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Elf Stunden Medienkonsum pro Tag! Mit diesem Fazit neuster Forschungen führte ein Gruppenleiter die Jugend- lichen ins Thema ein. Fast den halben Tag verbringen Jugendliche heutzuta- ge mit verschiedenen Medien wie Fa- cebook oder Fernsehen. Diese Tatsa- che erschreckte die Anwesenden und entfachte eine Diskussion über Chan- cen und Gefahren des stetig wachsen- den Medienkonsums. Medien nicht mehr wegzudenken „Früher sagten mir meine Eltern, wie viel Zeit ich mit elektronischen Medien verbringen soll, heute weiss ich es sel- ber“, sagte eine der Jugendlichen. Eine andere konterte: „Aber viele können gar nicht mehr ohne, oder eigentlich – fast alle.“ Ähnlich wie in diesem Fall äusserten die Teenager ihre verschie- denen Meinungen und wogen sie ge- geneinander ab. In der zweiten Runde konnten sie dann direkt mit Grossrä- tinnen und Grossräten (Mitgliedern des Berner Kantonsparlamentes) ver- handeln. Demokratie hinkt hinterher SP-Grossrätin Andrea Lüthi gab zu Bedenken: „Unsere Demokratie ist zu langsam, um dem technischen Fort- schritt nachzukommen.“ SVP-Grossrat Gerhard Fischer ergänzte, dass darum Medien im Fokus Am 8. Berner Jugend-Grossrat-Tag debattierten Jugendliche mit Grossrätinnen und Grossräten über das Thema „Medien – Chance oder Missbrauch“. Sie stellten fest, dass Nutzen und Gefahr von Fa- cebook und Co. nah beieinander liegen. Diana Berdnik die Selbstkontrolle im Bezug auf Me- dienmissbrauch das A und O sei. Ei- ner der Jugendlichen wollte daraufhin wissen, wie man denn nun vorgehen solle, denn er stelle fest, dass in der Runde alle aufgeklärt seien. EVP-Gros- srat Marc Jost beschrieb einen Ansatz, mit dem er bisher gute Erfahrungen gemacht habe: „Private Institutionen wie Vereine sollen Kurse anbieten, um Eltern und Kinder zu sensibilisieren.“ Das soziale Netz würde von der Politik gestrickt. Für jene, die durch dieses Netz durchfallen, gäbe es dann die Ge- setze. Downloads, Social Networks, Youtube, Videoüberwachung: Das sind Themen, die die Jugendlichen beschäftigen und für die sich in absehbarer Zukunft auch die „alten Hasen“ im Grossen Rat ein- setzen werden. 8. Berner Jugend-Grossrat-Tag Elf Stunden Medienkonsum pro Tag

Tink.ch-Magazin 15: 8. Berner Jugendgrossratstag

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Magazin zum 8. Berner Jugendgrossratstag 2010 mit dem Thema "Medien im Fokus"

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Page 1: Tink.ch-Magazin 15: 8. Berner Jugendgrossratstag

Elf Stunden Medienkonsum pro Tag! Mit diesem Fazit neuster Forschungen führte ein Gruppenleiter die Jugend-lichen ins Thema ein. Fast den halben Tag verbringen Jugendliche heutzuta-ge mit verschiedenen Medien wie Fa-cebook oder Fernsehen. Diese Tatsa-che erschreckte die Anwesenden und entfachte eine Diskussion über Chan-cen und Gefahren des stetig wachsen-den Medienkonsums.

Medien nicht mehr wegzudenken„Früher sagten mir meine Eltern, wie viel Zeit ich mit elektronischen Medien verbringen soll, heute weiss ich es sel-ber“, sagte eine der Jugendlichen. Eine

andere konterte: „Aber viele können gar nicht mehr ohne, oder eigentlich – fast alle.“ Ähnlich wie in diesem Fall äusserten die Teenager ihre verschie-denen Meinungen und wogen sie ge-geneinander ab. In der zweiten Runde konnten sie dann direkt mit Grossrä-tinnen und Grossräten (Mitgliedern des Berner Kantonsparlamentes) ver-handeln.

