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Gesang spielte im Nationalsozialismus eine große Rolle. Die Nationalsozialisten waren sich der Verbundenheit stiftenden Kraft des Gesangs in besonderem Maße bewusst. „Es wurde ständig gesungen. Beim Ummarsch im Dorf, im Zeltlager, beim Lagerfeuer, bei Mor- genfeiern.“ 1 So ist es nicht verwunderlich, dass der Musik im Rahmen der historischen Forschung zum Nationalso- zialismus seit einiger Zeit Aufmerksamkeit geschenkt wird, beson- ders deswegen, weil das Diktum einer unpolitischen Musik nicht mehr haltbar war. 2 Umso erstaunlicher ist es allerdings, dass die Ge- sangvereine, und hierbei insbesondere die Männerchöre, die als In- begriff für organisierte Musikausübung in Deutschland zu gelten ha- ben, bislang in der Forschung nur wenig Aufmerksamkeit erhalten haben. 3 Der Deutsche Sängerbund (DSB) und sein Nachfolgever- band, der Deutsche Chorverband, gehören auch noch in der Gegen- wart zu den größten Verbänden der Bundesrepublik; die Mitglieder- zahl bewegt sich bei momentan 1,8 Millionen Mitgliedern in etwa 26 000 Chören. 4 In diesem Aufsatz wird die Geschichte des Sängerbundes Schleswig-Holstein (SSH), einer regionalen Unterorganisation des DSB, im Nationalsozialismus untersucht. 5 Im Mittelpunkt steht hier- bei die Phase der Eingliederung der Männergesangvereine in den nationalsozialistischen Staat in der ersten Hälfte der 30er Jahre, fer- ner werden die Rolle des Gesangverbandes im Krieg und die Nach- geschichte behandelt. Eine Begründung für die Schwerpunktsetzung ergibt sich aus der Quellenlage. So stehen für die unmittelbare Zeit nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die meisten Quel- len zur Verfügung. Für diese Zeit ist es möglich, neben den offiziel- len Publikationen des Verbandes und dem Verbandsarchiv auch Quellen aus staatlichen Archiven heranzuziehen, da durch einen Quellenbestand im Stadtarchiv Flensburg insbesondere die Phase der Gleichschaltung des Verbandes unter anderem in einer Korre- spondenz zwischen dem Vorsitzenden Wilhelm Klüßmann und dem Kreisvorsitzenden und späteren Kreisführer Franz Peters dokumen- tiert ist. 6 Neben der guten Quellenlage gibt es jedoch noch einen weiteren Grund für eine eingehende Analyse des Vorgangs der Gleichschaltung beziehungsweise Selbstgleichschaltung der Männergesangvereine: In der Phase der Etablierung der nationalso- zialistischen Herrschaft, die im Fall des hier zu untersuchenden Ver- bandes bis ins Jahr 1934 dauerte, lassen sich Kontinuitäten und Brüche leichter feststellen und dokumentieren als in den durchgän- gig an nationalsozialistische Sprachkonventionen angepassten Quel- len aus den späten 30er Jahren oder aus der Zeit des Zweiten Welt- kriegs. Dennoch sollen auch diese – mit einem Schwerpunkt auf den Massenveranstaltungen im Gau V Nordmark – untersucht werden. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die Verbands- geschichte. Auch wenn im Zusammenspiel mit dem Dachverband gelegentlich die einzelnen Gesangvereine thematisiert werden, liegt 1 Die Journalistin Carola Stern in einem Interview, zitiert nach Niedhart, Gottfried: Sangeslust und Singediktatur im national- sozialistischen Deutschland. In: Niedhart, Gottfried/Broderick, George (Hg.): Lieder in Politik und Alltag des Nationalsozialis- mus. Berlin, Frankfurt am Main 1999, S. 5-16, hier S. 5 2 Gemeint sind hier zum Beispiel die vie- len von Prieberg dokumentierten Versuche von Musikern, ihre Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 unpolitisch umzudeuten, nicht jedoch die grundsätzlich unpolitische Qualität von Tonfolgen. Vgl. Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat. Frankfurt am Main 1982, S. 9-33. 3 Vgl. Klenke, Dietmar: Der Gesangverein. In: François, Etienne/Schulze, Hagen: Deutsche Erinnerungsorte III. München 2001, S. 392-407, hier 392. 4 Vgl. die Internetpräsenz des Deutschen Chorverbandes unter http://www.deut- scher-chorverband.de, aufgerufen am 13.05.2013. 5 Dieser Aufsatz basiert auf dem Vortrag: „Mit der Gewalt der Töne ein unsichtbares Band um die Volksgemeinschaft...“ Der Sängerbund Schleswig-Holstein im Natio- nalsozialismus, gehalten am 09.11.2012 im kleinen Saal des Kieler Schlosses von Prof. Dr. Uwe Danker und mir. 6 Es ist hinzuzufügen, dass für die Tätig- keit des Verbandsvorstandes zwischen 1933 und 1941 nur die sehr kurzen und als Quellen wenig aufschlussreichen Tätig- keitsberichte vorliegen. Über die Protokol- le von Vorstandssitzungen verfügen wir erst ab dem Jahr 1941, als durch den Krieg die Verbandstätigkeit schon stark eingeschränkt war. Thorsten Harbeke: Der Sängerbund Schleswig-Hol- stein im National- sozialismus Thorsten Harbeke Der Sängerbund Schleswig-Holstein im Nationalsozialismus 63

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Gesang spielte im Nationalsozialismus einegroße Rolle. Die Nationalsozialisten warensich der Verbundenheit stiftenden Kraft desGesangs in besonderem Maße bewusst. „Eswurde ständig gesungen. Beim Ummarsch imDorf, im Zeltlager, beim Lagerfeuer, bei Mor-genfeiern.“1 So ist es nicht verwunderlich, dass

der Musik im Rahmen der historischen Forschung zum Nationalso-zialismus seit einiger Zeit Aufmerksamkeit geschenkt wird, beson-ders deswegen, weil das Diktum einer unpolitischen Musik nichtmehr haltbar war.2 Umso erstaunlicher ist es allerdings, dass die Ge-sangvereine, und hierbei insbesondere die Männerchöre, die als In-begriff für organisierte Musikausübung in Deutschland zu gelten ha-ben, bislang in der Forschung nur wenig Aufmerksamkeit erhaltenhaben.3 Der Deutsche Sängerbund (DSB) und sein Nachfolgever-band, der Deutsche Chorverband, gehören auch noch in der Gegen-wart zu den größten Verbänden der Bundesrepublik; die Mitglieder-zahl bewegt sich bei momentan 1,8 Millionen Mitgliedern in etwa26 000 Chören.4

In diesem Aufsatz wird die Geschichte des SängerbundesSchleswig-Holstein (SSH), einer regionalen Unterorganisation desDSB, im Nationalsozialismus untersucht.5 Im Mittelpunkt steht hier-bei die Phase der Eingliederung der Männergesangvereine in dennationalsozialistischen Staat in der ersten Hälfte der 30er Jahre, fer-ner werden die Rolle des Gesangverbandes im Krieg und die Nach-geschichte behandelt. Eine Begründung für die Schwerpunktsetzungergibt sich aus der Quellenlage. So stehen für die unmittelbare Zeitnach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die meisten Quel-len zur Verfügung. Für diese Zeit ist es möglich, neben den offiziel-len Publikationen des Verbandes und dem Verbandsarchiv auchQuellen aus staatlichen Archiven heranzuziehen, da durch einenQuellenbestand im Stadtarchiv Flensburg insbesondere die Phaseder Gleichschaltung des Verbandes unter anderem in einer Korre-spondenz zwischen dem Vorsitzenden Wilhelm Klüßmann und demKreisvorsitzenden und späteren Kreisführer Franz Peters dokumen-tiert ist.6 Neben der guten Quellenlage gibt es jedoch noch einenweiteren Grund für eine eingehende Analyse des Vorgangs derGleichschaltung beziehungsweise Selbstgleichschaltung derMännergesangvereine: In der Phase der Etablierung der nationalso-zialistischen Herrschaft, die im Fall des hier zu untersuchenden Ver-bandes bis ins Jahr 1934 dauerte, lassen sich Kontinuitäten undBrüche leichter feststellen und dokumentieren als in den durchgän-gig an nationalsozialistische Sprachkonventionen angepassten Quel-len aus den späten 30er Jahren oder aus der Zeit des Zweiten Welt-kriegs. Dennoch sollen auch diese – mit einem Schwerpunkt auf denMassenveranstaltungen im Gau V Nordmark – untersucht werden.

Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die Verbands-geschichte. Auch wenn im Zusammenspiel mit dem Dachverbandgelegentlich die einzelnen Gesangvereine thematisiert werden, liegt

1 Die Journalistin Carola Stern in einemInterview, zitiert nach Niedhart, Gottfried:Sangeslust und Singediktatur im national-sozialistischen Deutschland. In: Niedhart,Gottfried/Broderick, George (Hg.): Liederin Politik und Alltag des Nationalsozialis-mus. Berlin, Frankfurt am Main 1999,S. 5-16, hier S. 52 Gemeint sind hier zum Beispiel die vie-len von Prieberg dokumentierten Versuchevon Musikern, ihre Tätigkeit zwischen1933 und 1945 unpolitisch umzudeuten,nicht jedoch die grundsätzlich unpolitischeQualität von Tonfolgen. Vgl. Prieberg, FredK.: Musik im NS-Staat. Frankfurt am Main1982, S. 9-33.3 Vgl. Klenke, Dietmar: Der Gesangverein.In: François, Etienne/Schulze, Hagen:Deutsche Erinnerungsorte III. München2001, S. 392-407, hier 392.4 Vgl. die Internetpräsenz des DeutschenChorverbandes unter http://www.deut-scher-chorverband.de, aufgerufen am13.05.2013.5 Dieser Aufsatz basiert auf dem Vortrag:„Mit der Gewalt der Töne ein unsichtbaresBand um die Volksgemeinschaft...“ DerSängerbund Schleswig-Holstein im Natio-nalsozialismus, gehalten am 09.11.2012im kleinen Saal des Kieler Schlosses vonProf. Dr. Uwe Danker und mir.6 Es ist hinzuzufügen, dass für die Tätig-keit des Verbandsvorstandes zwischen1933 und 1941 nur die sehr kurzen undals Quellen wenig aufschlussreichen Tätig-keitsberichte vorliegen. Über die Protokol-le von Vorstandssitzungen verfügen wirerst ab dem Jahr 1941, als durch denKrieg die Verbandstätigkeit schon starkeingeschränkt war.

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der Fokus doch ganz klar auf einer Darstellung der Integration desregionalen Gesangverbandes in den NS-Staat. Wie verhielt sichder national-konservative Verband angesichts der Anforderungen,denen er durch die Gleichschaltung und später durch die NS-Kul-turpolitik ausgesetzt war? Welche strukturellen Voraussetzungendes bürgerlichen Männerchorwesens begünstigten die Eingliede-rung in den nationalsozialistischen Staat und welche standen einersolchen reibungslosen Eingliederung entgegen? Zur Geschichtedes Deutschen Sängerbundes im Nationalsozialismus fehlt bis-lang noch eine eigenständige wissenschaftliche Untersuchung.Der vorliegende Aufsatz stellt somit einen ersten Versuch dar, diemittlere Ebene zwischen dem großen Dachverband und dem örtli-chen Gesangverein in den Blick zu nehmen und hierbei die beson-deren Aspekte der Organisationsgeschichte darzustellen.

