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TRADITION D Oiwei sauba beinand ie Maria? Was die Maria für ein Mensch ist? Da muss Fred Märtl, der stram- me weißbärtige Mann in Lederhose und kniehohen Stiefeln, nicht lange überlegen. „Mei“, schmunzelt der frisch pensionierte Lehrer, „sie ist einfach a richtige Trachtlerin. Boarisch, gemütlich und grad heraus.“ Schon eine kleine Ewigkeit kennen sich der Fred und die Maria. Schließlich gehört der Mann seit mehr als vierzig Jahren dem Trachtenverein Edelweiß von Metzenried – einer kleinen Ortschaft bei Aichach nahe Augsburg – an. Dort ist die Maria schon als ganz kleines Madl vergnügt zwischen den aufgeputzten Trachtlern herumgewuselt. Warum? Weil auch in ihrer Familie alle im Trachtenverein sind oder waren. „Ja, ich bin in Tracht geboren“, scherzt Maria Tyrol- ler, und alle Umstehenden lachen herzhaft. Schuhplattl- und Volkstanzprobe ist heute Abend, davor hat sich eine kleine Gruppe bei ihr im Garten versammelt. Schwägerin Elisabeth ist da, Fred und Gertraud Märtl mit den Enkeln Eva und Lea, ihre Mutter Maria, aber auch Sohn und Tochter stehen im Festtagsgewand unter den Obstbäumen. Maria Tyroller, bald 33 Jahre in verschiede- nen Funktionen im Verein tätig, begutachtet sie alle miteinander. Die vielbeschäftigte Schneiderin ist Trachtenwartin, die G’wandmeisterin ihres Vereins. Diejenige, die darauf schaut, „dass alle sauba beinand san“, beschreibt es Ma- ria Tyroller kurz und bündig. Die 49-jährige temperamentvolle Frau mit dem offenen Blick achtet darauf, dass bei Auftritten der Trachtler in der Öffent- lichkeit „nix zerrissen ist, dass kein Knopf fehlt, dass jeder das richtige G’wand anhat“. Und was jetzt so einfach und überschaubar klingt, ist – wie so oft im Leben – aufwendi- ger und anspruchsvoller, als es scheint. Da gibt es zunächst die vereinseigene Kleiderkammer. Drei riesige volle Zimmer sind es genau genommen. Selbst historische Kleider sind mit dabei. Und diesen Fundus, aus dem viele Mitglieder ihre Tracht bezie- hen, gilt es in Schuss zu halten. Nähte nachziehen, Säume heften oder schlissig gewordene Stellen ausbessern, Hose kürzen, Bund auslassen und viel mehr. Allein diese Arbeit wäre Ehrenamt genug. Doch damit ist die Aufgabe einer Trachtenwartin längst nicht getan. Servus 95 An Kirchweih, zu Fronleichnam, bei Volks-, Schützen- und anderen Festen: Die Metzenrieder sind gern gesehene Gäste. Weil sie mit ihrer Aichacher Tracht, einer alten Bauerntracht aus dem 19. Jahrhun- dert, gar so schön anzuschauen sind. Wenn die festlich gekleideten Männer mit ihren dunklen Velourshüten, den schwarzen Faltenstiefeln, mit ihren zweireihig geknöpf- ten Westen samt Silbertalern, Charivari und Uhrkette auftreten, dann geht den Freunden der altbayerischen Tracht das Herz auf. BAUERNG’WAND ANNO 1870 Aber auch die Frauen in ihren edel schim- mernden Röcken und Schürzen, mit ihren Broschen und Talern und den langen Schnürketten vorm Mieder, sind ein selte- ner Augenschmaus. Anno 1870 trugen die Bäuerinnen in und um Aichach dieses Festtagsgewand. Das Auffälligste daran ist die kleine schwarze Haube. Vier lange, breite Bänder baumeln von diesem hohen Kopfschmuck lose auf die Schultern der Trägerin herab. Jede von ihnen hat frische Nelken oder Rosen im Ausschnitt stecken. Fast jede hält auch ganz traditionell einen Weidenkorb in der Hand. Neben diesem „altboarischen“ Bauern- g’wand tragen viele im Metzenrieder Verein Edelweiß aber auch Dirndl oder Lederhose und Gamsbart – also Miesbacher Gebirgs- tracht. Denn die Männer, die damals in der Gegend um den Tegernsee und den Schlier- see im Dienst standen, haben die bekann- teste bayerische Tracht vor bald hundert Jahren mit heimgenommen. Weil auch sie schuhplattln wollten. Und dazu braucht es halt Wadlstrümpfe, eine kurze Lederhose und ein Dirndl, dessen Rock sich beim Tan- zen dreht. Ob jetzt Altboarisch oder Gebirgstracht – für Maria Tyroller ist das einerlei. Fesch sollen die Leut’ sein. Sauber, festlich und vor allem getreu alter Tradition gekleidet. Da lässt sie wenig Gnade walten: „Mensch, du ziagst bitte das nächste Mal die richtigen Strümpf’ an“, mahnt sie. Oder: „Bitte ver- gessts mir das Schuheputzen ned. Wenn der Stiefel nicht geputzt ist, schaut das nicht gut aus.“ Bei nahezu zweihundert Trachtlern – der Verein hat ja doppelt so viele Mitglieder wie Metzenried überhaupt Einwohner – G’wandmeisterin Maria Tyroller (links) hat ihre „Edelweißler“ gut im Griff. Fesch kommen Männer, Frauen und Kinder daher. Bis hin zum Silberknopf stimmen die Trachten. Mieder schnüren, Schürzen binden, Tücherl stecken: Bei den Metzenrieder Trachtlern schaut Maria Tyroller mit liebevoller Strenge auf ihre Leut’. Sie ist die G’wandmeisterin. TEXT: CAROLIN GIERMINDL FOTOS: ANGELIKA JAKOB

