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Tod den Dreiäugigen

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Nr. 391

Tod den Dreiäugigen

Die neue Erfindung der Eripäer

von Horst Hoffmann

Als Atlantis-Pthor auf seinem Weg durch die Dimensionskorridore den Korsallo­phur-Stau erreichte, wurde der fliegende Kontinent jäh gestoppt. Von kosmischem Staub und planetarischen Trümmermassen umgeben, konnte der »Dimensionsfahrstuhl« seinen unkontrollierbaren Flug zur Schwarzen Galaxis und den dort lauernden Gefahren nicht mehr fortsetzen.

Doch auch der Korsallophur-Stau enthielt tödliche Gefahren, wie sich alsbald er­wies. Der fliegende Kontinent und seine Bewohner bekamen es mit den kriegeri­schen Krolocs zu tun, den Beherrschern des Staus. Diese spinnenähnlichen Intelli­genzen sahen in dem so plötzlich aufgetauchten Weltenbrocken ein Objekt, das es zu erobern und ihrem Herrschaftsbereich einzuverleiben galt.

Daß die Invasion der sieggewohnten Krolocs dennoch in dem Moment mißlang, da die Streitkräfte Pthors bereits ihre Waffen niederzulegen begannen, lag nur an der rechtzeitigen Rückkehr Atlans und dem Einsatz der GOL'DHOR, des goldenen Raumschiffs.

Nun, nach der Kapitulation der Krolocs, erfolgt ein weiterer Einsatz der GOL'DHOR. Es geht um das zukünftige Schicksal der Eripäer, die nach dem ver­derblichen Motto handeln: TOD DEN DREIÄUGIGEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Knitor - Ein Wissenschaftler macht eine umwälzende Erfindung.Gurankor und Tirsoth - Die Dreiäugigen sollen hingerichtet werden.Razamon und Balduur - Die Pthorer greifen erneut in das Schicksal der Eripäer ein.Waaylon - Der Eripäer erlangt das Leben ohne Ende.Aus den geheimen Aufzeichnungen des siebenjährigen Tirsoth - geschrieben wenige Tage vorder Katastrophe.

1.

Gurankors größtes Geheimnis war sein hinter einem künstlichen Hautläppchen ver­borgenes drittes Auge. Wie all seine Vor­gänger im Amt des mächtigsten Mannes der Lichtung gehörte auch er zu jenen, die die Eripäer mehr fürchteten als alles andere. Der Grund dafür lag weit zurück. Es waren Drei­äugige gewesen, die für das grausame Schicksal der Eripäer verantwortlich waren. Im Lauf der Zeit war die Erinnerung an die genauen Umstände verlorengegangen. Nur Gurankor, Waaylon, sein Vertrauter, und in­zwischen auch Tirsoth wußten, was sich da­mals ereignet hatte.

Das zweitgrößte Geheimnis des Eripäers war das Gerät, das nun in der Mitte des großen Laborraums stand. Niemand außer den hier arbeitenden Wissenschaftlern und ihm selbst wußte von den Forschungen, die vielleicht entscheidend für die Zukunft der Lichtung sein konnten. Gurankor hatte an ihrem Erfolg gezweifelt. Doch ein Blick ins Gesicht von Knitor, der die Arbeiten leitete, zeigte ihm, daß er sich getäuscht hatte.

»Sie haben es tatsächlich geschafft?« fragte er.

»Deshalb bat ich Sie hierher«, antwortete der Wissenschaftler. Knitor gab sich keine Mühe, seinen Stolz zu verbergen. Er deutete auf das würfelförmige Gerät mit knapp zwei Metern Kantenlänge. Mehrere Aufsätze und wie Antennen herausragende Stäbe schufen ein bizarres Bild. »Dieses Aggregat wird es uns möglich machen, uns im Stau ebenso wendig zu bewegen wie die Krolocs. Mehr noch: Die Schiffe, deren Antrieb damit ver­sehen wird, werden den Spaccahs überlegen

sein. Sie können nicht nur mit der Ge­schwindigkeit des Gegners innerhalb der Materiewolken operieren, sondern ebensol­che Manöver fliegen wie hier in der Lich­tung.«

»Einen Augenblick«, unterbrach Guran­kor den Redefluß des Wissenschaftlers. »Selbst die Durchdringungsenergie, über die die Krolocs verfügen, kann keine Flüge mit der hier möglichen Geschwindigkeit gestat­ten. Die Staubmassen lassen sich nicht ein­fach aus der Welt schaffen.«

Knitor lächelte. »Natürlich nicht. Aber ich sagte ja, daß

unser Prinzip dem der Durchdringungsener­gie überlegen ist.«

»Sie machen es sehr spannend.« Knitor zuckte die Schultern. Er lächelte. »Sie gaben uns freie Hand, auch als ich

Sie bat, mir keine Fragen nach der Natur des neuen Antriebs zu stellen. Wir mußten in Ruhe arbeiten können, und ein Mißerfolg wäre leichter zu ertragen gewesen. Niemand hätte uns Phantasterei vorwerfen können.«

»Ein neuer Antrieb«, murmelte Gurankor. Er schien überrascht.

»Sie haben also doch schon Spekulatio­nen angestellt«, sagte Knitor. »Es handelt sich nicht um einen neuen Antrieb im ei-gentlichen Sinn. Der Antrieb unserer Schiffe wird lediglich modifiziert, wie ich schon an­deutete. Das neue Aggregat ist in der Lage, um jedes Schiff, um jeden Körper, also auch zum Beispiel Planetoiden, ein Feld zu erzeu­gen, in dem jedes Hindernis praktisch nicht mehr existent ist. Vereinfacht ausgedrückt, wird es für die Dauer der Berührung desinte­griert, um sofort nach Passieren des Schiffs wieder am alten Platz zu sein.«

Was nun folgte, waren Erklärungen, die

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Gurankor kaum etwas sagten. Er begriff aber, daß Knitor ihm keine Märchen erzähl­te. Die Erregung des Eripäers wuchs mit je­der Minute. Er war unfähig, den Blick vom Aggregat zu nehmen. Erst jetzt wurde ihm bewußt, welche Möglichkeiten sich seiner Rasse offenbarten.

Sollte die Erfindung der Wissenschaftler um Knitor sich in der Praxis bewähren, war die entscheidende Wende im Kampf gegen die Krolocs in Sicht. Ein uralter Alptraum würde sein Ende finden. Es war zu phanta­stisch. Immer noch versuchte Gurankor, die aufkommende Euphorie zu unterdrücken.

»Ich verstehe Ihre Zweifel«, sagte Knitor. »Wir alle hatten sie, bis die ersten positiven Testergebnisse vorlagen. Die Versuche wur­den allerdings hier in der Lichtung ange­stellt.«

»Sie baten mich um ein Schiff«, murmelte Gurankor. »Ich gab es Ihnen, ohne zu wis­sen, was Sie damit vorhatten. Aber ich weiß, daß es zweimal in den Raum startete. Ich selbst gab die Einwilligung zu den Flügen.«

»Es waren die ersten Testflüge der GIR­SITH. Der Antrieb wurde vorher mit dem Aggregat versehen. Wir legten uns selbst Hindernisse in den Weg und flogen im wahrsten Sinn des Wortes durch sie hin­durch.«

»Die Flüge waren als Inspektionsflüge der angeblich beschädigten GIRSITH dekla­riert«, sagte Gurankor.

Knitor nickte. »Natürlich können wir erst Gewißheit ha­

ben, nachdem wir den modifizierten Antrieb im Korsallophur-Stau selbst getestet haben.«

»Jetzt, da die Krolocs uns so gut wie ein­gekreist haben?«

»Sie sind über die Positionen ihrer Flotten informiert«, widersprach Knitor. »Es sollte Stellen geben, an denen wir in den Stau ein­dringen können. Ich bin sicher, daß wir es mit jeder verfolgenden Spaccah aufnehmen können. Doch wie gesagt – Gewißheit haben wir erst nach dem Versuch.«

Gurankor nickte. Er wußte, daß die Zeit drängte. Zwar hatten die Krolocs bei ihrem

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Angriff auf Damaukaaner, den sonnennäch­sten Planeten, eine empfindliche Schlappe erlitten, doch das warf sie nicht für lange zu­rück. Es verstärkte eher ihren Haß auf die Eripäer.

Gurankor sah sich vor eine schwerwie­gende Entscheidung gestellt. Wenn die GIR­SITH vernichtet wurde, war nichts gewon­nen. Man würde wieder von vorne anfangen müssen.

»Es gibt mittlerweile bereits mehrere Ag­gregate«, erklärte Knitor, als hätte er die Ge­danken des Eripäers gelesen. »Andere Schiffe können damit ausgerüstet werden.«

Gurankor gab sich einen Ruck. »Also gut. Versuchen wir es. Ich selbst

werde an dem Flug teilnehmen.« Knitors Gesicht verriet Erschrecken. »Aber das ist zu gefährlich. Sollte Ihnen

etwas zustoßen …« »Ich vertraue Ihnen und Ihren Leuten.

Wir werden nur wenig in den Stau eindrin­gen, gerade so weit, wie die Geschütze der Einheiten reichen, die ich an der Peripherie zusammenziehen lassen werde.«

Gurankor konnte nicht ahnen, daß er im Begriff war, den größten Fehler seines Le­bens zu machen.

Vorerst erwartete ihn eine freudige Über­raschung. Als er in die Zentralstadt Yardan­so und zum Regierungssitz Gnosier zurück­kehrte, erhielt er die Nachricht, daß sich die Krolocs von allen Positionen rund um die Lichtung zurückzogen.

*

Was zunächst nur mit Unglauben aufge­nommen wurde, bestätigte sich.

Die Krolocs verschwanden in den Tiefen des Korsallophur-Staus. Für die Eripäer war diese Entwicklung unverständlich. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt wissen, daß sie den Rückzug der Spinnenartigen der Nieder­lage der Krolocs über Pthor und Atlans Dik­tat, die Eripäer ein für allemal in Frieden zu lassen, zu verdanken hatten.

Fest stand, daß nach zwei Tagen keine

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einzige Spaccah mehr zu orten war. Regierungssitzungen fanden statt. Man

beschloß, vorerst abzuwarten. Die Mehrheit der Kabinettsmitglieder glaubte an eine Fal­le.

Für Gurankor jedoch bot die jüngste Ent­wicklung Gelegenheit, mit der GIRSITH tiefer als vorgesehen in den Stau vorzudrin­gen.

Weitere zwei Tage später startete das Schiff.

Ein Verband von schwerbewaffneten Ein­heiten begleitete die GIRSITH bis zur Peri­pherie der Lichtung. Gurankor hatte den Schiffen Anweisung erteilt, dort Warteposi­tion zu beziehen. Sobald Spaccahs geortet wurden, würde die GIRSITH den Stau ver­lassen.

Die wenigen Eingeweihten auf Aarl, unter ihnen nun auch Waaylon, der dritte Dreiäu­gige, der den Bürgerkrieg auf Zaardenfoort verhindern konnte, hielten den Atem an, als die GIRSITH in den kosmischen Staubmas­sen des Staus verschwand. Über Relaisschif­fe wurden hochgradig verschlüsselte Nach­richten gefunkt. Noch sollte die Öffentlich­keit nicht erfahren, worum es ging. Falsche Hoffnungen hätten sie nur von ihren eigenen Problemen abgelenkt und unaufmerksam werden lassen.

Noch glaubte Gurankor, nach einem Er­folg vor die Eripäer hintreten und die frohe Botschaft überbringen zu können.

Die GIRSITH flog tiefer in den Stau ein – und Gurankor dem Verderben entgegen. Au­ßer ihm befanden sich die Besatzung und der größte Teil von Knitors Mitarbeitern an Bord. Knitor selbst kontrollierte die Funkti­on des Zusatzaggregats im Überwachungs­stand der Antriebskammern.

Das Schiff kam nur noch langsam voran, gerade so, als ob es sich durch zähen Brei bewegte, der den Flug abbremste und kaum noch Manöver erlaubte. Ein Spaccah-Ver­band hätte leichtes Spiel mit der GIRSITH gehabt.

»Ich aktiviere das Aggregat«, drang Kni­tors Stimme aus den Lautsprechern der Zen­

trale. Der Countdown. Der Kommandant des

Schiffes saß angespannt vor den Steuerungs­instrumenten, bereit, sofort zu reagieren. Sollte Knitor recht behalten, so würde die GIRSITH gleich einen Satz nach vorne ma­chen, wie von einem mächtigen Katapult ab­geschossen.

Genauso geschah es. Der Kommandant reagierte blitzschnell. Innerhalb weniger Mi­nuten hatte er den Flug des Schiffes unter Kontrolle. Die GIRSITH glitt durch den Stau, als gäbe es keine Materiewolken. Erste Wendemanöver. Niemand in der Zentrale wagte zu sprechen. Nur Knitors tiefe Atem­züge waren aus den Lautsprechern zu hören.

Es dauerte Minuten, bis Gurankor Worte fand.

»Wissen Sie, was das für uns bedeutet?« Er hatte die Worte geflüstert. Dennoch

drehten die Männer, die bis jetzt voller Un­glauben auf die Kontrollen gestarrt hatten, sich zu ihm um. Der Unglaube verwandelte sich in Entsetzen, als sie Gurankor ansahen.

Einige schrien. Andere fuhren aus ihren Sesseln auf und rannten in Panik aus der Zentrale.

»Was soll das?« fragte Gurankor verwirrt. »Soeben haben wir …«

»Ja!« schrie der Funkoffizier, der sich als letzter umgedreht hatte und nun ebenfalls aufgesprungen war. Er hatte seine Waffe in der Hand und zielte auf die Stirn des fas­sungslosen Eripäers. »Soeben haben wir er­kannt, daß wir von einem Monstrum regiert wurden!«

Die Stimme des Mannes überschlug sich. Gurankor war zu überrascht, um sich mit ei­nem Sprung in Sicherheit bringen zu kön­nen. Es war Knitor, der ihm das Leben rette­te. Der Wissenschaftler stürmte in die Zen­trale und schlug dem Offizier die Waffe aus der Hand.

»Was hat das zu bedeuten, Knitor?« frag­te Gurankor.

»Das fragen Sie noch?« Das Gesicht des Wissenschaftlers glich einer Maske. Seine Miene drückte tiefste Abscheu aus. »Wie

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konnten wir uns so täuschen lassen – all die Jahre.«

Plötzlich begriff der Eripäer. Er trat vor einen Bildschirm, der von einem Scheinwer­fer so angestrahlt wurde, daß er Reflexe warf und als Spiegel wirkte.

Gurankor sah sich – den Dreiäugigen. Auf seiner Stirn hatte es zu leuchten be­

gonnen. Das dritte Auge zeichnete sich deut­lich unter dem transparent gewordenen schützenden Hautlappen ab.

Ein Nebeneffekt des neuen Antriebs! durchfuhr es den Eripäer.

Knitor redete wieder. »Betrachten Sie sich als Gefangener, Gu­

rankor«, hörte der Eripäer. Knitors Stimme schien von weither zu kommen. Der Mann hatte Mühe, sich zu beherrschen. Die Hand mit der nun ebenfalls gezogenen Waffe zit­terte. »Ich könnte Sie töten. Niemand würde mir einen Vorwurf machen. Doch das wäre zu einfach. Sie werden sich auf Aarl zu ver­antworten haben und verurteilt werden.« Seine Stimme senkte sich und wurde zu ei­nem Flüstern. »Wie konnten Sie uns so täu­schen?« fragte er wieder.

Gurankor antwortete nicht. Es hatte kei­nen Sinn mehr. Die Angst vor den Wesen seiner Art war viel zu tief in den »normalen« Eripäern verwurzelt. Man würde ihn nicht einmal anhören.

Gurankor hatte ausgespielt. Alles war ver­loren. Er dachte an Tirsoth. Der Knabe wür­de niemals seine Nachfolge antreten können. Ohne die Fähigkeiten der Dreiäugigen, ge­wisse Vorgänge innerhalb der Dimensions­korridore zu erfassen und sich darauf einzu­stellen, war die eripäische Zivilisation verlo­ren.

Gemischte Gefühle bewegten den bisher mächtigsten Mann der Lichtung. Resignati­on und der drängende Wunsch, die Wahrheit herauszuschreien, den Verblendeten zu sa­gen, daß sie alle von Dreiäugigen, vom Volk der Eshtoner, abstammten, daß in Wirklich­keit die Zweiäugigen eine Rückentwicklung durchgemacht hatten.

Es hatte keinen Sinn.

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Gurankor blieb nicht anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen. Man würde ihn zum Tode verurteilen. Seine einzige Hoffnung war Waaylon.

Niemand außer Waaylon, Tirsoth und den beiden Pthorern wußte von seiner Dreiäu­gigkeit. Und Waaylon würde seine Schlüsse aus dem Vorgefallenen ziehen und sich hü­ten, jemals ein mit dem neuen Aggregat aus­gerüstetes Raumschiff zu besteigen.

Razamon und Balduur befanden sich nicht mehr innerhalb der Lichtung.

Gurankor machte sich keine übertriebenen Hoffnungen. Auch Waaylon mußte nun mehr als vorsichtig sein. Er konnte das ihm zur Verfügung stehende Instrumentarium, das ihm erlaubt hatte, auf Zaardenfoort als »Lichterner« aufzutreten, nicht mehr ohne weiteres ausnützen.

Als Gurankors Vertrauter würde er sich vorerst im Hintergrund halten müssen. Zwar kannten ihn nur wenige Eripäer. Waaylon hatte sich vor und nach den Ereignissen auf Zaardenfoort im Hintergrund gehalten. Doch alle Eripäer, die mit Gurankor zusammenge­arbeitet hatten, würden verdächtigt werden, ebenfalls zu den »Monstren« zu gehören.

Knitor hob die Waffe und schoß. Der Lähmstrahl machte Gurankor bewegungsun­fähig.

Die Kroloc-Gefahr mochte tatsächlich ge­bannt sein. Nun waren es die Eripäer selbst, die im Begriff standen, sich den Garaus zu machen.

2.

Ich trauere, ich der letzte Eshtoner. Nicht um mich, sondern um die Eripäer.

Was ist aus den Nachkommen der stolzen Eshtoner geworden?

Ich habe etwas auszudrücken. Schmerz, Trauer und Bestürzung. Ich wende mich an euch, Waaylon und Tirsoth, obwohl ich weiß, daß ihr mich nicht hören könnt.

Niemand kann es. Für euch bin ich nur einer unter vielen, die ihr aufgenommen habt und beherbergt. Zwar ein Eripäer, wie

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ihr glaubt, aber ein uralter Mann – von eu­rer Gesellschaft ausgestoßen.

Niemand kennt meine Gefühle. Gurankor ist entmachtet. Er und ihr hattet die Mög­lichkeit, einen neuen Anfang zu machen. Du bist krank, Waaylon. Du wirst bald sterben.

Und du, Tirsoth? Um Gurankors Erbe anzutreten, hättest

du noch viele Jahre lernen müssen. Wie lange habe ich diese Entwicklung

kommen sehen? Jahrhunderte oder Jahrtau­sende?

Ich hoffte, ich könnte eingreifen. Doch das würde für euch ebenso den Tod bedeu­ten wie für Waaylon. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.

Ich werde das Ende überleben, aber ihr seid am Ende eures Weges angelangt.

Gurankor, auch du kannst mich nicht hö­ren. Ich darf nichts tun. Der Preis wäre zu hoch.

3. In den Außenbezirken von Yardanso: der

Permanente Markt und Tirsoth

Der Permanente Markt war ein einziger riesiger Schmelztiegel unzähliger nichte­ripäischer Intelligenzwesen. Sie alle hatten sich nach der Katastrophe, in deren Verlauf der Sternenschwarm vernichtet wurde und aus seinen Trümmern der Korsallophur-Stau entstand, in die Lichtung geflüchtet und leb­ten seither mehr oder weniger von der Gna­de der Eripäer. Einige hatten es schwer. Sie wurden nur widerstrebend geduldet – vor al­lem jene, die eine dunkle Hautfarbe hatten. Die Eripäer lebten vom Licht. Es war zum Inbegriff aller Freiheit geworden. Dunkel­heit ertrugen sie nicht länger als höchstens für Stunden. Sie haßten alles, was dunkel war.

Der Permanente Markt – die Bühne für ein brodelndes Völkergemisch. Er diente zur Befriedigung der ureigensten Bedürfnisse ei­ner Vielzahl verschiedener Wesen und war rund um die Uhr geöffnet – daher der Name. Die Notwendigkeit resultierte aus den ver­

schiedenen Lebensgewohnheiten der Nichte­ripäer. So gab es Rassen, die erst nach An­bruch der Dunkelheit ihre Behausungen ver­ließen. In der Nacht boten die Markthallen und die kleinen Verkaufs- und Tauschstände ein gespenstisches Licht. Kein Eripäer wagte sich in die Nähe. Aus Rücksicht auf die Nachtlebewesen hatte man darauf verzichten müssen, die Scheinwerfermasten aufzustel­len, die sonst überall auf Aarl dafür sorgten, daß es immer hell war.

Fast jeden Tag besuchte Tirsoth den Markt. Sein »Versteck« befand sich nicht allzu weit davon entfernt. Tirsoth war bei der bürgerlichen Familie Burdur unterge­bracht worden. Wie Gurankor und Waaylon trug auch er ein organisches Hautpflaster über dem dritten Auge. Die Burdurs kannte sein Geheimnis nicht. Jene, die ihn im Auf­trag Gurankors in ihre Obhut gegeben hat­ten, hatten erklärt, daß es sich bei dem Kna­ben um eine Waise handelte; seine Eltern seien bei Kämpfen mit den Krolocs umge­kommen.

Die Burdurs hatten Tirsoth freundlich auf­genommen und das Kind liebgewonnen. Sie behandelten ihn wie einen eigenen Sohn. Beide litten darunter, daß sie keine Kinder hatten. Sie stellten keine Fragen nach seiner Herkunft. Die Versicherungen, daß Tirsoth aus einer angesehenen Familie stammte und daß er später einmal in verantwortliche Posi­tionen aufsteigen sollte, genügten ihnen. Zwar konnten sie sich keine rechte Vorstel­lung davon machen, wie diese verheißungs­volle Zukunft einmal aussehen sollte, aber sie mochten ahnen, daß eine einflußreiche Persönlichkeit, vielleicht sogar der Eripäer selbst, Pläne mit ihm hatte.

Tirsoth war aufgeweckt und für sein Alter ungewöhnlich intelligent. Die Burdurs wa­ren stolz auf ihn. Vater Burdur war einer der vielen Marktaufseher. Nicht selten kam es zu Streitereien zwischen den Nichteripäern. Darüber hinaus hatte sich ein schwarzer Markt entwickelt, über den Drogen und Waffen gehandelt wurden. Es gehörte zu den Aufgaben eines Marktaufsehers, auch

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hierauf ein Auge zu werfen und notfalls Ordnungskräfte anzufordern. Ein eigenes Eingreifen war ihm untersagt, nachdem be­reits mehrere Aufseher bei der Erfüllung ih­rer Pflicht umgekommen waren.

Tirsoth traf seinen Pflegevater an den Ständen der Mak'Noys, von denen etwa zweitausend auf Aarl lebten. Die Exoten gli­chen Känguruhs, nur daß sie viel schlanker und bis zu zwei Meter groß waren. In ihrer Bauchfalte trugen sie Wesen mit zwei riesi­gen Stielaugen, die aus einem totenkopfähn­lichen Schädel ragten. Mehr war von ihnen nie zu sehen. Sie nannten sich Cheepies und waren mit den Mak'Noys eine Lebensge­meinschaft eingegangen. Die Mak'Noys be­saßen Drüsen, deren Sekrete den Cheepies als Nahrung dienten, während die Cheepies ihrerseits die »Verteidigung« ihrer lebenden Behausungen übernahmen. Sie waren streit­bar, ebenso wie die »Känguruhs«. Wenn zwei Mak'Noys aneinandergerieten, führten die Cheepies die Wortgefechte. Sie waren es, die Burdur und die anderen Aufseher oft schon an den Rand der Verzweiflung ge­bracht hatten.

Die Mak'Noys hatten keine Namen im herkömmlichen Sinn. Sie bemalten sich die Brust. Wer beispielsweise drei rote Farb­flecke auf der Brust hatte, wurde »Dreirot« genannt. Wer siebenundzwanzig grüne Tup­fer auf dem bläulichweißen Fell trug, hieß »Siebenundzwanziggrün«, und so weiter.

Die beiden Händler, die Burdur an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brach­ten, als Tirsoth auf der Bildfläche erschien, hießen Fünfblau und Elforange.

