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Die einzelnen Quartiere der Villa Hadriana 68 69 Wegweiser durch Hadrians Residenzkomplex Die einzelnen Quartiere der Villa Hadriana Nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wis- sens scheint es sinnvoll, die Domäne in vier Komplexe zu gliedern. Diese Aufgliederung soll hier jedoch primär dem besseren Über- blick des heutigen Betrachters oder Besuchers der Anlage dienen: Der Nordpark: Hier liegen, soweit bekannt, ein eater (trotz Bezeichnung „griechisch“ römischen Typs), das „Nordtheater“; u. a. ein großes, halbrundes Nymphäum mit einem Rundtempel der Venus; ein mögliches Iseum (Isis-Heiligtum) sowie zwei Terrassengärten. Südlich daran anschließend liegt die Regio princeps (Hauptbereich): In diesem Bereich konzentrieren sich u. a. die kaiserliche Villa, eine weitere Palastanlage, Bauten vermutlich für Regierungs- sowie Repräsentationszwecke, in der Mitte das symbolische Zentrum des „In- selpavillons“ und im Südosten der repräsenta- tive „Prachthof “ (sog. Piazza d’Oro). Übergangscharakter im echten Wortsinn zeigt die westlich diesem Viertel vorgelagerte „Ost- West-Terrasse“ mit Wandelhallenumgang (S. 81), alle anderen Anlagen flächenmäßig um ein Mehrfaches übersteigend: Diese verbindet den Nordpark und die Regio princeps. Wiederum südlich davon folgt in einer Regio otiosa (Muße- oder Erholungsviertel) eine Reihe der Regeneration, Entspannung und Festlichkeiten dienender Einrichtungen von den „Kleinen“ und „Großen ermen“ im Westen bis hin zur südlich davon gelegenen „Panorama-Banketthalle“ (sog. Serapeum) mit als Wasserlandschaſt gestaltetem vorgela- gertem Bankettperistyl (sog. Kanopos), öst- lich daran angrenzend vermutlich eine Gartenesplanade. Zwischen den ermen und dem Prachthof werden jetzt größere Küchenanlagen vermutet. Das Südviertel (heute für die Öffentlichkeit größtenteils noch unzugänglich) wurde bisher am wenigsten erschlossen und in seinen Teilen „enträtselt“: Neben dem „Roccabruna-Turm“, der noch auf der Höhe der „Panorama-Ban- ketthalle“ liegt, darauf einer sich anschließen- den ausgedehnten Esplanade am Westrand und einigen anderen Strukturen umfasst dieser Be- reich vornehmlich einen weiteren vermutli- chen (kleineren) Palastkomplex, den „Südpa- last“ (möglicherweise für Sabina, die Kaiserin, gedacht), ein „Odeon“ (eater), das „Südthea- ter“, sowie – unterirdisch – das sog. „Große Trapez“, eine trapezförmige Wege- bzw. Stra- ßenstruktur mit Gewölbedecken und Luſtlö- chern von insgesamt etwa 840 Metern Länge. In allen Bereichen der Villa Hadriana waren zweifellos zur Gewährleistung der allgemeinen Sicherheit Wachen postiert. Zu den Standorten der Wachmannschaſten existieren Hypothesen, hier wird darauf je- doch nicht näher eingegangen. !

Tivoli und die Villa Hadriana_Leseprobe

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Leseprobe aus dem Buch "Tivoli und die Villa Hadriana"

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Die einzelnen Quartiere derVilla Hadriana

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Wegweiser durch Hadrians Residenzkomplex

Die einzelnen Quartiere der Villa Hadriana

Nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wis-sens scheint es sinnvoll, die Domäne in vier Komplexe zu gliedern. Diese Aufgliederung soll hier jedoch primär dem besseren Über-blick des heutigen Betrachters oder Besuchers der Anlage dienen:

➊ Der Nordpark: Hier liegen, soweit bekannt, ein Th eater (trotz Bezeichnung „griechisch“ römischen Typs), das „Nordtheater“; u. a. ein großes, halbrundes Nymphäum mit einem Rundtempel der Venus; ein mögliches Iseum (Isis-Heiligtum) sowie zwei Terrassengärten.

➋ Südlich daran anschließend liegt die Regio princeps (Hauptbereich): In diesem Bereich konzentrieren sich u. a. die kaiserliche Villa, eine weitere Palastanlage, Bauten vermutlich für Regierungs- sowie Repräsentationszwecke, in der Mitte das symbolische Zentrum des „In-selpavillons“ und im Südosten der repräsenta-tive „Prachthof “ (sog. Piazza d’Oro).