TradiTion D Oiwei sauba beinand - 1und1.des362144254.online.de/tearsheets/Trachtenmeisterin.pdfmode eher auffällig: In Metzenried ist der geringelte Strumpf Trumpf. Auch Maria Zederer,

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ie Maria? Was die Maria für ein Mensch ist? Da muss Fred Märtl, der stram-me weißbärtige Mann in Lederhose und kniehohen Stiefeln, nicht lange überlegen. „Mei“, schmunzelt der frisch pensionierte Lehrer, „sie ist einfach a richtige Trachtlerin. Boarisch, gemütlich und grad heraus.“

Schon eine kleine Ewigkeit kennen sich der Fred und die Maria. Schließlich gehört der Mann seit mehr als vierzig Jahren dem Trachtenverein Edelweiß von Metzenried – einer kleinen Ortschaft bei Aichach nahe Augsburg – an. Dort ist die Maria schon als ganz kleines Madl vergnügt zwischen den aufgeputzten Trachtlern herumgewuselt.

Warum? Weil auch in ihrer Familie alle im Trachtenverein sind oder waren. „Ja, ich bin in Tracht geboren“, scherzt Maria Tyrol-ler, und alle Umstehenden lachen herzhaft.

Schuhplattl- und Volkstanzprobe ist heute Abend, davor hat sich eine kleine Gruppe bei ihr im Garten versammelt. Schwägerin Elisabeth ist da, Fred und Gertraud Märtl mit den Enkeln Eva und Lea, ihre Mutter Maria, aber auch Sohn und Tochter stehen im Festtagsgewand unter den Obstbäumen. Maria Tyroller, bald 33 Jahre in verschiede-nen Funktionen im Verein tätig, begutachtet sie alle miteinander.

Die vielbeschäftigte Schneiderin ist Trachtenwartin, die G’wandmeisterin ihres Vereins. Diejenige, die darauf schaut, „dass alle sauba beinand san“, beschreibt es Ma-ria Tyroller kurz und bündig.

Die 49-jährige temperamentvolle Frau mit dem offenen Blick achtet darauf, dass bei Auftritten der Trachtler in der Öffent-lichkeit „nix zerrissen ist, dass kein Knopf fehlt, dass jeder das richtige G’wand anhat“. Und was jetzt so einfach und überschaubar klingt, ist – wie so oft im Leben – aufwendi-ger und anspruchsvoller, als es scheint.

Da gibt es zunächst die vereinseigene Kleiderkammer. Drei riesige volle Zimmer sind es genau genommen. Selbst historische Kleider sind mit dabei. Und diesen Fundus, aus dem viele Mitglieder ihre Tracht bezie-hen, gilt es in Schuss zu halten.

Nähte nachziehen, Säume heften oder schlissig gewordene Stellen ausbessern, Hose kürzen, Bund auslassen und viel mehr. Allein diese Arbeit wäre Ehrenamt genug. Doch damit ist die Aufgabe einer Trachtenwartin längst nicht getan.

Servus 95

An Kirchweih, zu Fronleichnam, bei Volks-, Schützen- und anderen Festen: Die Metzenrieder sind gern gesehene Gäste. Weil sie mit ihrer Aichacher Tracht, einer alten Bauerntracht aus dem 19. Jahrhun-dert, gar so schön anzuschauen sind.