»Und ich sage dir, daß dein Pansch nichts taugt!« zeterte Fünfblaus Cheepie gerade. »Er besteht zu 99 Prozent aus Wasser!«

»Wasser?« Das Wesen in Elforanges Bauchfalte schnappte nach Luft. Es drehte den Kopf und blickte die Kaufwilligen, die noch nicht wußten, bei wem sie denn nun je­nes Elixier kaufen sollten, nach dem alle Mak'Noys süchtig waren, mit gespielter Er­schütterung an. »Jedermann weiß, daß mein Pansch der beste auf ganz Aarl ist. Ein

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Schluck davon, und der glückliche Käufer erlebt drei Tage lang die Wunder des inne­ren Kosmos. Wer allerdings so dumm ist, Fünfblaus Gebräu zu trinken, erlebt drei Ta­ge lang die tiefsten Qualen des Nichtseins. Kommt her, ihr alle, und kauft bei mir!«

»Ich werde dir zeigen, was dein Pansch taugt!« schrie Fünfblaus Streiter, während der Mak'Noy scheinbar unbeteiligt in die Gegend schaute oder den Unentschlossenen aufmunternd zulächelte. »Das!«

Der Cheepie spuckte seinem Gegenüber eine zähe grüne Flüssigkeit zwischen die Stielaugen. Als Burdur sah, wie der Getrof­fene zum Gegenschlag ausholte, griff er ein. Zwar gehörte Pansch zu den »legalen« Dro­gen, jenen, die bei den nichteripäischen Konsumenten keinen Schaden anrichteten und für Eripäer ohnehin nicht genießbar wa­ren, aber wenn er nicht gleich für Ruhe sorg­te, würde innerhalb der nächsten Minuten die schönste Prügelei zwischen allen anwe­senden Mak'Noys im Gange sein.

Burdur trat also zwischen die Streithähne und hob eine Hand zum Zeichen, daß nun endlich Ruhe sein sollte. Mittlerweile hatte sich eine bunte Menge aus allen möglichen Exoten um die beiden Stände versammelt und wartete neugierig auf das Kommende.

Was kam, war ein Strahl der grünen Flüs­sigkeit aus dem Mund von Elforanges Chee­pie, und er traf. Angewidert wischte Burdur sich das Zeug von seiner linken Wange.

Tirsoth beobachtete das Ganze aus einiger Entfernung. Er hatte seinen Spaß.

»Nun reicht's!« brüllte Burdur. Er riß ein schwarzes Gerät aus einer Tasche und hielt es in die Höhe. »Ein Knopfdruck, und in we­nigen Minuten räumt man euch die Stände aus. Entweder ihr einigt euch, oder …«

»Ich hätte einen Vorschlag zu machen!« rief einer der versammelten Mak'Noys. »Ich nehme das Risiko auf mich und biete mich an, sowohl Fünfblaus als auch Elforanges Pansch zu probieren, um danach mein Urteil darüber abzugeben.«

»Ein sehr guter Vorschlag«, fügte sein Cheepie hinzu.

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»Das finde ich auch«, sagte Burdur, den Verzweiflungstränen nahe.

»Nein!« entfuhr es Fünfblaus Cheepie spontan. »Der Bursche will sich nur umsonst berauschen!«

»Aha!« Elforanges Cheepie starrte trium­phierend in die Menge. »Er hat Angst, daß er entlarvt wird.« Die Bauchfalte Elforanges zog sich ruckartig zusammen, um den Part­ner zum Schweigen zu bringen. Doch es war schon zu spät. Die Menge forderte den »Test«.

Widerstrebend reichte zuerst Fünfblau, dann Elforange dem »Unparteiischen«, ein kleines Glas. Der Mak'Noy kostete mit Ken­nermiene.

»Nicht schlecht«, sagte er nach der ersten Probe. Seine Beine begannen leicht zu zit­tern, und die Haut verfärbte sich schwach.

Beim zweiten Glas kippte der Mak'Noy um.

»Das war dein Pansch!« zeterte Fünfblaus Cheepie. »Ihr seht es alle! Er ist verdorben!«

Im nächsten Augenblick war die Schläge­rei im Gang. Die Cheepies der Kauflustigen bespuckten die Händler, die sich plötzlich regten und nach herumliegenden Latten grif­fen.

Tirsoth begann lauthals zu lachen. Er hat­te sie gern – alle, die sich auf dem riesigen Marktgelände zusammenfanden. Sie brauch­ten ein Ventil – ebenso wie er selbst. Es gab nicht viele Augenblicke, in denen er sich entspannen und die auf ihm lastende Verant­wortung, den Fluch der Dreiäugigen, verges­sen konnte. Deshalb war er so oft hier, auch wenn ihm sein Pflegevater und die anderen Aufseher leid taten.

Plötzlich heulten Sirenen auf. Schweber erschienen am Himmel und senkten sich herab. Aus ihnen sprangen Bewaffnete und umstellten das Gelände. Die Exoten ström­ten in alle Richtungen auseinander. Man ließ sie passieren. Ihnen galt die Polizeiaktion nicht.

Aus überall angebrachten Lautsprechern drang die Stimme eines Eripäers. Tirsoth be­gann zu zittern, als er hörte, daß man Guran­

kor als Dreiäugigen entlarvt und verhaftet hatte.

Tirsoth begriff in Sekundenschnelle, was die Aktion zu bedeuten hatte. Man suchte ihn. Einer der Eripäer, die ihn zu Burdur ge­bracht hatten, mußte geredet haben: Zwar wußten die Männer nicht, was es mit Tirsoth auf sich hatte, aber Gurankors Sorge um ihn und seine Zukunft war Grund genug, um ei­ne gnadenlose Jagd auf ihn zu eröffnen.

Tirsoth geriet in Panik. Er sah, wie Bur­dur sich umdrehte und auf ihn zulief. Tirsoth rannte davon. Egal, was mit ihm geschah – sein Pflegevater durfte auf keinen Fall in die Sache hineingezogen werden.

Tirsoth mußte fliehen, aber wohin? Zu­rück nach Hause konnte er nicht. Er rannte kopflos zwischen Verkaufsständen und den Hallen hindurch, doch er hatte keine Chan­ce.

Innerhalb weniger Minuten war er von Bewaffneten umringt.

»Mach keine Dummheiten, Junge«, for­derte ein Offizier ihn auf. »Wir wissen, daß du Tirsoth bist. Du hast nichts zu befürch­ten, wenn du …«

Mehr hörte Tirsoth nicht. Er sah sich schnell um. Eine kleine, kaum einen Meter breite Gasse zwischen zwei Hallen. Tirsoth rannte los, sprang und kletterte über leere Kisten und Haufen von Unrat hinweg. Einen Augenblick blieb er wie gelähmt stehen, als ein Energiestrahl ihn nur um wenige Zenti­meter verfehlte. Das war ungeheuerlich. Es war trotz allem, was in den letzten Monaten auf Zaardenfoort und anderswo geschehen war, immer noch undenkbar, daß ein Eripäer auf einen anderen schoß, noch dazu auf ein Kind.

Die Angst vor Dreiäugigen macht sie wahnsinnig! durchfuhr es den Knaben. Wei­ter!

Hinter sich hörte er die Schreie der Be­waffneten. Vor sich sah er die dunkle Gasse, die kein Ende nehmen wollte. Die Hallen schienen plötzlich bis in den Himmel aufzu­ragen. Und dann stand Tirsoth vor einer Mauer.

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Aus! Er fuhr herum und sah die Männer auf

sich zukommen. Tirsoth war unfähig, sich zu rühren. Noch wenige Meter. Tirsoth war bereit, aufzugeben. Dann plötzlich, als der erste der Verfolger

schon die Hand nach ihm ausstreckte, ver­schwamm die Umgebung vor Tirsoths Au­gen. Ein greller Blitz blendete ihn.

Als er wieder sehen konnte, befand er sich nicht mehr auf dem Gelände des Permanen­ten Markts.

Er befand sich überhaupt nicht mehr auf Aarl.

Nicht mehr innerhalb der Lichtung. Millionen fremder Sterne standen am

Himmel. Eine blaue Sonne spendete ihr Licht und erhellte eine bizarre Landschaft.

*

Burdur ließ sich ohne Widerstand festneh­men. Er begriff nichts von dem, was vor­ging. Tirsoth war in Panik geflohen und hat­te nicht auf seine Rufe gehört.

Weshalb? Warum ausgerechnet Tirsoth? Burdur sollte es erfahren, als er dem

Mann, der die Aktion geleitet hatte, in einem Verwaltungsgebäude gegenübersaß.

»Der Eripäer hat uns jahrzehntelang ge­täuscht«, sagte der Offizier. Sein Name war Tekalhor. »Er ist ein Dreiäugiger.«

Burdur schrak zusammen. Zwar hatte er die Anschuldigung auf dem Marktplatz ge­hört, aber …

»Das ist unmöglich«, preßte er hervor. »Ich kann es nicht glauben.«

»Es ist so. Und wir haben allen Grund zu der Annahme, daß es sich bei Gurankor um keinen Einzelfall gehandelt hat. Wir rechnen mit einer Verschwörung und müssen uns Gewißheit verschaffen, ob es außer Guran­kor weitere getarnte Ungeheuer auf Aarl, Damaukaaner oder Zaardenfoort gibt. Dazu ist es zuallererst erforderlich, jene Eripäer zu überprüfen, die mit Gurankor in unmittelba­rem Kontakt standen. Ihr Pflegesohn Tirsoth

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ist einer von ihnen. Und er ist geflohen.« Die Anklage! dachte Burdur, immer noch

unfähig, das ganze Ausmaß der jüngsten Er­eignisse zu begreifen.

Alles in ihm drängte danach, Tirsoth zu verteidigen. Was sollte er sagen?

»Tirsoth ist auf mehr als mysteriöse Wei­se verschwunden«, fuhr Tekalhor fort. »Kein Eripäer ist in der Lage, sich urplötz­lich in Luft aufzulösen.«

Aber die Dreiäugigen! dachte Burdur ver­bittert. Ihnen traute man wohl alles zu. Ohne es bewußt zu wollen, ergriff er für den Kna­ben Partei. Er wollte es nicht wahrhaben, daß sein Pflegesohn ein Dreiäugiger war, und selbst dann hätte er ihn verteidigt.

Tirsoth war ihm und seiner Frau ans Herz gewachsen. Er konnte nicht schlecht sein.

Auch Burdur hatte Angst vor jenen, die sein Volk angeblich ins Verderben gestürzt hatten – furchtbare Angst. Aber Tirsoth …

»Berichten Sie«, wurde der Marktaufse­her aufgefordert. »Erzählen Sie uns alles, was Sie über ihn wissen, wie er zu Ihnen kam, wie er sich verhielt.«

»Ich sage nichts«, beharrte Burdur.

4. Auf Zaardenfoort, dem dritten Planeten,

irgendwo in den Bergen

Pona, die Enkelin des Lichtfürsten Nur­crahn, hockte zitternd in der Höhle. Der Winter war über den Kontinent Luuk herein­gebrochen. Pona wartete.

Sofort nach Erhalt der Hiobsbotschaft hat­te sie das nächste Schiff nach Zaardenfoort genommen. Während des Fluges hatte der Kommandant des Raumers ihr mitgeteilt, daß er einen kurzen Funkspruch erhalten ha­be, der für sie bestimmt war. Als Nurcrahns Enkelin war sie sozusagen immun. Jeder­mann wußte noch, welches Unrecht man dem alten Lichtfürsten angetan hatte.

Pona wußte nun, daß Waaylon auf dem Weg zu ihr war, denn nur von ihm konnte der Spruch stammen. Er bestand nur aus ei­nem Wort – dem Namen jenes Gebirgszugs,

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an dessen Rand sich die Höhle befand. Hier war Pona zu sich gekommen, als der »Lichterne« sie vor den Streitern der Nacht in Sicherheit gebracht hatte. Hier war sie Waaylon zum erstenmal begegnet. Niemand außer Pona konnte etwas mit der knappen Botschaft anfangen. Die Vorsicht, mit der Waaylon zu Werke ging, zeigte, daß auch er auf der Flucht war.

Das Mädchen fuhr herum, als sie die sich nähernden Schritte hörte. Wenige Meter vor ihr schälte sich eine Gestalt wie aus dem Nichts. Pona kannte diesen Effekt mittler­weile. Auch bei seinen spektakulären Auf­tritten in Luuk hatte Waaylon Refraktorfel­der benutzt.

Doch wie sah er aus! Pona stand das Entsetzen im Gesicht ge­

schrieben. Waaylon nickte und versuchte zu lächeln.

»Du siehst richtig, Pona«, sagte er anstelle einer Begrüßung. »Ich bin sehr krank.«

Waaylon schien um Jahrzehnte gealtert zu sein. Das Gesicht war eingefallen, die Haut hart und krustig. Die Augen hatten allen Glanz verloren.

Noch vor Tagen hatte Pona ihn in Yardanso gesehen – gesund.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Mann auf eine entsprechende Frage. »Ich weiß nicht, was mit mir vorgeht. Es begann erst gestern.«

»Es heißt, daß Gurankors Entlarvung auf einen Nebeneffekt des neuen Antriebs zu­rückzuführen ist«, meinte Pona. Inzwischen waren die Eripäer über die Erfindung und das geglückte Experiment unterrichtet wor­den. »Könnte nicht auch deine … Erkran­kung …?«

Es ist mehr als eine Krankheit! dachte sie erschüttert. Irgend etwas Schreckliches geht mit ihm vor.

Waaylon schüttelte traurig den Kopf. »Ich bin noch nicht mit den Geräten in

Berührung gekommen. Sonst wäre ich nicht hier.«

»Geräte? Ich verstehe nicht …« Waaylon sah sich um und setzte sich auf einen Stein.

Sekundenlang hielt er die Augen geschlos­sen und atmete tief durch.

»Die neuen Aggregate. Nachdem man entdeckt hat, daß sie nicht nur in unseren Schiffen Wunder bewirken, sondern auch dazu geeignet sind, uns Dreiäugige aufzu­spüren, hat man sie überall dort versteckt aufgestellt, wo man Vertraute und Freunde Gurankors vermutet. Der Regierungspalast ist von ihnen umgeben, ebenso das Gefäng­nis, in das man Gurankor geschafft hat.«

Das war der zweite Schock für Pona. Hat­te sie schon mit Unglauben die Nachricht vernommen, daß der Eripäer ein Dreiäugi­ger war, so glaubte sie nun, daß ihr der Bo­den unter den Füßen weggezogen würde.

»Du … du bist auch einer von … ihnen?« brachte sie endlich hervor.

»Ja«, sagte Waaylon. Pona brauchte Minuten, um sich zu fas­

sen. Sie stand den »Ungeheuern« nicht im gleichen Maße ablehnend gegenüber wie ih­re Artgenossen. Tirsoth war ein Dreiäugiger – ihr Bruder, den sie über alles liebte. Doch auch Pona konnte die unterschwellige, in je-dem »normalen« Eripäer verwurzelte Angst nicht völlig unterdrücken.

So knapp wie möglich erklärte Waaylon, daß alle Eripäer Dreiäugige gewesen waren. Pona wurde schließlich über alles informiert, was sie zu wissen hatte.

»Wie viele von euch gibt es noch?« fragte sie.

»Nur Tirsoth, der Gurankors Nachfolger werden sollte. Doch nun sieht es böse für ihn aus. Tekalhor, der Polizeichef von Aarl, hat eine Großfahndung nach ihm ausgelöst. Doch Tirsoth ist nicht zu fassen. Er scheint sich in Luft aufgelöst zu haben.«

»Er war doch in Sicherheit«, flüsterte Po-na bestürzt. »Niemand wußte, wer er wirk­lich ist.«

»Tekalhor ist kein Dummkopf. Er hat alle Eripäer, mit denen Gurankor in letzter Zeit Kontakt hatte, überprüfen lassen. Auch mir blieb nur die Flucht. Einer der Männer, die deinen Bruder in Gurankors Auftrag zu den Burdurs brachten, hat geredet. Den Rest

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konnte Tekalhor sich selbst zusammenrei­men. Der auf Zaardenfoort entdeckte sieben­jährige Dreiäugige starb unter mysteriösen Umständen auf dem Flug nach Aarl – in Gu­rankors Schiff. Kurz darauf bringen Guran­kors Männer einen siebenjährigen Knaben zur Familie Burdur. Alles paßt zusammen.«

Pona schlug sich die Hände vor die Au­gen und schluchzte. Waaylon konnte sie nicht trösten. Er konnte nichts tun.

Irgend etwas geschah mit ihm. Vielleicht würde er die nächsten Stunden nicht überle­ben.

Pona hatte zu weinen aufgehört. Sie starr­te in die Ferne. Waaylon wußte, daß sie sich das Gehirn zermarterte.

Pona konnte ebenso wenig tun wie er selbst. Die noch aus der Zeit vor der Großen Katastrophe stammenden Geräte, die ihm zur Verfügung standen, konnte er nicht mehr benutzen. Seine Kraft reichte gerade noch aus, um den Refraktorschirm zu aktivieren und sich für kurze Zeit unsichtbar zu ma­chen.

Ein Befreiungsversuch war ebenfalls aus­geschlossen. Ihn würde man als Dreiäugigen erkennen, sobald er in die Nähe des wie eine Festung bewachten Gefängnisses in Yardan­so kam, und Pona war als Sympathisantin des entmachteten Eripäers bekannt. Man würde sie nicht in die Nähe des Gefängnis­ses lassen.

»Ich fliege zurück!« sagte Pona plötzlich. »Ich muß Tirsoth finden!«

»Nein!« sagte Waaylon entschieden. »Du würdest seine Verfolger höchstens auf seine Spur bringen.«

»Aber irgend etwas muß ich doch tun!« schrie das Mädchen voller Verzweiflung. »Vielleicht kann Nurcrahn seinen Einfluß geltend machen.«

»Was soll er Tekalhor sagen?« lautete die Gegenfrage.

Plötzlich war es so, als ob Waaylon eine Stimme hörte – eine lautlose Stimme mitten in seinem Bewußtsein. Es dauerte nur Bruchteile von Sekunden, doch Waaylon wußte genug.

Horst Hoffmann

»Wir müssen warten und uns versteckt halten«, sagte er. »Tirsoth wird Gurankor befreien und in Sicherheit bringen.«

Das Mädchen riß die Augen auf. Sie starr­te ihr Gegenüber an wie jemanden, der im Fieberwahn sprach.

»Es ist so«, versicherte dieser. »Vertraue mir, Pona.«

Waaylon sah nicht mehr, wie das Mäd­chen schließlich nickte. Er war mit den Ge­danken woanders – bei jenem Teil der tele­pathischen Botschaft, die ihn betraf.

Es waren nur Eindrücke und verschwom­mene Bilder gewesen, doch hätte er Worte dafür finden müssen, wären es diese gewe­sen:

»Es tut mir leid. Ich bin schuld an dem, was dir geschehen ist. Ich wollte helfen. Es tut mir leid.«

Waaylon wußte nicht, wer da mit ihm in Kontakt getreten war. Dennoch machte sich ein beklemmendes Gefühl in ihm breit.

Er empfand unendliche Ehrfurcht.

*

Pona und Waaylon beschlossen, so lange in der Höhle zu bleiben, bis der Unbekannte sich wieder meldete – falls überhaupt. Das Mädchen flog jedoch zuerst mit ihrem Glei­ter zurück zu Nurcrahn und Irsocca, ihrer Mutter. Nur sie waren von ihrer Familie üb­riggeblieben und bewohnten wie alle Zaar­denfoorter in aller Eile errichtete Notunter­künfte. Immer noch wagte sich niemand in die Muuker zurück. Die Wissenschaftler, die herauszufinden versuchten, auf welche Art und Weise ihre bisherigen organischen Be­hausungen von Kroloc-Agenten manipuliert und zu Mördern gemacht worden waren, ar­beiteten Tag und Nacht, doch bisher ohne nennenswerten Erfolg.

Pona besorgte sich Nahrungsmittel und lud ein Kommunikationsgerät in den Gleiter, bevor sie zur Höhle zurückkehrte. Als sie das Versteck betrat, lag Waaylon schwer at­mend am Boden. Sein Gesicht war das eines Greises. Seine Lippen bewegten sich, doch

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was er sagte, war nicht zu verstehen. Pona hatte Mitleid mit ihm. Sie hatte Nur­

crahn, den rehabilitierten Lichtfürsten des Kontinents Luuk, nicht eingeweiht. Nur sie kannte das Geheimnis der Dreiäugigen. Waaylon war augenblicklich ihr einziger Halt.

Aber Waaylon starb. Als sie ihn so liegen sah, begriff Pona erst

richtig, welches Unrecht den Dreiäugigen angetan wurde. Und plötzlich schämte sie sich für ihr Volk.

Pona schaltete das Kommunikationsgerät auf Empfang. Sie hörte die neuesten Nach­richten, dazwischen immer wieder den Fahndungsaufruf nach Tirsoth. Für seine Er­greifung war eine hohe Belohnung ausge­setzt.

Ganz Aarl jagte ihn. Eine weitere Meldung besagte, daß Gu­

rankor schon in drei Tagen der Prozeß ge­macht werden sollte.

Pona zog ein Messer hervor und legte es neben sich auf den harten, nur von Tüchern bedeckten Boden.

Im gleichen Augenblick, in dem die Nachricht von der Ergreifung Tirsoths kom­men würde, würde sie wieder danach grei­fen. Jetzt, da sie alle Hintergründe kannte, wußte sie, wie die Zukunft ihres Volkes aus­sehen würde. Und ohne Tirsoth wollte sie nicht mehr leben – nicht unter Mördern.

5. Irgendwo in einem unwirklichen Raum

Tirsoth sah sich um, als der erste Schock überwunden war. Ein Schauer überlief ihn, als er feststellen mußte, daß die Landschaft sich kontinuierlich veränderte, als ob sie von einer unsichtbaren Riesenhand geformt wür­de. Aus der trostlosen Einöde mit den steil in den violetten Himmel aufragenden Nadel­felsen wurde eine grüne Landschaft mit Bäumen, deren Äste ineinander gewunden waren, dann traten Gewächse an ihre Stelle, die der Knabe von seiner Heimatwelt her kannte. Als die Entwicklung schließlich zu

einem Ende kam, hatte er das Gefühl, sich auf Zaardenfoort zu befinden. Selbst die Muuker waren vorhanden.

Es war die Landschaft, die er sich vorge­stellt hatte.

Aber es konnte nicht Zaardenfoort sein. Noch immer stand die blaue Sonne am Him­mel.

Tirsoth fröstelte, obwohl es angenehm warm war. Er drehte sich wieder um die ei­gene Achse und hielt nach etwas Lebendem Ausschau. Wo waren die Verfolger geblie­ben? Wo war er?

Plötzlich eine Bewegung. Tirsoth zuckte zusammen. Der Knabe sah eine Gestalt hin­ter einem der Muuker hervorschweben, von dem er wußte, daß es kein Muuke war. Tir­soth war zu intelligent, um auf die vollkom­mene Täuschung hereinzufallen. Noch wäh­rend er zu erkennen versuchte, wer da auf ihn zukam, hörte er die Töne, die ihm so vertraut und doch fremd waren. Es war jene wunderschöne Musik, die er seit seiner frü­hesten Kindheit dann und wann wahrgenom­men hatte – die Klänge einer höheren Welt. Tirsoth wußte, daß sie nur den Dreiäugigen zugänglich waren. Mittlerweile hatte er er­fahren, daß seine Vorfahren, die Eshtoner, den höheren Welten sehr nahe gewesen wa­ren, ohne sie jemals erreichen zu können. Dies und das Trachten nach Vervollkomm­nung waren die Gründe für die Große Kata­strophe gewesen. Sie hatten den ihnen an­vertrauten Sternenschwarm in die Dimensi­onskorridore gesteuert, ohne die darin herr­schenden Kräfte vollkommen kontrollieren zu können.

Tirsoth hörte die Klänge und war minu­tenlang nicht fähig, sich zu bewegen. Es war berauschend. Noch nie hatte er sie in dieser Intensität wahrgenommen.

Als sie verstummten und er zu sich kam, sah Tirsoth Graath, das Wyllian. Eine zweite Gestalt tauchte auf. Jessy, Graaths Gefährtin und Mentalpartnerin.

Beide kannte er vom Permanenten Markt her. Auch sie waren im Lauf der Zeit seine Freunde geworden.

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Aber was hatten sie hier zu suchen? Wie kamen sie hierher? Wie kam er hierher?

»Es grüßt dich, Tirsoth«, sagte Graath. Tirsoth hatte sich mittlerweile daran ge­wöhnt, daß alle Wyllians von sich in der dritten Person sprachen. »Du hast nicht viel Zeit. Er hat sie geschickt, um dir erste An­weisungen zu geben.«

»Er?« fragte der Knabe. »Wer ist ›Er‹?« »Später. Du willst Gurankor retten. Du

mußt es tun, um seine Arbeit und die all sei­ner Vorgänger fortsetzen zu können.«

»Natürlich!« entfuhr es Tirsoth. »Aber was kann ich tun? Ich werde gejagt – auf Aarl! Aber wo sind wir hier?«

Wieder eine nichtssagende Antwort: »Später. Sie können nicht lange hier ver­

weilen. Die Kräfte des Mächtigen lassen nach. In kurzer Zeit werden sie wieder auf Aarl sein, an der gleichen Stelle, von wo du herübergezogen wurdest. Du mußt sofort fliehen. Nun hör zu. Es wird dir erklären, was du zu tun hast.«

Tirsoth hörte zu. Die Sprechorgane des Wyllians vibrierten. Das Wesen besaß kei­nen Mund im eigentlichen Sinn. Äußerlich glich es einem riesigen Ballon, etwa andert­halb Meter groß und leuchtendgrün. Am un­teren Teil des Körpers befanden sich die Sinnesorgane und die Lamellen, aus denen die Laute drangen. Es gab Hunderte ver­schiedenartiger Rassen, die einst den Ster­nenschwarm bevölkert und nach der Kata­strophe in der Lichtung Zuflucht gefunden hatten, doch die Wyllians gehörten zu den fremdartigsten. Sie hatten die größten Schwierigkeiten gehabt, eine Möglichkeit der Kommunikation mit den Eripäern zu fin­den. Untereinander verständigten sie sich auf eine Weise, die Tirsoth trotz aller Erklä­rungsversuche nicht zu begreifen in der La­ge war.

