›Pilgrim’s Progess‹mag in zahllosen armen und bedrückten Haushalten den Geistder englischen, sogenannten »glorreichen« Revolution am Le-ben gehalten und die sorgfältige Untersuchung von John StuartMill und anderen mag das Fundament für die spätere viktoria-nische Sozialreform geschaffen haben, aber Thomas Paines Werk›The Rights of Man‹ ist zugleich eine Fanfare der Inspiration undein sorgfältig umrissener Entwurf für eine vernünftigere und

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menschlichere Ordnung der Gesellschaft auf nationaler wie in-ternationaler Ebene.

Es eröffnet sogar eine Art Ein-Mann-Friedensmission, die derIdee freundschaftlicherer Beziehungen zwischen England undFrankreich ergeben ist. Paine war nämlich ein führender Vertre-ter jener radikalen britischen Tradition, die Kriege und Armeenals zusätzliche Belastungen für das Volk und als Stabilisierungs-mittel für Autokratien betrachteten. Gab es für eine herrschen-de Klasse ein besseres Mittel, um Macht zu beanspruchen oderzu behalten, als sich als Verteidiger der Nation aufzuspielen?Und gab es ein besseres Mittel, um ungebildete und unbeschäf-tigte Untertanen in Schach zu halten, als ihnen den »King’sShilling« in die Hand zu drücken und sie unter aristokratischenBefehlshabern in die Uniform zu stecken? (Der alte volkstümli-che Ausdruck »er ist in den Krieg gezogen« oder »er war imKrieg« drückt im Englischen durch das Wort »Krieg« im Plural –dort hieß es »he’s gone to the wars« bzw. »he’s been to thewars« – den vagen Fatalismus ihm gegenüber aus sowie das Ge-fühl, als sei immer irgendwann zu erwarten, dass Johnny ins Feldziehen muss und vielleicht, so Gott ihm gnädig ist, dereinst wie-derkehren wird.) Robert Southeys berühmte Ballade ›After Blen-heim‹8 sowie William Makepeace Thackerays Roman ›BarryLyndon‹ und jener benebelte Alte in der Bierkneipe in GeorgeOrwells Roman ›1984‹ – der trübselig zu Winston Smith meint,»it’s all wars« (alles ist Krieg) – geben all dies auf treffendsteWeise wieder.

Die meisten martialischen und königlichen Schlachten Groß-britanniens oder Englands waren entweder gegen Frankreichoder in Frankreich geführt worden, und Paine eröffnete seinVorwort zu ›Die Rechte des Menschen‹ mit der Schilderung ei-ner Begegnung, die er 1787, zwei Jahre vor dem Sturm auf dieBastille, mit einem »aufgeschlossenen« Franzosen gehabt hatte.Bei diesem, dem Privatsekretär eines bedeutenden Ministers,habe er gefunden,

dass er mit mir völlig übereinstimmte über den Unsinn desKrieges und über die nichtswürdige, unkluge Politik zweierNationen wie England und Frankreich, sich beständig in Strei-tigkeiten zu verwickeln allein mit dem Resultat einer gemein-

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samen Erhöhung der Lasten und Steuern. Um mich zu ver-gewissern, dass weder ich ihn missverstanden noch er mich,brachte ich den Hauptinhalt unserer Auffassungen zu Papierund schickte ihm das Schriftstück zu. Zugleich fragte ich ihn,wenn ich wahrnähme, dass das englische Volk geneigt sei, einbesseres Verständnis zwischen den beiden Nationen zu pfle-gen, als bisher geherrscht habe, inwieweit ich dann versicherndürfe, dass man in Frankreich eine gleiche Gesinnung hege.Er antwortete mir in einem Briefe ganz ohne Zurückhaltung,und zwar nicht nur in seinem, sondern auch im Namen desMinisters, mit dessen Wissen er, wie er erklärte, geschriebenhabe.9

