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Toskana Bolgheri

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Bolgheri ist das italienische Pendant zu Bordeaux. WEINWELTEN von Steffen Maus und Markus Bassler kommuniziert Italien und seine Weine, einladend und ansprechend.

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toskana bolgheri cabernet und merlot r

bolgheri mit cabernet und merlot

Die französische Toskana

er brach auf grandiose weise mit den regeln, baute statt der vorgeschriebenen italienischen reben lieber die bordeaux-sorten cabernet sauvignon und cabernet franc an und schuf damit einen der besten weine italiens, den sassicaia. mit diesem geniestreich setzte marchese mario incisa della rocchetta das unbekannte toskanische fleckchen bolgheri auf die wein-weltkarte und löste dort einen boom aus.

Toskana-Urlauber, die von Livorno aus einen Ausflug unternehmen und die Via Aurelia entlangfahren, verschlägt es möglicherweise nach Bolgheri. Sie fahren durch eine un-gewöhnlich hohe, ungewöhnlich lange Zypressenallee, an deren Ende sich ein großes Tor befindet. Vielleicht lassen sie das Auto draußen stehen, gehen durch das mittelalterli-che Tor, vorbei an einem Palazzo, wie es sie überall in der Toskana gibt: mit rechteckig zugeschnittenen Zinnen, bei deren Anblick man sich vage der Geschichte der kaiser-treuen Ghibellinen und der dem Papst ergebenen Guelfen erinnert, deren trutzige Gemäuer sich angeblich durch die Form der Zinnen unterschieden. Dahinter ein verschlafenes Nest, kaum mehr als 100 Einwohner.

Vielleicht kommt den Besuchern kichernd und schwat-zend eine Schulklasse entgegen. Denn seit Josuè Carducci, Italiens erster Literatur-Nobelpreisträger, vor 150 Jahren in einem schwärmerischen Gedicht die nach Bolghe-ri führende Zypressenalle besungen hat, strahlte etwas vom Glanz des Dichters auf den Ort ab und setzte einen bescheidenen Bildungstourismus in Gang. Auf der Suche nach Erfrischung und italienischem Flair lassen sich unsere Ausflügler vielleicht draußen vor der Enoteca Tognoni nieder, wo Wein und handfeste toskanische Küche ser-viert werden. Bis hierhin: nichts Besonderes. Auffällig an Bolgheri ist höchstens, wie unspektakulär es auf den ersten Blick wirkt.

Doch vielleicht werfen unsere Besucher einen Blick in die Weinhandlung, in der Patron Francesco Tognoni unaufgeregt seinen Geschäften nachgeht. Bei näherem

Betrachten der Weinregale wird schlagartig klar, dass in Bolgheri doch etwas anders ist. Zwar ist in der Toskana grundsätzlich nichts billig, aber die Preise für die Weine aus dem Ort sind auch für toskanische Verhältnisse hoch. Der Blick mag zuerst auf ein Preisschild fallen, das mehr als 100 Euro für eine Flasche ausweist, und dann auf die dazugehörige Flasche, die ein Etikett trägt, auf dem in blau-em Kreis ein achtstrahliger goldener Stern prangt. Sassicaia steht unter dem Stern, eine Jahrgangszahl und: Bolgheri Sassicaia DOC.

Dieser karge Schriftzug besagt, Bolgheri hat Wein-geschichte geschrieben. Denn so viel Ehre wurde noch keinem Wein in Italien zuteil. Der Sassicaia, benannt nach dem von Kieselsteinen – sassi – durchsetzten Boden, auf dem er wächst, hat ein gesetzlich definiertes Anbaugebiet ganz für sich allein. Seit 1994 – seitdem darf Bolgheri Sassicaia DOC auf dem Etikett stehen.

Berühmt ist der Wein allerdings schon seit den späten Siebzigern. Lange jedoch tat sich die italienische Wein-Bürokratie schwer mit dem edlen Gewächs. Den DOC-Status, der mittels Banderolen-Aufdruck dem Verbraucher eine kontrollierte Herkunft garantieren soll, erhält nur ein Wein, der regelkonform aus den für das Gebiet zugelasse-nen Rebsorten hergestellt wird. Für toskanischen Rotwein waren das in erster Linie Sangiovese sowie einige weitere heimische Sorten. Doch im Sassicaia ist kein Saft aus italienischen Trauben verarbeitet, er besteht ausschließlich aus französischen Sorten.

