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Kapitel 2 Diffusion in ruhenden Medien Der molekulare Transport von Energie (Wärmeleitung) und Stoff (Diffusion) erfolgt weitgehend analog und kann vielfach gleichartig mathematisch behandelt werden. Allerdings zeigen Stofftransportprobleme eine deutlich größere Anzahl und höhe- re Komplexität der Randbedingungen. Die heterogene Katalyse ist ein typisches Beispiel für eine solche komplexere Randbedingung (s. Abschn. 1.6.1). Um eine analytische mathematische Behandlung zu ermöglichen, werden le- diglich eindimensionale Geometrien betrachtet. Gekoppelte Energie- und Stoff- transportvorgänge oder eine Ortsabhängigkeit des Diffusionskoeffizienten bleiben unberücksichtigt, obwohl sie in technischen Anwendungen an vielen Stellen auf- treten. Derartige Problemstellungen und insbesondere dreidimensionale Vorgänge müssen unter Verwendung der bekannten Transportgleichungen numerisch unter Verwendung von beispielsweise Computational Fluid Dynamics (CFD) Programmen gelöst werden. Ziel des Kapitels ist die Erklärung der mathematischen Modellierung molekularer Transportvorgänge, wobei allein die Diffusion dargestellt wird, da der molekulare Energietransport analog zu behandeln ist. Zunächst wird der einfachste Anwen- dungsfall betrachtet, die rein stationäre Diffusion durch eine ebene Wand. Im Anschluss werden die durch eine parallele homogene Reaktion entstehende Vergrößerung des Stofftransports und deren Quantifizierung mittels des Beschleuni- gungsfaktors erläutert. Die Beschreibung der Auswirkungen heterogener Reaktionen auf Diffusionsvorgänge speziell auch auf die mathematischen Randbedingungen folgt. Abschließend wird die instationäre Diffusion in einer ebenen Platte bzw. einer Kugel behandelt und die Fourierzahl als charakteristische dimensionslose Kennzahl eingeführt. An diesem Beispiel wird zusätzlich die Herleitung von Stoffübergangskoeffizienten aus berechneten Konzentrationsfeldern dargestellt. 2.1 Stationäre Diffusion Der durch Diffusion innerhalb einer Phase bewirkte Ausgleichsvorgang beruht auf dem Austausch von Stoff (Masse, Molmenge) durch die thermische Molekularbe- wegung. Diese ist bei Gasen relativ schnell – im Mittel etwa 50–70 m/s -, während M. Kraume, Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik, 55 DOI 10.1007/978-3-642-25149-8_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

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Kapitel 2Diffusion in ruhenden Medien

Der molekulare Transport von Energie (Wärmeleitung) und Stoff (Diffusion) erfolgtweitgehend analog und kann vielfach gleichartig mathematisch behandelt werden.Allerdings zeigen Stofftransportprobleme eine deutlich größere Anzahl und höhe-re Komplexität der Randbedingungen. Die heterogene Katalyse ist ein typischesBeispiel für eine solche komplexere Randbedingung (s. Abschn. 1.6.1).

Um eine analytische mathematische Behandlung zu ermöglichen, werden le-diglich eindimensionale Geometrien betrachtet. Gekoppelte Energie- und Stoff-transportvorgänge oder eine Ortsabhängigkeit des Diffusionskoeffizienten bleibenunberücksichtigt, obwohl sie in technischen Anwendungen an vielen Stellen auf-treten. Derartige Problemstellungen und insbesondere dreidimensionale Vorgängemüssen unter Verwendung der bekannten Transportgleichungen numerisch unterVerwendung von beispielsweise Computational Fluid Dynamics (CFD) Programmengelöst werden.

Ziel des Kapitels ist die Erklärung der mathematischen Modellierung molekularerTransportvorgänge, wobei allein die Diffusion dargestellt wird, da der molekulareEnergietransport analog zu behandeln ist. Zunächst wird der einfachste Anwen-dungsfall betrachtet, die rein stationäre Diffusion durch eine ebene Wand. ImAnschluss werden die durch eine parallele homogene Reaktion entstehendeVergrößerung des Stofftransports und deren Quantifizierung mittels des Beschleuni-gungsfaktors erläutert. Die Beschreibung derAuswirkungen heterogener Reaktionenauf Diffusionsvorgänge speziell auch auf die mathematischen Randbedingungenfolgt. Abschließend wird die instationäre Diffusion in einer ebenen Platte bzw.einer Kugel behandelt und die Fourierzahl als charakteristische dimensionsloseKennzahl eingeführt. An diesem Beispiel wird zusätzlich die Herleitung vonStoffübergangskoeffizienten aus berechneten Konzentrationsfeldern dargestellt.

2.1 Stationäre Diffusion

Der durch Diffusion innerhalb einer Phase bewirkte Ausgleichsvorgang beruht aufdem Austausch von Stoff (Masse, Molmenge) durch die thermische Molekularbe-wegung. Diese ist bei Gasen relativ schnell – im Mittel etwa 50–70 m/s -, während

M. Kraume, Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik, 55DOI 10.1007/978-3-642-25149-8_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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56 2 Diffusion in ruhenden Medien

Abb. 2.1 StationäreDiffusion durch eine ebenePlatte oder eine ebene,unbewegte Fluidschicht

sie bei Flüssigkeiten und Feststoffen bedeutend langsamer ist. Daraus folgt, dassdie Diffusionsvorgänge je nach Art der Phase, in der sie stattfinden, unterschiedlichschnell sind.

2.1.1 Diffusion ohne chemische Reaktion in einer ebenen Schicht

In Abb. 2.1 ist eine ebene Wand oder eine unbewegte Fluidschicht mit der Dickeδc dargestellt. Überall an der Unterseite möge die Konzentration cA0, überall ander Oberseite die Konzentration cAδ herrschen, wobei cAδ < cA0 ist. Aufgrund desKonzentrationsgefälles cA0 − cAδ tritt die Stoffstromdichte nAy in y-Richtung durchdie Platte.

Wenn die Gesamtkonzentration ρ bzw. c überall in der Platte gleich ist, gilt fürden Stofferhaltungssatz Gl. (1.84) nach Division durch ˜MA:

∂cA

∂t+ ∇[cA �w − (DAB +Dt )∇cA] − νAr = 0. (2.1)

Handelt es sich um eine stationäre, eindimensionale Diffusion in y-Richtung mitortsunabhängigen Diffusionskoeffizienten DAB und treten in der Platte weder Kon-vektionsströme (�w = 0) noch chemische Reaktionen (r = 0) auf, vereinfacht sichGl. (2.1) zu:

DABd2cA

dy2 = 0. (2.2)

Die Diffusion wird als äquimolar angesehen, und es gilt die einfachste Form desFickschen Gesetzes. Dieses Gesetz darf auch bei nichtäquimolarer Diffusion (s.Abschn. 1.1.3) angewendet werden, wenn die mittlere Konzentration der diffun-dierenden Komponente genügend klein ist im Vergleich zur Gesamtkonzentration.Diese Bedingung ist bei der überwiegenden Zahl der praktisch bedeutsamen Diffu-sionsvorgänge erfüllt. Hierauf ist die große Bedeutung des Fickschen Gesetzes fürdie äquimolare Diffusion zurückzuführen.

