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Kapitel 6 Strömungen an ebenen Platten In diesem Kapitel werden Transportvorgänge an ebenen Oberflächen untersucht. Im Gegensatz zur Rohrströmung handelt es sich hier um eine Um- und keine Durch- strömung, daher kann die Strömung dem Hindernis ausweichen. Eine erzwungene Strömung, die hier betrachtet wird, kann durch ein Gebläse oder eine Pumpe erzeugt werden. Die besondere Bedeutung dieser speziellen Geometrie liegt nicht allein in den unmittelbaren technischen Anwendungen (z. B. Wärmeübergang in Plattenwär- metauschern und an Rippenflächen oder Stoffübergang bei der Überströmung von Membranoberflächen). Vielmehr ermöglichen die an der Platte zu beobachtenden Phänomene ein grundlegendes und damit auch übertragbares Verständnis für Trans- portvorgänge. Die Gesetzmäßigkeiten der Platte werden wie die der Rohrströmung entsprechend häufig auf andere komplexere Geometrien angewendet. Ziel des Kapitels ist die Erläuterung und Berechnung des Geschwindigkeitsfelds an ebenen Platten sowie des dort auftretenden Stoffübergangs. Hierzu werden zuerst die Geschwindigkeitsprofile bei laminarer und turbulenter Überströmung erläutert. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die vereinfachende mathematische Be- schreibung durch Verwendung der Grenzschichttheorie gelegt. Die Bestimmung des Stoffübergangs erfolgt mittels einer differenziellen Massenbilanz, die zu dimensions- losen Berechnungsgleichungen für die Sherwoodzahlen führt. Die Besonderheiten, die durch den Stoffübergang mit einseitiger Diffusion entstehen, werden anschlie- ßend analysiert. Am Kapitelende werden die Konsequenzen heterogener chemischer Reaktionen für den Stoffübergang betrachtet. 6.1 Impulstransport An der Plattenoberfläche gilt dieWandhaftung, und damit ist die Geschwindigkeit des Fluids dort gleich null. Die Geschwindigkeit w x parallel zur Plattenoberfläche steigt mit zunehmendem Plattenabstand vomWert null bis zur konstanten Geschwindigkeit w x. Vereinfachend lässt sich das Strömungsgebiet in eine Grenzschichtströmung und eine Außenströmung aufteilen. Hierbei repräsentiert die Grenzschichtströ- mung den reibungsbehafteten Teil des Strömungsfelds und die Außenströmung den reibungsfreien Teil. Der Druck kann mit der Längenkoordinate x variieren. M. Kraume, Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik, 165 DOI 10.1007/978-3-642-25149-8_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

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Kapitel 6Strömungen an ebenen Platten

In diesem Kapitel werden Transportvorgänge an ebenen Oberflächen untersucht. ImGegensatz zur Rohrströmung handelt es sich hier um eine Um- und keine Durch-strömung, daher kann die Strömung dem Hindernis ausweichen. Eine erzwungeneStrömung, die hier betrachtet wird, kann durch ein Gebläse oder eine Pumpe erzeugtwerden. Die besondere Bedeutung dieser speziellen Geometrie liegt nicht allein inden unmittelbaren technischen Anwendungen (z. B. Wärmeübergang in Plattenwär-metauschern und an Rippenflächen oder Stoffübergang bei der Überströmung vonMembranoberflächen). Vielmehr ermöglichen die an der Platte zu beobachtendenPhänomene ein grundlegendes und damit auch übertragbares Verständnis für Trans-portvorgänge. Die Gesetzmäßigkeiten der Platte werden wie die der Rohrströmungentsprechend häufig auf andere komplexere Geometrien angewendet.

Ziel des Kapitels ist die Erläuterung und Berechnung des Geschwindigkeitsfeldsan ebenen Platten sowie des dort auftretenden Stoffübergangs. Hierzu werden zuerstdie Geschwindigkeitsprofile bei laminarer und turbulenter Überströmung erläutert.Besonderes Augenmerk wird dabei auf die vereinfachende mathematische Be-schreibung durch Verwendung der Grenzschichttheorie gelegt. Die Bestimmung desStoffübergangs erfolgt mittels einer differenziellen Massenbilanz, die zu dimensions-losen Berechnungsgleichungen für die Sherwoodzahlen führt. Die Besonderheiten,die durch den Stoffübergang mit einseitiger Diffusion entstehen, werden anschlie-ßend analysiert. Am Kapitelende werden die Konsequenzen heterogener chemischerReaktionen für den Stoffübergang betrachtet.

6.1 Impulstransport

An der Plattenoberfläche gilt dieWandhaftung, und damit ist die Geschwindigkeit desFluids dort gleich null. Die Geschwindigkeit wx parallel zur Plattenoberfläche steigtmit zunehmendem Plattenabstand vom Wert null bis zur konstanten Geschwindigkeitwx∞. Vereinfachend lässt sich das Strömungsgebiet in eine Grenzschichtströmungund eine Außenströmung aufteilen. Hierbei repräsentiert die Grenzschichtströ-mung den reibungsbehafteten Teil des Strömungsfelds und die Außenströmung denreibungsfreien Teil. Der Druck kann mit der Längenkoordinate x variieren.

M. Kraume, Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik, 165DOI 10.1007/978-3-642-25149-8_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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166 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.1 Geschwindigkeitsprofil w(x, y) in Abhängigkeit von der Lauflänge an einer überströmtenebenen Platte bei laminarer und turbulenter Grenzschichtströmung

Von der Plattenvorderkante an bildet sich zunächst eine laminare Grenzschicht(s. Abb. 6.1). Diese wird ab einer bestimmten Lauflänge bzw., allgemeinerformuliert, ab einer bestimmten, mit der Lauflänge x gebildeten ReynoldszahlRe ≡ x · wx∞/ν ≥ 6 × 104 instabil. Während unterhalb dieser Reynoldszahl dieStrömung immer laminar ist, klingen oberhalb der genannten Reynoldszahl klei-ne Störungen nicht mehr ab. Die Strömung wird noch nicht vollständig turbulent,sondern auf den laminaren Bereich folgt ein Übergangsbereich mit teils laminarer,teils turbulenter Strömung, und erst ab einer hinreichend großen Reynoldszahl Rekrit

von

Rekrit = 105 bis 3 · 106

wird die Strömung voll turbulent. Der Umschlag hängt stark von der Rauigkeit derPlatte und dem Zulauf an ihrer Vorderkante ab.

In unmittelbarer Nähe einer festen Wand werden auch in einer vollturbulen-ten Strömung die turbulenten Schwankungsbewegungen gedämpft. In der dünnenlaminaren Unterschicht überwiegt die Wirkung der Viskosität ν gegenüber dem tur-bulenten Impulsaustauschkoeffizienten νt (auch scheinbare turbulente Viskosität; s.Abschn. 1.4).

Die mathematische Strömungsberechnung lässt sich bei hohen Reynoldszahlen(ReL ≡ wx∞ · L/ν > 102) unter Verwendung der von Prandtl (1904) aufgestelltenGrenzschichttheorie durchführen. Diese geht davon aus, dass der Impulstransportvon dem Fluid an die Platte lediglich in einer dünnen Grenzschicht, die direkt ander Plattenoberfläche haftet, stattfindet. Außerhalb dieser Grenzschicht bewege sichdas Fluid reibungsfrei mit konstanter Geschwindigkeit wx∞, also von der Platte(s. Abb. 6.1) unbeeinflusst (Potenzialströmung). Die Dicke der Grenzschicht δwird als derjenige Abstand definiert, innerhalb dessen die Geschwindigkeit in x-Richtung wx 99 % des Wertes der Geschwindigkeit außerhalb der Grenzschicht

Page 3: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.1 Impulstransport 167

wx∞ erreicht. Diese Definition hat den mathematischen Hintergrund, dass die phy-sikalische Beschreibung des Geschwindigkeitsprofils zu dem Ergebnis führt, dasswx∞ erst in unendlicher Entfernung von der Platte erreicht wird. Um trotzdemeinen sinnvollen Eindruck von der Zunahme der Geschwindigkeit an der Platteno-berfläche zu bekommen, wird der Wert wx(δ) = 0,99 wx∞ für die Definition derGrenzschichtdicke herangezogen. InAbb. 6.1 ist dieAusdehnung der Grenzschicht iny-Richtung drastisch überhöht dargestellt, um die grundsätzlichen Zusammenhängezu verdeutlichen.