Übergangscharakter im echten Wortsinn zeigt die westlich diesem Viertel vorgelagerte „Ost-West-Terrasse“ mit Wandelhallenumgang (S. 81), alle anderen Anlagen fl ächenmäßig um ein Mehrfaches übersteigend: Diese verbindet den Nordpark und die Regio princeps.

➌ Wiederum südlich davon folgt in einer Regio otiosa (Muße- oder Erholungsviertel)

eine Reihe der Regeneration, Entspannung und Festlichkeiten dienender Einrichtungen von den „Kleinen“ und „Großen Th ermen“ im Westen bis hin zur südlich davon gelegenen „Panorama-Banketthalle“ (sog. Serapeum) mit als Wasserlandschaft gestaltetem vorgela-gertem Bankettperistyl (sog. Kanopos), öst-lich daran angrenzend vermutlich eine Garten esplanade. Zwischen den Th ermen und dem Prachthof werden jetzt größere Küchenanlagen vermutet.

➍ Das Südviertel (heute für die Öff entlichkeit größtenteils noch unzugänglich) wurde bisher am wenigsten erschlossen und in seinen Teilen „enträtselt“: Neben dem „Roccabruna-Turm“, der noch auf der Höhe der „Panorama-Ban-ketthalle“ liegt, darauf einer sich anschließen-den ausgedehnten Esplanade am Westrand und einigen anderen Strukturen umfasst dieser Be-reich vornehmlich einen weiteren vermutli-chen (kleineren) Palastkomplex, den „Südpa-last“ (möglicherweise für Sabina, die Kaiserin, gedacht), ein „Odeon“ (Th eater), das „Südthea-ter“, sowie – unterirdisch – das sog. „Große Trapez“, eine trapezförmige Wege- bzw. Stra-ßenstruktur mit Gewölbe decken und Luft lö-chern von insgesamt etwa 840 Metern Länge.

In allen Bereichen der Villa Hadriana waren zweifellos zur Gewährleistung

der allgemeinen Sicherheit Wachen postiert. Zu den Standorten der Wachmannschaft en existieren Hypothesen, hier wird darauf je-doch nicht näher eingegangen.

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S

N

Nordpark

Regio princeps

Regio otiosa

Südviertel

Die Orientierungder Gebäudekomplexe(nach Dal Maso/Vighi)

Die Bereicheder Villa Hadriana

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Viele Straßen führen nach Rom, nur eine zu Hadrians Villa

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Der Zugang bzw. die Zufahrt zur Villa erfolgte off enbar ausschließlich von Norden her (der heutige Eingang führt den Besucher ebenfalls von Norden in den Komplex hinein): Im Nor-den liegen Tibur, die Via Tiburtina und der Fluss Anio. Die ursprünglich schon aus repub-likanischer Zeit stammende Trasse nahm ih-ren Anfang am Ponte Lucano, der Brücke, wel-che die Via Tiburtina über den Anio nimmt, und führte ursprünglich bis zum Hügel Santo Stefano am Südende der Villa Hadrians.

Wer von Süden kam (aus Richtung Antium, Lavinium, Gabii) wird sich an der Villa vorbei bis zur Via Tiburtina bewegt haben, um sich dann zweimal rechts zu halten. Wie überall wird es aber auch noch untergeordnete Wege gegeben haben, doch zur Villa selbst führte, nach bisherigem Wissen, nur ein festgestellter offi zieller befestigter (gepfl asterter) Fahrweg.

Die Straße vom Ponte Lucano stieß an der Westseite auf die Domäne und gabelte sich dann auf der Höhe des „Nordtheaters“ („grie-chischen Th eaters“). Beide Abzweigungen teil-ten sich im weiteren Verlauf jeweils noch ein-mal: Die rechte (in heutigen Beschreibungen mit C bezeichnet) nahm an der südwestlichen Ecke der Ost-West-Terrasse nach links Rich-tung auf die „Cento Camerelle“ (die Bedienste-tenwohnungen), an denen sie vorbeiführte, um in einen Anschluss an das unterirdische Wegenetz zu münden: Diese Strecke diente of-fenkundig der Anlieferung von Gütern und Waren zur weiteren Verteilung in der Villa; der rechte Abzweig nimmt, grob parallel zu dem linken geführt, Kurs auf das westliche Große Vestibül und geht ungefähr 500 Meter davor in die Form einer zweibahnigen Auff ahrt über,

Die sog. „Straße B“ im Nord-viertel, Blick von Osten auf den ersten Tunnel.