Die Geburt

Gehen wir ein dreiviertel Jahrhundert zurück: Der Mar-chese Mario Incisa della Rocchetta, zu dessen Familien-besitz ausgedehnte Ländereien um Bolgheri gehören, ist gut befreundet mit dem Bordelaiser Spitzenwinzer Baron de Rothschild. Aus Stecklingen des Bordeaux-Guts seines Freundes pflanzt er auf seiner Tenuta San Guido in den 1940er Jahren spaßeshalber Cabernet Sauvignon. Zunächst erregt das keinen Anstoß, der Wein soll ja nur dem privaten Pläsier dienen.

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Er erweist sich aber als ausgezeichnet; der Marchese bepflanzt weitere Flächen. Schließlich bringt er mit dem Jahrgang 1968 den ersten Sassicaia auf den Markt – und handelt sich damit Ruhm und Verdruss zugleich ein. Die internationale Weinkritik hebt ausgerechnet den Wein als besten italienischen Rotwein aufs Podest, gleichzeitig muss er sich rein formal auf dem Etikett in die unterste Kategorie einordnen und als vino, als einfacher Tafelwein, vermarkten lassen. Damit führt er das ganze italienische DOC-System ad absurdum.

In der Vor-Sassicaia-Ära war Bolgheri in Sachen Wein so unbedeutend, wie es nur geht. Dem Sangiovese, der in weiten Teilen der Toskana ausgezeichnete Rotweine ergibt, war hier kein Erfolg beschieden. Flach und belanglos gerieten die meisten Tropfen, die daraus gekeltert wurden. Und so bauten die Grundbesitzer der Gegend, allen voran die Herren von Castello di Bolgheri, zwar für den eigenen Gebrauch Wein an – tolle Geschäfte ließen sich jedoch nicht machen.

Sassicaia lieferte den entscheidenen Hinweis darauf, dass Bolgheri doch gutes Weinland ist, das zwar für die vorgeschriebenen Rebsorten nicht taugt, aber mit französischen Sorten ungewöhnlich gute Weine erbringen kann. Mehr als 20 Jahre sollte es noch dauern, bis das Sys-tem reformiert war und die Bestimmungen auch den widerspenstigen Perlen des italienischen Weinbaus Rechnung trugen.

Ansturm auf Bolgheri

Die Goldgräber indes ließen nicht so lange auf sich warten. Winzer und Unternehmer aus ganz Italien und aus dem Ausland kauften, was zu kriegen war. Die Preise für das Land schossen in die Höhe, denn geeignetes Rebland ist im kleinen Gebiet zwischen Bolgheri und Castagneto Carducci nur begrenzt verfügbar. Dass Star-Winzer Angelo Gaja hier investierte, heizte die Preisentwicklung zusätzlich an. Inzwischen beherbergt das winzige Städtchen mehr als 40 Weingüter: Pioniere der ersten Stunde wie Grattamacco und Le Macchiole, die großen Betriebe Ornellaia – nach einigen Inhaberwechseln nun im Besitz von Marchesi di Frescobaldi – und die Tenuta Guado al Tasso von Marche-se Antinori; daneben eine Reihe von weniger bekannten Betrieben. Heute dürfte Bolgheri die italienische Gemeinde mit dem höchsten Durchschnittspreis pro Flasche sein.

Peinlich für die italienische Bürokratie: Formal galt immer noch, dass die DOCG, also die kontrollierte und garantierte Ursprungsbezeichnung, den besten Weinen vorbehalten war. Doch Kenner wussten bald, dass in Wahrheit einige der bes-ten italienischen Weine als einfache Tafelweine – fast schon eine unehrenhafte Bezeichnung – firmierten. Die Weinwelt spottete über die italienischen Regeln. Da aber inzwischen als erwiesen galt, dass der – unerlaubte – Anbau der fran-zösischen Sorten einfach bessere Ergebnisse brachte, als mit den italienischen Reben möglich gewesen wären, wurden die

Panorama entlang der Pinienallee − am linken Rand des Fotos erkennt man den Ort Bolgheri.

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Regeln schließlich der Realität angepasst. Immerhin waren die Weine jetzt so etwas wie der Stolz Italiens.

