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Archäologie in Deutschland 2 | 2017 3 2 Archäologie in Deutschland 2 | 2017 Anthropologie – die Lehre vom Menschen Skelette oder Leichenbrand, Mumien und Moorleichen: Mit modernen Verfahren lässt sich aus menschlichen Überresten eine Vielzahl an Informa- tionen über das Leben in der Vorzeit gewinnen. Bewährte herkömmliche Methoden und moderne Analyseverfahren führen zu erstaunlichen Erkennt- nissen über Krankheiten, die Folgen von Gewalt oder sogar zum genetischen Code von Krankheitserregern. Für alle, die das Leben der Menschen in ver- gangenen Epochen erforschen möchten, ist die Anthro- pologie unentbehrlich. 1 Editorial 4 Spektrum Archäologie 8 Forschung: Kannibalismus – ja oder nein? Herxheim – rätselhafte Rituale am Ende der Bandkeramik 14 International: Beinprothese aus Westchina Inklusion vor 2300 Jahren 20 Titelthema: Anthropologie – die Lehre vom Menschen 20 Der Körper des Menschen – eine historische Quelle 22 Zeugnisse vergangenen Lebens und Leidens 24 Gewalt in frühen Gesellschaften: Spurensuche am Skelett 56 Fenster Europa: Drama im Land der Pruzzen Kleine Stadt in großer Wildnis – Aufstieg und Untergang von Alt-Wartenburg 60 Reportage: Leben in der Steinzeit Blätterhöhle – Bilanz von zehn Jahren Ausgrabung 64 Reportage: Archäologie des Alkohols Keltischer Trank aus Brew City, USA 66 Reportage: Bearbeitete Münzen – Schmuck oder Statussymbol? Den Kaiser am Kragen – Münzen bei den Alamannen 68 Museum: Römermuseum Weißenburg Alltag einer römischen Grenzstadt Unser Titelbild zeigt den Schädel einer 24 bis 29 Jahre alten Frau, die in der zweiten Hälfte des 17. Jh. in Berlin wohl an den Folgen eines Schädelbasisbruchs verstarb. Inhalt 60 20 AiD 2 | 2017 26 Stabile Isotope im Skelett – Umwelt, Ernährung und Migration 28 Den Seuchen auf der Spur 30 Verbrannte Knochen – eine unterschätzte Quelle 32 Riesenchance – umfangreiche Skelettserien aus großen Friedhöfen 34 Zahnstein – neue Wege zur Rekonstruktion unserer Vergangenheit 36 Kommentar: Ungewisse Zukunft Wohin führt der Weg der Anthropologie in Deutschland? 38 Aktuelles aus der Landesarchäologie 54 Fenster Europa: Steinzeitjäger in Frankreich Feuerschein im Tal der Saône – altsteinzeitliches Basislager Stadtwüstung in Polen Das Land der Pruzzen im heutigen Polen lockte nach der Eroberung durch den Deutschen Orden viele Einwanderer an, neue Städte und Dörfer entstanden. Alt- Wartenburg (Barczewko) im Ermland wurde in den 1320er Jahren gegründet und nach nicht einmal 30 Jahren über- fallen und zerstört: heute ein dankbares Forschungsobjekt für die Archäologie. 56 Titelthema Kannibalismus in der Pfalz? Überreste von mehr als 500 Menschen aus Herxheim zeugen von befremdenden Ritualen in der Jungsteinzeit. Sie wurden getötet, zerlegt, entbeint, die Knochen zu Splittern zerschlagen und in den Gräben einer Siedlung aus den Jahren 5300 bis 4950 v.Chr. deponiert. Wissenschaftler rätseln über die seltsamen Befunde und versuchen vor allem eine Frage zu klären: Lässt sich in Herxheim tatsächlich Kannibalismus nachweisen? Beinprothese aus China In einem Gräberfeld des westchine- sischen Turfan entdeckten Archäologen eine kunstvolle Prothese, die neben dem Skelett eines Mannes lag. Vor un- gefähr 2300 Jahren war er im Alter von 50 bis 65 Jahren verstorben. Tuberkulose hatte sein linkes Kniegelenk deformiert, doch das älteste funktionale Stelzbein der Welt verhalf ihm wieder zum Gehen. 8 14 70 Denkmal: Beliebtes Freilicht- museum in Thüringen Die Funkenburg – wehrhafte Siedlung oder Weiler? 72 Nachrichten 76 Bücher 78 Ausstellungen 81 Rätsel 75 Autoren dieses Heftes 80 Bildnachweis Aus dem Netz gefischt Baden-Württemberg hat 2016 den An- trag »Höhlen der ältesten Eiszeitkunst« bei der UNESCO eingereicht (ausführlich AiD 6/2016). Dazu gibt es nun einen Internetauftritt des Landesamts für Denkmalpflege. Die neue Website bietet schnellen Zugriff auf Bilder und Texte zu Höhlen, Funden und Landschaft. Ein Highlight sind sicherlich die dreidimen- sionalen Modelle der Höhlenfundstellen. Darüber hinaus kann der Besu- cher sich eine umfangreiche und reich bebilderte Broschüre zum Thema herunterladen. www.iceageart.de Service für unsere Abonnenten Für alle Fragen zum Bezug der »AiD« gibt es folgende Service-Nummern: Tel.: 02225-7085-361, Fax 02225-7085- 399. Wie immer erreichen Sie Redak- tion und Leserservice auch elektronisch unter [email protected] und [email protected]. Zehn Jahre Forschung in der Blätterhöhle Seit einem Jahrzehnt dringen Archäolo- gen und Höhlenforscher in immer grö- ßere Tiefen vor. Sie finden menschliche Knochen und Artefakte, die neue Er- kenntnisse erlauben über das Leben, die Bestattungssitten, die Ernährungsweise oder den Alltag der Menschen in der Mittel- und Jungsteinzeit. Ein Fundort, der über Westfalen hinaus einzigartig ist. Folgen Sie der AiD auch auf Facebook und registrieren Sie sich für den Newsletter unter www.aid-magazin.de!