6.1.1 Laminare Grenzschicht

Zunächst wird der Impulstransport an der parallel angeströmten ebenen Platte in derlaminaren Grenzschicht betrachtet. Es wird angenommen, dass die Geschwindigkeitder Außenströmung bekannt ist. Für die Betrachtungen der laminaren Grenzschichtwerden folgende Voraussetzungen getroffen:

• die Strömung sei stationär,• die Strömung sei zweidimensional (eben),• die Stoffwerte seien konstant (u. a. ∂ρ/∂t = 0),• die Temperaturerhöhung in Folge der Dissipation sei vernachlässigbar,• die Massenkräfte seien vernachlässigbar und• chemische Reaktionen kommen nicht vor.

Unter den angegebenen Voraussetzungen lauten die Kontinuitätsgleichung (Gl.(1.79)) und die Navier-Stokesschen Gleichungen (Gl. (1.80) und (1.81)):

∂wx

∂x+ ∂wy

∂y= 0, (6.1)

ρ

(

wx∂wx

∂x+ wy

∂wx

∂y

)

= −∂p∂x

+ η

(

∂2wx

∂x2+ ∂2wx

∂y2

)

, (6.2)

ρ

(

wx∂wy

∂x+ wy

∂wy

∂y

)

= −∂p∂y

+ η

(

∂2wy

∂x2+ ∂2wy

∂y2

)

. (6.3)

ZurAbschätzung der Größenordnung der einzelnen Terme in dem Gleichungssystem(Gl. (6.1) bis (6.3)) werden zunächst dimensionslose Größen eingeführt:

ReL = wx∞ · Lν

, X = x

L, Y = y

δ,

mit

δ = L√ReL

„mittlere Grenzschichtdicke“,p∗ = p

ρw2x∞

, w∗x = wx

wx∞,

w∗y = wy

wx∞·√ReL (folgt aus der Kontinuitätsgleichung).

Page 4: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

168 6 Strömungen an ebenen Platten

Das obige Gleichungssystem nimmt durch Einführung der dimensionslosen Größenfolgende Form an:

∂w∗x

∂X+ ∂w∗

y

∂Y= 0, (6.4)

w∗x

∂w∗x

∂X+ w∗

y

∂w∗x

∂Y= −∂p

∂X+ 1

ReL

∂2w∗x

∂X2+ ∂2w∗

x

∂Y 2, (6.5)

1

ReL

(

w∗x

∂w∗y

∂X+ w∗·

y

∂w∗y

∂Y

)

= −∂p∗

∂Y+ 1

Re2L

∂2w∗y

∂X2+ 1

ReL

∂2w∗y

∂Y 2. (6.6)

Für große Reynoldszahlen (ReL → ∞) werden alle Glieder mit den Faktoren1/ReL bzw. 1/Re2

L vernachlässigbar klein gegenüber den anderen Gleichungster-men. (Anm.: Hierbei wird nicht betrachtet, dass für ReL → ∞ eigentlich turbulenteVerhältnisse bestehen.) Überführt man nach der Vernachlässigung dieser Gliederdie Gleichungen wieder in die dimensionsbehaftete Formulierung, so erhält manein Gleichungssystem, das unter dem Namen Prandtlsche Grenzschichtgleichungenbekannt ist:

∂wx

∂x+ ∂wy

∂y= 0, (6.1)

ρ

(

wx∂wx

∂x+ wy

∂wx

∂y

)

= −∂p∂x

+ η∂2wx

∂y2, (6.7)

∂p

∂y= 0. (6.8)

Gleichung (6.8) zeigt ein wesentliches Ergebnis der Grenzschichthypothese, nämlichdass sich der Druck in der Grenzschicht nicht vom Druck in der anschließendenPotenzialströmung unterscheidet, die Außenströmung prägt der Grenzschicht ihrenDruck auf. Gleichung (6.7) ist lediglich numerisch oder durch Potenzreihenansätzelösbar (s. z. B. Baehr und Stephan 2010, S. 371 ff.). Für den Gradienten an der Wandlässt sich mit dieser Lösung zeigen, dass gilt:

(

∂wx

∂y

)

y=0

= 0, 332

w3x∞

νx. (6.9)

Wählt man, wie üblich, die Grenzschichtdicke δ gleich dem Plattenabstand, beiwelchem wx(δ) = 0,99 · wx∞ ist, ergibt sich aus der Rechnung (s. z. B. Schlichtingund Gersten 1997):

(6.10a)

Die Grenzschichthypothese ist ein sehr instruktives Hilfsmittel für das grundsätzli-che Verständnis von Strömungsvorgängen. Allerdings beinhaltet sie auch eine Reihe

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6.1 Impulstransport 169

Abb. 6.2 Vergleich von Stromlinien für ein reales Fluid und für eine Fluidströmung gemäß derGrenzschichthypothese. (Nach Brauer und Sucker 1976a)

Abb. 6.3 Darstellung der Profile der Geschwindigkeitskomponente w∗x parallel zur Plattenoberflä-

che und der Grenzschicht für Re = 10 bei unterschiedlichen Werten der Längskoordinate x∗. (NachBrauer und Sucker 1976a)

von Unzulänglichkeiten. So zeigt Abb. 6.2 den Vergleich einer Stromlinie (als Strom-linie werden diejenigen Kurven bezeichnet, deren Tangentenrichtungen überall mitder Richtung des Geschwindigkeitsvektors übereinstimmen), die aus der Grenz-schichthypothese resultiert, mit einer tatsächlich auftretenden. Die Abweichung derStromlinie von der ursprünglichen Richtung erfolgt bei der Grenzschichthypotheseplötzlich von der Plattenspitze an. Eine Rückkehr der Stromlinie in die ursprüng-liche Richtung hinter der Platte findet nicht statt, da der Bereich hinter der Plattenicht modelliert wird. Die tatsächliche Stromlinie zeigt deutlich, dass die Strömungbereits vor der Platte beeinflusst wird. In einem genügend großen Abstand hinter derPlatte kehrt die Stromlinie in ihre ursprüngliche Richtung zurück.

Für die exakte Beschreibung der Strömung muss das Differenzialgleichungs-system (Gln. (6.1), (6.2) und (6.3)) numerisch gelöst werden. Die Abb. 6.3 und6.4 geben einen Vergleich der berechneten Geschwindigkeitsprofile für wx und wy,die aus der Grenzschichthypothese bzw. der numerischen Berechnung für Re = 10

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170 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.4 Darstellung der Profile der Geschwindigkeitskomponente w∗y senkrecht zur Plattenober-

fläche für Re = 10 bei unterschiedlichen Werten der Längskoordinate x∗. (Nach Brauer und Sucker1976a)

resultieren. Sowohl wx als auch wy sind in den Darstellungen auf die Anströmge-schwindigkeit wx∞ bezogen. Die Ergebnisse der numerischen Berechnung (Abb.6.3 und 6.4 durchgezogene Linien) verdeutlichen, dass die Platte die Strömung be-reits vor der Plattenspitze beeinflusst. Es kommt zu einem Rückstau, der vor derPlatte zu einer Verringerung der Strömungsgeschwindigkeit in x-Richtung führt.Aufgrund der Symmetrie ergibt sich in der Plattenebene vor der Platte die Bedin-gung (∂wx/∂y)y = 0 = 0. An der Plattenspitze kommt es wegen der Wandhaftung zueiner drastischen Geschwindigkeitsabnahme des Fluids zu der Plattenoberfläche hinauf die Geschwindigkeit wx (y = 0) = 0 mit der Folge sehr großer Geschwindigkeits-gradienten. Im Verlauf der Platte nimmt der Geschwindigkeitsgradient an der Wandzunächst ab. Zum Plattenende hin nimmt der Gradient aufgrund der zur Platte gerich-teten Rückströmung des Fluids wieder zu. Hinter der Platte muss der Gradient wegender Symmetrie wiederum den Wert null annehmen. In genügend großer Entfernungvon der Platte gleicht sich das Geschwindigkeitsprofil wieder vollständig aus.