Demokratie hinkt hinterherSP-Grossrätin Andrea Lüthi gab zu Bedenken: „Unsere Demokratie ist zu langsam, um dem technischen Fort-schritt nachzukommen.“ SVP-Grossrat Gerhard Fischer ergänzte, dass darum

Medien im Fokus

Am 8. Berner Jugend-Grossrat-Tag debattierten Jugendliche mit Grossrätinnen und Grossräten über das Thema „Medien – Chance oder Missbrauch“. Sie stellten fest, dass Nutzen und Gefahr von Fa-cebook und Co. nah beieinander liegen. Diana Berdnik

die Selbstkontrolle im Bezug auf Me-dienmissbrauch das A und O sei. Ei-ner der Jugendlichen wollte daraufhin wissen, wie man denn nun vorgehen solle, denn er stelle fest, dass in der Runde alle aufgeklärt seien. EVP-Gros-srat Marc Jost beschrieb einen Ansatz, mit dem er bisher gute Erfahrungen gemacht habe: „Private Institutionen wie Vereine sollen Kurse anbieten, um Eltern und Kinder zu sensibilisieren.“ Das soziale Netz würde von der Politik gestrickt. Für jene, die durch dieses Netz durchfallen, gäbe es dann die Ge-setze.

Downloads, Social Networks, Youtube, Videoüberwachung: Das sind Themen, die die Jugendlichen beschäftigen und für die sich in absehbarer Zukunft auch die „alten Hasen“ im Grossen Rat ein-setzen werden.

8. Berner Jugend-Grossrat-Tag

Elf Stunden Medienkonsum pro Tag

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Verlieren wir an Freiheit?Ohne dass wir es merken, werden wir mehrmals täglich gefilmt. Am Morgen an der Bushaltestelle, in der Pause auf dem Schulhof, am Abend in der Disco. Ob uns die Videokameras ein Stück Freiheit neh-men, darüber waren sich auch Teilnehmende des Jugend-Grossrat-Ta-ges nicht einig. Luzia Tschirky

„Ich möchte kein Roboter sein, der nach Staatsgesetzen läuft.“ „Wenn du nichts zu verbergen hast, muss es dich nicht stören, wenn du von einer Video-kamera überwacht wirst!“

Videoüberwachung betrifft alle. Neun Jugendliche aus der Stadt Bern sitzen um den grossen Tisch und debattieren über das Thema „Neue Medien“. Die zunehmende Videoüberwachung be-wegt die Gemüter am stärksten. Geg-ner und Befürworter versuchen einan-der zu überzeugen.

Überwachte PausenplätzeDie meisten Jugendlichen sind durch ihre Schulen in Kontakt gekommen mit Videokameras. Es scheint Mode zu sein, die Schülerschaft auf dem Pau-senplatz zu filmen. Man hofft, dass es auf überwachten Plätzen zu weni-ger Vandalismus und Schlägereien kommt. Dem steht aber die Hälfte der Jungendlichen kritisch gegenüber. „Wie nötig ist es, an einer Schweizer Schule eine Videokamera zu installie-ren?“, fragt eine Jugendliche. Mit den Kameras möchte man für mehr Sicher-heit sorgen.

Sicher, Sicherer, Schweiz?Viele Medien berichten täglich über Gewalt in der Schweiz. Es verwundert

nicht, dass sich manche Menschen we-niger sicher fühlen als früher. In den letzten Jahren kommen gewisse Straf-taten tatsächlich häufiger vor. Dies zeigt die jährliche Kriminalitätsstati-stik der Polizei. Seit 1997 sind zum Bei-spiel jedes Jahr mehr Anzeigen wegen Körperverletzung eingegangen. An-dere Straftaten kommen aber immer seltener vor, wie zum Beispiel Raubü-berfälle. Allein durch Zahlen lässt sich nicht sagen, wie sicher die Schweiz ist. Am Ende ist entscheidend, wie sicher sich die Einwohner fühlen. Die Befür-worter der Videoüberwachung sind sich einig, dass die Schweiz eigentlich ein sicheres Land ist. „Es findet aber eine negative Entwicklung in der Ge-sellschaft statt“, sagt einer der Teil-nehmer.

