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69 TOUR | Schweden PADDEL ABENTEUER in Westschweden Von Felsklecks zu Felsklecks Vor der Küste West- schwedens liegen unzählige Inseln. Besonders im Win- ter haben diese Schären ihren Reiz, immerhin sind sie dann fast men- schenleer. Bei einer Kajaktour kann man deswegen die Ruhe und Einsam- keit genießen, wie Anna Rettig bestäti- gen kann. Text: Anna Rettig Bilder: Sascha Rettig Bei dem Wetter raus aufs Wasser und paddeln? Im ersten Moment sind wir noch skeptisch. Immerhin zeigt das Thermome- ter gerade mal fünf Grad Außentemperatur an – Wetter für dicke Jacken also, bei dem manch einer längst mit Mütze und Hand- schuhen unterwegs ist. Dem Meer müssen wir bei solchen Tempe- raturen sonst eigentlich nicht allzu nahe kommen. Nun aber ist genau das unser Ziel: Im nördlichen Westschweden starten wir zu einer Winterkajak-Tour durch die Schären. »Das Tolle am Paddeln im Winter ist, dass fast keine anderen Menschen auf dem Wasser unterwegs sind, das ist wunderbar ruhig«, findet Marcus Holgersson, ein Bilderbuchschwede mit blondem Haar und strahlendem Lächeln, der mit seiner Frau In- gela Kajaktouren und andere Outdooraktivitäten rund um den Küstenort Grebbestad anbietet. »Manchmal ist es so still, dass ich sogar meine Uhr ticken höre.« Im Sommer hingegen, wenn viele Urlauber in dem bekannten Seebad sind, ziehen sich außerdem die Tiere mehr zurück. »Jetzt aber sind sie schon eher neugierig und kommen auch mal näher an die Kajaks heran.« Bevor wir allerdings mit den Booten auf diesen Teil der Nord- see können, müssen wir uns noch warm einpacken. Beim Winter- kajaken seien nämlich die Temperaturen das größte Problem, erzählt der 40-Jährige. Denn wenn das Kajak kippt und man ins Wasser fällt, kann der Körper viel schneller auskühlen als im Som- mer. Deswegen legt Marcus auch so viel Wert auf das mehrschich- tige Outfit: erst lange Unterwäsche, dann die Winterhose und der Fleecepullover.

TOUR |Schweden PADDE LABENTEUER in Westschweden

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TOUR | Schweden

PADDELABENTEUERin WestschwedenVon Felsklecks zu Felsklecks

Vor der Küste West-schwedens liegenunzählige Inseln.Besonders im Win-ter haben dieseSchären ihren Reiz,immerhin sind siedann fast men-schenleer. Bei einerKajaktour kannman deswegen dieRuhe und Einsam-keit genießen, wieAnna Rettig bestäti-gen kann.

Text: Anna RettigBilder: Sascha Rettig

Bei demWetter raus aufs Wasser und paddeln? Im erstenMoment sind wir noch skeptisch. Immerhin zeigt das Thermome-ter gerade mal fünf Grad Außentemperatur an – Wetter für dickeJacken also, bei dem manch einer längst mit Mütze und Hand-schuhen unterwegs ist. Dem Meer müssen wir bei solchen Tempe-raturen sonst eigentlich nicht allzu nahe kommen. Nun aber istgenau das unser Ziel: Im nördlichen Westschweden starten wir zueiner Winterkajak-Tour durch die Schären.

»Das Tolle am Paddeln imWinter ist, dass fast keine anderenMenschen auf demWasser unterwegs sind, das ist wunderbarruhig«, findet Marcus Holgersson, ein Bilderbuchschwede mitblondem Haar und strahlendem Lächeln, der mit seiner Frau In-gela Kajaktouren und andere Outdooraktivitäten rund um den

Küstenort Grebbestad anbietet. »Manchmal ist es so still, dass ichsogar meine Uhr ticken höre.« Im Sommer hingegen, wenn vieleUrlauber in dem bekannten Seebad sind, ziehen sich außerdemdie Tiere mehr zurück. »Jetzt aber sind sie schon eher neugierigund kommen auch mal näher an die Kajaks heran.«