Eine zweimalige Integration der Gl. (2.2) liefert:

cA = c1y + c2. (2.3)

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2.1 Stationäre Diffusion 57

Abb. 2.2 Stationäre Diffusion mit homogener chemischer Reaktion (nach Mersmann 1986),a Diffusion mit der Randbedingung (dcA/dy)y=S = 0, b Diffusion in der Konzentrationsgrenzschichtmit der Dicke δc und Reaktionsfront im Abstand y = δc

Die Integrationskonstanten C1 und C2 ergeben sich aus den Randbedingungen:

1. RB: Für y = 0 ist cA = cA0.2. RB: Für y = δc ist cA = cAδ.

Mit C2 = cA0 und C1 = (cAδ − cA0)/δc erhält man schließlich:

cA − cA0

cAδ − cA0= y

δc. (2.4)

Demzufolge liegt ein linearer Zusammenhang zwischen den Größen cA und y vor.Ein lineares Konzentrationsprofil ist nicht nur in einer ebenen Wand, sondern auch inder Fluidschicht zu erwarten, sofern darin keine makroskopische Strömung auftritt.Die Gültigkeit von Gl. (2.4) setzt weiterhin voraus, dass es sich um eine ebeneGeometrie handeln muss.

2.1.2 Diffusion mit homogener chemischer Reaktion

Bei homogenen Reaktionssystemen ist der diffusive Stofftransport mit einer chemi-schen Reaktion gekoppelt. Es gibt zahlreiche chemisch-physikalische und technischeVorgänge, bei denen eine Komponente A durch einen Feststoff, eine Paste oder einmakroskopisch unbewegtes Fluid diffundiert und dabei ein Teil des Stoffes A miteinem Reaktanden im festen oder fluiden Medium homogen reagiert. So dringt z. B.Sauerstoff in ein festes oder halbfestes Lebensmittel (Käse, Butter) ein und ist dannwesentlich an Verderbsreaktionen beteiligt. Bei der biologischen Abwasserreinigunggelangt Sauerstoff aus dem Innern einer Luft- oder Sauerstoffblase ins umgebendeAbwasser und wird darin von den Mikroorganismen verbraucht. Die linke Seitea) von Abb. 2.2 zeigt, wie eine Komponente A in das Medium B (poröser oderpastenartiger Feststoff oder makroskopisch unbewegtes Fluid) diffundiert und darin

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58 2 Diffusion in ruhenden Medien

chemisch abreagiert. Dabei möge es sich um eine Reaktion erster Ordnung bezüglichder Komponente A handeln.

In Abb. 2.2b ist ein Teil einer Gasblase dargestellt. An der Blasenoberflächeherrscht die Konzentration c∗

A0, welche mit dem Partialdruck pA im Innern derBlase im thermodynamischen Gleichgewicht steht. Die Flüssigkeit in der Nähe derPhasengrenzfläche bewegt sich mit der Blase aufwärts, sodass keine zusätzlicheKonvektion auftritt.

Im Weiteren wird zunächst das Konzentrationsprofil der Komponente A im Me-dium B und anschließend die Stoffstromdichte von A berechnet. Dies geschiehtunter Berücksichtigung der beiden unterschiedlichen Randbedingungen gemäßAbb. 2.2. Weiterhin soll die Diffusion der Komponente A durch das entstehendeReaktionsprodukt AB nicht beeinflusst werden.

Ausgangspunkt ist die Stoffbilanz für die KomponenteA. Wenn keine konvektivenStröme vorhanden sind und stationäre Diffusion nur in y-Richtung auftritt, erhält manfür eine infinitesimale Schicht mit der Dicke dy aus der Stoffbilanz nach Gl. (2.1):

DABd2cA

dy2 = k1cA. (2.5)

Hierin ist k1 die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante der chemischen Reaktion ge-mäß der Gleichung rA = vAr = −k1cA.Der Index 1 zeigt die Reaktionsordnung 1 an.Diese gewöhnliche Differenzialgleichung zweiter Ordnung lässt sich mit folgendemAnsatz lösen:

cA = C1 exp

(

−√

k1

DABy

)

+ C2 exp

(√

k1

DABy

)

. (2.6)

Die Randbedingungen der Vorgänge gemäß Abb. 2.2a und b sind unterschiedlich.Zuerst soll der Fall a behandelt werden. Hierfür lauten die Randbedingungen:

1. RB: Für y = 0 ist cA = c∗A0.

2. RB: Für y = s ist

(

dcA

dy

)

y=s

= 0. (Durch die feste Wand kann A nicht hindurch-

treten.)

Unter Verwendung dieser Randbedingungen können die Integrationskonstanten C1

und C2 bestimmt werden, woraus sich folgendes Konzentrationsprofil cA = f(y)ergibt:

cA

c∗A0

=cosh

[

k1s2/DAB(1 − y/s)]

cosh√

k1s2/DAB

. (2.7)

Den Verlauf der hyperbolischen Funktionen sinh, cosh und tanh zeigt Abb. 2.3.

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2.1 Stationäre Diffusion 59

Abb. 2.3 Darstellung derVerläufe der hyperbolischenFunktionen sinh, cosh undtanh

Aus der Kenntnis des Konzentrationsfeldes lässt sich nun die StoffstromdichtenAy(y = 0) der Komponente A, die über die Phasengrenzfläche transportiert wird,berechnen:

nAy(y = 0) = −DAB

(

dcA

dy

)

y=0

. (2.8)

Wenn die Konzentration cA in Gl. (2.7) nach der Koordinate y differenziert und derDifferenzialquotient in Gl. (2.8) eingesetzt wird, erhält man:

nAy(y = 0) = c∗A0

DAB k1 tanh

k1s2

DAB. (2.9)

Gl. (2.9) zeigt, dass die Stoffstromdichte nAy(y = 0) der Oberflächenkonzentrati-on c∗

A0 und damit bei Gültigkeit des Henryschen Gesetzes (Gl. (3.28)) auch demPartialdruck pA der Komponente A im Gasraum proportional ist. Dagegen bestehtkein einfacher Zusammenhang zwischen der Stoffstromdichte und den Größen DAB

sowie k1.Mit

Da ≡ k1s2

DAB

(

= Reaktionsgeschwindigkeit

Diffusionsgeschwindigkeit

)

(2.10)

wird die Damköhlerzahl1 bezeichnet, die in der vorliegenden Form für einehomogene Reaktion erster Ordnung gilt. Sie lässt sich als das Verhältnis aus Reak-tionsgeschwindigkeit k1s und Diffusionsgeschwindigkeit DAB/s deuten. In Abb. 2.4ist das Ergebnis der Gl. (2.7) für fünf Werte der Damköhlerzahl Da dargestellt. Für

1 Gerhard Damköhler (1908–1944), deutscher Chemiker, begründete die chemische Reaktionstech-nik am Institut für physikalische Chemie in Göttingen.