Nach den Ergebnissen der Grenzschichthypothese hat die Platte keinen Einflussauf die Strömung vor der Platte. Entsprechend zeigen die Geschwindigkeitspro-file, die mit Hilfe der Grenzschichthypothese berechnet wurden (Abb. 6.3 und 6.4gestrichelte Linien), höhere Geschwindigkeitsgradienten am Plattenanfang. Die Gra-dienten werden mit zunehmender Lauflänge kontinuierlich kleiner, da nach derGrenzschichthypothese keine Rückströmung zur Platte hin auftreten kann. In dieAbb. 6.3 ist zusätzlich der Verlauf der Grenzschichtdicken für die reale Strömungund entsprechend der Grenzschichthypothese eingetragen, die sich aus den Profilenfür die Geschwindigkeit in x-Richtung ergeben.

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6.1 Impulstransport 171

Abb. 6.5 Bezogene Grenzschichtdicke δ/L als Funktion der Längskoordinate x∗ für ein reales Fluidund für eine Fluidströmung gemäß der Grenzschichthypothese (numerische Ergebnisse von Brauerund Sucker 1976a)

Die Profile der Strömungsgeschwindigkeit in y-Richtung (s. Abb. 6.4) lassensich aus dem Verlauf der Profile der Strömungsgeschwindigkeit in x-Richtung bzw.aus dem Verlauf der Stromlinien (s. Abb. 6.2) erklären. Eine Abbremsung (bzw.Beschleunigung) der Strömung in x-Richtung hat entsprechend der Kontinuitätsglei-chung (6.1) eine Beschleunigung (bzw. Abbremsung) der Strömung in y-Richtungzur Folge. Dieser Effekt wird besonders deutlich durch das Strömungsprofil derGrenzschichthypothese am Plattenanfang. Die im hinteren Plattenbereich zur Plattehin gerichteten Stromlinien der numerisch berechneten realen Strömung bedeuteneine zur Platte gerichtete Geschwindigkeit in y-Richtung. An der Plattenoberflächeergibt sich für den Gradienten (∂wy/∂y)y = 0 stets der Wert null, da die Geschwin-digkeit wx an der Plattenoberfläche für alle Werte der Lauflänge aufgrund derWandhaftung gleich null (wx (y = 0) = 0) und damit auch der Gradient (∂wx/∂x)y = 0

gleich null ist (s. Kontinuitätsgleichung (6.1)).Die Abb. 6.3 und 6.4 verdeutlichen die Ungenauigkeiten, die aus der Anwen-

dung der Grenzschichthypothese entstehen. Dies wird durch Abb. 6.5 nochmalsunterstrichen, in der ein Vergleich der Grenzschichtdicken für unterschiedlicheReynoldszahlen erfolgt. Die Diskrepanz zwischen der numerischen Lösung und demErgebnis der Grenzschichthypothese Gl. (6.10a) nimmt mit fallender Reynoldszahldeutlich zu. Die bei der Herleitung der Grenzschichtgleichungen vorausgesetzte hoheReynoldszahl führt zur Zunahme derAbweichungen mit abnehmender Reynoldszahl.

6.1.2 Turbulente Grenzschicht

Für inkompressible, turbulente Strömungen über einer ebenen Platte wird die Grenz-schichtdicke näherungsweise durch folgende Beziehung beschrieben (zur Herleitungs. z. B. Kaufmann 1963):

Page 8: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

172 6 Strömungen an ebenen Platten

δ = 0,37x

Re0,2x

. (6.10b)

Im Gegensatz zu laminaren Grenzschichten an ebenen Platten variiert also die turbu-lente Plattengrenzschicht nicht mit Rex

−0,5 sondern mit Rex−0,2. Außerdem wächst

die turbulente Grenzschicht schneller mit x als die laminare, nämlich mit x0,8 statt x0,5.

6.1.3 Widerstandsgesetz

Die Reibungskraft Fw, die durch die Überströmung einer Platte entsteht, wird durchden Reibungsbeiwert beschrieben:

ζf ≡ Fw/APl

ρw2x∞/2

. (6.11)

Die Plattenfläche APl ergibt sich bei der einseitig überströmten Platte aus demProdukt Länge L mal Breite B. Die Reibungskraft Fw ergibt sich als Folge derWandschubspannungen τw, die von der Lauflänge x abhängig sind:

Fw = B

x=L∫

x=0

τwdx. (6.12)

Für Newtonsche Flüssigkeiten kann die Schubspannung aus dem Geschwindigkeits-gradienten ermittelt werden. Aus der Grenzschichthypothese ist (∂wx/∂y) an derWand bekannt Gl. (6.9), und damit ergibt sich für den Reibungsbeiwert der laminarenStrömung (Blasius 1908):

ζf = 1,328√Re

. (6.13)

Die numerische Berechnung führt zu einem etwas anderen Resultat. Der Wider-standsbeiwert ist in Abb. 6.6 als Funktion der Reynoldszahl dargestellt.

Die experimentellen Ergebnisse sowie die Resultate der numerischen Berechnungfür die laminare Plattenströmung können mit folgender halbempirischer Gleichungbeschrieben werden (Brauer und Sucker 1976a):

ζflam = 2,65

Re7/8− 1

4Re + 0,008

Re

+ 1,328

Re1/2. (6.14)

Gültigkeitsbereich : 10−2 ≤ Re ≤ Rekrit = 5 · 105

Die Ergebnisse von Gl. (6.14) weichen mit fallender Reynoldszahl zunehmend vondem Ergebnis der Grenzschichttheorie ab.

Page 9: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.2 Stoffübergang 173

Abb. 6.6 Reibungsbeiwert ζ für laminare und turbulente Plattenströmungen. (Nach Brauer undSucker 1976a)

Bei der turbulenten Plattenströmung nimmt der Impulsaustausch infolge derTurbulenz deutlich zu. Dies zeigt sich in der verringertenAbhängigkeit des Reibungs-beiwertes ζf von der Reynoldszahl. Experimentelle Literaturdaten lassen sich nachfolgendem empirischen Widerstandsgesetz (Brauer und Sucker 1976a) beschreiben:

ζfturb = 0,455

( logRe)2,58 − 1

Re

9,9 · 103

1 + 104T u1,7. (6.15)

Gültigkeitsbereich: Rekrit ≤ Re ≤ 109, 0 ≤ T u ≤ 0,1

Zur Berechnung muss der Turbulenzgrad der Strömung

T u =√

w ′2∞/w2∞ (6.16)

bekannt sein. w2∞ stellt hierbei die turbulente Schwankungsgeschwindigkeit dar,

entsprechend ist w ′2∞ der zeitliche Mittelwert des Quadrats der turbulenten Schwan-kungsgeschwindigkeit.

6.2 Stoffübergang

6.2.1 Laminare Strömung

Nachdem das Geschwindigkeitsprofil der laminaren Strömung ermittelt wurde, kannnun die Stoffbilanz gelöst werden. Ein zugehöriges System, welches aus zwei Pha-sen besteht, zeigt Abb. 6.7. Die untere Phase möge fest oder flüssig sein. Sie wird

Page 10: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

174 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.7 Schematische Darstellung der Stoffübertragung von einer unteren L- oder S-Phase in eineobere G- oder L-Phase, in welcher ein Geschwindigkeits- und ein Konzentrationsprofil vorliegen

von einer fluiden Phase laminar überströmt. Die Komponente A wird aufgrund einesKonzentrationsgefälles von der unteren in die obere Phase übertragen. Die hiermitverbundenen Stoffaustauschvorgänge werden z. T. auch zu Kühlzwecken genutzt,wie Abb. 6.8 anhand einiger typische Beispiele verdeutlicht. Zur Wandkühlung kanneine Durchströmung der Wand mit Kühlluft a) bzw. Kühlflüssigkeit b) eingesetztwerden. Der Übergang eines Feststoffs durch Sublimation bzw. nach vorangegange-nem Aufschmelzvorgang c) in eine heiße Gasströmung wird ebenfalls zur Kühlunggenutzt. Bei der Strömung von trockener Luft über eine Wasseroberfläche diffundiertWasserdampf von der Wasseroberfläche in die Luft hinein d). Bei sämtlichen Bei-spielen ist eine wandnormale Geschwindigkeitskomponente wy e) vorhanden, dieentweder vorgegeben werden kann oder gesucht ist.

Im Folgenden wird angenommen, dass die Konzentration cAw an der Phasengrenz-fläche (s. Abb. 6.7) konstant ist. Es soll am Beispiel eines Desorptionsprozesses dieFrage beantwortet werden, wie groß die Stoffstromdichte nAw in die obere Phasehinein ist, in welcher in großer Entfernung von der Phasengrenzfläche die Konzen-tration cA∞ < cAw herrscht. Aufgrund der großen Ausdehnung ändert sich cA∞ trotzdes übergehenden Stoffstroms nicht.

