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Priraslomnaja2013
BarentsseeKarasee
Goliat2014Goliat2014Snøhvit2006
Sleipner1974/81
Magnus1983
Ekofisk1971
NO
VAY
YAZE
MLYA
RUSSLAND
NORWEGEN
GROSSBRITANNIEN
Zur Öl-/Gasförderung ausgeschriebene Gebiete Öl-/Gasvorkommen Förderanlagen (Auswahl), Abbaubeginn
SVALBARD
0 m
–1000 m
–2000 m
–3000 m
–4000 m
–5000 m
–6000 m
–7000 m
Santos-Becken, Brasilien Golf von Mexiko NordseeLula-Ölfeld Macondo-Ölfeld Magnus-Ölfeld
Zur Förderung von Öl und Gas werden fortlaufend neue Offshore-Gebieteerschlossen, die jedoch immer höhere Anforderungen an die Fördertechnologiestellen. Derzeit beherrschen zwei Trends das Feld:Zum einen werden Lagerstätten in immer grösserer Tiefe in Betracht gezogen,etwa die Vorräte im Santos-Becken vor Brasilien. Dort liegt das Öl unter gut2000 Metern Wasser und weiteren 5000 Metern Sediment und Salzschichten.Zum andern dringen die Bohrplattformen nun in arktische Gewässer vor. In derBarentssee sind bereits erste Anlagen in Betrieb, dort und in der Karasee sollenbald neue Bohrinseln hinzukommen.
NZZ-INFOGRAFIK / tcf.
1000 Kilometer
Vorstoss in Tiefsee und ArktisVor Brasilien und in den arktischen Gewässern liegen grosse Ölvorkommen. Deren Abbau ist allerdings technisch schwierig und nicht ohne Risiko.
Sedimente
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56 Mittwoch, 26. Februar 2014 ! Nr. 47FORSCHUNG UND TECHNIKNeuö Zürcör Zäitung
Vergangenheit und Zukunftdes Software-Engineerings Seite 54
Eine verbesserte Wundheilungdank Bioengineering Seite 55
Auswirkungen eines Eisenmangelsauf die Blutplättchen Seite 55
Wie Wissenschafter eineGalileo-Fälschung entlarvten Seite 55
Tiefer, kälter, riskanterBohrinseln in der Tiefsee und in der Arktis machen die ohnehin riskante Offshore-Ölförderung noch komplexer
Fast vier Jahre nach der Havarieder «Deepwater Horizon» machtdie Erdölindustrie so weiter wiebis jetzt: Mit neuen Bohrinselndringt sie in die Tiefsee und inarktische Gewässer vor. Dortsind die Risiken für die Umweltnoch grösser als bis anhin.
Karl Urban
Das Inferno begann um 21 Uhr 49 am20. April 2010: Schlamm, Erdöl undErdgas strömten durch die Macondo-Bohrung an die Oberfläche, innert Se-kunden entzündete sich das Gemisch.Eine Stichflamme schoss über 70 Meterhoch in den Himmel. Auf der Brücke in-des herrschte Verwirrung – der Kapitänder Bohrinsel zögerte minutenlang, be-vor er den Blowout-Preventer auslöste,der normalerweise den Ölstrom gegenenormen Druck zurückhalten kann.
Der Blowout-Preventer versagte.Um 22 Uhr 00 verliessen 115 Menschendie brennende Ölbohrinsel «DeepwaterHorizon», 17 von ihnen verletzt. Nur 35Stunden später sank die Bohrinsel, 11Arbeiter waren ums Leben gekommen.Die wahre Katastrophe aber hatte daerst begonnen: In den darauffolgendenfünf Monaten flossen über vier Millio-nen Barrel Erdöl aus dem Bohrloch inden Golf von Mexiko. Es war die grössteÖlpest in der Geschichte der USA.
Vernichtende BilanzNach dem Untergang der «DeepwaterHorizon» im Golf von Mexiko benann-ten Untersuchungsberichte eine ganzeKette von Ursachen für das Unglück:Das Bohrloch sei nicht ausreichend mitZement abgedichtet, merkwürdigeMesswerte im Bohrloch ignoriert wor-den. Dazu das Versagen des Blowout-Preventer mitsamt seinem Notsystem.Und selbst nach der Explosion habe derKapitän auf seine zögerlichen Vorge-setzten an Land gewartet, anstattschnell zu agieren.