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60 2 Diffusion in ruhenden Medien

Abb. 2.4 Konzentrationsverteilungen bei stationär verlaufender, homogener Reaktion in einerebenen Schicht

Da → 0 stellt sich über den ganzen Querschnitt der ebenen Schicht cA/c∗A0 = 1

ein, da die Reaktionsgeschwindigkeit im Vergleich zur Diffusionsgeschwindigkeitverschwindend klein wird. Die chemisch umgesetzten Moleküle der Komponente Awerden durch Diffusion sofort nachgeliefert. Innerhalb der Schicht kann die Konzen-tration der Komponente A daher nicht abnehmen. Die Reaktion ist demzufolge derlangsamere der beiden Vorgänge. Im zweiten Grenzfall, Da → ∞, ist die Diffusions-geschwindigkeit verschwindend klein im Vergleich zur Reaktionsgeschwindigkeit.Bei derartig hohen Reaktionsgeschwindigkeiten wird demzufolge die Diffusion dergeschwindigkeitsbestimmende Schritt für den Ausgleich des Konzentrationsprofils.

Die Randbedingungen gemäß Abb. 2.2b unterscheiden sich von Fall a dadurch,dass nicht im Abstand (y = s) von der Phasengrenzfläche dcA/dy = 0 angenommenwird, sondern nunmehr die Komponente A durch eine Konzentrationsgrenzschichtmit der Dicke δc diffundiert und innerhalb dieser Schicht mit dem Reaktanden Breagiert. Außerhalb der Grenzschicht möge überall die konstante Konzentration cAδherrschen. Die mathematischen Randbedingungen lauten dann:

1. RB: Für y = 0 ist cA = c∗A0

2. RB: Für y = δc ist cA = cAδ .

Hiermit lassen sich wiederum die Konstanten C1 und C2 des LösungsansatzesGl. (2.6) bestimmen und damit der Konzentrationsverlauf:

cA

c∗A0

= cAδ/c∗A0sinh(

√Da y/δc) + sinh(

√Da(1 − y/δc))

sinh√

Da. (2.11)

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2.1 Stationäre Diffusion 61

Das Konzentrationsprofil cA = f(y) hängt demzufolge von den Konzentrationen c∗A0

und cAδ, der Damköhlerzahl und der Schichtdicke δc ab.Die Stoffstromdichte nAy(y = 0) an der Phasengrenzfläche für den Fall b in

Abb. 2.2 ergibt sich wiederum nach Gl. (2.8) und unter Nutzung von Gl. (2.11) zu:

nAy(y = 0) = DAB

k1

DAB

[

c∗A0

tanh√

Da− cAδ

sinh√

Da

]

. (2.12)

Hier zeigt sich, dass die Stoffstromdichte nicht der Konzentrationsdifferenz(c∗

A0–cAδ) proportional ist.In Abschn. 1.3 wurde mit Gl. (1.27) der Stoffübergangskoeffizient β eingeführt,

der als Quotient aus der Stoffstromdichte nAy und einer Konzentrationsdifferenz�cA

definiert wurde, also:

β ≡ nAy

ΔcA.

Bei dem Beispiel nach Abb. 2.2b liegt es nahe, für die treibende Konzentrations-differenzzu �cA = c∗

A0 − cAδ zu setzen. Im Falle einer chemischen Reaktion wirddie Verwendung des Stoffübergangskoeffizienten problematisch, da die Stoffstrom-dichte nicht linear mit der Konzentrationsdifferenz ansteigt. Diese Schwierigkeitwird üblicherweise dadurch umgangen, dass anstelle des Stoffübergangskoeffizien-ten β für den Fall des rein physikalischen Transports ohne chemische Reaktion dasProdukt β E aus Stoffübergangskoeffizient β und einem Beschleunigungsfaktor Ebenutzt wird. Die Stoffstromdichte beträgt also im Falle der Stoffübertragung mitchemischer Reaktion:

(

nAy(y = 0))

R= βEΔcA. (2.13)

Wenn die Damköhlerzahl (Gl. (2.10)) viel größer als eins ist, liegt eine schnellechemische Reaktion mit sehr großer Reaktionsgeschwindigkeitskonstante k1 vor.Die Komponente A reagiert dann schon in einer dünnen Schicht der Dicke δc abund diffundiert nicht weit in das Medium B. Die Konzentration cAδ im Inneren derFlüssigkeit (y > δc) ist also sehr klein und kann vernachlässigt werden (cAδ ≈ 0).Dann vereinfacht sich Gl. (2.12), da tanh

√Da ≈ 1 ist, zu:

nAy (y = 0) ≈ c∗A0

DABk1. (2.14)

Bei rein physikalischer Absorption ergibt sich mit cAδ = 0:

nAy(y = 0) = βc∗A0. (2.15)

Das Verhältnis der Stoffstromdichten nach den Gln. (2.12) und (2.15) ist für cAδ ≈ 0gleich dem Beschleunigungsfaktor E. Hierfür erhält man mit β = DAB/δc (aus derFilmtheorie, s. Kap. 3):

E =√

DABk1/β2

tanh√

DABk1/β2. (2.16)

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62 2 Diffusion in ruhenden Medien

Abb. 2.5 Zusammenhang zwischen dem Beschleunigungsfaktor E und der Hattazahl Ha

Der Stoffübergangskoeffizient β kennzeichnet die Stoffübertragung für den Fall, dasskeine chemische Reaktion auftritt. Der Ausdruck

Ha ≡√

DABk1/β2

wird als Hattazahl2 bezeichnet (Hatta 1932). Die Abb. 2.5 zeigt den Zusammenhangzwischen Beschleunigungsfaktor und Hattazahl gemäß Gl. (2.16).