Bevor wir allerdings mit den Booten auf diesen Teil der Nord-see können, müssen wir uns noch warm einpacken. BeimWinter-kajaken seien nämlich die Temperaturen das größte Problem,erzählt der 40-Jährige. Denn wenn das Kajak kippt und man insWasser fällt, kann der Körper viel schneller auskühlen als im Som-mer. Deswegen legt Marcus auch so viel Wert auf das mehrschich-tige Outfit: erst lange Unterwäsche, dann die Winterhose und derFleecepullover.

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Darüber kommt schließlich noch ein Neoprenanzug mit Schu-hen. An den Handgelenken und am Hals sitzt er sehr eng, damitkein Wasser eindringen kann. »Nun hockt euch hin und lasst überdie Halsöffnung Luft aus euren Anzug«, sagt er. »Das ist wichtig,damit ihr nicht wie ein Ballon oben treibt, falls ihr im Meer landet.«

Hinaus in die SchärenNur kurze Zeit später stehen wir am Strand neben der Bootsga-

rage, wo wir noch eine Neoprenmütze und warme Handschuheanziehen. Marcus erklärt nun genau, wie man sich verhalten soll,falls das Boot kentert. Dann aber ist die Gruppe endlich startklar.»Sucht euch einen festen Punkt am Horizont, das gibt Stabilitätbeim Paddeln«, rät Marcus, als unsere Boote anfangs etwas wacke-lig wirken. Immerhin ist das Wasser etwas unruhig, der Wind treibtkleine Wellen zum Ufer. Zuerst ziehen wir daher ein paar Bahnenin Ufernähe, doch tatsächlich klappt es trotz der Wellen schonbald besser als gedacht.

Also paddeln wir weiter hinaus aufs Meer, mitten hinein ins Ar-chipel, für das die Region Bohuslän südlich der schwedisch-nor-wegischen Grenze so bekannt ist. Entlang der Küste liegenKilometer weit unzählige Inseln verstreut. Einige größere, vielekleine Inseln, manche gerade groß genug, damit sich eine ein-zelne Möwe auf ihr ausruhen kann.

Meist sind es Granitbrocken, die sich da aufeinandertürmen undteilweise mehrere Meter hoch ragen. Sie sind kaum bewachsen,sondern ziemlich karg. Und doch hat es eine seltsam beruhigendeWirkung, diese Felskleckse anzuschauen. Hin und wieder hat ein Fi-scher eine kleine Holzhütte auf einer Insel erbaut, um seine Netzeund die weitere Ausrüstung lagern zu können. Auf den ersten Blick

sehen diese dunkelroten Häuschen so aus, alshätte sie jemand wie Spielzeugwürfel auf die Ge-steinsbrocken gestellt – und doch trotzen sie oftbereits seit JahrzehntenWind undWetter.

Jede Menge Hummer und AusternZum Paddeln ist das Archipel ideal, denn

selbst wenn es auf dem Meer sehr windig wird,fangen die Schären die Kraft der See ab. Vorallem aber findet sich an der nächsten größerenInsel meist ein windgeschützter Platz, wo mandas Kajak etwas treiben lassen und sich erholenkann. So paddeln wir von Felsklecks zu Fels-klecks und entdecken bei der Tour so auchimmer wieder Hummerreusen, die in der Näheder Inselchen ins Wasser gelassen wurden.

»In dieser Region haben wir jede MengeHummer«, erzählt Marcus. Ab Ende September bis etwa April seies erlaubt, die Tiere zu fangen – deswegen haben die meistenKüstenbewohner in diesen Monaten auch ihre Reusen verteilt. Mu-scheln und Austern gäbe es imWinter ebenfalls mehr als genug,berichtet unser Tourguide. In diesem Archipel seien es die mittler-weile eher seltenen Europäischen Austern. »Die sind zwar kleiner,dafür aber salziger und schmecken imWinter besonders gut!«

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Dick eingepackt, startet die Tour in Grebbestad (unten). – Danach geht es in die Scheren, wo unzählige kleine Felskleckse umrundet werden

können (rechts). – In der Nebensaison ist es in vielen Küstenorten angenehm ruhig, so wie in Fjällbacka (oben, linkes Bild).