DER KOSMOS DER VILLA TIBURTINA HADRIANS

Der Zugang zur Domäne

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Der Zugang zur Domäne

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Vision einer Welt ohne Verkehr – „die im Dunkeln sieht man nicht“

wobei die eine Bahn als Zufahrt, die andere als Abfahrt diente. Der Ankommende gelangt auf diese Weise am rechter Hand liegenden sog. Antinoeion (s. u. S. 125) vorbei, bevor er den offi ziellen Eingangskomplex des ÙGroßen Vestibüls“ erreicht; dieses bietet von außen Zu-gang zunächst zum genannten „Muße- oder Erholungskomplex“ und über diesen zum Südviertel. Bemerkenswert an dieser Auff ahrt-anlage ist, dass man der tiefer liegenden paral-lelen „Lieferantenzufahrt“ von der „Oberwelt“ aus aufgrund eines hohen Mauer-Sichtschut-zes (nicht erhalten) nicht gewahr und so von dieser optisch nicht „belästigt“ wird.

Zurück zur Straßengabelung in Höhe des „Nordtheaters“: Der hier nach links (Südos-ten) führende Abzweig teilt sich nach einigen hundert Metern erneut: Der Weg nach links (bezeichnet als B) führt nach Osten, wo er süd-lich des im Nordpark gelegenen Nymphäums mit Venustempel in einen unterirdischen Stra-ßenzug mündet; hierbei handelt es sich mithin um die Zufahrt zur Regio princeps, u. a. zur Kaiserlichen Villa und zum „Prachthof “. Der Weg nach rechts (bezeichnet als A) führt die ihn benutzenden Ankömmlinge exakt auf ei-nen Eingang in der Mitte der nördlichen Be-grenzungsmauer der „Ost-West-Terrasse“.

Die Trasse B verlässt nach kurzer Strecke den Tunnel und stößt kurz darauf auf einen vorgelagerten Pavillon-Bau, über den nach rechts der Zentralkomplex zu erreichen ist; an-schließend führt sie – bis auf ein kurzes Stück immer noch oberirdisch – weiter und erreicht an einem weiteren Pavillon den „Prachthof “; dann wieder unterirdisch nimmt sie ein Ab-zweig scharf nach rechts in Richtung unter das nördliche Vestibül des „Prachthofes“ und dar-über hinaus, vielleicht bis zu dem neuerdings in diesem Areal angenommenen Küchenkom-plex; geradeaus geht es weiter, bis zum Schluss das „Große Trapez“ erreicht wird. Dieser zwei-

te Pavillon wäre nach Hypothesen die Station, an welcher der Kaiser in seine persönliche Vil-la und beispielsweise vornehme Gäste in die Anlage des „Prachthofes“ mit seinen Galatri-klinien hätten gelangen können.

Insgesamt ist das unterirdische Wege- oder Straßennetz noch weitestgehend unerkundet, da es nach bald zweitausend Jahren vielfach verschüttet ist. Was die Trasse B betrifft , so gilt sie bei denjenigen, die die Villa in den letzten zwei Jahrzehnten erforschten, wie gerade ge-sagt, in der Regel als die Strecke, über die der Kaiser in den Zentralkomplex einschließlich der kaiserlichen Villa gelangte. Mangels anderer deutlicher Spuren besitzt diese Annahme durchaus Plausibilität, doch sei das hier einmal dahingestellt: Die „schmale Gasse“ an der Mau-er der Domäne wirkt wenig kaiserlich (s. Abb.), nicht zuletzt, weil nach den existierenden An-

An dieser Stelle soll nochmals ange-merkt werden, dass bis heute keine sys-

tematische Gesamtuntersuchung der Villa Ha-drians vorgenommen wurde und zu den bekannten Befunden oft nicht oder nicht aus-reichend verifi zierte Hypothesen oder einfach auch nur Ad-hoc-Interpretationen vorliegen. Das Fehlen von Quellen mit inhaltlichen Aus-künft en lässt überdies in der Regel nur typolo-gische Hypothesen zu, oft nur allgemeinsten Charakters. Das Paradox, dass wir im Falle ei-nes der bedeutendsten architektonischen Komplexe der römischen Antike über keine authentischen Aussagen und nur über Spuren eindeutiger inhaltlicher Befunde verfügen, lässt sich nicht aufl ösen. Immerhin existiert seit kurzem eine ausführliche Untersuchung von Federica Chiappetta, die sich mit den möglichen Wegen des Kaisers und seiner Fa-milie, des Hofes sowie des Dienstpersonals be-fasst, um so auch Aufschluss über die Funktio-nen der Räumlichkeiten zu gewinnen.