Dennoch waren sie Tirsoth liebste Partner geworden. Tirsoth war den zweiäugigen Eripäern schon jetzt auf intellektueller Basis weit überlegen, doch er war immer noch ein Kind. Und ein Kind wollte spielen. Die Wyllians hatten sich von Anfang an auf ihn

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einstellen können. Zusammen mit ihnen hat­te er schon viel Spaß auf dem Markt gehabt.

Während Graath sprach, wurde Tirsoth bewußt, daß der Spaß endgültig ein Ende hatte.

Wer immer dieser geheimnisvolle »Mächtige« im Hintergrund war – er mußte großes Interesse daran haben, daß man Gu­rankor nicht den Prozeß machte. Tirsoth hat­te schon jetzt eine ungefähre Vorstellung von den Kräften des Unbekannten. Und als er nun dessen Plan hörte, stieg neue Hoff­nung in ihm auf.

Von ihm, Tirsoth, hing nun alles ab – von ihm und seinen Freunden auf dem Perma­nenten Markt. Nur mit ihrer Hilfe konnte er den Befreiungsversuch wagen.

»Sie«, damit meinte Graath wieder sich und seine Gefährtin, »stehen in ständigem geistigen Kontakt mit ihm. Er weiß alles, was auf Aarl vorgeht.«

»Wieso nimmt dieses Wesen dann nicht mit mir direkt Kontakt auf?« wollte Tirsoth wissen.

»Das ist unmöglich.« »Aber warum? Kenne ich das Wesen?« Fast eine Minute lang – Tirsoth fragte

sich, ob es hier in dieser phantastischen Welt überhaupt keine Zeit gab – schwiegen die beiden Wyllians. Tirsoth war sicher, daß sie sich in diesen Augenblicken lautlos unter­hielten.

»Ja«, sagte Jessy schließlich. »Du hast ihn schon gesehen.«

»Auf dem Markt?« »Sie können deine Neugier verstehen«,

sagte Graath. »Aber sie haben dir schon ein­mal gesagt, daß du Geduld haben mußt. Vielleicht später.«

Später! Immer wieder später! Tirsoth war zu allem entschlossen, um Gurankor zu be­freien, aber er wollte wissen, mit wem er sich einließ. Welche Ziele verfolgte der Un­bekannte wirklich?

»So etwas darfst du nie wieder denken!« schrillte es aus Jessys Lamellen. »Du tust ihm Unrecht.«

Tirsoth hatte eine weitere Frage auf den

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Lippen, schwieg aber. Falls dieser »Mächtige« tatsächlich in der Lage war, nicht nur alle Vorgänge auf Aarl, sondern auch hier zu begreifen, sogar seine Gedan­ken zu lesen, würde eines der Wyllians die Antwort geben, aber sie schwiegen beharr­lich. Nichts an ihnen erinnerte mehr an die verspielten Wesen, die er vom Markt her kannte.

»Bereite dich auf die Rückkehr vor«, mahnte Graath nur.

Tirsoth wußte, was das hieß. Sofortige Flucht. Graath hatte mitgeteilt, wo er vorerst Unterschlupf finden würde. Was er dann zu tun hatte, war nichts anderes, als eine kleine Armee auf die Beine zu stellen.

Die Exoten wurden von vielen Eripäern nur geduldet. Immer noch gab es Fanatiker, die sie ablehnten und am liebsten von ihrem Planeten jagen würden. Die Dreiäugigen wurden ebenfalls gehaßt. Nun mußten sich beide Gruppen zwangsläufig zusam­menschließen. Die Zukunft der Nichteripäer war enger als je zuvor mit dem Schicksal der Dreiäugigen verbunden. Tirsoth ahnte, daß Gurankor und seine Vorgänger dafür verant­wortlich waren, daß die Exoten bisher unbe­helligt geblieben waren. Auch die Verbrüde­rung zwischen den Zaardenfoortern und den dort lebenden Nichteripäern war indirekt auf Gurankors Eingreifen zurückzuführen.

Tirsoth ertappte sich bei der Vorstellung, was er tun würde, sollte die Katastrophe ver­hindert werden und er eines Tages Guran­kors Platz doch noch einnehmen können.

Jetzt erst begann er zu begreifen, wie sehr die Nichteripäer leiden mußten. Es gab min­destens ein Wesen unter ihnen, das den Eripäern, selbst den Dreiäugigen, weit über­legen war. Tirsoth fragte sich, weshalb die­ses Wesen seine Kräfte nicht längst gegen die Unterdrücker eingesetzt hatte.

Es muß sich ändern! dachte der Knabe. Macht des Universums, gib mir die Chance, ihnen und uns eine bessere Zukunft zu schaf­fen!

Plötzlich wurde die Szenerie in grelles Licht getaucht. Die blaue Sonne schien am

Himmel zu explodieren. Dann sah Tirsoth sie nicht mehr.

Er befand sich in der Gasse zwischen den Markthallen. Von den Verfolgern war nichts mehr zu sehen. Erschreckt sah der Sieben­jährige, daß es bereits zu dämmern begon­nen hatte.

»Lauf!« hörte er. Tirsoth riß den Kopf hoch und sah die beiden Wyllians wenige Meter über sich schweben.

Tirsoth rannte los.

*

Es wurde bereits dunkel. Schon begann die Angst nach Tirsoth zu greifen. Er lief durch enge Gassen und mied das freie Ge­lände. Wie ein Schatten huschte er über die Plätze mit den Ständen, wenn er keinen Weg zwischen den Hallen mehr fand. Immer noch herrschte auf dem Marktgelände reger Betrieb, doch es waren nicht mehr die glei­chen Wesen, die ihn nun bevölkerten. Kein einziger Eripäer war mehr zu sehen, abgese­hen von den Aufsehern in ihren erleuchteten Kabinen. Bestimmt hatte man auch sie auf ihn angesetzt. Tirsoth dachte einen Augen­blick lang an Burdur. Wo mochte er jetzt sein?

Der Knabe verdränge die Gedanken. Tir­soth war sicher, daß seine Rückkehr gerade zu jener Stunde, in der die Dunkelheit auf diesem Teil des Planeten einsetzte, kein Zu­fall war. Auch daran hatte der mysteriöse Unbekannte gedacht.

Noch wenige Meter bis zum Ziel. Die Lakgos erwarteten ihn, hatte Graath versi­chert. Standen auch sie mit »ihm« in Verbin­dung?

Noch einmal schrak Tirsoth zusammen, als er an einem Eripäer vorbeitaumelte. Dann erkannte er ihn. Es war der Sterbende – eine bereits legendäre Figur. Man erzählte sich, daß der alte Mann schon seit Jahrzehn­ten auf dem Marktgelände lebte. Er schien kein Zuhause zu haben und darüber hinaus nicht einmal die Nacht zu fürchten. Der Alte verließ das Gelände niemals. Er hockte am

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Tag in seiner Ecke und schlief nachts an der gleichen Stelle. Der Mann lebte von Almo­sen. Tirsoth kannte nicht einmal seinen Na­men. Jeder nannte ihn nur den Sterbenden.

Und er starb schon seit Jahrzehnten. Der Alte nickte Tirsoth zu. Der Knabe er­

widerte den Gruß. Dann rannte er weiter, in eine weitere Gasse hinein. Es war hier fast völlig dunkel, und Tirsoth mußte seine gan­ze Willenskraft aufbieten, um nicht laut auf­zuschreien und umzukehren. Aber wohin?

Es gab kein Zurück. Endlich sah er den matten Lichtschein,

dann die nach unten führende Treppe und die offene Tür. Ein Lakgo stand im Rahmen und winkte ihm zu, sich zu beeilen. Tirsoth geriet auf den glatten Stufen ins Stolpern und fiel dem Lakgo direkt in die Arme. Be­vor er begriff, was mit ihm geschah, befand er sich in einem großen, kalten Raum -einem lange nicht mehr benutzten Keller, der frü­her den Händlern als Lagerraum gedient hat­te. Nun wurde er von den Lakgos bewohnt.

Bei diesen handelte es sich um wahre Hü­nen, fast drei Meter groß und von humanoi­der Gestalt. Sie glichen den Dalazaaren von Pthor, die Tirsoth natürlich nicht kennen konnte. Lange, schwarzblau schimmernde Haare fielen bis auf die Schultern herab. Die Gesichter liefen spitz nach vorne hin zu, die Körper waren Muskelpakete. Die Kleidung der Lakgos schien aus einem Guß zu sein, schwarz und aus lauter ineinander verscho­benen Ringen bestehend.

Nicht nur die Eripäer machten einen wei­ten Bogen um diese Wesen. Auch viele Exo­ten fürchteten sie. Wenn es auf dem Markt zum Streit kam und ein Lakgo in der Nähe war, stand der Sieger von vorneherein fest. Dabei waren die Lakgos ausgesprochen friedfertig – es sei denn, man provozierte sie.

Tirsoth hatte sich von Anfang an mit ih­nen verstanden.

Das helle Licht im Raum tat ihm gut. Nach wenigen Minuten fühlte er sich wie neugeboren.

»Du brauchst uns nichts zu erklären«,

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sagte Yuukh, der Kopf der aus sieben Lak­gos bestehenden Gemeinschaft. »Wir wissen Bescheid. Komm, du mußt etwas essen und trinken, damit du morgen früh bei Kräften bist.« Yuukh lächelte Tirsoth aufmunternd zu, doch dieser fand das Spiel, in dem er gleichzeitig Hauptfigur und derjenige war, der anscheinend am wenigsten wußte, über­haupt nicht zum Lachen. Zorn stieg in ihm auf.

»Wer ist dieser Jemand, für den wir den Kopf hinhalten sollen?« fragte er ungewollt heftig. Schon im nächsten Augenblick kam er sich lächerlich vor. Wer immer die Fäden zog – er stand auf Gurankors und seiner Sei­te. War es nicht völlig egal, wer dies war, wie er aussah, welcher Rasse er angehörte?

»Wir wissen es ebensowenig wie du, Tir­soth«, versicherte Sallar, der älteste Lakgo dieser Gemeinschaft.

»Aber ihr habt mich erwartet!« »So ist es. Die Wyllians informierten

uns.« »Graath und Jessy waren die ganze Zeit

über mit mir zusammen, in dieser … Traum­welt!«

»Das mag sein. Joog und Khaala nahmen Kontakt mit uns auf.«

Tirsoth verstand überhaupt nichts mehr. Wozu waren die Wyllians überhaupt fähig? Wozu die anderen »geduldeten« Wesen in­nerhalb der Lichtung?

Tirsoth wurde klar, daß die Eripäer gar nichts von ihnen wußten.

Oder spürten sie unterschwellig die Über­legenheit, die potentielle Gefahr, die sie dar­stellten, falls ihre Kräfte einmal zur völligen Entfaltung kamen?

Nein, dachte der Knabe. Nur wenige kön­nen über derartige Gaben verfügen. Und diese waren es, deren sich der Unbekannte bediente. Die Wyllians und die Lakgos, die innerhalb weniger Sekunden ein energeti­sches Feld in sich aufbauen konnten und auf einen Schlag alle Energien abgeben konnten. Im Gegensatz zu den Fähigkeiten der Wyl­lians waren diese den Behörden auf Aarl be­kannt, doch man sah keine Veranlassung,

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deshalb etwas gegen die Lakgos zu unter­nehmen, denn gerade sie galten ja als die heimlichen Verbündeten der Marktaufseher. Jeder Aufseher war froh, einen Lakgo in der Nähe zu wissen, wenn es zu einem Streit kam.

Dies war Tirsoths kleine Streitmacht – die Lakgos und die Wyllians.

»Wir greifen das Gefängnis also morgen in aller Frühe an«, sagte der Siebenjährige, nachdem er sich gestärkt hatte, und meinte damit: sobald es hell ist. »Ihr geht vor. Unter dem Vorwand, eure Loyalität zum neuen Machthaber erklären zu wollen, werden die Wachen euch zumindest bis zum Gebäude vorlassen.« Tirsoth blickte Yuukh an. »Es ist doch Tekalhor, der vorläufig regiert?«

»Ja. Anscheinend hat kein Kabinettsmit­glied den Mut, die Initiative zu ergreifen. Tekalhor soll wohl solange herhalten, bis Gurankor der Prozeß gemacht und das Urteil vollzogen worden ist. Man rechnet mit Un­ruhen. Es gab bereits erste Demonstrationen. Viele Eripäer sympathisieren noch mit Gu­rankor.«

»Obwohl er ein Dreiäugiger ist?« entfuhr es Tirsoth.

Yuukh zuckte die Schultern. Tirsoth begriff. Einerseits fürchtete man

die Dreiäugigen wie nichts anderes auf der Welt, zum anderen war Gurankor, der Eripäer zu einer legendären Figur gewor­den. Vielleicht deutete sich hier bereits eine Wende an. Gurankor hatte immer das beste für die eripäische Zivilisation gewollt und weise regiert.

Die Nichteripäer wußten natürlich jetzt, daß auch Tirsoth zu den »Ungeheuern« ge­hörte. Doch sie standen den Dreiäugigen fast gleichgültig gegenüber. Sie litten nicht unter dem Trauma der Eripäer.

»Weiter«, sagte Tirsoth. Er dachte an die Szenen auf Zaardenfoort zurück, als Eripäer gegen Eripäer gekämpft hatten. Dies war bis dahin unvorstellbar gewesen. Auf Zaarden­foort herrschte Friede. Stand nun ein Bür­gerkrieg auf Aarl bevor? Ein Grund mehr, schnell zu handeln. »Ihr verteilt euch um das

Gefängnis, und zwar so, daß jeder von euch sich in unmittelbarer Nähe eines der fünf Detektoren befindet, wie man die Geräte, die uns Dreiäugige aufspüren sollen, jetzt nennt. Sobald die beiden Wyllians und ich erschei­nen, zerstört ihr sie. Mein Aussehen wird so verändert sein, daß man mich nicht sofort er­kennt. Ihr müßt uns Zeit verschaffen, bis zu Gurankor vordringen und das Entstoffli­chungsfeld aufbauen zu können.« Von den Detektoren hatte Tirsoth auch von Graath gehört.

»So lautete die Botschaft der Wyllians«, bestätigte Yuukh. »Gurankor und du werdet in jenen Kosmos versetzt, in dem du schon einmal Sicherheit fandest. Die beiden Wyl­lians tragen die Kräfte des Mächtigen in sich.«

Wieder die Fragen, die Tirsoth schier zur Verzweiflung treiben wollten. Er verzichtete darauf, sie laut auszusprechen, denn er wuß­te, wie die Antwort ausfallen würde.

Er mußte Vertrauen haben. Plötzlich sehnte er sich danach, daheim zu

sein – bei Pona, Nurcrahn und Irsocca. Tir­soth fühlte sich der Verantwortung nicht ge­wachsen.

»Du mußt jetzt schlafen«, sagte Yuukh. Die anderen Lakgos nickten dem Jungen aufmunternd zu.

Tirsoth begab sich zum ihm angewiese­nen Lager, aber er fand keine Ruhe. Er hatte wieder jene Träume, die ihn seit Monaten verfolgten. Unendliche Weiten. Überall Sterne. Die Materiewolken des Korsallo­phur-Staus existierten nicht mehr. Die Eripä­er und alle in der Lichtung eingeschlossenen Völker waren frei.

Tirsoth träumte von der Zeit vor der Großen Katastrophe. Es waren Wunschbil­der, die seine Träume prägten, denn bisher hatte er nur wenig von Gurankor erfahren. Aber er wußte, daß es eine Zeit gegeben hat­te, in der das Universum seinen Vorfahren offengestanden hatte.

Das Leben kannte keine Grenzen. Tirsoth sah sich selbst, wie er gegen un­

sichtbare Mauern anrannte und sie niederzu­

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reißen versuchte. Immer dann, wenn er das Gefühl hatte,

über sie hinwegblicken und sie überwinden zu können, erwachte er schweißgebadet.

Der Knabe warf sich auf seinem Lager herum. Er schwebte zwischen Schlaf und Wachsein und sah nicht, wie die Lakgos um ihn herum hockten und ihn mit sorgenvollen Mienen betrachteten.

Wußten sie, wie sehr nicht nur ihr Schick­sal mit dem seinen verbunden war?

*

Nicht nur Tirsoth fand in dieser Nacht keine Ruhe.

Gurankor lag in seiner Zelle wach. Ein kleines Licht brannte. Trotz allen Hasses, der ihm entgegenschlug, behandelte man ihn mit einem gewissen Respekt. Zwar hatte Te­kalhor Anweisung gegeben, Gurankor keine Sonderrechte einzuräumen, doch die Voll­zugsbeamten ignorierten seine Befehle.

Mehr noch als sein persönliches Schicksal schmerzte den entmachteten Eripäer, daß die Kabinettsmitglieder nicht den Mut be­sessen hatten, die Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen.

Im Gegensatz zu Tirsoth träumte Guran­kor nicht von der Zukunft, sondern machte sich quälende Gedanken über die Gegen­wart.

Er hatte keine Hoffnung mehr. Nur dann und wann dachte er an Urgan und die drei Alten, die als einzige Zugang zu ihm hatten. Würden sie eingreifen?

Im Regierungspalast saß Burdur Tekalhor gegenüber und hatte nur den Wunsch zu sterben.

Er wußte nichts über Tirsoths wirkliche Identität. Dennoch hatte er nach den stun­denlangen Verhören das Gefühl, Tekalhor mehr verraten zu haben, als er glaubte.

Die Miene seines Gegenübers sprach Bände.

Was immer Tekalhor hatte aus ihm her­auspressen wollen – er hatte die gewünsch­ten Informationen, ohne daß Burdur ein ein-

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ziges unbedachtes Wort gesagt hatte. Tekalhor sagte ihm, daß Tirsoth ein Drei­

äugiger sei, immer und immer wieder, und immer noch wollte Burdur es nicht glauben.

Oder wollte er es einfach nicht wahrha­ben?

Wenige Stunden vor Morgengrauen wur­de Burdur in eine Zelle geführt.

Bevor es draußen hell wurde, war er tot. Die Wärter, die ihn erneut zu Tekalhor

führen sollten, fanden ihn erhängt vor. Tekalhor berührte das nicht sonderlich. Er

war verblendet. Er hatte nun Gewißheit. Die Spezialisten hatten seinen Verdacht bestä­tigt. Aus scheinbar belanglosen Auskünften Burdurs war klar geworden, daß Tirsoth in Gurankors Auftrag zu ihm und seiner Frau gebracht worden war, wie es der Verräter behauptet hatte. Diese Gewißheit hatte Te­kalhor gebraucht. Zwar lief die Fahndung nach Tirsoth schon auf vollen Touren, doch ahnte Tekalhor, daß sie nichts einbringen würde.

Tirsoth würde sich selbst ans Messer lie­fern. Er mußte versuchen, Gurankor zu be­freien. Denn das war es, was Tekalhor erfah­ren wollte: Tirsoth sollte Gurankors Nach­folge antreten. Das war von vorneherein in Betracht gezogen worden. Doch die Tatsa­che, daß der Knabe laufend von unbekannter Seite Schulungsmaterial erhielt – was Bur­dur nicht wissentlich ausgesagt hatte – hatte erst die Bestätigung geliefert.

Tekalhor brauchte nur zu warten, bis Tir­soth und seine Verbündeten (Tekalhor rech­nete immer noch damit, daß es weitere Drei­äugige auf Aarl gab) den Befreiungsversuch unternehmen würden.

Dann würde Tekalhors Stunde schlagen. Der Mann, auf den der Begriff

»Polizeichef« kaum zugetroffen hätte – er war vielmehr der Kommandant jener Abtei­lung der Verwaltung, der für die innere Si­cherheit auf Aarl zu sorgen hatte und somit verlängerter Arm des Kabinetts –, hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie die Zu­kunft der Lichtung auszusehen hatte.

Die Kroloc-Gefahr schien gebannt. Nun

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galt es, in der Lichtung für klare Verhältnis­se zu sorgen.

Wir haben nie die Angst erlebt, die »normale« Eripäer vor den Dreiäugigen empfanden. Wir können sie uns nicht vor­stellen. Sie war schlimmer als die Angst vor Wahnsinn, Hölle oder Pest.

Deshalb können wir nicht verstehen, was in Tekalhor vorging, was ihn zu dem mach­te, was er in der Stunde der Entscheidung war.

Und Tekalhor war das, was er den An­dersartigen und den von ihm überall vermu­teten Dreiäugigen attestierte – ein Mon­strum.

Ein Mann, in dessen Händen die Zukunft der Eripäer lag.

Ein Mann, der vom Kabinett vorgescho­ben wurde, weil dessen Mitglieder Angst hatten, die Verantwortung zu übernehmen.

Ihnen fehlte der Halt. Vielleicht ahnten ei­nige von ihnen, daß es nur einem Dreiäugi­gen, einem »Monstrum«, möglich war, die Geschicke ihrer Rasse zu lenken.

Vielleicht fühlten sie sich verlassen. Sie rührten sich nicht, steckten ihre Köpfe

in den Sand. Andere, die einen gewissen Einfluß hätten ausüben können, schwiegen, unter ihnen der rehabilitierte Lichtfürst Nur­crahn von Zaardenfoort.

Aarl schwieg. Zaardenfoort schwieg. Damaukaaner schwieg. Es war wie der Vorabend des Todes. In jener Nacht wurden mehr als hundert

Eripäer in den Straßen von Yardanso aufge­griffen und in psychiatrische Kliniken ge­schafft, Männer, Frauen und Kinder, die schreiend aus ihren Häusern liefen.

6. Am anderen Morgen

Tirsoth erwachte schweißgebadet. Er sah in die besorgten Gesichter der Lakgos. Es dauerte Sekunden, bis er sich seiner Situati­on bewußt wurde.

Mit einem Ruck sprang er auf.

»Ist es schon hell draußen?« fragte er Yuukh.

»Ruhig, Tirsoth«, sagte der Hüne. Wer die Lakgos nicht kannte, wäre beim Anblick seiner Miene erschrocken davongelaufen. Tirsoth wußte aber, daß Yuukh lächelte. »Wir haben noch Zeit. Wir können ohnehin erst gehen, wenn die Wyllians sich gemeldet haben. Und außerdem«, Yuukh gab einem anderen Lakgo ein Zeichen, »mußt du noch schön genug für deinen Auftritt gemacht werden.«

Der Knabe ließ die nun folgende Prozedur über sich ergehen, während alles in ihm da­nach fieberte, endlich handeln zu können. Mit jeder Minute wurde er, der den Dingen bis gestern so gelassen gegenübergestanden hatte, nervöser.

Die Lakgos besaßen kein Kommunikati­onsgerät. Alles, was sich auf Aarl und den beiden anderen Planeten tat, erfuhr man auf dem Markt. Doch keines der sieben Wesen konnte es wagen, jetzt hinauszugehen und sich umzuhören. Alle mußten zur Stelle sein, wenn die Wyllians erschienen.

Tirsoth hoffte, daß sie über die neueste Entwicklung berichten konnten. Sie mußten ja Bescheid wissen, wenn man nicht blind operieren wollte. Lebte Gurankor denn über­haupt noch? Von offizieller Seite aus würde man nicht zulassen, daß ihm etwas zustieß, der äußere Anschein mußte gewahrt bleiben. Doch die Bevölkerung? Tirsoth konnte nichts über die momentane Stimmung wis­sen, aber die Bilder der lynchwütigen Men­ge vor dem Muuke seiner Familie auf Zaar­denfoort hatte er noch in bester Erinnerung.

Yuukh verschwand in einem Gang, der zu den vielen Nebenräumen führte, die eben­falls von Lakgo-Gemeinschaften bewohnt wurden. Auch dies war etwas, das Tirsoth nicht verstand. Die einzelnen Gruppen pflegten so gut wie keinen Kontakt unterein­ander, obwohl sie ihre Getto-Situation doch eigentlich hätte zusammenschweißen müs­sen.

Yuukh kehrte mit einer polierten Metall­platte zurück und hielt sie dem Siebenjähri­

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gen vors Gesicht. Ein anderer schien Tirsoth anzustarren. Der Junge im Spiegelbild sah mindestens doppelt so alt aus wie er. Augen-und Mundpartien waren völlig verändert worden.

Unwillkürlich griff sich Tirsoth an die Stirn und zog das Hautpflaster ab, dann be­trachtete er sich nochmals. Auf die Lakgos schien seine Demaskierung nicht den ge­ringsten Eindruck zu machen. Tirsoth befe­stigte das Pflaster wieder sorgfältig über dem dritten Auge.

Nicht einmal Burdur würde ihn erkennen. Die Tarnung war perfekt, bis auf eines.

»Auch neue Kleider bekommst du«, sagte Yuukh auf eine entsprechende Frage. Wie­der nur Minuten später hatte Tirsoth seine schönen Kleider gegen die Lumpen eines Halbwüchsigen eingetauscht, wie es der Plan vorsah. Tirsoth würde sich als Demon­strant gebärden, der Gurankors Herausgabe forderte. Die Wyllians waren »zufällig« in der Nähe und würden angeblich versuchen, ihn zurückzuhalten, bevor er Unfug anrich­ten konnte.

Vor allem aber, bevor die Wachtposten eingreifen würden. Wie sie das bewerkstelli­gen sollten, war Tirsoth ein Rätsel. Die Lak­gos würden dann längst dabei sein, das Ge­fängnis zu stürmen und ihnen den Weg frei­zumachen.