Zunächst ist festzustellen, dass allein die große Anzahl anMännern7, die in Zeiten der späten Weimarer Republik dem orga-nisierten Gesang in einem Gesangverein nachgingen, schon einenähere Betrachtung des Chorvereinswesens aus historischer Per-spektive rechtfertigt. Allein in Schleswig-Holstein waren in 283Gesangvereinen im Jahr 1929 insgesamt 8786 aktive Sänger imSängerbund Nordmark organisiert.8

Der Schleswig-Holsteinische Sängerbund (gegründet 1862)hatte im Jahr 1928 mit anderen norddeutschen Gesangverbändenzum Sängerbund Nordmark fusioniert, um einen starken nord-deutschen Dachverband zu schaffen. Dieser Sängerbund (ab 1934umbenannt in Gau V Nordmark e.V.) umfasste die Verbände ausHamburg, Lübeck und zwei Verbände aus Mecklenburg-Vorpom-mern. Insgesamt bestand der Verband in seinem Gründungsjahraus etwa 500 Vereinen mit insgesamt 40 000 Mitgliedern (davonrund 15 000 aktive Sänger), eine Zahl, die in späteren Jahren vordem eingangs angesprochenen Hintergrund der gestiegenen Be-deutung des Gesangs im Nationalsozialismus noch wachsen soll-te.9 Es entstand mit dieser Fusion einer der größten Sängerverbän-de in Deutschland, wobei in der Wahrnehmung der bürgerlichenSänger „Deutschland“ ein recht dehnbarer Begriff war. So um-fasste der Deutsche Sängerbund neben seiner regulären Abteilun-gen für Auslandsdeutsche unter anderem im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika auch Teile der österreichischen Sänger. Für Schles-wig-Holstein als Grenzregion bedeutete dies, dass man auch diedeutschsprachigen Sänger auf der dänischen Seite der Grenze be-treute.

Der Sängerbund Nordmark war nicht der einzige Sängerver-band in Schleswig-Holstein, aber mit Abstand der größte. Nebendem SPD-nahen Arbeiter-Sängerbund gab es beispielsweise einenNordfriesischen Sängerbund und weitere, zum Teil recht kleineChorvereinigungen für bestimmte Berufsgruppen.10

Der Sängerbund Nordmark wurde von Lübeck aus geleitet,einfach deswegen, weil dies der Wohnort des Gründungsvorsit-zenden Karl Dettmann war. Es handelt sich also um einen Ver-

7 Die im Rahmen des Deutschen Sängerbun-des organisierten Gesangvereine waren in derRegel Männergesangvereine. Zwar wurden An-fang der dreißiger Jahre auch gemischte Chö-re als gleichberechtigte Mitglieder im Deut-schen Chorverband und kurz darauf auch inden regionalen Chorverbänden zugelassen,der Verband war aber dennoch weiterhin aufden Männergesang ausgerichtet und wurdeausschließlich von Männern geleitet. Da dieGeschichte der Gesangvereine im Nationalso-zialismus insgesamt noch ein Forschungsdesi-derat ist, kann im Rahmen dieses Aufsatzesauf Frauen in den Gesangvereinen nicht einge-gangen werden.8 Vgl. die Bestandserhebung des Sängerbun-des Nordmark in: Sängerbundeszeitung Nord-mark Nr. 4 (1929), S. 3.9 Vgl. ebd. Die Kreise Hamburg und Mecklen-burg wurden im Jahr 1944 wieder aus demVerband ausgegliedert, der Gau V Nordmark,also der Bereich des heutigen Schleswig-Hol-steins wurde auf Anweisung des DSB in Sän-gergau Nordmark umbenanntt. Vgl. Sänger-zeitung Nordmark, Nr. 1 (1944), S. 1.10 Es lassen sich für Schleswig-Holstein kei-ne exakten Mitgliederzahlen für die unter-schiedlichen kleineren Verbände ermitteln. Ei-nen Eindruck über die Größenverhältnisse er-hält man jedoch über die Mitgliederzahlen derDachverbände. Während der Deutsche Sänger-bund Ende der 1920er Jahre mehr als einehalbe Million singender Mitglieder aufweisenkonnte, hatte der Deutsche Arbeitersänger-bund im Jahr vor seiner Auflösung noch190.000 aktive Mitglieder. Der NordfriesischeSängerbund dürfte nicht mehr als einige hun-dert aktive Mitglieder gehabt haben. Danebengab es weiterhin Kleinverbände wie denReichsbahn-Sängerbund, dessen Mitgliedsver-eine wohl teilweise auch im DSB organisiertwaren. Vgl. Klenke, Dietmar: Der singende„deutsche Mann“. Gesangvereine und deut-sches Nationalbewußtsein von Napoleon bisHitler. Münster u. a. 1998, S. 186. Für dieMitgliederzahlen des DAS vgl. Klenke, Diet-mar: Nationale oder proletarische Solidarge-meinschaft? Geschichte der deutschen Arbei-tersänger. Heidelberg 1995, S. 41.

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band, der trotz seiner durchaus ansehnlichen Größe und trotz desrecht hohen Verbandsvermögens beziehungsweise Umsatzes im We-sentlichen ehrenamtlich geleitet wurde. Auch wenn man in Lübecküber eine Geschäftsstelle verfügte, scheint die meiste Arbeit vondem Vorsitzenden beziehungsweise dem Kollegialorgan des Ver-bandsvorstandes erledigt worden zu sein.

Die Daseinsberechtigung von Chorverbänden wie dem Sänger-bund Nordmark und auch der Dachorganisation des Deutschen Sän-gerbundes erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Warum solltendie Gesangvereine, die neben ihrem Vereinszweck des gemein-schaftlichen Singens auch das besonders in Deutschland vorhandeneBedürfnis nach „Vereinsmeierei“ und „Postenhuberei“ zu befriedi-gen scheinen, sich einen Dachverband halten beziehungsweise sicheinem solchen anschließen ? Während für das 19. Jahrhundert der

Sängerfest 1937 in Kudensee/Kreis Stein-burg; Foto: Sammlung Plata

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Aspekt der Brauchtums- und Kunstpflege sowie die Stärkung desNationalbewusstseins bestimmend gewesen sein mag, hatte ein sol-cher Dachverband in der späten Weimarer Republik auch recht pro-fane Aufgaben. Die auch heute noch aktuelle Frage nach dem Um-gang mit den Musikverwertungsrechten dürfte einen Großteil derArbeit im Sängerbund Nordmark ausgemacht haben. Der Sänger-bund Nordmark war nach seiner Gründung 1928 nämlich dafür zu-ständig, die Abwicklung der bürokratischen Formalitäten mit denMusikrechtegesellschaften vorzunehmen. Die Mitgliedsvereine wie-derum waren verpflichtet, von allen öffentlichen Aufführungen Pro-gramme beim Dachverband einzureichen.11 Noch ging es den Ver-wertungsgesellschaften nämlich nicht vornehmlich um Tonträger,sondern um Noten und deren Vervielfältigungs- beziehungsweiseAufführungsrechte.

Zur Wahrung der Interessen der Tonsetzer und Musikverlage hat-ten sich im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik gleichmehrere Rechteverwertungsgesellschaften gegründet, die im Herbst1933 zur STAGMA fusioniert wurden.12 Noten durften also wegendes Urheberrechts nicht einfach vervielfältigt werden, und bei Auf-führungen von urheberrechtlich geschütztem Liedgut mussten dieMusikverlage beziehungsweise die Tonsetzer zusätzlich beteiligtwerden. Die Zusammenlegung der kleinen Regionalverbände zu ei-ner mitgliederstarken Dachorganisation, die den kleinen Gesangver-einen diese bürokratischen Aufgaben abnahm, war also durchausfolgerichtig.13 Damals wie heute war die Kommunikation mit denVerwaltern von Musikrechten eine recht aufwändige und zähe Ange-legenheit. Nach seiner Gründung entwickelte der Sängerbund Nord-mark jedoch recht zügig ein organisatorisches Eigenleben sowie ei-nen – freilich noch nicht durchsetzbaren – Alleinvertretungsan-spruch. Als im Zuge der lang anhaltenden Wirtschaftskrise mehrereMitgliedsvereine mit den Zahlungen gegenüber dem SängerbundNordmark in Verzug gerieten, gerierte sich der Vorsitzende WilhelmKlüßmann als Monopolist. So schrieb er Mitte Februar 1933 an ei-nen mangels finanzieller Mittel austrittswilligen Verein aus St. Pe-ter-Ording in recht patzigem Ton, dass der Verein ja gerne austretenkönne, wenn er es sich leisten könne, die Verwertungsgesellschaftenselbst zu zahlen und Notenmaterial auf eigene Faust zu kaufen. DerVerein müsse aber doch einsehen, dass eine Mitgliedschaft im Sän-gerbund Nordmark viel günstiger sei.14

„Mit treudeutschem Sangesgruß“15

Der Sängerbund in der Weimarer Republik. Obwohl man im DeutschenSängerbund großen Wert auf den angeblich unpolitischen Charakterdes Männergesangs legte, kann die politische Ausrichtung des Ver-bandes klar im rechten politischen Spektrum der Weimarer Republikverortet werden. Die größten Sympathien der Sänger genoss hierbeidie auf dem äußersten rechten Rand des Weimarer Parteienspek-trums angesiedelte DNVP.16 Im Gegensatz zum größten Konkurren-ten, dem Arbeiter-Sängerbund, pflegte man im DSB und seinen Un-

Bild rechts: Willhelm Klüßmann; Foto: Sän-gerbundeszeitung Nordmark Nr.1/(1934)

11 Vgl. Sängerbundeszeitung NordmarkNr. 3 (1930), S. 33. Auch die Herausgabevon Liederbüchern durch den DSB und sei-ne Mitgliedsverbände ist in diesem Zusam-menhang zu sehen, denn damit konntenden Mitgliedsvereinen einheitliche Noten-werke in großen Stückzahlen für die Arbeitin den Gesangvereinen zur Verfügung ge-stellt werden.12 Direkte Rechtsnachfolgerin der Stagmaist seit 1947 die GEMA, die deutschland-weit als einzige kommerzielle Musikver-wertungsgesellschaft zugelassen ist.13 So handelte der DSB mit der Stagma1933 eine Pauschalzahlung für jeden Sän-ger von 35 Pfg. aus, die im Rahmen derZahlungen der Regionalverbände an denBundesverband enthalten waren. Vgl. hier-zu Archiv des Sängerbundes Schleswig Hol-stein (SSH), Tätigkeitsbericht des Sänger-bundes Nordmark e. V. für das Jahr 1933,S. 6.14 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän 2,Bd. 10.15 Bis zum Jahr 1933 war dies die geläu-fige Grußformel im Schriftverkehr unterden Sängern.16 DNVP-Politiker sind die einzigen, diebei aller selbstverordneten politischen Neu-tralität des Sängerbundes gelegentlich indessen Publikationen auftauchen. Darüberhinaus lassen sich in ideologischer Hinsichtbei einer Analyse der Publikationen desSängerbundes mit dieser Partei bzw. die-sem politischen Milieu die größten Schnitt-mengen ausmachen. Nauwelaerts hat inihrer Studie zu Gesangvereinen in Detmolddie bedeutende Rolle führender Mitgliederdes Lippischen Sängerbundes, einer weite-ren Untergliederung des DSB, in der DNVPnachgewiesen. Vgl. Nauwelaerts, Ghislai-ne: Im deutschen Liede liegt die deutscheSeele. Gesangvereine in Detmold. In: Lip-pische Mitteilungen aus Geschichte undLandeskunde 67 (1998), S. 127-171,hier S. 132 f.