Titelthema - aid-magazin.de · neficiarier aus der Mitte des 3. Jh. mit dem Beinamen Masimus oder Maximus. Der Aa-chener Weihebezirk bestand also über mehrere Generationen hinweg

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Archäologie in Deutschland 2 | 2017 32 Archäologie in Deutschland 2 | 2017

Anthropologie – die Lehre vom Menschen Skelette oder Leichenbrand, Mumien und Moorleichen: Mit modernen Verfahren lässt sich aus menschlichen Überresten eine Vielzahl an Informa -tionen über das Leben in der Vorzeit gewinnen. Bewährte herkömmliche Methoden und moderne Analyseverfahren führen zu erstaunlichen Erkennt-nissen über Krankheiten, die Folgen von Gewalt oder sogar zum genetischenCode von Krankheitserregern. Für alle, die das Leben der Menschen in ver -

gangenen Epochen erforschen möchten, ist die Anthro -pologie unentbehrlich.

1 Editorial

4 Spektrum Archäologie

8 Forschung: Kannibalismus – ja oder nein?Herxheim – rätselhafte Rituale am Ende der Bandkeramik

14 International: Beinprothese aus WestchinaInklusion vor 2300 Jahren

20 Titelthema: Anthropologie – die Lehre vom Menschen

20 Der Körper des Menschen – eine historische Quelle

22 Zeugnisse vergangenen Lebens und Leidens

24 Gewalt in frühen Gesellschaften: Spurensuche am Skelett

56 Fenster Europa: Drama im Land der Pruzzen

Kleine Stadt in großer Wildnis – Aufstiegund Untergang von Alt-Wartenburg

60 Reportage: Leben in der SteinzeitBlätterhöhle – Bilanz von zehn Jahren Ausgrabung

64 Reportage: Archäologie des AlkoholsKeltischer Trank aus Brew City, USA

66 Reportage: Bearbeitete Münzen –Schmuck oder Statussymbol?Den Kaiser am Kragen – Münzen bei denAlamannen

68 Museum: Römermuseum WeißenburgAlltag einer römischen Grenzstadt

Unser Titelbildzeigt den Schädel einer 24 bis 29 Jahre alten Frau, die in derzweiten Hälfte des 17. Jh. in Berlin wohl an den Folgen einesSchädelbasisbruchs verstarb.

Inhalt

6020

AiD 2 | 201726 Stabile Isotope im Skelett – Umwelt, Ernährung

und Migration

28 Den Seuchen auf der Spur

30 Verbrannte Knochen – eine unterschätzte Quelle

32 Riesenchance – umfangreiche Skelettserien aus großen Friedhöfen

34 Zahnstein – neue Wege zur Rekonstruktion unserer Vergangenheit

36 Kommentar: Ungewisse ZukunftWohin führt der Weg der Anthropologie inDeutschland?

38 Aktuelles aus der Landesarchäologie

54 Fenster Europa: Steinzeitjäger in Frankreich

Feuerschein im Tal der Saône – altsteinzeitliches Basislager

Stadtwüstung in PolenDas Land der Pruzzen im heutigen Polenlockte nach der Eroberung durch den Deutschen Orden viele Einwanderer an,neue Städte und Dörfer ent standen. Alt-Wartenburg (Barczewko) im Ermland wurde in den 1320er Jahren gegründet und nach nicht einmal 30 Jahren über-fallen und zerstört: heute ein dankbares Forschungsobjekt für die Archäologie.