Tirsoth wurde nicht schlau aus der vom sogenannten Mächtigen entwickelten. Stra­tegie. Immer wieder glaubte er, daß er sich auf etwas einließ, das nicht gutgehen konnte. Und immer wieder machte er sich klar, daß er allein gar nichts ausrichten konnte.

Endlich meldete der an der Treppe zur Gasse postierte Lakgo, daß zwei Wyllians aufgetaucht seien. Tirsoth lief zur Tür. Es dauerte Sekunden, bis er Graath und Jessy erkannte. Nur die Punktmuster auf der Haut der Ballone erlaubten überhaupt eine Unter­scheidung.

»Kommt!« rief Graath. Täuschte sich Tir­soth, oder bebte das Wesen leicht? Jessy drehte sich langsam um ihre Körperachse.

»Stimmt etwas nicht?« fragte Yuukh.

Horst Hoffmann

Einen Augenblick vergaß Tirsoth, was ihnen bevorstand. Wieder war er davon fasziniert, daß sich so völlig verschiedenartige Lebens­formen scheinbar mühelos untereinander verständigen konnten – in einer Sprache, die nicht ihre eigene war.

»Sie haben den Kontakt verloren«, drang es aus Jessys Lamellen. »Sie sind in Sorge. Sie müssen schnell handeln.«

»Den Kontakt zu eurem ›Mächtigen‹?« fragte Tirsoth.

»So ist es. Doch das geschah schon einige Male. Kommt nun!«

»Gurankor lebt noch?« »Ja«, antwortete Graath. »Die Absperrun­

gen ums Gefängnis wurden in der Nacht verstärkt. Es wird nicht einfach sein, sie zu durchbrechen.«

Ohne weitere Fragen folgten Tirsoth und die sieben Lakgos den Ballonwesen, bis sie das Ende der Gasse erreicht hatten. Der Markt lag vor ihnen. Schon herrschte wieder reger Betrieb. Jene Exoten, die ihre Stände nur tagsüber aufschlugen, priesen ihre Wa­ren an. Überall vor den Hallen wurden Kar­ren beladen. Die zur Befriedigung der Be­dürfnisse der Nichteripäer erforderlichen Güter wurden – sofern sie nicht von diesen selbst produziert wurden – von der Regie­rung geliefert. Ein penetranter Geruch lag über diesem Teil des Geländes.

Die Marktaufseher hatten ihre Kontroll­stände aufgesucht oder schlenderten schein­bar unbeteiligt umher. Das Bild trog. Nichts deutete darauf hin, daß in diesen Stunden Entscheidendes auf Aarl vorging.

Tirsoth konnte Burdurs Kontrollstand se­hen, aber sein Pflegevater war nicht da. Da­für hatte ein anderer Eripäer seinen Platz eingenommen. »Er ist tot«, sagte Yuukh mit bebender Stimme.

»Du lügst!« entfuhr es dem Knaben. »Burdur darf nicht …«

»Nicht Burdur. Der Alte dort.« Yuukh deutete auf das Lager des Sterben-

den. Der alte Mann lag mit offenen Augen auf dem Rücken und schien geradewegs in den Himmel zu sehen. Er atmete nicht.

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»Er ist nicht tot«, kam es von Graath. »Er schweigt nur.«

Er schweigt? Tirsoth kam ein phantastischer Gedanke,

doch ihm blieb keine Zeit, Spekulationen anzustellen. Die Wyllians trieben ihn und die Lakgos zur Eile an.

»Ihr müßt über den Markt, um zur Straße zu gelangen, die zum Zentralgefängnis führt. Sie trennen sich nun von euch und werden dann wieder erscheinen, wenn du die Ab­sperrungen erreichst, Tirsoth.«

Ohne weitere Erklärungen schwebten die Wyllians einen halben Meter über dem Bo­den davon, auf eine Plattform zu, wo ihre Artgenossen Nahrungsmittel für sie bereit­hielten.

Tirsoth atmete tief durch. »Kommt!« zischte er den Lakgos zu.

»Yuukh, du bleibst bei mir, bis wir die Stra­ße erreicht haben. Ihr anderen verteilt euch.«

Tirsoth und Yuukh kümmerten sich nicht mehr um die übrigen Lakgos. Nur nicht auf­fallen, dachte der Knabe. Es war nicht unge­wöhnlich, daß junge Eripäer, die zum ersten­mal den Permanenten Markt besuchten, sich mit einem Lakgo anfreundeten. Er bot ihnen Schutz. So nahm niemand Anstoß an dem seltsamen Paar, bis die beiden die Stände der Mak'Noys passieren mußten, wo gleich fünf Cheepies sich darum stritten, wessen Wirt denn nun den besten Pansch anzubieten hat­te.

Schlecht gezielte Spucke klatschte Yuukh mitten auf die Brust.

»Warte einen Augenblick«, sagte der Lak­go sehr ruhig zu Tirsoth. »Ich bin gleich zu­rück.«

Minuten später glichen die Stände der Mak'Noys einem Trümmerfeld. Von überall­her kamen Marktaufseher herangelaufen. Tirsoth geriet in Panik. Wieder zitterte er. Nichts war von der Ruhe geblieben, mit der er vor nicht allzu langer Zeit den Angriff der Lynchwütigen auf Zaardenfoort abgewartet und seine Mutter getröstet hatte. Die Last der ihm so plötzlich auferlegten Verantwor­tung drohte ihn zu erdrücken. Er konnte

nicht mehr klar denken, sah, wie Yuukh zu­rückkehrte und sich die Aufseher weiter nä­herten. Der Lakgo legte seine riesige Hand um Tirsoths Schulter und beantwortete völ­lig ruhig die ihm gestellten Fragen. Ein Pro­tokoll wurde angefertigt. Auch nach Tirsoth wurde gefragt. Yuukh erklärte geduldig, daß es sich bei ihm um einen Ausreißer handle, den er zu seinen Eltern zurückbringen woll­te. Es gab oft solche Fälle. Halbwüchsige, die von ihrer Familie flohen, versuchten ihr Glück auf dem Markt. Die meisten landeten in den Händen von Drogenhändlern, die sie skrupellos ausnützten.

Das relativ gute Verhältnis zwischen Lak­gos und Marktaufsehern zahlte sich aus. Yuukh und Tirsoth konnten weitergehen, ohne mit weiteren peinlichen Fragen belä­stigt zu werden.

Als sie die Straße erreichten, zitterte der Knabe immer noch. Als er die Sirenen hörte, glaubte er, den Verstand verlieren zu müs­sen. Was war mit ihm los? Mit ihm, der so hoch über den »normalen« Eripäern stand wie ein Mensch der Erde über den Neander­talern?

Gleiter erschienen am Himmel. Es war das gleiche Bild wie gestern. Tirsoth wollte losrennen, doch Yuukh hielt ihn zurück.

»Die Aktion gilt nicht uns!« zischte der Lakgo ihm zu. »Komm zu dir. Von dir hängt alles ab. Ich wußte schon gestern, daß ein Ring von Drogenhändlern aufgeflogen ist. Wir haben nichts zu befürchten. Und nun komm!«

Yuukh zog Tirsoth mit sich. Hinter ihnen landeten die Polizeigleiter. Männer sprangen heraus, doch niemand kümmerte sich um Yuukh und Tirsoth.

»Wir müssen uns jetzt trennen«, sagte der Lakgo. »Du weißt, was du zu tun hast. War­te eine halbe Stunde, dann folge mir. Die Wyllians werden zur Stelle sein.«

Ja! dachte Tirsoth. So einfach ist das. Aber etwas paßt nicht zusammen. Es kann nicht gutgehen!

Er sah Yuukh in der Menge der zum Markt Strömenden verschwinden und hatte

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Zeit, sich Gedanken zu machen. Der »Mächtige« meldete sich nicht mehr. Der Sterbende schwieg. Die Zusammenhänge schienen zum Grei­

fen nahe. Tirsoth wartete ab, bis er glaubte, daß ei­

ne halbe Stunde verstrichen sei. Immer wie­der zuckte er zusammen, wenn er glaubte, Eripäer auf sich zukommen zu sehen.

Dann ging er los. Schöpfer! dachte er verzweifelt. Gib mir

die Kraft!

*

Yuukh hatte seinen Zeitplan genau im Kopf. Er brauchte keine Uhr, um zu wissen, wann seine Artgenossen an ihrem gemeinsa­men Ziel angelangt sein würden. Zusammen als geschlossene Gruppe würden sie vor die Wachen treten und ihre Loyalität zu Tekal­hor oder jenen erklären, die an seine Stelle treten sollten, nachdem auf Aarl wieder Ru­he eingekehrt war. Die Wachen würden sich zwar wundern, warum die Lakgos nicht zum Regierungspalast gezogen waren, aber auch dafür hatte Yuukh eine Erklärung parat. Die Abscheu vor dem Monstrum Gurankor, so würde er sagen, hätte sie an diesen Ort ge­trieben.

Noch auf dem Weg konzentrierte Yuukh sich auf den Aufbau der Energien, die die neuen Geräte zerstören sollten. Zwar war es vorgesehen, daß er und Sallar als erste ins Gefängnis vordringen sollten, während die übrigen fünf die Detektoren zerstörten, aber er wollte sichergehen. Falls einer der ande­ren aus irgendwelchen Gründen ausfiel, mußte er an seine Stelle treten.

Die Lakgos verzichteten auf Schweber. Sie gingen, jeder eine andere Straße benut­zend, zu Fuß oder benutzten Laufbänder. Sie ignorierten die neugierigen Blicke der Eripä­er, die um diese Zeit die Straßen über­schwemmten. Es war nicht gerade alltäglich, daß die Nichteripäer ihre Quartiere um den Markt herum verließen.

Doch die meisten Eripäer schienen mit ih-

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ren Gedanken woanders zu sein. Immer wie­der jagten Polizeigleiter über die Köpfe der Passanten hinweg. Die Suche nach Tirsoth lief immer noch auf vollen Touren. Yuukh hoffte, daß der junge Dreiäugige nicht die Nerven verlor.

Ununterbrochen wurde die Bevölkerung der Stadt dazu aufgerufen, die Augen offen­zuhalten. Tirsoths Bild war auf vielen Leuchtschirmen zu sehen, über die sonst zu bestimmten Zeiten die neuesten Nachrichten bekanntgegeben wurde.

Das Zentralgefängnis befand sich noch in den Außenbezirken der Stadt und bildete mit den beiden Anhöhen, auf denen sich der Re­gierungssitz Gnosier und Urgan, das mächti­ge Rechengehirn, befanden, ein etwa gleich­schenkliges Dreieck. Yuukh war froh dar­über, daß er und seine Gefährten sich nicht ins Stadtzentrum begeben mußten. Das Ge­fängnis lag zwischen diesem Alptraum aus zusammengeballter Technik und für Nichte­ripäer verwirrender Architektur und dem Permanenten Markt.

Yuukh betrat ein Laufband. Etwa einen Kilometer vor dem Gefängnis wechselte er solange auf andere über, bis er Sallar er­blickte. Nach und nach erschienen die ande­ren fünf Lakgos aus verschiedenen Richtun­gen. Jetzt blieben die Eripäer stehen und sa­hen der Gruppe nach. Ein Polizeigleiter wur­de auf sie aufmerksam und schwebte fünf Meter über ihren Köpfen.

Yuukh ließ sich nicht beeindrucken. Das Zentralgefängnis. Es war ein großes rundes Gebäude von et­

wa zwanzig Meter Höhe. Die Grundfläche mochte einen Durchmesser von fünfzig Me­ter haben. Fenster waren nicht zu sehen. Die einzigen erkennbaren Zugänge befanden sich in zehn Meter Höhe und waren nur über spiralförmig gewundene Rampen zu errei­chen. Yuukh ahnte, daß es dort eine ganze Reihe von Sperren, Abtastsystemen und energetischen Barrieren gab. Diese auszu­schalten, war seine und Sallars Aufgabe.

Die Lakgos verließen das Laufband. Es endete hundert Meter vor den Mauern des

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Rundgebäudes. Aller Verkehr hörte hier auf. Das Gefängnis war von einer völlig freien Zone umgeben. Yuukh sah überall Wachen patrouillieren – und die würfelförmigen Ge­räte.

»Sobald wir die Wachen passiert haben, verteilt ihr euch. Sallar und ich versuchen, die Offiziere abzulenken. Dann rennt ihr los und zerstört die Würfel«, zischte Yuukh sei­nen Gefährten zu.

»Falls wir den äußeren Sperrgürtel passie­ren können«, gab Sallar zu bedenken. Damit meinte er die Posten, die das Gebäude regel­recht umzingelt hatten – in etwa achtzig Me­ter Entfernung. Die ersten wurden auf die Gruppe aufmerksam. Zwei kamen den Nich­teripäern entgegen, während der Gleiter lan­dete.

Mit ihm hatte Yuukh nicht gerechnet. Sein Auftauchen konnte alles verderben. Yuukh wollte keinen Kampf, solange er sich vermeiden ließ.

Die Posten blieben vor den Lakgos ste­hen. Ihre Waffen waren auf die Exoten ge­richtet.

»Verschwindet!« rief einer der Eripäer. Yuukh wunderte sich erst jetzt darüber, daß er keine Demonstranten sah, wie er es er­wartet hatte.

»Wir kommen, um unseren Dank für die Ergreifung des Ungeheuers abzustatten und unsere Loyalität den neuen Machthabern ge­genüber zu versichern«, sagte Yuukh ruhig. Natürlich durfte er nicht zu erkennen geben, daß er wußte, daß es im Moment nur einen Machthaber gab – Tekalhor.

Der Wortführer der Eripäer und sein Ne­benmann sahen sich amüsiert an. Alle ande­ren Wachen waren an ihrem Platz geblieben. Sie standen nicht weiter auseinander als zehn Meter und waren alle schwer bewaff­net.

Eine uneinnehmbare Festung, dachte Yuukh. Aber wartet ab!

»Nett von euch«, kam es wieder vom Eripäer, ohne daß er die Waffe senkte. »Wir werden es ausrichten. Und nun verschwin­det!«

»Wir glauben nicht, daß ihr unsere guten Wünsche ausrichten werdet«, sagte Yuukh, nun schärfer. »Wir verlangen, mit einem Of­fizier zu sprechen.« Als der Lakgo sah, wie sich der Finger des Postens um den Auslöser seines Strahlgewehrs krümmte, fügte er schnell hinzu: »Oder seid ihr nicht mehr an Tirsoth interessiert?«

Die beiden Eripäer wechselten einen schnellen Blick. Gleichzeitig kamen die Po­lizisten aus dem Gleiter heran.

»Wißt ihr etwas über den verfluchten Dreiäugigen?«

»Wir wissen, wo er sich versteckt«, er­klärte Sallar, der sich sofort auf Yuukhs ge­wagtes Spiel einstellte.

»Aber wir wollen mit einem Offizier spre­chen.«

»Wir möchten nämlich nicht, daß andere für uns die Belohnung kassieren«, fügte ein weiterer Lakgo hinzu.

Einer der Polizisten ging auf die Posten zu und flüsterte etwas mit ihnen. Dann kam er zurück und nickte grimmig.

»In Ordnung. Kommt mit uns.« Die Wachen bezogen wieder ihre Posten,

nachdem die Polizisten und die Lakgos ihren Ring passiert hatten. Yuukh fühlte, wie der Zorn in ihm aufstieg. Dort lagen die Detek­toren zum Greifen nahe vor ihnen. Zwei oder drei Offiziere der Gefängnisverwaltung ließen sich ablenken, doch die Polizisten nicht.

Das Glück schien den Lakgos zur Seite zu stehen. Yuukh fuhr herum, als er die Schreie hörte. Etwa zwanzig Eripäer kamen aus ei­ner Straße herangelaufen. Sie waren bewaff­net und schüttelten die Fäuste. Augenblick­lich rannten die Polizisten zu ihrem Gleiter. Als Yuukh sah, wie dieser aufstieg und die Heranstürmenden wenig später gelähmt zu­sammenbrachen, wußte er, warum es keine Demonstranten gab.

Und er sah noch etwas. Tirsoth erschien, gefolgt von den beiden

Wyllians. »Los!« schrie der Lakgo seinen Artgenos­

sen zu. »Zerstört die Detektoren!«

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Die Posten fuhren herum, doch sie konn­ten die Vernichtung der Geräte nicht mehr verhindern. Die Lakgos hatten sie erreicht, ehe der erste Schuß abgegeben werden konnte. Ein Würfel nach dem anderen glühte rot auf, als er von den Hünen berührt wurde.

Aber Yuukh wußte nun, daß sie einen Fehler gemacht hatten.

Sie hatten einem Unbekannten vertraut und waren wie dumme Kinder in die Falle gegangen.

Der erste Lakgo brach tödlich getroffen zusammen. Yuukh war unfähig, sich zu rüh­ren. Der Polizeigleiter hatte Tirsoth und die Wyllians erreicht. Gleich würden sie ge­lähmt umfallen.

Doch es kam nicht dazu. Ein golden schimmerndes Objekt erschien

am Himmel. Die Eripäer warfen die Köpfe in den Nacken und starrten ungläubig auf das, was wie ein goldenes Rieseninsekt aus­sah.

Dann überschlugen sich die Ereignisse.

7. An Bord der GOL'DHOR – Razamon und

Balduur

»Endlich wieder Licht«, murmelte Baldu­ur. »Aber ich kann nicht gerade behaupten, daß ich von diesem Anblick begeistert bin.«

Razamon nickte geistesabwesend. Der Anblick, von dem der Odinssohn sprach, das war die Lichtung, eine Insel im Korsallo­phur-Stau und Zufluchtsstätte jener Wesen, die die Schwarm-Katastrophe überlebt hat­ten und nicht den Krolocs zum Opfer gefal­len waren.

Eine Sonne und drei Planeten, ein Stück »normaler« Weltraum, wie es schien, einge­schlossen von einer purpurrot glühenden Kugelschale aus kosmischen Staubmassen.

Razamons und Balduurs Erinnerungen an ihren ersten Aufenthalt in der Lichtung wa­ren wirklich nicht die besten. Beide Männer hatten mehr als einmal dem Tod ins Auge gesehen. Nun kehrten sie zurück, um die Nachricht von der Niederlage der Krolocs

Horst Hoffmann

und von Atlans Ultimatum zu überbringen. Razamon hatte bis zuletzt gezweifelt. Er

hatte am eigenen Leib erleben müssen, zu welchen Hinterlisten die Krolocs fähig wa­ren. Doch es sah so aus, als hielten sie tat­sächlich Wort. Keine einzige Spaccah be­fand sich in der Nähe der Lichtung. Die Spinnenartigen hatten ihre Flugscheiben zu­rückgezogen, so wie Atlan es gefordert hat­te.

»Ich habe ein verdammt schlechtes Ge­fühl«, knurrte Balduur.

»Kannst du nicht endlich vergessen, was geschehen ist?« fragte Razamon ärgerlich. Die Unkereien des Odinssohns gingen ihm auf die Nerven. »Die Eripäer haben uns eine Menge zu verdanken, und in Gurankor ha­ben wir einen mächtigen Freund.«

Zwar hatte auch Razamon ein seltsames Gefühl, als die GOL'DHOR in die Lichtung eintauchte und Kurs auf den zweiten Plane­ten nahm. Doch an Bord des goldenen Schif­fes, das sich wie ein leuchtendes Riesenin­sekt aus den Staubmassen des Korsallophur-Staus schälte, fühlte er sich geborgen. Es war, als ob ein lebendes Wesen ihn aufge­nommen hätte. Razamon brauchte fast nichts zur Steuerung zu tun. Seine Hände glitten über die Instrumente, als würden sie geführt.

Balduur schwieg. Wahrscheinlich kam er sich dumm vor. Aber Razamon sah den fin­steren Blick seiner Augen. Er fragte sich, ob Balduur die beruhigenden Ströme nicht ebenso fühlte wie er selbst.

Als die GOL'DHOR die Bahn des dritten Planeten, Zaardenfoort, erreicht hatte, setzte der Atlanter einen ersten Funkspruch ab. Er war direkt an Gurankor gerichtet. Razamon kündigte die bevorstehende Landung auf dem Raumhafen von Yardanso an und bat um Landeerlaubnis und Einweisung.

Doch es kam keine Reaktion. Statt dessen erschienen auf den Orter­

schirmen unzählige Reflexe. Bald darauf war ein riesiger Verband eripäischer Kampf­schiffe in der optischen Erfassung zu sehen, die sich formierten und den Flug der GOL'DHOR mitmachten. Sie schienen ab­

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zuwarten. »Immer noch optimistisch?« fragte Baldu­

ur mit beißendem Sarkasmus. »Empfängt man so Freunde?«

»Abwarten!« knurrte Razamon trotzig. Die Zuversicht des hageren Mannes war in­nerhalb von Minuten geschwunden. Den­noch weigerte er sich zu akzeptieren, daß man ihn und Balduur nicht nur ignorierte, sondern ihnen mit unmißverständlicher Ab­lehnung begegnete.

Wieder funkte er Aarl an und verlangte eine Verbindung mit dem Eripäer. Und wie­der kam keine Antwort.

Auch die Kampfschiffe schwiegen. Sie eskortierten die GOL'DHOR lautlos und drohend.

»Dann eben nicht!« entfuhr es Razamon. »Stur können wir auch sein!«

Er ließ seine Finger über die Kontrollen huschen. Im nächsten Augenblick machte das goldene Raumschiff einen Satz nach vorne. Die eripäischen Einheiten hatten noch nicht begriffen, was geschah, als die GOL'DHOR schon in die Atmosphäre Aarls eintauchte.

Die Reaktion kam postwendend. »Nähern Sie sich nicht weiter!« hallte ei­

ne unbekannte Stimme aus den Lautspre­chern der Zentrale. »Ansonsten sehen wir uns gezwungen, das Feuer auf Sie zu eröff­nen!«

Razamon und Balduur starrten sich un­gläubig an.

»Ist der Kerl verrückt?« entfuhr es dem Odinssohn. »Was soll das heißen? Er müßte wissen, daß unser Schiff unangreifbar ist und höchstens seine eigenen Leute sich blu­tige Nasen einhandeln. Aber was soll das Ganze? Ohne uns hätten sie Damaukaaner an die Krolocs verloren!«

»Wir werden es herausfinden, das ver­spreche ich dir!«

Razamon richtete sich auf und sagte laut: »Wir verlangen zum letztenmal, mit dem

Eripäer sprechen zu können. Wir sind ge­kommen, um Ihnen eine Botschaft von …«

Der unbekannte »Partner« schnitt ihm das

Wort ab. Die geheimnisvolle Technik der GOL'DHOR machte es möglich, daß das Gespräch so geführt wurde, als ob sich Raz­amon und der Eripäer persönlich gegenüber­stünden. Nur die Sichtverbindung fehlte. Razamon fragte sich, welchen Grund der Mann hatte, sich nicht zu zeigen.

»Das ist unmöglich. Gurankor wurde ver­haftet und erwartet seinen Prozeß. Sie als Gurankors Verbündete sind …«

Razamons Hand schlug auf die Tastatur. Sofort verstummte die Stimme des Eripäers.

Sekundenlang herrschte betretenes Schweigen in der Zentrale der GOL'DHOR.

»Das darf nicht wahr sein«, flüsterte Bal­duur.

Razamon schüttelte ungläubig den Kopf. Gurankor verhaftet! Aber das konnte nur

heißen, daß man hinter sein Geheimnis ge­kommen war.

Ohne Dreiäugige, die die Geschicke ihrer Rasse lenkten, waren die Eripäer verloren.

Die Genugtuung darüber, daß die Krolocs sich zurückgezogen hatten, schwand.

»Sie kommen«, sagte Balduur. Er zeigte auf die Schirme. »Die Kampfschiffe.«

»Und wir sehen uns die Sache aus der Nä­he an!« brüllte Razamon plötzlich. In diesen Augenblicken erinnerte er wieder an den Berserker, der kurz vor einem Anfall stand. »Wir sollten diese Dummköpfe in ihr Ver­derben rennen lassen! Verdammt, wir kön­nen es nicht!«

Wieder schien die GOL'DHOR wie eine Gottesanbeterin zu »springen«. Sekunden später schwebte sie über dem Raumhafen von Yardanso. Jene, die jetzt das Sagen auf Aarl hatten, zögerten keinen Augenblick, ih­re Drohung wahrzumachen. Abwehrfeuer schlug dem Schiff entgegen und wurde von den Schutzschirmen mühelos absorbiert.

Razamon flog den Regierungspalast an. Über der GOL'DHOR tauchten die ersten

Verfolgerschiffe auf. Auch sie eröffneten so­fort das Feuer. Razamon kümmerte sich nicht darum.

»Was soll das?« wollte Balduur wissen. »Willst du vor dem Palast landen und dich

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höflich nach Gurankors Befinden erkundi­gen?«

Natürlich nicht! Razamons Gedanken überschlugen sich. Wo sollte er ansetzen? Die eripäischen Schiffe kamen bedrohlich nahe – bedrohlich nicht für die GOL'DHOR, sondern für sie. Die GOL'DHOR besaß nur Defensivwaffen. Falls die Verfolger zu nahe an die Schirme herankamen, würden sie ver­nichtet werden.

»Wir halten sie auf Distanz«, sagte Raza­mon schnell. »Ich versuche inzwischen, ih­ren Funkverkehr abzuhören. Vielleicht er­fahren wir so etwas, das uns …«

»Emissionen!« rief Balduur. »Dort vorne. Starke Energieemissionen in den Randbezir­ken der Stadt!«

Ohne zu zögern, steuerte Razamon das Schiff auf die Quelle der Impulse zu, bis ein rundes Gebäude auf den Schirmen zu sehen war.