Es dauert eine Weile, bis einem so recht bewusst wird, was füreine unerhörte Unverschämtheit dies zu seiner Zeit gewesensein muss. Man kann förmlich hören, wie empört darauf Wil-liam Pitts Tories murrten: Wer ist dieser bürgerliche Parvenü,der sich erdreistet, seine eigene Diplomatie mit den Franzosenzu führen? Ich wüsste keinen Präzedenzfall dafür zu nennen,aber Paine war es damals längst gewohnt, inoffizielle Missionendiplomatischer Art zugunsten seiner neuen Wahlheimat, derVereinigten Staaten von Amerika, zu unternehmen. Genau die-ser Gedanke dürfte vielen Tories sogar noch tiefere Zornesröteins Gesicht getrieben haben: Dieser Gernegroß Paine agitiertobendrein noch zugunsten rebellischer Kolonisten! Wie sichzeigt, wahrte Paine jedoch mehr Zurückhaltung, als so mancheReaktionäre vielleicht vermuteten. Er hatte seinen diesbezüg-lichen englisch-französischen Briefwechsel an Edmund Burke,einen vertrauenswürdigen Patrioten und Parlamentarier ge-sandt, dessen Verteidigung der amerikanischen Revolution ihmringsum Respekt eingetragen hatte. Und doch war Burke, sowiedie französische »Rebellion« wie eine Explosion in der Welt ein-geschlagen hatte, sofort zum Drucker geeilt und hatte eine derhitzigsten konterrevolutionären Hetztiraden aller Zeiten pub-liziert. Daher muss man sich unbedingt vor Augen halten, dassPaines Schrift ›Die Rechte des Menschen‹ auch eine persönlicheund emotionale Dimension enthält – nämlich die Enttäuschungeines einstigen Bewunderers, was zuweilen fast wie die einesverstoßenen Liebhabers klingen kann.

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Der gesamte ›Erste Teil‹ des Buches ist jedoch ein Versuch, esmöglichst zu vermeiden, das Thema zu personalisieren. Bei sei-nem energischen Eintreten für die Revolution in Frankreich be-harrt Paine darauf, dass Burke derjenige sei, dem die Gefühledurchgegangen seien. Person und Charakter von König LudwigXVI. und Königin Marie Antoinette seien, obwohl sich Burkezu ihren Gunsten in einem solchen Aufwand an Übertreibungund deplazierter Galanterie ergehe, jedoch völlig irrelevant, undBurkes Prosa sei eine törichte Verschwendung von Gefühlen.Das französische Volk rebelliere nicht gegen diese Monarchenpersönlich (»einen milden und rechtmäßigen Monarchen«10 –,wie Burke den damaligen Hausherrn von Versailles in ziemlichüberraschender Weise bezeichnete), sondern gegen das Prinzipder Monarchie insgesamt. Es bestrafe nicht nur die Verbrechendieses einen Machthabers, sondern die Jahrhunderte an Verbre-chen, die von der Dynastie begangen wurden, in deren Namener herrschte. Und daher ließe sich in gewissem Sinn sogar be-haupten, selbst der arme Ludwig sei ein Opfer des Erbfolgeprin-zips. Dies war nicht nur ein rein rhetorischer Schlag von PainesSeite. In Boston, New York und Philadelphia wurden nämlich,und das wusste er genau, in revolutionären Häusern Porträtsvon König Ludwig XVI. als eine hommage an die Unterstützung,die Frankreich der amerikanischen Rebellion zukommen ließ,zur Schau gestellt.

In jenem Kampf war niemand so ruhmreich hervorgetretenwie der schneidige Marquis de Lafayette, dessen Streitkräfte Kö-nig Georgs britische und deutsche Invasoren am Ende zur Kapi-tulation gezwungen hatten. Obwohl der reizvolle Park gegen-über dem Weißen Haus seinen Namen trägt, ist Lafayette heuteein wenig in Vergessenheit geraten. Aber er war tatsächlich andrei Revolutionen, von 1776, von 1789 und von 1848, höchst ak-tiv beteiligt und zu seiner Zeit geradezu ein Sinnbild für Wage-mut und Heldentum gewesen. Spätere Autoren haben ThomasPaine auf plumpe Art und Weise als Internationalisten mit CheGuevara verglichen, aber für Paine selbst gebührte dieses Cha-risma niemand anderem als Lafayette, auch wenn er aus repu-blikanischen Gründen häufig zögerte, dessen Titel eines »Mar-quis« in ausgeschriebener Form im Druck zu verwenden. Undes kam ihm sichtlich höchst gelegen, ein Mitglied des französi-

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schen Adels gegen den nostalgischen Burke ins Feld führen zukönnen:

M. de Lafayette ging in einer frühen Phase des Krieges nachAmerika und diente bis zu seinem Ende als Freiwilliger. SeinVerhalten während dieser ganzen Zeit ist für einen jungenMann von kaum zwanzig Jahren ganz außerordentlich. Ineinem Lande zu Hause, das der Schoß des sinnlichen Vergnü-gens genannt zu werden verdient, und mit den Mitteln aus-gestattet, es zu genießen – wie wenige würden diesen Schau-platz gegen die Wälder und Wildnisse Amerikas eintauschenund die Blüte der Jugend in Gefahr und Ungemach ohne Aus-sicht auf Gewinn verbringen! Doch das ist hier der Fall. NachBeendigung des Krieges, als er im Begriff stand, endgültig Ab-schied zu nehmen, trat er vor den Kongress und brachte ineinem herzlichen Lebewohl seine Gedanken über die Revolu-tion zum Ausdruck, die er miterlebt hatte: ›Möge dieses großeder Freiheit errichtete Denkmal dem Unterdrücker zur Lehreund dem Unterdrückten zum Beispiel dienen!‹ – Als dieseRede in die Hände Doktor Franklins gelangte, der sich da-mals in Frankreich aufhielt, wandte er sich an Graf Vergennes,um sie in die Französische Zeitung einrücken zu lassen, erhieltaber nie seine Einwilligung. Die Sache war die, dass Graf Ver-gennes in seiner Heimat ein aristokratischer Despot war unddas Beispiel der amerikanischen Revolution in Frankreichfürchtete, wie gewisse andere Leute jetzt das Beispiel derFranzösischen Revolution in England fürchten. Herrn BurkesTribut an die Furcht (denn in diesem Lichte muss sein Buchangesehen werden) kommt der Ablehnung Graf Vergennes’gleich.11

Das gesamte »Projekt« der ›Rechte des Menschen‹ war somit inerster Linie ein Versuch, die Ideen der Amerikanischen und derFranzösischen Revolution zu vereinen, und in zweiter Linie einVersuch, diese Ideen in England zu verbreiten. Für Paine warendiese Ziele im Grunde drei Facetten der gleichen Sache. FürBurke waren sie dagegen von Grund auf unvereinbar. Einer derGründe, weshalb jeder Studierende, der ein Gefühl für Geschich-te erwerben will, unbedingt wieder einmal beide Bücher zur

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Hand nehmen sollte, ist der, dass er hier betrachten kann, wieein und dieselbe Folge von Ereignissen von zwei meisterhaftenZeitgenossen diskutiert wird. Burke glaubte, dass es in England,und zwar im Jahr 1688, bereits eine Revolution gegeben unddass diese das Problem für alle Zeiten gelöst hatte. Seiner An-sicht nach hatte die »Glorreiche Revolution« jenes Jahres zwi-schen Monarchie und Volk eine stabile Beziehung geschaffen, inder jeder im Wesentlichen wusste, wo sein Platz war. Jeder wei-tere Eingriff in ihre Mechanik würde sie profanieren. Paine ver-spottete diese Auffassung vom »Ende der Geschichte« und ver-trat den Standpunkt, dass das Recht des Volkes, seine Regierungzu verändern, inhärent und unveräußerlich sei.

Paine schrieb sein Buch zu einem Zeitpunkt hektisch opti-mistischer Stimmung, als man sagen konnte, unmittelbare Fra-gen seien im Wesentlichen relativ und daher auch die speziel-len Verdienste oder Laster Ludwigs XVI. zu vernachlässigen inAnbetracht des historischen Imperativs, dass sich »der Augias-stall von Schmarotzern und Plünderern in einer zu scheußlichen,schmutzigen Verfassung« befinde, »als dass etwas anderes alseine gänzliche und allgemeine Revolution ihn säubern«12 könn-te. Aber dies verkündete er nicht einfach so, als sei jede Revolte,wie blutig auch immer, besser als gar keine, sondern er legte be-sonderen Wert auf den Hinweis, dass Lafayette drei Tage vordem Fall der Bastille die Nationalversammlung gebeten hatte,eine Erklärung der Rechte zu verabschieden. Alles sah danachaus, als ob zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts einLand nicht nur die Monarchie abschaffen, sondern auch die un-veräußerlichen Rechte des Bürgers festschreiben würde. Aberbei den Worten »als ob« muss man stets auf der Hut sein. Imrestlichen ersten Teil der ›Rechte des Menschen‹ lieferte Paineseine eigene Version des chronologischen Verlaufs der Ereignis-se, die den Sturz der Monarchie unausweichlich gemacht hatten.Es ist ein faszinierender und oft aus erster Hand stammenderBericht, und er ist um so ergreifender zu lesen, da er in einerZeit des Optimismus verfasst wurde.

Nachdem er seinen ›Ersten Teil‹ George Washington, einem derkonservativsten Revolutionäre aller Zeiten (und künftige Ziel-scheibe seiner bittersten Kritik) gewidmet hatte, widmet Paineden ›Zweiten Teil‹ – die weniger explizit revolutionäre Hälfte –

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