Der staatliche Bericht für PräsidentObama fällte entsprechend ein vernich-tendes Urteil: Es hätten sich so systema-tische Probleme im Umgang mit demRisiko gezeigt, dass die Sicherheits-kultur der gesamten (Erdöl-)Industrieinfrage gestellt werden könne. Selbst dieBP-eigene Untersuchungskommissiongab freimütig zu: Eine Verkettung un-sachgemäss eingesetzter Technik undFehlentscheidungen des Personals aufmehreren Ebenen hätten zu dem Un-glück geführt. Nur dadurch habe einbranchenübliches, achtstufiges Sicher-heitssystem versagen können.
Ungeachtet des Schicksals der«Deepwater Horizon» strebt die Erdöl-förderung nicht einmal vier Jahre späternach neuen Superlativen – und das nichtnur im Golf von Mexiko: Dort soll dasÖlfeld Stones vor New Orleans, nur 400Kilometer von der ehemaligen «Deep-water Horizon» entfernt, die Erdöl-bohrung in der bis heute grössten Was-sertiefe werden. Spätestens ab 2016 willder Erdölkonzern Shell hier fördern.Mit 2900 Metern ist der Ozean amStones-Standort fast doppelt so tief wieam Macondo-Ölfeld. Und schon dorthatten die Ingenieure wegen des hohenWasserdrucks über fünf Monate ge-braucht, um das Leck am Bohrloch der«Deepwater Horizon» abzudichten.
Noch ehrgeiziger sind die sogenann-ten ultratiefen Bohrungen, die Brasi-liens Regierung plant: 200 Kilometervor Rio de Janeiro liegt mit über fünfMilliarden Barrel das grösste Ölvor-kommen des Landes. Diese sogenannte«Pré-Sal-Formation» gilt als technischanspruchsvoll, liegt sie doch unter 5000Metern Gestein und dicken Lagen Salz,über denen sich wiederum weit über2000 Meter Atlantikwasser türmen. Bis
heute sprudeln Öl und Gas erst aus eini-gen wenigen Bohrungen – bis 2020 dürf-ten Hunderte hinzukommen. Bis dahinwill die staatliche Ölgesellschaft Petro-bras mit internationalen Partnern Hun-derte Milliarden US-Dollar investieren,um das Ölfeld zu einem der grösstenOffshore-Fördergebiete der Welt zumachen.
Ehrgeizige PläneSo weit vor der Küste stehen Ingenieurevor neuen Herausforderungen, dennder Betrieb von Pipelines, die Öl undGas an Land bringen, wäre hier zuteuer. Deshalb verarbeiten umgebauteRiesentanker das Öl direkt an Bord.Auf kleinere Tanker verladen, werdendie Rohstoffe an Land gebracht. Das istriskant, können Tanker doch durchschlechtes Wetter leichter beschädigtwerden und dabei leckschlagen.
Noch abenteuerlicher wirken die ers-ten Schritte in die Arktis. Der geologi-sche Dienst der USA schätzt, dass nörd-lich des Polarkreises rund 13 Prozentaller förderbaren und bisher unbekann-ten Ölreserven sowie 30 Prozent derErdgasvorräte lagern. Deshalb bereitetRusslands Staatsunternehmen Gazpromseit dem Frühjahr 2013 eine erste Bohr-insel, die «Priraslomnaja», für die Öl-förderung in der Petschorasee vor. Um-weltschützer reagierten mit heftigemProtest: Im September 2013 kreuzte derEisbrecher der Greenpeace, die «ArcticSunrise», durch die Gewässer, Aktivis-ten versuchten, die Plattform zu betre-ten und dort gegen die Bohrarbeiten zuprotestieren – und wurden für Monateinhaftiert. Nur dank laxen Auflagenvonseiten des Staates könne Gazpromüberhaupt in die raue Umwelt des Nord-meers vorpreschen, sagt Greenpeace.Die Aktivisten sind überzeugt, dass
Bohrungen in der Arktis unausweichlichzu einer Ölpest führen werden. Gaz-prom wolle allfällige Ölteppiche mit dengleichen Mitteln bekämpfen, die in war-men Gewässern zum Einsatz kommen –dabei sei das bei der dicken Eisdecke,die acht Monate im Jahr die Petschora-see bedeckt, gar nicht möglich.
Die Ölfirmen dagegen argumentie-ren, dass sie sich schon immer an stetsneue Anforderungen anpassen mussten.Im Kaspischen Meer etwa schüttetenArbeiter schon seit langem Sandwälleauf, um nahende Eisschollen abzubrem-sen – eine Methode, die nun auch rundum «Priraslomnaja» zum Einsatz kom-men soll. Gazprom hält seine neueBohrinsel für sicher: Anders als die«Deepwater Horizon» arbeite diesenicht in der Tiefsee, sondern sitze aufdem nur 20 Meter tiefen Meeresbodenauf. Bei starkem Seegang werde dasVerladen von Öl automatisch unterbro-
chen. Für den Notfall seien in der Nähezwei Eisbrecher mit Ölsperren und Ret-tungsgerät stationiert.