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nahmen hier auch lebhaft er Verkehr von Last-fuhrwerken herrschte (doch wurde, möglicher-weise parallel dazu, jetzt ein kurzes Stück einer weiteren unterirdischen Straße ausgemacht).

Demgegenüber unverfänglich scheint die Annahme, der Kaiser habe, um in den Resi-denzkomplex zu gelangen, den Weg über die Ost-West-Terrasse genommen; allerdings exis-tiert von dort anschließend nur ein längerer Weg weiter in die private Villa, freilich aus-schließlich durch ihm und Hofangehörigen vorbehaltenes Gelände (über den „Stadion-Nymphäums-Hof “ oder zwischen den Privat-thermen und dem Palast).

Ebenso nachvollziehbar ist die Annahme, die Angehörigen des Hofes und Offi zielle hät-ten Zutritt zum Zentralkomplex über die Stra-ße B und den ersten Pavillon gehabt. Doch gilt das auch für die Kaiserin Sabina? Sollte im Südviertel tatsächlich ihr persönlicher Palast vermutet werden können, hätte sie nach einer Hypothese im Wagen den größtenteils unterir-dischen Weg ganz außen herum vorbei am „Prachthof “ und durch das „Große Trapez“ ge-nommen, alternativ dazu die Strecke über das westliche Große Vestibül, den Roccabruna-Turm und die anschließende West- Esplanade – möglicherweise in der Sänft e?

Zugang zur Villa Hadriana von der

Straße B am „Pavillon mit Belvedere“.

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Der Nordpark

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Kultur, Geselligkeit und Beschaulichkeit, ein Bereich zur Erbauung

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DER KOSMOS DER VILLA TIBURTINA HADRIANS

Der Nordpark

Der Nordpark war, soweit ersichtlich, mögli-cherweise nur vom Zentralkomplex her zu-gänglich und damit dem Kaiser, seiner Familie, seinen Freunden, privaten und offi ziellen Gäs-ten sowie den Offi ziellen vorbehalten. Aller-dings befi nden sich dem hier gelegenen Th ea-ter nordwestlich vorgelagert Strukturen von Bauten, denen in den letzten Jahren erstmalig Ausgrabungen galten; diese können abwei-chende Erkenntnisse erbringen.

Im Nordpark sind aktuell vier deutliche Strukturen festgestellt: ein Th eater [„Griechi-sches Th eater“], das „Gebäude mit Sphinx“, da-her ein mögliches Isis-Heiligtum [Palästra], ein „Nymphäum mit Rundtempel der Venus“, zwei Gartenterrassen [„Tempe-Tal“; „Terrasse unter den Bibliotheken“].

❐ Das Nordtheater [Griechisches Theater] Das kleine Th eater wirkt heute fast in die Ge-ländestruktur eingepasst, wie es eben beim ori-ginalen griechischen Th eaterbau der Fall war, doch handelt es sich um ein Th eater römischen Typs. Denn das Zuschauerrund (Cavea) bildet ein exaktes Halbrund (das griechische koilon weist ein größeres Kreissegment als nur ein Halbrund aus, die Orchestra ist kreisrund). Das Proscaenium, also der Bühnenbau (davor liegt die hier nur halbrunde Orchestra) ist nur im unteren Teil erhalten. Im 18. Jahrhundert wur-den in der Villa Hermen der personifi zierten Comoedia und Tragoedia gefunden – ob sie aus diesem Th eater stammen, ist unbekannt. Wel-cher Art Werke am kaiserlichen Hof aufge-führt wurden, lässt sich nicht angeben: Ver-mutlich handelte es sich um Stücke aus dem

Von den Parkanlagen der Villa Hadriana finden sich nur noch wenige so deutliche Spuren. Diese Strukturen finden sich nördlich des „Diplomaten- und Verwaltungstrakts“.

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Der Nordpark

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Idyllischer Wasserzauber mit Aussicht

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Der Venustempel auf dem Nymphäum im Nordviertel, Blick nach Osten.