Die örtliche Stoffstromdichte der Komponente A beträgt:

nAw(x) = dNAw

dA= −DAB

(

∂cA(x, y)

∂y

)

y=0

≡ β(x)(cAw − cA∞). (6.17)

Durch diese Gleichung ist der örtliche Stoffübergangskoeffizient β(x) definiert,welcher sich bei bekanntem Konzentrationsgefälle (cAw − cA∞) und bekanntem Dif-fusionskoeffizienten DAB dann berechnen lässt, wenn auch die partielle Ableitung∂cA/∂y an der Phasengrenzfläche bekannt ist. Der mittlere Stoffübergangskoeffizientβ wird durch folgende Gleichung definiert:

NAw ≡ βA(cAw − cA∞). (6.18)

Page 11: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.2 Stoffübergang 175

Abb. 6.8 Beispiele zur technischen Nutzung der Stoffaustauschvorgänge an Platten (a–d) sowieschematische Darstellung der in diesen Fällen auftretenden Strömungen

Die Integration von Gl. (6.17) über die Fläche A liefert mit dA = Bdx, worin B dieBreite der Strömung in z-Richtung ist:

NAw = −DAB

A∫

0

(

∂cA

∂y

)

y=0

dA = −DABB

L∫

0

(

∂cA

∂y

)

y=0

dx. (6.19)

Die Größe L ist die Länge der Phasengrenzfläche.

Page 12: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

176 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.9 DifferenzielleStoffbilanz bei derPlattenströmung

Die mittlere Sherwoodzahl ergibt sich dann zu:

ShL ≡ βL

DAB=

−L∫

0

(

∂cA

∂y

)

y=0

dx

(cAw − cA∞). (6.20)

Zur Bestimmung des Konzentrationsverlaufs wird eine differenzielle Massenbilanzüber ein infinitesimales Volumenelement (s. Abb. 6.9) durchgeführt. Es wird derstationäre Zustand betrachtet. Die Stoffbilanz ergibt:

nx�y�z − nx+�x�y�z + ny�x�z − ny+�y�x�z = 0. (6.21)

Hieraus folgt

nx − nx+�x�x

+ ny − ny+�y�y

= 0

bzw. durch den Grenzübergang �x sowie �y → 0:

dnx

dx+ dny

dy= 0. (6.22)

Die Transportströme setzen sich aus einem konvektiven und einem molekularenAnteil zusammen, so dass gilt:

d

dx

(

wxcA −DAB∂cA

∂x

)

+ d

dy

(

wycA −DAB∂cA

∂y

)

= 0

und unter Berücksichtigung der Kontinuitätsgleichung Gl. (6.1):

wx∂cA

∂x+ wy

∂cA

∂y= DAB

(

∂2cA

∂x2+ ∂2cA

∂y2

)

. (6.23)

Page 13: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.2 Stoffübergang 177

Zur einfacheren Behandlung dieser Gleichung bietet sich wiederum eine Über-führung in die dimensionslose Form an. Da es nur auf Aussagen zur Lösung desGleichungssystems ankommt, und nicht, wie in Abschn. 6.1.1 bei der Herleitung derGrenzschichtgleichungen, auf eine Abschätzung der Größenordnung der einzelnenTerme in einer bestimmten Gleichung, werden alle Größen in den Gleichungen ingleicher Weise dimensionslos gemacht. Es werden folgende dimensionslose Größeneingeführt:

ξ ≡ cA − cA∞cAw − cA∞

,

x∗ ≡ x/L, y∗ ≡ y/L, w∗x ≡ wx/wx∞, w∗

y ≡ wy/wx∞,

ReL = wx∞Lν

, Sc = νDAB

.

Durch Einsetzen in Gl. (6.23) folgt:

w∗x

∂ξ

∂x∗ + w∗y

∂ξ

∂y∗ = 1

ReLSc

(

∂2ξ

∂x∗2+ ∂2ξ

∂y∗2

)

. (6.24)

Diese Differenzialgleichung kann unterVerwendung der Grenzschichthypothese undeiniger vereinfachender Annahmen zur Bestimmung des Konzentrationsgradientenan der Oberfläche genutzt werden (zur Herleitung s. Pohlhausen 1921). Demzufolgegilt für eine starre Oberfläche und Sc > 0,7 für die örtliche oder lokale SherwoodzahlShx und für die mittlere Sherwoodzahl ShL:

Shx = β(x) · LDAB

= 0,332 ·√ReL · Sc1/3

(

L

x

)1/2

, (6.25a)

(6.25b)

Wie bereits in Abschn. 6.1 erläutert wurde, führt die Grenzschichthypothese ins-besondere bei kleinen ReL-Zahlen (ReL < 100) zu größeren Abweichungen von dentatsächlichen physikalischen Verhältnissen. Die numerische Lösung von Gl. (6.24)ermöglicht daher eine exaktere Beschreibung des Stoffübergangs. In Abb. 6.10 wirdbeispielhaft der so berechnete Verlauf der lokalen Sherwoodzahl Shx über der Lauf-länge für ReL = 40 gezeigt. Ergänzend enthält Abb. 6.11 für den Fall der Absorptionan einer Platte einen qualitativen Vergleich der Konzentrationsverläufe, die sichgemäß der numerischen Lösung bzw. der Grenzschichttheorie ergeben. Erwartungs-gemäß liegt der höchste Wert von Shx an der Plattenspitze vor, da hier die höchstenKonzentrationsgradienten auftreten. Mit zunehmender Lauflänge wächst die Grenz-schichtdicke, der konvektive Stofftransport nimmt ab und der Konzentrationsgradientan der Wand und damit auch Shx werden geringer. Am Ende der Platte führt die zurPlatte gerichtete Strömung in y-Richtung (s. Abb. 6.4) zu einem leichten Wieder-anstieg der Sherwoodzahl. Der aus der Grenzschichthypothese abgeleitete Zusam-menhang für Shx Gl. (6.25a) ist ebenfalls in Abb. 6.10 eingetragen. Unmittelbar an

Page 14: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

178 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.10 Darstellung derlokalen Sherwoodzahl Shx fürdie laminare Plattenströmungfür ReL = 40 und verschiedeneWerte der Sc-Zahl

der Plattenspitze ist der lokale Stoffübergangskoeffizient gemäß der Grenzschichthy-pothese aufgrund eines größeren Konzentrationsgradienten an der Plattenoberfläche(s. Abb. 6.11) höher, danach sinkt er unter den Wert der numerischen Lösung. Estritt kein Wiederanstieg von Shx am Plattenende auf, was zwangsläufig aus denvereinfachenden Annahmen der Grenzschichthypothese resultiert.

Für die mittlere Sherwoodzahl ergibt sich aus einer numerischen Berechnung(Brauer und Sucker 1976b) der Zusammenhang:

ShL = 0,8 (ReLSc)0,1 + fp

ReLSc

1 + 1,30(ReLSc)1/2 (6.26)

mit

fp = 1,47[

1 + (1,67Sc1/6)2]1/2 . (6.27)

Abb. 6.11 Qualitative Konzentrationsprofile an einer ebenen Platte nach der Grenzschichttheoriebzw. nach numerischer Lösung der Impuls- und Stoffbilanzen

Page 15: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.2 Stoffübergang 179

Abb. 6.12 MittlereSherwoodzahl bei derlaminaren Plattenströmungfür verschiedene Werte derSchmidtzahl. (Nach Brauerund Sucker 1976b)

Gültigkeitsbereich: 0 ≤ ReL Sc < ∞ mit0 ≤ ReL ≤ Rekrit ≈ 5 × 105

0 ≤ Sc < ∞Gleichung (6.26) enthält zwei wesentliche Grenzgesetze:

(ReLSc) → 0 : Sh = 0,8(ReLSc)0,1, (6.28)

(ReLSc) → ∞ : Sh = fp0,77(ReLSc)1/2 (6.29)

mit

ReL ≤ Rekrit .

Das erste Grenzgesetz gemäß Gl. (6.28) ist in Abb. 6.12 wiedergegeben. Das zwei-te Grenzgesetz nach Gl. (6.29) führt mit der zusätzlichen Bedingung: Sc → ∞und somit fp = 0,88/Sc1/6 auf den mittels der Grenzschichthypothese hergeleitetenZusammenhang Gl. (6.25b).