So bestimmend der Sassicaia für das Renommee von Bolgheri auch sein mag, noch weit exklusiver und gesuch-ter ist der Masseto, ein reinsortiger Merlot aus dem Hause Ornellaia. Was soll daran Besonderes sein? Das ganze Veneto rauf und runter gibt es als Allerweltswein Merlot in purezza. Aber dieser hier, der Masseto, hat auf der Welt nur einen, der ihm gleichkommt: den Pétrus aus Pomerol bei Bordeaux, einen der teuersten Kultweine der Welt, und ebenfalls ausschließlich aus Merlot-Trauben gekeltert.

Sieben Hektar klein ist die Parzelle, auf der die Trauben für den Masseto heranwachsen, und eben nur auf diesem kleinen Stück Land kommt der Merlot so gut. Die Rebe, die wie der Cabernet Sauvignon Bestandteil fast jedes roten Bordeaux-Weins ist, hat nicht die dominante Persönlich-keit des Cabernet. Sie ist weicher, molliger, in der Regel weniger aussagestark.

Nur an ganz besonderen Orten, wie etwa in Pomerol oder eben in Bolgheri, läuft die Sanfte zu Höchstform auf und schenkt Weine von purer Magie. Leider nicht in der von Weinfreunden ersehnten Menge. Für eine der nur 30.000 Flaschen von 2006 zahlt man über 500 Euro, seit der einflussreiche Weinkritiker Robert Parker ihn mit 99 von 100 Punkten ausgezeichnet hat. Da alles relativ ist, könnte man auch sagen: ziemlich fair im Vergleich zum deutlich teureren Pétrus.

Alter Adel, junges Weingut

Da weder die Tenuta San Guido noch die Tenuta dell’Ornellaia genügend Rebfläche besitzen, um die Nach-frage nach ihren Weinen zu befriedigen, kaufen die beiden prominentesten Erzeuger Trauben bei ihren Nachbarn. Die erforderliche hohe Qualität finden sie bei Castello di Bolgheri, dem größten und ältesten Weinbergbesitzer der Gegend. Das Castello ist nicht zu übersehen, es ist mit den Guelfen-Zinnen verziert und steht gleich am Ortseingang. Turm und Torbogen gehören dazu ebenso wie die Räume der Enoteca Tognoni, die über dem Fasskeller des Weingu-tes liegen.

Das Adelsgeschlecht derer zu Bolgheri lässt sich per Stammbaum bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Da-mit schlagen die aktuellen Besitzer Clemente und Federico Zileri dal Verme in puncto Familiengeschichte sogar ihre berühmten Nachbarn Frescobaldi und Antinori.

Clemente und Federico sind bereits die 31. Generation auf dem Schloss, aber die erste mit Weinambitionen. Zwar gab es auch früher eigenen Wein, dessen Ruhm reichte aber nicht über die Gemeindegrenze hinaus. Ernsthaft beschäf-tigt sich die ortsansässige Familie erst seit ein paar Jahren mit dem Thema. Zwischen 1996 und 2002 entstanden die Anlagen, natürlich mit roten Franzosenreben bestockt. Immerhin 50 Hektar bestes Rebland besitzen die Schloss-herren heute.

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Inzwischen verkaufen von Bolgheris nicht mehr nur Trauben. Seit ein paar Jahren, genauer: seit 2001, bringt das Castello einen Teil seiner Lese unter eigenem Etikett in die Flasche. Die ersten eigenen Weine wurden noch, sozusagen als Freundschaftsdienst, von Sassicaia und von Ornellaia vinifiziert. Im eigenen Keller im historischen Gebäude ent-steht der Castello di Bolgheri seit 2005. Für den Weinfreund angenehm: Die Weine kommen aus besten Lagen und wer-den sorgsam angebaut, deshalb sind sie ja auch würdig, die beiden berühmtesten Weingüter zu beliefern. Da Castello di Bolgheri aber nicht über den Bekanntheitsgrad der berühm-ten Nachbarn verfügt, sind die Weine günstiger. Wobei auch das relativ ist – richtig billig sind sie nämlich wieder nicht.

Alessandro Dondi, Kellermeister auf Castello di Bolg-heri, liegt viel daran, den Weinen trotz ihrer französischen

Die Zypressenallee zwischen der Via Aurelia und Bolgheri ist UNESCO Weltkulturerbe.