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tergliederungen einen völkischen Nationalismus, der in den spätenJahren der Weimarer Republik immer aggressivere Töne anschlug.Die Niederlage im Ersten Weltkrieg hatte man wie auch in vielen an-deren Bereichen der Gesellschaft nicht verkraftet. Im Milieu der Ge-sangvereine nahmen jedoch gemeinschaftliche Erinnerungsritualean den verlorenen Krieg, wie das Gefallenengedenken oder gemein-same Singstunden an historischen Orten, durchaus nationalreligiöseZüge an.17 Im Rahmen dieses Kapitels sollen die Ausprägungen die-ses völkischen Nationalismus anhand von Quellen aus dem Sänger-bund Nordmark belegt werden. Dabei steht die Frage im Mittel-punkt, wie sich der proklamierte „unpolitische“ Charakter desMännergesangs mit diesem aggressiven Nationalismus vertrug.

Es kann vorweggenommen werden, dass in der Wahrnehmungder Sänger(-funktionäre) kein semantischer Zusammenhang bezie-hungsweise Widerspruch zwischen „unpolitisch“ und „Nationalis-mus“ bestand, denn Patriotismus und letztlich auch Nationalismusverorteten die Sänger nicht in der Sphäre der Politik, sondern in der-jenigen der natürlichen Gemütsregungen. Den Begriff „Nationalis-mus“ benutzten die Funktionäre allerdings auch nicht, sondern siesprachen grundsätzlich nur von „Patriotismus“; die Begriffe sind invorliegendem Fall jedoch synonym. Im Gegensatz dazu verwendeteman den Begriff „Internationalismus“ recht häufig und zwar aus-schließlich als Schimpfwort. Mit dem Begriff des „Internationalis-mus“ und seinen Flexionen wurden die angeblich „Vaterlandslosen“bezeichnet.18 „Vaterlandslose Gesellen“19 waren die Arbeitersänger,wie insgesamt das Milieu der SPD und links davon, in den Augender bürgerlichen Sänger deshalb, da erstere Deutschland nicht alsfortwährend von außen bedrohte Nation begriffen und den „Burg-frieden“20 der Kriegsjahre nicht mehr einzuhalten bereit seien, einVorwurf übrigens schon aus dem Jahr 1928 !21 Der Krieg war also inden Köpfen vieler Sänger auch Ende der 1920er Jahre noch nichtvorbei und die Mitgliedschaft in einem Gesangverein ging häufigeinher mit einer Mitgliedschaft im „Stahlhelm“. Auch kooperiertenbeide Verbände miteinander.22 Nicht nur die imaginierte Volksge-meinschaft, sondern auch die deutsche Sprache war nach Ansichtder Sänger fortwährend bedroht. In Ermangelung eines Staatswe-sens, mit dem man sich identifizieren konnte, fokussierte man sicheben nicht mehr allein auf die Pflege traditionellen Liedguts, son-dern begriff die Sprache selbst als zentrale Kulturträgerin. Anspruchdes Verbandes und Wirklichkeit in den Vereinen klafften hierbei je-doch weit auseinander. So beklagte die Sängerzeitung neben demallgemeinen Verfall der Musik durch an Schlage auch häufigdie„Sucht für alles Fremdländische“.23 Der Patriotismus der Sängermanifestierte sich im Liedgut selbst sowie im gemeinschaftlichenSingen, das als ein Dienst am Vaterland begriffen wurde und die Sin-genden sittlich veredeln sollte.24 Überhaupt war man der Auffas-sung, dass das deutsche Volkslied, dessen Pflege man sich verschrie-ben hatte, einzigartig sei. Dies korrespondierte mit einem besondersin Deutschland anzutreffenden Gefühl der Überlegenheit einheimi-

17 Vgl. ebd, S. 138-140.18 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 6(1932), S. 71.19 Klenke, Dietmar: Der singende „deut-sche Mann“. S. 178.20 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 6(1932), S. 71.21 Vgl. Klenke, Dietmar: Der singende„deutsche Mann“. S. 189.22 So gehörte der Sängerbund unter an-derem dem Rundfunkausschuss nationalerVerbände an, aber auch im Rahmen vonVeranstaltungen wurde recht häufig mitdem Stahlhelm und anderen völkischen Or-ganisationen kooperiert. Vgl. Sängerbun-deszeitung Nordmark Nr. 3 (1933),S. 34.23 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 5(1929), S. 1. In zitiertem Aufsatz geht esum vermeintlich entbehrliche Lehnwörteraus anderen Sprachen, in diesem Fall vor-nehmlich aus dem Lateinischen, die inTextbeiträgen aus der Mitgliedschaft in Zu-kunft zu vermeiden seien. Der Artikel istder erste einer langen Reihe von Textender Sängerzeitung, in der man in patrioti-schen Dingen erzieherisch tätig sein will.Zu Recht bemerkt der Autor, dass die fran-zösischen Lehnwörter ja schon seit länge-rem ersetzt worden seien. Nun könne manauch Begriffe wie „Publikum“ oder „Biblio-thek“ durch geeignete deutsche ersetzen.24 Vgl. Klenke, Dietmar: Der singende„deutsche Mann“. S. 1. Ähnlich äußertsich auch Brusniak, Friedhelm: Der Deut-sche Sängerbund und das „deutsche Lied“.In: Loos, Helmut/Keym, Stefan (Hg.): Na-tionale Musik im 20. Jahrhundert. Kompo-sitorische und soziokulturelle Aspekte derMusikgeschichte zwischen Ost- und West-europa. Konferenzbericht Leipzig 2002.Leipzig 2004, S. 409-421, hier S. 415.

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scher Kulturproduktion und sogar mit dem Postulat einer „deutschenMusik“ – was immer das auch sein mag.25 Für die im Durchschnittschon recht betagten Sänger fungierte der örtliche Gesangvereinvielfach als Ersatz für eine nicht mehr in Frage kommende militäri-sche Verwendung; besonders in den ersten Jahren der Weimarer Re-publik nahmen die Gesangvereine eine ähnliche gesellschaftlicheFunktion ein wie die Veteranenverbände. Als ein aus dem überkom-menen Liedgut konstruierter und mythischer Sehnsuchtsort war das„Vaterland“ für die Sänger Ersatzbegriff für die Weimarer Demokra-tie, mit der sie sich weder identifizieren konnten noch wollten. Dasich der Nationalismus der Sänger also gerade nicht auf ein existie-rendes Staatsgebilde, sondern auf eine im zweifachen Wortsinn „ro-mantische“ Projektion richtete, konnte es ein „Zuviel“ an Liebe zumVaterland gar nicht geben. Ähnlich wie die Veteranenverbändewärmten dann auch die Sänger in den 1920er Jahren das Ideologemvom französischen Erbfeind wieder auf.26

Das Selbstbild sowohl des DSB als auch des SängerbundesNordmark war überparteilich und unpolitisch.27 Ein Blick in die Ver-bandspresse zwischen 1928 und 1933 ergibt hierzu allerdings eineninterpretationsbedürftigen Befund. Einerseits ist diese Selbstwahr-nehmung in der Rückschau dadurch gerechtfertigt, dass man sichzum aktuellen politischen Geschehen in der Tat fast nicht äußerte.Allein die Weltwirtschaftskrise taucht in ihren Auswirkungen auf diefinanzielle Lage der Haushalte und damit auf die Mitgliederzahlendes Sängerbundes häufiger auf. Andererseits werden in der Sänger-zeitung, die quasi das Sprachrohr des Verbandes darstellte, die poli-tischen Strukturen der parlamentarischen Demokratie nie anders alsdurch die Chiffre des „Parteiengezänks“ vermittelt. Man war über-zeugt, „daß das deutsche Lied berufen ist, Zwiespalt und Hader aus-zulöschen, unsere deutschen Volksgenossen zurückzuführen zu ei-ner einigen deutschen Volksgemeinschaft.“28 Gemeint waren erneutdie Arbeitersänger.29 Im Jahr 1932 häuften sich in der Sängerzeitungdie Artikel, die sich mit dieser Konkurrenzorganisation befassten.Zwar war dieser Verband schon zuvor häufig Gegenstand beißenderKritik gewesen, nun entspann sich in der Sängerzeitung Nordmarkallerdings eine längere Diskussion mit mehreren Beteiligten um dieAbgrenzung von den Arbeitersängern, in der von Zurückhaltung inpolitischen Fragen keine Rede mehr sein kann. Eine Nation konsti-tuiert sich durch die Nichtzugehörigkeit der „Anderen“ und im Falldes Sängerbundes durch das Singen von als „deutsch“ empfunde-nem Liedgut im Gegensatz zum vermeintlich „undeutschen“ Gesangder Anderen. Den Arbeitersängern wurde hierbei zum Vorwurf ge-macht, entweder „guter deutscher Musik üble Texte anzuhängen“oder „von deutschem Geiste losgelöste Tendenzmusik“30 zu kompo-nieren und zu singen. Heimatliebe und Volksgemeinschaft gleichdeutsch – alles andere undeutsch: Auf diese einfache Formel lässtsich das durchaus schlichte Weltbild der Kommentatoren im Rah-men der Diskussion um die Arbeitersänger reduzieren. Es ist fürmeine Fragestellung nicht unbedingt zielführend, noch tiefer in die

25 Riethmüller, Albrecht: Der DeutschenGlauben an musikalische Überlegenheit.In: Celestini, Federico/Kokorz,Gregor/Johnson, Julian (Hg.): Musik inder Moderne. Wien, Köln, Weimar 2011,S. 17-35, hier S. 19 ff.26 Vgl. Kittel, Manfred: Deutsches Natio-nalbewußtsein und deutsch-französischerErbfeindmythos. In: Brusniak, Fried-helm/Klenke, Dietmar (Hg.): „Heil deut-schem Wort und Sang!“ Nationalidentitätund Gesangskultur in der deutschen Ge-schichte. Augsburg 1995, S.47-70, hierS. 68.27 Für den DSB als Dachorganisation haterstmals Klenke den angeblich unpoliti-schen Charakter des Verbandes und seinerFunktionäre überzeugend widerlegt. Vgl.Klenke, Dietmar: Bürgerlicher Männerge-sang und Politik in Deutschland. In: Ge-schichte in Wissenschaft und Unterricht 40(1989), S. 458-485 und 534-561.28 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 9(1932), S. 114. Vgl. auch Klenke, Diet-mar: Der singende „deutsche Mann”.S. 190f.29 Eine Darstellung der Geschichte der Ar-beitersänger liefert Klenke, Dietmar: Na-tionale oder proletarische Solidargemein-schaft? Geschichte der deutschen Arbeiter-sänger. Heidelberg 1995.30 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 6(1932), S. 71.

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mentalen Strukturen der Protagonisten einzudringen.31 Gleichwohlmuss gesagt werden, dass es sich bei den Publikationen des Sänger-bundes Nordmark wohl kaum um die in allen Bereichen abgespro-chene Position des gesamten Vorstandes handelte. Vielmehr ist da-von auszugehen, dass der Schriftleiter der Sängerzeitung, der Ham-burger Chorleiter John Julia Scheffler, in der Gestaltung der Sänger-zeitung recht autonom war, obwohl er natürlich verpflichtet war, diePositionen des Verbandsvorstandes zu verbreiten.