»Dort unten wird gekämpft!« rief Baldu­ur.

Die GOL'DHOR senkte sich weiter herab. Doch bevor Razamon weitere Einzelheiten erkennen konnte, waren die Verfolger heran. Diesmal aber waren es keine Raumschiffe, die im Gegensatz zur GOL'DHOR in dieser niedrigen Höhe nicht mehr operieren konn­ten, sondern Gleiter. Und sie gerieten ge­fährlich nahe an die Schutzschirme des gol­denen Schiffes. Bevor Razamon ein Aus­weichmanöver fliegen konnte, explodierten die ersten.

»Weg hier«, knurrte der Pthorer. »Die Burschen sind verrückt. Sie bringen sich um!«

Kamikaze! durchfuhr es ihn. Der Wahn­sinn schien über das ganze Universum ver­breitet zu sein. Razamon verstand die Hand­lungsweise der Eripäer nicht. Konnte die Angst vor den Dreiäugigen denn wirklich so stark sein, daß man alle Werte der eigenen Zivilisation vergaß? Daß man sich opferte?

Weshalb wollte man ihn und Balduur von hier mit aller Macht vertreiben? Razamon hatte keine Zeit zum Nachdenken, aber er ahnte die Wahrheit.

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Vorerst jedoch gab es nur eines: Flucht, Flucht vor Selbstmördern.

Die GOL'DHOR vollführte einen weite­ren Sprung in die oberen Schichten der At­mosphäre.

»Und wohin jetzt?« fragte Balduur. »Wir fliegen nach Zaardenfoort«, ent­

schied Razamon. »Vielleicht kann uns Nur­crahn weiterhelfen – oder Pona.«

Den Namen Tirsoth ließ er unausgespro­chen.

*

Wenn schon der Anblick der sich auftuen­den Lichtung unangenehme Erinnerungen geweckt hatte – der Anblick Zaardenfoorts war nicht weniger bedrückend.

Razamon wußte nicht, wo er Nurcrahn zu suchen hatte. Der alte Lichtfürst hatte wie alle Zaardenfoorter sein Muuke aufgeben und in eine der Notunterkünfte übersiedeln müssen. Der einzige Anhaltspunkt war aber eben jenes Muuke der Familie des Lichtfür­sten.

Man hatte die beiden Pthorer nicht ver­folgt. Es schien so, als wolle man sie nur von Aarl fernhalten. Der Grund war Raza­mon mittlerweile klar. Irgendwo dort wurde Gurankor gefangengehalten, wahrscheinlich in jenem runden Gebäude. Das aber hieß gleichzeitig, daß der Dreiäugige noch am Leben war.

Dann gab es noch Hoffnung. Razamon überflog Luukh, die Zentral­

stadt des Kontinents Luuk, in großer Höhe, um nicht unnötige Verwirrung unter den Be­wohnern zu stiften. Erleichtert stellte er fest, daß keine Gleiter aufstiegen, um die GOL'DHOR anzugreifen. Auf Zaardenfoort schien man abzuwarten und alle Verantwor­tung denen zu überlassen, die jetzt auf Aarl die Entscheidungen trafen.

Razamon orientierte sich an einigen mar­kanten Gebäudekomplexen und nahm Kurs auf jenen Teil des Kontinents, an dem sich das Muuke der Familie Nurcrahn befand. Wenig später senkte sich die GOL'DHOR

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auf den schmalen Küstenstreifen nieder wie ein Insekt auf eine Blüte. Einige Zaarden­foorter, die noch mit der Untersuchung der Tier-Pflanzen-Zwitter beschäftigt waren, standen wie versteinert da und sahen zu, wie die beiden Pthorer das Schiff verließen.

Sie alle hatten natürlich vom Auftauchen der GOL'DHOR über Damaukaaner und vom entscheidenden Eingreifen Atlans in der Schlacht um den ersten Planeten gehört.

Genau wie die Selbstmörder voll Aarl! dachte Razamon bitter, als er vor einer For­schergruppe stehenblieb und die Männer und Frauen knapp begrüßte. Er schaltete den vor dem Abflug aus der Lichtung von Gu­rankor erhaltenen eripäischen Translator ein.

»Haben Sie Fortschritte gemacht?« fragte er nach einer knappen Begrüßung. Er deute­te auf Nurcrahns Muuke. Ein kalter Schauer überlief ihn, als er daran dachte, wie die or­ganischen Behausungen zum Angriff auf ih­re Bewohner übergegangen waren.

»Leider nicht.« Der Sprecher der kleinen Gruppe sah Razamon, dann Balduur in die Augen. Razamon konnte keine Ablehnung aus seinem Blick herauslesen, aber auch kei­ne übermäßige Dankbarkeit. Die Eripäer wa­ren verunsichert. Dennoch sprach aus den Blicken der Zaardenfoorter großer Respekt – und ein wenig Angst, wenn sie zur GOL'DHOR hinübersahen. »Wir hatten eini­ge Anfangserfolge und konnten uns mit eini­gen Muukern regelrecht unterhalten.« Der Mann deutete auf eine Reihe von Geräten, die die Worte der Eripäer in Impulse um­wandelten, die von den halbintelligenten Riesenschwämmen aufgenommen werden konnten. »Sie bestätigten, was wir bereits vermuteten. Sie wurden von Unbekannten manipuliert. Sie selbst wissen nicht, wer dies war, aber es kann kein Zweifel daran beste­hen, daß es sich um Agenten der Krolocs handelte. Von allen Waffen, die diese im Krieg gegen uns einsetzten, ist dies die grau­envollste.«

»Ihr Plan ist nicht aufgegangen«, erklärte Razamon. »Und der Krieg ist zu Ende. Es wird keine Angriffe der Krolocs mehr ge­

ben.« Die Zaardenfoorter starrten ihn ungläubig

an. Unter anderen Umständen wären sie in Jubel ausgebrochen. Nun schlugen sich eini­ge der Wissenschaftler die Hände vor die Augen. Razamon sah, wie Tränen über ihre Wangen liefen.

»Deshalb sind wir zurückgekommen«, fuhr der Atlanter fort. »Wir wollten nichts anderes als diese Nachricht überbringen. Man hörte uns nicht einmal an. Dafür be­schoß man uns. Was ist geschehen?«

Als niemand antwortete, schüttelte Raza­mon den Kopf und stellte eine andere Frage. Es war offensichtlich, daß die Männer und Frauen nicht über die Vorgänge, die zu Gu­rankors Verhaftung geführt hatten, reden wollten.

»Wo lebt Nurcrahn jetzt?« Diesmal erhielt er die gewünschte Aus­

kunft. Razamon verabschiedete sich von den Wissenschaftlern. Ihr Sprecher kam ihm und Balduur nach, bis sie die GOL'DHOR fast erreicht hatten.

»Ja?« fragte Razamon. Er sah, wie der Zaardenfoorter nach Wor­

ten suchte. Vielleicht stammte der Mann auch von Aarl. Es gab keine eindeutigen Un­terscheidungsmerkmale.

»Werden Sie uns helfen?« fragte er schließlich. »Noch ein einziges Mal?« In dem Moment begriff Razamon, was in den Eripäern vorging. Sie verabscheuten und fürchteten die Dreiäugigen, aber sie spürten jetzt instinktiv, daß sie ohne sie verloren wa­ren. Schizophrenie im höchsten Grad, dachte der Pthorer. Wenn er noch nie Mitleid mit jemandem empfunden hatte, dann jetzt mit den Eripäern – egal, ob sie auf Zaardenfoort, Aarl oder Damaukaaner lebten.

»Wir werden es versuchen«, sagte er mit belegter Stimme. Hatte er sich bereits so sehr mit den Eripäern identifiziert, daß er seine Selbstbeherrschung verlor? Am lieb­sten wäre er weggerannt, um alles zu verges­sen.

»Wir werden es versuchen«, sagte er noch einmal. Dann stellte er eine direkte Frage:

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»Kann Gurankor schlecht sein, nur weil er drei Augen hat?«

Der Blick des Eripäers schien zu sagen: Aber er ist ein Monstrum! Er hat uns so

lange betrogen! Statt dessen entgegnete er: »Gurankor hat uns gut geführt und dafür

gesorgt, daß wir in Sicherheit leben konn­ten.«

Damit machte er kehrt und ging zu seiner Gruppe zurück.

Razamon begriff. Die Aktivitäten der Streiter der Nacht, je­

ner Verblendeten, deren Rassenhaß Zaar­denfoort fast ins Chaos gestürzt hätten, wa­ren eine heilsame Lehre für die Bewohner des dritten Planeten gewesen. Die Angst vor den dreiäugigen Monstren war in ihnen ebenso tief verwurzelt wie in den Bewoh­nern von Aarl, aber sie hatten erkennen müs­sen, daß sie Fehler gemacht hatten und durch ihre Vorurteile möglicherweise noch mehr Unheil anrichten konnten.

Wieso griffen dann Nurcrahn und die an­deren drei Lichtfürsten nicht ein?

Nur Nurcrahn konnte diese Frage beant­worten.

Die GOL'DHOR hob ab. Zehn Minuten später standen sich Raza­

mon, Balduur und Nurcrahn gegenüber.

*

Der alte Lichtfürst war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er und seine Enkelin Pona waren nicht in das Geheimnis des Eripäers eingeweiht worden. Sie hatten die schreckliche Nachricht über das Kommuni­kationssystem erfahren.

»Ich stehe zu Gurankor«, versicherte der rehabilitierte Lichtfürst. »Ich weiß, daß die Dreiäugigen keine Ungeheuer sind.« Damit spielte er auf seinen Enkel Tirsoth an, den er nicht, wie es das Gesetz vorschrieb, ausge­liefert hatte. »Sie fragen, weshalb ich nicht gegen Tekalhors Hetze eingeschritten bin?« Nurcrahn lachte rauh. »Die drei anderen Lichtfürsten stehen auf seiner Seite. Was

Horst Hoffmann

sollte ich machen? Meine einzige Hoffnung sind Pona und Waaylon.«

Waaylon! Seine spektakulären Auftritte als

»Lichterner« waren Razamon in bester Erin­nerung.

»Pona und er haben sich in einer Höhle im nahen Gebirgszug versteckt. Nur ich weiß davon. Alle anderen glauben, Pona sei auf Aarl, um an der Produktion der neuen Geräte mitzuarbeiten. Viele Eripäer haben sich freiwillig zu dieser Arbeit gemeldet. Die Kroloc-Gefahr scheint damit endgültig gebannt zu sein.«

»Sie ist bereits gebannt«, sagte Razamon und berichtete knapp über die Schlacht um Pthor und den Rückzug der Spaccahs in der Nähe der Lichtung.

Nurcrahn sah ihn lange aus unergründli­chen Augen an.

»Es fällt mir schwer, dies zu glauben«, murmelte der Lichtfürst. »Ein neues Zeital­ter ist angebrochen.«

»Ja«, knurrte Balduur. »Ein finsteres Zeit­alter für euch.«

»Welche Geräte sollten die Kroloc-Gefahr bannen?« wollte Razamon wissen.

Nurcrahn sah Balduur immer noch an. Plötzlich wirkte der alte Mann noch müder.

»Ich habe resigniert«, gestand er freimü­tig. »Ich bin zu alt, um noch einmal in die Entwicklung eingreifen zu wollen. Meine Tage sind gezählt. Es liegt nun in den Hän­den der Jüngeren, das Schicksal unserer Rasse zu bestimmen.« Nurcrahn wandte sich an Razamon. »Fragen Sie Pona selbst.«

Nurcrahn sagte dem Atlanter, wie er zu der Höhle finden konnte. Razamon konnte nicht anders: Er ergriff beide Hände des al-ten Zaardenfoorters und drückte sie.

»Verlieren Sie Ihren Glauben nicht, Nur­crahn«, hörte er sich sagen. »Was in unserer Macht steht, werden wir tun.«

»Ich glaube Ihnen«, sagte Nurcrahn er­griffen. »Aber Sie sind nicht allmächtig. Niemand ist es.«

*

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29 Tod den Dreiäugigen

»Wir sollten verschwinden«, brummte Balduur, nachdem er und Razamon die GOL'DHOR erneut bestiegen hatten. »Wir handeln uns nur Ärger ein. Und was haben wir am Ende davon? Man wird uns davonja­gen, auf uns schießen, uns vielleicht umbrin­gen.«

Razamon schwieg. Er verstand Balduurs Verbitterung. Dennoch dachte er nicht dar­an, aufzugeben – jetzt gerade nicht.

Nurcrahn hatte eine relativ gute Beschrei­bung gegeben. Doch es dauerte eine Stunde, bis Razamon die Höhle ausgemacht hatte. Es schneite. Die GOL'DHOR setzte sanft auf einem kleinen Plateau auf.

Pona stand im Eingang der Höhle und er­wartete sie. Ihre Wangen waren feucht.

»Nurcrahn hat mich benachrichtigt«, sag­te sie, als sie den Männern die Hände schüt­telte. Dann zeigte sie auf das Kommunikati­onsgerät in einer Ecke der Höhle. Razamon und Balduur folgten ihr. Razamon beachtete das Gerät kaum. Sein Blick haftete auf dem Alten am Boden.

»Wer ist das?« fragte er mit belegter Stimme. Er war davon überzeugt, noch nie einen so alten Menschen gesehen zu haben. Es war ein Eripäer, das stand fest. Aber die Haut war nicht mehr zart und fast durchsich­tig, sondern verkrustet und an vielen Stellen aufgebrochen. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen. In viel zu großen Abständen hob und senkte sich die Brust des Alten. Dies war das einzige, was darauf hindeutete, daß er noch lebte. Die Finger waren nur noch Haut und Knochen. Über den übrigen Kör­per waren Decken gelegt.

Pona schlug sich die Hände vor die Au­gen und schluchzte hemmungslos. Razamon kam sich furchtbar hilflos vor. Er nahm das zierliche Mädchen und zog es an sich. Mit einer Hand strich er sanft über Ponas haarlo­sen Schädel und redete beruhigend auf sie ein.

»Die Gesichtszüge«, murmelte Balduur, der sich über den Greis gebeugt hatte. »Sie erinnern mich an jemanden. Aber das ist völlig unmöglich.«

»Es ist wahr«, brachte Pona immer noch weinend hervor.

Balduur fuhr herum. Razamon begriff im gleichen Augenblick.

»Sag, daß es nicht stimmt«, flüsterte er, von nie gekanntem Grauen ergriffen. »Sag, daß es nicht Waaylon ist.«

Der Alte gab selbst die Antwort. Unend­lich langsam drehte er den Kopf, so daß er die Pthorer sehen konnte. Balduur war auf­gesprungen und stand mit kreidebleichem Gesicht neben Razamon.

Der Greis wollte etwas sagen, aber kein Wort kam über seine Lippen. Er zog einen Arm unter der Decke hervor und griff sich an die Stirn. Der Arm zitterte. Es mußte den Mann unglaublich viel Kraft kosten, daß or­ganische Hautpflaster abzuziehen.

Einen Augenblick nur sah Razamon das dritte Auge auf der Stirn. Dann zuckte ein Blitz durch die Höhle. Es war für Sekunden­bruchteile so hell, daß Razamon, Pona und Balduur geblendet wurden.

Als sie wieder sehen konnten, starrte der Dreiäugige sie an. Razamon glaubte, in einen unendlich tiefen Abgrund zu sehen. Die beiden normalen Augen waren tot, doch das dritte strahlte wie ein orangerot glühen-des Juwel.

»Bei Vater Odin!« entfuhr es Balduur. »Was mit ihm geschehen? Als wir ihn zu­letzt sahen, war er jung und gesund!«

»Ich weiß es nicht«, sagte Pona. Allmäh­lich gelang es ihr, sich zu beruhigen. »Er sagte, daß er krank sei. Das war, als er hier erschien. Er war auch da schon alt, aber jetzt …« Pona löste sich von Razamon und kniete neben Waaylons Lager nieder. »Er altert von Minute zu Minute. Er müßte längst tot sein. Er sagt, daß er krank sei, furchtbar krank. Aber ich weiß, daß es etwas anderes ist. Vielleicht hängt es mit diesem … diesem Phantom zusammen.«

»Phantom?« fragte Razamon verständnis­los, ohne den Blick von dem Bedauernswer­ten zu nehmen. Waaylon war es gewesen, der letztendlich den Bürgerkrieg auf Zaar­denfoort verhindert und dafür gesorgt hatte,

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daß Tirsoth in Sicherheit gebracht werden konnte.

»Er redete davon, daß er mit irgend je­mand Kontakt hätte. Mehr weiß ich nicht. Zuerst dachte ich an Halluzinationen. Doch nun glaube ich ihm fast. Dieser Unbekannte, sollte es ihn wirklich geben, wies uns an, hierzubleiben und abzuwarten. Tirsoth sollte angeblich Gurankor befreien können.«

Das war Razamons Stichwort. »Wir haben von Gurankors Verhaftung

gehört.« Er berichtete knapp über das, was sich nach dem Erscheinen der GOL'DHOR in der Lichtung und über Aarl abgespielt hatte. »Wie kam es dazu?«

»Diese neuen Geräte sind schuld. Sie wurden entwickelt, um unsere Raumschiffe ebenso mühelos durch den Stau fliegen zu lassen, wie es den Spaccahs der Krolocs möglich ist.«

»Es wird keine Angriffe der Krolocs mehr geben«, erklärte Razamon nun schon zum dritten Mal.

»Gurankor selbst nahm am ersten Erpro­bungsflug in den Stau teil«, fuhr Pona fort, als hätte sie die Nachricht gar nicht zur Kenntnis genommen. »Die Zusatzaggregate für unsere Schiffsantriebe funktionierten tat­sächlich, aber es stellte sich heraus, daß sie eine fatale Nebenwirkung haben. Befindet sich ein Dreiäugiger in der Nähe, so ist er entlarvt. Das dritte Auge beginnt unter dem Hautpflaster zu leuchten. Und Gurankor war an Bord …«

Razamons Gedanken überschlugen sich. So sehr er über das Schicksal des Eripäers, der ein Freund geworden war, Betroffenheit fühlte, so sehr faszinierte ihn ein ganz be­stimmter Gedanke.

»Diese Geräte erlauben euren Schiffen wirklich, sich im Stau ebenso frei zu bewe­gen wie innerhalb der Lichtung?«

»Ja«, kam es von Pona. »Nicht nur den Raumschiffen. Jedes Objekt, das mit ihnen ausgerüstet ist, kann sich aus der Umklam­merung der Staubmassen befreien.«

Das war es, was Razamon hören wollte. Phantastische Aspekte eröffneten sich ihm.

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Die Schlacht um Pthor war geschlagen, die Kroloc-Gefahr gebannt. Doch noch immer steckte Pthor im Stau fest, und selbst die Magier sahen noch keine Möglichkeit, sich aus diesem Gefängnis aus kosmischem Staub und Materiebrocken, den Überresten eines sogenannten Sternenschwarms, zu be­freien. Der Optimismus hielt sich in Gren­zen. Zwar würde es keine Invasion mehr ge­ben, aber man saß fest und hatte sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, für alle Zeiten im Stau steckenzubleiben.

Wenn diese geheimnisvollen Aggregate nun jedes Objekt »befreien« konnten …

»Theoretisch bestünde also die Möglich­keit, daß auch Pthor den Stau verlassen könnte, falls man genügend dieser neuen Geräte zur Verfügung hätte?«

»Ich kann es nicht mit Gewißheit sagen«, murmelte Pona, während sie Waaylon wie­der zudeckte. »Aber ich denke schon.«

»Wer hat die Geräte entwickelt?« fragte Balduur schnell.

»Ein Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Knitor, einem der fähigsten Köpfe unseres Volkes.« Pona fuhr auf. »Aber was hat das jetzt schon zu bedeuten? Gurankor ist gefangen, und übermorgen ist sein Prozeß. Man wird ihn töten, noch am gleichen Tag! Tirsoth hat bestimmt keine Möglichkeit, ihn zu befreien. Wenn dieser Unbekannte die Macht hätte, ihn das Wun­der vollbringen zu lassen, wieso hat er dann zugelassen, daß man Gurankor verhaftete? Warum unternimmt er nicht selbst etwas?«

Razamon wußte keine Antwort darauf. »Übermorgen soll der Prozeß sein?« »Ja. Und die Vollstreckung des Urteils.« »Dann bleibt uns ein Tag Zeit.« Raza­

mons Gesicht wirkte wie versteinert. »Wir werden noch einmal versuchen, mit den nun Verantwortlichen auf Aarl zu reden. Sollte man uns wieder nicht anhören, bleibt uns nur Gewaltanwendung übrig.« Der Pthorer brachte ein Lächeln zustande. »Wir lassen nicht zu, daß Gurankor hingerichtet wird, Pona. Das gleiche gilt für Tirsoth. Aber vor­her will ich mit dem Wissenschaftler spre­

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chen, diesem Knitor. Wo finden wir ihn?« »Ich könnte euch führen«, entgegnete das

Mädchen. »Aber …« Sie sah Waaylon an – das, was von dem

Dreiäugigen übriggeblieben war. Wieder bewegte der Greis die Lippen,

und diesmal brachte er einige schwach ver­nehmbare Worte hervor:

»Gehe mit ihnen, Pona. Sie sind unsere letzte Hoffnung. Tirsoth ist … auch gefan­gen.« Waaylon atmete tief durch. »Ich wer­de vielleicht sterben, aber … aber ich werde wieder leben.« Erneut eine Pause. »Er hat mich berührt und einen Teil seines Wesens in mich … in mich …« Waaylon schloß alle drei Augen. Jedes einzelne Wort mußte ihn unendliche Anstrengung kosten. Das letzte, was Pona von ihm hören sollte, war: »Du mußt mit ihnen gehen. Laß mich allein … bitte …«

Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte Razamon die Höhle verlassen. Es schneite noch. Razamon spürte die Kälte nicht. Er hatte das Gefühl, als wollte ihm jemand den Hals zuschnüren.

Wer war dieser Unbekannte? Was gesch­ah wirklich mit Waaylon?

Plötzlich stand Pona neben ihm. In ihrer Hand hielt sie ein Messer. Sie sah es an und schleuderte es fort.

»Es wird bald dunkel«, sagte sie leise. »Wir sollten bis morgen warten.«

8. Auf Aarl – nachdem die GOL'DHOR am

Himmel aufgetaucht war

Die Eripäer waren wie gelähmt. Das goldene Schiff! Jenes Schiff, das auf

Damaukaaner die Wende herbeigeführt hat­te!

Auch Yuukh war über die Ereignisse auf und über dem ersten Planeten informiert. Er war viel zu schockiert, um sogleich die Chance zu erkennen, die sich ihm und den Gefährten hier bot.

Und nun tauchten Gleiter am Himmel auf. Sie beschossen das goldene Raumschiff, oh­

ne auch nur die geringste Wirkung zu erzie­len.

Wahnsinn! durchfuhr es den Lakgo. Sie müssen wissen, daß es unangreifbar ist.

Er ahnte, was geschehen würde, bevor die ersten eripäischen Fluggeräte explodierten, als sie zu nahe an die Schutzschirme des Schiffes gerieten. Die Lichtbälle am Himmel brachten Yuukh zur Besinnung.

»Kommt!« schrie er den fünf noch leben­den Lakgos und Tirsoth zu. Er selbst be­gann, die Rampe hinaufzurennen. Sallar folgte ihm. Die anderen nahmen Tirsoth in die Mitte, während die beiden Wyllians über ihren Köpfen auf den Zugang zur Gefäng­nisfestung zuschwebten.

Die Trümmer der vernichteten Gleiter regneten auf das freie Gelände herab. Immer noch waren die Wachtposten zu keiner Re­gung fähig. Für sie mußte ein kleiner Welt­untergang hereingebrochen sein.

Die Rampe. Yuukh und Sallar rannten vor. Sobald sie

eine der vielen energetischen Sperren pas­sierten, explodierten die verborgenen Pro­jektoren zu beiden Seiten des Weges.

Tirsoth und die übrigen Lakgos blieben zurück. Die Hünen hatten außer Yuukh und Sallar alle aufgebauten Energien abgegeben. Für sie waren die Energiebarrieren tödlich.

Yuukh erreichte als erster das Ende der Rampe. Er preßte seine Hände gegen das stählerne Schott des Eingangs – ohne Erfolg. Auch seine Kräfte waren zum großen Teil verbraucht. Sallar erschien neben ihm. Ein glühendes Metallteil krachte einen halben Meter neben ihm auf die Rampe. Ein wahrer Feuerregen setzte ein.

Sallar folgte Yuukhs Beispiel. Das Schott begann rot zu glühen, aber es löste sich nicht auf.

Bevor Yuukh es verhindern konnte, rann­te einer seiner Artgenossen an ihm vorbei und durchbrach das glühende Schott. Der Lakgo starb viel zu schnell, um Schmerzen empfinden zu können. Yuukh stand einen Augenblick wie versteinert da. Nur mit äu­ßerster Willenskraft gelang es ihm, seine

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Selbstkontrolle zu bewahren. »Hinein!« brüllte er so laut, daß einige der

weit unten befindlichen Posten alarmiert und endlich aus ihrer Starre gerissen wurden.