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Ein typisches Menü in der Enoteca von Francesco Tognoni könnte so aussehen: Nach einer zuppa di farro con verdure, einer Suppe auf Basis der alten Weizenart Farro, schön mit Gemüse angereichert, serviert er pappardelle con ragù di cinghiale, hausgemachte breite Bandnudeln mit Wildschweinragout, und als Hauptgang brasato di manzo al vino rosso, langsam in Rotwein geschmortes Rind, dazu Kartoffelpüree. Die Preisempfehlung im deutschen Fachhandel sind 40 bis 50 € für den Bolgheri Rosso. Aus-nahmen sind Sassicaia, Ornellaia und vor allem Masseto, die jenseits der 100 € anderen Gesetzen der Schwerkraft unterliegen. Beim Zweitwein, dem „kleinen“ Bolgheri, der von jungen Weinbergen stammt und weniger komplex und kraftvoll in diese Weinwelt einführen kann, liegen die Preise um die 20 €. Nur bei Ornellaia und San Guido bekommt man dafür standesgemäß den Drittwein.

genusstipp

Mausempfehlungen für Strukturliebhaber

Argentiera www.argentiera.euCa’ Marcanda www.gajawines.comCampo alla Sughera www.campoallasughera.comCastello di Bolgheri www.castellodibolgheri.euGrattamacco www.collemassari.itLe Macchiole www.lemacchiole.itMichele Satta www.michelesatta.comOrnellaia www.ornellaia.comPodere Sapaio www.sapaio.itTenuta San Guido www.sassicaia.com

Prägung auch einen toskanischen Stempel aufzudrücken. Die Weine wirken wärmer in ihrer Aromatik als ihre französischen Pendants, das gilt auch für die berühmten Bolgheri-Gewächse. Nicht ganz Bordeaux, nicht 100 Pro-zent Toskana – eher eine Luxus-Promenadenmischung aus beidem.

Wo bleiben die Chinesen?

Francesco Tognoni steht in seiner Enoteca und bleibt bei alledem gelassen. Seit 25 Jahren führt er seine Enoteca, hat davor, als Jugendlicher, schon im Weinhandel seines Onkels mitgeholfen. Er kennt alle Winzer und führt alle Bolgheri-Weine, inzwischen um die 180 Etiketten, im Sortiment. Tognoni hat Winzer kommen und gehen sehen. Dem ful-minanten Aufstieg Bolgheris zum Trotz ist der Besitz eines Weinguts hier nämlich noch lange keine Garantie für kom-merziellen Erfolg. Das haben einige Winzer bitter erfahren müssen. „Guten Wein machen hier eigentlich alle“, sagt der Wirt, „aber nicht allen gelingt es, ihn gut zu vermarkten. Es gibt kleine Weingüter, die wirklich prima arbeiten, denen es aber an Vertriebskanälen fehlt.“ Bei manchen blieben die Fächer im Regal irgendwann leer. Sie mussten aufgeben.

Tognoni erzählt von den Besucherströmen, die Jahr für Jahr größer werden, davon, dass die Deutschen vor der Ein-führung des Euro seine wichtigsten Kunden waren und seit dem Verlust der Mark wegblieben. Dass nach den Ameri-kanern jetzt verstärkt die Russen kommen und die Japaner seltener als noch vor zehn Jahren. Die Chinesen purtroppo, leider, seien bisher noch gar nicht gekommen.

Und dann erzählt er, dass er vor wenigen Jahren noch zu 80 Prozent Rotwein verkauft habe, sich aber inzwischen Rot und Weiß die Waage halten. Seit Antinori vor zwölf Jahren große Flächen mit der weißen Rebsorte Vermentino bestockt hat, ist Bolgheri aufstrebendes Weißweingebiet. Die Hauptrebsorte ist diesmal ganz und gar italienisch. Aber ein bisschen französisches Flair ist dabei auch zu erschnup-pern, zumindest, wenn man den besten probiert, und das ist, klarer Fall für Tognoni, der Bianco von Grattamacco.

Mal sehen, wie es weitergeht in Bolgheri, welche Winzer sich behaupten, aus welchen Ländern bevorzugt die Besu-cher kommen werden. Jetzt kommt erst mal der Winter, und Bolgheri verwandelt sich wieder in ein stilles, beschau-liches, fast ausgestorbenes Städtchen. Scheinbar überhaupt nichts Besonderes. rz

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