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Titelthema

Kannibalismus in der Pfalz?Überreste von mehr als 500 Menschen ausHerxheim zeugen von befremdenden Ritualen in der Jungsteinzeit. Sie wurden getötet, zerlegt,entbeint, die Knochen zu Splittern zerschlagen und in den Gräben einer Siedlung aus den Jahren5300 bis 4950 v.Chr. deponiert. Wissenschaftler rätseln über die seltsamen Befunde und versuchenvor allem eine Frage zu klären: Lässt sich inHerxheim tatsächlich Kannibalismus nachweisen?

Beinprothese aus China In einem Gräberfeld des westchine-sischen Turfan entdeckten Archäologeneine kunstvolle Prothese, die neben dem Skelett eines Mannes lag. Vor un -gefähr 2300 Jahren war er im Alter von 50 bis 65 Jahren verstorben. Tuberkulosehatte sein linkes Kniegelenk deformiert,doch das älteste funktionale Stelzbein derWelt verhalf ihm wieder zum Gehen.

8 14

70 Denkmal: Beliebtes Freilicht -museum in ThüringenDie Funkenburg – wehrhafte Siedlung oder Weiler?

72 Nachrichten

76 Bücher

78 Ausstellungen

81 Rätsel

75 Autoren dieses Heftes

80 Bildnachweis

Aus dem Netz gefischt

Baden-Württemberg hat 2016 den An-trag »Höhlen der ältesten Eiszeitkunst«bei der UNESCO eingereicht (ausführlichAiD 6/2016). Dazu gibt es nun einen Internetauftritt des Landesamts fürDenkmalpflege. Die neue Website bietetschnellen Zugriff auf Bilder und Texte zu Höhlen, Funden und Landschaft. EinHighlight sind sicherlich die dreidimen-sionalen Modelle der Höhlenfundstellen.

Darüber hinaus kann der Besu-cher sich eine umfangreiche undreich bebilderte Broschüre zumThema herunterladen.www.iceageart.de

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Für alle Fragen zum Be zug der »AiD«gibt es folgende Service-Nummern: Tel.: 02225-7085-361, Fax 02225-7085-399. Wie immer erreichen Sie Redak-tion und Leserservice auch elektronischunter [email protected] und [email protected].

Zehn Jahre Forschung in der Blätterhöhle Seit einem Jahrzehnt dringen Archäolo-gen und Höhlenforscher in immer grö-ßere Tiefen vor. Sie finden mensch licheKnochen und Artefakte, die neue Er-kenntnisse erlauben über das Leben, dieBestattungssitten, die Ernährungsweiseoder den Alltag der Menschen in derMittel- und Jungsteinzeit. Ein Fundort,der über Westfalen hinaus einzigartig ist.

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Page 2: Titelthema - aid-magazin.de · neficiarier aus der Mitte des 3. Jh. mit dem Beinamen Masimus oder Maximus. Der Aa-chener Weihebezirk bestand also über mehrere Generationen hinweg

150 n. Chr. niedergermanischer Statthalterwar. Der in der zweiten Inschrift genannteLucius Iucundinius ist vermutlich identischmit einem aus Remagen bekannten Be-neficiarier aus der Mitte des 3. Jh. mit demBeinamen Masimus oder Maximus. Der Aa-chener Weihebezirk bestand also übermehrere Generationen hinweg. Um dieMitte des 4. Jh. wurden Teile des Bezirksdurch ein luxuriöses Gebäude überbaut.Wo die zugehörige Beneficiarierstation lag,wissen wir noch nicht.

| Andreas Schaub, Joachim Meffert

Blut klebt an Hallstattscherben

Krim-Kongo-Fiebervirus bei denfrühen Kelten?

Analysen an sechs unbehandeltenScherben aus dem zentralen Bereich eineshallstattzeitlichen Hügels zeigten ein über-raschendes Ergebnis: Sie stammen von Ke-gelhalsgefäßen und Schalen, in denen of-fenbar menschliches Blut bzw. Organe ver-wahrt worden waren. Zudem ergab dieUntersuchung der Blutproteine Hinweiseauf das Krim-Kongo-Fiebervirus. Diese ge-fährliche, von Zecken übertragene Krank-heit ist nördlich der Alpen bislang noch nienachgewiesen worden.

Zwischen 1999 und 2002 führte einamerikanisches Team Ausgrabungen inder »Speckhau«-Nekropole in der Nähe derHeuneburg durch. Der Friedhof umfasst etwa 36 Hügel, zu denen auch der zweit-größte hallstattzeitliche Grabhügel Euro-pas gehört, der Hohmichele. Im aggressi-ven Boden des Hügels 17 waren keine Kno-chen erhalten. Zwei eiserne Speerspitzenaus dem zentralen Brandgrab sprechen füreine männliche Bestattung. Beigaben las-sen eine weitere, wohl weibliche Körper-