Mit abnehmender Reaktionsgeschwindigkeitskonstante verringert sich die Be-schleunigung der Stoffübertragung. Die Stoffstromdichte nähert sich dem kleinstenWert bei rein physikalischer Stoffübertragung (E → 1). Für Ha ≤ 0,3 gilt aufgrundder Eigenschaften des Tangens Hyperbolicus tanh Ha ≈ Ha und damit E ≈ 1. Wennandererseits eine sehr schnelle chemische Reaktion vorliegt, also Ha � 1 ist, reagiertdie Komponente A in einer sehr dünnen Konzentrationsgrenzschicht und gelangt garnicht ins Innere des Mediums B. Für Ha > 2 ist tanh Ha ≈ 1 und damit E = Ha. Dannspielen weder die Dicke δc (δc → 0) noch der Stoffübergangskoeffizient β (β → ∞)eine Rolle. Die Stoffübertragung hängt allein noch von der Geschwindigkeit derchemischen Reaktion ab, sofern nur ein Stoffübergangswiderstand in der flüssigenPhase mit der Überschusskomponente B vorhanden ist.

Die in diesem Abschnitt durchgeführten Betrachtungen zeigen exemplarisch dieBedeutung der Randbedingungen für die Lösung einer Differenzialgleichung. Trotzidentischer Differenzialgleichungen ergeben sich stark differierende Ergebnisse fürdie unterschiedlichen Bedingungen.

2 Shiorji Hatta unterrichtete an der Tohoku Universität, Japan. Entwickelte erstmalig die in diesemAbschnitt dargestellten Zusammenhänge unter Einführung der Hattazahl.

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2.1 Stationäre Diffusion 63

2.1.3 Diffusion mit heterogener chemischer Reaktion

Es wird nochmals das Beispiel gemäß Abb. 2.1 betrachtet, diesmal soll sich jedochbei y = δc eine Oberfläche befinden, an der eine heterogene chemische Reaktionabläuft, die den Stoff A verbraucht und zu B umsetzt. Heterogene Reaktionen findenan der Grenzfläche zweier aneinandergrenzender Phasen statt. Bei der heterogenenKatalyse ist dies üblicherweise die Oberfläche des Katalysators, und die Reaktantenbefinden sich in dem den Katalysator umgebenden Fluid. Die Reaktionsrate wirddementsprechend vom Transport der Reaktanten zur Grenzfläche und dem Rück-transport der Produkte in das Fluid beeinflusst. Reale Katalysatoren weisen in allerRegel eine poröse Struktur auf, um eine möglichst große Reaktionsoberfläche zu rea-lisieren. Daher findet ein zusätzlicher Stofftransport im Inneren der Poren statt, derdurch die Diffusion gesteuert wird. An dieser Stelle werden der Einfachheit halberporenfreie Oberflächen betrachtet, wie sie beispielsweise bei Oxidationsreaktionen,die durch Platindraht katalysiert werden, auftreten.

Im Gegensatz zu homogenen Reaktionssystemen sind bei heterogenen ReaktionenStofftransport und Stoffumwandlung hintereinander geschaltet. Damit ist auch kei-ne Beschleunigung des Stofftransportes möglich, da der Stoffübergangskoeffizientdurch die heterogene Reaktion nicht beeinflusst wird. Die beschreibende differen-zielle Stoffbilanz ist demzufolge wiederum durch Gl. (2.2) gegeben. Die durchzweifache Integration gewonnene Lösung ist wiederum Gl. (2.3). Es ändert sichdurch die heterogene Reaktion lediglich die zweite Randbedingung, die nun lautet:

2. RB: Für y = δc

nAy(y = δc) = −DABdcA

dy= −νA · rw. (2.17)

Der durch den rein diffusiven Stofftransport die Wand erreichende Molenstrom wirddurch die Reaktion vollständig verbraucht. Da heterogene Reaktionen an die Ober-fläche gebunden sind, wird die Reaktionsrate als flächenbezogene Größe angegeben,beispielsweise für eine Reaktion erster Ordnung:

rAw = vArw = −vAk1wcAw = −kA1wcAw. (2.18)

Die Größe cAw stellt die Konzentration von A in unmittelbarer Oberflächennähe dar,die sich im Gleichgewicht zur Konzentration von A auf der Oberfläche befindet.Damit ergibt sich für das Konzentrationsprofil (s. Abb. 2.6):

cA

cA0= 1 − Daw

1 + Daw

y

δc. (2.19)

Hierbei gilt für die Damköhlerzahl Daw:

Daw ≡ kA1wδc

DAB. (2.20)

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64 2 Diffusion in ruhenden Medien

Abb. 2.6 Konzentrationsprofile in einer ebenen Schicht bei einer heterogenen chemischen Reaktion

Analog zur homogenen Reaktion lässt sich ein Effektivitätsfaktor für den Stofftrans-port definieren:

η ≡ tatsächliche Konzentration an katalytischer Oberfläche

max. mögliche Konzentration an katalytischer Oberfläche= cAw

cA0. (2.21)

Unter Verwendung von Gl. (2.19) ergibt sich:

η = 1

1 + Daw. (2.22)

Bei schnellen Reaktionen (Daw → ∞) gilt η → 0 somit cAw → 0 (s. Abb. 2.6b). Fürden Stofffluss gilt dann:

nA = DAB

δccA0. (2.23)

Dies ist der rein diffusive Molenfluss für cAw = 0. In diesem Fall ist die Diffusiongeschwindigkeitsbestimmend, es liegt eine Diffusionshemmung vor.

Für langsame Reaktionen Da → 0 gilt η → l (Abb. 2.6, c). Damit gilt für denStoffumsatz:

nA = kA1wcA0. (2.24)

Es liegt eine reine Limitierung über die Reaktionskinetik (Reaktionshemmung ) vor.Die Lösung zeigt, dass bei Vorliegen einer heterogenen chemischen Reaktion

im Gegensatz zur homogenen Reaktion keine Beschleunigung des Stofftransportsauftritt. Die heterogene Reaktion bewirkt lediglich eine Veränderung der Randbe-dingungen für den diffusiven Transport, während die homogene Reaktion in denTransport selbst eingreift, wie der Vergleich der entsprechenden Bilanzgleichungen(2.2) und (2.5) verdeutlicht.

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2.2 Instationäre Diffusion 65

2.2 Instationäre Diffusion

Die in Kap. 1 angegebenen partiellen Differenzialgleichungen (1.84, 1.90, 1.96) fürdie allgemeinen Stoffbilanzen umfassen auch die instationären Diffusionsvorgänge.Diese treten in einer großen Zahl technischer Anwendungen auf und werden deshalbhier etwas ausführlicher behandelt.

Für die eindimensionale Diffusion der Komponente A in y-Richtung in einemruhenden ebenen System ohne chemische Reaktion vereinfacht sich Gl. (1.84) zu:

∂cA

∂t= DAB

∂2cA

∂y2. (2.25)

Eine der verschiedenen Methoden zur Lösung dieser Gleichung besteht darin, dieVariablen zu trennen (s. z. B. Crank 1956). Es wird eine Lösung der Form

cA = Y (y)T (t) (2.26)

unterstellt, worinY(y) und T(t) Funktionen der Ortskoordinate y bzw. der Zeit t sind.Die allgemeine Lösung ergibt sich als Summe von Lösungen:

cA =∞∑

m=1

(Am sin (�my) + Bm cos (�my)) exp(−�2

m DABt)

. (2.27)

Die Konstanten Am, Bm und λm sind durch die Anfangs- und Randbedingungen desProblems zu finden.