Wenn die festlich gekleideten Männer mit ihren dunklen Velourshüten, den schwarzen Faltenstiefeln, mit ihren zwei reihig geknöpf-ten Westen samt Silbertalern, Charivari und Uhrkette auftreten, dann geht den Freunden der altbayerischen Tracht das Herz auf.

Bauerng’wand anno 1870

Aber auch die Frauen in ihren edel schim-mernden Röcken und Schürzen, mit ihren Broschen und Talern und den langen Schnürketten vorm Mieder, sind ein selte-ner Augenschmaus.

Anno 1870 trugen die Bäuerinnen in und um Aichach dieses Festtagsgewand. Das Auffälligste daran ist die kleine schwarze Haube. Vier lange, breite Bänder baumeln von diesem hohen Kopfschmuck lose auf die Schultern der Trägerin herab. Jede von ihnen hat frische Nelken oder Rosen im Ausschnitt stecken. Fast jede hält auch ganz traditionell einen Weidenkorb in der Hand.

Neben diesem „altboarischen“ Bauern-g’wand tragen viele im Metzenrieder Ver ein Edelweiß aber auch Dirndl oder Lederhose und Gamsbart – also Miesbacher Gebirgs-tracht. Denn die Männer, die damals in der Gegend um den Tegernsee und den Schlier-see im Dienst standen, haben die bekann-teste bayerische Tracht vor bald hundert Jahren mit heim genommen. Weil auch sie schuhplattln wollten. Und dazu braucht es halt Wadlstrümpfe, eine kurze Lederhose und ein Dirndl, dessen Rock sich beim Tan-zen dreht.

Ob jetzt Altboarisch oder Gebirgstracht – für Maria Tyroller ist das einerlei. Fesch sollen die Leut’ sein. Sauber, festlich und vor allem getreu alter Tradition gekleidet. Da lässt sie wenig Gnade walten: „Mensch, du ziagst bitte das nächste Mal die richtigen Strümpf’ an“, mahnt sie. Oder: „Bitte ver-gessts mir das Schuheputzen ned. Wenn der Stiefel nicht geputzt ist, schaut das nicht gut aus.“

Bei nahezu zweihundert Trachtlern – der Verein hat ja doppelt so viele Mitglieder wie Metzenried überhaupt Einwohner –

g’wandmeisterin Maria Tyroller (links) hat ihre „edelweißler“ gut im griff. Fesch kommen Männer, Frauen und Kinder daher. Bis hin zum Silber knopf stimmen die Trachten.

Mieder schnüren, Schürzen binden, Tücherl stecken: Bei den Metzenrieder Trachtlern schaut Maria Tyroller mit liebevoller

Strenge auf ihre Leut’. Sie ist die G’wandmeisterin. TexT: Carolin gierMindl FoToS: angeliKa JaKoB

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Servus 9796 Servus

G’wandwerkstatt mit Trachtenladen: Maria Tyroller, Schmiedberg 1, 86576 Rapperzell, Tel.: 08259/21 94 65, [email protected]

findet sich immer etwas zu bemängeln. Und die Besserwisserei hat einen Sinn: Gelebtes Brauchtum, ein Stück Bayern, soll geschützt und im Original an die nächste Generation übergeben werden.

Genau darin liegt für Maria Tyroller auch der Reiz ihres Amtes. „Obwohl man sich als Trachtenwartin nicht nur Freunde macht“, gesteht sie ganz offen.

die MeTzenriederin alS naTurSChönheiT

Das Kritisieren gehört halt einfach zu ihrem Tagesgeschäft. Das fängt oft schon bei der Frisur an. Eine Trachtlerin hat einen gefloch-tenen Schopf – keine kurzen Haare. Wenn doch, muss ein Haarteil her, sagt Maria Tyroller. „Geh, kimm einmal bei mir vorbei. Ich geb dir Tipps, wie man das mit der Frisur besser machen könnte“, rät sie gelegentlich.

Außerdem gilt: kein Modeschmuck, keine Armbanduhr, wenig Schminke – die Metzenriederin ist eine Naturschönheit. Greller Lidschatten passt halt nicht zu einer altbayerischen Bauerntracht.

In Sachen Unterwäsche heißt es für die „Weiberleut“: weiße Pumphose, darüber ein weiter Unterrock und Strümpfe. Kein Stück Haut soll oben auf dem Tanzboden zu sehen sein. Dafür gibt man sich in Sachen Strumpf-mode eher auffällig: In Metzenried ist der geringelte Strumpf Trumpf.