Sie schossen, doch zu spät. Die übriggebliebenen fünf Lakgos, Tir­

soth und die beiden Wyllians waren bereits ins Innere der Festung gestürmt. Dabei machte Tirsoth, dem dies alles wie ein Alp­traum vorkam, eine überraschende Ent­deckung.

Die Wyllians zogen sich zusammen, bis beide Ballone zu Kugeln von jeweils nur noch einem halben Meter Durchmesser zu­sammengeschrumpft waren. Diesen Zustand behielten sie bei.

Endlose Korridore, Treppen und Laufbän­der. Tirsoth hatte keine Ahnung davon, wie es im Innern des Gefängniskomplexes aus­sah, wo er Gurankor zu suchen hatte. Und die Wyllians schwebten wie benommen nun neben den Lakgos her. Was Tirsoth bereits befürchtet hatte wurde zur Gewißheit, als er die ihn quälende Frage stellte.

»Sie haben immer noch keinen Kontakt zum Mächtigen«, kam es aus Graaths La­mellen. »Nur er weiß, wo sie Gurankor zu suchen haben.«

Tirsoths Bestürzung wich dem Entsetzen, als er sich plötzlich nicht mehr bewegen konnte.

Eine Stimme drang aus verborgenen Laut­sprechern:

»Ihr glaubtet, sehr schlau zu sein. Ich wußte, daß ihr kommen würdet. Gib auf, Tirsoth. Auch deine Freunde können nichts mehr ausrichten. Du wirst Gurankor finden, natürlich. Und du wirst übermorgen mit ihm auf der Anklagebank sitzen!«

Tirsoth stand so, daß er die Lakgos und die Wyllians sehen konnte. Auch sie waren von den Fesselfeldern eingefangen.

Seine letzte Hoffnung waren die Wyllians und ihre Fähigkeiten. Er wollte Ihnen zu­schreien, daß sie davon Gebrauch machen sollten, als das Furchtbare auch schon ge­schah.

Sie hatten die Macht des Unbekannten in

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sich getragen. Sie versuchten, sie zur Entfaltung zu brin­

gen, um die Entstofflichungsfelder aufzu­bauen.

Sie starben dabei. Die auf einen halben Meter Durchmesser

zusammengeschrumpften Ballone platzten einfach auseinander, als ob es keine Energi­en gäbe, die jede Bewegung verhinderten. Für Sekundenbruchteile schienen sie wie in Luft aufgelöst zu sein. Tirsoth hoffte schon, daß ihnen die Flucht in den unwirklich er­scheinenden Überraum doch noch gelungen sei.

Dann sah er zwei Kristalle am Boden lie­gen.

Die Lakgos konnten nichts mehr ausrich­ten, als die Wachen erschienen und die Ein­dringlinge umstellten.

»Du bist festgenommen, Tirsoth!« hallte es aus den Lautsprechern. »Das gleiche gilt für deine Freunde.«

»Aber das ist Wahnsinn!« schrie der Kna­be. Erst als er seine eigenen Worte hörte, wußte er, daß die Fesselfelder zusammenge­brochen waren. Doch es waren nicht die Lakgos, die dies bewirkt hatten.

Sie hatten ihre Kräfte abgegeben, als sie die Gefängnisfestung stürmten. Mit ihnen war vorerst nicht mehr zu rechnen.

Sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Aus! war Tirsoths letzter Gedanke, bevor

ihn die Betäubungsstrahlen trafen. Er konnte sehen, wie er von den Lakgos

getrennt und über endlos erscheinende Kor­ridore geschleppt wurde. Tirsoth konnte sich nicht rühren, aber er sah und hörte.

Er sah, wie man eine Tür vor ihm öffnete. Er sah Gurankor, der von seinem Lager auf­sprang.

Er hörte, wie man die Zellentür hinter ihm zuschlug, dann die Stimme des entmachteten Eripäers:

»Dann ist es also zu Ende mit uns …«

9. Der nächste Tag. Razamon, Balduur und

Pona an Bord der GOL'DHOR

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33 Tod den Dreiäugigen

Sie brachen auf, sobald das Halbdunkel der Dämmerung gewichen war. Trotz allem, was auf dem Spiel stand, hätte nichts auf der Welt Pona dazu bewegen können, in der Dunkelheit die Höhle zu verlassen, obwohl es in der GOL'DHOR hell war.

Razamons ohnehin schon vorhandene Zu­neigung zu dem Mädchen war in der Nacht noch gewachsen. Pona mußte die Hölle erle­ben. Aber sie hielt sich tapfer, wie schon so viele Male vorher. Allein sie war es wert, daß man den Eripäern noch einmal half.

Sie und die neuen Geräte. Der Gedanke daran, Atlan ein Geschenk mitbringen zu können, das ihn und die Bewohner von Pthor von einem Alptraum befreien würde, beherrschte sein Denken.

Nur manchmal mußte er daran denken, daß Pthor, sollte es sich aus dem Korsallo­phur-Stau befreien können, direkten Kurs auf die Schwarze Galaxis nehmen würde.

Razamon empfand genauso wie Atlan: Ei­nerseits hatte er Angst vor der Begegnung mit jenen Mächten, die Pthor auf die Reise durch die Dimensionskorridore geschickt und soviel Unheil über unzählige Planeten gebracht hatten, andererseits aber sehnte er sich danach, diese Verbrecher stellen zu können.

Dabei war ihm klar, daß sie gegen diese so machtlos waren wie die berühmte Mücke gegen den Elefanten.

Der ehemalige Berserker steuerte die GOL'DHOR auf Aarl zu.

Immer wieder fragte er sich, wie er rea­gieren sollte, falls die Eripäer sich wieder wie Selbstmörder der GOL'DHOR entge­genwerfen würden.

So viel stand auf dem Spiel. Aber war es Menschenleben wert?

Razamon konnte nur abwarten. Die Ent­scheidungen traf ein anderer.

Tekalhor, dem die Verhaftung Tirsoths noch mehr Einfluß unter der Bevölkerung Aarls verschafft hatte, und den die Kabi­nettsmitglieder, die ihn vorgeschoben hatten, jetzt zu fürchten begannen.

*

Für Tekalhor stand fest: Die Fremden waren zurückgekommen,

um Gurankor zu befreien. Das völlig überra­schende Auftauchen des goldenen Raum­schiffs über dem ersten Planeten während der Kämpfe mit den Krolocs hatte gezeigt, daß diese Gestrandeten über Mittel verfüg­ten, die sie vorerst noch geheimgehalten hat­ten.

Tekalhor mußte so denken, denn er kannte die Zusammenhänge nicht. Er mußte anneh­men, daß den Pthorern noch weitere Mittel zur Verfügung standen. Für Eripäer, selbst für mit absonderlichen Fähigkeiten ausge­rüstete Nichteripäer wie die Lakgos oder die Wyllians, war die Gefängnisfestung unein­nehmbar. Zwar war es ein Schock gewesen, mit welch scheinbarer Leichtigkeit die Lak­gos die Barrieren und die Detektoren ausge­schaltet hatten, aber die Fesselfeldprojekto­ren hatten sie nicht überwinden können.

Tekalhor ahnte, daß auch dies nur die Fol­ge der völligen Verausgabung der Exoten gewesen war.

Sie stellten keine Gefahr mehr dar. Sie waren paralysiert und würden erst dann wie­der zu sich kommen, wenn der Prozeß be­gann.

Anders verhielt es sich mit den Fremden. War ihre Welt wirklich im Stau gestran­

det, oder trieben sie ein abgekartetes Spiel? Waren sie Verbündete der Dreiäugigen? Wesen aus jener Zeit, als die Dreiäugigen noch herrschten und ihr Unwesen treiben konnten?

Das waren einige der Fragen, die Tekal­hor sich stellte, während er die Nachricht empfing, daß das goldene Schiff wieder auf dem Weg nach Aarl war.

Es hatte keinen Sinn, weitere Eripäer zu opfern. Tekalhor schalt sich einen Narren. Er hatte den Befehl zum Angriff aus einer plötzlichen Panik heraus gegeben.

Nein, dachte er. Auf diese Weise kommen wir ihnen nicht bei. Wir müssen sie überli­

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sten. Nach Minuten gab der augenblicklich

mächtigste Mann der Lichtung den Befehl an alle Raumschiffe und Gleiter, die Frem­den unbehelligt landen zu lassen. Die Frem­den waren unangreifbar, solange sie sich in ihrem Schiff befanden – und nur solange …

Die Schutzschirme des Schiffes hielten je-dem Feuerschlag stand. Aber noch nie hat­ten die Fremden selbst das Feuer eröffnet, auch dann nicht, als sie sich bedroht fühlen mußten.

Darauf baute Tekalhor seinen Plan auf. Sollten sie landen. Die Gefängnisfestung war mittlerweile

von zusätzlichen Schirmen umgeben. Nie­mand konnte hineingelangen. Nichts Be­kanntes konnte sie durchbrechen – es sei denn, das goldene Schiff verfügte über ent­sprechende Waffen.

Tekalhor bezweifelte es. Er sah der Landung der Fremden relativ

gelassen entgegen. Tekalhor hatte ja noch einen zweiten Trumpf in der Hand.

Sollten die Fremden doch Anstalten ma­chen, das Gefängnis anzugreifen, würde er damit drohen, Gurankor und Tirsoth auf der Stelle erschießen zu lassen. Einige Männer, auf die er sich verlassen konnte, standen be­reit, den Tötungsbefehl unverzüglich auszu­führen.

Tekalhor wurde plötzlich von Zittern er­faßt. Er war nahe daran, sich zu übergeben. Für wenige Augenblicke erkannte er, was in diesen Stunden wirklich geschah. Er lief in einen Nebenraum und injizierte sich eine Droge.

Kurz darauf fühlte er sich besser. Aber er hatte einen Weg beschritten, der in einer Sackgasse endete. Er konnte nichts dafür. Er war kein Mörder.

Er war verrückt vor Angst. Dann, von einem Augenblick zum andern,

packte ihn wieder kalter Zorn. Das goldene Schiff änderte seinen Kurs. Es landete nicht dort, wo er es erwartet hatte, sondern außer­halb der Stadt.

Horst Hoffmann

*

Knitor war kein Unbekannter. Pona er­klärte Razamon, wo er ihn finden konnte. Natürlich bezog sich das nicht auf das gehei­me Labor des Wissenschaftlers, sondern auf dessen Privatwohnung.

Razamon war skeptisch, bis er Knitor selbst gegenüberstand. Er hatte damit ge­rechnet, daß Tekalhor, von dem Pona ihm berichtet hatte, Knitor und sein Team völlig für seine Zwecke eingespannt hatte.

»So ist es«, bestätigte der Eripäer nach der kurzen Begrüßung. »Ich habe nicht viel Zeit. Ich werde bei der Produktion ge­braucht.« Sein Gesicht verriet zwar keine of­fene Ablehnung, aber auch keine große Be­geisterung über den Besuch. Knitor mußte vom ersten Auftauchen der GOL'DHOR und den Kämpfen gehört haben. Für ihn war klar, daß Razamon und Balduur hier waren, um Gurankor beizustehen.

Der Wissenschaftler war im Grunde sehr an den Fremden interessiert. Er stand vor dem Eingang seiner Wohneinheit und konn­te den Blick kaum von der GOL'DHOR neh­men. Welche Herausforderung mußte das goldene Schiff für ihn darstellen.

»Sie würden gerne einmal damit fliegen«, erriet Razamon.

»Ja, ich …« Der verträumte Gesichtsausdruck wich

sofort wieder der verhaltenen Ablehnung. »Wenn Sie gekommen sind, um von mir

Informationen über Gurankors Aufenthalt oder gar Hilfe zu erbitten, verschwenden Sie Ihre Zeit. Es war ein Zeichen des uns alle lenkenden Schicksals, daß es mir vergönnt war, die neuen Geräte zu entwickeln, mit de­ren Hilfe der Alptraum unseres Volkes für immer beendet werden wird.«

Razamon wußte, daß mit diesem Mann nicht über Gurankor zu reden war – nicht mit ihm und nicht mit diesem Tekalhor. Ein weiterer entsprechender Versuch würde das gleiche Ergebnis bringen wie der erste.

Noch während er die nächste Frage for­

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mulierte, hatte Razamon eine andere Idee. Vielleicht gab es doch jemanden, der noch einsichtig war und ihnen helfen würde.

»Wir sind nicht gekommen, um Sie über Gurankor auszufragen«, versicherte der Pthorer. »Uns interessieren die Geräte. Sie können wirklich jeden Körper, der mit ihnen ausgerüstet ist, im Stau bewegungsfähig ma­chen?«

»So ist es«, bestätigte Knitor. Er sah auf eine Armbanduhr. Es war offensichtlich, daß er tatsächlich unter Zeitdruck stand. Dann aber blickte der Eripäer wieder zur GOL'DHOR hinüber. Er schien zwischen dem, was er für seine Pflicht als »normaler« Eripäer hielt, und dem brennenden Verlan­gen, etwas über dieses einmalige Raum­schiff zu erfahren, hin und her gerissen zu sein.

»Sie wissen, daß unsere Welt im Korsal­lophur-Stau festsitzt und wir in dieser Hin­sicht machtlos sind«, fuhr Razamon fort. »Sie können sich also vorstellen, was es für uns bedeuten würde, wenn wir ausreichend viele dieser Geräte zur Verfügung hätten, um Pthor aus dem Stau manövrieren zu kön­nen.«

»Ja«, sagte Knitor. »Mit den Geräten wäre es möglich. Aber machen Sie sich keine Hoffnungen. Die Eripäer sehen in Ihnen Gu­rankors und Tirsoths Verbündete. Man wird sie Ihnen niemals geben.« Knitor fügte hin­zu: »Ganz bestimmt nicht, solange Tekalhor an der Macht ist. Es werden zwar nach der Hinrichtung Wahlen durchgeführt werden, aber …«

Der Wissenschaftler brauchte nicht auszu­sprechen. Für ihn stand also auch fest, daß es nur ein Urteil geben konnte. Täuschte sich Razamon, oder schwang so etwas wie Angst in Knitors Stimme mit, als er von Te­kalhor sprach.

»Wenn alle Eripäer uns ablehnen, wieso dann Sie nicht?« fragte Balduur.

Knitor wurde von der Frage überrascht. Er sah den Odinssohn, dann Razamon eine Weile an. Dann zuckte er die Schultern.

»Sie haben viel für unser Volk getan.«

»Aber das ist schizophren!« rief Pona, die, von den anderen unbemerkt, die GOL'DHOR verlassen hatte. »Es war Gu­rankor, der mit ihnen zusammen das Unheil abwendete! Ein Dreiäugiger!«

Wieder veränderte sich Knitors Miene schlagartig.

»Gehen Sie jetzt«, sagte er. »Fliegen Sie zurück zu Ihrer Welt. Sie haben uns gehol­fen, aber nun sind Sie im Begriff, einen großen Fehler zu machen. Mischen Sie sich nicht in Angelegenheiten ein, die nur uns et­was angehen.«

Damit drehte er sich um und verschwand in der Wohneinheit. Kaum eine Minute spä­ter kam er mit einigen kleineren Geräten zu­rück und bestieg einen bereitstehenden Glei­ter. Drei bewaffnete Eripäer folgten ihm.

»Gehen Sie!« rief Knitor noch aus der Luft. »Lassen Sie uns in Ruhe!«

*

»Allmählich reicht's mir!« knurrte Baldu­ur. »Weshalb greifen wir dieses Gefängnis nicht einfach an?«

Pona hatte vom Zentralgefängnis in Yardanso berichtet. Aus ihrer Beschreibung und den Beobachtungen, die die beiden Pthorer selbst hatten machen können, ließ sich mit ziemlicher Sicherheit darauf schlie­ßen, daß die beiden Dreiäugigen dort in Haft waren.

»Der Prozeß findet erst morgen statt«, sagte Razamon. »Wir versuchen noch etwas anderes.«

»Es hat doch keinen Sinn!« Balduur stei­gerte sich in eine Wut hinein, die ihn kaum noch klar denken ließ. »Tun wir das, was dieser Knitor vorschlug! Fliegen wir zurück! Wenn die Eripäer sich unbedingt selbst den Garaus machen wollen, ist das ihre Sache. Und noch etwas. Wir sollten uns einige der geheimnisvollen Geräte mit Gewalt holen, bevor wir nach Pthor zurückkehren.«

Pona starrte den Odinssohn erschrocken an. Sie hielt sich im Hintergrund.

Die GOL'DHOR stand am Rand der Lich­

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tung. »Nein«, sagte Razamon entschieden. »Ich

will auch gar nicht mit den neuen Herr­schern reden, sondern mit alten Bekannten.«

»Den Urgan-Lauschern?« fragte Pona schnell.

»Genau die meine ich. Sie sind unsere letzte Chance, eine friedliche Lösung zu fin­den. Sollten auch sie sich stur stellen, warten wir die Stunde der Hinrichtung ab, um zuzu­schlagen. Ein Einbruch ins Gefängnis ist un­möglich. Die GOL'DHOR besitzt keine Waffen dazu. Aussteigen können wir auch nicht. Man würde uns über den Haufen schießen, bevor wir den Komplex erreicht hätten.«

»Das bliebe abzuwarten«, knurrte Baldu­ur, immer noch in Kampfesstimmung. »Und überhaupt: weshalb haben die Urgan-Lauscher nicht eingegriffen? Warum hat Nurcrahn nicht versucht, mit ihnen in Kon­takt zu treten?«

Auch Pona wußte keine Antwort. Sie sprach nur eine Vermutung aus:

»Vielleicht haben er und andere es ver­sucht.«

»Weshalb hat er dann nichts davon ge­sagt?« wollte Razamon wissen.

Er beantwortete die Frage selbst: »Weil sie keinen Erfolg hatten. Aber wir

versuchen es trotzdem. Sollten wir zur Ge­waltanwendung gezwungen sein, wird es Tote geben.«

»Aber wir haben doch keine Waffen!« fuhr Balduur auf.

»Wir haben die Schutzschirme.« »Sehr beeindruckend. Und wie willst du

an die Urgan-Lauscher herankommen? Mit der GOL'DHOR vor der Kuppel landen, hin­einspazieren und sagen: ›Seid gegrüßt, Leu­te, wir wollten mal wieder vorbeischaun‹?«

»Tekalhor muß mit dieser Möglichkeit rechnen«, gab Pona zu bedenken. »Das Re­chengehirn wird von Wachen umstellt sein. Wir kämen keine drei Schritte weit.«

»Es geht viel einfacher«, sagte Razamon, der allmählich die Geduld verlor. »Wir fun­ken Urgan selbst an.«

Horst Hoffmann

»Funken?« Balduur griff sich an die Stirn. »Bist du verrückt geworden? Der Spruch würde überall auf Aarl aufgefangen. Auf diese Entfernung hin nützt auch die stärkste Bündelung nichts.«

»Und wenn schon! Gegen eine Entschei­dung Urgans kann auch Tekalhor nichts un­ternehmen. So groß die Furcht der Eripäer vor den Dreiäugigen ist, so groß ist ihr Re­spekt vor dem Rechengehirn. Tekalhor kann nicht verhindern, daß der Spruch von Urgan empfangen wird. Er kann sich meinetwegen auf den Kopf stellen. Sobald eine positive Antwort von Urgan an uns oder direkt an die Bevölkerung ergeht, hat er ausgespielt – er und alle, die hinter ihm stehen.«

»Und falls Urgan nicht antwortet?« »Dann wird es Tote geben. Ich lasse Gu­

rankor und Tirsoth nicht im Stich.« Razamon erntete einen dankbaren Blick

von Pona. Allerdings entging ihm auch ihr Entsetzen bei der Vorstellung nicht, daß Eripäer sterben mußten, um die Zukunft ih­rer Rasse zu retten.

Razamon formulierte den Funkspruch, in dem er Urgan und die Urgan-Lauscher dazu aufforderte, zugunsten der gefangenen Drei­äugigen einzugreifen. Dann sendete er ihn.

Immer noch stand die GOL'DHOR an der Peripherie der Lichtung.

Ein Blick auf die Orterschirme verriet, daß ganz Aarl zum Weltraum hin von Kampfschiffen der Eripäer abgeriegelt war.

Razamon, Pona und Balduur warteten über zwei Stunden lang. Nichts geschah.

Die Urgan-Lauscher antworteten nicht. Noch wenige Stunden, bis auf Aarl der

neue Tag anbrach – der Tag des Prozesses und der Hinrichtung.

In der Zentrale der GOL'DHOR herrschte Stille. Die Enttäuschung stand auf den Ge­sichtern der drei Menschen an Bord ge­schrieben.

»Also gut«, murmelte Razamon. »Sie wollen es nicht anders.«

Die in diesen Augenblicken zur Schau ge­tragene Selbstsicherheit des Atlanters täuschte. Razamon konnte sich des Gefühls

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nicht erwehren, daß man ihnen eine Falle stellte.

Tekalhor mußte mit dem Befreiungsver­such rechnen. Unter diesen Umständen wäre es ihm zuzutrauen gewesen, etwas zu arran­gieren, das den Prozeß überflüssig machte – eine vorgetäuschte Flucht, bei der die beiden Dreiäugigen den Tod fanden, ein angebli­cher Selbstmord der »Ungeheuer«, oder et­was Ähnliches.

Doch nichts dergleichen geschah. An Bord der GOL'DHOR hörten Raza­

mon, Pona und Balduur die Nachrichten mit, die von Aarl aus verbreitet wurden. Immer noch wurden die Bewohner der Zentralstadt dazu aufgefordert, zum vor Tagen schon festgesetzten Zeitpunkt dem Prozeß und – unausgesprochen – der Hinrichtung beizu­wohnen.

Was hatte Tekalhor vor? Razamon hatte noch keine Antwort auf

diese Frage gefunden, als er die GOL'DHOR »springen« ließ.

10. Auf Aarl

Die Stunde der Hinrichtung war gekom­men. Der »Prozeß«, bei dem alle Kabinetts­mitglieder und die Lichtfürsten Zaarden­foorts als Richter fungierten, hatte nicht län­ger als eine Stunde gedauert. Jene, die sonst den Planeten Damaukaaner repräsentierten, hatten sich geweigert zu kommen.

Die Anklage gegen Gurankor und Tirsoth war ebenso lächerlich gewesen wie jene, die man vor nicht allzu langer Zeit gegen Nur­crahn vorgebracht hatte. Man warf ihnen Verrat vor. Tekalhor als Ankläger verstand es, diesen Vorwurf geschickt zu umschrei­ben und nicht wie bei Nurcrahn die Krolocs ins Spiel zu bringen. Am Ende seiner flam­menden Rede hatte es so aussehen müssen, als seien Gurankor und Tirsoth an allem schuld, was in der letzten Zeit über die Eripäer gekommen war.

Nurcrahn hatte sich als einziger der Stim­me enthalten.

Nun befanden sich die beiden Dreiäugi­gen in der Mitte eines großen freien Platzes, der von Bewaffneten abgesperrt war. Die Schaulustigen – jene, die dem Eripäer noch vor Tagen zugejubelt und Respekt gezollt hatten, überfluteten die angrenzenden Stra­ßenzüge. Überall waren Monitore oder Pro­jektionswände aufgestellt worden, so daß je­der Zeuge der Exekution werden konnte.

Gurankor und Tirsoth standen in einer Entfernung von zehn Metern fünf Männer mit Strahlgewehren gegenüber. Die Eripäer trugen weite weiße Gewänder mit Kapuzen über dem Kopf. Zwei Sehschlitze für die Augen befanden sich darin.

Gurankor hatte auch den letzten Funken Hoffnung verloren. Urgan schwieg. Bis zu­letzt hatte Gurankor seine Blicke über die Ränge schweifen lassen, auf denen die Ge­richtsmitglieder saßen. Die Urgan-Lauscher waren nicht erschienen. Gerade sie aber mußten wissen, was ihrer Zivilisation bevor­stand, falls die letzten Dreiäugigen getötet wurden.

Gurankor sah noch einmal in die Menge. Weder er noch Tirsoth waren gefesselt, aber jeder Fluchtversuch war absolut sinnlos.

Die mehrere tausend zählenden Eripäer schienen eher bedrückt als begeistert über die Hinrichtung der »Ungeheuer« zu sein. Nur wenige schrien und forderten die Exe­kution. Die meisten wirkten ängstlich.

Gurankor hatte davon gehört, daß es wäh­rend seiner Gefangennahme weit über hun­dert Selbstmorde unter der Bevölkerung von Aarl gegeben hatte.

Das Ende! dachte er zum hundertstenmal. Was er nicht wußte, war, daß die GOL'DHOR wieder in der Lichtung war. Tirsoth hätte es ihm sagen können, aber bis zum Prozeßbeginn war er paralysiert gewe­sen. Dann hatte das Entsetzen seine Zunge gelähmt.

Wie tapfer er ist, dachte Gurankor mit ei­nem Blick auf den Knaben. Er wäre ein gu­ter Nachfolger geworden. Tirsoth mußte Höllenqualen erleiden, aber er weinte nicht.

Gurankor wünschte sich nur noch, daß al­

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les schnell zu Ende gehen würde. Tekalhor erhob sich und streckte eine

Hand zum Himmel empor. Die Menge ver­stummte augenblicklich.

»Achtung!« schrie Tekalhor den fünf Be­waffneten zu. Sie hoben die Strahler und zielten auf die beiden Drei äugigen.