Frühkeltischer Reiter im Umkreisder Heuneburg

Plastische Kunst aus Wagengrab

Archäologen des Landesamts fürDenkmalpflege Stuttgart untersuchtenim Sommer 2016 bei Unlingen im Land-kreis Biberach mehrere Grabhügel derHallstattzeit (8.–5. Jh. v. Chr.). Ein Grab ent-hielt die Überreste eines frühkeltischenWagens und zudem eine Aufsehen erre-gende figürliche Bronzeplastik. Die Grab-kammer war zwar beraubt, doch an derNordseite fanden sich noch Beigaben, da-runter Überreste eines Wagens und diePlastik. Die nicht ganz vollständige, aberrecht gut erhaltene Statuette zeigt einenReiter in stehender Haltung auf einemdoppelköpfigen Pferd. Bruchkanten anden Beinen lassen erkennen, dass die Sta-tuette ursprünglich auf einem anderenObjekt angebracht war. Infrage kommenFußgestelle großer Bronzegefäße und

Archäologie in Deutschland 2 | 2017 5

Römischer Weihebezirk entdeckt

Beneficiarier in Niedergermanien

Im November 2016 wurde bei Kanal -sanierungen in der Aachener Altstadt einrömischer Weihebezirk entdeckt. Erhaltenwaren die Sockel von mindestens neun Al-tären. Ein Stein stand noch am Original-platz, ein weiterer lag umgestürzt vor sei-nem Fundament. Zudem kamen zahlrei-che Fragmente weiterer Altäre zutage.Zwei gut erhaltene Inschriften nennen Be-neficiarier als Weihende, ein drittes Frag-ment lässt sich wohl im gleichen Sinne ergänzen.

Schon 1896 fanden sich am gleichenPlatz eine Beneficiarierweihung und wei-tere Altarfragmente. Es besteht kein Zwei-fel, dass hier nach Obernburg am Main undOsterburken der dritte Weihebezirk für Beneficiarier in Deutschland gefundenwurde und gleichzeitig der erste in der Pro-vinz Niedergermanien. Im gesamten Im-perium Romanum kennt man nur nocheinen weiteren Bezirk in Sirmium (Serbien).

Beneficiarier waren Soldaten, die für diverse Verwaltungsaufgaben dem Stabdes Statthalters zugeordnet wurden. Dieerste Inschrift wurde zur Zeit des Iulius Severus verfasst, der zwischen 142 und

bestattung im Zentralgrab erschließen:ritzverzierte bemalte Keramik und Kopf-bzw. Gürteltracht der Phase Ha D1 (um 650/ 600 v. Chr.). Zwei weitere Körper gräber ka-men erst während Ha D3/ Lt A hinzu (um450/ 400 v. Chr.), eines mit einem Bronze-kessel, der Met enthielt (dazu in diesemHeft S. 64). Zwischen den älteren und jün-geren Gräbern wurde mindestens 150 Jah-re lang niemand beigesetzt – lag das viel-leicht an dem ebolaähnlichen Fiebertoddes Bestatteten im Zentralgrab?

Unsere Untersuchung bietet neueMöglichkeiten, den Grabritus der Hall-stattzeit zu rekonstruieren. Vielleicht diewichtigste Lehre: In Zukunft sollten ge-eignete Scherben so wenig wie möglichbehandelt und gesondert aufbewahrtwerden. So besteht die Möglichkeit, spä-ter durch Analysen weitere Informationenzu gewinnen.

| Bettina Arnold, Conner Wiktorowicz,

Matthew L. Murray

Spektrum | Archäologie

4 Archäologie in Deutschland 2 | 2017

»ich zoch mir ein vogelîn«

Vogelkäfig aus Lübeck

Während der Großgrabung im Gründungsviertel der Hansestadt barg man ausder stark riechenden grünlichen Fäkalmasse einer spätmittelalterlichen/ frühneu-zeitlichen Kloake in einem Block kleine Holzstäbe, die offensichtlich zusammenge-hörten. Bei der vorsichtigen Reinigung durch die Restauratoren kam die Überra-schung: Die Stäbe bildeten einen Vogelkäfig. Der Käfig war seitlich zusammenge-drückt und die Gitter teils stark verformt, teils zerbrochen. Nach der Wässerung, dieüber ein Jahr dauerte, wurde das Holz über einen Zeitraum von zwölf Monaten mitLactitol getränkt.

Nachdem das Objekt über elf Wochen zum Trocknen im Wärmeofen steckte,wirkt der Käfig nun aufgrund der hervorragenden Arbeit der Restauratorinnen Ulri-ke Scheibe und Anna-Isabel Frank wieder wie neu. Er ist 14 cm breit, 22 cm hoch und18,5 cm lang. Die Bodenplatte besteht aus Eiche, die dicken horizontalen und verti-kalen Stäbe für den Rahmen sind überwiegend aus Laubholz und die Gitterstäbeaus Nadelholz gefertigt. Filigran gearbeitete Holzverbindungen halten die Einzelteilezusammen, ähnlich denen, die in größeren Dimensionen beim Zimmern verwendetwerden. Erstaunlicherweise fehlt eine Tür. Womöglich wurde der Vogel eingefangenund danach die Bodenplatte mit den Rahmenhölzern fest verdübelt.