„Mit treudeutschem Sangesgruß – Heil Hitler“32

Der Sängerbund Nordmark im Frühjahr 1933. Nach der Machtübernahmedurch die Nationalsozialisten dauerte es noch einige Monate, bis derSängerbund Nordmark zu einer offiziellen Stellungnahme bereitwar. Zunächst trat man nicht mit einem eigenen Text an die Öffent-lichkeit, sondern die April-Ausgabe der Sängerzeitung druckte einenkurzen Artikel aus der Zeitung des DSB nach, in dem DSB-SprecherBrauner schrieb: „Die Ereignisse vom 30. Januar, vom 5. und21./23. März sind dem DSB Tage der Erfüllung langen, heißen Seh-nens geworden. Er hat in Wort und Lied stets und stark im Diensteüberparteilicher, deutschbewußter Sammlung gestanden und dievierzehn Jahre der nationalen Niederung traditionsgetreu über-brückt.“33 Nur im Bewusstsein, dass mit der Machtübernahme eineneue Ära begonnen hatte, konnte Brauner die Epoche der WeimarerRepublik als abgeschlossene Phase der „nationalen Niederung“34 be-zeichnen. Einen Monat später schrieb der Nordmark-VorsitzendeKlüßmann in der Mai-Ausgabe unter dem Titel „Auftakt“: „Ein neu-es Deutschland ist im Werden begriffen. Der nationale Umschwungist auch uns im Sängerbunde Nordmark ein willkommener Anlaß,unsere vaterländische Einstellung erneut zu bekennen. Wir Nord-marksänger sind uns bewußt, daß die Nation über alles geht und daßjeder an seinem Platze das gilt, was er dem Vaterlande und damitdem allgemeinen Besten zu geben bereit ist.

In den grundlegenden Gedanken brauchen wir deutschen Sängeruns nicht umzustellen. Wir waren von jeher vaterländisch eingestelltbis in die Wurzel unserer Seele. Wir waren stets abhold allem un-deutschen. Deshalb konnte die internationale Verlogenheit in denReihen des Deutschen Sängerbundes irgendwelchen Einfluß nie-mals ausüben. Wir freuen uns, daß in der neuen Bewegung das deut-sche Volk nicht mehr Amboß, sondern endlich mal wieder Hammersein will.“35

Erstmals verwendete man für die Gestaltung der Titelseite derSängerzeitung die Farbe Rot, sodass der Artikel einen schwarz-weiß-roten Rahmen bekam. Diese Farbgestaltung in Verbindung mitdem Inhalt des Artikels ist ein Hinweis auf das vorsichtige Agierenauf politischem Terrain, das der Sängerbund Nordmark sich imFrühjahr 1933 zu eigen gemacht hatte. Einerseits knüpfte man so-wohl mit der Farbgestaltung als auch inhaltlich an Traditionen derKaiserzeit an, andererseits bezog man sich schon zu diesem frühenZeitpunkt auf den Bewegungscharakter des Nationalsozialismus und

31 Einen solchen Versuch mit sozialpsy-chologischer Methodik unternahm unlängstWolf, Rebecca: Musik und Nationalgefühl?Emotionaler Weltzugang in der ersten Hälf-te des 20. Jahrhunderts. In: Zalfen, Sa-rah/Müller, Sven Oliver (Hg.): Besat-zungsmacht Musik. Zur Musik- und Emoti-onsgeschichte im Zeitalter der Weltkriege(1914-1949). Bielefeld 2012, S. 85-101.32 Stadtarchiv Flensburg XII V Sän2, Bd.12, Schreiben des DSB an die Gauführerim DSB vom 13.06.1933. Sängergaufüh-rer Klüßmann verwendete die nationalso-zialistische Grußformel schon ab dem Früh-jahr 1933 regelmäßig, allerdings in derRegel ohne den Sangesgruß.33 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 4(1933), S. 51.34 Ebd.35 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 5(1933), S. 61.

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war sich der grundlegenden Umwälzung bewusst, die durch dieMachtübernahme Hitlers in Gang gesetzt wurde.

Der Sängerbund Nordmark war – wie gesagt – dem völkischenund deutschnationalen Milieu zuzuordnen, eine besondere Affinitätzum Nationalsozialismus vor 1933 ist dem Verband jedoch nichtnachzuweisen, über politische Sympathien einzelner Vorstandsmit-glieder oder Vereinsmitglieder sind keine Quellen vorhanden. Esgibt Hinweise, dass die verzögerte Reaktion auf die Machtübernah-me aus taktischen Erwägungen der Sängerbundleitung und desDachverbandes DSB zu erklären ist. So herrschte auf allen Ebenendes Verbandes zunächst Unsicherheit darüber, ob der bürgerlicheGesangverband im Rahmen einer zu erwartenden nationalsozialisti-schen Umgestaltung des Vereinswesens seinen Bestand würde si-chern können. Noch im April 1933 diskutierten der VorsitzendeKlüßmann und sein Gauvorsitzender Peters in privaten Briefen dieGefahr der Gründung eines nationalsozialistischen Gesangverban-des im Kampfbund für deutsche Kultur, der NS-Kulturorganisation.Einzelne Vereine hätten sich bereits dem Kampfbund angeschlossenund es bestünde die Gefahr eines Austritts aus dem SängerbundNordmark.36 Um auf dem Laufenden zu bleiben, hatte sich Peterssogar als „einzelner Sänger“ dem Kampfbund angeschlossen.37 Diestat er wohl aus privatem Antrieb, aber auch als „Spion“ des Sänger-bundes Nordmark, da Klüßmann Peters aufgefordert hatte, alle rele-vanten Informationen an ihn weiterzuleiten, was dieser auch tat. ImSeptember 1933 übermittelte er beispielsweise ein Schreiben desKampfbundes an Klüßmann, in dem verfügt wurde, dass eigene na-tionalsozialistische Chorvereinigungen gegründet werden müss-ten.38

Für den deutschen Sängerbund bestand die Taktik im Frühjahrdarin, demonstrativ Sympathien für den Nationalsozialismus zu be-kunden und im Schnellverfahren eine Selbstgleichschaltung vorzu-nehmen. So beruhigte Klüßmann den besorgten Peters, dass die Ge-fahr eines nationalsozialistischen Sängerbundes seit dem Sängertagin Dortmund wohl gebannt sei.39 Indem man die dort beschlossene„sogenannte Gleichschaltung“40 durchführe, könne der Verband be-stehen bleiben. Weiterhin habe der DSB in Dortmund seine nationa-le Gesinnung unter Beweis gestellt, in dem er das nächste Sängerfestauf Wunsch der Politik nach Breslau und den nächsten Sängertag andie Saar verlegt habe.41 Diese Einschätzung war wohl in der Tat zu-treffend, denn das Sängerfest in Breslau (1937) wurde eine der größ-ten Massenveranstaltungen des Dritten Reiches, und die Feststel-lung, dass die Wahl des Ortes auf Wunsch der Politik erfolgt sei,macht deutlich, dass das Regime das propagandistische Potential ei-ner solchen Veranstaltung und die Einbeziehung des bürgerlichenMännergesangverbandes in die nationalsozialistische Kulturpolitikschon zu diesem Zeitpunkt erkannt hatte. Klüßmann macht in denBriefen an Peters einen besonnenen Eindruck, wohl auch, weil erüber die fortwährenden Bemühungen der Verbandsspitze des DSBinformiert war, den Fortbestand des Verbandes zu sichern. Über-

36 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän2,Bd. 10, privates Schreiben von Franz Pe-ters an Wilhelm Klüßmann vom03.04.1933.37 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän2,Bd. 10, privates Schreiben von Franz Pe-ters an Wilhelm Klüßmann vom29.04.1933.38 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän2,Bd. 12.39 Der Dortmunder Sängertag (undgleichzeitige 1. Kulturtag des DSB) vom21. bis zum 23. April hatte sich ganz inden Dienst der neuen Regierung gestellt,„die wie die nationale Erhebung von 1813deutscher Wiedergeburt, Deutschlandswahrer Freiheit die Wege ebnet.“ Sänger-bundeszeitung Nordmark Nr. 5 (1933),S. 64.40 Stadtarchiv Flensburg XII V Sän2, Bd.10, privates Schreiben von Wilhelm Klüß-mann an Franz Peters vom 26.04.1933.41 Vgl. ebd.

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zeugt davon, dass die eigenen Traditionen stark genug seien, denSängerbund auch unter veränderten politischen Bedingungen zu er-halten, war er zu Zugeständnissen bereit. Klüßmann, und mit ihmder Sängerbund, konnte sich mit dem Nationalsozialismus recht gutarrangieren, die „sogenannte Gleichschaltung“42 bedeutete wohl fürihn eher auf einer sprachlichen als auf einer organisatorischen Ebeneeinen Einschnitt. Für den Sängerbund als Organisation ergaben sichim Frühjahr 1933 auch neue Handlungsfelder und eine neue Klien-tel, die der überalterte Gesangverband bislang nicht erreichen konn-te. Bei der SA werde schließlich auch gerne gesungen und der Ver-band könne von der dort herrschenden Begeisterung nur profitieren,wenn er die „braunen Soldaten“ nur zu den eigenen Veranstaltungeneinlade und sich nicht nur am 1. Mai an vaterländischen Veranstal-tungen beteilige, so Chormeister Spreckelsen in seinem programma-tischen Aufsatz zur Lage des Nordmark-Sängerbundes.43

Der DSB als Dachverband musste bis ins Jahr 1935 darumkämpfen, seinen Status als Alleinvertretung der deutschen Sängerabzusichern. Die angedeutete Grundsatzentscheidung für den DSBund gegen einen nationalsozialistischen Gesangverband war nichtauf allen Ebenen sofort durchzusetzen. Formal unterstand der Ver-band der Reichskulturkammer und hierin der Reichsmusikkammer,der DSB vertrat jedoch die Ansicht, dass letztere eine berufsständi-sche Organisation sei und somit nicht zuständig für einen Verbandvon Laiensängern. Man versicherte sich des Wohlwollens von Al-fred Rosenberg, dem kurzerhand die Ehrenführerschaft im DSB ver-liehen wurde und der sich in den Verhandlungen den Standpunkt desDSB zu eigen gemacht hatte. Diese Auseinandersetzungen dauertenbis ins Jahr 1934 und führten zwischenzeitlich sogar zu einem kurz-fristigen Verbot des DSB, letztlich jedoch zu einer privilegiertenEingliederung in die Reichsmusikkammer.44

Die Gleichschaltung der Gesangvereine. Grundlage für die Gleichschaltungdes Deutschen Sängerbundes und der ihm angeschlossenen Verbän-de und Vereine war der Sängertag in Dortmund vom 21. bis zum 23.April 1933. In den folgenden Monaten wurde die Gleichschaltungder Gesangsorganisationen zunächst vom Dachverband verordnetund in einem länger andauernden Prozess bis auf die Ebene der ein-zelnen Gesangvereine durchgesetzt. Dazu gehörte die Einführungdes Führerprinzips auf Verbands- und Vereinsvorstandsebene, dieBesetzung der Vorstände mit Parteimitgliedern beziehungsweiseNSDAP-Sympathisanten und das Herausdrängen etwaiger nicht-ari-scher Mitglieder aus den Vorständen und Vereinen. Der FlensburgerGauvorsitzende des Sängerbundes Nordmark Franz Peters hat dieUnterlagen zu diesem Vorgang in seinem Zuständigkeitsbereich (imWesentlichen der Osten des heutigen Landesteils Schleswig) in ei-ner gesonderten Akte gesammelt, die für die folgenden Ausführun-gen die maßgebliche Quelle darstellen.

Der auf dem Sängertag in Dortmund gewählte DSB-VorsitzendeGeorg Brauner verschickte mehrere Rundschreiben, in denen die

42 Auch in einem Schreiben vom 2. Mai1933 verwendet Klüßmann diese Formu-lierung, vgl. Stadtarchiv Flensburg XII VSän3, Gleichschaltungsakte, privatesSchreiben von Wilhelm Klüßmann an FranzPeters vom 02.05.1933.43 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 9(1933), S. 115.44 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän2,Bd. 12, Schreiben von DSB-Führer Braunervom 17.02.1934. Zur Auseinandersetzungvgl. Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat.S. 193ff. sowie ähnlich Schinköth, Tho-mas: Chöre und Chormusik. In: Ders.(Hg.): Musikstadt Leipzig im NS-Staat.Beiträge zu einem verdrängten Thema. Al-tenburg 1997, S. 292-319, hier 293. Dergenaue Hergang dieser Auseinanderset-zung zwischen dem DSB und der Reichs-kulturkammer ist ungeklärt. Selbst Klenkeverliert darüber in seinem Standardwerkzum singenden „deutschen Mann“ keinWort.