Russlands erste kommerzielle Bohr-insel liegt allerdings noch in vergleichs-weise einfachen Gewässern nahe derKüste. Noch rauer sind die Bedingun-gen in der weiter östlich gelegenenKarasee, für die sich Erdölfirmen längstauch interessieren. Hier driften fast 10Monate im Jahr Eisschollen umher undverschmelzen zu weiten Packeisdecken.Trotzdem untersuchten auch hier kürz-lich drei Ölfirmen mit seismischen Me-thoden den Untergrund: RusslandsRosneft gemeinsam mit NorwegensStatoil und Eni aus Italien. Bis 2015 sol-len die ersten Bohrungen erfolgen.
Bohrinseln einfach auf den Grund zusetzen und mit Wällen zu umgeben,dürfte in grösseren Tiefen aber nichtmehr funktionieren: So etwas sei nur imFlachwasser möglich, erläutert SteffenBukolt. Er ist Leiter des Hamburger Be-ratungsunternehmens Energy-Com-ment, das unter anderem die arktischeÖlindustrie kritisch beobachtet. Zwargebe es mit schwimmenden Bohrinselnin tiefem Wasser die Möglichkeit, demEis auszuweichen. Das ist Shell im letz-ten Jahr sogar noch bei einem kilo-meterlangen Packeisfeld vor Alaska ge-lungen. Laut Bukolt sind solche Manö-ver aber kaum noch zu schaffen, wennsich das Packeis erst einmal weiträumigausgebreitet habe. Dann sei die Bohr-insel bald gar nicht mehr auf dem See-weg erreichbar.
Ein Unglück wie bei der «DeepwaterHorizon» wäre in der Arktis fatal. Wäh-rend im Golf von Mexiko innert Tagenetliche Spezialschiffe und Unterwasser-roboter bereitstanden und bis zu 45 000Menschen bei der Beseitigung des ange-schwemmten Öls halfen, ist eine ständigverfügbare Einsatzgruppe in der Arktiskaum im gleichen Massstab möglichund deutlich teurer. Selbst bei idealerWitterung können einige Tage verge-hen, bis Helfer eintreffen.
Verschärfte EU-RichtlinienGänzlich spurlos ist die Havarie der«Deepwater Horizon» dennoch nicht ander Ölindustrie vorbeigegangen. DieEuropäische Union verschärfte infolgedes Unglücks ihre Vorschriften: Lauteiner Richtlinie vom Mai 2013 müssenÖlfirmen jetzt nachweisen, im Havarie-fall entstehende Schäden technisch undfinanziell beseitigen zu können. Damitnähere sich die EU norwegischen Stan-dards an, die als die striktesten der Weltgelten, sagt Jan Erik Vinnem, Professoran der Universität Trondheim und Ex-perte für die Sicherheitstechnik vonOffshore-Anlagen. Die strengen Auf-lagen der Norweger und der fallendeÖlpreis verhindern derzeit, dass Öl-firmen in die Barentssee nördlich vonNorwegen vorpreschen. Obwohl dasErdöldirektorat des Landes dort schonseit Jahren Fördergebiete ausschreibt,liegen nur 8 von 65 Bohrlizenzen, umdie sich die Ölförderer dieses Jahr be-werben, in diesem vergleichsweise war-men arktischen Nebenmeer.
Nicht nur die Behörden haben aus denFehlern von 2010 gelernt: So haben sichin der Nordsee tätige Förderunterneh-men zusammengeschlossen, um dort beieiner Havarie schnell über 3000 Helfermobilisieren zu können. Schliesslich zei-gen die bis heute laufenden Gerichtspro-zesse gegen BP und deren Subunterneh-mer, dass schon eine einzelne Havariewie die der «Deepwater Horizon» über20 Milliarden US-Dollar kosten kann.
Neue Bohrinseln in der Tiefsee undin der Arktis machen nun die ohnehinriskante Offshore-Ölförderung nocheinmal komplexer. Dass ein Unglückhier nicht nur wahrscheinlicher, son-dern auch noch weniger beherrschbarist, daran ändern leider auch neueSicherheitsauflagen nichts.
Tiefer, kälter, riskanter