In den mittelalterlichen Städten wurden nicht nur Nutztiere gehalten. Zeitge-nössische Abbildungen zeigen zahme Singvögel. Im 15. Jh. schreibt Antonio Bonfi-ni über Wien: »In den Fenstern singen und zwitschern Vögel, so daß man bei einemSpaziergang durch die Stadt durch einen klingenden lieblichen Wald zu schreitenvermeint.« Auch für Basel und Augsburg sind Drosseln, Turteltauben und Lerchen inPrivathäusern belegt. Warum sollte es in Lübecks Kaufleuteviertel anders gewesensein?

| Doris Mührenberg

Das Ergebnis rechtfer-tigt den Aufwand: Labor von AlexanderKurosky, in dem dieAnalysen an hallstatt-zeitlichen Scherben ausDeutschland durchge-führt wurden (Depart-ment of Biochemistry &Molecular Biology, Uni-versity of Texas).

Hansestadt Lübeck.Vogelkäfig nach derRestaurierung. Die Bo-denplatte besteht ausEiche, Rahmen undGitterstäbe aus nichtnäher bestimmtemLaub- und Nadelholz.

Im Blickpunkt

schnapp schuss4.3. – 5.11.2017

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Aachen. Die Inschriftaus dem Weihebezirkder Beneficiariernennt Iulius Severus,der zwischen 142 und150 n. Chr. Statthaltervon Niedergermanienwar. Dritte Zeile: IVLSEVERI.

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Bronzedeckel, ferner Möbel, Wagen oderJoche.

»Das kleine Reiterfigürchen ist der be-deutendste Fund, den wir bisher hier ge-macht haben.« sagte Dr. Marcus Meyer,Leiter der Grabung in Unlingen. »Auf-grund der anderen Funde lässt sich dasFigürchen in die Stufe Hallstatt C datieren,also etwa in den Zeitraum 8./ 7. Jh. v. Chr.Plastische Darstellungen aus dieser Zeitsind in Baden-Württemberg sehr selten.«Die Herkunft der Kleinplastik ist bislangunklar. Doch dürfte es sich um eine ein-heimische Arbeit handeln, die von Vorbil-dern aus dem Raum südlich der Alpen be-einflusst ist.

Die Grabungen wurden notwendig,weil um Unlingen eine Umgehungsstraßegebaut wird. Das kleine Grabhügelfeldliegt am Fuße des Berges Bussen und nur11 km von der Heuneburg entfernt, dieetwa um 620 v. Chr. beginnt. Die Gräberaus Unlingen setzten schon in der Zeit da-vor ein. Die Beigaben wurden teils im Blockgeborgen und werden zurzeit in den Werk-stätten des Landesamts freigelegt und do-kumentiert. | LAD im RP Stuttgart/AiD

König Olav und die Christianisierung Norwegens

Ausgrabung bestätigt Snorres Saga

Ein internationales Team des Norwegi-schen Instituts für Denkmalforschung hatin Trondheim die Grundmauern der Kirchegefunden, in der Wikingerkönig Olav Ha-raldsson (995– 1030 n. Chr.) heiliggespro-chen worden sein soll. Der archäologischeBefund bestätigt Angaben zur Christia -nisierung Norwegens, die Snorre (1179–1241 n. Chr.) überliefert. Laut Snorres Kö-nigssaga wurde Olavs Sarg ein Jahr und

fünf Tage nach seinem Tod geöffnet. An-geblich waren Haar und Nägel des Königsweitergewachsen und ein wundervollerDuft ging von ihm aus. Daraufhin wurde er als Märtyrer heiliggesprochen, in dieClemenskirche überführt und auf demHochaltar aufgebahrt. Die Clemenskirchewurde zu einer der wichtigsten Reliquien-kirchen in Norwegen. Die Verehrung Olavsverbreitete sich rasch in Skandinavien,England und Russland und zog Pilger an.Viele Kirchen wurden Olav geweiht.

Die erste Phase der Kirche in Trondheimstammt aus der Zeit von 980 bis 1035n. Chr., wohl eine der ersten Holzkirchender Region. Später wurde eine Steinplatt-form im Osten hinzugefügt, die vermutlicheine wichtige Rolle im Olavskult spielte. In-teressant ist zudem, dass im Anschluss andie Plattform im Osten viele Skelette vonSäuglingen entdeckt wurden, die man of-fenbar erst nach Aufgabe der Kirche nie-dergelegt hatte.