6.2.2 Turbulente Strömung

Zur Beschreibung des Stofftransports bei turbulenter Strömung hat sich nachstehendeempirische Gleichung, die für den Wärmeübergang hergeleitet wurde (Petukhovund Popov 1963), auch für die mittlere Sherwoodzahl bewährt (Brauer und Sucker1976b):

ShL = 0,037ReL0,8Sc

1 + 2,44ReL−0,1(Sc2/3 − 1)(6.30)

Page 16: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

180 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.13 Abhängigkeit der mittleren Sherwoodzahl von der Reynoldszahl für die laminare unddie turbulente Plattenströmung bei verschiedenen Schmidtzahlen

Gültigkeitsbereich: Rekrit ≤ ReL < ∞0,8 ≤ Sc < ∞

Die Berechnung des übergehenden Stoffstroms erfolgt unter Verwendung der trei-benden Konzentrationsdifferenz cAw − cA∞ (s. Gl. (6.18)). Der Verlauf der mittlerenSherwoodzahl in Abhängigkeit von der Reynoldszahl ist in Abb. 6.13 dargestellt.

6.3 Fluiddynamik und Stofftransport bei hohem Partialdruck

In diesem Abschnitt wird der Fall betrachtet, dass die zwischen der Platte und demFluid ausgetauschten Stoffströme (z. B. infolge einer Verdunstung) solche Größen-ordnungen annehmen, dass die Umströmung der Platte davon beeinflusst wird. Damitunterscheiden sich diese Vorgänge von den bisher betrachteten, in denen die Rück-wirkung des Stoff- bzw. Wärmetransports auf das Geschwindigkeitsfeld nicht auftratbzw. vernachlässigt wurde.

6.3.1 Physikalische Problematik

Die bisherigen Betrachtungen basierten stets auf der Annahme, dass der diffusi-ve Stofftransport gemäß dem Fickschen Ansatz Gl. (1.7) stattfindet. Dies gilt beiäquimolarer Diffusion bzw. bei geringen Stoffströmen. Bei den in diesem Abschnitt

Page 17: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.3 Fluiddynamik und Stofftransport bei hohem Partialdruck 181

betrachteten Systemen tritt dagegen eine einseitige Diffusion auf, die von einem nichtzu vernachlässigenden konvektiven Verdrängungsstrom begleitet ist, der im Rahmender einseitigen Diffusion als Stefan-Strom bereits erläutert wurde (s. Abschn. 1.1.3).Im Weiteren wird ein binäres System zweier Gase betrachtet, da im Wesentlichennur in gasförmigen Systemen derartig hohe Stoffstromdichten auftreten können.

Die Stoffstromdichte der KomponenteA wird durch folgende Gleichung beschrie-ben (s. Abschn. 1.1.3):

meinsA = − DAB

TR/˜MA

dpA

dy+ wvy

pA

TR/˜MA

. (6.31)

wvy ist die in y-Richtung gerichtete Verdrängungsgeschwindigkeit, die sich gemäßGl. (1.14) berechnet als

wvy = − DAB

p − pA

dpA

dy(1.14)

mit dem Gesamtdruck p. Die Verdrängungsgeschwindigkeit ist stets senkrecht zurPlatte gerichtet, bei Absorption zur Platte hin, bei Desorption von der Platte weg.Im Fall kleiner Partialdrücke der Komponente A verschwindet die Verdrängungsge-schwindigkeit, und die Stofftransportgleichung (6.31) geht in den Fickschen Ansatzfür die molekulare Diffusion über.

Die Untersuchung der Auswirkung des Stofftransportes gilt für die laminare Plat-tenströmung und basiert auf der Grenzschichttheorie. Die Differenzialgleichung fürdas Geschwindigkeitsfeld lautet gemäß Gl. (6.7):

ρ ·(

wx∂wx

∂x+ wy

∂wx

∂y

)

= −∂p∂x

+ η∂2wx

∂y2. (6.7)

Die Kontinuitätsgleichung lautet gemäß Gl. (6.1):

∂wx

∂x+ ∂wy

∂y= 0. (6.1)

Der Unterschied zu den Betrachtungen inAbschn. 6.1 ergibt sich aus den verändertenRandbedingungen zur Lösung der Differenzialgleichung (6.7):

y = 0, 0 < x < L:

wx = 0 (Wandhaftung) (6.32)

wy = wvy = − DAB

p − pAw

(

∂pA

∂y

)

w

(6.33)

y → ∞, 0 ≤ x ≤ L:

wx = w∞ (6.34)

wy = w∞ (6.35)

Page 18: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

182 6 Strömungen an ebenen Platten

Im Gegensatz zu Abschn. 6.1 tritt hier die von null verschiedene Verdrängungs-geschwindigkeit wvy in y-Richtung auf. Über Gl. (1.14) hängt wvy von demKonzentrationsfeld ab. Geschwindigkeits- und Konzentrationsprofile sind demzu-folge gekoppelt. Die Stoffbilanz für die Komponente A lautet bei Vernachlässigungdes diffusiven Stofftransports in x-Richtung (∂2pA/∂x2 ≈ 0):

wx∂pA

∂x+ wy

∂pA

∂y= DAB

∂2pA

∂y2. (6.36)

Hierfür gelten folgende Randbedingungen:

1. RB: y = 0, 0 < x ≤ L : pA = pAw (6.37)

2. RB: y → ∞, 0 ≤ x ≤ L : pA = p∞ (6.38)

6.3.2 Geschwindigkeitsprofil

Zur Lösung von Gl. (6.36) werden die lokalen Geschwindigkeiten benötigt. Damitbilden die Gln. (6.1), (6.7) und (6.36) ein gekoppeltes Differenzialgleichungssystem,das nur simultan gelöst werden kann. Diese Lösung kann auf iterativem Weg erreichtwerden (Brauer 1971). Die Darstellung der entsprechenden Ergebnisse wird durchEinführung der sogenannten bezogenen Oberflächengeschwindigkeit c besondersinstruktiv:

c ≡ − 2wvy√νwx∞/L

= 2√νwx∞/L

DAB

p − pA

∂pA

∂y. (6.39)

Im Fall der Absorption bewegt sich der Verdrängungsstrom zur Platte hin (wvy < 0,c > 0), während er sich bei der Desorption von der Platte entfernt (wvy > 0, c < 0). DieGröße wvy ist direkt proportional zu dem Partialdruckgradienten an der Wand.

InAbb. 6.14 ist das Ergebnis der numerischen Lösung dargestellt alsAbhängigkeitdes Geschwindigkeitsverhältnisses wx/wx∞ von dem dimensionslosen Wandabstandy/δw für verschiedene Werte der bezogenen Oberflächengeschwindigkeit c. Manerkennt, dass die Geschwindigkeitsprofile für y/δw = 1 definitionsgemäß in den Wertwx/wx∞ = 0,99 einlaufen. Das Profil mit dem Parameter c = 0 gilt für die äquimolareDiffusion oder wenn kein Stoffaustausch mit der Plattenoberfläche stattfindet.

Tritt ein Massenstrom der KomponenteA in die Plattenoberfläche ein (Absorption,c > 0), so werden die Geschwindigkeitsgradienten an der Plattenoberfläche steiler. ImGrenzfall c → ∞ ist bei jedem dimensionslosen Wandabstand y/δw > 0 dasVerhältniswx/wx∞ = 0,99, d. h. es ist keine Grenzschicht mehr vorhanden. Verlässt hingegen dieKomponente A die Plattenoberfläche (Desorption, c < 0), so geht mit abnehmendenc-Werten der Wandgradient der örtlichen Geschwindigkeit in x-Richtung gegen null.Die dargestellten Geschwindigkeitsprofile zeigen nunmehr einen Wendepunkt. Diebezogene Oberflächengeschwindigkeit c = − 1,24 erweist sich als unterer Grenz-wert. Die Geschwindigkeit der Austrittsströmung wird dann so groß, dass dem-gegenüber die Geschwindigkeit längs der Plattenoberfläche vernachlässigbar ist.