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Weibchen mit ihrem Braun-Grau deutlich schlichterdaherkommen. Vielleicht zeigt sich ja noch eine Ke-gelrobbe: Im etwas weiter nördlich gelegenen Tjurp-annans Naturreservat gibt es viele davon, doch auchan der Schärenküste bei Grebbestad kann man sie ge-rade im Winter häufiger sehen. Heute aber lässt sichkeine blicken, und so lenken wir unsere Kajaks lang-sam Richtung Ufer.

Gekentert ist heute keiner, alle sind warm geblieben.Und doch sind wir froh, als Ingela verkündet, dass sie fri-sche Hummersuppe gekocht hat. Genau das brauchenwir jetzt! Während draußen langsam die Sonne unter-geht, sitzen wir am Abend gemeinsam am großen Holz-tisch und tunken Brot in die warme, cremige Suppe.

Marcus rennt allerdings noch einmal los. Im Gartenhinterm Ferienhäuschen für die Gäste heizt er eine ArtWhirlpool in einer Outdoor-Badewanne an. Schon baldbollert der Ofen mit den brennenden Holzscheiten,und wir laufen immer wieder im Bademantel hinaus,um zu testen, ob es warm genug ist. Endlich ist es dannso weit: Wir liegen im Hot Tub, lassen unsere Muskelnim heißen Wasser entspannen und beobachten den

klaren Sternenhimmel über uns. Nun haben wir uns also doch noch ins Wasser getraut –ganz ohne Rumdumbekleidung. •

Pause mit SonnenscheinSo viel Gerede über Essen macht hungrig, deswegen steuern

wir nun Käften an, eine der größeren Inseln des Archipels. An derOstseite bilden die Felsen eine natürliche Bucht, in der es sogareinen kleinen Sandstrand gibt. Fürs Baden ist es zwar zu kalt, dafürziehen wir die Kajaks an Land und machen eine Pause – »Fika«, wiedie Schweden sagen, wenn sie Kaffee trinken, plaudern und etwasSüßes essen. Tatsächlich dampft kurze Zeit später heißer Kaffee inunseren Trinkbechern und Marcus packt Zimtschnecken und Blau-beermuffins aus.

So winterlich die Temperaturen auch sind: Der Himmel überuns ist strahlend blau und die Sonne scheint. Mit dem Kaffee inder Hand setzen wir uns in eine windgeschützte Ecke der Bucht,wo die Sonne die Felsen etwasaufwärmt. Marcus erzählt, dasser und Ingela sich in Göteborgkennen gelernt haben und mitden Kindern zunächst nur anden Wochenenden in IngelasHeimatregion pendeln wollten.»Uns gefiel es hier aber so gut,dass wir uns entschieden, ganzherzuziehen.« Also warf er sei-nen Job als IT-Berater hin undist nun täglich in der Natur un-terwegs.

Auch im Winter macht ihm das nichts aus. »So kalt wie in ande-ren Gegenden Schwedens wird es hier wegen der Nähe zumMeer nicht«, sagt er. Denn weil das Wasser fast nie gefriert, sinkenauch die Außentemperaturen entlang der Küste selten unter 0Grad. Schnee haben sie oft nur für etwa eine Woche – und auchheute wirkt es wegen der strahlenden Sonne eher wie ein kühlerFrühlingstag.

Whirlpool unter SternenhimmelZurück auf dem Wasser, kreisen Möwen kreischend über

uns. Ein paar Eiderenten schwimmen auf den Wellen und lassensich nicht stören, als wir vorbeipaddeln. Die Männchen sind gutan ihrem schwarz-weißen Gefieder zu erkennen, während die

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INFOBOXCharakter/AnspruchDie Touren sind im Sommer auch für Kajak-Anfän-ger geeignet. Für das Winterkajaken ist es aller-dings sinnvoll, schon erste Paddelerfahrungen zuhaben, weil das Meer rauer sein kann und deutlichkälter ist.