Snorres Saga hat in großem Maße zurnorwegischen Identität beigetragen. Pro-

jektleiterin Anna Petersén: »Dies ist ein ein-maliger Punkt in der Norwegischen Ge-schichte, in Bezug auf Religion, Kultur undPolitik. Wir haben große Teile der Norwe-gischen Identität um die HeiligsprechungOlavs aufgebaut und dies ist der Platz andem alles begann.« | Nina Walter

Archäologie in Deutschland 2 | 2017 7

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Leserreisen mit Archäologie in DeutschlandAuf den Spuren der früheren Zivilisationen in Georgien und Armenien

1. Tag Flug nach Tbilisi Flug von Stuttgart (weitere Flughä-fen sind möglich) mit Turkisch Air-lines via Istanbul nach Tbilisi. Nach der Ankunft gegen 16.30 Uhr Transfer zum Hotel. Abendessen und Übernachtung. (Änderungen der Flugzeiten vorbehalten). (A)

2. Tag Tbilisi Stadtrundgang in Tiblisi. Besichti-gung der Altstadt und Besuch des Historischen Museums mit sei-ner reichen Sammlung archäolo-gischer Denkmäler. Übernachtung und Abendessen in Tbilsi. (F,A)

3. Tag Auf den Spuren deutscher Aussiedler in AsuretiFahrt in das ca. 85 km entfernte Dmanisi. Die Fossilien von Dmani-si sind die ältesten außerhalb Afri-kas entdeckten Fossilien aus dem Formenkreis der Homini. Auf der Rückfahrt Besuch des Dorfes Asu-reti (früher Elisabeththal), wo deut-sche Aussiedler wohnten. Rück-kehr nach Tbilisi. Übernachtung und Abendessen in Tbilsi. (F,A)

Achalziche Fahrt nach Mzcheta und Besich-tigung der alten Hauptstadt und des religiösen Zentrums Georgi-ens (UNESCO Welterbe). Weiter-fahrt und Besuch der Höhlenstadt Uplisziche (1.Jt. v. Chr.). Weiter- fahrt und Übernachtung und Abendessen in Achalziche, (F,A)

5. Tag Höhlenstadt Wardsia – Gyumri Fahrt zur Höhlenstadt Wardsia, die aus 3000 Höhlenwohnungen bestand und über 50.000 Men-schen Unterschlupf bieten konn-te. Weiterfahrt bis nach Gyumri in Armenien. Guide- und Buswechsel an der Grenze am Nachmittag und Weiterfahrt zur Übernachtung nach Gyumri. (F,A)

Jerevan Fahrt nach Oshakan und Besuch des Grabes von Mesrop Mascht-

Alphabets. Weiterfahrt nach Jere-van und Besuch der urartäischen Festung von Erebuni mit dazuge-hörigem Museum. Vier Übernach-tungen und Abendessen in Jere-van (F,A)

7. Tag Jerevan – Zvartnots –

Auf der Fahrt nach Etschmiad-zin: Besuch der eindrucksvollen Reste der Palastkirche von Zvart-nots. Weiterfahrt nach Etschmiad-zin, dem religiösen Zentrum des armenischen Volkes und Sitz des armenischen Katholikos. Rück-fahrt nach Erevan und Stadtbe-sichtigung mit Nationalmuse-um. (F,A)

– Matenadaran Fahrt zum einzigartigen Sonnen-

tempel von Garni (2. Jh.) und römischer Badeanlage (3. Jh.). Das Kloster Geghard (10.–13. Jh.) beeindruckt durch seine aus dem Felsen gehauenen Kirchen und Kapellen. Am Nachmittag Be-such der Handschriftensammlung Matenadaran. Anschließend freie Zeit. (F,A)

9. Tag Jerevan – Khor Virap –

Wir besuchen das Kloster Khor Virap nahe der Grenze zur Türkei. An keinem anderen Ort erscheint der Ararat so zum Greifen nah wie hier. Weiter nach Noravank, ei-nem der schönsten Klöster Arme-niens. (F,A)

10. Tag Jerevan – Sevan – Dilijan Fahrt zum Sevansee. Besichtigung des Klosters Sevanavank. Weiter-fahrt zur Übernachtung nach Dilijan. (F,A)

11. Tag Dilijan – Haghpat – Fossi-

Von Dilijan Fahrt Richtung Alaver-di, Besuch des Klosters Haghpat (UNESCO – Weltkulturerbe). Wei-

Transfer zum Flughafen und Rück-

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Min. 15, Max. 25 Personen Programm - und Hoteländerungen bleiben vorbehalten.Veranstalter: Heideker Reisen, Münsingen. Anmeldung direkt bei: Heideker Reisen, Dottinger Straße 55, 72525 MünsingenTel. 0 73 81/ 93 95-0 • Fax 0 73 81/ 93 95 25 E-Mail: [email protected] Ansprechpartner: Lisa Reutter

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Die beiden Länder Georgien und Armenien haben in der Region des südlichen Kaukasus einen herausra-genden kulturgeschichtlichen Stellenwert. Hier entwickelten sich bereits früh Hochkulturen, die in engem Kontakt und Austausch mit den Nachbarregionen wie Anatolien und Mesopotamien standen. Armenien bietet ferner auch eine weitere Fülle von kulturgeschichtlichen Höhepunkten, gilt es doch als Wiege des östlichen Christentums.