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Maßnahmen zur Gleichschaltung geregelt wurden. Interessant ist indiesem Zusammenhang, dass Brauner nach eigenen Aussagen dieseRichtlinien „nach Rücksprache mit der Reichsleitung des Kampf-bundes für deutsche Kultur“45 aufgestellt hatte.

Die genauen Bestimmungen zur Durchführung der Gleichschal-tung regelte ein Schreiben des Nordmark-Vorsitzenden Klüßmannvom 3. Juni 1933: „Die dem Deutschen Sängerbunde angeschlosse-nen Gesangvereine waren von jeher national eingestellt. Sie habenaber in der heutigen Zeit die Pflicht, ihre Verbundenheit mit der na-tionalen Regierung dadurch besonders unter Beweis zu stellen, dasssie ihr treue Helfer sind, alle Kräfte zusammenfassen zur Erziehungeiner möglichst vollkommenen Gleichheit der Gesinnung und desWollens, und sich geschlossen hinter die Regierung und den FührerAdolf H i t l e r stellen. [...] Wir fordern daher unsere Bundesvereineauf, dem zuständigen Gauvorstand bis zum 15. Juni 1933 zu melden,wer bereits gleichgeschaltet hat oder das in nächster Zeit zu tun be-absichtigt. [...] Bei dieser Gelegenheit machen wir besonders daraufaufmerksam, dass jetzt der günstigste Zeitpunkt ist, an allen Ortenfür die Aufnahme bisher bundesfremder Vereine in den SängerbundNordmark zu werben. Wo persönliche Einwirkungen nicht zum Zie-le führen sollten, bitten wir, dem Gauvorstand oder dem geschäfts-führenden Bundesrat geeignetes Anschriftenmaterial zuzusenden,damit von dort aus das Weitere in die Wege geleitet werden kann.“46

Der avisierte Termin zur Durchführung der Gleichschaltung inallen Mitgliedsvereinen war wohl ein wenig voreilig festgelegt wor-den. Es brauchte noch mehrere Ermahnungen Klüßmanns, bis alleMeldungen über die Durchführung von Hauptversammlungen undVorstandsernennungen eingegangen waren. Die Gründe für dieseVerzögerungen sind vielfältig; sie sind jedoch in der Regel nicht ineiner Verweigerungshaltung der Vereine gegenüber der Gleichschal-tung zu suchen. Die Quellen für den Gau 4 Schleswig lassen viel-mehr darauf schließen, dass manche Vereine schlicht nicht in derLage waren, satzungsgemäße Hauptversammlungen durchzuführen.Besonders kleine Vereine reagierten bisweilen sehr zögerlich auf diewiederholten Aufforderungen und Drohungen, die Meldung über dieerfolgte Gleichschaltung einzureichen. So dauerte es im Fall desGardinger Männergesangvereins bis Ende Januar 1934, bis Vollzuggemeldet werden konnte.47 Einen interessanten Fall stellt der Sing-verein Tondern aus dem nordschleswigschen Tønder dar. Trotzmehrheitlichem Votum für eine Zugehörigkeit zu Deutschland imRahmen der Volksabstimmung von 1920 gehörte der Ort zu Däne-mark und war damit von den Gleichschaltungsanordnungen garnicht betroffen. In Tønder schaltete man sich, wenn auch etwas zö-gerlich, Anfang 1934 gleich. Das genaue Prozedere hatte man aller-dings anscheinend auch nicht richtig verstanden. Statt die erfolgteGleichschaltung dem Kreisvorsitzenden Peters einfach nur zu mel-den, brachten die Tonderner in diesem Schreiben die Hoffnung zumAusdruck, dass ihr neuer Vorsitzender durch Peters „bestätigt“ wür-de.48 Dieses Ansinnen wurde von Peters in einem Schreiben an sei-

45 Stadtarchiv Flensburg XII V Sän3,Schreiben vom 17.05.1933.46 Stadtarchiv Flensburg XII V Sän3,Gleichschaltungsakte, Schreiben vom03.06.1933.47 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän3,Gleichschaltungsakte, Schreiben GardingerMännergesangverein vom 28.01.1934.48 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän3,Gleichschaltungsakte, Schreiben Singver-ein Tondern vom 29.01.1934.

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nen Verbandsvorsitzenden als „schildbürgerlich“49 bezeichnet,Klüßmann schrieb jedoch zurück: „Es gibt aber überall vorsichtigeLeute und wenn mal einer eine besondere Bestätigung wünscht, sokannst Du sie ihm ja herzlich gern geben, wenn Du die Mitteilunghast, daß der Verein gleichgeschaltet ist.“50 Ein Gefühl von Überle-genheit, aber auch ein gewisser Pragmatismus im Umgang mit denErfordernissen der zu diesem Zeitpunkt noch recht jungen Diktatur,spricht aus diesem Brief. Ein pragmatischer Umgang mit solchenAnfragen war schon allein deshalb geboten, da die Verwaltungsauf-gaben im Sängerbund ab 1933 sprunghaft anstiegen. Bestand die inFlensburg aufbewahrte Korrespondenz des Gauvorsitzenden Petersbis dahin aus einigen wenigen Briefen pro Monat, so schwoll dieseab dem Februar 1933 auch abgesehen von den Erfordernissen derGleichschaltung stark an und blieb auf einem hohen Niveau. An derVerbandsspitze dürfte es ähnlich gewesen sein. Ursache hierfürscheint mir auf Seiten der Vereine ein allgemeines Gefühl der Unsi-cherheit zu sein, das es erforderlich machte, sich für bis dahin un-problematische Vorgänge lieber noch einmal eine schriftliche Be-stätigung geben zu lassen. Darüber hinaus stiegen die Anforderun-gen an die Vereine hinsichtlich der Dokumentation ihrer Tätigkeit,die sich beispielsweise in der verpflichtenden Einsendung von Vor-tragsfolgen und Konzertprogrammen niederschlug.

Wenn auch teilweise etwas verzögert, so verlief die Gleichschal-tung in den meisten Vereinen ohne besondere Komplikationen. Einetypische Vollzugsmeldung kam beispielsweise aus Flensburg: „Eswird hierdurch mitgeteilt, daß der Vorstand des Gesangsclubs ‘Phö-nix’ in seiner bisherigen Besetzung fortbesteht, da dieser derN.S.D.A.P. angehört, bezw. nahesteht.“51 Dies war die Kurzversionund auch die Mindestanforderung für die Meldung über die erfolgteGleichschaltung. Teilweise gaben die Absender aber auch in länge-ren Briefen ihrer Hoffnung Ausdruck, dass es mit Deutschland unterder Führung Hitlers und Hindenburgs nun wieder aufwärts gehenwürde.52 Mit einer solchen Bezugnahme auf die Regierungspolitikwird die Arbeit eines kleinen dörflichen Gesangvereins bewusst ineinen gesellschaftlichen Zusammenhang mit den politischen Verän-derungen gestellt, die sich eben nicht nur durch die nationalsozialis-tische Machtübernahme auf Reichsebene manifestierten, sondernauch im dörflichen beziehungsweise kleinstädtischen Umfeld, woman gerne bereit war, eine von oben zugewiesene gesellschaftlicheRolle einzunehmen. Die Nennung des greisen Reichspräsidenten alspolitische Führungsperson quasi gleichberechtigt neben dem eigent-lichen Inhaber der Macht belegt hierbei erneut die politische Veror-tung vieler Sänger im deutschnationalen Milieu, allerdings sprichtaus vielen der Gleichschaltungsmeldungen auch eine deutlicheSympathie für die Nationalsozialisten.

Aus den Quellen zum Gau Schleswig lassen sich keine schwer-wiegenden Probleme bei der Umsetzung der Gleichschaltung in denVereinen erkennen. Gelegentlich gibt es nicht näher ausgeführteHinweise auf den Rückzug einzelner Vorstandsmitglieder; in einem

49 Ebd., Schreiben Franz Peters an Wil-helm Klüßmann vom 15.03.1934.50 Ebd., Schreiben Wilhelm Klüßmann anFranz Peters aus dem März 1934 in Ant-wort auf o. g. Schreiben.51 Stadtarchiv Flensburg XII V Sän3,Gleichschaltungsakte, Schreiben des Ge-sangsclubs „Phönix“ vom 15. Juni 1933. 52 Vgl. ebd., z. B. das Schreiben aus demGesangverein in Arnis vom 20. Juni 1933.

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Verein trat der gesamte Vorstand zurück – allerdings wohl eher in ei-nem formalen Akt, um sogleich in der gleichen Besetzung wiederer-nannt zu werden.53 Bisweilen wurde in den Schreiben auch die Zu-gehörigkeit einiger Vorstandsmitglieder zum Stahlhelm betont, wasim Sinne der Vorschrift, dass die Vorstände nur mit dem Nationalso-zialismus positiv gegenüber stehenden Personen besetzt werdendürften, anerkannt wurde.54 In Eckernförde meinten die Sänger, ihrepolitische Zuverlässigkeit mit dem Satz: „Unter der ganzen Sänger-schaft befindet sich keiner, der der linken Richtung angehört“55 unterBeweis stellen zu müssen. Es spricht einiges dafür, diese Aussagefür realistisch zu halten. Dennoch muss gesagt werden, dass dieGleichschaltung für die Verbandsspitze kaum mehr als ein formalerAkt war, der schon allein durch die Einberufung einer Jahreshaupt-versammlung samt Vorstandswahl beziehungsweise Ernennung undderen Meldung beim Sängergau erledigt war. Es bedurfte darüberhinaus keinerlei Sympathie- oder Loyalitätsbekundungen, trotzdemsind diese in nicht geringer Zahl vorhanden. Über Feierstunden an-lässlich der (Selbst-)Gleichschaltung, wie sie Klenke erwähnt, ist je-doch aus den schleswig-holsteinischen Quellen nichts bekannt.56

Weder der Gauvorsitzende Peters noch sein Verbandschef Klüß-mann waren ernsthaft daran interessiert, die politische Zuverlässig-keit oder die Parteimitgliedschaft aller Vereinsvorstände und -führereinzeln zu überprüfen. Hierfür hätten sie weder die rechtliche Hand-habe noch, bei mehreren hundert Mitgliedsvereinen, die Kapazitätengehabt. Die Gleichschaltung war in vielerlei Hinsicht trotz ihrer An-ordnung durch den DSB und den Sängerbund Nordmark eben aucheine Selbstgleichschaltung. Dies belegen die in der betreffendenAkte mehrfach vorhandenen, von örtlichen Parteifunktionären un-terzeichneten „Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ für neue oderalte Vereinsführer.57 Gelegentlich lässt sich jedoch ein gewisser Un-mut bei einzelnen Vereinen feststellen, die mit der straffen Ver-bandsführung Klüßmanns und auch Peters nicht einverstanden wa-ren. So hatte sich zum Beispiel ein anderer Gauführer aus Glück-stadt bei Franz Peters über den zunehmend autoritären Stil Klüß-manns beschwert, was dieser mit dem Verweis auf den Führergrund-satz beantwortete und die Beschwerde prompt an Klüßmann weiter-leitete.58 Letzterer wiederum schrieb an Peters anlässlich dessen Er-nennung zum Kreisführer, dass er es als seine Aufgabe betrachte,den Führergrundsatz auch in den einzelnen Vereinen uneinge-schränkt durchzusetzen.59 Es war wohl gerade dieser Anord-nungstonfall in den öffentlichen Verlautbarungen der Verbandslei-tung, der in den Vereinen gelegentlich für Unmut sorgte, denn im-merhin gingen die Vereinsmitglieder dem Gesang bei aller selbstempfundenen Pflicht zur Pflege deutschen Liedguts noch freiwillignach.60 Die bis dahin vor allem in Selbstbekundungen von den Sän-gern zur Schau getragene Bereitschaft zur Aufopferung fürs Vater-land wurde nun in Gestalt von immer mehr Pflichtterminen, wiezum Beispiel Auftritten bei Aufmärschen von der Verbandsführung,eingefordert, und dies schien die älteren Herren, denen es oftmals