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Der Nordpark

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Eine Sphinx hilft diesmal Rätsel lösen

klassischen bis nachklassischen griechischen Repertoire, also um „Bildungsgut“. Dies des-wegen, weil die römische Th eaterdichtung selbst nur wenige eigene Bühnenautoren kann-te, die entweder als nicht besonders bedeutsam galten oder die im Genre der Komödie – bis auf Plautus oder Terenz – im unanstößigsten Fall reine Burlesken produzierten. Der Th ea-terbau spiegelt die urbane Kultur, er darf in ei-nem Komplex wie der Villa Hadriana nicht fehlen. An deren südlichem Ende bildet ein allgemein „Odeon“ genannter, äußerlich ähnli-cher Th eaterbau einen architektonischen und kulturellen Kontrapunkt. (Das dem griechi-schen odeion nachkonstruierte eigentliche rö-mische odeum war in der Regel überdacht; vornehmlich diente es musikalischen Auff üh-rungen und dem zeitgenössischen Rezitations-theater.)

❐ Nymphäum mit Rundtempel der Venus Die imposante, großfl ächige Brunnenanlage in Gestalt eines Halbrunds darf man sich mit zweifellos suggestiven Wasserspielen ausge-staltet denken. Ihre gerade Kante liegt nach Osten hin und gewährt einen freien Blick auf das darunter liegende Tal mit dem Torrente della Ferrata sowie den gegenüber aufragen-den Colle Ripoli mit seinen damals Dutzenden von Villen, heute die jüngeren modernen Stadtteile von Tivoli. Die Kante ist exakt süd-nördlich ausgerichtet; blickt man von der An-lage aus nach Norden, ist das der einzige Punkt, der von Hadrians Domäne aus in der Ferne die Stelle des alten Tibur mit den heuti-gen Gebäuden erkennen lässt.

In der Mitte des Nymphäum-Halbrunds liegt ein kleiner Rundtempel der Venus; einige Säu-len sind wiederaufgestellt, innerhalb des Säu-lenkreises steht ein Abguss der hier ehedem eingebundenen Kopie der Aphrodite von

Knidos. Es wäre nicht angemessen, in diesem Tempelchen mit der Skulptur der Liebesgöttin einen religiösen Ort zu sehen: Aphrodite- Venus ist nach dem griechischen Mythos be-kanntlich die (aus dem Meeres-) „Schaum-geborene“ und fügt sich einfach romantisch in das seinerzeit gewiss grandios sprudelnde, die Sinne entführende Wasserspiel ein. Das Motiv der Venus hat hier damit keinen anderen Cha-rakter, als es in einem ähnlichen Ambiente der Neuzeit hätte.

❐ Das Gebäude mit Sphinx [Palästra] Eine funktionsgerechte Benennung des (für Besucher nicht zugänglichen) Komplexes ist noch nicht endgültig möglich (die gebräuchli-che auch in diesem Fall ohne sachliche Grund-lage): Jedoch wurde hier 2006 bei (noch nicht abgeschlossenen) Grabungen überraschend eine (drei Meter lange) Sphinx ägyptischen Stils gefunden, andererseits wurden im selben Areal schon im 16. Jahrhundert von Ligorio (S. 27) drei Halbbüsten aus rotem Marmor ent-deckt, die jetzt plausibel als Bildnisse ägypti-scher Isis-Priester interpretiert wurden (die Büsten sind auf verschiedene europäische Mu-seen verteilt), dazu aber auch damals schon ein Kolossalkopf der Isis. Es könnte sich also um ein Isis-Heiligtum handeln, wozu auch gut ein vorfi ndliches Peristyl passen würde.

Anders als im Falle der Venus handelte es sich bei der ägyptischen Isis auch im 2. Jahr-hundert n. Chr. in der allgemeinen römi-schen Vorstellungswelt keineswegs um eine Märchenfi gur. Ihr Kult war, von Ägypten aus-gehend, schon längst im römischen Reich nicht nur verbreitet, sondern verwurzelt. Überall im Reich existierten Isisheiligtümer, so etwa auch in Rom, dort das größte auf dem Marsfeld in unmittelbarer Nähe des Panthe-ons, direkt gegenüber dem Hadrianstempel gelegen (der nach seinem Tode erbaut wur-

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de); auch dieser Bereich wurde von Hadrian restauriert und u. a. die Kultstatue der Isis durch eine neue ersetzt.