Auch Maria Zederer, die Mutter der G’wandmeisterin, trägt heute grün geringel-te Strümpfe. „Meine Tracht ist bestimmt gut sechzig Jahre alt“, vermutet die 74-Jährige und streicht über ein paar dünn gewordene Stellen an ihrem Ärmel. Von einer „weit-schichtigen Verwandten“ hat sie dieses Ge-wand geerbt. Große kunstvoll und filigran gearbeitete Silberknöpfe, sogenannte Kraus-knöpfe, schmücken das Mieder. „Die Frau war eine reiche Bäuerin“, erzählt sie. Denn wie viel Hab und Gut jemand besaß, ließ sich damals an der Tracht ablesen.

Die Qualität des Stoffes, die Größe der Muster oder Blumen, all dies deutete auf den jeweiligen Wohlstand hin.

Auch die Schwägerin von Maria Tyroller, Elisabeth Zederer, trägt ein prachtvoll ge-schmücktes Kleid. „Nein, nein, nein“, wehrt Neffe Georg Martin gleich mit spitzbübi-scher Miene ab, „die Tante hat nur zwei Kaninchen im Garten. Die ist lediglich eine Hasenbäuerin.“

Der sympathische Metallbaumeister, Vortänzer der Plattl-Gruppe, ist generell nie um Antworten verlegen. Auf die Frage, was denn ein Patenverein eines Trachtenvereins sei, antwortet er: „Dass sind diejenigen, die zahlreich zum Trinken kommen, wenn die anderen ein Fest veranstalten.“

MiT goldBorTe und herzBluT

Elisabeth Zederer hat neben ihrer schwar-zen Bänderhaube auch den zweiten Kopf-schmuck der Tracht – die sogenannte Rie-gelhaube – mitgebracht. Im Original wurde dieses Häubchen, das über den Schopf gesteckt wird, aus wertvollem Bouillon-draht in Gold gefertigt. „Aber auch meine hier hat viel Blut gekostet“, deutet sie stolz auf das fein genähte, mit Goldborten und klitze kleinen Glasperlen verzierte Stück.

Sieben Nachmittage lang saß sie an dem traditionellen Haarschmuck. Ganz vorsich-tig gibt sie ihn daher wieder in die Schatulle und in ihren Weidenkorb zurück.

Die Trachtenwartin hat jetzt ihr altbay-erisches G’wand angezogen. Dabei ist ihr Haarteil verrutscht. „Jetzt schaut halt auch einmal jemand auf mich!“, beklagt sie sich bei Mutter und Tochter, die in ihrer G’wand - werkstatt stehen. Dort, wo die staatlich geprüfte Trachtenschneiderin so manch prachtvolles Hochzeitsdirndl und Festtags-trachtengewand fertigt. Auch für Frauen mit etwas rundlicherer Figur, betont Maria.

Keine Zeit fürs eigene Gewand, kaum Gelegenheit, unbeschwert ein Fest zu genie-ßen, das sei das Schicksal einer Trachten-wartin, sagt Maria Tyroller schmunzelnd. Früher trug sie bei jedem Fest stets Nähzeug

bei sich. „Da war ich nur mehr am Knöpfe-annähen und Flicken. Irgendwann bin ich draufgekommen, dass viele Reparaturen gar nicht akut waren, sondern schon länger angestanden sind. Nur gemacht hat sie halt keiner“, erzählt sie amüsiert.

Heute hat Maria Tyroller nur mehr ein Notfallset mit Sicherheitsnadeln dabei. „Man glaubt nicht, was man damit alles machen kann“, sagt die Trachtenwartin eines Vereins, der sich den Leitgedanken „Sitt’ und Tracht der Alten wollen wir er-halten“ auf die Fahnen geheftet hat. 3

Maria Tyroller sammelt alte haarnadeln. Jedes dieser filigranen Schmuck stücke

ist ein kostbares unikat. im hintergrund: zwei traditionelle riegelhauben.

Stolz tragen die Schwestern

eva und lea ihre grünen Filzhüte mit dem weißen

adlerflaum. Trachtenwartin

Maria bindet dem Mädel die

Kordel neu.

rote rosen oder nelken tragen die Metzenrieder Trachtlerinnen zwischen

Spenser und Mieder. dazu bis zu fünf Meter lange Schnürketten. die Schürze ist aus

feinstem Seidenjacquard.

die Freude an der Tracht verbindet die generationen: Maria zederer in alter Volkstracht – mit riegelhaube und weiden-korb – und ihre enkel georg Martin und Theresa, beide in Miesbacher gebirgstracht.

diese original aichacher Tracht ist das gesellinnenstück der Schneiderin. alle Fransen des weißen Seidentuchs sind handgeknüpft. rechts: Maria Tyroller fasst in ihrer werkstatt ein vollsteifes Mieder ein.