53 Vgl. ebd., Schreiben eines Vereins ausBockholm vom 30.08.193354 Vgl. ebd., z.B. Schreiben der Bredsted-ter Liedertafel vom 14.10.1933.55 Vgl. ebd., Schreiben Eckernförder Ge-sangverein von 1860 o. D.56 Klenke, Dietmar: Der singende „deut-sche Mann”. S. 191.57 Vgl. Stadtarchiv Flensburg XII V Sän3,Gleichschaltungsakte, z. B. das Schreibender NSDAP-Ortsgruppe Garding vom25.01.1934. 58 Stadtarchiv Flensburg XII V Sän2, Bd.10, Schreiben von Franz Peters an OttoJess vom 08.12.1933.59 Ebd., Schreiben von Wilhelm Klüß-mann an Franz Peters vom 25.09.1933.60 Vgl. auch die Ausführungen zum An-ordnungstonfall von Bundeschorleiter Her-mann Fey in der Sängerzeitung NordmarkNr. 6 (1935), S. 1: Fey führt hier mit ei-nem Hinweis auf die vielen „Meckerer“,die es in den Reihen des Verbandes nochgebe, aus, dass Formulierungen wie „ichbestimme“ dem allgemeinen Sprachge-brauch entnommen seien und bei ihremGebrauch keine Kränkungsabsicht vorliege.

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eben doch vor allem um die Geselligkeit im Vereinsleben ging, gele-gentlich zu überfordern.61 Hieraus lässt sich jedoch keine grund-sätzliche Ablehnung der Gleichschaltung eines größeren Teils derSänger ableiten.

In den vom Sängerbund Nordmark betreuten Auslandsvereinenwäre man augenscheinlich nur zu gerne der Aufforderung nachge-kommen. So notierte Peters, das Männerquartett Lyra Haderslebenstehe „der Gleichschaltung sympathisch gegenüber, die marxistischedänische Regierung steht hindernd im Wege“ und auch der Gesang-verein von 1871 in Hoyer „steht geschlossen hinter der Regierungund d. Führer Adolf Hitler“.62 Allerdings hatten die Anweisungenzur Gleichschaltung für die Auslandsvereine keine Gültigkeit. DieQuellen belegen, dass auf Seiten der deutschstämmigen Nordschles-wiger Sänger die politische Entwicklung in Deutschland sehr wohl-wollend begleitet wurde.

Die Gleichschaltungsbestimmungen des Sängerbundes enthiel-ten auch einen Passus über die Behandlung etwaiger nicht-arischerMitglieder. Gemeint waren natürlich Juden. Sie wurden nicht sofortausgeschlossen, es durften allerdings keine „Nicht-Arier“ mehr auf-genommen werden und Mitgliedern, die nach dem Beginn des Ers-

Quelle:Stadtarchiv Flensburg XII.V.Sän3.

61 Vgl. hierzu auch Klenke, Dietmar: Dersingende „deutsche Mann“. S. 192.62 Stadtarchiv Flensburg XII V Sän3,Gleichschaltungsakte, von Franz Peters er-stellte Liste über die erfolgte Gleichschal-tung, Hervorhebung im Original.

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ten Weltkriegs einem Verein beigetreten waren, sollte der Austrittnahegelegt werden. Noch nahm man jedoch Rücksicht auf ehemali-ge Frontkämpfer.63 Es handelte sich bei den Bestimmungen zu jüdi-schen Mitgliedern um einen eher formalen Akt, in der Realität dürf-ten im DSB und Nordmark-Sängerbund fast keine jüdischen Sängerorganisiert gewesen sein. Für letzteren lag dies zum einen an der nurgeringen Zahl von Menschen jüdischen Glaubens in Schleswig-Hol-stein, zum anderen boten weder der Sängerbund Nordmark noch derDSB vor 1933 positive Identifikationsangebote für jüdische Sän-ger.64 Auch wenn nur Teile des Deutschen Sängerbundes schon vorder Machtübernahme einen offensiven Antisemitismus vertraten undsich der DSB ansonsten kulturnationalistisch gab, war ein latenterAntisemitismus durchgängig vorhanden.65 Nach der Machtübernah-me konnte dieser ad hoc abgerufen werden und es häuften sich dieantisemitischen Artikel in der Sängerzeitung, und mehr als noch einpaar Monate zuvor beschäftigte die vermeintliche oder tatsächlichejüdische Herkunft einzelner Komponisten die Sänger.66 Ob tatsäch-lich im Sängerbund Nordmark jüdische Mitglieder aus den Vereinenherausgedrängt wurden, ist nicht zu sagen – jedenfalls finden sich inden Quellen keinerlei Hinweise darauf. Keiner der Vereine meldetenach der erfolgten Gleichschaltung den Ausschluss jüdischer Mit-glieder, Einzelfälle mag es dennoch gegeben haben. Noch stand dieRücksichtnahme auf Weltkriegsveteranen einem kompromisslose-ren Vorgehen im Wege, war doch der Passus für die nach 1914 auf-genommenen Mitglieder für die durchschnittlich nicht gerade ju-gendlichen Sänger kaum relevant.

„Lied hoch! Sieg Heil !“67

Lieder- und Sängerfeste im Nationalsozialismus. Abgesehen vom gemein-schaftlichen Singen im örtlichen Gesangverein strebten die Sängerimmer auch in die größere Öffentlichkeit. Neben Konzerten, bei de-nen Eingeübtes vor Publikum präsentiert wurde, und der Beteili-gung an dörflichen Festen und Veranstaltungen nahmen die Sänger-feste eine wichtige Rolle ein. Diese waren seit jeher eine Mischungaus Kulturveranstaltung und politischer Demonstration und wurdendies nicht erst nach 1933. Schon im 19. Jahrhundert waren sie Aus-druck und Höhepunkt des „nationalreligiösen Charakters des Män-nergesangs“68 und der unpolitische Geselligkeitsaspekt des Vereins-lebens wurde hiervon zumindest teilweise überblendet.

In Schleswig-Holstein hatte man schon mit der Gründung desSängerbundes Nordmark im Jahr 1929 die Planungen für ein großesNordmark-Liederfest aufgenommen. Die groß dimensionierte Ver-anstaltung, die im Juli 1931 viele Tausend Sänger in Kiel zusam-menführen sollte, wurde jedoch drei Monate zuvor auf unbestimmteZeit verschoben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich nur etwa 5000Sänger angemeldet, fast die Hälfte aller Vereine hatte entweder ab-gesagt oder gar nicht auf die Aufforderung des Verbandes reagiert,sich an dieser Veranstaltung zu beteiligen.69 Mangelndes Interesse,fehlende finanzielle Mittel der Teilnehmer sowie das für das Jahr

Folgende Seiten:Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 7,Festkonzert in der Nord-Ostseehalle.

63 Vgl. ebd., Schreiben des DSB-Vorsit-zenden Brauner vom 17. Mai 1933 an dieMitlieder im Deutschen Sängerbund.64 In Schleswig-Holstein bezeichnetensich Mitte der 20er Jahre nur gut 4000Personen als Angehörige der jüdischenGlaubensgemeinschaft, von diesen lebtenwiederum fast 2/3 in Altona. In den Ge-sangvereinen des Sängerbundes dürftealso nur eine sehr kleine Anzahl von Men-schen jüdischen Glaubens organisiert ge-wesen sein. Zu den Zahlenangaben vgl.Danker, Uwe/Schwabe, Astrid: Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus.Neumünster 2005, S. 102.65 Vgl. Klenke, Dietmar: Der singende„deutsche Mann“. S. 187 f.66 So fragte z. B. schon im Juni die Sän-gerzeitung „War der Komponist Max BruchJude?“ und dessen Sohn reichte einenStammbaum ein, um dessen arische Her-kunft zu belegen. SängerbundeszeitungNordmark Nr. 6 (1933), S. 76 f.67 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 3(1935), S. 3.68 Klenke, Dietmar: Bürgerlicher Männer-gesang und Politik. S. 471.69 Vgl. Sängerbundeszeitung NordmarkNr. 4 (1931), S. 1.

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1932 anstehende Deutsche Sängerbundesfest in Frankfurt dürftendie Ursachen für die Absagen gewesen sein. Vielleicht hatten sichaber auch die Organisatoren des neuen Nordmark-Sängerbundesmehr vorgenommen, als die Mitglieder zu leisten in der Lage gewe-sen wären. Da man schon in Verhandlungen mit der Stadt getretenund die Organisation der Veranstaltung bereits recht weit gediehenwar – ganz abgesehen davon, dass ja auch die Chöre schon seit lan-gem die für die Aufführungen ausgewählten Lieder probten –, wardie Absage für den Sängerbund äußerst blamabel.

Das 1. Nordmark-Liederfest, das schließlich im Juni 1935 inKiel stattfand, wurde dann jedoch für den Sängerbund ein voller Er-folg. Nicht zuletzt deswegen, weil den drei Jahre zuvor noch zöger-lichen Teilnehmern der Besuch dieser Veranstaltung nun gleichsamals nationale Pflicht verkauft wurde. Ein Gauliederfest entspringenicht dem Bedürfnis, Feste zu feiern, wie von einigen Meckerernnoch behauptet werde, sondern es solle die Kulturarbeit des DSBherausgestellt werden, die auch von Regierungsseite mittlerweiledie ihr zustehende Anerkennung erfahre, so der Pressewart der Orts-gruppe Kiel.70 Schon die Januar-Ausgabe der Sängerzeitung bereite-te mit speziellen Kolumnen zum Liederfest die Mitglieder auf diesesEreignis vor und betonte den „Willen zur ernster Mitarbeit an derNeugestaltung der deutschen Kultur“71. Aufführungsorte fanden sichin der gesamten Stadt Kiel, mit der mehrere Tausend Plätze bieten-den Nord-Ostseehalle als Zentrum. Sowohl in kleineren Hallen alsauch unter freiem Himmel, im Schlossgarten und auf dem Gaarde-ner Vinetaplatz wurden Konzerte veranstaltet und vaterländischeGesinnung wurde durch eine Gedenkveranstaltung am Laboeer Ma-rineehrenmal demonstriert. Die Organisation des Liederfestes warfür den Sängerbund eine gewaltige logistische Herausforderung.Viele der mehreren Tausend Teilnehmer und Teilnehmerinnen reis-ten für mehrere Tage an und wurden in der Regel bei Privatpersonenuntergebracht, die Zahlungskräftigeren stiegen in Hotels ab.72 KielerUnternehmen buhlten mit Werbung in der Verbandszeitung um dieSänger, die, entgegen allen Appellen an die Pflichterfüllung, dasLiederfest auch als eine Vergnügungsreise begriffen haben dürften.Davon zeugt schon das Sponsoring durch eine Kieler Brauerei sowiedie zahlreichen Anzeigen für Kneipen und Lokale, in denen nichtnur gesungen, sondern sicherlich auch getrunken wurde.