Nurcrahn sprang auf. »Das ist Mord!« rief er und machte An­

stalten, sich an den Kabinettsmitgliedern vorbei auf Tekalhor zu stürzen. »Wer gibt Ihnen das Recht, ein Urteil über den Eripäer zu sprechen? Sie sind …«

Weiter kam er nicht. Eine der hinter Te­kalhor postierten Leibwächter paralysierte den alten Lichtfürsten. Nurcrahn brach zu­sammen, doch sein Auftritt verfehlte seine Wirkung nicht. Unter den versammelten Eripäern machte sich Unruhe breit. Die er­sten Schmährufe gegen Tekalhor wurden laut. Was bis zu diesem Zeitpunkt niemand für möglich gehalten hatte, trat ein: Eripäer ergriffen offen Partei für die Dreiäugigen.

Tekalhor reagierte sofort. »Achtung!« schrie er wieder. »Legt an!« Auch die Todesschützen waren offen­

sichtlich verunsichert. Zwei von ihnen hat­ten die Strahler gesenkt und verwirrt in die Menge rings um sie herum geblickt. Nun ho­ben sie die Waffen zögernd wieder.

Unter den Zuschauern kam es zu Tumul­ten. Einen Augenblick stieg neue Hoffnung in Gurankor auf. Doch dann sah er die Poli­zeigleiter überall am Himmel. Dort, wo ge­kämpft wurde und Eripäer versuchten, die Absperrungen zu durchbrechen, fielen die Menschen zu Dutzenden paralysiert um. Es waren vielleicht die gleichen, die Gurankor noch gestern am liebsten gelyncht hätten.

Gurankor schwankte zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Er war plötzlich stolz auf sein Volk. Tekalhor würde ihn und Tirsoth umbringen lassen. Aber er würde sich nicht lange halten können. Und vielleicht würde es bald einen weiteren Dreiäugigen geben, der irgendwo geboren und nicht mehr ge­lyncht würde.

Das alles spielte schon in einer anderen

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Welt. Gurankor sah, wie Tekalhor Luft holte,

um den Feuerbefehl zu geben. Er schloß die Augen. Der entmachtete Eripäer wollte nichts mehr sehen und hören.

Doch er sah – und er hörte. Er hörte die Schreie der Masse, und er sah

durch die geschlossenen Augenlider ein Licht – so hell, als ob es ihm die Augen aus­brennen wollte. Er riß sie auf und sah in einen in Flammen stehenden Himmel. Nur kurz glaubte er, etwas erkennen zu können, das ihm seltsam bekannt vorkam. Dann ex­plodierte der Himmel zum zweitenmal. Gu­rankor war blind und schrie vor Schmerz.

*

Es war kein Sprung im eigentlichen Sinn. Die GOL'DHOR beschleunigte fast aus dem Stand mit solchen Werten, daß sie den Gür­tel der eripäischen Schiffe um Aarl durch­brochen hatte, bevor eines von ihnen zur Verfolgung ansetzen konnte. Danach war es zu spät. Das goldene Schiff war bereits in die Atmosphäre des Planeten eingetaucht. Razamon ging aufs Ganze. Er bremste den rasenden Flug erst wenige Kilometer über der Oberfläche ab. Wie ein hungriger Raub­vogel stürzte die GOL'DHOR auf Yardanso herab. Pona hatte eine genaue Beschreibung des Platzes gegeben, auf dem die Hinrich­tung stattfinden sollte.

Schon war die Menschenmenge rings um den freien Platz in der Teleoptik zu erken­nen, als Razamon herumfuhr und Balduur anstarrte.

»Was hast du nun schon wieder?« fragte der Odinssohn. »Sieh lieber zu, daß wir nicht …«

»Wir ändern unseren Plan!« rief Raza­mon. »Der Turm dort unten – neben dem Platz!«

Balduur und Pona kamen näher an die Monitoren heran.

»Und?« fragte Balduur. Die GOL'DHOR näherte sich viel zu schnell der Planeteno­berfläche. Pona hielt sich an zwei Kontroll­

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pulten fest. »Gibt es eine andere Möglich­keit, als die GOL'DHOR auf den Platz hin­unterstürzen zu lassen und die Verrückten dort unten mit unseren Schutzschirmen Be­kanntschaft machen zu lassen?«

»Ja«, knurrte Razamon. »Eine Möglich­keit, die hoffentlich kein Menschenleben ko­sten wird.«

Damit wandte der ehemalige Berserker sich ab und kümmerte sich nicht mehr um Balduurs Proteste. »Keine Angst, Pona«, sagte er nur noch. »Tirsoth wird nichts ge­schehen.«

Razamon verschmolz mit der GOL'DHOR. Er steuerte das Schiff mit einer Sicherheit, als ob er nie im Leben etwas an­deres getan hätte.

Wenige hundert Meter über der Oberflä­che kam die GOL'DHOR quasi zum Still­stand. Sekundenbruchteile später jagte sie auf den hochaufragenden Turm am Rand des freien Platzes zu. Razamon trieb ein gewag­tes Spiel. Alles ging so schnell, daß die ver­sammelten Eripäer erst auf das Schiff auf­merksam wurden, als dieses schon so nahe am Turm war, daß die Schutzschirme das Gebäude streiften und es zu dem von Raza­mon erhofften Effekt kam.

Das gleißende Licht, die Helligkeit, die aller Augen blendete, die scheinbare Explo­sion am Himmel …

Die GOL'DHOR jagte so nahe am Turm vorbei, daß Balduur und Pona in Panik auf­schrien. Razamon war in diesen Momenten eiskalt. Der Berserker wendete das Schiff und flog ein zweites Mal am Turm vorbei. Dies war der zweite Lichtblitz.

»Und jetzt runter!« knurrte der Atlanter. Er kannte die GOL'DHOR immer noch

nicht völlig und wußte nicht, was alles in dieser Wundermaschine steckte. Doch auch seine zweite Hoffnung erfüllte sich. Filter hatten sich vor die Sichtschirme geschoben, so daß die drei Insassen die einzigen Men­schen waren, die in diesen Minuten noch se­hen konnten.

Die GOL'DHOR landete mitten auf dem Platz – nur wenige Meter neben Gurankor

und Tirsoth. »Ihr bleibt hier!« rief Razamon den Ge­

fährten zu. Bevor Balduur oder Pona prote­stieren konnten, hatte er das Schiff bereits verlassen. Razamon sah die Menschenmas­sen am Boden liegen, die Hände vor die Au­gen gepreßt. Er kümmerte sich nicht weiter um sie. In diesen Sekunden ging es nur um Gurankor und Tirsoth.

Razamon zerrte zuerst Gurankor, dann den Knaben ins Schiff. Beide wußten nicht, wie ihnen geschah, aber sie schienen zu ah­nen, daß Hilfe gekommen war.

Erste Strahlschüsse fuhren über den Platz. Die Eripäer erholten sich schneller, als Raz­amon erwartet hatte. Dennoch gelangten er und die beiden Dreiäugigen schnell genug in die GOL'DHOR.

Balduur, der sich bisher mehr auf Meckern denn auf aktive Unterstützung Razamons beschränkt hatte, startete das gol­dene Raumschiff, noch bevor Razamon mit seinen Schützlingen in der Zentrale war.

Minuten später war alles vorbei. Kein Kampfschiff der Eripäer griff die GOL'DHOR an. Offensichtlich warteten die Kommandanten auf Befehle, die nicht ka­men.

Die GOL'DHOR schoß auf Zaardenfoort zu und umrundete den dritten Planten. Im Tiefflug tauchte sie in die Atmosphäre ein. Vor der Höhle, in der Waaylon immer noch lag, landete sie. Alle Systeme wurden unver­züglich ausgeschaltet. Razamon bedeutete Pona, die Tirsoth in ihren Armen hatte und ihn flehend anblickte, noch mit dem Aus­stieg zu warten, bis sicher war, daß man sie nicht geortet oder verfolgt hatte.

Gurankor konnte mittlerweile wieder se­hen. Er lag zurückgelehnt in einem Sessel. Nur das dritte Auge auf der Stirn war geöff­net. Razamon hatte das Gefühl, der Eripäer würde in unbekannte Fernen sehen.

Noch wußte er nicht, daß sein engster Freund und Vertrauter in der Höhle lag. Razamon bekam bei dem Gedanken an das Wiedersehen der beiden eine Gänsehaut.

Er fragte sich, was aus Waaylon inzwi­

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schen geworden war. Auch als sie ausstiegen, bewegte ihn diese

Frage. Er hätte mit allem gerechnet – doch nicht

mit …

*

Über Waaylons Lager schwebte eine Bla­se – mattblau und höchstens zwanzig Zenti­meter im Durchmesser. Von dem lebenden Toten, den Razamon noch gestern gesehen hatte, war nichts mehr zu sehen.

Die Blase war Waaylon. Die Worte des Dreiäugigen hallten in sei­

nem Bewußtsein nach: Ich werde vielleicht sterben … aber ich

werde wieder leben … »Was ist das?« fragte Gurankor, der im­

mer noch nicht zu begreifen schien, daß er und Tirsoth gerettet waren.

Razamon, Balduur und Pona blickten sich an. Niemand war in der Lage, Gurankor eine Antwort zu geben.

Vielleicht bestand eine geistige Ver­wandtschaft zwischen den direkten Nach­kommen der Eshtoner. Vielleicht schloß Gu­rankor genug aus den Mienen seiner Retter. Jedenfalls kniete der Eripäer neben dem La­ger nieder und näherte seine Hände der Bla­se.

Er schien ein stummes Zwiegespräch mit ihr zu führen. Niemand sollte je erfahren, was sich in diesem Moment zwischen den beiden abspielte.

Gurankor stand auf – und die Blase ver­schwand. Die Stelle, an der sie eben noch geschwebt hatte, war leer.

»Ich konnte …« Gurankors Stimme war kaum zu vernehmen. »Ich wollte nicht daran glauben. Es gibt sie also doch noch.«

»Wen?« fragte Razamon. »Die letzten Eshtoner. Zumindest einer

von ihnen muß noch leben.« Razamon begriff nicht. Und Gurankor gab

auf alle Fragen keine Antwort. Draußen war es wieder dunkel geworden.

Die Nacht war hereingebrochen. Gurankor

Horst Hoffmann

stand auf und wandte sich an Razamon. »Ich habe Ihnen wieder einmal zu dan­

ken.« »Dazu ist es zu früh«, entgegnete Raza­

mon. »Sie können uns danken, wenn wir in Sicherheit sind – außerhalb der Lichtung.«

Gurankor schüttelte den Kopf. Plötzlich stand Tirsoth neben ihm.

»Wir werden die Lichtung nie verlassen«, erklärte der entmachtete Eripäer. »Man wird auch weiterhin Jagd auf uns machen. Doch heute habe ich erkannt, daß wir eine Chance haben.«

Das war alles, was ihm zu entlocken war. Er gab keine Antworten mehr auf Fragen.

Statt dessen legte er sich auf Waaylons Lager und schloß die Augen – bis auf das dritte auf der Stirn. Wieder fragte sich Raza­mon, was er damit erblicken konnte.

Was steckte hinter den Worten von den letzten Eshtonern? Razamon fühlte sich an sein Zeitabenteuer erinnert. Damals war er in die Vergangenheit gerissen worden und hatte erleben müssen, wie die Eshtoner, die infolge ihrer Mutation das dritte Auge ent­wickelt hatten, sich ins Unglück stürzten. Das dritte Auge befähigte sie, n­dimensionale Zusammenhänge und Räum­lichkeiten in gewissen Grenzen zu begreifen. Doch der Preis war hoch. Sie verloren im­mer mehr den Sinn für die vierte Dimension, ohne sich jedoch bereits sicher in der fünften Dimension orientieren zu können.

Sie hatten geglaubt, einen Ausweg gefun­den zu haben, indem sie den ihnen anver­trauten Schwarm in die Dimensionskorrido­re steuerten.

Nach dem Zusammenstoß mit kosmischer Materie in einem der Korridore entstand der Korsallophur-Stau. Die Eshtoner entwickel­ten sich zurück. Ihre Nachkommen, die Eripäer, wußten nichts mehr von der Ver­gangenheit – mit wenigen Ausnahmen.

Und nun sollte es noch Eshtoner auf Aarl geben! Diese aber mußten ebenso wie Gu­rankor drei Augen haben und also seit Jahr­tausenden getarnt unter den Eripäern leben.

Der Gedanke daran war zu phantastisch,

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als daß Razamon ihn ohne weiteres hätte ak­zeptieren können. Sollte Gurankor recht ha­ben, müßten diese letzten Eshtoner unsterb­lich sein.

Razamon beschloß, den nächsten Tag ab­zuwarten, um noch einmal in aller Eindring­lichkeit zu versuchen, Gurankor von seinem selbstmörderischen Verhalten abzubringen. Das Kommunikationsgerät war eingeschal­tet. Die Nachrichten kamen unablässig. Alle normalen Programme waren abgesetzt wor­den. Die Suche nach den Entflohenen kon­zentrierte sich nicht mehr nur auf Aarl. Bald würden die Gleiter der Ordnungskräfte auch hier erscheinen. Mit Sicherheit hatten die Eripäer die Möglichkeit, Energieemissionen zu orten.

Razamon bat Pona deshalb das Kommu­nikationsgerät auszuschalten. Die Schutz­schirme der GOL'DHOR waren desaktiviert. Es schneite so heftig, daß das Schiff sich von oben gesehen kaum noch vom Boden abhob. Nur tieffliegende Gleiter, die genau wußten, wo sie zu suchen hatten, würden es sehen. Und Nurcrahn würde sich eher das Leben nehmen, als das Versteck zu verraten.

In dieser Nacht fand niemand Schlaf. Als der Morgen graute, kam Gurankor, der zeit­weise mit Tirsoth leise gesprochen hatte, Razamons Drängen zum Verlassen der Lich­tung zuvor.

»Wir werden beide hierbleiben«, erklärte er. »Wir werden mit unserem Volk leben oder untergehen. Bringen Sie sich in Sicher­heit. Vielleicht haben Sie mehr für uns ge­tan, als Sie ahnen können.«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Dreiäugigen.

»Wollen Sie uns nicht einweihen?« fragte Razamon.

»Ja.« Gurankor legte dem Pthorer eine Hand auf den Arm. »Sie haben ein Recht darauf. Die Kroloc-Gefahr ist gebannt. Die endlosen Kämpfe, die permanente Bedro­hung ließen uns Eripäern kaum Zeit, um uns Gedanken über uns selbst zu machen. Doch nun …« Gurankor zog Tirsoth zu sich heran. »Sie hätten sehen müssen, wie diejenigen

reagierten, die gekommen waren, um uns sterben zu sehen, als Tekalhor die Maske fallenließ. Eine Lawine wird ins Rollen kommen, Razamon und Balduur. Es wird die Zeit kommen, in der wir Dreiäugige uns nicht mehr verstecken werden. Schon bald wird man merken, daß diejenigen, die sich für normal halten, die Geschicke der Lich­tung nicht lenken können. Wir haben Hoff­nung. Und wir bleiben hier, wo unsere Hei­mat ist.« Unvermittelt verfinsterte sich die Miene Gurankors. »Ich wünschte, ich könn­te Ihnen die Geräte beschaffen, mit deren Hilfe Sie Pthor aus dem Stau lenken können. Es tut mir leid, Razamon. Ich kann es nicht – noch nicht.«

»Eines Tages werden wir diese Möglich­keit haben«, fügte Tirsoth hinzu. Schon jetzt schienen die beiden Dreiäugigen sich so zu ergänzen, als hätten sie ihr Leben lang Seite an Seite gestanden und die Entscheidungen getroffen. »Dann werden Schiffe über Pthor erscheinen und Ihnen unseren Dank abstat­ten.«

Schweigen. Razamon gab sich keine Mü­he, seine Rührung zu verbergen. Selbst Bal­duur mußte sich plötzlich abwenden. Der Odinssohn verließ die Höhle und kam Minu­ten später aufgeregt zurück.

»Sie sind da!« zischte er. »Gleiter! Sie sind noch zu hoch, um das Schiff ausmachen zu können. Aber sie kreisen über uns!«

»Fliegen Sie fort!« appellierte Gurankor an die Atlanter. »Verlieren Sie keine Zeit!«

»Im gleichen Augenblick würde man wis­sen, wo Sie sind«, entgegnete Razamon. »Wir warten, bis die Gleiter verschwunden sind.«

Es dauerte etwa zehn Minuten. »Wir werden die nächsten Berge umrun­

den und anschließend einige Täuschungsma­növer fliegen«, sagte Razamon, als er Gu­rankor die Hand zum Abschied reichte. Die­ser griff zu und drückte sie. Pona, Tirsoth – allen standen Tränen in den Augen.

»Viel Glück«, wünschte Gurankor. »Wir werden uns nicht wiedersehen.«

»Viel Glück auch Ihnen und Ihrer Rasse«,

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sagte Razamon. Balduur verabschiedete sich noch von den drei Eripäern. Dann verließen die beiden Männer die Höhle und bestiegen die GOL'DHOR.

Unter minimaler Energieentfaltung schwebte das goldene Raumschiff wenige Dutzend Meter über dem Schnee dahin, bis Razamon sicher sein konnte, daß es nicht geortet worden war. Erst dann, mehr als dreißig Kilometer vom Versteck der Dreiäu­gigen und Pona entfernt, ließ er das Schiff in den Weltraum schießen.

Er konnte nur hoffen, daß Gurankor sich nicht täuschte.

Zumindest in einem hatte er recht. Razamon spürte, daß es diesmal ein Ab­

schied für immer war – der Abschied nicht nur von jenen, die seine Freunde geworden waren, sondern von einer leidgeprüften Zivi­lisation.

»So dumm können sie nicht sein«, hörte er Balduur murmeln.

»Was meinst du?« fragte er geistesabwe­send. Erst als der Odinssohn auf einen Bild­schirm deutete, begriff er.

»Die Gleiter ziehen sich aus dem Gebiet, in dem die Höhle liegt, zurück. Sie beachten uns gar nicht, obwohl sie uns jetzt orten müßten. Und die Kampfschiffe …«

Der Himmel hing voll von ihnen. Doch keines machte Anstalten, die GOL'DHOR anzugreifen. Nach den bisherigen Erfahrun­gen konnte dies nicht nur an der Unverletz­barkeit des Schiffes liegen.

»Dann haben wir also doch Helfer«, sagte Razamon lächelnd. »Wir haben sie anschei­nend unterschätzt.«

»Wen meinst du?« wollte Balduur wissen, während die GOL'DHOR immer stärker be­schleunigte und Kurs auf den Rand der Lichtung nahm. Niemand versuchte sie auf­zuhalten.

Razamon wollte antworten, als er das ein­zelne Schiff sah, das mit großer Geschwin­digkeit genau in den Kurs der GOL'DHOR flog. Es befand sich bereits in der Peripherie der Lichtung und kam zum Stillstand.

Razamon wollte schon durchstarten, als

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die Funkempfänger ansprachen. Nach den ersten Worten der Botschaft wußte er, daß er sich nicht getäuscht hatte.

»Die Urgan-Lauscher«, flüsterte er. »Sie haben den besten Weg gewählt …«

11. Minuten später

»Es ist eine Falle«, knurrte Balduur. »Sobald wir die GOL'DHOR verlassen, sind wir schutzlos. Die Raumanzüge schützen uns vor dem Vakuum, aber ein einziger Schuß …«

»Keine Falle, Balduur«, sagte Razamon. »Ich vertraue den Urgan-Lauschern. Sie hät­ten nicht besser handeln können.«

Jetzt verstand er, weshalb sie nicht sofort eingegriffen hatten. Es wäre sinnlos gewe­sen. Sie mußten von vorneherein gewußt ha­ben, wie sich die Entwicklung vollziehen würde. Sie wußten mit Sicherheit auch, wo sich die beiden Dreiäugigen versteckt hiel­ten. Nur deshalb hatten sie die Gleiter und Kampfschiffe irregeführt.

Nun forderten sie die Pthorer auf, an Bord des eripäischen Raumschiffs zu gehen.

»Es genügt, wenn einer von uns das Risi­ko auf sich nimmt«, sagte Balduur, immer noch mißtrauisch. »Ich gehe.«

Razamon nickte, als er sah, daß es keinen Sinn hatte, zu widersprechen.

Balduur verschwand in einer Schleuse. Kurz darauf sah Razamon ihn auf das eiför­mige Schiff zuschweben. Ein Luk stand of­fen. Der Odinssohn betrat den Raumer.

»Es könnte ein Robotschiff sein«, hörte Razamon über Funk. »Keine Menschenseele ist zu sehen. Aber jetzt … die Stimme …«

Razamon hörte sie ebenso wie Balduur im fremden Raumer.

»Dies soll unser Dank an euch sein, die ihr euer Leben für uns alle aufs Spiel gesetzt und uns die Augen geöffnet habt. An Bord des Robotschiffs befindet sich ein Prototyp jenes neuentwickelten Aggregats, das in der Lage ist, mit ihm ausgerüstete Körper den Stau durchdringen zu lassen. Sie werden

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keine weiteren brauchen. Es ist groß genug, um Ihre Welt aus dem Stau zu führen.

Macht euch keine Sorgen mehr um uns. Die Zeit ist gekommen, den Eripäern die Wahrheit über sich und ihre Vergangenheit zu sagen. Eines nicht zu fernen Tages wird Gurankor sein Amt wieder einnehmen. Pona wird dafür sorgen, daß alles den gewünsch­ten Gang nimmt. In diesen Augenblicken er­hält sie die Ausrüstung, die Waaylon vor­mals zur Verfügung gestanden hatte. Eine neue Epoche wird beginnen. Die zweiäugi­gen Eripäer werden lernen, mit ihren drei­äugigen Artgenossen zu leben und sie ach­ten. Nehmt das Schiff. Es gehört euch.«

Es folgte eine genaue Anweisung, wo das Gerät zu finden sei. Razamon hörte Baldu­urs überraschten Ausruf. »Das Ding ist rie­sig! Aber ich zweifle immer noch.«

Wie zur Antwort kam die von den Urgan-Lauschern in die Bordcomputer des Robot­schiffs eingespeicherte Anleitung, wie man den Raumer zu fliegen hatte. Balduur brauchte nicht mehr als ein paar Handgriffe zu tun.

»Atmosphäre atembar?« fragte Razamon, obwohl er die Antwort schon kannte.

Es dauerte einen Augenblick. Dann ant­wortete Balduur:

»Ja.« »Dann werden wir spätestens beim Ein­

flug in den Stau wissen, woran wir sind. Ich bin sicher, daß das Aggregat mit dem An­trieb gekoppelt ist und wir auf Pthor genaue Instruktionen für seinen Ausbau und die weitere Handhabung erhalten werden.«

Ohne eine Entgegnung abzuwarten, be­schleunigte der ehemalige Berserker die GOL'DHOR so, daß das Robotschiff mithal­ten konnte. Balduur fluchte, aber der eripäi­sche Raumer setzte sich in Bewegung und folgte dem goldenen Schiff.

Danke! dachte Razamon, als die beiden Raumer in den Stau eintauchten, als ob es die kosmischen Trümmer überhaupt nicht gäbe.

12.

Pthor

Atlan stand über den Rand des Zugors ge­lehnt. Der Flugwind fuhr ihm durch die Haa­re. Der Pilot, ein Dello, ließ die Maschine über Wolterhaven kreisen. Wie überall auf Atlantis, schritten auch hier die Aufräu­mungsarbeiten zügig fort.

Doch Atlan konnte nicht zufrieden sein. Zwar hätte alles viel schlimmer für die

Bewohner des Dimensionsfahrstuhls kom­men können, zwar hatte er im letzten Au­genblick seiner Verantwortung als »König« von Atlantis gerecht werden und den Sieg der Kroloc-Invasionsarmee verhindern kön­nen, doch immer noch war kein Ausweg aus der verzweifelten Lage in Sicht.

Pthor hing nach wie vor im Korsallophur-Stau fest.

Viele der Bewohner von Atlantis störte das nicht sonderlich. Sie lebten, hatten Nah­rung und wurden in Frieden gelassen. Das genügte ihnen. Sie hatten nie etwas anderes gekannt als diese Umgebung. Ob der Him­mel von einem Sternenband überzogen war oder unter einer neuen Sonne glühte, störte sie nicht.

Anders Atlan. Der Arkonide dachte an die Erde und an

die Schwarze Galaxis. Die Erde und die Menschheit, Perry Rho­

dan und all seine anderen Freunde, die USO und die Aufgaben, die sie zu bewältigen hat­ten.

Wie sah es jetzt auf Terra aus? War Atlan schon abgeschrieben?

Und die Schwarze Galaxis? Wußte man dort, daß Pthor auf dem Weg

war? Was würden dann die dort beheimate­ten Mächte unternehmen, sobald sie merk­ten, daß Pthor nicht rechtzeitig auftauchte?

Atlan erschauerte bei dem Gedanken an eine gigantische Flotte, die plötzlich am Himmel erscheinen könnte, und gegen die Invasionsarmee der Krolocs nichts weiter als ein Aufmarsch von Kinderspielzeugen ge­wesen war.

»Wir fliegen zurück«, sagte der Arkonide.

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Der Dello nickte und flog ein Wendemanö­ver. »Über Orxeya«, fügte Atlan hinzu.

Auch in der Stadt der Händler wurde ge­arbeitet. Einige verwegen aussehende Ge­stalten richteten sich auf und winkten Atlan zu. Es war Zufall, daß der Dello den Zugor genau über jenen Teil der Stadt steuerte, in dem Pama, die Para-Pyromanin, gewütet hatte. Unwillkürlich mußte Atlan lächeln. Er dachte an ihre Begegnung mit Grizzard und an Dorstellarain, den das geistig zurückge­bliebene Kind mehr als einmal an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben hat­te.