Mehr Sicherheit, weniger AbfallEr berichtet von Abfallbergen in der Schulmensa. „Seit Videokameras auf-gestellt worden sind, lassen viel weni-ger Leute ihren ‚Chüder’ liegen.“ Aziz Zulauf von den jungen Grünen ent-gegnet: „Mit Videokameras löst man Probleme nicht, sondern schiebt sie weg.“ Diese Befürchtung teilen viele Gegner der Videokameras. Man stellt die Videokameras vor allem da auf, wo es oft zu Schlägereien und Vanda-lismus kommt. Zu diesen sogenannten «neuralgischen» Orten gehören nebst Schulhäuser auch Bahnhöfe, Bushal-testellen und Parkanlagen. Auch der Bahnhof Bern ist seit Kurzem videoü-berwacht. Für diese Überwachung ist

feature

Das ist nicht die neue Zugbeleuchtung der SBB, sondern eine Videokamera. Fotos: SBB

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aber nicht die Stadt zuständig, son-dern die SBB. Die SBB sagt, sie habe bisher gute Erfahrungen gemacht mit Videoüberwachung. Die Leute fühl-ten sich sicherer und es gebe weniger Sachbeschädigung in videoüberwach-ten Zügen.

Meine Freiheit, deine SicherheitWarum man sich durch Kameras weni-ger frei fühlen kann, versteht einer der Teilnehmenden gar nicht. „Warum soll eine Videokamera ein Einschnitt in die Privatsphäre sein?“, fragt er sich. Für andere ist klar, weswegen die Video-

kameras ihnen Freiheit nehmen: „Ich weiss nicht mehr, wo und wann ich ge-filmt werde. Gehe ich in ein Geschäft, akzeptiere ich, gefilmt zu werden. Aber auf einer öffentlichen Strasse kann ich mich nicht dazu entscheiden.“

Jugendliche verbringen heute ihre ge-samte Freizeit mit elektronischen Me-dien. Dabei kommen sie mit ungeeig-neten Inhalten in Kontakt. Die Eltern wissen oft zu wenig über Computer. Sie sind sich nicht über die möglichen Gefahren bewusst, oft unterschätzen sie diese schlicht. Insbesondere gilt das für die heute extrem realistischen Computergames.

Kinder und Jugendliche total von den neuen Medien zu trennen, kann nicht erfolgreich funktionieren. Denn gerade das, was verboten ist, soll ja besonders interessant sein. Die Jugendlichen sind aber klar für eine Einschränkung in den Bereichen, wo Suchtgefahr be-steht.

LösungsansätzeGemeinsam mit Mitgliedern des Gros-sen Rats erarbeiteten die Jugendlichen Lösungsansätze. Ihrer Ansicht nach sollen vor allem die Eltern konsequent miteinbezogen und sensibilisiert wer-den. Dafür gibt es heute schon Kur-se, die Eltern über die neuen Medien informieren. Sie sind aber schlecht

Suchtgeneration Die Arbeitsgruppe Oberland beschäftigte sich mit der Suchtproblema-tik. Sucht ist durchaus kein neues Thema, sondern ein Generationen-problem. Einzig die Medien unterlaufen einem Wandel. Zusammen suchten Jugendliche und Mitglieder des Grossen Rats nach möglichen Lösungsansätzen. Julian Stiefel

besucht. Eine Möglichkeit sind auch obligatorische Informationsveranstal-tungen. Denn gerade die mit Medien-sucht konfrontierten Eltern erscheinen nicht an Kursen, die freiwillig sind.

Die Diskutierenden fragten sich, wieso bis heute wenig erreicht wurde, trotz der Lösungsansätze. Die Schwierigkeit liegt vor allem in der flächendeckenden Durchführung von obligatorischen Kursen. Die dafür zuständigen Dien-ste sind überlastet. Theoretisch könnte sich das Problem früher oder später auch selbst lösen: Die heutige Jugend, welche die nächste Generation erzie-hen wird, kennt sich allgemein besser aus mit neuen Medien.