Trotz aller Beschwörungen der sich im Gesang manifestierendenVolksgemeinschaft war das Liederfest als traditionelle Ausdrucks-form der Sängerbewegung des 19. Jahrhunderts noch nicht vollstän-dig nationalsozialistisch überformt. Das Fest in Kiel ist eher alsGründungsfest des Nordmark-Sängerbundes einige Jahre zuvor zuinterpretieren, obwohl man sich natürlich den politischen Gegeben-heiten anpasste und die Schnittmengen zwischen althergebrachtemSängernationalismus und Nationalsozialismus betonte.73 Ein Blickin das Konzertprogramm des Liederfestes belegt, dass man ingroßen Teilen an den Traditionen festhielt, allerdings als unpassendempfundenes sentimentales Liedgut aussortiert hatte. Dennoch bot

Bild rechts:Hermann Fey: Foto: SängerbundeszeitungNordmark Nr. 5 (1936), S. 63.

70 Vgl. Sängerbundeszeitung NordmarkNr. 6 (1935), S. 90.71 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 1(1935), S. 3.72 Im Gegensatz zu bisherigen Gepflogen-heiten wurden ab 1933 auch gemischteChöre nach und nach in den DSB und seineUnterorganisationen integriert. Dieser Ent-wicklung wurde auf dem Nordmark-Lieder-fest mit der Beteiligung von SängerinnenRechnung getragen.73 Vgl. Sängerbundeszeitung NordmarkNr. 6 (1935), S. 83.

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auch dieses Liederfest „eine Mixtur von weltlichen Kunstgesängen,religiösen Chorälen und patriotischen Chorsätzen, die nur eines ver-band, die deutsche Sprache als Sprache der Liedtexte.“74

Neben klassischen Chorwerken von Brahms, Beethoven, Schu-mann und anderen wurden besonders Volkslieder mit vaterländi-schen Texten vorgetragen.75 „Auffallend ist, daß unter den etwa 90Liedern nur mehr 7 Liebeslieder enthalten sind ! Der Sang von Hei-mat und Vaterland, das große Erleben unserer Tage hat das Liebes-lied stark zurücktreten lassen.“76 Dies war sehr zur Freude desGauchormeisters Hermann Fey, da „gerade das sentimentale, einesMannes unwürdige Liebeslied einen großen Teil der üblichen Män-nerchorliteratur“77 ausgemacht habe. Ein paar mehr Liebesliederwerden es dann wohl doch gewesen sein, denn Fey kommt in einerspäteren Analyse der Liedtexte zu dem Schluss, dass in 40 Gesängendie Heimat und das Vaterland gepriesen wurden und in 17 Liederndie Liebe das Thema gewesen sei. Darüber hinaus entnahmen weite-re Liedtexte ihren Stoff der Geschichte und der Sage, der Religionund der Natur. Auffallend viele Lieder des 20. Jahrhunderts undmehrere Uraufführungen wurden vorgetragen.78

Deutlich stärker unter nationalsozialistischen Vorzeichen standder ein Jahr später veranstaltete Sängertag des Deutschen Sänger-bundes am Wochenende vom 15. bis 17. Mai 1936 in Hamburg. Sän-gertage waren ursprünglich das höchste beschlussfassende Gremiumdes Deutschen Sängerbundes, also eher Jahreshauptversammlungenals Kulturveranstaltungen. Gleichwohl waren auch Konzerte undChorvorträge seit jeher Teil solcher Treffen. Waren die Sängertagebis 1933 noch demokratische Versammlungen, bei denen der Vor-stand noch vor den angereisten Delegierten Rechenschaft abzulegenhatte und ein neuer gewählt wurde, waren Diskussionen auf denSängertagen nach 1933 nicht mehr üblich. Der ausrichtende Nord-mark-Sängerbund war somit darauf bedacht, den Sängertag als ein-drückliche Demonstration der Verbundenheit der Sänger mit demnationalsozialistischen Staat zu gestalten. Höhepunkt der Veranstal-tung war folglich nicht die Tagung als solche, sondern eine politi-sche Kundgebung vor dem Hamburger Rathaus auf dem Adolf-Hit-ler-Platz am Sonntag. Der eigentliche Sängertag fand am Samstagim großen Saal des Hamburger Rathauses statt und Nordmark-Sän-gerführer Klüßmann durfte die Auftaktrede halten, bei der er die ver-besserte Lage des Sängerbundes seit der Machtübernahme schilder-te. Während der Geschäftsführer des DSB die beeindruckende Mit-gliederzahl von 700 000 Sängern und 56 000 Sängerinnen in insge-samt über 24 000 Vereinen vermeldete, erfolgte die Wiederwahl desHerner Oberbürgermeisters Meister als Bundesführer des DSB „ein-stimmig ohne Aussprache“.79

An der sonntäglichen Kundgebung vor dem Rathaus nahmenmehr als 3000 Sänger aus Hamburg und Umgebung teil und eröffne-ten diese nach dem Einmarsch in militärischer Formation mit demLied „Kameraden, wir marschieren“. In Reden und Liedern bekun-deten die Sänger ihre militärische Opferbereitschaft.

Bild rechts:Kundgebung Sängerbundeszeitung Nord-mark Nr. 6 (1936), S. 81.

74 Klenke, Dietmar: Bürgerlicher Männer-gesang und Politik. S. 471.75 Das musikalische Programm des Nord-mark-Liederfestes ist der Sängerbundeszei-tung Nordmark Nr. 6 (1935), S. 84 f. zuentnehmen.76 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 6(1935), S. 89.77 Ebd.78 Vgl. Sängerbundeszeitung NordmarkNr. 7 (1935), S. 103.79 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 6(1936), S. 80.

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„Als Sängergauführer Klüßmann ein Telegramm unseres Führersund Reichskanzlers verliest, in dem er den in Hamburg versammeltendeutschen Sängern seinen Dank für die ihm übersandten Grüße aus-spricht, erreicht die Begeisterung ihren Höhepunkt. Nach dem Singendes Liedes der Deutschen und des Horst-Wessel-Liedes beendete einVorbeimarsch der Sänger mit ihren Fahnen vor dem ReichsstatthalterKaufmann die eindrucksvolle Kundgebung.“80

Im Vergleich mit dem Sängerbundesfest in Breslau im Jahr 1937,der „größten Heerschau deutscher Sänger“81, war der DSB-Sängertagin Hamburg nur eine kleine Veranstaltung. In Breslau war der Deut-sche Sängerbund auf dem Höhepunkt seiner gesellschaftlichen Bedeu-tung angelangt. Das Fest war, wie wir gesehen haben, schon im Früh-jahr 1933 auf Wunsch der Politik nach Breslau gelegt worden, waralso von Anfang an auch als nationalsozialistische Propagandaveran-staltung geplant gewesen. Das letzte Fest hatte noch in der Endphaseder Weimarer Republik im Juli 1932 in Frankfurt stattgefunden. Fürden Deutschen Sängerbund stand das gesamte Jahr 1937 unter demEindruck dieser Veranstaltung; die Januarausgabe der DSB-Zeitschriftzierte auf dem Titelblatt ein Foto des Breslauer Doms und große Teileder Publikation in diesem Jahr widmeten sich diesem Ereignis.82 Mit78 Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn wurden zehntausendeSänger und wohl auch deren Familien nach Breslau geschafft, vieleandere reisten auf eigene Faust nach Schlesien; insgesamt vermelde-ten die Organisatoren über 130 000 Anmeldungen (die EinwohnerzahlBreslaus lag zu dieser Zeit bei knapp 630 000 Menschen).83

Bundesführer Meister, offenbar im Wissen um die Gefahren, dieein solcher Ansturm meist männlicher Besucher für eine mittlereGroßstadt wie Breslau mit sich bringen konnte, appellierte noch kurzvor dem Fest in einem mehrere Seiten langen Artikel eindringlich andie „Sängerdisziplin“84, die neben der völkischen Gesinnung und kor-rekten musikalischen Haltung auch die „Zucht in der organisatori-schen Einordnung“85 umfassen sollte. Eine solche brauchte es auch,um das Gelingen eines solchen Massenereignisses sicherzustellen.Auch in Breslau marschierten die Sänger in militärischer Formationmit Fahnen und Bannern in das zu diesem Zweck eigens umgebautenHermann-Göring-Stadion und auf die dahinter liegende Festwiese.

Allein der Ordnungsdienst für die zahlreichen kleineren Konzerteinnerhalb der Stadt umfasste etwa 1000 Personen.86 Den Höhepunktdes Festes bildete die Ansprache Hitlers vom Balkon des hierfür ei-gens errichteten Dirigententurms des Stadions vor einer halben Milli-on begeisterter Menschen.87 Das Sängerfest gehörte damit sicherlichzu den größten Massenveranstaltungen im Dritten Reich und war vonlanger Hand als propagandistische Großveranstaltung geplant. Erst-mals, so bemerkte ein anonymer Autor in der DSB-Zeitschrift, habeeine Reichsregierung durch Unterstützung bei den Vorbereitungen ihrInteresse für den Chorgesang bekundet.88 Die hierdurch unter Beweisgestellte Wertschätzung zahlten die Sänger durch diese eindrucksvolleDemonstration ihrer Zustimmung zum NS-Staat augenscheinlich ger-ne zurück.

80 Ebd., S. 81.81 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 2(1936), S. 21.82 Vgl. Deutsche Sängerbundes-Zeitung,29. Jg. (1937).83 Vgl. Deutsche Sängerbundes-Zeitung28 (1937), S. 385.84 Deutsche Sängerbundes-Zeitung 24(1937), S. 329. 85 Ebd., S. 330.86 Vgl. Deutsche Sängerbundes-Zeitung29 (1937), S. 402.87 Vgl. Deutsche Sängerbundes-Zeitung34 (1937), S. 520. Die Zahl erscheint inAnbetracht der fotografischen Quellendurchaus realistisch.

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Krieg und Gesang. Den Zenit seiner gesellschaftlichen Bedeutung hatteder organisierte Männergesang in Deutschland mit dem BreslauerFest erreicht. Die Mitgliederzahl des Deutschen Sängerbundes stiegseit 1933 stetig und es ist davon auszugehen, dass sich auch die Mit-

Deutsche Sängerbundes-Zeitung Heft 34,Titelbild: Führer schüttelt die Hände ver-zückter Frauen.

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gliedstruktur des Verbandes verjüngte. Dennoch dominierten immernoch ältere Herren, vorzugsweise mit Fronterfahrung aus dem Ers-ten Weltkrieg, das Verbandsleben. Im Jahr 1939 waren diese also inihrer Mehrzahl deutlich zu alt für eine Verwendung imKriegsdienst.89 Den Gesangvereinen wurde dennoch eine kriegs-wichtige Rolle für die Motivation der Soldaten und der Bevölkerungzugewiesen, indem die Chöre „die Verbindung zwischen der singen-den Front und der singenden Heimat aufrechtzuerhalten und zu stär-ken“90 hatten. Mit der Durchführung von Konzerten mit nationalisti-schem Liedgut und dem so genannte Lazarettsingen, bei dem Män-nerchöre zur Erbauung von verwundeten Soldaten auftraten, erfüllteder Sängerbund diese Rolle.