2.2.1 Instationäre Diffusion ohne chemische Reaktion in einerPlatte

Betrachtet man die instationäre Diffusion in einer ebenen Schicht mit der Dicke δc

und nimmt an, dass die Komponente A am Anfang zur Zeit t = 0 gleichmäßig inder Platte verteilt ist, während an der Oberfläche stets cA = 0 herrscht (s. Abb. 2.7),ergeben sich die Anfangs- bzw. Randbedingungen:

AB: cA = cAα für t = 0 und 0 < y < δc.

1. RB: cA = 0 für y = 0 und t ≥ 0.2. RB: cA = 0 für y = δc und t ≥ 0.

Die Randbedingungen liefern

Bm = 0 und �m = mπ

δc,

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66 2 Diffusion in ruhenden Medien

Abb. 2.7 Zeitliche Entwicklung der Konzentrationsprofile in einer ebenen Platte nach Gl. (2.30)(links); schematische Darstellung der Konzentrationsverläufe (rechts)

und die Anfangsbedingung führt dann zu:

cAα =∞∑

m=1

Am sin

(

mπy

δc

)

für 0 < y < δc. (2.28)

Durch Multiplikation beider Seiten dieser Gleichung mit sin (pπy/δc) und Integrationvon 0 bis δc ergeben sich folgende Beziehungen:

δc∫

0

sin

(

pπy

δc

)

sin

(

mπy

δc

)

dy =⎧

0 für m �= p,δc

2für m = p

(2.29)

Alle Terme mit geraden Werten von m verschwinden. Außerdem ergibt sich Am zu:

Am = 4cAα

mπmit m = 1,3,5 . . .

Die allgemeine Lösung lautet somit:

cA (y, t)

cAα= 4

π

∞∑

n=0

1

2n+ 1exp(−DAB(2n+ 1)2π2t/δ2

c

)

sin

(

(2n+ 1) πy

δc

)

(2.30)

Hierin ist m = (2n + 1), sodass die Größe n die Werte n = 0, 1, 2 . . . annimmt.Gl. (2.30) konvergiert gut für mittlere und lange Zeiten.

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2.2 Instationäre Diffusion 67

Die in Gl. (2.30) auftretende Parameterkombination DAB t/δ2c ist die charakteri-

stische dimensionslose Größe für instationäre Stofftransportvorgänge. Sie wird alsFourierzahl bezeichnet:

Fo ≡ DAB · tδc

2 . (2.31)

Eine etwas andere Lösung ergibt sich für den Fall, dass zu Beginn (t = 0) diePlatte keinen Stoff A enthält (cA = 0) und an der einen Oberfläche (y = 0) dieKonzentration cAw und an der Oberfläche (y = δc) die Konzentration cAδ aufrechterhalten wird. Die Anfangs- und Randbedingungen lauten dann:

AB: cA = 0 für 0 < y < δc und t = 01. RB: cA = cAw für y = 0 und t ≥ 0.2. RB: cA = cAδ für y = δc und t ≥ 0.

Die Lösung für diesen Fall lautet:

(cA(y) − cAw) − (cAδ − cAw)y

δc= 2

π

∞∑

n=1

cAδcos(nπ ) − cAw

n

× sin

(

nπy

δc

)

exp

(

−DABn2π2t

δ2c

)

. (2.32)

Nach unendlich langer Zeit (t → ∞) verschwindet die rechte Seite dieser Gleichung(1/e∞ = 0), und der Vorgang wird stationär. Das Konzentrationsprofil in der Platteist dann linear und identisch mit Gl. (2.4) (vgl. Abb. 2.1):

cA(y) − cAw

cAδ − cAw= y

δc.

Weitere Lösungen von Gl. (2.25) ergeben sich bei veränderten Randbedingungen.Exemplarisch sei hier der sogenannte unendliche Halbraum betrachtet. Hierunter isteine Schicht zu verstehen, deren eine Seite begrenzt ist, während auf der anderenSeite eine Diffusion in einen unbeschränkten Raum hinein stattfindet. In diesem Falllauten die Anfangs- und Randbedingungen:

AB: cA = cA∞ für 0 < y < ∞ und t = 0.1. RB: cA = cAw für y = 0 und t ≥ 0.2. RB: cA = cA∞ für y → ∞ und t ≥ 0.

Als Lösung für die dimensionslose Konzentration ξ ergibt sich in diesem Fall:

ξ (y, t) ≡ cA(y, t) − cA∞cAw − cA∞

= 1 − erf

(

y√4 DAB t

)

. (2.33)

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68 2 Diffusion in ruhenden Medien

Abb. 2.8 GaußscheFehlerfunktion

In Abb. 2.8 ist der Verlauf der Gaußschen Fehlerfunktion

erf (x) = 2√π

x∫

0

e−t2 dt (2.34)

dargestellt. Die Abb. 2.9 enthält die mit Gl. (2.33) beschriebene zeitabhängigeKonzentrationsverteilung.

Die Verschiebungen, die einzelne Moleküle infolge der Brownschen Molekular-bewegung ausführen, lassen sich mit einer Verteilungsfunktion erfassen. Als mittlereVerschiebung ergibt sich (s. z. B. Jost 1972):

Δy2 = 2DABt. (2.35)

Demzufolge benötigen Moleküle zum Zurücklegen einer Distanz√

�y2 von 1 cmin:

• Gasen (DAB = 5 × 10−5 m2/s) t ≈ 1 s• Flüssigkeiten (DAB = 10−10 m2/s) t = 5,7 Tage• Feststoffen (DAB = 10−12 m2/s) t = 1,6 Jahre

Diese Werte illustrieren, dass bei Flüssigkeiten allein aufgrund der Diffusion kei-ne wirtschaftliche Vermischung möglich ist, wenn größere Längenskalen �y zuüberwinden sind. Müssen dagegen nur 10 μm als Distanz überwunden werden (Mi-kromischer, s. Abschn. 18.4), so reduziert sich der Zeitbedarf um den Faktor 106 auf0,5 s.

Der instationäre Stofffluss in das Medium hinein berechnet sich aus Gl. (2.33)gemäß:

nA|y=0 = −DAB∂cA

∂y

y=0,t

= DABcAw − cA∞√π DAB t

. (2.36)

Die Tangente an den Konzentrationsverlauf bei y = 0 geht demzufolge durchden Punkt cA = cA∞ für y = √

πDABt. Die Distanz y = √πDABt wird als

Page 15: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

2.2 Instationäre Diffusion 69

Abb. 2.9 Konzentrationsverteilung durch Diffusion für den unendlichen Halbraum

Penetrationstiefe bezeichnet, die die Strecke repräsentiert, innerhalb derer der Kon-zentrationsunterschied cAw – cA∞ bei y = 0 auf 20 % des ursprünglichen Wertsabfällt.