Wieder wäre nichts voreiliger, als im Vor-handensein eines Isis-Heiligtums in der Villa Hadriana einen Ausdruck bestimmter persön-licher Religiosität des Kaisers zu sehen. Auch hierin tritt also der öff entlich-imperiale Cha-rakter der Residenz hervor: Religion war ver-staatlicht, diente also aus der Perspektive von oben der Staatsräson und war ggf. Gegenstand von Religionspolitik. Die Bedeutung, die man „oben“ dem Isiskult zumaß, ersieht man bei-spielsweise auch schon aus der Existenz eines Iseums auf dem zum Repräsenta tionsviertel des alten Roms gewordenen Marsfeld. Mehr: → sog. Antinoeion (S. 125).

❐ Die nördlichen Gartenterrassen[Tempe-Tal; Terrasse unter den Bibliotheken] Bei der nördlichen Terrasse handelt es sich um

ein weiter unerschlossenes Areal, das nach Norden hin mit einer Stützmauer befestigt ist (allerdings wurde, wie gesagt, darunter am Nordrand unlängst ein Stück eines weiteren „Straßentunnels“ von West nach Ost festge-stellt). Am südlichen Rand führt die oben ge-nannte Straße B vorbei. Die vielfach zu fi nden-de Bezeichnung „Tempe-Tal“ (Name einer Gebirgsschlucht im griechischen Th essalien ohne jedes Erinnerungsmoment zu dem Are-al) geht auch hier auf die romantisierenden Versuche einer Benennung nach der Historia Augusta zurück. Die Gartenterrasse „unter den Bibliotheken“ (wieder eine aufgrund unzutref-fender Annahmen ersonnene Bezeichnung) darf man sich auch wieder üppig gärtnerisch gestaltet und mit Brunnenanlagen jedweder Art versehen vorstellen.

Die Fruchtbarkeitsgöttin Isis ist mit dem Unterweltgott Osiris verbunden, außer-

dem mit dem Horus-Knaben. Die darum gewo-benen Mythen stehen in verschiedener Verbin-dung mit weiteren orientalischen Mythen bzw. Glaubensvorstellungen, etwa Mithras oder auch Dionysos sowie dem Christentum: Wie Dionysos und Jesus ist Osiris eine vom Tode wiederauferstandene Gestalt; zusammen mit dem Horusknaben zeigt Isis Züge der Maria mit dem Jesuskind (und ist deren ikonografi -sches Vorbild). Mithras und Christentum ken-nen ein Abendmahl und die Himmelfahrt, allen gemeinsam ist eine – dem Römischen grundsätzlich völlig fremde – Jenseitsvorstel-lung sowie der Glaube an ein Leben nach dem Tode. Osiris fungiert als oberster Richter in ei-nem „Jüngsten Gericht“, alle genannten männ-lichen Gestalten, einschließlich Christus,

! haben auch eine gemeinsame Wurzel in Son-nengott-Vorstellungen. Isis- und Mithraskult sind als Mysterienreligionen ausgeprägt, erste-rer besitzt überhaupt Beziehungen zu den Eleusinischen Mysterien Athens.

Diese und weitere ähnliche religiöse Vorstel-lungen, geprägt von einer gemeinsamen Inner-lichkeit und einem gemeinsamen Hoff nungs-prinzip, hatten weitverbreitet längst die „alte Religion“ abgelöst. Auch Hadrian verhielt sich den existierenden Kulten gegenüber tolerant, förderte u. a. den Isis- und Osiris-Kult und suchte darüber hinaus gezielt, letzteren in der Figur des Antinoos einen neuen, an das Kai-serhaus gebundenen Impuls zu geben. Dem griechischen Demeterkult parallel existierte in Italien ein ähnlicher Kult der „Bona Dea“ (Hei-ligtum auch in Tibur).

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Der größte Luxus der Aristokratie: die freie Fläche

Das Bassin mitten auf der Ost-West-Terrasse. In der Mitte dahinter die „Audienzhalle“, auf gleicher Linie rechts davon der Winterpalast.

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Die „Regio princeps“ (Hauptbereich)

Der Hauptbereich der Villa Hadriana, in dieser Darstellung gleichbedeutend als Regio princeps bezeichnet, umfasst ganz unterschiedliche Bauten und Anlagen: von der „Ost-West-Ter-rasse“, gleichermaßen Entrée hierzu wie Raum der körperlichen und geistigen Entspannung, über den „Winterpalast“ und die „Kaiserliche Palastvilla“ bis hin zum „Prachthof “ im Osten. Er schließt damit Residenz- und Repräsentati-onsbauten des Kaisers genauso wie festliche Refugien für ihn und seine Gäste einerseits so-wie einen Regierungskomplex mit Anlagen für Regierungsgäste andererseits ein. Insgesamt war er also der von der Person Hadrian als Staatslenker dominierte Hauptbereich, zu dem diejenigen – in unterschiedlicher Stufung und Funktion – Zutritt hatten, die unmittelbarer Zugang zum Kaiser oder den von ihm Beauf-tragten auszeichnete.