Page 19: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.3 Fluiddynamik und Stofftransport bei hohem Partialdruck 183

Abb. 6.14 Bezogene Ge-schwindigkeitskomponentewx/wx∞ in Abhängigkeit vombezogenen Wandabstand y/δw

für verschiedene Werte derbezogenen Oberflächenge-schwindigkeit c. (Ergebnissenach Brauer 1971)

Abb. 6.15 Partialdruckprofilefür verschiedene Werte derbezogenen Oberflächenge-schwindigkeit c. (Ergebnissenach Brauer 1971)

6.3.3 Konzentrationsprofil

Durch numerische Berechnung lassen sich die Partialdruckprofile mit der bezo-genen Oberflächengeschwindigkeit c als Parameter bestimmen. In Abb. 6.15 sindPartialdruckprofile in Abhängigkeit vom dimensionslosen

Page 20: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

184 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.16 Geschwindigkeits- und Partialdruckprofile bei niedrigen und hohen Partialdrücken

Wandabstand y/δp dargestellt. Die Kurven sind den Geschwindigkeitsprofilenähnlich. Für den bezogenen Wandabstand y/δp = 1 laufen alle Partialdruckprofile de-finitionsgemäß in den Wert ζ = 0,99 ein. Die bezogene Oberflächengeschwindigkeitc = 0 kennzeichnet die vom Stofftransport unbeeinflusste Grenzschichtströmung oderden Fall der äquimolaren Diffusion. Mit wachsenden positiven c-Werten (Absorpti-on) wird der Partialdruckgradient an der Plattenoberfläche größer, und die Dicke derKonzentrationsgrenzschicht nimmt ab. Mit steigendem c nimmt der Gradient ∂pA/∂yan der Wand zu Gln. (6.33) und (6.39) und damit auch der gesamte Stofftransport.Bei c gegen ∞ ist für alle Werte von y/δp > 0 der Partialdruck pA = pA∞, d. h., ei-ne Konzentrationsgrenzschicht ist nicht mehr vorhanden. Demgegenüber wird beinegativen c-Werten der Wandgradient (∂pA/∂y)w mit fallenden Absolutwerten vonc kleiner. Beim Grenzwert c = − 1,24 fallen die dimensionslosen Partialdruckprofilemit den Abszissen in Abb. 6.15 zusammen.

In Abb. 6.16 sind nochmals die Geschwindigkeits- und Konzentrationsprofileschematisch zusammengestellt. Bei niedrigem Partialdruck ergeben sich die bereitsbekannten Profile für den Fall des äquimolaren Stofftransportes. Das Geschwindig-keitsfeld ist unabhängig vom Stofftransport. Dagegen wird der Stofftransport durchdie konvektiven Ströme sowohl in x- als auch in y-Richtung beeinflusst.

Im Fall der Desorption bei hohem Partialdruck wird durch die Verdrängungs-geschwindigkeit das Geschwindigkeits- und das Konzentrationsfeld von der Platte„weggedrückt“. Die Grenzschichtdicken steigen gegenüber der äquimolaren Diffu-sion an. Beide Profile weisen gegenüber dem Fall kleiner Stoffstromdichte geringereGradienten auf. Das bedeutet, dass die Widerstandskraft und die molekulare Diffusi-on verringert wurden. Der Fall derAbsorption stellt sich entsprechend umgekehrt dar.

Page 21: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.3 Fluiddynamik und Stofftransport bei hohem Partialdruck 185

Abb. 6.17 Bezogenerörtlicher Reibungsbeiwertζ eins

fx /ζeins,0fx in Abhängigkeit

vom Betrag der bezogenenOberflächengeschwindigkeitc. (Nach Brauer 1971)

6.3.4 Reibungsbeiwert

Der einseitige Stofftransport beeinflusst den Widerstand, den die Strömung durchReibung an der Plattenoberfläche erfährt. Aus den unter 6.3.2 ermittelten Ge-schwindigkeitsprofilen ergeben sich auch die Geschwindigkeitsgradienten an derPlattenoberfläche. Zur Darstellung der Vorgänge wird der Reibungsbeiwert bei ho-hem Partialdruck (oberer Index: eins) auf den bei niedrigem Partialdruck (obererIndex: eins,0) bezogen und über den Betrag der dimensionslosen Oberflächen-geschwindigkeit c aufgetragen. Die Definition des örtlichen Reibungsbeiwerteslautet:

ζf x ≡ τwx

ρw2x∞/2

(6.40)

Numerisch berechnete Werte des Widerstandsbeiwerts sind in Abb. 6.17 dargestellt.Die Kurve c > 0 gilt für Absorption, c < 0 für Desorption. Für |c| → 0 liegt ein nied-riger Partialdruck vor, und die Kurven münden in ζ eins

fx /ζeins,0fx = 1 ein. Für den Fall

der Desorption ist der Widerstandsbeiwert stets kleiner als bei niedrigem Partial-druck. Dies liegt daran, dass das Geschwindigkeitsprofil von der Platte „weggebla-sen“ wird und der Geschwindigkeitsgradient ∂wx/∂y an der Wand sinkt, mit ihmnimmt auch die Wandschubspannung τwx ab. Im Grenzfall, bei c → −1,24, wird derWiderstandsbeiwert null.

Die einseitige Absorption mit hohem Partialdruck erzwingt einen höheren Wi-derstandsbeiwert, da das Geschwindigkeitsprofil an die Platte „angesaugt“ wird,der Geschwindigkeitsgradient an der Wand ansteigt und die Wandschubspannungwächst. Für c → ∞ geht auch ζfx → ∞.

Page 22: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

186 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.18 Bezogene mittlere Sherwoodzahl Sheins/Sheins,0 in Abhängigkeit vom AP-Wert. (NachBrauer und Mühle 1967)

6.3.5 Mittlere Sherwoodzahl

Die relative Größe des Partialdruckes der Komponente A wird durch eine bezogeneDruckdifferenz ausgedrückt: Die Differenz zwischen dem Partialdruck von A ander Platte zum Gesamtdruck wird auf die Differenz zwischen dem Partialdruck inunendlichem Abstand und dem an der Plattenoberfläche bezogen:

Ap ≡ p − pAw

pA∞ − pAw. (6.41)

Der Zähler drückt gewissermaßen die „Lage“ des Stofftransportes aus, je kleiner dieDifferenz, desto mehr Stoff A ist vorhanden (s. Abb. 6.18). Der Nenner beschreibtdas treibende Partialdruck- bzw. Konzentrationsgefälle. Je geringer der Absolutwertvon Ap, umso mehr muss der einseitige Stofftransport berücksichtigt werden. Für Ap

lassen sich folgende Grenzen bestimmen:

• Absorption (Kondensation): 1 <Ap ≤ ∞,• Desorption (Verdunstung): −∞ ≤Ap ≤ 0.

Zur Bestimmung von Stoffübergangsvorgängen wird der mittlere Stoffübergangsko-effizient β benötigt. Analog zu Gl. (6.18) gilt für den transportierten Massenstrom:

MA = Aβ

TR/˜MA

(pAw − pA∞). (6.42)

In Abb. 6.18 findet analog zu Abb. 6.17 ein Vergleich der Sherwoodzahl bei hohenStoffstromdichten mit demjenigen bei niedrigen statt. Es wird laminare Strömung

Page 23: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.4 Stoffübergang mit heterogener chemischer Reaktion 187

und die Gültigkeit der Grenzschichthypothese vorausgesetzt. Daher gilt für dieSherwoodzahl bei niedrigen Stoffstromdichten in Anlehnung an Gl. (6.25b):

Sheins,0L = 0,664

p

p − pAw

ReLSc1/3. (6.43a)

Bei hohen Partialdrücken lässt sich die mittlere Sherwoodzahl berechnen nach(Brauer und Mühle 1967):

SheinsL = 0,664

p

p − pAw

[

Ap ln

(

Ap

Ap − 1

)]n√

ReLSc1/3. (6.43b)

• Absorption 1 <Ap < ∞ n = 1,4• Desorption −∞ <Ap ≤ 0 n = 1,22

Der Quotient dieser beiden Sherwoodzahlen ist in Abb. 6.18 als Funktion des Parti-aldruckverhältnisses Ap dargestellt. Die Absorption wird durch die Verdrängungsge-schwindigkeit, die bei hohen Partialdrücken auftritt, dahingehend beeinflusst, dassdas Konzentrationsprofil an die Platte gedrückt wird und der Konzentrationsgradientan der Wand steigt, im Grenzfall wird er unendlich groß. Deshalb ist das VerhältnisSheins/Sheins,0 stets größer eins. Für Ap → 1 gilt, dass pA∞ → p geht. Das bedeutet,dass fast nur noch Stoff A über der Platte ist. Die Bedingungen für die Absorptionsind somit außerordentlich gut, und Sheins geht gegen unendlich. Für Ap → ∞ sinddie Partialdrücke pAw und pA∞ bzw. ihre Differenz sehr klein gegenüber dem Ge-samtdruck p. Die Sherwoodzahl Sheins geht in die des Stofftransportes bei niedrigemPartialdruck Sheins,0 über.