Für die Kriegsjahre, genauer gesagt ab dem Jahr 1941, liegen fürden Sängerbund Nordmark nun erstmals Quellen aus der Organisati-onsspitze vor, nämlich die Protokolle der Vorstandssitzungen. Ande-re Quellen wie die in diesem Aufsatz schon oft angeführte Verbands-zeitschrift sind zwar vorhanden, wurden aber vor dem Hintergrundder Kriegswirtschaft in ihrem Umfang stark eingeschränkt und be-standen spätestens ab dem Jahr 1943 aus etwa vier Seiten pro Aus-gabe, die meist mit Durchhalteparolen, der Ehrung umgekommenerSängerbrüder und der Dokumentation der wenigen noch durchge-führten Chorveranstaltungen gefüllt wurden. Ab dem Jahr 1942 be-gann man außerdem in einer regelmäßigen Kolumne, die von denVereinen eingesendeten Programme auszuwerten und eine Liste derim Sängerbund aufgeführten Lieder zu dokumentieren, wobei dezi-diert nationalsozialistisches Liedgut einen nennenswerten, aber beiWeitem nicht dominierenden Anteil ausmachte. Im Wesentlichenwurden die bekannten Volkslieder patriotischer Ausrichtung undklassische Chormusik vorgetragen.91 Darüber hinaus nahm das En-gagement der Sänger im Winterhilfswerk und im Hilfswerk des Ro-ten Kreuzes breiten Raum bei den Vorstandssitzungen und damitwohl auch in der Tätigkeit der Gesangvereine ein.

Schon früh hatte sich Sängergauführer Wilhelm Klüßmann zurWehrmacht gemeldet und war dort, seinem fortgeschrittenen Alterund seiner beruflichen Tätigkeit als Verwaltungsbeamter gemäß, imOffizierslager in Lübeck tätig.92 Aufgrund dieser Einberufung muss-te Klüßmann seine Tätigkeit als Gauführer des Gesangverbandeszeitweise ruhen lassen, schaffte es jedoch dennoch, bei den monat-lich abgehaltenen Vorstandssitzungen anwesend zu sein. Auch wenndie Tätigkeit des Verbandes durch den Krieg stark eingeschränktwar, ließ man sich von den Widrigkeiten „im Abwehrkampf gegeneine Welt von Feinden“93 nicht sonderlich beeindrucken. So tagteder Vorstand schon einen Monat nach den massiven Luftangriff aufLübeck am Palmsonntag 1942 in unmittelbarer Nähe der Altstadt inder Privatwohnung Klüßmanns, die offenbar weitgehend unbeschä-digt geblieben war. Im Jahr 1943 beteiligten sich die Gesangvereineauf Anweisung des Vorstandes an den Feierlichkeiten zum 10. Jah-restag der Machtübernahme, der Vorstand trat aber ab 1943 nur nochunregelmäßig zusammen. Im November 1943 tagte der letzte

88 Vgl. Deutsche Sängerbundes-Zeitung32/33 (1937), S. 480.89 Im Jahr 1941 waren im SängergauNordmark 666 Vereine mit 13395 Sän-gern und 621 Sängerinnen registriert, da-von versahen 3725 Sänger und eine Sän-gerin Kriegsdienst. Diese Daten wurden er-hoben, weil mit der Einberufung die Bei-tragspflicht erlosch. Vgl. Archiv des SSH,Protokolle Mai 1941-April 1952, 79.Gauführerratssitzung am 10. Mai 1941,S. 3.90 Sängerzeitung Nordmark Nr. 10(1940), S. 55. Die kursiven Hervorhebun-gen sind im Original gesperrt abgedruckt.91 Vgl. Sängerzeitung Nordmark Nr. 2(1942), S. 6 sowie die folgenden Ausga-ben.92 Vgl. Stadtarchiv Lübeck 02.07, DENA-Akte 12969, Wilhelm Klüßmann. Das Offi-zierslager XC war ein Lager, in dem franzö-sische, belgische und später polnische Offi-ziere untergebracht waren, vgl. hierzuHoch, Gerhard: Offizierslager XC. In: Hoch,Gerhard/Schwarz, Rolf (Hg.): Verschlepptzur Sklavenarbeit. Kriegsgefangene undZwangsarbeiter in Schleswig-Holstein. Al-veslohe und Nützen 1985, S. 59-68, hierS. 61.93 Archiv des SSH, Protokolle Mai 1941-April 1952, 87. Gesamtgauführerschafts-sitzung am 23. Mai 1943, Rede des stellv.Sängergauführers Busse.

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Gausängertag in der Aula der Lübecker Oberschule am Falkenplatz.Klüßmann beschwor die Sänger, „durch die Pflege des Liedes zurStärkung der inneren Front beizutragen, versehrte und erkrankteSoldaten und angriffsbetroffene Volksgenossen durch das Lied zuerfreuen und zu stärken bis zum deutschen Endsieg.“94 Danach er-folgte die genannte Abtrennung der Gebiete Hamburgs und Meck-lenburgs aus dem Sängergau; die Verbandstätigkeit kam spätestensab dem Jahr 1944 weitgehend zum Erliegen.

Bruchloser Übergang. „Der Zweite Weltkrieg zerstörte alles“95; gemeintwar mit dieser Aussage weder das Deutsche Reich noch die Lebenvon zig Millionen Menschen, sondern die Ergebnisse jahrelangerArbeit in den Gesangvereinen, die auf dem Nordmark-Liederfestvon 1935 den Beweis für den hohen Leistungsstand der Chöre er-bracht hatten. Dies und der Hinweis auf die Absonderung Hamburgsund Mecklenburgs sind die einzigen Informationen, die der Fest-schrift des Sängerbundes Schleswig-Holstein zu seinem 125-jähri-gen Bestehen aus dem Jahr 1987 über die Jahre zwischen 1933 und1945 zu entnehmen sind. Während ein beträchtlicher Teil dieserFestschrift der Verbandsgeschichte gewidmet ist, wird der National-sozialismus und der von Deutschland angezettelte Krieg als ein ex-ternes Ereignis präsentiert, das über die vermeintlich unpolitischenSänger schicksalhaft hereinbrach.96 Auch wenn es sich letztlich wohlnur um unglückliche Formulierungen handelt, sind sie doch als sym-ptomatisch für den Umgang mit der Vergangenheit zu nehmen, wieer lange Zeit nicht nur im Sängerbund Schleswig-Holstein vor-herrschte. Autor dieses Abschnitts der Verbandsgeschichte, die nochim Jahr 1987 unkommentiert übernommen wurde, war der 1963 ver-storbene Ehrenchorleiter des Sängerbundes Schleswig-HolsteinHermann Fey, jener ehemalige Bundeschorleiter, der das Nordmark-Liederfest von 1935 an vorderster Stelle geprägt und unter das Mot-to „Musik, Blut und Boden“97 gestellt hatte. Zusammen mit demebenfalls 1963 verstorbenen Klüßmann war Fey eines von zwei inder genannten Festschrift besonders geehrten Mitgliedern. Darüberhinaus hatte der Lübecker Musiklehrer und ehemalige Freimaurerauch die Lübecker Singschule gegründet und ihr viele Jahre vorge-standen und er war es auch, der das Archiv des Sängerbundes be-gründete, aus dem ein Gutteil der für diesen Aufsatz verwendetenQuellen stammt.98 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang wei-terhin, dass die Protokolle des Verbandsvorstandes nach der Neu-gründung des SSH einfach in derselben Akte mit der Aufschrift„Sängergau V Nordmark“ weitergeführt wurden und zu einem spä-teren Zeitpunkt gemeinsam in einem Aktenordner abgeheftet wur-den.99

Der deutschnationale Verwaltungsbeamte Klüßmann, der sichnoch mit 60 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst meldete, baute abdem Jahr 1948 den Schleswig-Holsteinischen Sängerbund wiederauf und blieb bis 1955 dessen Vorsitzender. Der weitgehend bruch-lose Übergang, der schon für das Jahr 1933 konstatiert werden konn-

94 Ebd., Verhandlungsniederschrift überden 16. (ordentlichen) Sängertag des Sän-gergau V Nordmark e.V. am 26. November1943, S. 1.95 125 Jahre Sängerbund Schleswig-Hol-stein. Festschrift. Norderstedt 1987, S. 8.96 Vgl. ebd.97 Sängerbundeszeitung Nordmark Nr. 3(1935), S. 35.98 Die Mitgliedschaft in der Lübecker Frei-maurerloge „Zur Weltkugel“ hatte langeFeys Karriere im nationalsozialistischenDeutschland behindert. Auch wenn er indie NSDAP aufgenommen wurde, hatte erSchwierigkeiten, die Beförderung zum Stu-dienrat zu erhalten. Vgl. Stadtarchiv Lü-beck 04.04-0/1, Sign. 857, Singschuleam Lübecker Staatskonservatorium,Schreiben Dr. Wolf an Hermann Fey vom10.10.1938. Vgl. auch Stadtarchiv Lü-beck 02.07., DENA-Akte 4053, HermannFey, maschinenschriftliche Anlage zum Per-sonalbogen Fey.99 Vgl. Archiv des SSH, Protokolle Mai1941-April 1952.

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te, fand auch nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismuswieder statt. Dies entsprach völlig der Selbstwahrnehmung der Sän-ger, zugleich Teil einer unpolitischen und patriotischen Vereinigungzu sein.

Während Fey und Klüßmann heute weitgehend vergessen sind,wird der ehemalige Schriftführer des Sängergaus und damit Heraus-geber und Hauptautor der Sängerzeitung John Julia Scheffler nochheute durch den Hamburger Chorverband als herausragende Persön-lichkeit gewürdigt.100 Dies liegt unter anderem in seiner langjährigenTätigkeit als Chorleiter des Hamburger Gesangvereins Adolphinabegründet. Daneben war er als Komponist deutschnationaler Chor-musik tätig und verfasste einen Großteil der in diesem Aufsatz zi-tierten Texte aus der Sängerzeitung, unter anderem den Leitartikelder Juli-Ausgabe 1940, in dem er – wohl unter dem Eindruck derKriegserfolge – Hitler als eine „der genialsten Gestalten aller Zeitenund Welten“101 würdigte. Scheffler starb im März 1942 und entgingdamit wohl einer eingehenderen Ehrung im Sängerbund Schleswig-Holstein.

Ab den 1960er Jahren konnte das bis dahin in den Gesangverei-nen gepflegte deutschtümelnde Liedgut nicht mehr dieselbe Breiten-wirkung entfalten wie in den 150 Jahren zuvor.102 Ein Grund hierfürdürfte neben dem verlorenen Weltkrieg die zumindest teilweiseZurückdrängung überkommener Männlichkeitsrituale durch eineverstärkte Beteiligung von Frauen in den Vereinen und in den Ver-bänden gewesen sein. Dass mit dieser Abkehr von völkischem Lied-gut zumindest bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nur bedingt eineProblematisierung des „Männergesangvereins“ als sozialem Phäno-men verbunden war, zeigen die in diesem Kapitel angeführten Zita-te.

100 Vgl. http://www.chorverband-ham-burg.de/?page_id=668, aufgerufen am13.06.2013.101 Sängerbundzeitung Nordmark Nr. 7(1940), S. 37.102 Vgl. Klenke, Dietmar: Der singende„deutsche Mann“. S. 198-201.

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Literaturverzeichnis

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Ungedruckte Quellen:Archiv des SSH:– Protokolle Mai 1941-April 1952– Tätigkeitsberichte des Sängerbundes Nordmark e. V., 1933-1945Stadtarchiv Flensburg:– Bestand XII V Sän, Sängerbund NordmarkStadtarchiv Lübeck:– Bestand 02.07, Entnazifizierungsausschuss: DENA-Akte 4053

(Hermann Fey) und DENA-Akte 12969 (Wilhelm Klüßmann)– Bestand 04.04.-0/1, Schulverwaltung, Amt für Schulwesen, Sig-

natur 857: Singschule am Lübecker Staatskonservatorium

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