AnreiseVon Deutschland aus fliegen mehrere Airlines täg-lich zum Flughafen Göteborg. Für eine Erkundungder Küstenregion empfiehlt es sich, ein Auto zumieten. Bis Grebbestad sind es etwa zwei StundenFahrtzeit. Oder man reist mit dem eigenen Pkw an.Fährverbindungen nach und in Schweden bietenz.B. Stena Line (www.stenaline.de), Finnlines(www.finnlines.com) und Color Line (www.color-line.de).

Beste ZeitGanzjährig möglich. Winterkajaken wird von Sep-tember bis April angeboten.

TouranbieterIngela und Marcus Holgersson bieten bei »Skärgård-sidyllen« (www.skargardsidyllen.se) geführte Paddel-touren an. Winterkajaken kostet 950 SEK pro Person(1 Euro entspricht rund 10 SEK), inklusive Kajak undNeoprenanzug. Im Sommer kosten die Touren eben-falls ab 950 SEK. Außerdem vermieten Ingela undMarcus dann auch Kajaks (ab 400 SEK pro Tag).

ÜbernachtungCamping ist auf den Inseln vor Grebbestad erlaubt.Ingela und Marcus vermitteln aber auch Unterkünftean der Küste. Ihr eigenes »Oceanview Cottage« etwaist gemütlich eingerichtet, und von der Terrasse hatman einen weiten Blick übers Meer (www.skargardsi-dyllen.se/en/oceanview-cottage/). Wer mehr Zeit in

Westschweden verbringen möchte, kann auf den We-ather Islands übernachten, den westlichsten Inselndes Lands – urige, aber nicht preiswerte Unterkünftein den alten Häusern einstiger Seeleute (www.vadero-arna.com). In Fjällbacka hat das komfortable Stora Hotellet Bryggan (www.stora-hotelletbryggan.se) auch im Winter geöffnet.

RestaurantsIm Winter ist die Auswahl in der Region eher klein.Weiter im Süden, in Smögen, liegt das »Göstas Fiske-krog« (www.gostasfiskekrog.se): direkt am Wasserund mit guten Menüs zur Mittagszeit, oft mit frisch ge-fangenen Meerestieren. Auch von der mehrfach aus-gezeichneten »Villa Sjötorp« (www.villasjotorp.se) ander Küste hat man einen weiten Blick – hier werdenvor allem lokale Zutaten verwendet. Und wer in Göte-borg einen Stopp einlegt, sollte im »Restaurant Ga-briel« (www.restauranggabriel.se) zum Austernweltmeister Johan Malmgehen.

TippDie westschwedische Küste ist auch ein Mekka fürFans von Meeresfrüchten – Austern, Muscheln undHummer sollen hier dank der idealen Bedingungenund der guten Wasserqualität besonders gutschmecken. Vor allem könnten sie kaum frischersein: Bei einer Seafood-Safari fährt man mit Bootenaufs Meer und kann direkt aus dem Wasser ge-holte Meeresfrüchte probieren. Toll ist es etwa mitLars Marstone, bei dem es Austern und frisch ge-kochte Muschelsuppe gibt (Infos: www.lysekilso-stronomusslor.se).

Infoswww.westsweden.com

SCHWEDEN

BohuslänDie historische Provinz Bohuslänbefindet sich inWestschwedennördlich von Göte-

borg. Sie ist gekenn-zeichnet durch felsige Küsten mitvorgelagerten Inseln und Schären.In der Region Bohuslän liegt mitGullmarsfjorden Schwedens einzi-ger Fjord. Größte Stadt in Bohus-län ist Uddevalla. Auf dem rund4.600 qkm großen Gebiet lebenca. 292.000 Einwohner.

Gerade im Win-ter ist man aufdem Wassermeist allein un-terwegs.Manchmalmuss man zwargegen denWind anpad-deln, dochwenig spätererreicht manauch schoneine schüt-zende Buchtzum Ausruhen.