Bei der Desorption wird das Konzentrationsprofil „weggeblasen“, und der Gra-dient an der Platte vermindert sich. Entsprechend verschlechtert sich der diffusiveStofftransport, die Sherwoodzahl wird kleiner. Für Ap → 0 gilt, dass pAw → p geht.Der Partialdruckgradient an der Plattenoberfläche geht dann wie das VerhältnisSheins/Sheins,0 der Sherwoodzahlen gegen null. Für Ap → −∞ sind die PartialdrückepA∞ und pAw wieder sehr klein gegenüber dem Gesamtdruck p, bzw. annäherndgleich groß, und man erhält den Fall einseitigen Stofftransportes mit niedrigenPartialdrücken bzw. des äquimolaren Stofftransportes.

6.4 Stoffübergang mit heterogener chemischer Reaktion

An der Oberfläche ebener Platten können heterogen katalysierte Reaktionen ablaufen.Die Beschreibung der durch diese Reaktionen ausgelösten Stoffübergangsvorgängeerfolgt unter Verwendung der Stoffbilanz Gl. (6.23):

wx∂cA

∂x+ wy

∂cA

∂y= DAB

(

∂2cA

∂x2+ ∂2cA

∂y2

)

(6.23)

Im Unterschied zum rein physikalischen Transport ist die Konzentration an derPlattenoberfläche nun keine Konstante mehr. Als Randbedingung zur Lösung von

Page 24: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

188 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.19 Konzentrationsverlauf einer abreagierenden Komponente A auf Höhe der Oberflächeeiner ebenen Platte (y = 0) bei einer heterogenen Reaktion 1. Ordnung. (Nach Sucker und Brauer1979)

Gl. (6.23) ist jetzt einzusetzen, dass der durch die Reaktion verbrauchte Stoffstromgleich dem an die Oberfläche antransportierten Stoffstrom ist (Kopplungsbedin-gung):

(

∂cA

∂y

)

y=0

= kAwn

DABcnAw (6.44a)

bzw. in dimensionsloser Darstellung(

∂cA/cA∞∂y/L

)

= 2 Daw

(

cAw

cA∞

)n

(6.44b)

Zur Lösung von Gl. (6.23) muss das Geschwindigkeitsfeld w(x, y) ebenfalls bekanntsein. Für die laminare Strömung wurde in Abschn. 6.1.1 die Lösung der Ge-schwindigkeitsverteilung bei niedrigen Stoffstromdichten bereits dargestellt. UnterNutzung dieser Ergebnisse sowie der Randbedingungen kann Gl. (6.23) numerischgelöst werden. Ein Beispiel einer solchen Lösung für verschiedene Damköhlerzahlenveranschaulicht Abb. 6.19:

Daw ≡ kAwncn−1A∞L

2DAB. (6.45)

Mit zunehmender Damköhlerzahl sinkt die Konzentration der reagierenden Kompo-nente an der Plattenoberfläche bis auf null ab. Im Nachlaufgebiet hinter der Plattesteigt die Konzentration cA aufgrund des Konzentrationsausgleichs wieder an. DerKonzentrationsabfall vor der Platte ist auf den diffusiven Transport in Strömungsrich-tung zurückzuführen, der durch den Konzentrationsgradienten an der Plattenspitzeausgelöst wird.

Für die Berechnung der örtlichen Molstromdichte nA(x) kann folgende Beziehunggenutzt werden:

nA(x) ≡ β(x)cA∞. (6.46)

Page 25: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.4 Stoffübergang mit heterogener chemischer Reaktion 189

Abb. 6.20 Darstellung derörtlichen Sherwoodzahl Shx

in Abhängigkeit von derdimensionslosenLängenkoordinate x∗ beieiner heterogenen Reaktion1. Ordnung. (Nach Suckerund Brauer 1979)

die gleichzeitig die Definitionsgleichung für den örtlichen Stoffübergangskoeffizien-ten β(x) ist. Wie bei der heterogenen Reaktion im durchströmten Rohr (Abschn. 5.3)wird keine Konzentrationsdifferenz zur Bestimmung von nA(x) genutzt, sondern dieKonzentration cA∞ allein. Dies ist notwendig, da die Konzentration cAw, die zurBestimmung der Konzentrationsdifferenz benötigt würde, unbekannt ist.

Die numerische Bestimmung des Konzentrationsfeldes liefert auch den Konzen-trationsgradienten an der Wand. Damit kann der molare Fluss der Komponente Aberechnet werden:

nA(x) = −DAB

(

∂cA(x)

∂y

)

y=0,x

. (6.47)

Damit ist es möglich, die lokalen Sherwoodzahlen

Shx ≡ β(x)L

DAB(6.48)

in Abhängigkeit von der Damköhlerzahl zu bestimmen. Die Abhängigkeit der Sher-woodzahl Shx von der dimensionslosen Längenkoordinate x∗ = x/L zeigt Abb. 6.20für verschiedene Damköhlerzahlen Daw. Bei niedrigen Damköhlerzahlen nimmt dieSherwoodzahl konstante Werte an, was darauf zurückzuführen ist, dass der Stoff-transport nur über die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmt wird. Dieser Zustand wirdals reaktionsgehemmt (cAw = cA∞) bezeichnet. Dagegen ergeben hohe Damköhler-zahlen einen Verlauf der Sherwoodzahl, der demjenigen des rein physikalischenTransports entspricht (vgl. Abb. 6.20). Hier wird der Stoffübergang nur über diephysikalische Transportmechanismen begrenzt, es liegt eine Diffusionshemmung

Page 26: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

190 6 Strömungen an ebenen Platten

Abb. 6.21 Darstellung der mittleren Sherwoodzahl ShL in Abhängigkeit von der PecletzahlPe = ReL × Sc für verschiedene Werte der Damköhlerzahl. (Nach Brauer 1985)

vor. Dieser Fall ist bei Daw → ∞ gleichbedeutend mit dem rein physikalischenStofftransport ohne chemische Reaktion.

Bei der Auslegung von Reaktoren interessiert im Allgemeinen die insgesamt um-gesetzte Stoffmenge. Diese hängt von der mittleren molaren Stoffstromdichte nA ab,die berechnet wird gemäß:

nA ≡ βcA∞. (6.49)

Hierin ist β der mittlere Stoffübergangskoeffizient, der sich aus einer Integration desörtlichen Koeffizienten β(x) über die Plattenlänge L ergibt (s. Gl. (6.20)).

Die Ergebnisse entsprechender numerischer Rechnungen in Form einer Auf-tragung der mittleren Sherwoodzahl in Abhängigkeit von der KonvektionszahlPe = Re · Sc zeigt Abb. 6.21. Folgende Grenzgesetzmäßigkeiten treten auf:

• Daw → ∞: Die Reaktionsgeschwindigkeit ist im Vergleich zur Stofftransportge-schwindigkeit unendlich groß. Es liegt Diffusionshemmung vor, und es gelten diefür den physikalischen Transport ohne Reaktion abgeleiteten Zusammenhänge (s.Abschn. 6.2, Gl. (6.26)).

• Pe → ∞, Daw endlich: Der physikalische Stoffübergang ist so gut, dass bis zurWand die Konzentration cA∞ herrscht. Damit gilt für den Transportstrom:

βcA∞ = kAw1cA∞ → Sh = β · LDAB

= 2kAw1L

DAB · 2= 2Daw. (6.50)

Der Stoffübergang ist damit reaktionskontrolliert.

Page 27: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.5 Verständnisfragen 191

• Pe → 0: Hier gilt:

Sh = kP e0,1. (6.51)

Für den Faktor k ergeben sich folgende Grenzwerte: k → 0 für Daw → 0 und k → 0,8für Daw → ∞.

Zu beachten ist, dass die sogenannte Reaktionshemmung allein durch dieDefinitionsgleichung von β(x) Gl. (6.46) deutlich wird. Würde die tatsächli-che treibende Konzentrationsdifferenz cA∞ − cAw eingesetzt, so würden sich dieGesetzmäßigkeiten des rein physikalischen Transports ergeben.

Der Einfluss der Reaktionsordnung n ist in den üblichen Bereichen für n gering.