❐ Der Empfangshof, die Ost-West-Terrasse [Poikíle, (ital.) Pecile], ist auf der gewaltigen künstlichen Terrasse angelegt, in deren Sub-struktionen sich die „Hundert Kammern – Cento Camerelle“ befi nden (S. 55), und stellt eine nicht nur in ihren Dimensionen abgewan-delte Form des traditionellen Peristylhofes dar. Dieser lag in der traditionellen römischen Vil-la (und vorher auch dem traditionellen helle-nistischen Palast) im architektonischen oder funktionalen Zentrum des Baukomplexes. Hier ist er herausgerückt und vorgelagert (wofür es vergleichbare Experimente in orientalisch-hel-lenistischen Palästen gibt). Aber auch in sich ist der – 230 � 96 Meter große – Hof architek-tonisch neu interpretiert: Die Schmalseiten – in Korrespondenz dazu die kurzen Seiten des Bassins in der Mitte – sind, gemeinsam mit den zugehörigen Säulenstellungen, leicht nach außen gerundet (an der Ostseite führt ein Zu-gang zum „Stadion- Nymphäums-Hof “ des „Winterpalastes“).

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In Gesellschaft der Planetengötter: Empfänge in orientalischer Tradition

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Die Audienzhalle neben dem „Inselpavillon“. In der iwanförmigen Apsis erkennt man die Nischen der sieben Sterngottheiten-Statuen.

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Die Regio princeps(Hauptbereich)

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Der Arzt empfiehlt: viel regelmäßige Bewegung mit Schrittmesser

Der Innenbereich um das Bassin herum ist als Garten mit allen zugehörigen Attributen, etwa Wasserspielen, zu denken. Eine außergewöhn-liche Besonderheit stellt die über die ganze Nordseite geführte, neun Meter hohe Ziegel-mauer (einstmals mit Travertin verkleidet) dar, der im gleichen Abstand wie der Säulenstel-lung nach innen nördlich eine weitere Kolon-nade vorgeordnet war. Der Nord- wie der Süd-gang waren überdacht. An den jeweiligen En-den sorgten ebenfalls überdachte Halbkreismauern dafür, dass man ohne alles „Gute von oben“ jeder Art von der einen zur anderen Seite wechseln und sozusagen End-losschleifen drehen konnte. Diese Bewegung vollzog man jedoch gewiss nicht „endlos“, son-dern, wenn man pedantisch war, sieben Mal: Dann hatte man siebenmal 1450 Fuß durchlau-fen und damit insgesamt 3,5 römische Meilen. Eine hier aufgefundene Inschrift – sie zeigt via negativa in schmerzlicher Weise, wie viel an möglichem Wissen uns dadurch entgeht, dass in der Villa Hadriana kaum Inschrift en gefun-den wurden – macht klar, dass es sich bei die-ser Mauerportikus um eine porticus miliaria, eine „Meilenportikus“ handelt, d. h. einen me-dizinisch empfohlenen „Trimm-dich-Pfad“ von defi nierter Länge. War also Kaiser Hadri-an ein früher Jogger? Durchtrainiert für seine Märsche auf Reisen war er off enbar, doch die Ärzte dachten hier mehr an Spaziergänge.

Von der Ost-West-Terrasse aus hat der Besu-cher die Möglichkeit, a) über zwei Treppen-portale den „Audienzsaal“ im Nordosten der Terrasse zu erreichen (deren Haupteingang je-doch nach Norden hin liegt), doch zweifellos war er auch von der Nordseite der Terrasse her zugänglich; b) über den nördlichen Kolonna-dengang den „Verwaltungs- und Diplomaten-bezirk“ aufzusuchen; c) über die östliche Seite den „Stadion-Nymphäums-Hof “ zu betreten; und schließlich d) an der südöstlichen Seite in

das „Gebäude der drei Exedren“ (und darüber in den „Winterpalast“) zu gelangen.