Gleichung (2.36) ist eine der wichtigen Beziehungen für technische Stofftrans-portvorgänge, sie wird als Penetrationstheorie bezeichnet (s. Abschn. 3.1.3). Diesegeht davon aus, dass in fluiden Systemen Fluidelemente aus dem Kern der Phasean die Phasengrenzfläche gelangen und dort über eine bestimmte Kontaktzeit dif-fusiv einen Stoff aufnehmen oder abgeben. Dieser erreicht allerdings nur geringeEindringtiefen, sodass Gl. (2.36) diesen Vorgang beschreibt. Die Zahl erfolgreicherAnwendungen dieser Theorie ist sehr hoch, da die Bestimmung einer charakteristi-schen Zeit für den Stofftransport in vielen technischen Fällen möglich ist.Als Beispielseien Gaswäscher genannt, in denen Tropfen in einen Gasstrom eingedüst werdenund während ihres Fallweges aus der Gasphase eine oder mehrere Komponentenaufnehmen. Wenn die Penetrationstiefe

√πDABt geringer als der Tropfenradius R

ist, kann vereinfachend angenommen werden, dass die Flüssigkeit halbunendlichausgedehnt ist. Die Beziehung

πDABt R (2.37)

lässt sich dimensionslos darstellen:

Fo = DABt

R2 0,3. (2.38)

Im Fall eines Flüssigkeitstropfens von 2 mm Durchmesser mit DAB = 2×10−9 m2/sentspricht dies einer Zeit von t 3 150 s. Für die exakte Berechnung s. Abschn. 2.2.2.

3 Unter den Zeichen sowie� wird üblicherweise mindestens ein Unterschied von einer Größen-ordnung also einer Zehnerpotenz verstanden.

Page 16: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

70 2 Diffusion in ruhenden Medien

Wird der Stoffübergangskoeffizient zur Beschreibung des momentanen Stoffflus-ses verwendet

nA|y=0 = β(t)(cAw − cA∞), (2.39)

so folgt für den momentanen Stoffübergangskoeffizienten:

β(t) =√

DAB

πt. (2.40)

Dauert der Penetrationsprozess eine Kontaktzeit τ, so ergibt sich der mittlereStoffübergangskoeffizient durch Integration:

β = 1

τ

τ∫

0

β(t) dt = 2

DAB

πτ. (2.41)

2.2.2 Instationäre Diffusion in einer Kugel

Die in diesem Abschnitt behandelte Diffusion innerhalb einer Kugel dient auchals grundsätzliches Beispiel für die Herleitung des Zusammenhangs zwischen demKonzentrationsfeld und dem Stoffübergang repräsentiert durch den Stoffübergangs-koeffizienten β.

Für den Fall einer rein radial erfolgenden Diffusion, wie dies in einer Kugel auf-tritt, aus der eine Komponente A herausdiffundiert, vereinfacht sich die Stoffbilanzgemäß Gl. (1.96) zu:

∂cA

∂t= DAB

1

r2

∂r

(

r2 ∂cA

∂r

)

. (2.42)

Die Kugel bestehe aus einem Feststoff oder einem unbewegten Fluid. Die Gleichun-gen werden für folgende Anfangs- und Randbedingungen gelöst:

AB: cA = cAα für t = 0 und 0 ≤ r < R.1. RB: cA = cA0 für t ≥ 0 und r = R.2. RB: ∂cA/∂r = 0 für t ≥ 0 und r = 0 (aufgrund Symmetrie).

Damit ergibt sich folgende Lösung der Differenzialgleichung (2.42) in dimensions-loser Form (erstmalig von Newman 1931 s. auch Crank 1956):

ξA(r ,t) ≡ cA(r ,t) − cA0

cAα − cA0= −2R

πr

∞∑

n=1

(−1)n

nsin(nπr

R

)

exp

(

−DABn2π2t

R2

)

.

(2.43)

Page 17: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

2.2 Instationäre Diffusion 71

Abb. 2.10 Konzentrationsverhältnis ξA in Abhängigkeit vom bezogenen Radius r/R für unter-schiedliche Fourierzahlen bei instationärer Diffusion in einer Kugel

Für t → ∞ verschwindet der Exponentialausdruck, sodass cA = cA0 bzw. ξA = 0wird. Das System befindet sich im Gleichgewicht, und der Stofftransport ist abge-schlossen. In Abb. 2.10 ist das Konzentrationsverhältnis abhängig vom bezogenenRadius r/R mit der dimensionslosen Zeit, also der Fourierzahl, als Parameter dar-gestellt. Der Index 1 kennzeichnet die Kugel und die dort vorliegenden Stoffdaten,während die Umgebung mit dem Index 2 gekennzeichnet wird (s. insb. Abschn. 7.4und 7.5).

Die mittlere Konzentration ξA des diffundierenden Stoffes ergibt sich über dieIntegration des Konzentrationsfelds

ξA = 1

V

V∫

0

ξA dV = 3

4πR3

R∫

0

ξA · 4πr2 dr = 3

R3

R∫

0

ξAr2 dr (2.44)

als:

ξA = 6

π2

∞∑

n=1

1

n2exp

(

−n2π2 DAB · tR2

)

. (2.45)

Unter Verwendung dieser Konzentration lässt sich der zeitabhängige, mittlereStoffübergangskoeffizient β bestimmen. Dieser Koeffizient beschreibt den zeitlichgemittelten Stoffstrom bezogen auf die Kugeloberfläche und die treibende Konzen-trationsdifferenz:

NA ≡ AKugel · β ·ΔcA,ln = VKugelcAα − cA

t(2.46)

Page 18: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

72 2 Diffusion in ruhenden Medien

Abb. 2.11 Zeitabhängigkeit der mittleren Konzentration sowie des Stoffübergangs in einerruhenden Kugel, nur Innenwiderstand bei reiner Diffusion (Re = 0). (s. auch Abschn. 7.5.6)

mit der logarithmischen Konzentrationsdifferenz:

ΔcA,ln = (cAα − cA0) − (cA − cA0)

lncAα − cA0

cA − cA0

. (2.47)

Aus beiden Gleichungen folgt

β = −R3tln ξA (2.48)

und mit Gl. (2.45)

β = −dp6t

ln

[

6

π2

∞∑

n=1

1

n2exp

(

−n2π2 DAB · tR2

)

]

(2.49)

bzw. unter Einführung der charakteristischen dimensionslosen Kennzahl zur Be-schreibung des Stofftransports, der zeitlich gemittelten Sherwoodzahl4 Sh:

Sh ≡ βdp

DAB= − 2

3Foln

[

6

π2

∞∑

n=1

1

n2exp(−Foπ2n2

)

]

. (2.50)

Die zeitliche Entwicklung der Konzentration und des Stoffübergangskoeffizienten inForm der dimensionslosen Darstellung zeigt Abb. 2.11. Ebenfalls eingetragen ist der

4 Thomas Kilgore Sherwood 1903–1976, amerikanischer Verfahrenstechniker, veröffentlichtegrundlegende Lehrbücher zum molekularen und konvektiven Stofftransport.