6.5 Verständnisfragen

1. Skizzieren und erläutern Sie das Geschwindigkeitsprofil in Abhängigkeit vonder Lauflänge an einer überströmten ebenen Platte bei laminarer und turbulenterGrenzschichtströmung.

2. Von welchen vereinfachenden Annahmen geht die Grenzschichthypothese aus?3. Wie lautet die Gleichung für die Grenzschichtdicke nach der Grenzschichthy-

pothese?4. Skizzieren und erläutern Sie die Geschwindigkeitsprofile wx und wy an der

Oberfläche einer überströmten Platte sowie im Bereich vor und hinter der Platte.5. Warum werden selbst auf eine infinitesimal dünne Platte von der Strömung

Kräfte übertragen?6. Skizzieren Sie die Abhängigkeit des Widerstandsbeiwerts von der Re-Zahl für

die Plattenströmung.7. Leiten Sie die differenzielle Stoffbilanz für die Plattenströmung ab.8. Stellen Sie den Zusammenhang zwischen lokaler Sherwoodzahl Shx und

der Lauflänge dar, wie er sich bei laminarer Strömung gemäß numerischerBerechnung und Grenzschichthypothese ergibt.

9. Skizzieren Sie den Zusammenhang zwischen der Pecletzahl und der mittle-ren Sherwoodzahl bei der laminaren Plattenströmung. Woraus ergibt sich derEinfluss der Schmidtzahl?

10. Stellen Sie schematisch die Auswirkung eines hohen Partialdrucks der überge-henden Komponente auf das Geschwindigkeits- und das Konzentrationsprofilbei der Ab- und der Desorption dar.

11. Wann und warum nimmt der lokale Widerstandsbeiwert bei hoher Partialdichteder Übergangskomponente ab?

12. Warum nimmt der Stofftransport bei der Desorption ab, wenn eine hohe Partial-dichte der übergehenden Komponente vorliegt? Führt der Stefan-Strom zu einerVerschlechterung des Stofftransports?

13. Skizzieren Sie den Konzentrationsverlauf einer abreagierenden Komponente aufHöhe der Oberfläche einer ebenen Platte, wenn diese Komponente durch ei-ne heterogene chemische Reaktion umgesetzt wird. Welchen Einfluss übt dieDamköhlerzahl aus?

Page 28: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

192 6 Strömungen an ebenen Platten

14. Stellen Sie schematisch den Zusammenhang zwischen der mittleren Sherwood-zahl und der Pecletzahl für den Fall einer heterogenen Oberflächenreaktiondar.

6.6 Aufgaben

1. Eine Platte der Breite b = 0,1 m, der Dicke d = 0,001 m und der Länge L = 0,2 mwird im FallA) vonWasser mit 2 m/s und im Fall B) von Luft mit 5 m/s angeströmt.Wie groß sind die Reibungskräfte für beide Fälle?

2. Eine Platte der Länge L = 1 m und der Breite B = 0,5 m wird mit zwei Flui-den unterschiedlicher Viskosität angeströmt. Dabei wird die Reibungskraft Fw

gemessen.

Messdaten:

Versuch η [mPa s] ρ [kg/m3] wx∞ [m/s] Fw [N]

1 1000 1500 0,1 1,52 1000 1500 1 37,53 1 1000 0,1 0,0254 1 1000 1 15 1 1000 10 150

a. Aus den aufgenommenen Messdaten ist der Zusammenhang ζ als Funktionvon Re zu berechnen und anschließend grafisch darzustellen.

b. Wie groß ist die mittlere Abweichung der Widerstandsbeiwerte von demjeni-gen, der sich aus der Grenzschichttheorie ergibt?

3. Eine halbseitig als unendlich ausgedehnt angenommene Newtonsche Flüssigkeitruht (wx∞ = 0) auf einer ebenen Platte. Zum Zeitpunkt t = 0 wird die Platte miteiner konstanten Geschwindigkeit w0 in Bewegung gesetzt. Hieraus resultiert einImpulstransport, der sowohl vom Plattenabstand y als auch von der Zeit abhängt.

a. Es soll das Geschwindigkeitsprofil wx(y,t) bestimmt werden.b. In welcher Entfernung von der Plattenoberfläche δ0,01(t) erreicht die Ge-

schwindigkeit noch 1 % von der Plattengeschwindigkeit?

Hinweis: Die auftretende Differenzialgleichung kann mit folgendem Ansatzgelöst werden: wx/w0 = f(y∗), in dem die dimensionslose Variable y∗ = y/

√4νt

genutzt wird.

c. Das Geschwindigkeitsprofil soll mit der folgenden vereinfachenden Annahmeberechnet werden:wx/w0 = f(y∗) mit y∗ = y/δ (t), wobei f(y∗) jede sinnvolle Funktion sein soll,die gewählt werden kann. Beispielsweise:

f (y∗) = 1 − 3/2 y∗ + 1/2 y∗3.

Page 29: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

6.6 Aufgaben 193

d. Statt einer Newtonschen wird eine nicht-Newtonsche Flüssigkeit, die demOstwald-de Waale-Ansatz folgt, eingesetzt. Es soll gezeigt werden, dass sichmit dem unter c) praktizierten Vorgehen folgende Schichtdicke ergibt:

δ0,01(t) =[

8

3

(

3

2

)nk(n+ 1)wn−1

0

ρ· t]1/n+1

.

4. Für die Trocknung von Papier soll ein Gebläse ausgelegt werden. Das Papier wirdnach der Herstellung auf lange Bahnen gezogen, denen vor dem Aufwickeln dasRestwasser entzogen werden muss. Die Papierbahnen durchlaufen dafür einenTrocknungstunnel (Höhe des Luftkanals 0,4 m; Länge 3 m).

Papier:Breite: b = 1 mDicke: d = 0,1 × 10−3 m

Geschwindigkeit: w = 0,78 m/sWassergehalt: ρH2O = 30 kg/m3

Papierdichte am Eintritt: ρein = 83,2 g/m2

Papierdichte am Austritt: ρaus = 80,2 g/m2

Trocknungsluft:Temperatur: T = 80 ◦CWasseraufnahme der Luft: �ρH2O = 0,094 kg/m3

Diffusionskoeffizient: DH2O/Luft = 2,85 10−5 m2/sSchmidtzahl: Sc = 0,7

a. Wie groß ist der in die trockene Luft übergehende Massenstrom MH2O?b. Welche Geschwindigkeit des Luftvolumenstromes ist zur Erreichung des

notwendigen Stoffübergangskoeffizienten erforderlich?c. Welcher Luftvolumenstrom ist für den Trocknungsvorgang bei Gegenstrom

nötig?

5. Feuchte Luft von 20 ◦C und einer relativen Feuchte ϕ = 0,5 strömt über einen Seevon ebenfalls 20 ◦C. Der See ist 200 m × 50 m groß, und die Luft strömt überdie Längsfläche mit einer Geschwindigkeit von 2 m/s. Gegeben sind der Sätti-gungsdruck von Wasser pS (20 ◦C) = 2,337 × 10−3 MPa und die Sättigungsdichteρ′′(20 ◦C) = 0,01729 kg/m3.

Wie viel Wasser verdunstet stündlich?

6. Eine Platte von 2 m Länge und 1 m Breite, die mit einer Schicht aus Naphthalinüberzogen ist, wird von Luft bei 0 ◦C und 1,013 bar mit einer Geschwindigkeitvon 10 m/s überströmt1.

1 Nach (Wronski et al. 1998).

Page 30: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Strömungen an ebenen Platten

194 6 Strömungen an ebenen Platten

Sättigungsdampfdruck Naphthalin pS (0 ◦C) = 1,07 PaDiffusionskoeffizient Naphthalin in Luft DNaLu (0 ◦C) = 4,9 × 10−6 m2/sKinematische Viskosität der Luft ν (0 ◦C) = 1,32 × 10−5 m2/sMolmasse Naphthalin ˜MNa= 128 g/mol

Welcher Stoffstrom ergibt sich für das sublimierende Naphthalin?

Hinweis: Für die Lösung muss eine mittlere Sherwoodzahl bestimmt werden.Für die lokale Sherwoodzahl bei laminarer Strömung gilt Gl. (6.25a) und beiturbulenter Strömung:

Shx = 0,0292Re0,8x Sc.

Der Übergang liegt bei Re = 3 × 105.

Literatur

Allgemein

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Speziell

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