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Bronzenes Reiterfi-gürchen aus frühkel -tischem Grab mitÜberresten eines Wagens. Länge 8,5 cm.Links bei der Auffin-dung, rechts Darstel-lung erzeugt aus Ct-Scan.

Die Ausgräber sind sich ziemlichsicher: Auf dieser Steinplattformim Chor der Kirche stand der SargOlavs des Heiligen.

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Bei Anwendung aller heute zur Ver-fügung stehenden Methoden wird es zu-nehmend möglich, das Leben der Men-schen im Wandel der Epochen zu re-konstruieren. Verschiedene Bevölke-rungen oder Sozialgruppen können inihren Lebensräumen charakterisiertwerden.

Knochen noch nach Jahrhunderten zuerkennen sind, geben einen Eindruckvom Gesundheitszustand einer Personund lassen Krankheiten nachweisen, andenen der Bestattete litt oder die gar zuseinem Tod führten.

Vom Einzelschicksal zur Rekonstruktion der Bevölkerung

Das Ziel einer anthropologischenAnalyse kann die Rekonstruktion einesEinzelschicksals sein. Mitthilfe der in-dividuellen Lebensdaten und einer Be-schreibung physischer Stresssituationensowie der Krankheitsbelastung, die dieLebensqualität eines (prä)historischenMenschen beeinflussen, kann eine Pa-läobiografie des Verstorbenen erstellt

werden. Durch die Untersuchung vonganzen oder teilweise erfassten Popula-tionen wird es möglich, zum Verständ-nis der Lebensweise historischer oderprähistorischer Bevölkerungen beizu-tragen. So konnte beispielsweise gezeigtwerden, dass sich die Lebensbedingun-gen vom späten Mittelalter zur frühenNeuzeit hin deutlich verschlechterten.Besonders in der Zeit nach dem Drei-ßigjährigen Krieg war die Lebenssituati-on für viele Menschen katastrophal.Über die demografische Auswertung,aufgeschlüsselt nach Individualalter undGeschlecht, werden unterschiedlicheSterberisiken deutlich. In der Regel wa-ren Kinder und Frauen in vorindustriel-len Zeiten am stärksten gefährdet.

Archäologie in Deutschland 2 | 2017 21

ie intensive Zusammenarbeitzwischen Anthropologie und Ar-chäologie blickt in Deutschland

auf eine lange Tradition zurück, dennmenschliche Skelettreste zogen schon im19. Jh. große Aufmerksamkeit auf sichund standen häufig im Mittelpunkt derBetrachtung. Heute ist eine interdiszi-plinäre Zusammenarbeit unabdingbar.Die anthropologische Arbeit beginnt be-reits auf der Ausgrabung: Die Beteili-gung von Spezialisten mit ihrem Wis-sen und ihrer Erfahrung stellt sicher, dasskeine Information beim Grabungspro-zess verloren geht.

Fachkompetenz und Methodenvielfalt

Schon bei einfachen Erdgräbern istanthropologische Fachkompetenz aufder Grabung angeraten, damit Verän-derungen am Skelett bereits bei der Do-kumentation des Befunds erkannt wer-den. Dazu gehört beispielsweise die Un-terscheidung, ob Läsionen am Knochenkrankheitsbedingt sind oder durch be-sondere Lagerungsbedingungen nach-träglich hervorgerufen wurden. Je kom-plexer die Situation ist, desto wichtigerist der Einsatz eines Experten auf derGrabung. Besonders deutlich wird dasbei Massengräbern, in denen die Skelet-te mitunter regellos dicht an dicht liegen.Hier sind fundierte anatomische Kennt-nisse nötig, um einzelne Knochen denjeweiligen Individuen zuordnen zu kön-nen. Dies gilt ebenso für Sonderbestat-tungen, die nicht den üblichen Begräb-

Südosteuropa nachweisen. Auch die Un-tersuchung der DNA von Erregern, wieBakterien, bringt uns die Geschichte derKrankheiten näher. So tragen anthro-pologische Forschungen dazu bei, Er-krankungen der heutigen Menschen miteinem Blick in die Vergangenheit besserzu verstehen.