Wo mochte Pama jetzt stecken? Hatte sie irgendwo Aufnahme und ein Heim gefunden oder wanderte sie ruhelos über Pthor? Atlan hatte Anweisung gegeben, ihm alle plötzli­chen aufflackernden Feuer, deren Ursache unbekannt waren, zu melden. Bisher hatte er nichts gehört.

Orxeya verschwand am Horizont. Es dau­erte einige Stunden, bis die FESTUNG in Sicht kam. Unterwegs waren Atlan mehrere Zugors begegnet, in denen technisches Gerät in alle Teile des verwüsteten Dimensions­fahrstuhls gebracht wurde. Auch Dellos wurden in jene Gebiete geschickt, deren Be­wohner mit den Wiederaufbau überfordert waren.

Eigentlich hätte Atlan tiefe Zufriedenheit darüber empfinden müssen, daß der Angriff aus dem Stau die Völker Pthors einander nä­hergebracht hatte. Auch die Zusammenar­beit mit den Odinssöhnen hatte sich besser bewährt, als dies noch vor kurzem denkbar gewesen war.

Es würde noch einige Zeit dauern bis Pthor zu einer wirklichen Einheit werden würde. Immer noch kam es hier und da zu Streitereien oder Überfällen. Aber der Grundstein war gelegt.

Wirklichen Frieden würde es aber erst ge­ben, nachdem man wußte, was hinter den Mächtigen in der Schwarzen Galaxis steckte – hinter ihnen, ihren unheilvollen Aktivitä­ten und hinter Pthor selbst. Was wußte man denn schon über die Vergangenheit des Di-

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mensionsfahrstuhls? Im Grunde genommen gar nichts. Sein Zweck war bekannt, nicht dagegen die Motive seiner Lenker.

Woher stammten all die Völker, die At­lantis seit Jahrtausenden bewohnten? Daß sie von heimgesuchten Welten kamen, war unwahrscheinlich. Der Wölbmantel verhin­derte es.

Von Planeten der Schwarzen Galaxis? All diese Spekulationen waren müßig. At­

lan ahnte, daß er die ganze Wahrheit nur in dieser Schwarzen Galaxis erfahren würde – falls er und seine »Untertanen« diese lebend erreichten.

Der Zugor landete im gleichen Augen­blick, als Atlan einen Lichtreflex am Him­mel wahrnahm. Zunächst glaubte er, ein weiterer Zugor sei gestartet und auf dem Weg in die Weiten Pthors.

Dann sah er die GOL'DHOR, wie sie sich langsam herabsenkte.

Doch bei aller Freude über die Rückkehr Razamons und Balduurs war es etwas ande­res, das ihn ungläubig den Kopf schütteln ließ.

Neben der GOL'DHOR schwebte ein zweites Raumschiff. Die Eiform ließ keinen Zweifel an seiner Herkunft zu.

»Ein Eripäer!« entfuhr es dem Arkoniden. »Aber das ist unmöglich! Der Wölbmantel …«

*

Kein von außen kommendes Objekt konn­te ihn durchdringen. Dieser Tatbestand galt immer noch für diejenigen, in deren Händen das Schicksal Pthors lag, obwohl es bereits zweimal Ausnahmen gegeben hatte. Die er­ste war Atlan selbst gewesen, die zweite die Spaccahs der Krolocs mit ihrer Durchdrin­gungsenergie.

Aber ein Schiff der Eripäer? Razamon, Balduur und Atlan saßen sich

in einem Arbeitsraum des Arkoniden gegen­über. Auch Thalia war anwesend. Sigurd und Heimdall leiteten die Aufräumungsar­beiten an der Straße der Mächtigen, jeder in

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der Nähe seines Heimes. Atlan und Thalia hörten schweigend zu,

als Razamon und Balduur sich in der Be­richterstattung abwechselten. Nur manchmal wurden diese durch Laute der Überraschung unterbrochen. Das Robotschiff war außer­halb des nun nur noch von fünf kleinen Py­ramiden – den Beibooten der FESTUNG – umschlossenen Terrains gelandet und stand unter Bewachung. Man traute dem Frieden noch nicht ganz.

Als Razamon geendet hatte, brauchte At­lan eine Weile, um das eben Gehörte zu ver­arbeiten und zu akzeptieren.

So sehr auch ihm das Schicksal der Eripä­er am Herzen lag – in diesen Augenblicken drehte sich für ihn alles nur noch um das rät­selhafte Aggregat an Bord des Robotschiffs.

»Aber dann wäre unser Problem gelöst!« rief Thalia ins Schweigen hinein. Sie sprang auf und breitete die Arme aus. »Was hält uns noch? Ihr sagt, daß die Urgan-Lauscher die zur Bedienung des Geräts notwendigen Instruktionen im Bordrechner des Schiffes gespeichert haben. Worauf warten wir?« Sie schüttelte verständnislos den Kopf, als sie die eher betretenen Mienen der Männer sah. »Weg aus dem Stau!«

»Und hinein in die Schwarze Galaxis«, knurrte Razamon. »Unvorbereitet.«

»Uns bleibt keine Wahl«, sagte Atlan nun. »Wir können das Unabänderliche nicht vor uns her schieben. Allerdings kann ich immer noch nicht daran glauben, daß dieses Aggre­gat ein Durchdringungsfeld um ganz Pthor legen kann.«

»Das Robotschiff hat den Stau und den Wölbmantel durchdrungen«, erinnerte Bal­duur.

»Ein Raumschiff, ja. Aber eine Landmas­se so groß wie Pthor …«

»Ich vertraue den Urgan-Lauschern«, sag­te Razamon.

Atlan schien einen Kampf mit sich selbst auszutragen. Auch er zweifelte nicht am gu­ten Willen der drei alten Eripäer. Aber konn­ten nicht auch sie Fehler machen?

Falls das Aggregat nicht ausreichte, um

ganz Pthor aus dem Stau zu bringen – würde nicht die Gefahr bestehen, daß ein Teil des Dimensionsfahrstuhls ganz einfach aus der Gesamtmasse herausgerissen wurde?

»Du sagtest selbst, daß wir keine Wahl haben?« drängte Thalia weiter.

»Willst du eine Volksabstimmung durch­führen lassen, bevor wir das Risiko auf uns nehmen?« fragte Razamon. »Du enttäuschst mich, alter Freund.«

Atlan lächelte plötzlich. »Solltest du auf der Erde ein paar Seme­

ster Psychologie studiert haben, mußt du jämmerliche Zeugnisse bekommen haben. Deine Seelenmassage ist unnötig.« Der Ar­konide stand auf und atmete tief durch. »Sollte es schiefgehen, trage ich die Verant­wortung. Aber gut. Versuchen wir's.«

»Der Wölbmantel würde ohnehin verhin­dern, daß Pthor auseinanderbricht«, sagte Balduur.

»Ich hoffe es für uns alle.«

*

Der Tag des Aufbruchs kam. Atlan hatte Kuriere in alle Teile Pthors

geschickt und die Bevölkerung auf das Kommende vorbereiten lassen. Eine ganze Welt fieberte.

Atlan selbst befand sich nach wie vor in der FESTUNG, während Razamon und Bal­duur nicht hatten darauf verzichten wollen, in der Nähe des in die Seele von Pthor inte­grierten Aggregats zu bleiben.

Atlan wurde von Zweifeln geplagt, zwi­schen Hoffnung und Bangen hin und her ge­rissen. Vor seinem geistigen Auge passierten die Stationen der Odyssee Pthors Revue:

Die Erde – die drohende Invasion. Loors – die Brangeln und der Tyrann Sperco.

Der Korsallophur-Stau – Krolocs und Eripäer.

Was würde als nächstes kommen? Die Stunde der Entscheidung rückte unaufhalt­sam näher.

Es war Atlan gelungen, Pthor von einem Instrument des Bösen in ein Instrument des

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Guten umzuwandeln. Pthor brachte kein Un­heil mehr über blühende Welten, sondern hatte bereits zweimal hilfreich eingreifen können.

Doch nun schien es so, als ob Pthor und seine Bewohner selbst schon bald auf Hilfe angewiesen sein sollten.

Sollten etwa die Odinssöhne, von ihrem »Göttervater« ganz zu schweigen, Bewohner der Schwarzen Galaxis gewesen sein – wie würden sie, die sich ihren Auftraggebern längst entfremdet hatten, im Augenblick der Konfrontation reagieren?

Schon wieder fruchtlose Spekulationen. Aber Atlan war keine Maschine, kein eiskal­ter Rechner, sondern ein Mensch mit all sei­nen Hoffnungen und Ängsten.

Plötzlich fühlte er den Boden unter sich erbeben. Unwillkürlich sprang er aus seinem Sessel vor einem riesigen Bildschirm auf und hielt den Atem an.

Thalia betrat den Raum und ergriff seinen Arm. Sie war kreidebleich und unfähig, ein Wort zu sagen.

Das Beben wurde stärker. Erste Blitze zuckten über den Himmel. Seltsame Muster zeichneten sich unter dem Wölbmantel ab – und sie wanderten über das Firmament.

Pthor bewegte sich! Der Dimensionsfahr­stuhl nahm langsam Fahrt auf.

»Wir schaffen es«, flüsterte Thalia. »Wir sind gerettet.«

Gerettet? Atlan sprach kein Wort. Immer heftiger

werdende Leuchterscheinungen am Himmel zeigten an, daß Atlantis sich immer schnel­ler durch die kosmischen Staubmassen sei­nen Weg bahnte. Das Durchdringungsfeld des eripäischen Aggregats umschloß es völ­lig und funktionierte einwandfrei.

Atlan legte den Arm um Thalias Schulter und wartete. Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, bis die Leuchterscheinungen an Intensität abnahmen. Es sah ganz so aus, als befände sich Pthor bereits an der Peri­pherie des Korsallophur-Staus und steuerte nun auf einen freien Bezirk des Dimensions­korridors zu.

Horst Hoffmann

Und damit auf die Schwarze Galaxis.

13. Irgendwo in einem unfaßbaren Raum

Ein Wesen wurde geboren.Es war nicht mehr als bloßes Bewußtsein

– eine energetische Sphäre, die in einem Meer aus Farben und sich ständig verän­dernden Körpern glitt.

Nur langsam schälte sich aus diesen Kon­figurationen eine real erscheinende Umge­bung heraus. Das Wesen schwebte über ei­ner bizarren Landschaft.

Ein Name: Waaylon. Eine Erinnerung: Die Lichtung, Gurankor,

Eripäer. All dies gehörte der Vergangenheit an. Es

war eine andere Welt. Die Sphäre Waaylon wartete. Bald spürte

sie die Existenz einer anderen, artverwand­ten Wesenheit. Sie war in ihm und doch un­erreichbar weit entfernt.

Bilder. Waaylon tauchte in sie hinein. Ein weiblicher Körper, nicht so wie der

einer Frau der Eripäer. Die Fremde glich eher Razamon und Balduur. Ein Name: Lee­nia.

Doch der Körper war nur Fassade. Er lös­te sich auf, und die Sphäre Waaylon erfaßte mit ihren unbegreiflichen Sinnen die wahre Natur des artverwandten Wesens.

Es waren zwei Sphären, die in einem Kör­per hausten. Waaylon fühlte eine nie ge­kannte Erregung in sich aufsteigen. Wieder tat sich eine völlig neue Dimension für ihn auf. Noch war er unfähig zu begreifen, was mit ihm geschehen war. Die Erinnerung an die Zeit »vorher« war lückenhaft.

Waaylon wußte nicht, wie er hierherge­kommen war, was er war. Wieviel Zeit war vergangen? Gab es den Faktor Zeit in die­sem Raum überhaupt noch?

Die Euphorie schlug in Enttäuschung um, als Waaylon feststellen mußte, daß seine Hoffnung, von den Artverwandten Auskunft hierüber erhalten zu können, sich nicht er­füllte. Sie lebten und lebten doch wieder

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nicht. Die Bilder verschwanden. Dafür verwan­

delte sich die Landschaft erneut. Eine Welt völliger Harmonie entstand. Grüne Hügel, überall Leben. Vögel zwitscherten in den Bäumen, Insekten summten in der Luft. Waaylon hatte keinen Körper mehr; den­noch hatte er die Illusion, würzige Luft zu atmen.

Am Rand eines kleinen bewaldeten Hü­gels sah er eine Hütte.

Die Sphäre Waaylon trieb darauf zu. Sie spürte, daß sie es tun mußte, daß man es von ihr erwartete.

In der Hütte befanden sich außer zwei Sockeln keinerlei Einrichtungsgegenstände. Bevor Waaylon in sie hineinglitt, verharrte er und sah zum violett strahlenden Himmel auf.

Er lauschte der Musik der Sterne. Waren es Sterne? Die Sphäre schwebte in die Hütte. Auf ei­

nem der beiden Sockel schwebte eine zwei­te, mehr als artverwandt. Wieder füllten Er­regung und Hoffnung Waaylon aus.

Ohne sich dessen bewußt zu sein, trieb er auf den zweiten Sockel zu, bis er genau über ihm war. Waaylon wußte vom ersten Au­genblick an, wer sein Gegenüber war. Er konnte die Sphäre nicht sehen, weil er keine Augen hatte. Er fühlte die Bilder.

Ein stummes Abtasten. Geistige Ströme flossen von einem der Partner zum anderen hinüber.

Dann brach die zweite Sphäre das Schweigen. Waaylon hörte die Stimme nicht, weil er keine Ohren hatte. Er fühlte sie.

Du hast den Weg gefunden. Ich zweifelte daran, daß ihr soweit sein könntet.

Waaylon dachte eine Frage: Dies ist deine Welt? Die Welt, die ihr vor

der Katastrophe erreichen zu können glaub­tet?

Antwort: Nicht meine Welt – es ist keine Welt, wie

du sie dir vorstellen kannst, Waaylon. Was du zu sehen glaubst, dient lediglich dazu, dir

den Übergang zu erleichtern. Die totale Wahrnehmung dieses Universums würde dir vorerst noch schaden. Mit Wehmut dachte die Sphäre: Viele von uns sind dadurch ge­storben. Alle außer mir. Es ist ein Univer­sum ohne Ende, ohne Grenzen und ohne Zeit.

Wieder Schweigen. Ehrfurcht und Eupho­rie. Das Gefühl, erst jetzt wirklich zu leben zu beginnen.

Frage: Viele von euch? Dann überlebten also ei­

nige Eshtoner die Katastrophe? Sogleich erkannte Waaylon die Unsinnig­

keit seiner Spekulation. Natürlich hatten sie überlebt – Tausende oder gar Millionen. Aus ihnen waren ja die Eripäer im Zuge der Rückentwicklung hervorgegangen. Auch die dreiäugigen Eripäer waren nicht mehr wie ihre Vorfahren.

Oder doch? Waaylon war hier! Wer wart ihr dann? Antwort: Einige wenige unseres Volkes hatten den

entscheidenden Schritt vollzogen. Im Gegen­satz zu unseren unglücklichen Artgenossen waren wir in der Lage, uns in die fünfte Di­mension zu versetzen. Die Unglücklichen, die dies niemals konnten, erfuhren nichts davon. Wir schwiegen, um sie nicht noch tiefer in die Depression zu stürzen. Als wir die Katastrophe kommen sahen, vollzogen wir den Schritt in unser – wie wir alle glaubten – neues Universum voller Licht und Wunder. Wieder diese unendliche Weh­mut. Nur ich überlebte ihn.

Waaylon begriff. Seine Ehrfurcht steiger­te sich ins Unermeßliche. Gleichzeitig befiel ihn Beklemmung.

Bedeutete die Tatsache, daß er nun hier war und mit dieser Sphäre »reden« konnte, nicht, daß auch er die gleiche Fähigkeit ent­wickelt hatte wie auch jene Eshtoner, die in der Lage gewesen waren, in die fünfte Di­mension überzuwechseln? Hieß dies nicht, daß auch Gurankor und Tirsoth über diese Fähigkeit verfügten?

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Antwort: Latent, ebenso wie du, bevor ich dich gei­

stig berührte. Ja, ich habe versucht, mit dir Kontakt aufzunehmen, nachdem ich einen solchen Schritt jahrtausendelang vermieden hatte. Im gleichen Augenblick erkannte ich meinen Fehler, den ich allerdings jetzt nicht mehr zu bereuen brauche. Ich sah das Un­heil auf die eripäische Zivilisation zukom­men, als Gurankor entlarvt wurde. Ich ver­suchte, dich als Helfer mit Kräften auszurü­sten, die dich in die Lage versetzen sollten, das Unheil aufzuhalten. Damit begann deine Metamorphose. Ich konnte den Effekt nicht vorhersehen.

Eine Weile lang schwieg die Sphäre. Dann:

Andere Wesen konnte ich mit dieser Kraft versehen. Die Wyllians nahmen sie auf und konnten Tirsoth in diesen Raum bringen, je­doch nur für kurze Zeit. Allerdings scheiter­ten meine weiteren Pläne mit ihnen.

Eine gedankliche Aufforderung. Die Sphäre Waaylon nahm die beiden Kristalle irgendwo in seiner Nähe gefühlsmäßig wahr.

Vielleicht hätte ich auch Gurankor und Tirsoth auf diese Weise berühren können, doch ich durfte es nicht. Die Eripäer brau­chen sie und werden sie akzeptieren.

Informationen, Bewußtseinsinhalte flos­sen in Waaylon über. Er konnte die Ent­wicklung bis hin zum Aufbruch der GOL'DHOR verfolgen. Doch noch hielten sich Gurankor und Tirsoth zusammen mit Pona versteckt.

Frage: Kannst du … können wir in die Zukunft

sehen? Antwort: Nein. Du wirst deine neuen Fähigkeiten

kennen und nützen lernen, sobald die Zeit gekommen ist. Noch ist es zu früh. Doch wir brauchen nicht mehr in den Lauf der Dinge einzugreifen. Alles wird sich von allein lö­sen. Von nun an werden die Eripäer ihren Weg gehen. Und vielleicht werden sie eines Tages zu uns finden, in tausend oder in Mil­lionen Jahren ihrer Zeitrechnung. Wir wer-

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den leben und warten. Frage: Aber du existiertest gleichzeitig hier und

auf Aarl? Antwort: Nicht mehr auf Aarl. Das ist vorbei. Au­

ßerdem konnte ich immer nur in kurzem Wechsel hier oder auf Aarl existieren. Wenn ich mich hierher zurückziehen mußte, um neue Kraft zu schöpfen, war meine körperli­che Hülle auf Aarl scheintot. Ich kenne die Zukunft nicht, aber ich habe die Schwingun­gen der Eripäer aufgenommen.

Unzufriedenheit. Waaylon wollte mehr wissen, aber er spürte, daß er keine weitere Antwort zu diesem Thema bekommen wür­de – vorerst nicht. Deshalb dachte er:

Sind wir hier allein? Gibt es andere, die hier leben?

Antwort: Ich erklärte schon, daß es in diesem

Raum keine Grenzen gibt. Keine Zahl reicht uns, um auszudrücken, wie viele Wesenhei­ten dieses Universum bevölkern. Jede Rasse, die ein gewisses Entwicklungsstadium er­reicht hat und sich nicht selbst umbringt, wird eines Tages den Evolutionsschritt voll­ziehen. Und es gibt Wesen, die in diesem Raum entstanden.

Waaylon mußte plötzlich an die schlafen­de Frau denken.

Sie gehört zu ihnen, sie und ihr Partner – Wommser. Wie ich bis vor kurzem, haben beide eine Mission in der Welt, aus der wir stammen, zu erfüllen.

Waaylons Erregung steigerte sich bis zum Exzeß. Eine stumme, eindringliche Frage, ein Flehen.

Antwort: Ja, ich glaube, daß ich es verantworten

kann. Und das Universum, dieses phantastische

neue Universum aus Formen und Farben, aus Milliarden von Seelen, dieses Univer­sum ohne Zeit und ohne Grenzen öffnete sich vor der Sphäre Waaylon. Es gab keine Planetenlandschaft mehr. Die Sphäre Waay­lon trieb in der Unendlichkeit und nahm

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wahr. Das Leben begann. Ein Leben ohne Ende …

*

Die Besucher des Permanenten Marktes waren daran gewöhnt, daß der Sterbende in todesähnliche Zustände versank, oft über Tage hinweg. Doch immer wieder war er aufgewacht.

Diesmal war es anders. Die Eripäer nahmen den endgültigen Tod

dieses Alten gar nicht zur Kenntnis. Man schaffte ihn weg, und damit war die Angele­genheit für sie erledigt.

Die Nichteripäer, die sich so oft über ihn lustig gemacht und ihre Streiche mit ihm ge­spielt hatten, trauerten um ihn. Irgendwie hatte er zu ihnen gehört, und die leere Ecke, an der er gelegen hatte, solange die Exoten zurückdenken konnten, wurde zu einem Hei­ligtum.

Einige legten Früchte auf den Boden, an­dere Blumen oder Wertgegenstände.

Und sie alle vermißten ihn – irgendwie.

EPILOG

Jahre später auf Aarl Dies war der große Tag für Gurankor und

Tirsoth. Pona und Nurcrahn saßen bei den beiden,

die nun nicht mehr länger ihr drittes Auge zu verbergen brauchten.

Der alte Lichtfürst wirkte auf den ersten Blick müde. Doch seine Augen verstrahlten einen eigentümlichen Glanz. Er war es ge­wesen, der wesentlich dazu beigetragen hat­te, daß Gurankor und Tirsoth nun nicht nur akzeptiert, sondern von den ins Regierungs­gebäude geströmten und draußen auf den Plätzen wartenden Eripäern bejubelt wur­den. Nurcrahn hatte noch einmal den Kampf aufgenommen.

Bis zu diesem Tag hatten die beiden Drei­äugigen sich verborgen gehalten. Gurankor war klar, daß die Urgan-Lauscher sein Spiel

mitgemacht hatten. In den zurückliegenden Jahren war es mit

der eripäischen Zivilisation steil bergab ge­gangen. Nurcrahn hatte dafür gesorgt, daß die öffentliche Meinung umschwang. Un­zählige Helfer hatten den Eripäern die Angst vor den Dreiäugigen genommen und sie be­hutsam aufgeklärt, was ihre Vergangenheit betraf.

Bald wurden die Rufe nach Gurankor laut. Tekalhor und seine Hintermänner hat­ten keine Chance gehabt. Diejenigen, die einsahen, wie sehr sie ihren Dreiäugigen Brüdern und Schwestern in der Vergangen­heit Unrecht getan hatten, wurden von Tag zu Tag mehr. Doch Gurankor hatte gewartet.

Er wollte keinen Bürgerkrieg riskieren. Erst als fast die ganze Bevölkerung hinter ihm stand und seine Rückkehr forderte (Nurcrahn hatte anklingen lassen, daß der Eripäer noch am Leben war, irgendwo in seinem sicheren Versteck), konnte er sich zur Rückkehr entschließen.

Es sollte sein letzter Auftritt als Eripäer sein. Neben ihm stand der herangewachsene Tirsoth, den er im Lauf der Jahre in alle Ge­heimnisse eingeweiht und mit dem nötigen Wissen ausgerüstet hatte, um seine Nachfol­ge anzutreten und die Eripäer würdig zu re­gieren.

Die neue Epoche begann. Vor den Aufnahmegeräten, die seine

Worte jedem einzelnen Eripäer zugänglich machten, gab Gurankor seine Erklärung ab.

Viele seiner Zuhörer und der um ihn her­um Versammelten hatten ihre tief in ihrem Innern verwurzelte Angst immer noch nicht völlig ablegen können. Dies war innerhalb weniger Jahre nicht möglich.

Doch sie hörten zu, zwangen sich, in das dritte Auge des Eripäers zu sehen, und fühl­ten Zuversicht. Gurankors Ausstrahlung zog jeden in ihren Bann.

Dennoch war Gurankor zu Tränen ge­rührt, als unbeschreiblicher Jubel ausbrach, nachdem er den jungen Tirsoth offiziell zu seinem Nachfolger erklärt hatte.

Gurankor war glücklich. Auf diesen Au­

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genblick hatten er und seine Vorgänger so lange warten müssen.

Die Kroloc-Gefahr war gebannt, die Drei­äugigen waren akzeptiert. Es würde keine Morde an Neugeborenen mit einem dritten Auge auf der Stirn mehr geben. Die »normalen« Eripäer glaubten an die Dreiäu­gigen. Sie betrachteten sie zwar noch mit Furcht, aber nicht mehr als ihre Feinde. Sie hatten begriffen, daß nur sie, die vermeintli­chen Ungeheuer, sie in diesem Raum zwi­schen den Dimensionen, der nicht für sie ge­schaffen war, vor einem schnellen Verder­ben bewahrt hatten.

Gurankor lächelte Tirsoth zu. Doch in diesem Lächeln schwang Wehmut mit.

Der rehabilitierte Eripäer mußte an die

Horst Hoffmann

Fremden denken, denen sein Volk soviel zu verdanken hatte.

Seit Jahren waren sie auf Nimmerwieder­sehen aus dem Korsallophur-Stau ver­schwunden, in dem nun die Schiffe der Eripäer kreuzten.

Wo befanden sie sich jetzt – in diesen Au­genblicken seines persönlichen Triumphs?

»Ich wünsche euch alles Gute«, murmelte der Eripäer. Doch die Sorge blieb.

Und sie war berechtigt.

ENDE

E N D E