❐ Das nächstfolgende Gebäude war ein ma-jestätischer Saal mit Halbkuppelapsis, vermut-lich die offi zielle, höchst prunkvolle Audienzhalle [Philosophensaal, eine Be-zeichnung ohne Grundlage]. Zutritt hatte man über ein Portal mit zwei Säulen an der Nord-seite. Innen war er mit kostbarsten Marmo-rapplikationen ausgeschmückt; die hintere Apsis weist sieben erhöhte Nischen auf, in de-nen nach einer Hypothese sinnvollerweise (� „Inselpavillon“) Statuen der antiken Planeten-götter (Sonne / Sol, Mond / Luna, Mars, Mer-kur, Jupiter, Venus, Saturn) anzunehmen sind (die schon in Babylonien, und dann Griechen-land, zur Bezeichnung der Wochentage dien-ten). Sie spielten eine entscheidende Rolle in Astronomie und Astrologie (in der Antike nicht unterschieden). Der ganze Bau ist aber nun in seiner Art von den Iwanen (s. o. S. 61) der orientalisch(-hellenistisch)en Paläste ins-piriert, deren Hauptfunktion zumeist auch die eben einer Audienzhalle war. Von der Audi-enzhalle aus (oder zu ihr hin?) nun existierte ein Durchgang zum kaiserlichen „Inselpavil-lon“; zudem war er unterirdisch an den „Stadi-on-Nymphäums-Hof “ angebunden.

❐ An den Audienzsaal grenzte also, mit eben-falls nach Norden orientiertem Hauptentrée, der in seiner zunächst vielleicht spielerisch- extravagant wirkenden Architektonik ganz außergewöhnliche kaiserliche Inselpavillon [Teatro Marittimo], ein Solitär der Architektur. Seine architektonische Erscheinung und Struktur wurden oben schon eingehend analy-siert und in ihrer emblematischen Rolle be-stimmt: der Rolle eines Mittelpunkts des Kos-mos ganz ohne aggressiven Prunk, doch in höchst selbstbewusster Symbolik.

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Teil des mehrgeschosssigen „Verwaltungs- und Diplomatentraktes“.

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Die Regio princeps(Hauptbereich)

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Bankette unter dem Firmament – mit Gästen im Vogelhaus

Die „Hospitalia“ (Gästewohnungen) von der Seite der Kaiserlichen Palastvilla aus (Blick nach Norden).

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Diese Symbolik wird in der aktiven Anlage in der kompletten Ausgestaltung noch viel sinnfälliger gewesen sein; doch ist man wieder auf Hypothesen angewiesen, will man wenigs-tens die Richtung einer plausiblen Vorstellung gewinnen. Legt man die Typologie des Baues zugrunde und das, was einige seiner elementa-ren Charakteristika ausmacht (s. S. 50), exis-tiert da ein (schon vor einiger Zeit in die Dis-kussion eingebrachtes, doch zur Lösung der Frage sonst nicht weiter aufgegriff enes) litera-risch (beim Fachschrift steller Varro) überlie-fertes Bauwerk aus republikanischer Zeit, ein orníthon (griech.-lat.) oder aviarium (lat.), also ein „Vogelhaus“.

Derlei Bauten mit einem solchen in das Am-biente eingebundenen Annex fi nden sich bei den ja auch Skurriles liebenden Römern öft er. Im gegebenen Fall handelt es sich um einen Bau von ca. 23 Metern Länge und 13,5 Metern Breite, dessen eines Ende mit einem Halbrund abschließt. In dieses Halbrund eingegliedert war ein Rundbaldachin mit einer inneren Säu-lenstellung von ca. zehn Metern Durchmesser. Der innere Kreis wies außen ein kreisförmiges Bassin von etwa zwei Metern Breite auf, das In-nere bildete eine runde „Insel“, ebenfalls mit Säulen umstanden und als Triklinium (mit ei-nem drehbaren Rundtisch in der Mitte) ausge-bildet, zugänglich über eine bewegliche Ram-pe. Der diesem gesamten Rund vorgelagerte Bereich enthielt auf beiden Längsseiten Voli-eren und zwei (mutmaßliche Fisch-)Becken. Die Säulenstellung um die Trikliniumsinsel besaß mittig ganz oben eine Kuppel mit einem beweglichen Windanzeiger in Pfeilform. In der hölzernen Kuppel bewegten sich Tag und Nacht drehende Sterne – ein wahres „Him-melszelt“. Nicht nur das: Lucifer (Morgenstern) und Vesper (Abendstern) verdeutlichten die Anzeige der Stunden. Was in dem Text dann auch nicht fehlt, ist ein Hinweis auf den Archi-

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