Page 19: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

2.4 Aufgaben 73

instationäre Stoffübergangskoeffizient, der sich aus der Penetrationstheorie gemäßGl. (2.41) ergibt. Die entsprechende dimensionslose Formulierung lautet:

Sh = 4√π

Fo−1/2. (2.51)

Bei niedrigen Fourierzahlen stimmen die Ergebnisse der Gln. (2.50) und (2.51)überein. Für Fo > 0,01 ergeben sich höhere Stoffübergangskoeffizienten für dieallgemeine Lösung (Gl. (2.50)) des Problems. Ein Charakteristikum instationärerAustauschprozesse ist die Ausbildung eines konstanten, von null verschiedenenasymptotischen Endwerts, wie es auch Abb. 2.11 zeigt (Sh → 6,58). Zwar geht derpro Zeit übertragene Stoffstrom für t → ∞ gegen null, doch dies wird durch die dannebenfalls gegen null gehende treibende Konzentrationsdifferenz (Gl. (2.47)) erfasst.Der Stoffübergangskoeffizient kann daher einen endlichen Endwert annehmen.

2.3 Verständnisfragen

1. Skizzieren Sie den Konzentrationsverlauf beim Stoffübergang von einer festenKugel (cAw) an ein umgebendes Fluid, dessen Konzentration an A in unendlicherEntfernung cA∞ beträgt. Nutzen Sie die zugehörige Bilanzgleichung.

2. Wie lauten typische Randbedingungen bei stationärer Diffusion in ruhendenMedien?

3. Welches Verhältnis kennzeichnet die Damköhlerzahl?4. Skizzieren Sie die stationären Konzentrationsverteilungen bei einer homogenen

chemischen Reaktion in einer ebenen, unbewegten Schicht bei gleichzeitigemStoffübergang.

5. Welchen Effekt beschreibt der Beschleunigungsfaktor E, und wie ist er definiert?Wie hängt E von der Hattazahl ab?

6. Durch welchen Term in der differenziellen Bilanzgleichung wird eine heterogenechemische Reaktion berücksichtigt?

7. Wie lautet die charakteristische Randbedingung bei Auftreten heterogener che-mischer Reaktionen?

8. Skizzieren Sie die Konzentrationsprofile bei der instationären Diffusion ohnechemische Reaktion in einer ebenen Platte. (Annahme t = 0: in der Platte cA, ander Phasengrenze cA = 0 auf beiden Seiten der Platte) für verschiedene Zeiten.

2.4 Aufgaben

1. Helium lässt sich aus Erdgas über ein Diffusionsverfahren gewinnen. Dieses Ver-fahren basiert darauf, dass bestimmte Materialien (z. B. Pyrex-Glas) für sämtlichegasförmigen Komponenten bis auf Helium nahezu undurchlässig sind. Bei einem

Page 20: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

74 2 Diffusion in ruhenden Medien

solchen Diffusionsverfahren durchströmt das heliumhaltige Erdgas ein zylindri-sches Pyrex-Glasrohr der Länge L. Dabei diffundiert Helium durch die Rohrwand(Innendurchmesser D, Wanddicke s) nach außen.5

Annahmen:

1. Die molare Gesamtkonzentration c ist konstant.2. Die anderen Komponenten des Erdgasgemisches diffundieren nicht durch die

Pyrex-Glasrohrwand.3. Der Diffusionskoeffizient DHe/Pyr ist konstant.4. Der Molanteil des Heliums im Erdgas yHe 1.

Bestimmen Sie, ausgehend von der differenziellen Massenbilanz in der Glasrohr-wand, den Massenstrom des Heliums durch die Rohrwand in Abhängigkeit vomDiffusionskoeffizienten DHe/Pyrex, der Helium-Konzentration an der inneren undäußeren Berandung des Pyrex-Glasrohres und den Rohrabmessungen.

2. In einem kugelförmigen 1-Liter-Stahltank mit 2 mm Wandstärke wird Wasserstoffbei 400 ◦C gelagert. Der Anfangsdruck beträgt 9 bar, außen herrscht ein Vaku-um. Der Diffusionskoeffizient beträgt DH2/Stahl (400 ◦C) = 1,7 × 10−9 m2/s,die Stahldichte 7800 kg/m3. Für die Löslichkeit von H2 in Stahl gilt folgendeBeziehung für die Massenkonzentration:

ρH2 = ρSt 2,09 × 10−4exp

(

−3950K

T

)

(p/1bar)1/2

Nach welcher Zeit ist der Druck auf 5 bar gefallen?

Hinweise:

1. Da die Wandstärke klein im Vergleich zum Tankradius ist, kann der Vorgangals Diffusion durch eine ebene Schicht betrachtet werden.

2. Quasistationärer Vorgang.

3. Ein kugelförmiger Kristall aus Kupfersulfat (ρs = 3600 kg/m3) mit dem RadiusR0 = 5 mm fällt durch einen Tank, der mit reinem Wasser von 30 ◦C gefüllt ist.Dabei löst sich das Sulfat langsam auf.Für eine erste Abschätzung der Auflösungsgeschwindigkeit wird angenommen,dass das Teilchen von einem unbewegten Flüssigkeitsfilm der Dicke δ = 0,1 mmumgeben ist, in dem ein reiner Diffusionsprozess abläuft. Die Sättigungskon-zentration des Kupfersulfats in Wasser beträgt 169 g/L, der DiffusionskoeffizientDCuSO4/H2O = 6,2 × 10−10 m2/s. An der Filmaußenseite liegt reines Wasser vor.Der Vorgang kann als stationär angesehen werden.Wie groß ist die Auflösegeschwindigkeit?

5 Nach (Bird et al. 2002).

Page 21: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

2.4 Aufgaben 75

4. Das Ranzigwerden von Butter beruht zum Teil darauf, dass die ungesättigtenFettsäuren (etwa 35 Mass-%) durch Sauerstoff oxidiert werden. Durch dieseOxidation entstehen Peroxide, deren Abbauprodukte den Geschmack der Butterbeeinträchtigen. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass eine ma-ximale Peroxidkonzentration von 5 mol Peroxid/m3 Butter gerade noch zulässigist. Vereinfacht entstehen die Peroxide durch eine bimolekulare Reaktion6.