Einst gab es RadiosuchtGrossrat Christoph Grimm von den Grünen fragte, ob eine Diskussion über dieses Thema wirklich wichtig für unsere Gesellschaft sei. Er erzählte von den verschiedenen Suchtformen, die durch den technischen Fortschritt entstanden sind. Vor langer Zeit gab es gar die Radiosucht. Dann kamen Fern-sehsucht, Handysucht und Computer-

sucht auf. Das Beispiel der Radiosucht verstanden viele der Jugendlichen nicht. Heute würde schliesslich nie-mand mehr einen „Radiokompetenz-kurs“ besuchen.

Um Kurse und Informationsveran-staltungen erfolgreich durchzuführen, müssen verschiedene Parteien mithel-fen. Christoph Grimm sieht die Aufgabe bei den Elternräten. Diese versäumen die Aufgabe aber. Mediensucht und -kompetenz sollte an Elternabenden thematisiert werden. So könnten viele Eltern angesprochen werden. Das wird heute zwar bereits gemacht, offenbar aber zu wenig konsequent.

kommentar

Einig werden sich die Jugendlichen nicht. Um eine Lösung finden zu kön-nen, müsste man einen Kompromiss aushandeln. Dafür müssten einige Ju-gendliche einen Teil ihrer Freiheit op-fern.

Für einmal nicht an ihrem gewohnten Platz im Saal: Grossrätinnen und Grossräte.Foto: Julia Weiss

Aufmerksam im Plenum: Die Jugend. Foto: Kevin Frank

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«Ich bin überzeugt, dass die Anliegen von heute auch künftig diskutiert werden. Es ist spannend zu hören, was die Jungen bewegt. Sie sollen die Mittel unbedingt nutzen und sich einbringen.»

Gerhard Fischer (SVP), 58, Meiringen

«Die Jungen haben immer die Möglichkeit, etwas zu sagen, sei es mit Leserbriefen, Briefen an Parlamentarier oder indem sie draussen demonstrieren. Heute ist der Tag, an dem man aktiv zuhört.»

Thomas Fuchs (SVP), 43, Bümpliz

«Ich hoffe natürlich, dass unsere Stimme zählt und dass die Grossräte unsere Meinung ernst nehmen.»

Marigona Isufi, 17, Bern

umfraGe

Tink.ch Sandstrasse 5 CH-3302 Moosseedorf Tel +41 31 850 10 91 Fax +41 31 850 10 21 [email protected] Redaktion Céline Graf (Leitung) David NaefDiana BerdnikJulian Stiefel Luzia TschirkyMichelle Stirnimann FotosJulia WeissJulian StiefelKevin Frank LayoutDavid Naef DruckKantonale Jugendkommission (KJK)Gerechtigkeitsgasse 813011 Bern AusgabeNummer 1527. Januar 2010 Auflage400 Exemplare deutsch100 Exemplare französisch PartnerBerner Jugendparlamente Kantonale Jugendkommission (KJK) Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ)

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mitmachenWir sind da, wo Politik entsteht. Wo bist du? Das Online-Magazin Tink.ch sucht unentdeckte Schreib-talente zwischen 16 und 30 Jahren. Jung, kritisch, frech, schnell und hungrig? www.tink.ch/mitmachen

weiterlesenNoch mehr Artikel und Fotos vom achten Berner Jugend-Grossrat-Tag findest du auf www.tink.ch/bern.

«Ich finde den Austausch wichtig, weil viele Fragen, die wir im Grossrat besprechen, auch die Jungen betreffen. Politikerinnen sollen auf die Jungen und ihre Bedürfnisse eingehen.»

Nadine Masshardt (SP), 25, Langenthal

«Wenn die Grossräte sich nicht für die Stimme der Jugendlichen interessieren würden, wären sie wohl nicht an diesen Anlass gekommen. Ich hoffe schon, dass wir heute etwas bewirken können.»

Luca Schmid, 16, Kehrsatz

«Ich hoffe, dass unsere Stimme in Erinnerung bleibt. Ich finde es schön, dass die Grossräte mit uns diskutieren, uns ernst nehmen und wir ihnen nicht egal sind, schliesslich sind wir die Zukunft.»

Jennifer Glatt, 18, Langnau

«Heute ist der Tag, an dem man aktiv zuhört»