Eine Biografie des IndividuumsAllerdings steht am Beginn jeder Un-

tersuchung und gleichsam an dessen Ba-sis eine genaue Bestandsaufnahme derüberlieferten Skelettreste und ihre ma-kroskopische Befundung. Hierbei wer-den zunächst die biologischen Grund-informationen des Individuums erho-ben: Geschlecht, Sterbealter und Kör-pergröße sowie der Gesundheitszustand.Für die Geschlechtsbestimmung sind dieBeckenknochen am wichtigsten, da esbei Frauen in seiner Form an Schwan-gerschaft und Geburt angepasst ist. Dochauch am Schädel Erwachsener ist gene-rell eine Bestimmung des Geschlechtsmöglich. Bei Kindern ist die Sicherheitder Bestimmung deutlich geringer, dasich die Merkmale erst nach der Pu bertätvoll ausprägen. Dafür kann das Sterbe-alter bei Individuen, die sich im Wachs-tum befinden, präziser rekonstruiertwerden, z. B. am Zahndurchbruch. Je äl-ter ein Mensch wurde, desto ungenauerist die Bestimmung des Sterbealters, danur noch die Alterung des Skeletts be-urteilt werden kann. Grundsätzlich lässtsich lediglich das biologische Alter er-mitteln, das neben inneren, konstitutio-nellen Faktoren auch von äußeren Be-dingungen beeinflusst wird. Bei widri-gen Lebensumständen altert der Menschschneller. Das tatsächliche oder chro-nologische Alter ist nur durch weitereArbeiten im Labor zu ermitteln.

Die Vermessung der langen Arm-und Beinknochen auf einem Messbretterlaubt, die ursprüngliche Körpergrößezu rekonstruieren, was sowohl bei Kin-dern als auch bei Erwachsenen möglichist. Spuren von Erkrankungen, die am

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Titelthema | Anthropologie – die Lehre vom Menschen

Der Körper des Menschen – eine historische Quelle

nisriten entsprechen. Knochen Verstor-bener konnte man irgendwann nachdem Tod sekundär an anderer Stelle de-ponieren, es können Übererste mehre-rer Personen vermischt werden, oder esgilt den komplexen Zerfallsprozess einesVerstorbenen zu verstehen.

Mit einer Vielzahl spezieller Analy-severfahren lassen sich heute den Ske-letten Information entlocken, die voreinigen Jahrzehnten nicht denkbar wa-ren. Die stabilen Isotope aus Knochenund Zähnen zeigen uns, wie sich dieMenschen ernährten oder woher siestammten. Besonders die Erforschungalter DNA lieferte spektakuläre Er-kenntnisse zum Beispiel über die Be-siedlung Europas in der Jungsteinzeit. Eslässt sich inzwischen eine weitreichen-de Einwanderung der ersten Bauern aus

Wer die Vergangenheit des Menschen erforscht, kommt an seinen sterblichen Über-resten nicht vorbei: Keine andere Quelle spricht so unmittelbar von den konkreten Lebens bedingungen vergangener Zeiten. Das Spektrum reicht von Mumien mit gut erhaltenen Weichteilresten bis zu den kleinen Fragmenten eines Leichenbrands. Große Gräberfelder liefern eine breite Datenbasis, die nicht nur vielfältige Einblicke in Einzelschicksale, sondern auch fundierte Informationen zur Krankheitsbelastung und Demographie der gesamten Bevölkerung geben.

Von Bettina Jungklaus

D

Der Idealfall: Noch aufder Ausgrabung wer-den alle wichtigen De-tails durch den Anthro-pologen aufgenommenwie Grabstruktur, Lie-gemilieu, Positionie-rung und Erhaltung derKnochen. Das Skelettwird vermessen und al-le Daten fließen in diespätere Untersuchungdes Individuums ein.

Der Arzt und AnatomRudolf L. C. Virchow(1821– 1902) widmetesich ab Mitte der1860er Jahren mit zu-nehmenden Interesseder Anthropologie. Er untersuchte vorge-schichtliche Skelett -reste und beteiligtesich auch an archäolo-gischen Ausgrabungen.

Literatur

G. Grupe/ M. Harbeck/ G. McGlynn, Prä- his torische Anthropologie (Berlin, Hei-delberg 2015).B. Jungklaus, Zur brandenburgischen Be-völkerung im Mittelalter und ihren Le-bensumständen aus anthropologischerSicht. In: J. Müller, K. Neitmann/ F. Schop-per (Hrsg.), Wie die Mark entstand.850 Jahre Mark Brandenburg. Forschun-gen zu Archäologie im Land Branden-burg 11 (2009).J. Wahl, Prähistorische Anthropologiezwischen Maßband und PCR – der Stel-lenwert konventioneller Methoden imAngesicht moderner Analyseverfahren.In: A. Hauptmann/ V. Pringel (Hrsg.), Ar-chäometrie – Methoden und Anwen-dungsbeispiele naturwissenschaftlicherVerfahren in der Archäologie (Stuttgart2008).M. Schultz, Paläobiographik. In: G. Jütte-mann (Hrsg.): Biographische Diagnostik(Lengerich, Berlin 2011).

Massengrab mit 88 Soldaten aus Witt-stock. Die kleine Stadt in Brandenburg wurdeam 4. Oktober 1636zum Schauplatz einer ver lustreichenSchlacht. Bei der Aus-grabung des Massen-grabes gelang es, jedesIndividuum separat zubergen und zahlreicheVerletzungsspuren zu iden tifizieren.