RH + O2 → ROOH

Die Reaktion sei bezüglich der Sauerstoffkonzentration 1. Ordnung mit einerReaktionsgeschwindigkeit von 0,43 × 10−5 1/s.Untersuchungen an kompakten Lebensmitteln haben gezeigt, dass das Feld derSauerstoffkonzentration schnell ausgebildet ist und sich dann zeitlich kaum nochändert.

a. Bilanzieren Sie in einem infinitesimalenVolumenelement den Sauerstofftrans-port in der Butter. Stellen Sie die Gleichung für die Sauerstoffkonzentrationin der Butter über eine Stoffbilanz für die Richtung senkrecht zur Oberflächeauf.

Hinweis:

Die Lösung der Differenzialgleichung für die Sauerstoffkonzentration lautetmit den entsprechenden Randbedingungen:

1. RB: bei y = 0 ist cS = cS0

2. RB: bei y = s ist dcS/dy = 0

cS = cS0

cosh

k1s2

Ds

(

1 − y

s

)

cosh

k1s2

Ds

.

b. Stellen Sie dazu die instationäre Differenzialgleichung für die Peroxidkon-zentration analog zum Teil a) auf.

c. Berechnen Sie die Lagerzeit einer Butterschicht der Dicke 0,035 m, wenn diezulässige Peroxidkonzentration 3 mm unterhalb der Oberfläche der Butter-schicht nicht überschritten werden darf. Die Oberflächenkonzentration beträgt7,3 mol O2/m3 Butter, der Diffusionskoeffizient 0,22 × 10−10 m2/s.

Hinweis:

Der Diffusionskoeffizient Dp der Peroxide ist nahezu null, weil sie in der Butterfest gebunden sind.

6 Nach (Mersmann 1986).

Page 22: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

76 2 Diffusion in ruhenden Medien

5. Bei der heterogenen Reaktion 1. Ordnung von CO zu CO2 ist die Güte derKatalysatoren von großer Bedeutung. Es herrsche konstanter Druck und kon-stante Temperatur. Der Diffusionskoeffizient beträgt 4,0 × 10−5 m2/s. Es stehendrei unterschiedlich alte Katalysatoren mit den Reaktionsgeschwindigkeitenkw1 = 6,7 × 10−7 m/s, kw2 = 8,3 × 10−3 m/s und kw3 = 5,2 m/s zur Verfügung.

a. Ermitteln Sie die Wandkonzentrationen unter der Annahme, dass die Konzen-tration in einer Entfernung von mehr als 0,5 mm 0,5 kmol/m3 beträgt.

b. Zeichnen Sie den Verlauf der Konzentrationen für die verschiedenen Dam-köhlerzahlen in ein Diagramm.

6. Eine in wässriger Lösung von 25 ◦C dispergierte, kugelförmige Luftblase (Mo-lanteil yO2 = 0,21) mit dem Anfangsdurchmesser dB0 = 5 mm verarmt durchchemische Reaktion in der Gas/Flüssigkeits-Phasengrenzfläche an Sauerstoff.Für die Molstromdichte des abreagierenden Sauerstoffs gilt:

nO2 = k c∗O2

2/3

mit k = 3,02 × 10−3 mol1/3/s. Die Phasengrenzflächenkonzentration c∗O2

ergibtsich aus dem thermodynamischen Gleichgewicht und lässt sich mittels Henry-Gesetz yO2

pges = H · c*O2

(H = 9,46 · 104 Nm/mol, gebildet mit der molarenKonzentration in der Flüssigkeit und dem Partialdruck im Gas) berechnen. DerGesamtdruck pges = 1,2 × 105 Pa sei ebenso wie der WasserdampfpartialdruckpSW = 3,2 × 103 Pa konstant (T = 25 ◦C). Es gilt das ideale Gasgesetz.

a. Geben Sie eine Beziehung für den zeitlichen Verlauf der molaren Konzentra-tion des Sauerstoffs an.

b. Nach welcher Zeit ist der gesamte Sauerstoff verbraucht?

7. Aus einer ebenen Kunststoffplatte der Dicke 10 mm soll Wasser durch Trocknungentfernt werden. Dabei wird die Wasserkonzentration in den beiden Oberflächender Platte auf null reduziert. Die Anfangsfeuchte ρW0 beträgt 50 g/L und derDiffusionskoeffizient DWK = 4 × 10−8 m2/h.

a. Nach welcher Zeit ist die mittlere Wasserkonzentration in der Platte auf 1 g/Lreduziert?

b. Welche zusätzliche Zeit wird benötigt, wenn die mittlere Konzentrationlediglich 0,1 g/L betragen soll?

8. Ein Wassertropfen mit einem Durchmesser von 2 mm fällt mit einer statio-nären Geschwindigkeit von 1,8 m/s 4 m tief durch die Luft. Zu Beginn enthälter keinen Sauerstoff. Die thermodynamische Gleichgewichtskonzentration desSauerstoffs in Wasser lässt sich nach dem Henry-Gesetz gemäß obiger Aufgabe 6berechnen7.

7 Nach (Beek et al. 1999).

Page 23: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Diffusion in ruhenden Medien

Literatur 77

a. Wie groß ist die mittlere Sauerstoffkonzentration nach 4 m?b. Wie groß ist die Konzentration nach 4 m für den Fall, dass der Tropfen zu

Beginn bereits 5 mg O2/L enthält?c. Welche Tropfengröße ist erforderlich, um den Stoffübergangskoeffizienten

zu verdoppeln? Die Fallgeschwindigkeit ist proportional zur Wurzel desDurchmessers.

Literatur

Allgemein

Baehr HD, Stephan K (2010) Wärme- und Stoffübertragung. 7. Aufl. Springer, BerlinBeek WJ, Muttzall KMK, Heuven JW van (1999) Transport Phenomena. 2. Aufl. John Wiley,

ChichesterBird RB, Stewart WE, Lightfoot EN (2002) Transport phenomena. 2. Bd. John Wiley, New YorkBrauer H (1971) Stoffaustausch. Sauerländer, AarauMersmann A (1986) Stoffübertragung. Springer, Berlin

Speziell

Crank J (1956) The mathematics of diffusion. Oxford University Press, LondonHatta S (1932)Absorption velocity of gases by liquids II. Theoretical consideration of gas absorption

due to chemical reaction. Techn Rpts Tohoku Imp Univ 10:119–135Jost W, Hauffe K (1972) Diffusion, Methoden der Messung und Auswertung. Steinkopff-Verlag,

DarmstadtNewman AB (1931) The drying of porous solid. Diffusion and surface emission effects. TranS

AIChE 27:203